Sechstes Kapitel

Schon vor Monaten, lange bevor er in die Gesellschaft der Crowes geraten war, war Cuba Layla, der Drachenlady, erstmals begegnet. Im Blue Grass Room, dem Club von Keeneland, der Pferderennbahn am Stadtrand von Lexington; sein Boss, Mr. Harry Burgoyne, hatte zu ihm gesagt: »Geh und warte an der Bar. Sobald ich dir ein Zeichen gebe, betrittst du das Parkett.«

Was bedeutete, dass sie eine ihrer Der-Boss-und-sein-dummer-Afrikaner-Shows aufführen würden. Cuba sah zu, wie Mr. Harry von einem Tisch voller Pferdenarren zum nächsten zog und sich für den Gewinn des dreihunderttausend Dollar schweren »Maker’s Mark Mile«-Rennens, das gerade stattgefunden hatte, Beifall spenden ließ.

Weezie, das Mädchen, das neben Cuba an der Bar saß und deren Vater Pferdetrainer war, schlürfte ihren Collins leer und sagte: »Findest du’s nicht total beschissen, dass das Siegerpferd Black Boy heißt?«

»Es blieb ihnen gar nichts andres übrig, als ihn Black Boy zu taufen«, sagte Cuba. »Wie sonst sollte man einen Hengst nennen, für den alle Stuten freiwillig den Schweif zur Seite nehmen.«

Das Mädchen ging grinsend zum nächstgelegenen Tisch, um sofort weiterzuerzählen, was er gesagt hatte, und Cuba sah Layla, die Drachenlady, mit glänzendem schwarzem Regenmantel und, trotz des trüben Aprilnachmittags, dunkler Sonnenbrille direkt gegenüber an der Bar sitzen.

»Entschuldigen Sie«, sagte Cuba in der abgehackten afrikanischen Intonation, die er sich bei Taxifahrern in Atlanta abgekuckt hatte, »aber könnten Sie mir sagen, wie viel Uhr es ist?«

Er betrachtete sie, während sie ihre Brille abnahm, hinter der braune Augen zum Vorschein kamen, die ihn kalt taxierten. Sie lächelte, und ihr Blick wurde weich. »Was Sie gerade zu Weezie gesagt haben, war lustig.«

Cuba warf einen prüfenden Blick auf ihre hübsche Nase und ihren Mund. Die Sorte Unterlippe, in die er bei Frauen gerne biss.

»Aber«, sagte sie, »Sie haben Ihren afrikanischen Akzent ganz vergessen.«

Sie hatte recht. Da redete er über diesen verdammten Hengst und wollte cool klingen. Er spielte mit dem Gedanken nachzufragen, woher sie den Akzent überhaupt kannte, tat es aber nicht. Cuba ließ einen Moment verstreichen und fragte dann: »Ost- oder Westafrika?«

Womit er den Ball wieder an die Frau zurückgab, die mit dem Spiel begonnen hatte.

Sie sagte: »Westafrika, Nigeria. Ich habe ein ganzes Jahr mit einem Transplantationsteam in Lagos verbracht. Bin gerade erst ans UK Medical zurückgekommen, meinen Heimatstandort.«

Cuba sagte: »Da habe ich Mr. Burgoyne mal hingefahren, als seine Nieren Theater gemacht haben.«

»Seine Nieren funktionieren noch«, sagte Layla. »Aber seine Leber bräuchte mal eine Pause.«

»Der Mann liebt seine Drinks. Braucht ein paar, bevor er zum Menschen wird«, sagte Cuba. »Sie sind also Krankenschwester?«

Sie antwortete: »Warum nicht Ärztin?«

»Dann würden Sie sich nicht mit mir abgeben«, sagte Cuba.

Daraufhin erzählte sie ihm, sie sei Transplantationsschwester, und Cuba fragte: »Spielen Sie gerne mit den Körperteilen anderer Leute?«

»Wenn ich darf, ja«, sagte Layla. »Kommt drauf an, wer die Operation leitet. Ich bin schon so lange Assistentin, wie manche der älteren Ärzte Organe auswechseln, bald elf Jahre. Ich habe mittlerweile so viele Nierentransplantationen gesehen, dass ich den Organtausch selbst vornehmen und den Patienten danach auch wieder zumachen kann. Und jetzt will doch tatsächlich einer der jungen Ärzte, dass ich ihm nur die Instrumente reiche und dann mit ihm ins Bett gehe.«

Sie wartete.

Cuba sagte: »Sie stehen eher auf die älteren Typen, was?«

»Darum geht’s doch gar nicht. Der junge Typ kommt aus dem OP und hält sich für Gott, weil er gerade ein Patientenleben gerettet hat, und erwartet jetzt, dass ich mich dafür revanchiere.«

»Und ...?«

»Ich sage ihm, dass ich erledigt bin. Ich habe gerade zwölf Stunden durchgearbeitet, Operationsvorbereitung, Operationsnachbereitung, OP, ich bin völlig fertig. Er kann’s nicht fassen, dass ich ihm einen Korb gebe. Wir haben ein paarmal Kaffee miteinander getrunken, und er hat gesagt, ich darf ihn Howie nennen, wenn ich will. Und jetzt: ›Ach, komm schon, ich hab ein leeres Zimmer klargemacht. Wir können’s bei einem Quickie belassen – oder uns Zeit nehmen.‹«

»Und sind Sie seinen Wünschen nachgekommen?«

»Hören Sie doch zu. Ich kann dieselbe Operation durchführen wie Mr. Blow Job, der fast eine Million im Jahr verdient, während ich siebenundachtzigtausendfünfhundert bekomme. Heißt das etwa, ich soll ihm einen blasen?«

Cuba musste sich konzentrieren, aufhören, sich vorzustellen, wie er ihr in die Lippe biss. Sie klang extrem genervt, er glaubte nicht, dass sie mit dem Doktor geschlafen hatte. Sie wechselte das Thema und wollte jetzt von Cuba wissen, was er in seinem früheren Leben gemacht hatte, bevor er Mr. Harrys Boy geworden war. Er erzählte ihr, dass er Autorennen gefahren war, Dirt-Track, dass er schwarz gebrannt und ein bisschen mit Hasch gedealt hatte.

Sie fragte: »Wie lange waren Sie im Gefängnis?«

Mit dieser Frage hatte er bereits gerechnet und antwortete ihr: »Ein paar Jahre meines Lebens waren es schon.« Und fügte an: »Wollen Sie meine Akte sehen? Ich kümmere mich drum, dass Sie eine Kopie bekommen. Gesessen habe ich wegen Autos. Teuren Autos.« Er war sich ziemlich sicher, dass die Drachenlady genau das hören wollte.

Sie erinnerte ihn an die Frau aus den Comicstrips, die immer bei Terry und die Piraten vorkam. Terry war dieser bleiche Junge, dessen Haar nie in Unordnung geriet. Wenn er es nicht schaffte, die Drachenlady zu ficken, dachte Cuba, müsste er zum anderen Ufer wechseln.

Layla machte jetzt einen entspannten Eindruck. Ihre durchdringenden braunen Augen waren weich, während sie ihn anschaute.

Layla sagte: »Cuba?«

»Ja ...?«

»Ich hab die Schnauze voll von Krankenhäusern. Erzählen Sie, wovon Sie die Schnauze voll haben.«

Cuba sah Mr. Harry winken und sagte: »Das werden Sie gleich sehen.«

Zeit für die Showeinlage: Mr. Harry, mittlerweile mit einem Drink in der Hand, winkte Cuba zu den Tischen der Pferdenarren. Es ging ihm gut, er fühlte sich bereit, seinen Freunden seine Version eines humorvollen Typen zu präsentieren. Sobald er Cuba auf sich zusteuern sah, nach vorn zu den Tischen, legte er die Stirn in Falten. Das gehörte zur Nummer, er machte das jedes Mal, sobald Cuba vor ihm auftauchte, aus dessen dunklem Erscheinungsbild mit schwarzem Anzug und schwarzem Hemd die helle lavendelfarbene Krawatte herausstach.

Mr. Harry: »Wer hat dir erlaubt, zu deiner Livree meine Rennfarben zu tragen?«

Cuba gab sich Mühe, so Aaah-frikanisch wie möglich zu klingen. Würde bei einer solchen Veranstaltung allerdings jemals ein echter Afrikaner auftauchen, wäre er am Arsch.

Cuba: »Das war Ihre Missus, Boss.« Er wartete ein paar Sekunden und setzte hinzu: »Ihre Missus ist es doch, die mich anzieht.«

Das hatte lautes Gelächter der Pferdenarren zur Folge.

Mr. Harry: »Mrs. Harry hat dir gesagt, du sollst meine Rennfarben tragen?«

Cuba: »Weil ich doch, wenn wir zusammen unterwegs sind, immerzu rennen muss, um Sie zum Männerklo zu bringen. Deswegen trage ich Ihre Farben.«

Mr. Harry: »Wann habe ich dir das denn jemals befohlen?«

Cuba: »Noch nie, Boss, aber ich glaube, dass Sie das wünschen.«

Mr. Harry, an den Raum gerichtet: »Ich habe Cuba schon erklärt, es war nie rassistisch gemeint, dass ich meinen heutigen Gewinner Black Boy genannt habe.«

Cuba: »Ja, Sir.«

Mr. Harry: »Erzähl meinen Freunden, wie du den Namen Black Boy findest.«

Cuba: »Ich bin stolz, dass das Pferd nach mir benannt ist, weil es alle seine Rennen mit einer Schwanzlänge Vorsprung gewinnt.«

Lautes Gelächter.

Mr. Harry: »Cuba, wir benutzen hier in feiner Gesellschaft keine afrikanischen Wörter.«

Noch mehr Gelächter, aber nicht mehr so laut.

Layla sah von der Bar aus zu. Sie hatte Cuba erzählt, dass sie die Schnauze voll hatte von Krankenhäusern; jetzt zeigte er ihr, wovon er die Schnauze voll hatte: den dankbaren Bimbo zu spielen, aufs Stichwort seine Zeilen zu rezitieren und pausenlos zu grinsen, während der Arm dieses Arschlochs um seine Schultern lag.

Mr. Harry erzählte dem gesamten Blue Grass Room, wie bedauerlich es war, dass Old Tom krank geworden und ihm weggestorben war. Old Tom, Friede seiner Seele, habe zuletzt Angst vor dem Straßenverkehr gehabt und sei nur noch mit dem Fuß auf der Bremse gefahren. »Ungeduldige Menschen«, sagte Mr. Harry, »konnten dabei durchaus ein bisschen nervös werden.« Mr. Harry legte eine Pause ein, um den Leuten im Club Zeit zu lassen, höflich zu lachen. »Cuba hingegen«, sagte Mr. Harry, »stellt seinen Fuß aufs Gas und lässt ihn da. Letztens habe ich ihn gefragt: ›Cuba, du hast nicht zufällig früher mal Autos gestohlen, oder?‹ Was hattest du darauf noch geantwortet?«

Cuba sagte: »Ich glaube, ich habe gesagt: ›Nein, Boss, das ist eine der wenigen Sachen, die zu tun mir der Teufel nie befohlen hat.‹«

Mr. Harry klopfte Cuba auf die Schulter und sagte: »Mach, dass du hier rauskommst.« Die Pferdenarren lachten, rückten zusammen, und Mr. Harry setzte sich zu ihnen an einen Tisch in der ersten Reihe.

Cuba ging zurück an die Bar und winkte den Leuten huldvoll zu, während sie Beifall klatschten, er nickte und grinste, bis er die Bar erreicht hatte und Layla ihm ihren Drink hinschob. Ohne weiteren Blick in die Runde nahm Cuba das Glas und trank den Wodka in einem Zug aus. Dann sagte er: »Haben Sie eine Vorstellung davon, wie oft ich schon den dankbaren Nigger gegeben habe?«

»Sie waren sehr überzeugend«, sagte Layla.

»Was er über Old Tom erzählt hat, war Schwachsinn. Er hat den alten Mann gefeuert, als er mich angestellt hat, er ist deshalb krank geworden und gestorben.«

»Mir kam beim Zusehen«, sagte Layla, »unweigerlich der Gedanke, dass Sie sich eines Tages umdrehen werden, Harry am Hals packen und ihn vor seinen Freunden erwürgen. Und die denken dann, das gehört zur Nummer.«

Cuba sagte: »Wenn ich ihn im Rolls fahre, überlege ich oft, ob ich den Wagen mal absichtlich an einer abschüssigen Stelle aus der Kurve fliegen lassen soll. Ich selbst springe mit dem Fallschirm raus und sehe mir in aller Ruhe an, wie der Alte abkratzt. Beim Aufprall geht das Auto in Flammen auf, genau wie im Kino. Im echten Leben gibt’s solche Explosionen aber leider nicht. Ich fahre also Mr. Harry, und schon muss er wieder pinkeln. Im Scheinwerferlicht sehe ich ein Stück Straße, direkt an einem Abhang. Ich sage: ›Mr. Harry, holen Sie Ihren Schwanz raus, wir sind fast da.‹«

Laylas auf ihm ruhender Blick wurde warm. Sie sagte: »Ich glaube, ich bin dabei, mich in Sie zu verlieben.«

»Sie können es gern mit mir versuchen«, sagte Cuba, »schaden kann’s nicht.«

Er beobachtete, wie sie ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Tasche ihres teuer aussehenden, schwarz glänzenden Regenmantels holte, und wartete, bis sie sich eine angezündet hatte. Dann sagte er: »Sie wissen, dass das hier drin nicht erlaubt ist.«

»Die müssen einen erst mal erwischen«, sagte Layla.

»Wollen Sie eine Szene provozieren?«

»Wenn jemand was sagt«, sagte Layla, »ziehe ich noch ein Mal an der Zigarette und mach sie dann aus.« Sie rückte näher heran. »Ich wollte Ihnen noch was über Harrys Nieren erzählen ...«

»Über damals, als ich ihn ins Krankenhaus gebracht habe?«

»Er ist jedes Jahr ein bis zwei Mal im Krankenhaus.«

»Der Mann muss alle zwanzig, dreißig Minuten pinkeln. Danach kann man die Uhr stellen.«

»Das ist seine Prostata. Seine Nieren sind gar nicht so schlecht. Ein Nerv im unteren Rücken ist eingeklemmt.«

»Weswegen ihm sein Iliosakralgelenk Probleme macht«, sagte Cuba. »Hatte ich auch schon mal. Ich war so lange ans Bett gefesselt, bis ein Chiropraktiker mich endlich wieder eingerenkt hat.«

»Harry hat uns beauftragt, einen Spender mit seiner Blutgruppe zu finden.«

»Ich dachte«, sagte Cuba, »man muss sich auf die Warteliste setzen lassen, wenn man eine neue Niere braucht.«

»Harry schenkt dem Krankenhaus jedes Jahr eine Million. Und der Spender bekommt im Moment seines Auftauchens hunderttausend auf die Hand.«

»Wenn er unbedingt eine Niere will«, sagte Cuba, »gebt ihm doch einfach eine.«

»Oder wir holen die alte raus«, sagte Layla, »und pflanzen sie dann wieder ein?«

Cuba grinste. »Und aus dem Krankenhaus kommt ein neuer Mensch.«

Cuba sah Mr. Harry vom Tisch aufstehen, als Layla sagte: »Ungefähr so hatte ich mir das vorgestellt.«

Cuba hörte ihr zu, während er seinen Boss dabei beobachtete, wie er den Leuten am Tisch die Hände schüttelte. Er sagte zu Layla: »Ich gehe davon aus, dass wir uns sehr bald wiedersehen, jetzt, da wir ein Liebespaar sind.«

Sie sagte: »Wie wär’s mit heute Abend?« Ohne das geringste Zögern.

»Bis ich damit fertig bin, seinen Arsch durch die Gegend zu kutschieren, könnte es spät werden.«

»Komm, wann du willst. Falls ich schon im Bett bin, lasse ich Licht brennen.«

»Wohin soll ich denn kommen?«

Sie legte die Hand auf eine gefaltete Cocktailserviette und schob sie ihm über die Theke. »Hier hast du alles«, sagte Layla, »zusammen mit einem Schlüssel.«

Cuba gefiel, wie weich ihre Augen wurden, wenn sie ihn ansah. Eine coole Frau mit bösen Absichten. Besser ging’s nicht. Er sagte: »Warum holst du dir nicht die Nieren von Dr. Blow Job?« Und sagte dann nachdenklich: »Nein, das wäre wohl doch zu naheliegend. Es muss wohl Mr. Harry sein.«

»Ich habe schon eine Idee.«

»Du verrätst deinem Geliebten«, sagte Cuba, »deine ganzen Pläne?«

»Als ich gehört habe, dass du Afrikaner bist«, erwiderte Layla, »wusste ich, du bist mein Mann.«