Fünfzehntes Kapitel
Otis kam aus seinem Haus und ging quer über den Hof auf Boyd Crowder und irgendeinen Anzugträger zu, die seinen Fischteich betrachteten: Der Wasserspiegel im Teich war auf knapp dreißig Zentimeter abgesunken, die Fische trieben tot im schaumigen Kohlenschlamm.
»Könnt ihr euch vorstellen«, sagte Otis, »wie viele Jahre es gedauert hat, diesen Teich auszuheben und so hinzubekommen, wie ich ihn haben wollte? Gabelwelse, Sonnenbarsche und Elritzen einzusetzen? Meine Enkel sind regelmäßig hergekommen, um zu angeln, so zum Spaß. Wenn einer angebissen hat, haben sie ihn wieder reingeworfen.«
Boyd sagte: »Aber wahrscheinlich nur, wenn sie gerade keinen Hunger hatten. Ich und Mr. Gracie hier arbeiten für M-T Mining, Otis. Wir fahren rum und erkundigen uns überall, ob es Beschwerden gibt. Leute in den Tälern, die rummeckern wegen des Drecks, der runterkommt, weil wir Kohle abbauen.«
Den Blick immer noch auf den toten Teich gerichtet, sagte Mr. Gracie: »Irgendwo muss das ganze Gestein und der Boden ja hin, die übrig bleiben, wenn die Kohle rausgeholt wird.«
»Dass das Zeug sauer ist, interessiert Sie wohl nicht«, sagte Otis. »Der Haldenabfluss hat den Bach, der meinen Teich gespeist hat, kippen lassen, und jetzt schwimmen meine Fische mit dem Bauch nach oben.«
Er sah, wie Mr. Gracie sich an den Rand des Teiches hockte, und hörte ihn sagen: »Hey, ich glaube, der eine lebt noch. Sehen Sie mal, wie der kleine Kerl da rumzappelt und sich fragt, wo der Teich geblieben ist.«
Mit einem Schritt war Otis hinter ihm und trat mit dem Stiefel gegen Mr. Gracies Sakko-Rücken, sodass seine Arme zur Seite flogen und er mit dem Gesicht voran in der schlammigen Brühe landete.
Otis sagte: »Lässt sich nicht so gut atmen da drin, oder?«
Als Otis sich zu ihm drehte, verkniff sich Boyd schnell sein Grinsen und sagte: »Ich glaube, das war keine gute Idee.«
»Ich habe vierzig Jahre in den Minen geschuftet«, sagte Otis, »und immer nur Ja und Amen gesagt zu euch Firmen-Yuppies. Es reicht.«
Am Abend wollte Otis das Abendessen auf den Herd stellen – Kartoffeln, Steckrüben und Suppengrün –, aber vorher setzte er sich noch zu Marion, die den Morgenmantel eng vor der Brust zusammenhielt und nur mühsam durch den Mund atmete. Er gab ihr zwei von ihren Schmerztabletten und ein Marmeladenglas voll puren Whiskeys, das sie eine Weile beschäftigen würde. Sie war nie in einer Mine gewesen, hatte aber allein von der schlechten Luft eine Staublunge.
Er hörte, wie eine Planierraupe angelassen wurde, eine der großen Dieselmaschinen – er konnte jedes Geräusch dem entsprechenden Gerät zuordnen, den Raupen und Baggern. Auch der Wolfshund hörte es und erhob sich. Sie schissen mal wieder auf die Strafgebühren und schoben den Aushub vom Tagebau oben am Looney Ridge einfach über die Bergflanke. Es klang allerdings sehr nah. Und wieso arbeiteten sie mitten in der Nacht?
Als Otis das Geräusch brechender Äste hörte, das Prasseln von Steinen, wusste er, dass es zu spät war, um sich Marion zu schnappen und sie beide in Sicherheit zu bringen: Ein Felsbrocken von der Größe seines Ford Pick-up kam wie der Weltuntergang über sein Haus, und das Holzhaus opferte ihm Möbel und Wände, nichts hielt dieses Stück Berg auf. Es zerschmetterte den Fußboden, durchschlug die Vorderwand, nahm dabei Tür und Fenster mit und durchpflügte noch die Blumenbeete, bevor es seinen Schwung verlor und in Otis’ Teich schließlich seine Reise beendete.
Marion, die mit dem Drink in der Hand und von Pillen und Schnaps benebelt in ihrem Schaukelstuhl saß und dem Pfad der Zerstörung den Rücken zugewandt hatte, fragte Otis: »Was um alles in der Welt war das?«
Otis sagte: »Ich fahre jetzt hoch, um mich mal mit dem Kohlekonzern zu unterhalten, vorher bring ich dich aber noch rüber zu deiner Schwester, in Ordnung? Wir können eigentlich auch gleich über Nacht dort bleiben, wenn ich zurück bin.«
Marion sah, wie Otis sein verschlissenes Jackett über die Latzhose zog und Gewehrpatronen einsteckte. Für einen kurzen Moment schien sie klar im Kopf und sagte: »Du unternimmst also endlich was gegen diesen verfluchten Kohlekonzern?«
Das Büro von M-T Mining stand auf einem flachen Bergrücken, der vom Kohlehunger des Unternehmens seiner Bäume und Büsche beraubt worden war. Boyd hatte gerade den Teichgestank aus Mr. Gracies SUV gewaschen, als Mr. Gracie ihn instruierte, was es für ihn zu tun gab.
»Nur, damit ich das richtig verstehe«, sagte Boyd. »Sie wollen, dass ich einen Felsbrocken über die Flanke kippe und versuche, damit Otis’ Haus zu treffen?«
»Schaffen Sie’s nicht«, sagte Mr. Gracie, »besorge ich mir jemanden, der das kann.«
»Sie wollen, dass ich ihn umbringe«, sagte Boyd, »nur, weil er Sie in den Schlamm gestoßen hat?«
»Ich habe gesagt: Zerstören Sie sein Haus«, korrigierte ihn Mr. Gracie. »Wenn Sie nicht weiter im Bereich der Konfliktlösung beschäftigt sein wollen«, sagte der unsympathischste Mensch, der Boyd je begegnet war, »können Sie sofort gehen.«
»Hab nur Spaß gemacht«, sagte Boyd. »Mir die Beschwerden der Leute anzuhören, macht mir nichts aus. Alle wissen, dass sie niemals kriegen, was sie sich wünschen. Also machen sie ihrem Ärger Luft, um wenigstens das Gefühl zu bekommen, bis zum Letzten gekämpft zu haben.«
Mr. Gracie wies Boyd an, den Fahrersitz seines Wagens mit Zeitungspapier auszulegen, stieg in seinen Schlammgestank gehüllt ein und fuhr nach Hause.
Boyd machte »Bah« und betrat das Büro, einen großen Wohnwagen voller Schreibtische und Reißbretter. Alkohol auf dem Betriebsgelände war verboten, es gab daher nur einen Viertelliter billigen Wodkas in einer Schreibtischschublade. Keine nackten Mädchen auf dem Kalender, nichts, weswegen man hier gerne arbeiten wollte.
Das war, bevor Otis den Berg hochkam.
Jetzt aber strichen Scheinwerfer über den Wohnwagen und eine schwarze Stretchlimousine hielt neben dem Büro. Boyd sah, dass eine Frau ausstieg, ging zur Tür und öffnete. Er beobachtete, wie sie ein paar Worte zu ihrem Fahrer sagte und die Limo wieder abfuhr. Als sie sich im Licht, das aus der Tür des Wohnwagens fiel, umwandte, erkannte Boyd Carol Conlan, die Frau, die immer dann in der Zeitung oder im Fernsehen auftauchte, wenn der Kohlekonzern etwas zu verkünden hatte. Oh Gott, jetzt betrat Carol Conlan tatsächlich das Büro und lächelte ihn an: »Sie sind Boyd, oder? Der, der den Felsen auf das Haus dieses Typen hat fallen lassen.«
Woher wusste sie das denn schon? Boyd setzte zu einer Frage an, aber Carol Conlan sprach bereits in ihr Handy, sagte zu jemandem: »Das will ich gar nicht hören, Bob. Fangen Sie noch mal von vorne an und erstatten Sie mir Bericht, aber diesmal einen, den ich hören will, okay?« Dann sagte sie, »ich muss aufs Klo«, und legte das Telefon weg.
An Boyd gerichtet fragte sie: »Wo?« Boyd wies ihr den Weg und sah, wie sie hineinging und beim Hinsetzen den Rock hochraffte – die Tür hatte sie offen stehen lassen. Mannomann, Carol Conlan.
Sie sagte: »Das mit dem Haus haben Sie gut gemacht.«
»Ich habe nur einen einzigen Versuch gebraucht«, sagte Boyd. Er nahm ihr Handy vom Schreibtisch und schnupperte daran, vielleicht roch es ja nach ihr.
»Ziemlich cool«, sagte Carol, »einfach einmal die Schaufel kippen, und schon ist das gesamte Haus ausradiert. Was wird der Besitzer dagegen unternehmen?«
»Otis? Gar nichts«, sagte Boyd, »der ist ein alter Mann.«
»Nennen Sie Gracie, diese Irenschwuchtel, eigentlich immer Mister?«
»Hat er so angeordnet«, sagte Boyd.
»Er ist deutlich zu weit gegangen«, sagte Carol. »Zerstört das Haus, obwohl wir bald eine öffentliche Anhörung haben.«
Boyd hörte die Klospülung. Carol kam heraus und rückte sich den Rock zurecht. Sie sagte: »Jetzt sind wir die Bösen. Es klingt, als ob dieser Teich ganz hübsch war, bevor wir ihn versaut haben.« Und dann: »Ich habe Gracie noch nie besonders gemocht. Ich werde eure Positionen tauschen und Sie zum Chef machen. Gibt’s hier was zu trinken?«
»Einen Viertelliter Wodka und verschiedene Sorten Wasser«, sagte Boyd und sah, wie die attraktive, für Konflikte zuständige Geschäftsfrau das Gesicht verzog und zum Telefon griff.
»Ich rufe Brian an, damit er uns eine Flasche Scotch bringt. Ich hasse Wodka.«
Der Black Mountain war mit alten Kiefern und Pappeln bewaldet, in der Nähe des Gipfels hatte Otis mal einen Elch geschossen: Er hatte plötzlich so nah vor dem Tier gestanden, dass beide vor Schreck einen Satz machten, als sie einander sahen. Otis hatte den Elch mit einem einzigen Schuss erlegt und ihn ausbluten lassen, und sie hatten den ganzen Winter über Fleisch gehabt. Diesmal folgte er den Haarnadelkurven hinauf zu dem, was vom Bergkamm Looney Ridge übrig geblieben war: Seine Flanke war in Terrassen zerschnitten. Sie bohrten direkt über den Kohleflözen Löcher und sprengten den Fels, um die Kohle herauszukriegen. Otis’ Haus lag zwar einige hundert Meter hangabwärts, wurde aber trotzdem bei jeder Sprengung derart erschüttert, dass die Fotos von seinem Vater und Marions Familie von der Wand fielen. Er hatte ihr erzählt: »Vor dem Krieg gab es in Kentucky hundertdreißigtausend Bergmänner. Heutzutage kratzen nur noch ein paar Dutzend da oben mit ihren Raupen die Kohle von außen aus dem Berg. Mit Kohlebergbau hat das nichts mehr zu tun.«
Womit denn sonst, hatte Marion gefragt, und Otis hatte geantwortet: »Mit Leben auf dem gottverdammten Mond.«
Jetzt sah er den Bulldozer am Rand der Falllinie und das Licht im Inneren des breiten Wohnmobils, das sie als Büro benutzten, und es war ihm egal, ob jemand gerade darin Erbsen zählte: Otis stieg aus seinem Truck, nahm die Flinte hoch und fing an, die Fenster des Trailers kaputt zu schießen. Legte eine Pause ein und sah zu den Maschinen, die abgeschaltet waren und bewegungslos dastanden. Wenigstens musste er so nicht auf jemanden zielen, der schreiend auf ihn zugelaufen kam.
Otis umkreiste den Wohnwagen und zerschoss Fenster, zwei Mal auf seiner Runde lud er nach. Er konnte nicht sehen, ob sich jemand im Inneren befand, bis Boyd Crowder den Kopf aus der Tür streckte. »Otis, bist du bald mal fertig?«
»Als nächstes komme ich rein«, sagte Otis, »schieße das Büro zusammen und setze dich für eine Stunde außer Betrieb.«
»Otis«, sagte Boyd, »wenn ich den Schlüssel zum Dynamitschrank hätte, würde ich ihn dir geben. Ich glaube, ich schulde dir was für den Schaden an deinem Haus, auch wenn es Mr. Gracie war, der das angeordnet hat.«
»Ich habe kein Haus mehr«, sagte Otis. »Es ist weg.«
»Schon gut«, sagte Boyd und zwang sich zu einem begütigenden Tonfall, »aber den Totalschaden hast du dir selbst zuzuschreiben, wegen des Fischteichs.«
»Hast du Mr. Gracie gesagt«, sagte Otis, »dass du mein Haus in Trümmer legst, sobald du damit fertig bist, ihm in den Arsch zu kriechen? Boyd, früher warst du mal jemand, der seinen Mann steht, erinnerst du dich, damals, als wir Duke Power bestreikt haben. Aber was hat uns das schon gebracht?«
»Nicht besonders viel«, sagte Boyd.
»Gar nichts. Das ganze Land hat zugesehen, und das Unternehmen hat behauptet, uns gegenüber mit offenen Karten zu spielen. Dann hat das Land weggesehen. Und das Unternehmen hat uns erzählt, dass es dauert, neue Methoden der Kohleförderung zu finden. Zwanzig Jahre haben sie sich Zeit gelassen, darüber nachzudenken. So ist das und so ist es immer gewesen. Das Unternehmen baut ein Auffangbecken für den Kohlenschlamm, das den ganzen Dreck rausfiltern soll, den sie bei der Kohlenwäsche machen. Dann bricht der Damm, und in den Bach, der meinen Teich speist, fließt Gift. Vierzig Jahre lang habe ich für diese oder ähnliche Leute unter Tage gearbeitet. Und jetzt bringen sie meine Fische um und es interessiert sie überhaupt nicht.«
Dicht hinter ihm sagte Carol Conlan: »Er ist eine Bedrohung.«
Boyd drehte den Kopf zur Seite. »Er hat nur ein paar Fenster kaputt gemacht.«
Er spürte, wie die Konzernlady etwas in den Bund seiner Levi’s steckte, das hart gegen seine Wirbelsäule drückte. Boyd wusste, dass es eine Waffe war, er hatte an dieser Stelle früher schon Waffen getragen. Jetzt sagte sie zu ihm: »Ich weiß alles über Sie, Mr. Crowder. Immer, wenn Sie es für nötig halten, werden Sie zu einem anderen Menschen.«
»Ich lasse mich von meinen Instinkten leiten«, sagte Boyd, »tue immer das Erste, das mir in den Sinn kommt, so, als ob eine höhere Macht mir etwas eingibt und ich nur darauf hören muss. Ich habe gelernt zu denken, ohne erst stundenlang alles zu analysieren.«
»Ich habe Ihnen da hinten jedenfalls eine Neuner-Glock reingesteckt«, sagte Carol. »Ein wütender Mann mit Waffe ist ein hohes Risiko. Wenn er sein Gewehr hebt, erschießen Sie ihn.«
»Otis? Hab Ihnen doch gesagt, er hat nur ein paar Fenster kaputt gemacht.«
»Ich habe weder vor, mich wegen dieser Sache vor Gericht zu verantworten«, sagte Carol, »noch werde ich wegen nichts und wieder nichts mein Leben aufs Spiel setzen. Wir erledigen diese Angelegenheit hier und jetzt. Wenn er das Gewehr hebt, erschießen Sie ihn.«
Otis, keine zehn Meter entfernt, fragte Boyd: »Mit wem sprichst du da?«
»Sagen Sie’s ihm«, sagte Carol.
»Habe gerade Damenbesuch«, sagte Boyd. »Eines der hohen Tiere in der Firma, will sich ansehen, wie wir hier oben vorankommen. Ich hab zu ihr gesagt: Ganz gut, sieht man doch, der Berg wird immer niedriger, oder?«
Carol trat in die Tür und gab Boyd einen Schubs, sodass er einen Schritt nach draußen tun musste. Zu Otis sagte sie: »Ich bin diejenige, die sich um alle Beschwerden kümmert.«
»Wenn Sie wollen«, sagte Otis, »dann beschwere ich mich wegen dem, was Sie mit meinem Teich und meinem Haus gemacht haben. Streiten Sie gerne?«
Carol schlug zunächst einen freundlichen Ton an: »In nur wenigen Tagen bin ich wieder hier und halte eine große öffentliche Versammlung ab, bei der beide Seiten zu Wort kommen, die Kohlefreunde und die Beschwerdeführer.« Carol tat, als führe sie mit dem Finger über eine glatte Oberfläche, und verfiel in einen Jammerton: »Wenn ich sonntags im Gottesdienst spiele, ist meine ganze Orgel verrußt.« Wieder mit normaler Stimme sagte sie: »Kennen Sie das alte Kohlenarbeiterlied ›Wir müssen die Kohle da holen, wo Mutter Natur sie hingelegt hat‹? Genau darum geht’s beim Kohlebergbau.«
»Nicht zu vergessen die Verwüstung«, sagte Otis, »die der Tagebau in unserer Heimat angerichtet hat. Jeder, der mal im Kohlenland gelebt hat, weiß das.«
»Bis ich weggegangen bin, um Jura zu studieren«, sagte Carol, »bin ich in Wise aufgewachsen, West Virginia.«
»Sollte tatsächlich jemals Ruß an Ihnen geklebt haben«, sagte Otis, »ist er jetzt weg. Meine Frau ist nie unter Tage gewesen, stirbt aber an einer Staublunge, weil sie seit siebenundvierzig Jahren neben mir schläft und einatmet, was ich über Nacht rausschnarche.«
»Wie süß«, sagte Carol, »aber ich glaube trotzdem, dass Ihr gemeines altes Herz auf Rache sinnt, wenn Sie behaupten, die Firma habe Ihr Haus zerstört ...«
»Und seinen Fischteich«, sagte Boyd.
»Er gibt der Firma die Schuld dafür«, sagte Carol, »dass das erbärmliche Leben seiner Frau zu Ende geht.« An ihn gewandt sagte sie: »Otis, Sie sind hier, um es uns heimzuzahlen, oder? Sie sehen mich und halten mich für den verfluchten Konzern. Sie müssen eigentlich nur noch Ihre Flinte anlegen.«
Otis starrte Carol an, und sein Gesicht verzog sich. Er sagte: »Was zum Teufel spielen Sie für ein Spiel mit mir?«
»Das werde ich Ihnen sofort zeigen«, sagte Carol, hielt sich das Handy ans Ohr und sagte: »Brian ... Wo sind Sie?« Dann: »Rufen Sie den Sheriff von Harlan County an. Sagen Sie ihm, dass es oben auf dem Looney Ridge eine Schießerei gegeben hat.« Sie schaute Otis an: »Irgendein alter Mann mit einem Gewehr hat verrückt gespielt. Und dann legen Sie einfach auf.«
»Ich bin nicht verrückt«, sagte Otis, »sondern Sie.« Er klang allerdings beunruhigt und fragte erneut: »Was zum Teufel spielen Sie für ein Spiel mit mir?«
Sie stand dicht hinter Boyd, als er endlich hinter sich fasste und die Hand um den Griff der Glock schloss.
Carol sagte: »Worauf warten Sie noch? Würden Sie ihn jetzt bitte erschießen?«
Boyd drehte den Kopf zu ihr um, hob in einer Geste der Hilflosigkeit die Hände und sagte: »Ich kann keine Notwendigkeit erkennen, er tut uns doch nichts.«
Carol machte einen weiteren Schritt nach vorne und zog mit einem Ruck die Pistole aus Boyds Hose, stieß ihn aus dem Weg, streckte den Arm mit der Waffe aus und schoss Otis zweimal in die Brust.
Boyd sah von dem alten, am Boden liegenden Mann zu Carol, die ihm jetzt mit ruhiger Stimme befahl, Otis’ Gewehr von der Stelle aus abzufeuern, wo Otis zuletzt gestanden hatte. Er hörte sie sagen: »Ich werde den Leuten des Sheriffs sagen, dass Otis das Feuer eröffnet hat und Sie vor mich getreten sind, um mir das Leben zu retten.«
Boyd sagte: »Habe ich das?«
»Sie haben ihn schließlich erschossen, oder nicht?«, sagte Carol und überreichte Boyd die Glock.
»Moment mal«, sagte Boyd, »ich habe für diese Pistole doch gar keinen Waffenschein.«
»Sie ist als Firmenwaffe auf meinen Namen registriert«, sagte Carol, »aber habe ich etwa eine Ahnung von Waffen? Ich hatte Angst vor Otis und habe sie Ihnen gegeben, als wir noch im Büro waren.«
»Nur, um sicherzugehen, dass ich das richtig verstanden habe«, sagte Boyd. »Sie haben mir die Waffe gegeben, und ich habe Otis erschossen, als er das Feuer auf uns eröffnet hat?«
»Genau so war es«, sagte Carol. »Sie sind mein Held.«