22. KAPITEL
Tick
Date: 14. Februar, 15:06 Uhr
Sender: Grant, Joshua
An: Alle (alle Mitarbeiter)
Wichtigkeit: Hoch
Subject: LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK
Zu meiner allergrößten Freude kann ich euch
mitteilen, dass sich Maggie Rose (Fast Love’s MD) bereits gemeldet
hat.
Und sie haben sich für LGMK entschieden! Sie wollen
uns die gesamte Kampagne übertragen, vom Kleinkram bis zu den ganz
großen Dingern. Dies ist ein fantastisches, ja traumhaftes
Ergebnis!
Drinks Party auf meinem
Balkon, ab 17:00 Uhr! Ich hoffe, ihr müsst nicht alle zu
irgendwelchen romantischen Stelldicheins abdüsen und erweist mir
die Ehre, euch in meinen geheiligten Hallen ordentlich zu
betrinken.
Jetzt bleibt mir nur noch, mich bei euch allen von
ganzem Herzen zu bedanken. Vor allem eine Person hat meinen
besonderen Dank verdient und das ist Amelie Holden, die, was diesen
Auftrag betrifft, weit mehr getan hat, als die Pflicht verlangte.
Dafür verdient sie Lob und Dank. Aber ich weiß, dass es für viele
von euch eine sehr stressige Zeit war.
Glaubt mir, ich habe all eure Mühen registriert und
werde sie zu gegebener Zeit belohnen.
Josh
Kurz darauf erhielt Amelie dieselbe E-Mail noch
einmal, diesmal jedoch mit einer persönlichen Anmerkung von
Josh.
A,
wahnsinnig beeindruckend, was du geleistet hast,
sowohl davor, in deiner Wohnung, als auch hinterher, bei der
Präsentation. Einfallsreich, clever, fantasievoll... Du solltest
stolz auf dich sein. Aber jetzt gönn dir auch mal eine Pause!
Abgesehen davon habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie wir das
mit dir und Duncan ein wenig vorantreiben könnten – darüber reden
wir heute Abend, bei der Party, ja? Ich hätte da so ein, zwei Ideen
…
Dein dich bewundernder
Jx
![048](/epubstore/L/M-Lorelei/Keine-halben-kusse-mehr-roman//images/00049.jpeg)
Date: 14. Februar, 15:18 Uhr
Sender: Holden, Amelie
An: Grant, Joshua
Subject: RE: LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK
Es war mir ein Vergnügen. Dank auch dir für all
deine Hilfe.
A
Sie überlegte, ob sie mehr sagen sollte. So viele
unterschiedliche Gedanken wirbelten ihr durchs Gehirn. Sie wusste
nicht, was sie sagen sollte. Nach fünf vergeblichen Anläufen
beschloss sie, es dabei zu belassen. Sie hatte angefangen, die
Dinge in einem anderen Licht zu sehen und war sich nicht mehr
sicher, was wichtig war und was nicht.
![049](/epubstore/L/M-Lorelei/Keine-halben-kusse-mehr-roman//images/00050.jpeg)
Zwei Stunden später drängte sich eine aufgeregt
schwatzende Belegschaft auf dem Balkon im fünften Stock des
LGMK-Gebäudes. Die Sonne versank mit leuchtenden rosa und lila
Streifen am Horizont. Für Februar war es ein milder, angenehmer
Abend. Der Champagner floss in Strömen, und es wurde bei steigendem
Alkoholpegel und steigender Stimmung merklich lauter. Es herrschte
Aufbruchsstimmung, ein Gefühl wie ein neuer Anfang. Aus dem kleinen
Radio, das wackelig auf Joshs Fensterbrett stand, plärrte blechern
»Another Sunny Day« von Belle und Sebastian.
Amelie trat auf den Balkon hinaus, nahm sich ein
Glas Sekt und schloss sich den Feiernden an. Sie hatte jetzt seit
zwei Tagen fast nichts mehr gegessen, und auch der Schlafmangel
setzte ihr zu. Das Kleid schlotterte ihr am Körper, und ihr
Adrenalinspiegel war in den Keller gesunken. Ihr war schwindelig,
sie fühlte sich wie in Watte gepackt und sie hatte noch immer
keinen Hunger, obwohl die Präsentation nun vorbei war. Noch immer
hatte sie Schmetterlinge im Bauch, sie wusste selbst nicht warum,
und auch ihre Gedanken wollten nicht zur Ruhe kommen. Die einzig
rationale Lösung in einem solchen Falle war, so dachte sie bei
sich, mehr Alkohol. Sie pflanzte ein Lächeln auf ihr Gesicht und
schloss sich der prostenden, lärmenden Schar an.
Duncan hatte Amelie seit ihrem Auftauchen auf dem
Balkon nicht aus den Augen gelassen. Auch sein Gehirn lief auf
Hochtouren, und er konnte nicht aufhören über das nachzudenken, was
sie zuvor im Park gesagt hatte und was es wohl bedeuten mochte.
Doch all diese Gedanken schob er fürs Erste beiseite, als sie nun
auf ihn zutrat. Max und Chloe versuchten gerade ihm einzureden,
warum er sich unbedingt einen Porsche zulegen musste. Amelie hörte
Duncan antworten: »Nein, ich brauche kein Auto. Und so einen
Schicki-Micki-Schlitten schon gar nicht. Was will ich mit einem
Auto in London? Damit hat man doch mehr Ärger als Freude, oder?
Nein, ich hätte da ein paar ganz andere Ideen im Ärmel...«
Max rief Amelie aufgeregt entgegen: »Duncan hat
Neuigkeiten!«
»Ach ja? Was gibt’s?« Sie warf Duncan einen
nervösen Blick zu.
»Nun, heute muss wahrhaftig ein Glückstag sein.«
Duncan grinste dümmlich und verriet ihr dann, was er ihr schon die
ganze Zeit hatte sagen wollen. Er hatte endlich das große Los
gezogen. Buchstäblich. Den ganzen Tag hatte er seine Rubbelkarten
mit sich rumgeschleppt und in all der Aufregung ganz vergessen
gehabt. Erst nachdem sie draußen im Park gesessen hatten, waren sie
ihm wieder eingefallen. »Und du wirst es nicht glauben«, rief er
aufgeregt, »ich hab gewonnen!«
Amelie war schockiert darüber, dass sich seine
Obsession schon wieder bezahlt gemacht hatte. Laut sagte sie
jedoch: »Toll! Gratuliere!« Insgeheim durchwühlte sie bereits ihren
geistigen Aktenschrank auf der Suche nach Bekannten, die ihm eine
Suchtklinik oder einen Workshop empfehlen könnten.
»Nein, Amelie. Ich hab wirklich gewonnen...« Er
beugte sich vor und flüsterte ihr den Betrag ins Ohr. Amelie
schnappte nach Luft. »O mein Gott!!! Das ist ja fantastisch! Mann,
darauf müssen wir anstoßen!« Alle hoben ihre Gläser – es musste das
fünfte Mal in dieser Stunde sein – und stießen mit lauten
Glückwünschen an.
In diesem Moment trat Josh auf den Balkon hinaus,
begrüßte alle und hielt eine kleine Gratulationsrede. Kurz darauf
schaute Duncan eifrig in Amelies Richtung. Als er sah, dass Max und
Chloe abgedriftet waren und Amelie nun allein dastand, fing er
ihren Blick auf und wollte gerade zu ihr gehen, als Josh sich
plötzlich zwischen sie drängte. Duncan sah, wie er Amelie herzlich
umarmte, wie Amelie sofort nervös zu plappern begann und wie die
beiden sich rasch in ein Gespräch vertieften. Duncan zuckte die
Achseln und nahm sich fest vor, sie bei der ersten sich bietenden
Gelegenheit beiseitezunehmen. Damit machte er sich auf die Suche
nach Max und Chloe.
Josh und Amelie tauten derweil, nicht zuletzt
wegen des reichlich fließenden Champagners, zunehmend auf.
Belustigt erinnerten sie sich an Joshs erste Zeit in der Agentur.
»Ich muss zugeben, dass ich anfangs nicht gerade begeistert von dir
war«, gestand Amelie, der der Sekt die Zunge löste. »Kindisch von
mir, zugegeben, aber ich hatte anfangs wirklich einen ganz falschen
Eindruck von dir – ich hielt dich für einen arroganten
australischen Bastard!«
Josh wirkte verletzt, doch er musste lachen, als
Amelie hastig fortfuhr: »Aber ich weiß jetzt, wie sehr ich mich
geirrt habe! Ich weiß, wir arbeiten noch nicht sehr lange zusammen,
aber du warst mir ein toller Mentor, und ich bin dir aufrichtig
dankbar. Jetzt bin ich froh, dass du gekommen bist. Tut mir leid,
dass ich anfangs so distanziert war...«
»Distanziert!«, rief Josh in gespielter Empörung.
»Du warst der reinste Eisberg!«
»Sorry«, sagte Amelie peinlich berührt. »Aber ich
hasste dich dafür, dass du meine geliebte Jana verdrängt hast....
ich weiß, ich weiß, es war nicht deine Schuld. War sicher nicht
leicht, in ihre Fußstapfen treten zu müssen – ehrlich, es tut mir
leid, dass ich dir das Leben anfangs so schwer gemacht habe.«
»Ach, hör auf. Im Gegenteil, du hast mein Leben
interessanter gemacht. Ich hab unsere kleinen Kräche über dies und
jenes richtig genossen, es hat...«
»... dem öden Büroalltag Würze gegeben?«, grinste
Amelie.
»Ja, so was in der Art«, gestand Josh und füllte
Amelies Glas auf. Als er sich umsah, um zu sehen, wem er sonst noch
nachschenken konnte, merkte er, dass sich der Balkon sichtlich
geleert hatte. Offenbar hatten alle irgendwelche romantischen
Valentinstag-Verabredungen. Chloe und Duncan waren noch da, lehnten
nebeneinander an der Balkonbrüstung und teilten sich eine
Zigarette. Kurz darauf schlüpfte Chloe in ihren Mantel, und Duncan
trat auf Amelie zu, um ihr mitzuteilen, dass er Chloe zum Essen
ausführen wolle. »Hab mich bloß noch nicht entschieden, wohin: Oxo
Tower oder The Ivy, was meinst du? Muss schließlich meinen Gewinn
verkloppen«, scherzte Duncan.
»Hmmm, beides zu empfehlen. Aber versuch da mal,
einen Tisch zu kriegen!«, sagte Amelie und wünschte den beiden viel
Spaß. Dann gab sie Duncan einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Sei
vorsichtig... gib nicht gleich alles auf einmal aus!«
Als die beiden gingen, wandte sich Josh Amelie zu
und sagte beiläufig: »Und du? Hast du keine heiße
Valtentinstag-Verabredung?«
»Ich?«, lachte Amelie. »Nein, ich hab alle meine
Verehrer vergrault – die letzten zwei zumindest. Aber ich hab das
Richtige getan. Keiner von beiden war der Richtige für mich. Ich
bin und bleibe nun mal ein Single. Das scheint mein Schicksal zu
sein.«
»Was ist mit dem Romeo, der dir die Blumen
geschickt hat?«
Amelie verzog das Gesicht. »Mist... da fällt mir
ein, ich hab mich ja noch nicht mal bei ihm bedankt! Ich war so
beschäftigt, ich hab’s einfach vergessen.«
»Dann ist es also nicht so weit her, mit der
Liebe?«
»Anfangs schon... aber gestern hatten wir dann
einen fürchterlichen Krach. Er hat mich wahnsinnig gemacht, kurz
bevor du kamst. Und da hab ich die Beherrschung verloren und ihn
rausgeschmissen. Ich hätte nicht erwartet, je wieder was von ihm zu
hören. Echt, dass er mir Blumen schickt, nachdem er mich derart
beschimpft hat!«
Josh lachte. »Scheint ganz schön in dich verknallt
zu sein...«
»Ach, er ist ganz witzig. Aber nichts für mich.
Nein, ich glaube nicht.« Amelie hielt inne, überlegte, ob sie ihm
die Frage stellen sollte, die ihr auf der Zunge lag, und entschied
sich dann für den Sprung ins kalte Wasser. »Und du?«
Josh lächelte verlegen und fuhr sich mit den
Fingern durch dir Haare.
»Das machst du zu gern, stimmt’s? Mit der Hand
durchs Haar?«, neckte ihn Amelie. »Und mit Gemeinplätzchen um dich
werfen?«
»He – nicht so frech, junge Dame! Ich dachte, wir
hätten gerade beschlossen, dass du nicht mehr so gemein zu deinem
neuen Boss bist! Und Sprichwörter sind nun mal das Salz in der
Suppe des Lebens.«
»Du fängst ja schon wieder an!« Sie lachte, und
Josh stimmte mit ein. »Aber jetzt mal im Ernst«, sagte Amelie, »ich
dachte, du würdest Fleur ausführen?«
»Ach, nein«, sagte Josh überrascht. »Das ist schon
eine Zeitlang vorbei. Hab der Sache nach dem Wing-Wochenende einen
Riegel vorgeschoben. Mir ist klar geworden, wie unprofessionell es
von mir war, so mit meiner Sekretärin rumzumachen. Ist mir im
Grunde ziemlich peinlich, die Sache. Ach, was soll’s, für Reue ist
es jetzt zu spät. Ich kann nur hoffen, dass bald Gras über die
Sache gewachsen ist.«
»Dann hatte es also mehr mit Büroetikette als mit
deinen Gefühlen für sie zu tun?« Amelie merkte, wie es in ihrem
Magen wieder zu flattern begann.
»Nun ja, das auch, natürlich. Aber es ist komisch,
was du gestern gesagt hast, diese Sache mit dem Funken. Dass es im
Grund nur darum geht, ob es zwischen zwei Menschen funkt oder
nicht. Da wurde mir klar, dass es richtig von mir war, die Sache
abzublasen. Natürlich gab es andere Gründe, warum wir nicht
zusammenpassten, aber im Grunde lag es daran, dass es, was mich
betraf, einfach nicht richtig gefunkt hat.«
Amelie spürte auf einmal die Kälte des Abends.
»Ich gehe rasch rein und hole mir meine Jacke. Bin gleich wieder
da.« Sie ging hinein und schloss die Tür hinter sich.
Als sie in ihr Büro kam, sah sie, dass sie vier
Anrufe und zwei neue E-Mails bekommen hatte. Beide von Natasha von
Imaginative Selection.
Rasch erledigte sie sowohl die Anrufe als auch die
E-Mails und wollte gerade ihren Computer ausschalten, als ihr trotz
ihres Champagnerdusels Charlie wieder einfiel.
Rasch setzte sie sich hin und schrieb ihm eine
Mail.
Date: 14. Februar, 19:45 Uhr
Sender: Holden.Amelie@LGMKLondon.com
An: charliestanton@yahoo.co.uk
Subject: Danke …
Hi Charlie, vielen, vielen Dank für die
wundervollen Blumen! Das war so nett von dir!
Okay, ich hab ein bisschen über uns nachgedacht...
und ich finde dich ganz toll und so... aber... es wird dich wohl
nicht allzu sehr überraschen, wenn ich dir sage, dass ich nicht
glaube, dass das mit uns was wird... Ich finde, wir sollten einen
Schlussstrich ziehen …
Es fällt mir nicht leicht, dir das zu sagen, aber
ich denke, es ist besser, wenn wir uns jetzt trennen, so lange es
noch nicht zu ernst ist. Tut mir leid, wenn das jetzt blöd
klingt.
A. xxx
P.S.: Werde immer nach dir Ausschau halten. Ich
weiß, du wirst eines Tages ganz groß rauskommen.
Amelie las den Brief mehrmals durch, überprüfte ihn
so gut sie konnte auf Rechtschreibfehler. Bekümmert darüber, dass
wieder einmal einer ins Gras beißen musste, schickte sie die Mail
ab, schaltete ihren Computer aus und ging nach oben.
Sie öffnete die Tür und trat auf den Balkon
hinaus. Es war inzwischen ganz dunkel geworden, und Sterne
funkelten am schwarzen Nachthimmel. London war unglaublich schön.
Es sah genauso aus, wie auf dem Bild in ihrer Präsentation: die
erleuchteten Ufer der Themse, die kunstvoll angestrahlten
Wahrzeichen der Stadt. Josh drehte sich zu ihr um und blickte ihr
lächelnd entgegen.
»Hallo«, sagte Amelie, trat neben ihn und lehnte
sich an die Brüstung. Ihr Blick glitt über die funkelnden Gebäude,
die leuchtende Themse. »Wunderschön, nicht? Ich glaube, man kann
von hier aus sogar bis zum Riesenrad, bis zur St. Paul’s Kathedrale
sehen.«
»Ja«, stimmte ihr Josh begeistert zu. »Ich liebe
diesen Ausblick. Hierher komme ich, wenn ich desillusioniert bin,
wenn ich London satthabe. Immer wenn ich Heimweh kriege, setze ich
mich hier draußen hin. Dann weiß ich wieder, warum ich Australien
verlassen habe. Die Sydney Opera ist ein Dreck dagegen.«
»Beste Stadt der Welt«, sagte Amelie
patriotisch.
»Amelie«, hob Josh in ernsterem Ton an, »ich habe
zuvor erwähnt, dass ich mir Gedanken über deine und Duncans
Karriere gemacht habe. Schade, dass Duncan schon weg ist und er das
jetzt nicht hören kann, aber... ich wollte dir sagen, dass ich
vorhabe, mich beim Vorstand für euch stark zu machen und zu
empfehlen, dass man euch einem Seniorteam zuweist.«
Amelie schwieg. Darauf hatte sie das ganze Jahr
hingearbeitet und dennoch war es das Letzte, was zu hören sie im
Moment erwartet hatte. Sie war wie vom Donner gerührt, ihr Gesicht
war käseweiß geworden.
»Dein Arbeitsniveau und die Zeit, die du
investierst, geben mir mehr als recht. Natürlich wirst du auch mehr
Verantwortung übernehmen müssen... und ich werde natürlich dafür
sorgen, dass auch dein Salär kräftig nach oben geht... Aber das
können wir alles morgen besprechen, wenn Duncan dabei ist...«
Josh blickte Amelie forschend an, um zu sehen, was
sie davon hielt.
»Es ist mir ernst, Amelie. Du hast großes
Potential.«
Amelie war total verwirrt. »Wow«, stieß sie
hervor. Ihre Gedanken rasten, sie wusste nicht, was sie sagen
sollte. »Das – das ist – toll... ich weiß gar nicht, was ich sagen
soll.«
»Dann sag gar nichts. Denk bis nächste Woche
darüber nach. Nimm dir das Wochenende Zeit. Sag mir am Montag
Bescheid.«
»Danke. Das ist sehr freundlich von dir – das
mache ich.« Doch Amelie fühlte, dass sie ihr Geheimnis nicht länger
vor ihm verbergen konnte. »Josh, es tut mir leid. Aber ich muss dir
unbedingt was sagen...«
Josh schaute Amelie mit einem seltsam intensiven
Ausdruck in die Augen. »Ich muss dir auch was sagen.« Er stellte
sein Glas ab und fuhr sich mit allen zehn Fingern durch die Haare.
Er wirkte seltsam nervös. Dann schaute er Amelie in die Augen und
sagte: »Ich muss dir das erklären: Was ich gerade gesagt habe, hat
sozusagen einen Haken. Da fehlt noch das Kleingedruckte, wenn man
so will. Ich kann verstehen, wenn du nach dem, was du gleich hörst,
die Beförderung nicht annehmen willst. Das ist schon in Ordnung.
Ich verstehe das. Aber ich finde, ich bin es dir schuldig, mit
offenen Karten zu spielen, damit du alle Fakten hast, wenn du deine
Entscheidung triffst.«
Amelies Mund war wie ausgedörrt. Sie starrte ihn
mit weit aufgerissenen blauen Augen an, das Herz klopfte ihr bis
zum Hals. Was kommt jetzt?, fragte sie sich.
Josh fuhr fort: »Angesichts der Tatsache, dass ich
mich gerade über Professionalität im Büro ausgelassen habe, muss
dir das Folgende geradezu lachhaft erscheinen... vielleicht liegt’s
ja am Champagner oder an diesem verrückten Tag heute oder es ist
was in der Luft... aber... ich muss es dir jetzt einfach sagen. Ich
kann nicht länger schweigen.«
Josh hielt inne, rang nach Worten. In Amelies
blauen Augen stand Angst. Sie konnte sich nicht vorstellen, was so
ernst sein konnte. Was konnte Joshua Grant, der immer die Ruhe
selbst war, so aus der Fassung bringen? Nervös stammelte er: »Ich
weiß nicht, wie das passieren konnte, und ich weiß, wie unpassend,
wie unmöglich, wie geschmacklos es ist... aber...« Er hielt inne,
holte tief Luft und stieß dann, seine Schuhspitzen musternd,
hervor: »Amelie, ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.«
Ihr blieb fast das Herz stehen. Sie senkte den
Kopf, wollte nicht, dass Josh ihr Gesicht sah, auf dem sich nun ein
seltsames Lächeln breitmachte.
»Ich kann nicht aufhören, an dich zu denken. Du
gehst mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Morgens, wenn ich
aufwache, sehe ich als Erstes dein Gesicht, dein Haar, dein
Lächeln, deine Ideen, das Funkeln in deinen Augen, und abends, wenn
ich schlafen gehe, ist es das Letzte, woran ich denke. Nicht, dass
ich in letzter Zeit viel geschlafen hätte. Oder gegessen. Oder
getrunken. Oder an irgendwas anderes gedacht. Und … und neulich
Abend, in deiner Wohnung, als wir an dem Pitch arbeiteten... ich
hab noch nie eine solche Zuneigung und zugleich Bewunderung für
einen Menschen empfunden wie für dich, Amelie... du faszinierst
mich, du... ich weiß, du hältst mich jetzt wahrscheinlich für einen
Spinner, einen Psychopathen, und ich hätte all das wirklich nicht
sagen sollen... ich bin der unmöglichste Boss, den du je hattest.
Tut mir leid. Ich gehe jetzt besser.«
Amelies Stimmbänder waren wie gelähmt. Auf einmal
war sie wieder sieben Jahre alt und stand vor all den lärmenden,
selbstbewussten Jungpfadfindern, die mühelos ihre Lebensgeschichten
zum Besten gaben. Abermals hatte sie die Beherrschung über ihre
Sprechwerkzeuge verloren. Stumm stand sie da, wie vom Donner
gerührt. Und auf einmal wurde ihr etwas klar. Die Schmetterlinge in
ihrem Bauch – sie waren da nicht aus Nervosität oder weil sie
inspiriert war. Sie waren da wegen Josh.
»Am?«, fragte Josh unsicher. Sie sagte immer noch
nichts; in ihren Augen stand ein Ausdruck totaler Verwirrung,
totalen Gefühlschaos’. »Du hasst mich«, konstatierte Josh. »Das ist
offensichtlich. Ich hab dich zutiefst gekränkt. Es tut mir so leid.
Ich bin ein schrecklicher Schuft. Sag’s ruhig dem Vorstand, dann
wird man mir einen Tritt geben. Fair enough – ich hab’s nicht
anders verdient. Ich gehe jetzt und hole meine Jacke.«
»Schhhhhh«, flüsterte Amelie. Sie blickte zu ihm
auf und ein strahlendes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht
breit. Als Josh dies sah, blieb er wie verzaubert stehen, dann trat
er zögernd näher, nahm Amelie behutsam in die Arme. Sie gab ihm
einen zärtlichen Kuss auf die Wange, und er schaute sie bewundernd
an.
»Ich werde nicht zulassen, dass man dich
entlässt«, wisperte sie und trat einen Schritt zurück. »Noch nicht,
jedenfalls.« Sie blickte zu ihm auf und lächelte wissend. Er nahm
sie in die Arme und küsste sie wissend.
»So«, sagte Josh, als sie sich geraume Zeit später
voneinander lösten. Er streichelte über Amelies Haar, und sie
schauten einander lächelnd tief in die Augen. »Was wolltest du mir
sagen?«