10. KAPITEL

Owen erwartete Fiona bereits, als sie kurz nach drei allein zurückkam.

„Wie ist es gelaufen?“, fragte er mit besorgter Miene und folgte ihr in ihr Büro. „Haben wir den Auftrag?“

Fiona zog einen Scheck aus der Handtasche und reichte ihn ihm. „Darauf kannst du dich verlassen.“

„Aber das ist ja doppelt so viel, wie wir sonst berechnen“, rief er überrascht aus.

„Es wird die üppigste Hochzeitsfeier, die wir bis jetzt organisiert haben. Vergiss nicht, das doppelte Honorar war vereinbart.“

Owen betrachtete immer noch den Scheck. „Er hat alles im Voraus bezahlt. Ist der Mann verrückt? Ich dachte, er sei Rechtsanwalt.“

„Ich glaube, Geld bedeutet ihm nicht sehr viel. Er hat es geerbt.“

„Egal, ich bringe den Scheck jetzt gleich zur Bank. Du bist fantastisch, Fiona, wirklich fantastisch.“ Und weg war er.

Fiona seufzte und machte die Tür zu. Dann lehnte sie sich sekundenlang dagegen und schloss die Augen.

Bin ich fantastisch? überlegte sie. Nein, sie würde sich eher als dumm bezeichnen.

Nachdem sie mit Philip auf den Waffenstillstand angestoßen hatte, hatte sich die Atmosphäre zwischen ihnen entspannt. Sie unterhielten sich angeregt über neutrale Themen, und sie bewies ihm, dass sie gut informiert war und eine eigene Meinung hatte.

Natürlich war es hilfreich, dass Philip keine ironischen Bemerkungen machte und dass sie vier Glas Wein trank. Schließlich war sie etwas angeheitert und ließ sich von ihm überreden, das Dessert des Tages zu bestellen, das ihr köstlich schmeckte. Philips entspanntes, herzliches Lachen wirkte charmant und entwaffnend.

Beim Kaffee war Fiona dann so gelöst, dass sie alle Vorsicht vergaß und sich auf Philips Charme und seine starke Ausstrahlung einließ. Als er ihr von einem Mordfall erzählte, in dem er die Verteidigung übernommen hatte, spürte sie wieder deutlich, wie leidenschaftlich er war, eine Eigenschaft, die sie schon immer an ihm geliebt hatte. Sie stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und trank den Kaffee, während sie Philips tiefer Stimme lauschte. Er hatte vor, seine Verteidigung auf vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit der Angeklagten aufzubauen.

„Du hast recht“, antwortete er ganz aufgeregt, als sie vorschlug, auf Notwehr zu plädieren. „Das ist noch viel besser. Du bist fantastisch, Fiona.“

Danach schilderte er ihr detailliert, wie er vorgehen und welche Argumente er benutzen wolle. Fiona saß einfach nur da und hörte ihm zu. Beinah beneidete sie die Frau, die er verteidigte. Er würde sie bestimmt nicht enttäuschen.

Vor zehn Jahren hat er mich auch nicht enttäuscht, dachte sie. Nachdem sie ihm gestanden hatte, dass sie schwanger sei, hatte er sich liebevoll um sie gekümmert. Er hatte ihr versichert, dass er sie liebe und sie heiraten würden.

Plötzlich überlegte Fiona, ob es falsch gewesen war, Philip zu verlassen. Vielleicht hatte sein Vater sich getäuscht?

Sie wurde ganz aufgeregt und musste sich sehr anstrengen, ihre Nervosität zu verbergen. Trotzdem schien Philip etwas zu spüren, denn er unterbrach sich unvermittelt und verlangte die Rechnung.

„Es tut mir leid, dass ich dich gelangweilt habe“, entschuldigte er sich später im Auto. „Männer reden gern über sich selbst, besonders wenn ihnen jemand interessiert zuhört.“

Fiona schwieg. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass sie sehr interessiert gewesen sei?

„Ich kann dich nicht ins Büro begleiten, ich habe keine Zeit mehr“, fuhr er fort. „Corinne und ich wollen Ringe kaufen. Aber ich gebe dir einen Scheck. Den Vertrag kann ich auch nächste Woche unterschreiben, wenn wir zusammen die Anzüge aussuchen. Nenn mir den Termin, Steve und ich werden pünktlich erscheinen.“

Nachdem er den Termin notiert hatte, schrieb er einen Scheck aus. „Das sollte reichen“, sagte er und gab ihn ihr.

Schweigend hatte Fiona den hohen Betrag akzeptiert.

Das Geld reicht ganz bestimmt, dachte sie jetzt und ging müde zum Schreibtisch. Sie ließ sich in den Sessel sinken und war so deprimiert, dass sie noch nicht einmal weinen konnte.

Heute Abend mit Mark auszugehen ist einfach unmöglich, überlegte sie. Sie würde sowieso immer nur an Philip denken.

Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass es Mark gegenüber unfair wäre. Sie war wirklich schrecklich egoistisch, was Männer betraf. Owen hatte recht, sie benutzte sie. Aber nicht nur, um ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen, obwohl sie sich ehrlicherweise eingestand, dass es auch eine Rolle spielte. Manchmal schlief sie mit einem Mann nur deshalb, um von starken Armen gehalten zu werden und sich nicht so einsam zu fühlen.

Philips Rückkehr in ihr Leben hatte einiges verändert. Ihr Herz war nicht mehr leer, sondern übervoll. So kam es ihr jedenfalls vor.

Sie griff nach dem Telefon und wählte. Mark reagierte gereizt. Er wollte wissen, wer sein Nachfolger im Bett sei. Dass sie mit ihm Schluss mache, weil sie ihn nicht mehr sehen wolle, glaubte er ihr nicht. Schließlich war sie es leid und sagte ihm, was er hören wollte.

„Okay, ja, es gibt da einen anderen, er war mal meine große Liebe. Wir sind uns kürzlich wieder begegnet, und es hat gefunkt.“

„Das habe ich mir doch gedacht“, antwortete Mark beleidigt.

„Es tut mir leid, Mark. Ich habe dich wirklich gern gehabt. Aber Philip und ich waren einmal verheiratet, und wir …“

„Verheiratet!“, unterbrach er sie schockiert.

„Ja. Wir waren damals noch sehr jung, und irgendwie hat es nicht funktioniert. Doch als er jetzt wieder vor mir stand, wusste ich, dass ich noch nicht fertig bin mit ihm.“

„Das heißt, du liebst ihn noch. Hast du ihn die ganze Zeit geliebt?“

„So weit würde ich nicht gehen“, erwiderte sie. „Ich könnte mich jedoch leicht wieder in ihn verlieben.“

„Ich verstehe.“ Mark klang verbittert. „Du hättest mir von Anfang an die Wahrheit sagen können.“

Nur mühsam konnte sie sich die Bemerkung verkneifen, dass sie immer ehrlich gewesen sei. Sie hatte ihm nie vorgemacht, in ihn verliebt zu sein oder ihn heiraten zu wollen. Aber aus lauter Rücksicht auf sein verletztes Ego entschuldigte sie sich noch einmal.

„Dass es dir leidtut, glaube ich nicht“, fuhr er sie an. „Ich werde deinetwegen jedoch keine schlaflosen Nächte verbringen. Meine zukünftige Frau stelle ich mir sowieso anders vor. Du bist zu ehrgeizig und zu egoistisch, Fiona. Eine Arztfrau muss hinter ihrem Mann zurückstehen können. Und das kannst du nicht.“

Ihr Mitleid verflog.

„Das ist dann wohl ein endgültiger Abschied, oder?“, fragte er.

„Ja“, erwiderte sie bestimmt.

„Wir könnten unsere Beziehung ja als eine rein sexuelle fortsetzen.“

Fiona hätte beinah laut gelacht. „Nein, Mark, lieber nicht.“

„Dann brauche ich wohl nicht damit zu rechnen, dass du deine Meinung noch änderst. Ich weiß, du bist eine sehr entschlossene Frau und lässt einem Mann nur wenig Raum, sich zu bewegen. Und du nimmst ihm seinen Stolz“, fügte er hinzu und beendete das Gespräch.

Sekundenlang betrachtete Fiona den Hörer, ehe sie ihn auflegte. Sie verstand selbst nicht mehr, warum sie mit so einem überheblichen, eingebildeten Mann jemals ausgegangen war.

Weil ich mich einsam gefühlt habe, gestand sie sich sogleich ein. Und jetzt würde sie sich noch einsamer fühlen. Wenn sie nicht aufpasste, landete sie wieder dort, wo sie vor zehn Jahren gewesen war, als sie an gebrochenem Herzen gelitten hatte und ihr Leben in tausend Stücke zerbrochen war.

Plötzlich richtete sie sich auf und biss die Zähne zusammen. Nein, so etwas passiert mir nie wieder, nahm sie sich fest vor.

Sie war nicht in Philip verliebt, jedenfalls noch nicht, wie sie sich einredete. Sie fand ihn nur ungemein erotisch und sexy und bewunderte ihn irgendwie. Das war alles.

Liebe war etwas ganz anderes. Wenn man jemanden liebte, investierte man unendlich viele Gefühle. Das geschah nicht über Nacht oder während eines gemeinsamen Essens. Dazu brauchte man mehr Zeit und Nähe. Aber dieses Mal würde sie keine Zeit mit Philip verbringen und Nähe nicht zulassen.

Vor der Hochzeit würde sie ihn sowieso nur noch zweimal treffen, zum Aussuchen der Anzüge und bei der Probe. Und dann noch einmal auf der Hochzeit, aber nicht allein.

Anschließend würde er mit Corinne in die Flitterwochen fahren. Fiona konnte wieder so leben wie bisher, ehe Owen sie in diese unangenehme Lage gebracht hatte. Irgendwann würde sie wieder einem Mann begegnen, mit dem sie ausgehen wollte. Er durfte sie jedoch nicht an Philip erinnern.

Plötzlich läutete das Telefon, und ihr wurde bewusst, wie verrückt ihre Gedanken waren. Natürlich ging sie immer nur mit Männern aus, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Philip hatten. Dieser verdammte Kerl, seinetwegen sind mir alle anderen gleichgültig, dachte sie gereizt.

Das Telefon läutete immer noch. Sie nahm den Hörer ab und meldete sich sachlich und geschäftsmäßig.

„Hallo, Fiona“, ertönte die muntere Antwort. „Ich bin’s, Corinne. Philip hat mir erzählt, wie gut das Essen war!“

Fiona presste die Lippen zusammen und atmete tief ein und aus. Sie war nicht in der Stimmung, höflich zu plaudern, schon gar nicht mit Corinne.

„Ja, es war ganz nett“, brachte sie nur heraus.

„Ich werde ihn überreden, mich auch in dieses Restaurant mitzunehmen. Er spricht immer darüber, aber bis jetzt haben wir es noch nicht geschafft.“

Aus irgendeinem Grund freute Fiona sich darüber. Wieder so ein nutzloses Gefühl, aber was sollte sie machen?

„Er hat auch erzählt, dass Sie einen Termin bestimmt haben, um für ihn und Stevie die Anzüge für die Hochzeit auszusuchen.“

Fiona stöhnte insgeheim auf. Frauen, die Vornamen verniedlichten, hatten sie schon immer irritiert. Sie war sich nicht sicher, ob sie Corinne lange ertragen könnte.

„Haben Sie sich schon überlegt, was die beiden Männer anziehen sollen?“, fügte Corinne hinzu.

„Ich wollte diese Entscheidung eigentlich Philip überlassen.“

„Unter uns, Fiona, lassen Sie bitte nicht zu, dass sie sich so graue Jacketts und Hüte kaufen. Ich könnte Philip nicht ausstehen mit so einem dummen Hut. Außerdem gefällt mir Grau nicht. Philip sieht in einem schwarzen Smoking absolut großartig aus.“

„Sie sind die Braut, Corinne. Sagen Sie Philip, was Sie sich vorstellen.“

„Oh, er wird das tun, was Sie ihm vorschlagen, Fiona. Er ist sehr von Ihnen beeindruckt. Seine Mutter noch mehr. Sie hat mich heute Morgen angerufen und von Ihnen geschwärmt.“

„Ach ja?“

„Ich glaube, sie wollte mich beruhigen, ehe ich wegfahre, aber das war gar nicht nötig. Ich vertraue Philip voll und ganz, und er hat gesagt, dass Sie alles tun werden, eine wunderbare Hochzeitsfeier für uns zu organisieren. Übrigens, ich wollte Sie fragen, ob Carmel und ich Sie morgen in der Boutique treffen können, statt dass Sie mich zu Hause abholen. Das wäre doch einfacher für Sie.“

„Ach, das ist kein Problem für mich.“ Fiona fand es angenehmer, wenn sie alle zusammen in einem Auto fuhren, da sie wahrscheinlich den ganzen Tag in Sydney unterwegs sein würden.

„Das mag sein, aber Carmel und ich fahren lieber im eigenen Wagen, wenn Sie nichts dagegen haben, Fiona. Wir treffen Sie dann im Geschäft. Um zehn, sagten Sie? Ich brauche noch den Namen und die Adresse.“

Fiona war verblüfft über Corinnes kühles und bestimmtes Auftreten, nachdem sie zuvor so harmlos geplappert hatte, und nannte ihr Namen und Adresse. Dann beendete Corinne unvermittelt das Gespräch, und Fiona kam sich irgendwie hinausgeworfen vor. Sie legte den Hörer auf und runzelte die Stirn.

Wenn Philips Verlobte sich der Theorie verschrieben hatte, dass man mit Honig mehr erreichte als mit Essig, dann musste sie noch lernen, nicht plötzlich aus der Rolle zu fallen.

Plötzlich hatte Fiona ein ungutes Gefühl. Welche Rolle spielte Corinne eigentlich? Hatte Steve etwa auch gespürt, dass diese Frau nicht echt war und Philip nicht wirklich liebte?

Das Treffen mit Corinne am nächsten Tag bekam eine ganz andere Bedeutung. Fiona wollte jetzt wissen, wie Corinne wirklich war, und nicht nur ihren Job erledigen. Sie würde nicht tatenlos zusehen, dass Philip sich mit weniger als dem Besten zufriedengab. Deshalb hatte sie ihn damals nicht verlassen.

Fiona wusste genau, wie es war, jemanden von ganzen Herzen zu lieben. Wenn sie diese Liebe nicht in Corinne entdeckte, dann würde sie …

Ja, was dann? Sie hatte keine Ahnung. Aber irgendetwas würde ihr schon einfallen.