6. KAPITEL
Als Fiona am nächsten Morgen ins Büro kam, stand Owen gerade an der Rezeption und unterhielt sich mit Janey. Entsetzt unterbrach er sich, packte Fiona am Arm und zog sie mit sich.
„Du trägst ja Schwarz“, sagte er vorwurfsvoll.
Sie hatte nicht irgendeins ihrer schwarzen Outfits an, sondern ausgerechnet das neue Kostüm, dessen Rock noch enger war als die anderen. Und die taillierte Jacke betonte ihre vollen Brüste, sodass sogar Owen auf andere Gedanken kam. Zusammen mit dem schwarzen Seidentop, den schwarzen Strümpfen und den hochhackigen schwarzen Schuhen sah sie ungemein elegant aus, doch man spürte auch deutlich ihre erotische Ausstrahlung.
Fiona zog die dunklen Augenbrauen hoch und warf Owen einen warnenden Blick zu, der an diesem Morgen ganz besonders eindringlich wirkte. Vielleicht lag es daran, dass sie mehr Make-up um die Augen aufgetragen hatte als sonst. Außerdem hatte sie die Lippen stärker geschminkt und ein intensiveres Parfüm benutzt, wie Owen beunruhigt feststellte.
Dass sie keinen Schmuck trug, betonte ihre faszinierende Schönheit. Owen betrachtete ihr volles schwarzes Haar, das ihr wie ein Vorhang auf die Schultern fiel und das sie sich auf der einen Seite hinters Ohr geschobenen hatte. Er war überzeugt, dass sie noch nie reizvoller und verführerischer ausgesehen hatte.
„Ich ziehe das an, was mir gefällt“, erwiderte sie kühl. „Meine Aufmachung hat nichts mit Philip Forsythe zu tun, sondern Mark holt mich heute Abend zum Dinner ab.“
Owen runzelte die Stirn. „Hattest du nicht erwähnt, du wolltest mit ihm Schluss machen?“
Sie verzog die Lippen. „Ich darf dir nicht mehr so viel erzählen. Es ist doch das Privileg der Frauen, ihre Meinung zu ändern. Und ich bin immer noch eine Frau und keine Maschine.
Janey“, wandte sie sich an die Rezeptionistin, „schicken Sie bitte Rebecca zu mir, sobald sie da ist. Ach ja, gegen Mittag wird ein Mr Forsythe vorbeikommen. Sagen Sie mir bitte Bescheid, und lassen Sie ihn warten, bis ich ihn abhole. Okay?“
Dann drehte sie sich wieder zu Owen um. „Leider habe ich heute keine Zeit, mit dir Kaffee zu trinken, Owen“, erklärte sie kühl. „Ich habe zu viel zu tun, und du hast darauf bestanden, dass ich mehr Arbeit annehme, als ein einziger Mensch allein erledigen kann. Offenbar bin ich deiner Meinung nach doch nur eine Maschine.“
Er sah hinter ihr her, als sie über den Flur ging. Sie hatte seinen Optimismus, den Auftrag von den Forsythes zu bekommen, gewaltig gedämpft. Er konnte nichts anderes tun, als zu versuchen, das Schlimmste zu verhindern und die Geschäftsinteressen zu wahren.
„Janey“, sagte er leise, „bringen Sie Mr Forsythe erst zu mir. Ich gehe dann mit ihm zu Fiona.“
„Okay, Boss“, antwortete Janey und lächelte verschwörerisch.
Als Philip am Mittag erschien, wurde er diskret in Owens Büro geführt.
Philips Anblick steigerte Owens Besorgnis. Der Mann war genau Fionas Typ. Er sah noch besser aus, war noch breitschultriger und noch besser gekleidet als ihre anderen Freunde. Aber das ist auch kein Wunder, wenn man so viel Geld hat wie die Forsythes, dachte Owen etwas wehmütig.
Er war Experte und wusste genau, was der elegante blaue Anzug gekostet hatte. Von dem Geld, das Philip dafür und für das blaue Seidenhemd, die Designerkrawatte und die exklusiven italienischen Schuhe bezahlt hatte, hätte eine vierköpfige Familie ein Jahr leben können.
Owen stand auf und reichte Philip die Hand. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr Forsythe. Ich bin Owen Simpson, Fionas Geschäftspartner. Ich bringe Sie gleich zu ihr. Ich wollte mich nur kurz mit Ihnen unterhalten, wenn Sie nichts dagegen haben. Nehmen Sie bitte Platz.“
Einige Minuten machten sie Konversation und beschlossen, sich beim Vornamen zu nennen, ehe Owen sein Anliegen vortrug.
„Ich muss Ihnen ehrlich sagen, Philip, ich habe ein Problem damit, dass Fiona ihre wahre Identität nicht preisgibt. Was wird geschehen, wenn Ihre Mutter sie plötzlich als ihre ehemalige Schwiegertochter erkennt?“
„Verlassen Sie sich darauf, das wird nicht passieren“, antwortete Philip spöttisch.
„Wieso sind Sie sich da so sicher? Hat Fiona sich denn so sehr verändert?“
Philip verzog die Lippen zu einem ironischen Lächeln. „Ja, sie kommt mir vor wie eine völlig andere Frau.“
„Aber Sie haben sie erkannt“, stellte Owen fest und bemerkte überrascht, wie schmerzerfüllt Philips Miene sekundenlang wirkte.
„Ja, schon im ersten Moment“, gab Philip zu.
Owen war alarmiert. Philip hörte sich ziemlich gequält an. Weshalb auch immer seine Ehe mit Fiona vor zehn Jahren zerbrochen war, es konnte nicht daran gelegen haben, dass Philip sie nicht geliebt hatte. Owen hielt es für möglich, dass Philips Gefühle für seine Exfrau wieder auflebten.
Vielleicht hatte Fiona recht, und sie war nicht mehr Philips Typ, aber darauf wollte Owen sich lieber nicht verlassen. Er hielt es für seine Pflicht, Philip über Fionas Umgang mit Männern zu warnen.
Natürlich hatte Fiona sich nie mit einem verheirateten oder verlobten Mann eingelassen, doch die Situation mit Philip war ganz anders. Die beiden waren immerhin einmal verheiratet gewesen. Fiona wusste deshalb sehr genau, wie dieser Mann im Bett war.
„Ich muss gestehen, Philip, ich war schockiert, als ich erfuhr, dass Fiona nicht nur einmal, sondern sogar zweimal verheiratet war. Haben Sie etwas von ihrer zweiten Ehe gewusst?“, begann Owen.
„Ja“, antwortete Philip angespannt.
Oh ja, der Mann empfindet noch etwas für Fiona, überlegte Owen. Und Fiona empfand auch noch etwas für ihren Exmann. Sie hatte sich nicht für das Dinner mit Mark so zurechtgemacht, dessen war Owen sich sicher.
„Na ja, Fiona ist keine Frau mehr zum Heiraten“, fuhr Owen fort und lachte vielsagend auf. „In den sechs Jahren, die ich sie kenne, hat sie mehr Männer verschlissen, als Sie sich vorstellen können. Sie wird sie sehr schnell leid. Aber vielleicht war sie schon immer so. Oder sie hat nach zwei missglückten Ehen gelernt, keine lebenslange Liebe mehr zu versprechen, weil ihr klar geworden ist, dass sie es höchstens sechs Monate bei einem Mann aushält.“
Philip schwieg mit finsterer Miene und sah Owen nur kühl an.
„Ich bezweifle, dass sie noch einmal heiraten wird“, fügte Owen hinzu. „Sie will keine Kinder, und dann macht eine Ehe ja keinen Sinn.“
„Nicht viel“, stieß Philip hervor.
„Heutzutage braucht eine Frau nicht zu heiraten, um ein erfülltes Liebesleben zu haben. Fiona hat zahllose Verehrer, und ich finde es schade, dass die meisten so dumm sind, sich in sie zu verlieben. Eine Karrierefrau zu lieben führt sowieso zu nichts. Solche Frauen benutzen die Männer nur.“
Owen schwieg sekundenlang, während Philip mit versteinerter Miene dasaß.
Zufrieden mit sich selbst, stand Owen auf. „Ich bringe Sie jetzt zu Fiona, sonst wundert sie sich noch, wo Sie bleiben. Sagen Sie ihr bitte nichts von unserem Gespräch. Sie ist sehr empfindlich, was ihr Privatleben angeht.“
„Keine Sorge, von mir erfährt sie nichts. Mich interessiert Fionas Privatleben schon lange nicht mehr.“ Philips Stimme klang kühl und verächtlich.
Dennoch war Owen nicht überzeugt. Aber er hatte getan, was er konnte.