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m abgedunkelten Büro des Ministerpräsidenten, das als Einsatzzentrale diente, marschierte Zalman Cohen vor den aufgereihten Telefonen rastlos hin und her und fächelte sich mit einem Stoß Unterlagen Luft in das aufgedunsene Gesicht. Elihu stand reglos vor einem Fenster und starrte sein Spiegelbild an, ohne es zu sehen. Er beneidete Baruch, der jünger und fitter war und als Vertreter der Sonderarbeitsgruppe einen Platz bei der Operation ergattert hatte. Warten war für den Katsa die reinste Qual. Es war psychologisch leichter, aktiv bei einem Einsatz dabei zu sein, als in einer Kommandozentrale bei jedem Telefonklingeln zusammenzuzucken. Der Chef des Generalstabs, ein General mit breiter Brust und einem knallroten Barett, das er unter eine Epaulette gesteckt hatte, bellte Anweisungen in ein Satellitentelefon, das mit einem Scrambler ausgestattet war. Truppen wurden vorsichtshalber in Alarmbereitschaft versetzt, denn es war mit arabischen Protesten zu rechnen, wenn der sogenannte Mudschaddid von israelischen Soldaten erschossen wurde. Die Schin-Bet-Leute sowie der Verteidigungsminister und zwei weitere Mitglieder des Kabinetts schenkten sich am Sideboard Obstsaft ein und unterhielten sich leise. Der Ministerpräsident, der dank seiner legendären Selbstbeherrschung als Einziger völlig ruhig wirkte, saß allein am ovalen Konferenztisch und rauchte eine der seltenen Zigaretten, die er sich gönnte. Ab und zu fasste er sie mit Daumen und drei Fingern, eine Gewohnheit, die er sich bei seinem polnischen Onkel abgeguckt hatte, und nahm sie aus dem Mund, um zuzuschauen, wie sie herunterbrannte, als versteckte sich in der Glut eine Nachricht, die es zu entschlüsseln galt. Auf dem Block vor ihm standen die beiden Fassungen des Kommuniqués, das Cohen für die Pressekonferenz um acht vorbereitet hatte. Beide Fassungen begannen mit der Erklärung, dass die Freilassung der palästinensischen Gefangenen verkündet worden war, um der Spezialeinheit des Generalstabs Zeit zu geben, das Versteck zu stürmen, in dem Abu Bakr vermutlich Rabbi Apfulbaum gefangen hielt; dass sich sämtliche Gefangenen, deren Freilassung von den Geiselnehmern verlangt worden war, noch in israelischem Gewahrsam befanden und es in absehbarer Zukunft auch bleiben würden. In der ersten Fassung des Kommuniqués folgte dann die Bekanntgabe, dass die Soldaten den Rabbi wohlbehalten befreit hatten. In der zweiten Fassung war Apfulbaum von seinen Entführern getötet worden, ehe die israelischen Soldaten sie unschädlich machen konnten. Beide Fassungen endeten mit der feierlichen Absichtserklärung der Regierung, sich niemals von Terroristen erpressen zu lassen. »Im Krieg gegen den islamisch-fundamentalistischen Terrorismus gibt es keine kampffreie Zone«, ließ Cohen den Ministerpräsidenten sagen. »Es gibt niemanden, der nicht am Kampf beteiligt ist. Alle unsere Bürger – der Soldat, der auf den Straßen im Westjordanland patrouilliert, die Mutter, die mit dem Bus der Linie achtzehn durch Jerusalem fährt, der Rabbi, der aus Yad Mordechai zurückkommt – stehen an vorderster Front.«
Ein rotes Telefon auf dem Tisch summte. Die Männer, die am Sideboard Saft tranken, verstummten jäh und drehten sich zu dem Geräusch um. Der Katsa machte zwei Schritte in Cohens Richtung, doch der Direktor des Militärausschusses griff schon nach dem Hörer und riss ihn von der Gabel.
»Cohen«, sagte er leise. Er lauschte, nickte einmal, nickte ein zweites Mal und legte den Hörer wieder auf. »Sie sind in der Altstadt«, verkündete er. »Die Operation Simon Bar-Kokhba hat begonnen.«