IV
»Sehr gut. Jetzt
haben wir also die Knochen. Und weiter? Wir gehen wieder durch den
Spalt, zurück zum Bahnhof und fahren mit dem Zug bis zum Pogrom
Park. Von da aus machen wir uns auf die Suche nach dieser
Kommission für Justizfolter, richtig?« Cassie klang leicht
gereizt.
»Richtig«, sagte Via.
»Ganz einfach.«
»Klar, klingt total
einfach.«
Sie waren wieder auf
dem Pfad hinter dem Haus, in der Nähe des Übergangs. Cassie
schleppte die Knochen von Fenton Blackwell in einem Kartoffelsack
hinter sich her.
Du lieber Himmel, Knochen sind schwerer, als ich
dachte.
»Die Ruhmeshand wird
doch noch funktionieren, oder?«, erkundigte sie sich.
»Keine Sorge«,
versicherte Via. Hush hielt ihre abgetrennte Hand hoch, während Via
die Fingerspitzen wieder anzündete. »Ohne die Hand wären wir ganz
schön aufgeschmissen, wir könnten nicht mal in den Zug steigen,
ohne aufzufliegen. Also entspann dich einfach. Wir sind in null
Komma nichts bei der Kommission.«
Das beruhigte Cassie
etwas. Je eher sie Lissa befreiten, desto besser.
»Ein kleines
Problemchen haben wir allerdings noch«, sagte Via. »Dein
Verhältnismäßigkeitselixier wirkt nicht mehr, und wir haben keine
Zeit, neues zu besorgen. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, aber
du musst da jetzt einfach durch.«
Na großartig, dachte Cassie. Ihr wurde schon beim
bloßen Gedanken schlecht. Gott sei Dank hatte sie schon länger
nichts mehr gegessen.
»Also
weiter.«
An den Weg durch den
Spalt hatte sie sich inzwischen beinahe gewöhnt, als wäre es völlig
normal, die Schwelle von einer Welt in die andere zu überschreiten.
Inzwischen war es zwei Uhr nachts vorbei, doch sie wusste, die Zeit
würde für sie wieder stehen bleiben, wenn sie die Hölle
betrat.
Die Welt wurde
schwarz, dann blickte sie hoch in den merkwürdigen rötlich braunen
Himmel. Sie versuchte, sich einen Plan zurechtzulegen, eine Taktik
oder eine Strategie. »Sollten wir uns nicht überlegen, wie wir
vorgehen?«, schlug sie vor, als Via und Hush hinter ihr durch den
Spalt traten. »Wir können schlecht einfach in das Gefängnis
marschieren, Lissa suchen und wieder rausmarschieren.«
»Doch, genau das
machen wir«, entgegnete Via. Gemeinsam traten sie den Weg den
rauchenden Hügel hinunter an. »Und ich sage dir auch, wie.
Hiermit«, sie hielt die Ruhmeshand hoch, »und damit«, jetzt zeigte
sie auf den Kartoffelsack in Cassies Hand.
»Du meinst, wir
erkaufen uns den Einlass?«
»Nein, nein, so
nicht. Das ist nicht dasselbe wie die Fischgräten.«
»Aber ich dachte,
Knochen wären bares Geld?«
»Das Skelett in dem
Sack da ist viel mehr wert als Geld. Es ist eine Reliquie der
Macht. Wart’s ab, du wirst schon sehen.«
Immerhin hatte Via
bisher mit praktisch allem Recht gehabt, was sie Cassie erklärt
hatte. Vielleicht machten die Spritztouren in die Hölle sie nur
langsam pessimistisch.
Die ganze Sache klingt viel zu
einfach.
Via hielt die Hand
hoch, als sie aus dem Ekel erregenden Wald traten. Doch dann blieb
sie stehen und schnüffelte in die Luft.
Auch Hush
schnüffelte.
»Riecht ihr das
auch?«, fragte Via.
Hush nickte, und
jetzt bemerkte es auch Cassie. »Riecht, als würde irgendwo Laub
verbrannt«, sagte sie. »Oder so was in der Art.«
Aber Via machte ein
sehr finsteres Gesicht. »Hush, riechen wir das, was ich
denke?«
Wieder nickte
Hush.
Cassie wurde langsam
ärgerlich, denn sie verstand mal wieder kein Wort. »Was? Was ist es
denn dann?«
»Das ist
Serrowurzel«, sagte Via. »Verdammt, irgendjemand vollzieht hier
einen Expossenritus.«
»Und was bedeutet
das?«
Via seufzte. »Das
bedeutet, dass wir nicht mehr unsichtbar sind.«
»Wie bitte?«, schrie
Cassie.
»Es ist das einzige
Ritual in der Hölle, das gegen eine Ruhmeshand wirkt.«
Cassie war empört,
doch dann zählte sie zwei und zwei zusammen. »Das heißt also, dass
die Constabler …«
»Uns schon erwarten«,
beendete Via den Satz.
Hush deutete nervös
durch die niedrigen Zweige auf das Ödland zwischen ihnen und dem
Bahnhof.
Mindestens eintausend
Dämonen warteten dort in auf sie.