Viertes Kapitel
Obwohl Mitte vierzig, waren Coover und Dickie Crowe nie ganz erwachsen geworden. Wenn sie nicht gerade durch die Gegend kurvten und nach Muschis Ausschau hielten, hingen sie in Dickies Haus auf der anderen Seite des Berges rum und schauten Pornos. Coovers Haus war ein einziges stinkendes Durcheinander. Dickies Haus dagegen quoll fast über vor Elvis-Presley-Memorabilien: Siebenundfünfzig Elvis-Fotos im Wohnzimmer, Poster im Flur und in der Küche. Es gab Elvis-Wackelkopf-Puppen, eine Bong in Elvis-Form, eine Flasche mit Erde aus dem Garten in Graceland, ein Foto von einer Wolkenformation, die wie Elvis aussah und für die Dickie hundert Dollar gezahlt hatte, und zwei Handtücher, mit denen sich Elvis während Konzerten das Gesicht abgewischt hatte und die jetzt als Zierdeckchen auf den Rückenlehnen von Dickies Fernsehsesseln lagen.
Coover sagte: »Ich dachte, du wolltest das Elvis-Zeug endlich loswerden, ich kann den Scheiß echt nicht mehr sehen.«
»Sobald ich mal Zeit dafür finde«, sagte Dickie.
»Gib das Zeug doch dem Nigger, soll der’s verkaufen.«
»Ich sagte, sobald ich mal die Zeit dafür finde.«
Dickie hatte spärliches Haar, das er zurückkämmte und zu einer Welle toupierte, die nur hielt, wenn er sie festsprayte. Er trug gestärkte weiße Hemden, in Las Vegas im Dutzend für einen Dollar das Stück gekauft, mit bis zu den Ohrläppchen hochstehenden Kragen.
Coover hatte eine wilde Mähne auf dem Kopf, die er niemals kämmte. Die Mädchen sagten zu ihm: Gott, es könnte wirklich nicht schaden, hin und wieder zu baden, das Haus zu putzen und dem Stapel dreckigen Geschirrs wenigstens ein bisschen Spülmittel zu schenken. Sie sagten ihm, bald würden Ratten Nester in seiner Küche bauen. Und Coover entgegnete: »Tun sie längst.« Er trug Ed-Hardy-T-Shirts oder seine Death-and-Glory-Trainingsjacke mit Totenkopf und Kreuz.
Man wäre nie auf die Idee gekommen, dass die beiden Brüder waren. Dickie war sehr pedantisch, sein knochiges Gesicht blickte meist mürrisch aus den gestärkten Hemdkragen hervor. Coover war meistens bekifft und machte, wozu er gerade Lust hatte. Dickie sagte zu Coover Sachen wie: »Ich sag’s dir jetzt zum letzten Mal, entweder du wäschst dich jetzt oder ich schieß dir in den Arsch, während du schläfst.« Coover sagte zu Dickie Sachen wie: »Und seit wann hast du die Eier dafür?« So redeten sie eigentlich immer miteinander.
Jetzt fragte Dickie: »Hast du mit Papa gesprochen?«
»Er ist mir doch tatsächlich mit den Nieren gekommen«, sagte Coover. »Und ich so: ›Was bitte soll ich gemacht haben? Bist du jetzt total verrückt geworden?‹«
»Ich hab ihn mit verletztem Gesichtsausdruck angesehen«, sagte Dickie, »und gefragt: ›Glaubst du wirklich, ich und Coove würden so was machen?‹«
»Ich so: ›Säufst du wieder?‹«
»Dass wir Leute aufschneiden, will er nicht hören«, sagte Dickie, »aber er findet es völlig in Ordnung, die Nieren zu verkaufen. Er hat zu mir gesagt: ›Ist euch eigentlich klar, dass Hunderte von Menschen Nieren brauchen?‹ Und ob ich wüsste, dass die auch zahlen würden, um an welche zu kommen. Papa erzählte was von Tausenden von Dollar. Du weißt, was er uns damit sagen will, oder?«
»Dass er, solange er sein Geld kriegt, nichts dagegen hat, wenn wir im Nierengeschäft sind«, sagte Coover.
Dickie grinste.
»Man muss unseren alten Vater einfach lieb haben, oder?«
Coover hatte Cuba Franks erlaubt, mit seinem Wagen zu Pervis zu fahren, um bei dem Alten zehntausend Dollar abzuliefern, dessen Anteil von Angels Geld. Das bedeutete, dass Dickie an diesem Vormittag zu Coover rüberfahren, in dem müffelnden Haus sitzen und mit ihm über das Nieren-Business reden musste. Dickie war sich nicht sicher, ob ihm das gefiel.
Coover kam aus der Küche ins Wohnzimmer und sagte: »Verdammte Ratten, lecken schon wieder das schmutzige Geschirr ab.« Er zog die oberste Schublade eines alten Garderobenschranks auf.
»Was suchst du?«
»Meine Smith, verdammte Scheiße.«
»Was ich dich noch fragen wollte«, sagte Dickie, »hat’s dir eigentlich was ausgemacht, Angel in die Badewanne zu verfrachten?«
»Ob es mir was ausgemacht hat?«
»Das ganze Blut.«
»War ja nicht unsres, oder?« Aus der obersten Schublade zog Coover eine verchromte .44er Smith & Wesson. Dann sagte er: »Ich hab ihn zugemacht, so wie ich sollte. Ich will nichts mehr davon hören.«
»Nur mit dem Ausziehen waren wir nicht schnell genug«, sagte Dickie.
»Was hab ich dir gesagt? ›Wenn du ihn nackig willst, wieso hast du dann keine Schere eingepackt?‹ Aber weißt du was«, sagte Coover, »wenn wir noch ein paar Mal zukucken, Scheiße, dann wissen wir selbst, wie man eine Niere rausschnipselt. Dann können wir die Hunderttausend unter uns aufteilen.«
»Aber was, wenn uns der Typ versehentlich wegstirbt?«, sagte Dickie.
»Klar, kann sein, dass wir beim ersten Mal irgendwas wegschneiden, was wir nicht hätten wegschneiden sollen, dann haben wir aber immer noch die Nieren. Und wenn wir Glück haben, überlebt der Wichser und wir verkaufen ihm seine eigenen Dinger zurück.«
»Würd ich sofort machen«, sagte Dickie, »aber mich nervt diese scheiß Hektik.«
»Musst du so sehen, als würdest du ein Handwerk lernen«, sagte Coover und ließ den Zylinder seines Revolvers rotieren, um die Patronen zu prüfen.
Dickie öffnete die Tür, um Luft ins Haus zu lassen. Er sah hinaus, beobachtete, wie der Cadillac in einer Staubwolke auf den Hof einbog, und sagte: »Cuba ist zurück. Hey, und hinter ihm kommt noch ein anderes Auto.«
Ohne sich umzublicken, ging Coover mit seiner Smith in die Küche.
Sie hatten den Wald hinter sich gelassen und fuhren auf den Hof, Raylan im Schlepptau des Cadillacs, aber das Geräusch von Pistolenschüssen – erst fielen zwei Schüsse, mit diesem trockenen, harten Geräusch, dann noch mal zwei – bewegte ihn dazu, den Cadillac zu überholen, während Rachel schrie: »Wo ist er?« Raylan bremste und kam direkt vor der Veranda zum Stehen.
»Er hat gar nicht auf uns geschossen«, sagte Raylan.
Cuba Franks in dem Cadillac hielt direkt neben ihnen, stieg aus und sagte: »Coover macht mit seinem Revolver das Haus sauber, das ist alles.«
Raylan stand schon auf der Veranda, Rachel gab ihm vom Wagen aus Feuerschutz. Cuba Franks gab sich entspannt wie immer, als er ihm folgte, aber sie sah, dass er Angst hatte. Sie behielt Raylan im Blick, als Dickie in seinem Elvis-Hemd auf die Veranda trat, Dickie, der genauso aussah wie auf den Fotos. Sie hörte, wie er zu Raylan sagte: »Ich hätte geschworen, Sie fahren einen BMW.«
Rachel sah, wie seine langen Finger erst auf den Oberschenkeln lagen und von dort in die Taschen seiner Levi’s fuhren.
Jetzt kam auch Coover heraus, in der einen Hand baumelte lose ein metallen glänzender Revolver, in der anderen eine tote Ratte, die er am Schwanz hielt.
»Mehr«, sagte Dickie, »hast du mit dem ganzen Geballer nicht erwischt?«
Coover drehte den Kopf zu Raylan, schenkte dem Marshal einen finsteren Blick und sagte: »Eins von den Biestern springt noch in der Küche rum. Wollen Sie mal?«
»Ich habe auf Ratten geschossen, als ich ein Kind war«, sagte Raylan. »Hab sie aus den Scheißhäusern vertrieben.« An Coover gewandt: »Sie sollten einfach Ihre Küche nicht mehr betreten.«
Coover sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Kennen wir uns?«
»Er und die Negerin«, sagte Dickie, »sind Marshals.«
Coover sah Cuba an. »Bau die Gartenstühle auf – müssen hier irgendwo sein –, dann können wir uns setzen und reden.« Zu Raylan sagte er: »Sie können mich gern fragen, ob ich Gras anbaue, ich werde Ihnen mit Nein antworten. Aber vorher darf ich Sie jeden Scheiß fragen, den ich will. Was halten Sie davon?«
»Ich habe nur eine einzige Frage«, sagte Raylan. »Wie sind Sie und Ihr Bruder eigentlich ins Nieren-Business geraten?«
Rachel stand neben dem Audi und beobachtete Raylan, der seine Lieblingsshow abzog. Sah, wie er vor Coover stand, der einen metallen glänzenden Revolver in der Hand hielt. Sah, wie Coover die Ratte am Schwanz im Kreis schwenkte und losließ, sah, wie die Ratte auf sie zuflog und direkt vor ihrer Nase auf der Motorhaube des Audi landete. Rachel rührte sich nicht. Auch Raylan nicht, er drehte sich nicht einmal um.
Sie hörte ihn: »Coover, Sie werfen eine tote Ratte auf mein Auto. Was wollen Sie mir damit sagen?«
Rachel öffnete das Halfter an ihrer Hüfte.
Coover sagte: »Solange Ihnen klar ist, dass ich’s ernst meine, dürfen Sie sich das selbst überlegen.«
»Sie sagen mir damit, dass Sie ein gemeiner Hurensohn sind«, sagte Raylan, ohne mit der Wimper zu zucken. »Wollen Sie wissen, wie viele flüchtige Straftäter mich schon mit diesem Blick angesehen haben? Wenn ich sage tausend, wäre das noch untertrieben. Manche werden unangenehm, wenn ich ihnen die Handschellen anlege, aber dann ist es sowieso zu spät. Manche ziehen sogar ihre Waffe. Dabei frage ich doch nur, wie Sie auf die Idee gekommen sind, Angel die Nieren rauszuschneiden.«
Dickie sah Cuba an, und Raylan sagte: »Ihn habe ich das auch schon gefragt. Er hat gesagt, ich muss mit Ihnen sprechen.«
Cuba sagte: »Merkt ihr, was der Mann vorhat? Ich hab ihm gesagt, ich habe mit Nieren nichts zu schaffen, ich esse sie nur.«
Coover fixierte ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Ich will wissen, was du ihm erzählt hast.«
»Jetzt hör dich bloß mal reden«, sagte Cuba. »Fragst du mich das wirklich? Als ob ich diesem Typen etwas zu sagen hätte.«
Raylan sah einen neuen Cuba Franks vor sich, einen, den er noch nicht kennengelernt hatte.
Er sagte: »Cuba, wir haben auf Band, dass Sie gesagt haben, ich solle mit den Crowes sprechen.«
»Sie waren doch derjenige, der gesagt hat, dass Sie mit den beiden reden wollen. Ich habe bloß gesagt: Nur zu, ich kann Sie nicht aufhalten.«
»Ich weiß, dass Sie im Motel waren«, sagte Raylan, »auch wenn Sie sich Angel nicht wie die beiden Volltrottel hier zu erkennen gegeben haben. Ich will nichts weiter als den Namen des Arztes. Danach darf Coover gleich wieder auf Ratten schießen, und Sie können machen, was Sie wollen. Zumindest bis morgen.«
»Sie tauchen in meinem Haus auf«, sagte Dickie, »haben nicht mal einen Haftbefehl und reden so mit mir?«
»Ich mach’s Ihnen nur einfach«, sagte Raylan. »Ich kann Sie auch vor eine Grand Jury bringen. Entweder Sie geben uns den Doktor oder Sie wandern in den Knast.«
Dickie sagte: »Coove, hast du das gehört? Er droht uns.«
»Er hat eine Knarre unter dem Jackett«, sagte Coover.
Dickie sagte: »Du hast eine in der Hand, Himmelarsch.«
Raylan drehte sich so weit, dass er Rachel ansehen konnte. »Hörst du diese Dummköpfe?«
»Allerdings.«
»Wenn Coover seine Knarre hebt, erschieß ihn.«
»Dann tritt doch bitte einen Schritt zur Seite, nach links oder nach rechts«, sagte Rachel.
Er folgte ihrer Aufforderung und sagte: »Ich gehe mal zu Dickie.«
»Hey, Moment«, sagte Dickie und hob die Hände. »Ich bin nicht mal bewaffnet.«
»Also, mein Angebot lautet«, sagte Raylan, »entweder Sie geben mir den Arzt oder ich bin morgen zurück, und zwar mit den gewünschten Haftbefehlen. Wenn das Gericht merkt, wie dämlich Sie und Ihr Bruder sind, kriegen Sie vielleicht nur dreieinhalb Jahre. Cuba dagegen hat schon mal gesessen und ist immer noch auf unlauteren Wegen. Er kann sich, zusätzlich zu den dreieinhalb Jahren, gleich auf sechzehn weitere Jahre gefasst machen.«
Cuba sagte: »Würden Sie mir vielleicht mal sagen, was ich getan haben soll?«
Raylan sagte, »das steht dann auf dem Haftbefehl«, und sah zu Coover. »Wie möchte der Rattentöter verfahren? Ich wette, das Gras flüstert Ihnen das ein oder andere zu. Die Frage ist, kann man dem Gras Glauben schenken?« Raylan wandte sich wieder an Dickie. »Wir sehen uns also alle morgen wieder?«
Rachel hielt ihre Glock in beiden Händen und hatte die gesamte Szenerie im Visier.
Raylan, der jetzt auf den Audi zuging, ließ Rachel nicht aus den Augen. Sie wartete, bis er eingestiegen war und den Motor angelassen hatte, bevor sie die Tür öffnete.
»So, wie du ihm das erklärt hast«, sagte sie dann, »hättest du ihm auch gleich in die Eier treten können.«
»Anders wäre er nicht mitgekommen«, sagte Raylan. »Zugekifft, wie er war – zumindest wird er das seinem Bruder gegenüber behaupten.«
»Und wenn er die Waffe gehoben hätte?«
»Hättest du ihn erschossen«, sagte Raylan.
Als sie vom Hof fuhren, sagte Raylan: »Die werden abhauen und untertauchen.« Er hielt inne. »Oder den Arzt kontaktieren. Diese Crowes. Coover, ein chronischer Kiffer. Dickie ...«
»Will sich nicht die Hände schmutzig machen«, sagte Rachel.
»Auf Dickie müssen wir aufpassen«, sagte Raylan, »der ist clever. Und Cuba ... denkt gerade darüber nach, ob er mit diesen Idioten überhaupt gesehen werden will.«
Rachel sagte: »Art wird wissen wollen, was wir vorhaben.«
»Wir sagen ihm, dass wir ihnen dicht auf den Fersen sind. Und dass wir wieder anrufen, wenn wir Hilfe brauchen.«
»Wir versuchen also gar nicht erst, die Haftbefehle zu kriegen?«
»Brauchen wir nicht. Hetzen wir ihnen lieber die Staatspolizei auf den Hals. Damit wir wissen, wo sie hinfahren.«
Rachel sagte: »Raylan ... Rechnest du wirklich damit, dass sie uns direkt zu dem Arzt führen?«
»Glaubst du nicht?«
»Ich habe erhebliche Zweifel.«
»Sollten sie nicht mitspielen«, sagte Raylan, »bete ich zum heiligen Christophorus, dass er ihn für uns findet.«