14
Von den Toten zurückgekehrt

I
Shinzaemon schaute Sachi mit ruhigem,
eindringlichem Blick an. Er hatte nicht die Schönheit eines
Kabuki-Schauspielers, wie es bei Daisuké gewesen war. Dafür war
sein Gesicht zu grimmig, zu kraftvoll. Sie erkannte seine
Überlegenheit, seine zwanglose Anmut, diesen Ausdruck, als wolle er
die ganze Welt erobern. Auch wenn er auf der Seite der Verlierer
gekämpft hatte, drückte seine Haltung Stolz aus.
Sie sah ihm an, dass er Sonne und Wind ausgesetzt
gewesen war. Sein Gesicht war dunkel gebräunt, seine Kleidung
abgetragen und zerknittert. Der Anflug eines Schnurrbarts spross
auf seiner Oberlippe.
Im Geiste rannte sie zu ihm, doch sie bewegte sich
nicht. Sittsam und gelassen blieb sie stehen, wie es sich für eine
Frau geziemte. Sie brannte darauf, sich in seine Arme zu werfen,
tat es aber natürlich nicht. Sie senkte den Blick und verbeugte
sich.
Taki verneigte sich ebenfalls, hielt sich den Ärmel
über die Augen.
»Shin«, sagte sie. »Du musst müde sein. Willkommen
zu Hause. Es ist lange her.«
Shinzaemon verbeugte sich feierlich.
»Unverzeihlich«, sagte er. »Ohne Vorwarnung hier
einzutreffen.«
Seine Stimme war ein tiefes Rumpeln. Sachi nahm
seinen Geruch wahr - den salzigen Geruch von Schweiß, vermischt mit
Tabak. Sie erinnerte sich, wie oft sie diesen Geruch eingeatmet
hatte - unterwegs auf der Inneren Bergstraße, während sie auf der
Passhöhe gestanden hatten, als er sie auf der Brücke in die Arme
schloss.
Sie verneigte sich, formte die angemessenen Sätze,
wusste jedoch kaum, was sie tat. Sie wartete - wartete darauf,
endlich mit ihm allein zu sein.
Die Verbeugungen schienen nicht enden zu wollen.
Dann griff Taki nach Harus Ärmel. Langsam, gemächlich - so kam es
Sachi wenigstens vor - schlüpften sie erst aus der einen, dann der
anderen Sandale und betraten die schummrige Eingangshalle. Wieder
verbeugten sie sich und gingen nach drinnen. Sachi sah ihnen nach,
bis sie verschwunden waren.
Die Sonne versank, und der Himmel war mit Rot,
Silber und Gold gestreift.
Sachi hatte so lange auf diesen Augenblick
gewartet, doch nun, wo er gekommen war, wurde sie schüchtern wie
ein kleines Mädchen. Sie blickte zu Boden. Shinzaemons Tabi-Socken
waren staubig, seine Sandalen ausgetreten und zerrissen. Die
Strohbänder waren mehrfach neu geknotet. Der Saum seiner
Kimonoröcke war fleckig.
Er betrachtete sie unter seinen dicken Brauen
hervor.
»Du bist zurückgekommen«, hauchte sie.
»Nantonaku«, erwiderte er.
»Irgendwie.«
Bei ihrem letzten Zusammensein hatten sie geglaubt,
sie würden einander nie wiedersehen. Schüchtern blickte sie zu ihm
auf, dachte an diese Begegnung. Er schaute sie ebenfalls an. Sein
Blick war auf ihr Gesicht gerichtet, als müsse er sich jeder
Rundung, jeder Linie darin vergewissern. Etwas an ihm hatte sich
verändert. Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln. Sein kurz
geschorener Kopf ließ ihn wie ein spitzbübisches Kind aussehen.
Selbst als er das Haar noch zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden
trug, hatte sie sein Gesicht nie so deutlich sehen können.
»Was hältst du davon?«, fragte Shinzaemon mit einer
Grimasse, legte die Hand an den Kopf.
Zwischen seinen Brauen war eine Falte, die vorher
nicht da gewesen war. Ganz kurz erhaschte sie einen flüchtigen
Eindruck dieses abwesenden Blicks, den sie in Tatsuemons Augen
wahrgenommen hatte: als hätte er Dinge gesehen, über die er nie mit
ihr sprechen könnte. Aber die Kämpfe lagen einen halben Monat
zurück. Er hatte überlebt. Seither hatte er sich hierher
durchgeschlagen. Vielleicht war es die Zukunft, in die er blickte,
nicht die Vergangenheit.
»Du siehst anders aus.« Sie lächelte ihn an. »Das
ist eine gute Tarnung. Niemand würde dich so erkennen.«
»Aber du schon.«
»Ja«, flüsterte sie, wollte ihn berühren, seinen
muskulösen Körper, seine starken Hände spüren. Doch sie hielt sich
zurück. Je länger sie wartete, desto stärker wurde das
Verlangen.
Er griff in seinen Ärmel und zog einen Kamm heraus.
In Gold gefasstes Schildpatt mit einem aufgeprägten Wappen. Der
Kamm ihrer Mutter, das Wappen ihrer Mutter. Das hatte sie nicht
gewusst, als sie Shinzaemon den Kamm gab. Nun wusste sie es, und
dieses Wissen hatte auch sie verändert.
»Er hat mich beschützt. Besser als die Rüstung.
Besser als ein Tausend-Stiche-Gürtel.«
Da war so vieles, was sie ihm erzählen musste, aber
sie wusste plötzlich - freudig -, dass sie später darüber reden
konnten. Sie hatten das ganze Leben vor sich und alle Zeit der
Welt, miteinander zu reden.
»Komm und schau dir die Gärten an«, sagte
sie.
Sie bahnten sich ihren Weg entlang der
überwucherten Pfade. Büschel von Chinaschilf wiegten sich im Wind,
ließen Schauer von Flaum durch die Luft wirbeln wie Schnee.
Insekten sirrten, die letzten des Jahres. Ahorn leuchtete in
flammenden Farben. Sie führte ihn zur Brustwehr.
Seite an Seite blickten sie hinab auf das
Goji-in-Feld und das Land, auf dem einst die Residenzen der Daimyo
gestanden hatten. Überall waren Menschen und arbeiteten emsig. Der
Städterbezirk in der Ferne starrte vor Bambusgerüsten, und
Handwerker krabbelten herum wie Ameisen, errichteten eifrig Wände
und Dächer. Das Klopfen Tausender Hämmer hallte deutlich und scharf
über die leeren Flächen.
Mitten in all diesem Treiben erhob sich der Hügel,
still und tot. Vögel kreisten, schwarze Punkte am dunkler werdenden
Himmel, und krächzten unheilvoll.
Sie standen so nahe beieinander, dass sie die Wärme
seines Körpers spürte.
»Hier kam ich immer her«, sagte sie. »Jeden Tag.
Und blickte zum Hügel und fragte mich, ob du dort wärst. Ich
dachte, ich würde dich nie wiedersehen.«
»Tatsuemon hat mir erzählt, was du getan hast
…«
Die Erinnerung an diesen schrecklichen Tag stieg
wieder in ihr auf. Die aufgedunsenen Gesichter, die klaffenden
Wunden und starrenden Augen, die Fliegen, der Gestank. Sie war so
voller Angst gewesen, ihn dort zu finden. Und jetzt stand
er neben ihr, so warm, so lebendig. Tränen traten ihr in die
Augen, und sie verbarg ihr Gesicht hinter ihrem Ärmel.
Er nahm ihre Hand und drückte sie fest. Sie spürte
die Schwielen auf seiner Handfläche, rau an den Stellen, wo er das
Schwert gehalten hatte.
Sie hielt den Atem an, und Shinzaemon zog sie an
sich. Sie spürte die harten Muskeln in seinen Armen und dem
Brustkorb, spürte seinen Herzschlag und das Heben und Senken seines
Bauches beim Atmen. Seine Lippen streiften ihr Haar. Seine
Berührung war nicht ungestüm, wie sie es früher gewesen war,
sondern sanft. Er knabberte an ihren Ohren, ihrem Nacken, ihrer
Wange. Dann fand sein Mund den ihren.
Sie wich zurück und blickte ihn stirnrunzelnd an.
Sie wusste mit absoluter Gewissheit, dass sie ihr Leben mit diesem
Mann verbringen wollte. Nantonaku. Irgendwie. Nie zuvor in
ihrem Leben hatte sie etwas so sehr gewollt.
Lächelnd glättete er ihre Stirn mit den Fingern.
»Deine Augen«, sagte er. »Ich konnte diese Augen nie vergessen.
Diesen Mund. Die Rundung dieser Wange. Dieses Lächeln.«
Er strich mit einem Finger über ihre Wange, um ihr
Kinn, entlang ihres Halses. Bei seiner Berührung kribbelte es in
ihr. Es war, als hätte sie nie zuvor gewusst, wie es ist, lebendig
zu sein.
»Du«, flüsterte er. Wieder dieses Wort.
Sie stiegen von der Brustwehr herab, und er zog sie
ins Gras hinunter. Die vielen Lagen ihres Kimonos bauschten sich,
bildeten ein weiches Kissen unter ihr. Sie waren umgeben von einer
Laube hoher Gräser, die raschelten und schwankten. Flaum kitzelte
sie in der Nase, die Gerüche der trockenen Halme und Wildblumen
wirbelten um sie herum. Sie ließ sich in die Weichheit sinken,
wollte sich in dem Duft auflösen. An diesem geheimen Ort, das
wusste sie, waren sie unsichtbar.
Sein Gesicht war dunkel vor dem Himmel. Die letzten
Strahlen der sinkenden Sonne berührten sein Haar, ließen es wie
eine Aureole aufleuchten.
Sie schloss die Augen, als sich seine Lippen zu
ihrem Hals bewegten.
II
»Nun schau dich an, Shin«, sagte Taki. »Du hast
nicht ordentlich gegessen. Wir müssen dafür sorgen, dass du wieder
etwas auf die Rippen bekommst.«
Ein Sonnenstrahl drang durch die hölzernen
Regentüren, durchschnitt die Morgenluft, brachte Staubteilchen zum
Glitzern und ließ den Dampf aufleuchten, der über dem Reis und der
Misosuppe waberte.
Shinzaemon saß gelassen und unbewegt da, während
Haru und Taki um ihn herumwieselten, seine Teetasse füllten, Reis
in seine Schale löffelten, ein Gericht nach dem anderen auftrugen,
ihm gebratenen Fisch und gedämpftes Gemüse servierten. Der Raum war
erfüllt von appetitlichen Aromen.
Sachi kniete still daneben, spielte die huldvolle
Gastgeberin, sorgte dafür, dass alles nach seinem Geschmack war.
Hin und wieder trafen sich ihre Blicke. Die Süße des Abends zuvor
kribbelte noch in ihr. Unter ihrer sittsamen Fassade brannte sie
mit ungestümer Freude, als sei ein Feuer in ihr entfacht worden,
das nie gelöscht werden konnte. Sie spürte das Blut ihrer Mutter
durch ihre Adern rauschen. Genau wie sie würde sie das Leben mit
beiden Händen ergreifen. Sie würde das bekommen, was sie wollte,
ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.
Aber im kalten Tageslicht war ihr mehr denn je
bewusst,
wie beängstigend das war. Sie hatte jetzt einen Vater, einen
einflussreichen Beamten auf Seiten des Südens. Zugegeben, er war
kein Vater, wie Jiroemon es gewesen war. Er konnte nicht von ihr
erwarten, ihm fraglos zu gehorchen, wie das Väter für gewöhnlich
taten. Aber ein Vater war ein Vater, und sie wollte sich nicht mit
ihm überwerfen. Nicht jetzt, wo sie ihn gerade erst gefunden
hatte.
Sachi wusste nur zu gut, dass sie nicht frei war
und es nie sein konnte. Frauen waren Besitztümer und gehörten ihrer
Familie. Durch die Wiedervereinigung mit ihrem Vater hatte sie
letztlich nichts anderes gefunden als weitere Ketten, die sie
fesselten. In ihrem Hochgefühl, Shinzaemon wiederzusehen, hatte sie
sich eingebildet, dass die Dinge anders liegen könnten. Nun wurde
ihr klar, dass dem nicht so war.
Sie blickte Shinzaemon an, der seine Schale mit
einem Stück eingelegtem Rettich auswischte und sie dann mit Tee
ausspülte. Er war ein solcher Soldat, ein solcher Ronin. Sie
versuchte, ihn sich als angesehenes Mitglied der Gesellschaft
vorzustellen, der den Pflichten des adoptierten Sohns eines
Regierungsbeamten nachkam. Der Gedanke brachte sie zum Lächeln.
Noch schwerer ließ sich vorstellen, dass Daisuké eine Verbindung
mit einem abgerissenen Rebellen billigen würde, der auf der Seite
der Verlierer gekämpft hatte - ein Feind, ein Soldat aus der
verachteten Armee des Nordens.
Aber Daisuké war auch einmal jung gewesen. Auch er
war wütend, idealistisch, aufbrausend und voller Leidenschaft
gewesen. Vielleicht würde er in Shinzaemon sich selbst
wiedererkennen.
Daisuké würde bald eintreffen, und Edwards auch.
Sachi fröstelte. Besser, sie stellte sich nicht vor, was dann
passieren würde.
Taki räumte gerade Shinzaemons Frühstückstablett
ab, als
draußen Schritte zu hören waren. Sachi hielt den Atem an.
Vielleicht war es Daisuké … Dann ertönte das Knirschen von
Tierhautstiefeln, die sich über den Hof näherten.
Edwards. Furcht überkam sie. Sie war mit ihm allein
gewesen und hatte zugelassen, dass er ihre Hand hielt. Nur er
wusste, was zwischen ihnen geschehen war. Ausländer waren so offen,
so leicht zu durchschauen. Wenn er auch nur ein Wort davon erwähnte
oder eine Andeutung machte, würde Shinzaemon …
Türen öffneten und schlossen sich, Schritte tappten
auf sie zu. Sachi hörte, wie Taki Edwards aufgeregt erzählte, dass
Shinzaemon zurück war.
Die beiden jungen Männer hatten einander nicht mehr
gesehen, seit sie auf der Inneren Bergstraße zusammen gereist
waren. Shinzaemon war reizbar und misstrauisch gewesen. Sachi hatte
gespürt, wie sich seine Augen jedes Mal in sie bohrten, wenn sie
mit Edwards sprach. Und Edwards musste sich gedacht haben, dass
Shinzaemon alles andere als ein Leibwächter war, obwohl auch er
Abstand gehalten hatte.
Sie erinnerte sich, wie sie zu Shinzaemon und
Edwards zurückgeblickt hatte, bevor Taki und sie das Tor der Damen
des Shogun aufgestoßen hatten, um auf das Palastgelände zu
gelangen. Sie konnte die Männer immer noch vor sich sehen, auf der
anderen Seite der Brücke - die beiden riesenhaften Ausländer und
den stämmigen Ronin. Aber seither hatten sich die Dinge geändert.
Edwards hatte sie auf dem Hügel gerettet und war freundlich zu
Tatsuemon gewesen. Shinzaemon stand in seiner Schuld.
Wenn sie Edwards jetzt betrachtete, sah sie in ihm
ein menschliches Wesen, und nicht nur das, sondern auch einen Mann.
Aber auf Shinzaemon wirkte er vermutlich wie eine Kreatur von einem
anderen Stern. Und was Edwards betraf,
der würde Shinzaemon mit dem kurzen Haar vielleicht gar nicht
wiedererkennen.
Die große Halle schien zu schrumpfen, als Edwards
hereingetrampelt kam. Als er durch den Sonnenstrahl schritt, der in
den Raum fiel, glänzte sein strohfarbenes Haar wie gesponnenes
Gold, und Sachi fing einen Hauch seines exotischen Körpergeruchs
auf - fleischig, stechend, nach ausländischen Gewürzen, Tierhaut
und anderem Undefinierbarem. Das vermittelte ihr das Gefühl von
sich öffnenden Türen, von weiten, offenen Räumen, von frischem Wind
und neuen Möglichkeiten. Wenn Edwards zugegen war, erkannte Sachi,
dass es andere Welten gab, andere Möglichkeiten, Dinge zu
tun.
Bei dem Gedanken, dass mit all dem, mit dieser
Verbindung zur großen weiten Welt nun Schluss war, überkam sie
Traurigkeit. Und - obschon sie sich das kaum einzugestehen wagte -
es tat ihr leid, dass sie ihn wohl nicht wiedersehen würde. Sie
begriff jetzt, dass sie seine Gesellschaft zu ihrem eigenen Trost
genossen hatte. Seine Aufmerksamkeit hatte ihr geschmeichelt, und
sein romantisches Gerede hatte sie berührt. Sie hatte Shinzaemon
für tot gehalten, doch nun, wo er zurückgekehrt war, wusste sie,
dass ihr Herz ihm gehörte.
Edwards war verblüfft, Shinzaemon zu sehen, riss
sich jedoch rasch zusammen und verneigte sich höflich. Sachi
schaute auf die beiden gebeugten Köpfe. Die beiden Männer waren wie
Sonne und Mond, zwei Seiten derselben Münze. Einer mit blondem
Haar, der andere mit schwarzem. Der gewandte Diplomat und der
raubeinige Soldat. Sie gehörten beide zu Welten, über die Frauen
nichts wussten, und würden sicherlich begierig darauf sein, über
Männerthemen zu sprechen, über Politik und Krieg zu diskutieren.
Aber da war auch ein unausgesprochenes Misstrauen. Beide würden
sich fragen, in welcher Beziehung der andere zu diesen Frauen
stand. Zu Sachi.
»Und Tatsu …?«, fragte Edwards.
»Vielen Dank«, sagte Shinzaemon. Er verhielt sich
schroff und formell. »Ihm geht es gut. Wir waren zusammen. In
Wakamatsu.«
Den Namen stieß er mit einem Blitzen in den Augen
hervor, als wolle er deutlich machen, dass er sehr wohl wusste,
welche Seite die Engländer unterstützten.
Sachi hörte aufmerksam zu. Sie wollte unbedingt
erfahren, was Shinzaemon getan hatte, wo er gewesen war, alles, was
seit ihrem letzten Zusammensein geschehen war. Sie stellte sich
Geschichten von heroischen Taten vor, von tapferen Männern, die bis
zum Letzten gekämpft hatten, allen Widrigkeiten zum Trotz. Doch
seine Lippen waren fest zusammengepresst, und sie wagte nicht zu
fragen.
»Sind Sie zusammen zurückgekommen?«, fragte
Edwards.
»Tatsuemon ist nach Norden geritten«, erwiderte
Shinzaemon. »Um sich der Tokugawa-Marine anzuschließen. Vielleicht
haben Sie es gehört - Admiral Enomoto befehligt die besten
Tokugawa-Kriegsschiffe und ist nach Ezo in See gestochen. Er führt
den Widerstand von dort aus an. Nachdem die Burg fiel, haben sich
viele Männer dorthin auf den Weg gemacht.«
Edwards nickte. »Der Krieg hat es nicht gut mit den
Truppen des Nordens gemeint.«
»Er ist noch nicht vorbei«, knurrte
Shinzaemon.
»Aber Sie sind zurückgekehrt«, sagte Edwards spitz.
Sein Ton war höflich, doch in seiner Stimme schwang ein Anklang von
Triumph mit, als hätte er einen Riss in Shinzaemons Rüstung
entdeckt. Als könne er einer Stichelei nicht widerstehen.
Shinzaemon war kein Feigling, das wusste Sachi
durchaus. Es musste einen guten Grund gegeben haben, warum er nicht
mit seinen Kameraden nach Norden geritten, sondern stattdessen
nach Edo zurückgekehrt war. Das lag nicht nur daran, dass er sie
sehen wollte. Etwas musste geschehen sein, etwas
Entsetzliches.
Shinzaemons Schulter bewegte sich ein bisschen,
wenngleich Sachi bezweifelte, dass Edwards es überhaupt bemerkt
hatte. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort hätte Shinzaemon
nach der nächstbesten Waffe gegriffen. Doch er bemühte sich nur
nach Kräften, unbeweglich wie ein Fels dazusitzen.
In der Eingangshalle ertönte eine Stimme. Daisuké
kam so beiläufig in die große Halle geschlendert, als sei es sein
eigenes Haus, ohne sich damit aufzuhalten, angekündigt zu werden.
Er sah groß, glücklich, selbstsicher und gut aus, ein Mann, der
alles erreicht hatte, von dem er überhaupt hatte träumen können.
Nur eines fehlte zur Vervollständigung seines Glücks. Sachis
Mutter.
Er blieb abrupt stehen, als er Shinzaemon und
Edwards erblickte, und schaute vom einen zum anderen, hob fragend
die schweren Brauen. Ein überraschtes Stirnrunzeln zeigte sich auf
seinem breiten, glatten Gesicht mit den leichten Hängebacken.
Sachi sprang auf, um ihn zu begrüßen.
»Vater«, sagte sie und verbeugte sich.
Shinzaemon und Edwards sanken auf die Knie. Edwards
stellte sich vor.
»Sie gehören also zur britischen Gesandtschaft«,
sagte Daisuké. »Ich kennen Satow-dono. Er war sehr großzügig zu
uns. Die Engländer haben unsere Sache sehr großzügig unterstützt.
Ich bin Ihnen für Ihre Freundlichkeit gegenüber meiner Familie zu
Dank verpflichtet.«
Er verneigte sich tief, war voll beflissener
Höflichkeit. Edwards war ein Ausländer und Gast in ihrem Land.
Trotzdem
warf er ihm einen scharfen Blick zu, als fragte er sich, was um
alles in der Welt der Mann hier tat.
»Shinzaemon aus dem Hause Nakamura, Lehen von
Kano«, sagte Shinzaemon in seinem formellsten Tonfall. Seine großen
Schwertkämpferhände waren auf die Tatami gedrückt, die
Fingerspitzen aneinander, und sein Kopf mit dem Schopf stacheliger
schwarzer Haare war gebeugt. Sachi hatte ihn nie so förmlich
erlebt. Sie blickte zu Daisuké. Ein Ausländer war eine Sache - man
hatte Ausländern mit Höflichkeit und Respekt zu begegnen -, doch
Shinzaemon war ein Ronin. Das war ihm deutlich anzusehen. Er war
ein Außenseiter ohne Vasallentreue, ohne Clan, ohne irgendjemandem
verpflichtet zu sein. Daisuké würde das sofort erkennen.
»Die Nakamura von Kano …«, sagte Daisuké gedehnt.
»Der Lehnsfürst von Kano hat sich erst vor Kurzem dem Kaiser
angeschlossen, wenn ich mich recht erinnere. In Kano herrschte eine
gewisse Uneinigkeit, auf welche Seite man sich stellen sollte,
nicht wahr?«
»Ich weiß nicht viel über die Politik von Kano«,
sagte Shinzaemon hastig. Offensichtlich wollte er vermeiden, in
eine unangenehme politische Diskussion verwickelt zu werden. »Mein
Vater ist ein Samurai mittleren Ranges und ein Verwaltungsbeamter.
Ich wurde nach Edo geschickt, als ich noch sehr jung war. Ich habe
den größten Teil meines Lebens hier verbracht, in den verschiedenen
Stadthäusern der Kano-Residenz.«
Sachi schaute vom einen zum anderen. Sowohl Daisuké
als auch Shinzaemon hatten ihre gesellschaftliche Stellung
beiseitegeworfen. Daisuké hatte sein Leben als niederrangiger
Handwerker begonnen, war aber jetzt eine führende Figur in der
neuen Regierung. Shinzaemon hatte die Privilegien seines
Samurai-Status abgelehnt und seinen Clan verlassen, um seinen
Idealen zu folgen. Sie hatten beide die alten, hierarchischen
Restriktionen abgeschüttelt, um ihren eigenen Weg im Leben zu
finden. Wenn Daisuké doch nur erkennen könnte, wie ähnlich sie sich
waren.
»Shinzaemon hat sich unterwegs um uns gekümmert,
Vater«, sagte sie. »Wir sind zusammen gereist. Er ist ein großer
Schwertkämpfer.«
»Er ist wie ein Bruder für uns«, fügte Taki
hinzu.
»In dem Fall stehe ich in Ihrer Schuld«, sagte
Daisuké ernst zu Shinzaemon und blickte ihn scharf an. »Wir müssen
miteinander reden, junger Mann. Ich muss wissen, wo Sie in gewissen
Dingen stehen - ob Sie für uns oder gegen uns sind.«
Shinzaemon nickte.
»Es gibt so vieles im Leben meiner Tochter, das ich
verpasst habe«, sagte Daisuké. »Ich freue mich, euch jungen Männer
kennenzulernen, die ihr sie beide beschützt habt.«
Sachi stieß einen tiefen Seufzer aus. Wenigstens
würde es zunächst zu keiner Konfrontation kommen. Taki entzündete
langstielige Pfeifen und reichte sie herum. Haru lief hinaus, um
Tee zu holen. Shinzaemon und Edwards zogen sich auf eine Seite des
Raumes zurück und rauchten schweigend.
»Ich habe etwas Wichtiges zu berichten«, sagte
Daisuké leise. Er sprach mit Sachi. »Ich glaube, das wird dich
glücklich machen. Gleich nachdem ich in Edo eintraf, ging ich zur
Residenz der Mizuno. Das war das Heim der Familie deiner Mutter.
Ich wollte das Haus sehen, in dem sie gelebt hatte. Das Haus war
eine Ruine. Die Mizunos waren enge Verbündete der Tokugawa und
hatten die Flucht ergriffen. Sie müssen unter den Ersten gewesen
seien, die flohen.
Seit ich dich gefunden habe, hatte ich den Traum,
dass wir zusammen leben könnten, wir alle. Jetzt scheint es, als
wäre das möglich. Die Anwesen und Paläste der Daimyo, die Feinde
des Staates waren, sind in den Besitz des Staates
übergegangen.«
Sachi fühlte sich unbehaglich. Sie wusste sehr
wohl, dass mit »Feinden des Staates« die loyalen Diener des Shogun
gemeint waren. Aber sie schwieg. Es stand ihr nicht zu, sich
dagegen aufzulehnen.
»Sie sollen zu Ministerien oder Unterkünften für
Regierungsbeamte umgewandelt werden«, fuhr Daisuké fort. »Ich habe
um die Mizuno-Residenz gebeten.«
Sachi spürte, wie sie ein Schauer überlief. Sie
hatte immer gewusst, dass ihr Vater große Ambitionen hatte - aber
daran zu denken, die Residenz einer Familie wie der Mizuno zu
übernehmen … Selbst wenn sie Verwandte waren, bedeutete das nicht,
dass Sachi ein Anrecht auf ihren Besitz hatte. Sie verstand
durchaus, dass die mit dem Norden verbündeten Lehnsfürsten geflohen
waren und den Beamten der neuen Regierung ihr Land übereignet
wurde. Aber trotzdem … Es kam ihr unheilvoll vor. So eine Tat würde
doch sicherlich Unglück über sie alle bringen.
»Die Mizuno-Familie war nicht sehr einflussreich«,
fuhr Daisuké fort, »und das Anwesen ist nicht besonders begehrt
oder geräumig. Es ist gerade richtig für jemanden von meinem
Rang.«
Haru war bei der Erwähnung der Mizuno-Familie
bleich geworden.
»Dort gibt es zu viele Geister«, flüsterte sie. »Zu
viele Erinnerungen. Aber vielleicht … könnten wir dem, was mit
meiner Herrin geschehen ist, auf den Grund kommen. Vielleicht
könnten wir sie finden.«
»Es gehört Herrn Mizuno«, sagte Sachi. »Wir können
es doch nicht einfach übernehmen.«
Herr Mizuno. Als sie den Namen aussprach, sah sie
ihn, als kniete er direkt vor ihr. Sie war im Schatten hinter der
Prinzessin verborgen gewesen. Herr Oguri, mit seinem verbindlichen
Höflingsgesicht, sprach, und Herr Mizuno hob den Kopf. Sie sah
seinen ledrigen Schädel, die grimmigen Augen, die krumme Nase, die
pockennarbige Haut, den dünnen, grausamen Mund. Es ließ sie
erschaudern. Er hatte einen nervösen Tick gehabt, erinnerte sie
sich. Sein Schwert hatte er am Tor abgeben müssen, aber sein Arm
zuckte trotzdem immer wieder, als wollte er es aus der Scheide
reißen - als erwarte er selbst im Frauenpalast einen Angriff.
Daisuké runzelte die Stirn, schaute sie mit einem
neugierigen, fragenden Blick an.
»Was weißt du von Herrn Mizuno?«, fragte er. »Er
ist tot, stimmt das nicht, Haru? Er starb vor langer Zeit.«
»Als Letztes habe ich von ihm gehört, dass er auf …
auf dem Totenbett lag«, flüsterte Haru. Ihre Stimme verklang
unsicher.
»Er ist nicht tot«, sagte Sachi. Taki und sie
hatten ihr Geheimnis sehr lange bewahrt. Aber nachdem es den Shogun
und den Frauenpalast nicht mehr gab, konnte sie nichts mehr am
Sprechen hindern. Sachi musste sich zurückhalten, um die Worte
nicht herauszuschreien. »Wir haben Herrn Mizuno gesehen, nicht
wahr, Taki? Er kam mit Herrn Oguri in den Palast, um uns zu
berichten, dass Seine Majestät erkrankt sei.«
Ein Geräusch durchbrach die Stille, das Klacken
einer langstieligen Pfeife am Tabakkasten. Die beiden seitlich
sitzenden jungen Männer bewegten sich leicht.
Harus Mund klappte auf. Sie hob die Hand, ließ sie
wieder fallen. Ein ersticktes Geräusch entfuhr ihr, etwas zwischen
einem Keuchen und einem Stöhnen, und ihr rundliches Gesicht schien
in sich zusammenzufallen.
»Er … Das kann nicht sein. Das ist unmöglich.« Sie
schüttelte den Kopf. »Nicht … Herr Mizuno. Herr Tadanaka Mizuno.
Bist du dir sicher?«
»Herr Tadanaka Mizuno«, erwiderte Taki. »Ich
erinnere mich ganz genau.«
»Er war ein übler Mann«, murmelte Haru. »Ein böser
Mann. Es wäre besser gewesen, wenn er gestorben wäre.«
Ein langes Schweigen entstand. Daisukés Gesicht
hatte sich in Falten gelegt und verdüstert. »Also war es eine
Lüge!«, brüllte er plötzlich und schlug mit seiner großen Faust auf
die Tatami.
»Was, Vater?«, flüsterte Sachi. »Was war eine
Lüge?«
Die Sonne hatte sich verzogen. Kerzen und Lampen
glommen in den dunklen Ecken, und ein Frösteln überkam sie alle.
Der Geruch von Tabakrauch wehte von der anderen Seite des Raumes
herüber, und Rauchfäden stiegen auf und kringelten sich um die
dunklen Deckenbalken. Edwards und Shinzaemon saßen da wie Statuen,
ihre Pfeifen in der Hand.
»Sie sagte, sie fürchte sich vor niemandem auf der
Welt, außer vor ihm.« Er wandte sich an Haru. »Stimmt es, was … was
sie mir erzählt hat? Dass es allein auf seine Veranlassung geschah?
Dass er sie zwang, in den Dienst des Shogun zu treten?«
»Ich dachte, er sei tot.« Haru wiegte sich vor und
zurück. »Ich erinnere mich, wie sie gestritten haben. ›Du bist eine
Frau‹, brüllte Herr Mizuno. ›Wie kannst du es wagen, dich mir zu
widersetzen! Du glaubst, du kannst ohne uns leben, aber du bist
nichts ohne uns. Du musst es tun. Zum Wohle unserer
Familie.‹«
»Du wolltest nicht in den Palast«, sagte Daisuké
leise. Eine Präsenz war bei ihnen im Raum. Sachis Mutter. Es war,
als könnte er ihre Stimme hören, als spräche sie mit ihm. »Hast du
mir das nicht erzählt? Für dich war es, als würdest du in ein
Kloster eintreten, als kämst du ins Gefängnis. Da waren dreitausend
Frauen und nur ein Mann, und alte Damen, die
jeden deiner Schritte beobachteten und bloß darauf warteten, dass
du einen Fehler begingst. Nur nähen und dein Haar frisieren, den
ganzen Tag - das war alles, worauf du dich freuen konntest. ›Das
ist kein Leben für mich‹, sagtest du. ›Ich bin eine wilde Kreatur.
Ich bin ein Vogel. Ich werde wegfliegen.‹«
»Welche Lüge, Vater? Welche Lüge meinst du?«,
flüsterte Sachi.
»Sie hatten alles, die Mizuno«, sagte Haru. Ihre
Stimme war verzerrt, als würden ihr die Worte gegen ihren Willen
entrissen. »Eine Burg, eine gewaltige jährliche Besoldung - aber
sie waren Kämmerer. Der Vater meiner Herrin war der Oberkämmerer
der Kisshu-Familie, und Herr Tadanaka, der junge Herr, konnte das
nicht ertragen. Er konnte es nicht ertragen, die Nummer zwei zu
sein. Er pflegte brüllend herumzustampfen und auf die Dienstboten
einzuprügeln. Dann wurde meine Herrin, seine Schwester, erwachsen,
und er sah eine Möglichkeit, das zu bekommen, was er wollte.
Er entschied, sie müsse in der Burg Edo in Dienst
treten, egal, als was. Eine Frau ihres Standes war berechtigt, als
jüngere Hofdame mittleren Ranges einzutreten. Aber auf der Ebene
gab es wenig freie Plätze, und die Konkurrenz war groß. Die alten
Damen trafen die Auswahl, und für sie zählte Schönheit nicht. Es
war viel einfacher, auf einer niedrigeren Ebene aufgenommen zu
werden, also befahl der junge Herr meiner armseligen Familie, sie
zu adoptieren. Ihr könnt euch vorstellen, was sie davon hielt! Doch
was sollte sie machen? Also wurde sie meine adoptierte Schwester,
und wir wurden beide als Dienstmädchen niederen Ranges
aufgenommen.
Herr Mizuno wusste, dass er meine Herrin nur im
Palast unterbringen musste, wo der Shogun ihrer ansichtig werden
würde. Sie war so verführerisch, so schön, so strahlend. Er wusste,
dass der Shogun ihr augenblicklich verfallen und
sie zur Dame seines Seitengemachs machen würde. Und sie würde die
ganze Familie mitziehen. Ihr Vater würde zum Daimyo erhoben werden,
und Herr Mizuno nach ihm. Glühwürmchen-Daimyo. Sie würden dem Feuer
in ihrem Schweif hinterherflattern. Nur lief es nicht ganz so. Der
Schlüssel zu allem war, dass sie dem Shogun einen Sohn und Erben
gebären musste. Aber ihr erster Sohn starb, dann starb ihr zweiter
…«
»Und alles begann, falsch zu laufen«, ergänzte
Daisuké. »Sie erzählte mir, dass Seine Majestät aufgehört hatte,
sie zu besuchen. Sie lernte mich kennen. Und dann schwoll ihr Bauch
an.«
»Es fiel auf«, flüsterte Haru. »Sie hatte
Feindinnen. Viele der Frauen waren eifersüchtig auf sie, und wenn
auch nur eine etwas davon erwähnt hätte, wäre es eine Katastrophe
für die gesamte Mizuno-Familie gewesen. Der junge Herr hätte sich
den Bauch aufschlitzen müssen, und das wäre das Ende der Familie
gewesen. Das hatte er mit aller Kraft verhindern wollen.«
»Er muss irgendwie Wind von unserer Affäre bekommen
haben«, sagte Daisuké. »Vielleicht hat er sie nach Hause beordert,
um sie aus dem Weg zu haben, bevor der Shogun und seine Ratgeber es
herausfanden.«
»Welche Lüge?«, flüsterte Sachi. »Dass er im
Sterben lag?«
»Um sie nach Hause zu holen. Um den Skandal zu
vertuschen.«
»Aber was hat er dann getan?« Sachi hörte, wie
klein und verloren ihre Stimme klang. »Was hat er getan, als meine
Mutter heimkam? Wo ist sie?«
Daisuké blickte Sachi an.
»Wenn jemand weiß, was aus deiner Mutter geworden
ist, dann er«, sagte er. »Wir werden ihn finden. Ganz gleich, was
dazu unternommen werden muss.«
In der großen Halle wurde es vollkommen
still.
Wenn sie nur Herrn Mizuno finden könnten, dachte
Sachi. Dann fiel ihr ein, dass sie ihn ein zweites Mal gesehen
hatte. Im Geist hörte sie das Rauschen eines Flusses, das Murmeln
der Flüchtlinge, die unbedingt hinüberwollten, das Schreien der
Wildgänse, das Knirschen der Kiesel unter den Füßen der Träger, das
Rasseln einer anlandenden Fähre. Vor Aufregung schnappte sie nach
Luft.
»Taki und ich haben ihn erst vor ein paar Monaten
wiedergesehen«, rief sie. »Bei Takasaki. Wir warteten darauf, über
den Fluss zu setzen. Sie waren dabei, Edo zu verlassen, er und Herr
Oguri. Shin war auch dort.«
»So wie der dich angestarrt hat, Herrin!«, japste
Taki.
Sachi sah Herrn Mizunos finsteres Gesicht, das sich
dicht vor ihres schob. Sie hörte seinen rasselnden Atem, spürte ihn
auf ihrem Gesicht. »Geh weg! Lass mich in Ruhe!«, hatte er
gebrüllt. Als sei er verrückt. Als hätte er einen Geist gesehen.
Vielleicht war es das, was er gesehen hatte, als er sie anschaute -
nicht sie, sondern ihre Mutter.
Von der anderen Seite des Raums meldete sich
Shinzaemon zu Wort. Sein Gesicht leuchtete, seine Augen glühten.
»Sie hatten diese Kassetten«, sagte er aufgeregt. »An denen war
etwas Seltsames. Sie wirkten sehr schwer. Und die Träger sahen
nicht wie einfache Lastenträger aus - sie hatten keine
Tätowierungen. Sie waren … Samurai. Samurai, die sich die Haare
hatten wachsen lassen. Ich weiß noch, dass ich mich fragte, was sie
wohl im Schilde führten.«
»Die Soldaten aus dem Süden werden hinter ihnen her
sein, so mächtig, wie die beiden waren«, sagte Edwards. Auch seine
blauen Augen blitzten. »Über Herrn Mizuno weiß ich nichts, aber
Herr Oguri war Oberster Ratgeber in der Regierung des Shogun. Ihre
Überlebenschancen sind gering, wenn sie nicht bereits tot sind. Wir
müssen sie rasch finden. Ich komme mit
Ihnen. Sie werden alle Hilfe brauchen, die Sie bekommen können.
Ich kann Pferde und Träger zur Verfügung stellen. Ich muss sowieso
eine Landvermessung durchführen, nachdem das Land jetzt für
Ausländer geöffnet ist. Wir durften zuvor nie frei reisen. Für mich
wird es ein Abenteuer, und ich könnte Ihnen ebenfalls von Nutzen
sein.«
Shinzaemon nickte.
»Ich habe nur meinen Arm anzubieten«, sagte er
ruhig, »aber es ist ein starker Arm. Ich bin auf meinem Rückweg von
Wakamatsu durch Takasaki gekommen, habe einen großen Umweg gemacht,
um der Südarmee nicht zu begegnen. Ich kenne die Straße gut. Und
ich habe eine Ahnung, wohin sie wollten.«
Daisuké dachte angestrengt nach.
»Wir müssen sofort aufbrechen. Der Winter kommt
bald, und auf den hohen Pässen liegt bereits Schnee. Aber wenn wir
bis zum Frühjahr warten, wird es zu spät sein. Es könnte jetzt
bereits zu spät sein. Ich schulde es deiner Mutter und dir, meine
verehrte Tochter. Ich kann nicht ruhen, bevor ich nicht weiß, wo
sie ist.«