46

E

ine samtige Dunkelheit legte sich wie Ruß auf die Dächer der Altstadt. Hoch oben auf dem Tempelberg verlor die goldene Kuppel der prachtvollen Moschee in den abendlichen Schatten ihren Glanz. In den Kopfsteinpflastergassen ließen Ladenbesitzer mit Drehkurbeln die Metalljalousien vor den Schaufenstern herab, während die letzten Touristen den Rückweg ins Hotel antraten. Arabische Männer in westlicher Kleidung drängten in die Kaffeehäuser, wo sie Backgammon spielten und aufgeregt Abu Bakrs glorreichen Triumph über die Juden debattierten. Um sieben unterbrachen sie das Spiel und verfolgten auf riesigen Farbfernsehern die neuesten Nachrichten: Zwei Busse mit abgedunkelten Scheiben und von einer Flotille Polizeiwagen eskortiert waren gesichtet worden, wie sie von Haifa aus nach Norden in Richtung libanesische Grenze fuhren. Der israelische Ministerpräsident hatte nach heftiger Kritik vonseiten der Opposition, die eine Abstimmung über ein Misstrauensvotum in der Knesset verlangte, eine weitere Pressekonferenz in einer Stunde anberaumt. In der großen Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg hatten die Gläubigen bereits begonnen, Allah für die Freilassung der palästinensischen Kämpfer zu danken.

Vor dem Jaffa-Tor kroch ein großer Bus die Straße in die Altstadt hoch. Im Busfenster hing ein Pappschild mit der Aufschrift: »Mackabäische Mönche des Heiligen Ordens des wahren Kreuzes.« Kaum jemand schenkte dem Bus Beachtung, als er vor den Stufen hielt, die zum Davidsturm führten. Priester und Mönche aller religiösen Orden waren in den Straßen der Altstadt ein alltäglicher Anblick. Zischend öffneten sich die Türen des Busses, und siebenundvierzig Mönche – alle in groben braunen Kutten mit einer Kordel als Gürtel und weiten Kapuzen über den gesenkten Köpfen, die Hände vor der Brust gefaltet – stiegen nacheinander aus. Paarweise gingen sie die Latin Patriarchate Road hinunter. Der Saum ihrer Kutten streifte den Boden und verbarg, dass die Mönche allesamt schwarze Reeboks trugen. Das gelegentliche Klappern von Metall ließ einen der Mönche am Kopf der Kolonne einen bösen Blick nach hinten werfen. Einige christlich-arabische Händler, die gerade ihre Läden zugemacht hatten, traten zurück und bekreuzigten sich, als die Prozession vorbeizog. Eine fromme alte Frau verbeugte sich vor dem Mönch an der Spitze, der sich ebenfalls verbeugte. An der Saint Peter Road schwenkte die Prozession nach rechts, dann wieder nach links, und näherte sich durch die inzwischen menschenleeren Straßen von hinten dem Casa-Nova-Hospiz.

Als die Mönche die kleine verwitterte Hintertür des Hospiz passierten, lösten sich acht von ihnen aus der Kolonne und huschten in das Gebäude. Die anderen folgten weiter der Gasse, die am Hospiz entlang zur Casa Nova Road führte. Am Fuße der Hospizmauer sanken die Mönche wie zum Gebet auf die Knie und wurden im dunklen Schatten des Gebäudes fast unsichtbar. Der Mönch an der Spitze der Prozession überblickte die Straße und gab dann mit dem Arm ein Zeichen. Sofort rannten sechs der Mönche los und verschwanden in einer Seitenstraße auf der anderen Seite. Drei Minuten später waren auch die letzten Mönche über die Straße gesprintet und eilten jetzt durch das Gewirr aus Gassen und Durchgängen, die das Viertel durchschnitten, in dessen Mitte ein leerstehendes Badehaus lag.