Neunzehntes Kapitel

Am Morgen des Tages der Versammlung hatte Gott Pervis befohlen, Dewey Crowe wie Honig einzusetzen, um die Fliegen anzulocken.

Pervis hatte fast kerzengerade im Bett gesessen. Gottes Botschaft war in seinem Kopf, und er wusste auch, wer die Fliegen waren: Casper Mott und die anderen, die seinen Berg wollten, den Big Black. Er rief Rita an, die von allen Leuten die Telefonnummern hatte.

Sie sagte: »Ich komme morgen, nicht heute.«

»Weiß ich«, sagte Pervis, »ich will nur sichergehen, ob du, wenn ich aus Cumberland zurück bin, sicher durch die Tür trittst und flötest: ›Ich bin da-a!‹ Ich habe schon wieder dieses Ziehen im Schritt. Jetzt müsstest du allerdings erst mal Dewey Crowe für mich ausfindig machen und mir erzählen, was er so treibt.«

Rita sagte: »Was genau soll denn diesmal in den Sand gesetzt werden?«

Rita war einfach unglaublich klug.

Eine Minute später rief sie zurück. »Er hat rumerzählt, er sei in Harlan. Ab mittags sitzt er im Dairy Queen und nimmt Bestellungen entgegen.«

»Richtig, er verkauft ja jetzt Whiskey.«

***

Punkt zwölf Uhr mittags rief Pervis Deweys Handynummer an. Mit genervter Stimme sagte Dewey: »Ja?«

Pervis sagte: »So meldest du dich also am Telefon?«

Stille. Dann war Dewey wieder da, diesmal etwas enthusiastischer. »Onkel Pervis, sind Sie das?«

»Du erkennst mich an der Stimme?«

»Ja, Sir, und ich freue mich, sie zu hören.«

»Fährst du morgen nach Cumberland, zu dieser Versammlung?«

»Was für eine Versammlung?«

Pervis sagte zu dem Taugenichts: »Die in der Highschool. Ich sehe dich also dort?«

»Ja, Sir, ich hatte schon dran gedacht hinzugehen.«

»Was machst du in Harlan, Junge?«

»Schnaps verkaufen, den ich in Cumberland besorge und dann im Preis hochsetze.«

»Und, wie läuft das Geschäft?«

»Ich mache mindestens zwei Dollar Gewinn pro Flasche.«

Dieser Junge brauchte Hilfe, und zwar dringend.

Pervis sagte: »Da ich meine beiden Söhne verloren habe, bist du jetzt der letzte verbliebene Crowe, der das, was ich für meine Lebensaufgabe halte, weiterführen kann. Du weißt, wovon ich spreche?«

»Stimmt das? Ich bin Ihr einziger Verwandter?«

»Mein Geschäft vererbe ich dir sicher nicht«, sagte Pervis. »Ich spreche hier von meinem Grundbesitz, dem Big Black Mountain.«

Stille.

»Sir, wollen Sie mir sagen, dass Ihnen der Big Black gehört?«

Pervis war sich sicher, dass jeder in East Kentucky das wusste – außer diesem Volltrottel. Er sagte: »So ist es, und wenn ich tot bin, überlasse ich dir den Berg zu treuen Händen.«

»Er wird mir gehören?«

Nervöse Aufregung schwang in seiner Stimme mit.

»Ich kann damit machen, was ich will?«

Schon jetzt kurz davor, ihn zu verscherbeln.

»Du musst mir versprechen«, sagte Pervis, »dass du dich nie von ihm trennst. Wenn Casper Mott rausfindet, dass du meinen Berg erbst, lässt er mich von einem Kohlenlaster überfahren und bearbeitet dich so lange, bis er ihn hat. Ich werde ihm heute mitteilen, dass es nicht die geringste Chance gibt, mir den Berg abzukaufen.«

Dewey sagte: »Casper Mott ist doch sowieso schon so reich wie ein König.«

»Mit dem Tag, an dem du den Big Black verkaufen würdest, wärst du noch reicher. Aber ich zähle ganz darauf, dass du den höchsten Gipfel von Kentucky für die Menschen bewahrst, die hier leben. Das musst du mir versprechen, Dewey ... Hörst du?«

»Ja, Sir?«

»Du wirst ihn nie verkaufen. Du gibst den Berg weiter an deine Erben.« Sollte dieser Idiot je welche haben. »Und nimmst ihnen ebenfalls das Versprechen ab, ihn nie zu verkaufen. Gibst du mir dein Wort darauf?«

»Ich kriege also den Berg, wenn Sie tot sind?«

»So ist es üblicherweise, wenn man etwas erbt.«

»Aber ich darf kein Geld mit ihm verdienen?«

»Willst du denn, dass dein Berg seine Erhabenheit verliert?«

Und ob er das wollte.

»Wir treffen uns morgen in Cumberland«, sagte Pervis, »vor der Highschool. Ich möchte, dass du ein sauberes Hemd trägst und einen Anzug, falls du einen hast. Lass deine Kette mit den Krokodilzähnen zu Hause. Du, mein Junge, bist der Erbe des Bergs mit den reichsten Bodenschätzen in ganz Kentucky. Wie fühlst du dich damit?«

Dewey sagte: »Tja, ja, Scheiße noch eins.«

»Du erzählst aber heute Abend niemandem etwas davon.«

»Nein, Sir.«

Und ob er das täte.

***

Um zwölf Uhr mittags war er da. In einem geliehenen Anzug, der ihm zu groß war, und ohne sichtbare Krokodilzähne stand er an der Schultür und begaffte Mädchenärsche.

Pervis stieg aus Caspers Limo und ließ Casper mit Ms. Conlan und Raylan vorangehen. Er sah, wie Raylan nach ihrem Arm griff und wie sie seine Hand wieder abschüttelte. Bevor sie in die Limousine gestiegen war, hatte Casper ihm erzählt, was er gern mit ihr tun würde. An ihren Zehen lutschen, seine Zunge an jedem kleinen Schweinchen herumspielen lassen ... Pervis fragte ihn, ob er sich in Gedanken seinen Weg auch schon hochgeleckt und an richtigen Geschlechtsverkehr mit Ms. Conlan gedacht hätte. Er sagte: Aber sicher, schon oft. Pervis glaubte, dass Casper versuchte, ihn auf Ms. Conlan vorzubereiten, die ihm schließlich ein Angebot für den Kauf des Berges machen würde. Pervis würde sich dieses Angebot wenigstens anhören, obwohl er, sobald die Zeit gekommen war, den Berg Rita schenken wollte, die ihn so lange behalten würde, bis sie keine Lust mehr hätte, ständig Angebote dafür zu bekommen, und am Ende einfach das beste annehmen würde. Die Typen würden bei ihr Schlange stehen, und sie würde den einen oder anderen mit nach Hause nehmen, nur so zum Spaß, denn Spaß war ihr Naturell. Er würde gern erleben, wie Raylan auf Rita reagieren würde, sollte sie jemals Interesse an ihm zeigen. Gerade aber ging Raylan dicht hinter Ms. Conlan durch die Menge, während Casper versuchte, Schritt zu halten.

Pervis ließ Dewey Zeit, seinen alten Onkel zu entdecken und sich durch die Menschenmenge auf ihn zuzuschieben.

»Du hast dich ja richtig schick gemacht«, sagte Pervis. »Geht’s dir gut?«

Dewey sagte: »Ja, Sir, ich bin stolz, dass Sie mir mit dem Berg vertrauen.«

»Ich betraue dich mit ihm«, sagte Pervis. »Das heißt nicht, dass ich dir vertraue.« Sollte der Dummkopf das erst mal verdauen. »Ich habe was mit dem Herzen«, sagte Pervis, »das mich jederzeit töten könnte. Meinen Notar habe ich bereits aufgesucht und dich als Erben eintragen lassen. Du erzählst ja niemandem davon?«

Dewey sagte: »Nein, Sir, ich schwöre auf die Bibel.«

»Stell dir vor, einer von der Itakermafia hat dich geschnappt. Hält deine Hand ins Feuer, damit du ihm dein Geheimnis verrätst.«

Dewey schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte Pervis, »der Itaker sagt, dass er dir die Eier abschneidet und an die Eichhörnchen verfüttert, wenn du nicht mit der Sprache rausrückst.«

Jetzt schien Dewey kurz zu schlucken, dann aber straffte er seine schmalen Schultern in dem geliehenen Anzug und sagte: »Onkel, das hier geht außer mir niemanden etwas an.«

Sie saßen in der Turnhalle und hörten sich die erste Hälfte der Versammlung an, Dewey rutschte neben Pervis gelangweilt auf seinem Stuhl herum, Pervis beobachtete aufmerksam, wie Ms. Conlan für die zuhörenden Trottel in eine weichere Aussprache verfiel, um an ihre Herkunft aus den Südstaaten zu erinnern. Dann überließ sie Raylan die Bühne, und der zog ihr den Boden unter den Füßen weg, Pervis dachte nur: Schön für dich, Junge. Aber Ms. Conlan würde ohnehin nicht den geringsten Schaden nehmen. Sie hatte den Kohlekumpeln lediglich den Helden gegeben, den sie brauchten. Sie war nicht da, um Konflikte zu lösen – schließlich verkörperte sie den Kohlekonzern.

Nach der ersten Hälfte der Veranstaltung fragte Dewey Pervis, ob er etwas trinken wolle, er habe Whiskey im Auto.

Pervis sagte: »Trinken wir einen, danach fahre ich nach Hause.«

»Aber Sie sind doch in Caspers Limo gekommen«, sagte Dewey, »und haben gar kein Auto dabei.«

»Das stimmt«, sagte Pervis. »Ich nehme einfach deins und lasse es vorm Dairy Queen stehen.«

***

Carol saß mit Casper in dessen Limousine und rauchte eine Zigarette, während in der Halle die Umweltschützer, die Todfeinde des Gipfel-Bergbaus, den Leuten ihre Argumente darlegten.

Casper meinte: »Wie willst du die Unternehmensseite vertreten, wenn du dir gar nicht anhörst, was sie zu sagen haben.«

»Sie finden, es ist eine Schande, dass wir unsere Berge kahl rasieren«, sagte Carol. »Unsere schöne Landschaft ist am Arsch. Bäche und Flüsse sind auf einer Länge von insgesamt zwölfhundert Meilen mit Geröll verfüllt. Abraum landet auf ihren Häusern. Hab ich alles schon gehört.«

»Und Überflutungen«, sagte Casper. »Wenn man den Wald abholzt, ist nichts mehr da, das den Regen auffängt und das Wasser aufsaugt. Weißt du eigentlich, dass von den nackten Berggipfeln die Tiere runterkommen? Füchse, Stinktiere, Koyoten. Einer hat mir mal erzählt, dass er den Müll auf sein Hausdach stellen muss, damit die Bären nicht drankommen.«

Carol sagte: »Wirklich, hier gibt’s Bären?«

»Die Detonationen verursachen Schäden an den Häusern in der Region, die Fundamente bekommen Risse – dein Haus steht doch auch in der Nähe eines Tagebaus –, was einen neunzigprozentigen Wertverlust bedeuten kann. Ihr Haus ist aber alles, was die Leute hier haben.«

»Kohle ist ihr Leben«, sagte Carol, »seit Generationen. Von mehr Arbeitsplätzen habe ich bereits gesprochen. Gebt uns die Berge, und wir geben euch Jobs.«

»Du bietest nicht genug. Verliert ein Mann seine Arbeit, gerät er mit seinen Kreditzahlungen in Rückstand, und die Bank schnappt sich das Haus. Fragen zum Thema Gesundheit werden auch noch kommen«, sagte Casper. »Immer mehr Kinder haben Asthma, wegen dem ganzen Kohlenstaub in der Luft.«

»Aber mit dem Gipfelabbau gibt es weniger Staublungenfälle, oder nicht?«, fragte Carol.

»Ich glaube schon«, sagte Casper. Er sah Carol dabei zu, wie sie an der Zigarette, die sie rauchte, gleich die nächste anzündete. »Ich weiß, du willst die Parzelle dreihundert Meter unterhalb des Big-Black-Gipfels.«

»Ich glaube nicht, dass das bei der Versammlung Thema wird.«

»Alle wissen, dass ihr euch an den Berg ranpirscht, an das Kronjuwel, das bekanntermaßen voller Kohle ist. Ich wette, die Frage wird kommen. Sprichst du noch mit Pervis darüber?«

»Wo ich schon mal hier bin.«

»Als wäre das nicht der einzige Grund für deine Anwesenheit.«

»Ich werde ihm die Augen öffnen für ein paar Möglichkeiten.«

»Die Augen? Der lässt sich auf einen Deal nur ein«, sagte Casper, »wenn du ihm den Hosenstall öffnest.«

Sie hatte Raylan gebeten, draußen am Auto zu warten. Er fragte, wie weit er sich vom Wagen entfernen dürfe. Sie sah ihn an – vielleicht fiel ihr keine gute Replik ein, auf jeden Fall sagte sie nichts dazu. Carol stieg in die Limousine. Nach einer Weile kam Casper heraus, sagte Hallo, ging hinter den Wagen, um zu pinkeln, traf mit seinem Strahl das Blech der Karosserie, und Raylan fragte sich, ob Carol ihn hören konnte. Casper sagte noch einmal Hallo und stieg wieder ein.

In diesem Augenblick trat Dewey Crowe aus der Schule und zündete sich eine Zigarette an.