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Y

ussuf Abu Saleh hockte hinter einem Berg Zementsteine und wartete, bis die israelische Patrouille die Straße kontrolliert hatte, die zwischen der jüdischen und der palästinensischen Hälfte von Abu Tor verlief. In der Jerusalemer Altstadt jenseits des Hinnomtals – der Gehenna, wo zur Zeit des islamischen Propheten Jesus Abfall verbrannt wurde – schlug eine Glocke der Grabeskirche die halbe Stunde. Als das Echo verklungen war, kletterte Yussuf auf die Mauer und sprang in den Garten hinter der Villa seines Schwiegervaters. Ein Hund in einem der jüdischen Häuser auf dem Hügel bellte den Mond an, der über dem Skopusberg hing, und etliche Hunde in den tiefer gelegenen arabischen Häusern fielen mit ein. Der alte Saluki, der an einem Baum im Garten angebunden war, erhob sich und schnüffelte in der Luft, ließ sich aber wieder ins Gras sinken, als er den Eindringling erkannte. Yussuf durchquerte den Garten bis zu einer Pergola, kletterte dann durch einen alten Rosenbusch zu dem kleinen Balkon im ersten Stock hoch. In der Villa war alles dunkel. Er kratzte am Fenster. Im Zimmer flammte ein Streichholz auf, das eine Kerze entzündete. Einen Augenblick später wurde das Fenster aufgerissen, und Yussuf lag in den Armen seiner Frau.

»Ahlan wa sahlan«, murmelte Maali an seinem Hals, die Lippen an seine Haut gepresst. »Mein Haus ist dein Haus.«

»Das sieht dein Vater aber anders«, bemerkte Yussuf.

»Mein Vater ist Anwalt«, flüsterte sie. »Er sieht das, was du tust, nur aus juristischer Perspektive. Er hat den Blick dafür verloren, wer recht hat und wer unrecht.« Sie entdeckte Blut in seiner Handfläche, wo er sich an einem Dorn gestochen hatte, und küsste es weg. Sie streifte sich die dünnen Träger ihres Nachthemdes von den Schultern, zog ihm den Rollkragenpullover über den Kopf und presste sich gegen seinen Körper. »Mein Herz, mein Mann, willkommen in deinem Ehegemach, willkommen in deinem Ehebett.«

»Du bist wunderschön«, sagte Yussuf. »Zwei Wochen sind eine lange Zeit für Liebende.«

Maali führte ihn zum Messingbett und zog ihn auf sich. »Es ist sechzehn Tage und sechzehn Nächte her, mein Geliebter, mein Herz. Wo bist du gewesen?«

Yussuf fuhr ihr mit den Fingern durch das pechschwarze Haar und blickte nach unten, um zu sehen, ob das Feuer in den Augen, die er liebte, noch glühte. »Es gibt Fragen, die eine Frau nicht stellt«, belehrte er sie. Er küsste sie auf die Schulter, die Brust, den Mund. Dann setzte er sich auf. »Heute sind wir sechs Monate verheiratet. Ich habe ein Geschenk für dich.«

»Du bist mein Geschenk«, beteuerte sie, strahlte aber vor Freude.

Er holte einen Ring aus seiner Tasche. Sie hob die Kerze, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Sie las die Inschrift auf der Innenseite – »Erasmus Hall« und die Jahreszahl 1998 – und auf dem Stein in der Mitte war eine Art Wappen. »So einen Ring hab ich noch nie gesehen«, sagte Maali. »Woher hast du den?«

»Von einem Juden namens Erasmus Hall.«

»Ich soll einen Ring tragen, den du von einem Juden gekauft hast?«

Yussuf lächelte. »Ich hab ihn ihm abgenommen. Er hatte nichts dagegen, weil er tot war.«

»Wer hat den Juden Erasmus Hall getötet?«

»Ich und meine Freunde. Der Ring steckte an seinem kleinen Finger. Als ich ihn nicht abziehen konnte, hab ich mein Taschenmesser genommen und ihm den Finger abgeschnitten.«

Yussuf wollte ihr den Ring auf den Ringfinger der linken Hand schieben, der angeblich direkt mit dem Herzen verbunden war. Als es nicht ging, nahm er ihren Finger in den Mund und lutschte daran. Er zog ihr den Ehering ab und drehte ihr den Ring des Juden über das Gelenk auf den Finger, dann schob er den Ehering hinterdrein. »Der Ring des verstorbenen Erasmus Hall sitzt so fest, du würdest ihn nicht mal runterkriegen, wenn du es wolltest.«

Maali hielt die Hand hoch und inspizierte den Ring. »Du hast ihn tatsächlich einem toten Juden abgenommen!«, flüsterte sie.

»Ich hasse sie. Sie umbringen ist nicht genug nach dem, was sie mir angetan haben, meiner Familie, meinem Volk, meinem Glauben.« Seine Hände auf ihren Schultern drückten fester zu. »Ich hab den Finger abgeschnitten und ihm einen Hund in Abu Tor zum Fraß hingeworfen.«

Maali erklärte inbrünstig: »Ich werde diese Trophäe deines Sieges über die Juden mit Stolz tragen.«

Yussuf zog sich aus und stellte sich auf einen kleinen Beduinenteppich, wo Maali seinen Körper und vor allem die verheilte Schusswunde in der Schulter mit Orangenblütenwasser aus einer Emailschüssel wusch. Sie fütterte ihn mit Datteln und Apfelstücken, um das Ramadanfasten zu brechen. Dann nahm sie seine Hand und führte ihn zu dem Messingbett.