II

Tief in der entlegensten Kammer des Kerkers stemmte sich der Dämonenfürst Fenton Blackwell in voller Drei-Meter-Größe gegen die schweren Eisenketten, die vom Hals bis zu den Knöcheln um ihn herumgewickelt waren. Man hatte ihn rücklings auf eine Steinliege gefesselt, eine demütigende Zurschaustellung. Sicherheitshalber hatte man ihn mit einem glühenden Schürhaken geblendet und seine großen Hörner abgesägt – die schlimmste Beleidigung, die man einem Dämonenfürsten zufügen konnte.
»Ich weiß nicht, warum wir den unchristlichen Kerl nicht einfach in Stücke hacken«, sagte der Obergefreite Flavius in der schwarzen Rüstung. »Lass mich einfach seinen bösartigen Kopf abschneiden und ihm das Herz mit einem Löffel rausschneiden. Der Kerl ist eine Beleidigung für alles, was recht ist, einfach nur, indem er am Leben ist. Er ist nichts weiter als eine von Luzifers Obszönitäten.«
Aber Flavius war jung und unbeherrscht; sein Hass auf den Morgenstern machte ihn leichtfertig. General Galland war der Kommandant über Ezoriels Kerker, und durch seinen unermesslichen Erfahrungsschatz kannte er die Wirkung der Gefangenschaft. »Es ist eine viel größere Kränkung für Luzifer, die Bestie in Ketten zu erniedrigen, als ihn zu töten«, sagte Galland. »Ezoriels Weisheit ist unser Gesetz. Wir dürfen das nicht vergessen.«
Die beiden Wachen beäugten den Dämonenfürsten zufrieden. Gleichermaßen befriedigt beobachteten sie Ezoriels Zweifrontenangriff auf dem ovalen Fernseher in ihrer Wache. Glorreich, dachte Galland. Nicht nur durchdrangen die Truppen seines Herrn machtvoll die Fleischlabyrinthe, auch die Tochter des Äthers marschierte durch die Kommission für Justizfolter und hinterließ nichts als Trümmer und Vernichtung.
»Was für ein wunderbarer Tag in der Hölle«, flüsterte er seinem Gehilfen zu.
»Ehre der Heiligen Cassie und Ezoriel!«
Doch da wirbelten beide Köpfe unvermittelt zu ihrem Gefangenen herum; der blasphemische Dämonenfürst Blackwell fing an zu lachen.
»Schweig, du niedere Kreatur!« Flavius näherte sich dem Gefangenen und brüllte ihn an. Er hob das Schwert.
Blackwell lachte einfach weiter, die breite Brust drückte gegen die Ketten.
Galland kam noch näher und klappte das Visier hoch.
»Du lachst? Während Satans Festung am Rande der Zerstörung steht?«
Das Gelächter dröhnte wie Kanonenfeuer. Die Zellenwände erzitterten, bis der Mörtel zwischen den Steinen hervorbröselte.
»Na schön«, entschied Galland. »Wollen doch mal sehen, wie herzhaft du noch lachst, wenn wir dir dein bösartiges Maul vernieten. Obergefreiter! Mach ein paar Nieten für unseren fröhlichen Freund hier heiß.«
»Wird mir ein Vergnügen sein, Sir.«
Doch Flavius hatte keine Zeit mehr, die Nieten vorzubereiten, denn …
KLONK!
Blackwells nächster Ausbruch von Gelächter dehnte seine Brust so stark, dass die längste Kette zersprang.
»Ruf Verstärkung!«, befahl Galland. »Und hol eine Hellebarde.«
Jetzt bebten die Kerkerwände, als erschütterte ein Erdbeben die gesamte Festung. Galland trat zurück, als wieder eine Kette zerriss.
KLONK!
Und noch eine, und noch eine …
KLONK! KLONK!
Galland zog das Schwert.
Das ist unmöglich! Diese Kette würde einen Caco-Dämon bezwingen!
Das Gelächter dröhnte, dann …
ZONG!
… zersprangen die letzten Ketten am Körper des Dämonenfürsten.
Jetzt bekam Galland es mit der Angst zu tun.
»Schnell, die Hellebarde!«, schrie er. »Die Bestie entkommt!«
Galland erwartete, dass die Kreatur aufstehen und angreifen würde. Dämonenfürsten konnten zwar zerstört werden, aber dazu bedurfte es großer Stärke – das Herz eines solchen Ungeheuers musste aus der Brust geschnitten, danach der Kopf abgetrennt und zerstört werden – und Galland wusste, dass er dafür viele Soldaten brauchen würde.
Flavius und er allein hatten keine Chance.
Inzwischen gellte die Sirene durch die Festung, und Flavius kam zurückgerannt, seine Hellebarde hoch in die Luft gestreckt.
Doch der Dämonenfürst Blackwell erhob sich nicht von seinem Lager. Er lag einfach nur da und lachte so laut und heftig, dass Galland schier taub wurde.
»Warum greift er uns nicht an?«, rief Flavius.
Ich weiß es nicht, dachte Galland.
Und dann sprang er auf, warf sich auf die Kreatur und rammte ihr die Spitze seines Schwerts direkt ins Herz.
»Gott erlöse uns«, murmelte Flavius und ließ seine Hellebarde entsetzt zu Boden sinken.
Das Gelächter verebbte, als Gallands Schwert eintauchte. Luzifer hat uns überlistet, stellte er in verzweifelter Überraschung fest.
Das Wesen in der Zelle sank einfach in sich zusammen, während aus der Wunde eine verpestete Flüssigkeit austrat.
»Es ist ein Hex-Klon«, ächzte Flavius.
»Ja«, erkannte Galland beschämt. Er warf sein Schwert zu Boden. »Wir wurden getäuscht. Schick auf schnellstem Wege Boten los, wir müssen Ezoriel unverzüglich benachrichtigen und ihn zum Rückzug bewegen. Und wir müssen das Ätherkind warnen – falls sie nicht bereits gefangen genommen wurde …«
Denn es gab keinen Zweifel: Diese faulige Fleischhülle war nicht der, für den sie ihn gehalten hatten, und es gab nur einen Ort, an dem der echte Dämonenfürst Blackwell sein konnte …
Inferno
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