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D
er ramponierte silberfarbene Suzuki mit israelischem Kennzeichen rumpelte die unbefestigte Straße entlang und hielt neben der Hintertür eines Obst- und Gemüselagers am Rand von Ramallah, acht Meilen nördlich von Jerusalem. Eine läufige Katze, die auf dem Blechdach des Gebäudes patrouillierte, kreischte mit beinahe menschlicher Stimme, als Petra sich das Tuch vom Kopf zog und damit die nackte Glühbirne über der Tür aus der Fassung drehte. Im Dunkeln stieg der Doktor aus dem Wagen und verschwand im Lagerhaus. Er legte die Fingerspitzen auf Petras Schulter und folgte ihr durch das Labyrinth von Gängen zwischen kopfhoch gestapelten Kisten. Silbriges Mondlicht warf Strahlen durch die regengestreiften Scheiben der Oberlichter und besprenkelte den Zementboden mit huschenden Schatten. Auf allen Seiten duftete es nach Orangen und Äpfeln und Karotten und Petersilie. Eine übergewichtige Frau tauchte im Gang auf. Sie fiel schwerfällig auf die Knie, nahm den Saum vom Gewand des Doktors in ihre dicken Finger und führte ihn an die Lippen. »Ich bitte Sie, ich flehe Sie an, im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen«, wimmerte sie. »Schonen Sie das Leben meines Mannes um seiner Familie willen.« Ein junger Mann trat hinter die Frau. »Für das Leben meines Vaters«, sagte er, und seine Stimme war ein leises angstvolles Flüstern, »bieten wir gemäß dem islamischen Recht diyah –«
»Es geht hier nicht um Blutgeld, sondern um Gerechtigkeit«, erwiderte der Doktor schroff. Er ging an den beiden vorbei und ließ sich von Petra weiterführen. Unter einem großen Oberlicht in der Mitte des Lagerhauses war der alte Haddschi mit Händen und Füßen an einen Pfosten gefesselt. »Hier liegt ein gewaltiger Irrtum vor«, flüsterte der alte Haddschi, als der Doktor und Petra ihn erreichten. Er sprach so, als wollte er ihnen ein Geheimnis anvertrauen. »Kein Funken Wahrheit ist –«
Der Doktor unterbrach ihn jäh. »Ich weiß alles. Wenn auch nur ein betrügerisches Wort über deine Lippen kommt, vollstrecke ich die Strafe, die für alle Palästinenser vorgesehen ist, die mit den Isra’ilis kollaborieren. Deine einzige Hoffnung besteht darin, die Wahrheit zu sagen und darauf zu vertrauen, dass ich dir die Gnade gewähre, die der Qur’an für die Reuigen vorsieht. Hast du mich verstanden?«
Der alte Haddschi hielt die Augen gebannt auf den Bluterguss gerichtet, der die Stirn des Doktors verunstaltete, und nickte schwach. »Sind Sie der Mudschaddid, von dem die Leute auf dem Souk erzählen?«
Petra murmelte einen Vers aus dem Qur’an. »›Ihr Merkmal steht auf ihrem Gesicht als Spur der Niederwerfung.‹«
»Manche sagen, ich bin der Erneuerer«, antwortete der Doktor. »Das wird sich zeigen.«
»Es stimmt, ich habe für die Juden gearbeitet«, rief der Haddschi. »Sie haben mich gezwungen.«
»Wann haben sie dich angeworben?«
»Im Sommer 1997.«
»Wie?«
Haddschi erzählte. »Mein Sohn Ahmed saß in der Nähe von Tel Aviv in Untersuchungshaft. Sie haben gedroht, sie würden ihn wegen Mordes an einem jüdischen Siedler anklagen. Sie haben gesagt, nur ich könnte ihn vor einer langen Gefängnisstrafe bewahren. Sie haben gedroht, meinem Sohn Sufian den Passierschein für die Green Line wegzunehmen, den er für die Arbeit in Isra’il braucht. Von Sufians Lohn leben er und seine Frau und seine vier Kinder und die Eltern seiner Frau und der verkrüppelte Bruder seines Schwiegervaters. Und dann haben die Juden gedroht, wenn ich nicht kollaborieren würde, würden sie das Gerücht verbreiten, ich hätte schon kollaboriert.« Haddschi wimmerte leise. »Was hätte ich denn machen sollen? Ich habe drei Töchter, die eine Mitgift verlangen. Ich habe elf Menschen unter meinem Dach, die essen wollen. Ich hatte keine andere Wahl.«
Der Doktor trat neben Haddschi. »Wir werden ihnen Essen geben«, sagte er. »Glaubst du an Gott?«
»Ja, Ja. Mit ganzer Seele.«
»Wende den Kopf in Richtung der Kaaba im Herzen der heiligen Stadt Mekka, die Ibrahim erbaute, unser aller Vater, und bete mit mir.«
»Ja. Ja.«
Der Doktor streckte eine Hand aus und berührte Haddschi leicht hinter dem linken Ohr, als wollte er ihn segnen. »Im Namen Gottes, des Gnädigen und Barmherzigen. Gelobt sei Gott, der Herr des Universums. Dich verehren wir und dich rufen wir um Hilfe an –«
»Verehren«, wiederholte Haddschi, mit klapperndem Gebiss. »Hilfe …«
»Geleite uns den geraden Weg.«
»Geleite uns –« Haddschis Stimme stockte. Tränen rannen ihm über die wettergegerbten Wangen.
»Dein Name lässt mich vermuten, dass du die Pilgerfahrt nach Mekka unternommen hast.«
Der alte Haddschi brachte ein klägliches Nicken zustande.
»Nun unternimmst du die Haddsch zu einem besseren Ort als Mekka«, sagte der Doktor und ertastete mit den Fingerspitzen einer Hand den Knochenvorsprung hinter dem Ohr, während er mit der anderen die kleine Pistole mit Perlmuttgriff aus der Innentasche seines Jacketts zog. »Wenn du dich ihm näherst, denke daran, das zu rufen, was auch die Mekka-Pilger rufen: Ich bin da, o Herr, ich bin da!«
»Welcher Ort ist denn besser als Mekka?« Aus Grauen vor der Antwort erstickte Haddschi beinahe an der Frage.
»Das Paradies ist besser als Mekka. Du hast mir gegenüber gebeichtet. Deine Beichte steht jetzt im Buch der Taten. Am Jüngsten Tag, wenn die Erde zu Pulver zermahlen wird und diejenigen, die vom geraden Weg abgewichen sind, zu Feuerholz für Gehenna werden, wird sie zu deinen Gunsten verlesen.« Er hob den Pistolenlauf an den Knochenvorsprung. »Wenn Gott von dem Guten in deinem Herzen weiß, gibt Er dir etwas Besseres zurück als das, was dir genommen wurde, denn Gott ist mitleidig und verzeiht.«
»Gott ist mitlei–«
Der Doktor drückte ab. Haddschis Körper zuckte wie vom Blitz getroffen, sackte dann in die Seile, mit denen er an den Pfosten gefesselt war.
Von der anderen Seite des Lagerhauses gellten schrill die Schreie der Witwe, die ihren toten Ehemann betrauerte, über die Kisten mit Orangen und Äpfeln und Karotten und Petersilie hinweg.
*
Auszug aus dem Projekt »Lauf der Geschichte«
an der Harvard University:
Ich bin spät dran. Ging nicht anders. Die Falken von der National Security Agency, die ja dem Verteidigungsministerium unterstellt ist, sind heute zum Spielen ins Weiße Haus gekommen, und gleich anschließend hatte ich ein wichtiges Konferenztelefonat.
Die Leute von der NSA hatten wie immer ihr Lieblingsspiel dabei: Domino.
Sie haben richtig gehört. Domino, wie in der berühmten »Dominotheorie«, die Lyndon Johnson die intellektuelle Rechtfertigung dafür lieferte, in seinem katastrophalen Krieg in Vietnam den Einsatz zu erhöhen. Die NSA tischt das Dominospiel jedes Mal auf, wenn sie allen im Weißen Haus eine Heidenangst einjagen will. Und ich kann Ihnen sagen, in zehn von zehn Fällen funktioniert das auch.
Wer? Sagen Sie ihm, er soll mir ein Memo schicken. Ich rede mit ihm, wenn ich es gelesen hab.
Wo war ich?
Domino.
Die Sitzung heute Morgen fand im Kabinettsaal statt. Den Vorsitz hatte die Präsidentin, und sie hatte wirklich die politische Crème de la Crime zusammengetrommelt – den Vizepräsidenten, den Außenminister, den Verteidigungsminister, den Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, den Nationalen Sicherheitsberater und meine Wenigkeit, Zachary Taylor Sawyer, Sonderberater der Präsidentin für Nahostangelegenheiten. Der NSA-Direktor, ein Relikt aus der Zeit, als Rumsfeld noch im Verteidigungsministerium saß, stellte seine Dominosteine auf und fing an, sie umzustoßen, soll heißen, er erläuterte, was seiner Ansicht nach passieren wird, wenn im Nahen Osten wieder Schüsse fallen. Ich warf zwischendurch einen verstohlenen Blick auf die Präsidentin – ihre Gesichtsfarbe durchlief eine ganze Palette von Violetttönen. Wer kann es ihr verdenken? Vor ihrem Schreibtisch steht der letzte Dominostein. Der Gedanke, eine Sitzung über das Ende der Welt, wie wir sie kennen, zu leiten, behagt ihr nicht sonderlich.
Zugegeben, ich übertreibe. Aber nicht so stark, wie Sie vielleicht glauben.
Die Dominotheorie der Woche fängt laut National Security Agency mit dem Rabbi an – ich kann mir den Namen einfach nicht merken. Apfulbaum. Genau. Sie fängt damit an, dass dieser Apfulbaum von seinen Kidnappern exekutiert wird. Daraufhin üben die ultrarechten Israelis in irgendeiner Form Rache, worauf wiederum eine von den verrückten palästinensischen, fundamentalistischen Untergrundzellen Rache für die Rache übt. Anschließend streichen beide Seiten ihre Pläne, nach Washington zu kommen, und der Mt.-Washington-Friedensvertrag geht den Bach runter.
Das war erst das Vorspiel.
Falls der Nahe Osten wieder explodiert, gehen die NSA-Analysten von einer neunzigprozentigen Chance aus, dass die saudische Monarchie untergeht und Saudi-Arabien von wahhabitischen Fundamentalisten übernommen wird, von denen einige noch einen Tick mehr nach rechts tendieren als der Bursche, der 2001 die Twin Towers zum Einsturz gebracht hat. Osama bin Laden. (Ja, seinen Namen kann ich mir merken, allerdings.) Ein Viertel der Ölreserven weltweit, so rief uns der NSA-Direktor in Erinnerung – als müssten wir daran erinnert werden –, liegen unter saudischem Sand begraben. Wenn Saudi-Arabien verloren geht, so wurde uns gesagt, werden die übrigen Länder in der Region umfallen wie die sprichwörtlichen Dominosteine. Jordanien, wo die haschemitischen Beduinen und ihr König über eine Bevölkerung herrschen, die zu siebzig Prozent aus Palästinensern besteht, wäre als Erstes weg. Dann Kuwait, Katar, der Jemen, Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate, am Ende vielleicht sogar noch Algerien und Marokko. Ist Ihnen klar, was es für die freie Welt – für Europa und für uns – bedeuten würde, wenn diese gigantischen Öl- und Gasvorkommen von islamischen Fundamentalisten kontrolliert würden? Man stelle sich die Ressourcen vor, mit denen sie die islamische Revolution in Ländern mit einer islamischen Bevölkerungsmehrheit vorantreiben könnten. Ganz nach Belieben könnten sie jederzeit ein paar Millionen Barrel weniger fördern, und der Preis würde noch höher schnellen, als er ohnehin schon ist. Die Folge wäre eine Hyperinflation, gefolgt vom Bankrott ganzer Industriezweige, gefolgt vom Zusammenbruch der Börsenmärkte, gefolgt von Panik auf den Straßen.
Doch damit nicht genug. Anscheinend erzählen die Amerikanologen im Kreml ihren Pendants in Washington, dass das gesamte muslimische Zentralasien destabilisiert würde, wenn die Nahostfrage nicht gelöst wird. Und die muslimischen Staaten in Zentralasien – von denen einige noch immer im Besitz sowjetischer Raketen mit Atomsprengköpfen sind – würden die gesamte russische Landmasse destabilisieren. Halten Sie sich mal die Möglichkeiten vor Augen – Usbekistan oder Kasachstan verkaufen nukleare Sprengköpfe an Fundamentalisten am Golf die in Ölgeld schwimmen. Mein Gott, gemessen daran würde sich der 11. September wie ein Blechschaden ausnehmen.
Man muss kein NSA-Analyst sein, um sich die Auswirkungen in der übrigen Welt ausmalen zu können. Pakistan, Indonesien, Malaysia, sogar die Türkei würden fundamentalistisch werden. China mit seiner großen muslimischen Minderheit, vor allem den Uiguren in Zentralasien, könnte in einen Bürgerkrieg mit abtrünnigen islamischen Provinzenstürzen. Die Japaner, die jeden Tropfen Öl importieren müssen, würden im Handumdrehen erkennen, wo ihr Vorteil liegt. Ölproduzenten wie Russland und Venezuela und schließlich sogar England würden unter enormen Druck geraten, die Produktion zu erhöhen, damit die Industrienationen nicht Gefangene der Golf-Imame werden, dies aber nur unter der Bedingung einer drastischen Preiserhöhung tun.
Ein düsteres Bild? Ich würde sagen, eher pechschwarz als düster.
Die ganze Zeit über saß die Präsidentin da, trommelte mit ihren hochhackigen Schuhen auf dem Boden, spielte mit einer Büroklammer, die sie in verschiedene Formen bog, bis sie brach, um sich gleich eine neue vorzunehmen. Als der NSA-Direktor fertig war, herrschte beklommenes Schweigen im Saal. Alle Anwesenden starrten auf ihre Fingernägel. Ich spürte den Blick der Präsidentin auf mich gerichtet. »Sie sind doch unser Nahost-Guru, Zack«, sagte sie ganz leise. »Was halten Sie von der ganzen Sache?«
Ich zuckte die Achseln und sagte, soweit ich das beurteilen könne, sei das alles nichts Neues. Ich erinnerte an den alten Spruch, den es schon längst gab, als die Washingtoner Wunderknaben die Dominotheorie erfanden: kleine Ursache, große Wirkung.
»Sie wollen also damit sagen, das NSA-Szenario triff ins Schwarze«, bemerkte die Präsidentin.
Ich zog die Stirn kraus und murmelte, bei den NSA-Analysten werde auch nur mit Wasser gekocht.
Das ging dem Verteidigungsminister, der ja schließlich der Boss des NSA-Direktors ist, über die Hutschnur, und er sprang für sein Ressort in die Bresche. »Dann vermute ich mal, der Sonderberater für Nahostangelegenheiten hat eine bessere Analyse der heiklen Lage zu bieten, in der wir uns befinden«, sagte er.
Die Präsidentin blickte mich eindringlich an, als wollte sie sagen: Stimmt das?
»Geschichte zu beurteilen, ehe sie geschieht«, sagte ich müde, »ist so, als wollte man vorhersagen, auf welchem Weg Lava nach einem Vulkanausbruch nach unten fließen wird.«
Der Außenminister bemühte sich erwartungsgemäß, die Gemeinsamkeiten der Diskussionsteilnehmer herauszustellen. Wie üblich war den Machern daran gelegen, den Eindruck zu vermitteln, dass die höchste Regierungsebene mit einer Stimme spricht. »Wenn ich Zack richtig verstehe«, sagte er bedächtig, »will er uns sagen, dass die Exekution von I. Apfulbaum in der Region wie ein Vulkanausbruch wirken wird. Welchen Weg die Lava dann fließt – soll heißen, wie die Sache weitergeht –, steht in den Sternen.«
Ich bemerkte, wie der Stabschef des Weißen Hauses an der Tür auf das Glas seiner Armbanduhr tippte, also nickte ich ausweichend und beließ es dabei.
Zurück in meinem Büro, stellte ich mir gerade vor, wie sich Lavaströme eines ausbrechenden Vulkans einen Weg nach unten bahnten, als die Konferenzschaltung für das dringende Telefonat mit meinen Kollegen in Downing Street Number Ten und dem Elysée-Palast hergestellt wurde. Beide waren ungemein aufgeregt. (Das Timing des Anrufs ließ mich vermuten, dass sie von ihren jeweiligen Geheimdiensten über das Domino-Briefing informiert worden waren.) Sie vergeudeten keine Zeit mit Smalltalk. Ihre Chefs, also der britische Premier und der französische Präsident, seien beide der Ansicht, dass der Friedensvertrag gerettet werden müsse, koste es, was es wolle. Ich fragte, ob sie neue Ideen hätten. Ein einigermaßen langes Schweigen folgte, als wartete jeder von beiden, dass der andere die schlechte Nachricht überbrachte. Schließlich räusperte sich der englische Nahostexperte. »Wir sind der Meinung, die Israelis sollten zu der Einsicht gebracht werden, dass es notwendig ist, den Forderungen der Entführer nachzugeben«, sagte er. »Paris und London sind sich in dieser Analyse einig«, fügte der Elysée-Spezialist hinzu. »Die sollen ihnen die gottverdammten Gefangenen im Austausch gegen den Rabbi und seinen Sekretär geben, damit der Friedensvertrag unterzeichnet werden kann und ein souveräner palästinensischer Staat entsteht.«
»Wieso erzählen Sie mir das?«, fragte ich – als wenn ich das nicht gewusst hätte, aber ich wollte sie dazu bringen, es offiziell auszusprechen. »Wieso ruft nicht einer von Ihnen den israelischen Ministerpräsidenten an und erzählt es ihm persönlich?«
»Wir sind der Ansicht, die amerikanische Präsidentin sollte die Nachricht überbringen«, sagte der Engländer. »Nur Washington hat genug Einfluss auf die Israelis, um zu erreichen, dass sie auf die süße Stimme der Vernunft hören.«
Der Franzose wollte etwas sagen, doch ich fiel ihm ins Wort. »Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, meine Freunde. Erstens, die Präsidentin hat sich in der Sache schon weit genug aus dem Fenster gelehnt; einen Zentimeter mehr, und sie läuft Gefahr, die Volksmeinung gegen sich aufzubringen, was ihre Hoffnungen auf eine zweite Amtszeit zerschlagen würde. Zweitens, und der Punkt ist noch wichtiger, werden die Israelis das niemals akzeptieren. Manche Dinge lassen sich nun mal nicht erzwingen, und dazu gehört der Austausch von palästinensischen Gefangenen gegen jüdische Geiseln. Aus dem naheliegenden Grund, dass das nur weitere Entführungen zur Folge hätte.«
Der Franzose, den ich flüchtig von NATO-Brainstormingtreffen her kannte, sagte: »Sie könnten den Einsatz erhöhen, Zack. Wie Sie selbst in Ihrem Buch Den Teufelskreis durchbrechen schreiben. Sie könnten den Israelis drohen –«
Ich unterbrach ihn erneut. »Womit denn drohen? Eine weitere Resolution des Sicherheitsrates, die Israel scharf verurteilt?«
»Frankreich würde sich einer internationalen Initiative anschließen, Israel zu isolieren – zum Beispiel durch einen Entzug der Landerechte für Passagiermaschinen. Durch Einfrieren seiner Überseekonten. Durch ein Handelsembargo, wie wir es vor Jahren gegen Südafrika verhängt haben.«
»Eskalation, das zieht«, pflichtete der Mann von der Downing Street jovial bei, ein alter Januskopf aus dem britischen Außenministerium, der für seine proarabische Haltung bekannt war.
»Und wenn die Israelis nicht klein beigeben, was machen wir dann? Den Hafen von Haifa verminen? Tel Aviv bombardieren? Hören Sie, Gentlemen, eine derartige Idee werde ich im Oval Office gar nicht erst zur Sprache bringen. Wenn man den Einsatz erhöht, muss man ein Gespür dafür haben, wie weit jemand nachgeben kann. Und wenn man diese Grenze überschreitet, löst man nur Widerstand aus.«
Sie redeten noch gut eine Dreiviertelstunde auf mich ein. Aber ich blieb hartnäckig. Ich wusste, dass die Israelis sich nie und nimmer weiter drängen lassen würden, als es ihnen ihr hoch entwickelter nationaler Überlebensinstinkt erlaubte. Jeder Versuch in diese Richtung würde uns alle Glaubwürdigkeit kosten, die wir brauchten, wenn wir sie unter Druck setzen wollten. Meine Kollegen in London und Paris hatten ein unzulängliches Verständnis der Realität im Nahen Osten. Sie würden schon noch ihre Erfahrungen machen, so oder so.
Glauben Sie mir, ich bin nach wie vor objektiv. Aber um ehrlich zu sein, ich habe auch eine Heidenangst. Ich verstehe, warum die Europäer in Panik geraten. Was soll werden, wenn uns die Situation aus den Händen gleitet, was nur?