12. Finsternis im Mondschein

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FINSTERNIS IM MONDSCHEIN

 

 

Die Sonne war untergegangen, der leuchtende Halbmond stand an einem wolkenlosen Himmel. Im Herrscherpalast von Tarantia war das goldene Geschirr und Besteck des königlichen Einmannmahls bereits wieder aufgeräumt worden. Von dem Vorkoster hinter dem Lehnstuhl des Königs abgesehen, zwei Leibwachen an der silberbeschlagenen Tür, und den Dienern, hatte Numedides während des Essens niemand Gesellschaft geleistet.

Tausende von Lampen und Kerzen brannten in den königlichen Gemächern. So üppig war die Beleuchtung, daß ein zufälliger Beobachter sich fragen würde, ob hier vielleicht eine Krönung stattfand oder der Besuch eines benachbarten Monarchen.

Trotzdem wirkte der Palast ungewöhnlich verlassen. Statt des Stimmengewirrs lieblicher Hofdamen, galanter Jünglinge und hoher Edler des Königreichs, hallten lediglich Echos der Vergangenheit durch die stillen Marmorhallen, die so leer und verlassen waren. Nur ein paar Leibgardisten, auf deren silbernen Harnischen sich die zahllosen Kerzen spiegelten, hielten Wache. Diese Soldaten der Schwarzen Drachen waren entweder junge Burschen, Kinder fast noch, oder graubärtige Männer, denen nicht mehr viele Jahre zum Greisenalter fehlten. Denn als des Königs Leibgarde südwärts gegen die Rebellen gezogen war, hatten des Monarchen Männer das Drachenkorps schnell mit Kadetten in Ausbildung aufgefrischt und Reservegardisten, alte Veteranen, einberufen.

Die Lampen und Kerzen brannten die ganze Nacht, da der König sich jetzt für einen Sonnengott hielt, dem auch des Nachts das helle Licht des Tages gebührte. Und so eilten besorgte Diener von Lampe zu Lampe, um sich zu vergewissern, daß auch jede noch genügend Öl hatte, und von Kandelaber zu Kandelaber, mit Armen voll Kerzen, um die abbrennenden sofort zu ersetzen.

Als es mit dem Wahnsinn des Königs immer ärger wurde, hatten sich sein altes Gefolge und seine Beamten so unauffällig wie nur möglich davongestohlen. Auch Vibius Latro, der seine Amtsräume und seine Gemächer im Palast hatte, machte keine Ausnahme. Er hatte Numedides ein kurzes Schreiben geschickt, in dem er ihn um einen Urlaub ersuchte. Seine Gesundheit, schrieb er, hätte unter der anstrengenden, verantwortungsvollen Tätigkeit und den langen Amtsstunden gelitten, und er bedürfte dringend einer Erholung auf seinem Landsitz, wollte er seine Kräfte wiedergewinnen, um Seiner Majestät auch weiterhin von Nutzen sein zu können.

Numedides hatte gerade eine seiner Konkubinen zu Tode gepeitscht. Er war deshalb bester Laune und genehmigte den Urlaub. Latro beeilte sich, seine Familie in eine Kutsche zu setzen, und brach sofort, wie er angab, zu seinem Landsitz nördlich von Tarantia auf. Doch schon bei der ersten Abzweigung bog er nach Osten ab und trieb seine Pferde an, um nur möglichst schnell die nemedische Grenze, sechshundert Meilen entfernt, zu erreichen. Andere Angehörige des königlichen Haushalts fanden ebenfalls dringende Gründe für eine Beurlaubung und verließen die Residenz nicht weniger eilig als Vibius Latro.

 

Numedides' Thron im Privataudienzsaal stand auf einem kunstvoll gemusterten iranistischen Teppich aus herrlich gefärbter Wolle in Edelsteinfarben – wie Rubinrot, Jadegrün, Amethystlila und Saphirblau – und mit Büscheln von Goldfäden geknüpft. Der Thron selbst war ebenfalls ein Meisterwerk, wenn auch nicht ganz so beeindruckend wie der Rubinthron im öffentlichen Audienzsaal, aber von auserlesener Geschmacklosigkeit mit seinem überladenen Zierat, wie geschnitzte Drachen, Löwen, Schwerter und Sterne, ganz zu schweigen von der Rückenlehne, die den Wappenadler der Numedides-Dynastie darstellte. Die Schwingen und Augen dieses Wappenvogels waren mit kostbaren Edelsteinen besteckt, die in dem hellen Kerzenschein funkelten.

Des Königs silberner Zepter – das Symbol seiner Regentschaft – lag quer über dem weichgepolsterten, mit Purpurkissen bedeckten Sitz. Sein Zeremonienschwert – ein gewaltiger Bihänder mit juwelenglitzernder Scheide und Griff – ruhte gegen eine der breiten Armlehnen.

Zwei Personen standen in diesem Gemach: König Nemedides, der den schmalen Goldreif, die Krone Aquiloniens, und eine rote Robe trug, voll von Essen- und Weinflecken und Erbrochenem, und Alcina in einem hautengen Gewand aus seegrüner Seide.

Sie funkelten einander böse von den gegenüberliegenden Lehnen des goldenen Thrones an.

Alcina zischte: »Räudiger alter Hund! Ich sterbe eher, bevor ich mich deinen Abartigkeiten hingebe. Du kannst mich auch gar nicht fangen, du feister, dreckiger Wüstling! Such dir doch eine läufige Hündin oder eine fette Sau, der du deinen Willen aufzwingen kannst und die auch besser zu dir paßt, du Schwein!«

»Ich sagte dir doch, daß ich dir nichts tun würde, du kleine Wildkatze!« krächzte Numedides. »Aber ich werde dich fangen! Keiner vermag sich dem Verlangen eines Königs und schon gar nicht eines Gottes zu entziehen. Komm her!«

Numedides bewegte sich plötzlich seitwärts. Es war eine Finte, bei der er sich erstaunlich geschickt und flink erwies. Sie überraschte Alcina, so daß sie zurücksprang und dadurch den Schutz des Thrones verlor. Und so gelang es dem König, sie mit ausgebreiteten Armen in eine Ecke zu drängen, weit entfernt von den beiden Flügeltüren, an den Wänden links und rechts des auffallenden Thrones.

Alcinas Finger tauchten in ihr Mieder und zogen blitzschnell einen schmalen Dolch heraus, dessen Spitze in das gleiche Gift getaucht war, wie das, das Amulius Procas den Tod gebracht hatte. »Bleibt mir vom Leib, ich warne Euch!« rief sie. »Der geringste Kratzer mit diesem Dolch und Ihr werdet sterben!«

Numedides wich einen Schritt zurück. »Ihr kleine Närrin, wißt Ihr denn nicht, daß mir Euer Gift nichts anhaben kann?«

»Das wird sich herausstellen, wenn Ihr mir noch näher kommt!« fauchte die Tänzerin.

Der König zog sich bis zu seinem Thron zurück und griff nach seinem Zepter. Dann kam er erneut auf das zitternde Mädchen zu. Als Alcina ihren Dolch hob, schlug er mit dem Zepter auf ihre Hand. Der Dolch entglitt ihren Fingern und fiel auf den Teppich, während Alcina mit einem Schmerzensschrei ihre verletzte Hand an die Brust drückte.

»Und jetzt, du kleine Hexe«, höhnte Numedides, »werden wir ...«

Die Flügeltür an der rechten Seite vom Thron schwang auf. Thulandra Thuu stand auf seinen geschnitzten Stab gestützt auf der Schwelle.

»Wie kommt Ihr herein?« donnerte Numedides. »Die Türen waren allesamt verschlossen.«

Die zischelnde Stimme des dunkelhäutigen Zauberers klang scharf wie ein Peitschenknall. »Eure Majestät! Ich warnte Euch, meine Leute nicht zu belästigen!«

Der König runzelte finster die Stirn. »Wir vergnügten uns lediglich mit einem harmlosen Spiel. Aber, was bildet Ihr Euch überhaupt ein, so zu einem Gott zu sprechen? Wer ist denn hier der Herrscher?«

Thulandra Thuu verzog die Lippen zu einem dünnen, bitteren Lächeln. »Ihr seid der Monarch, aber Ihr regiert nicht, das tue ich.«

Numedides' Wangen färbten sich mit dem Rot seines wachsenden Grimmes. »Blasphemischer Ghul! Aus meinen Augen, ehe ich Euch mit meinen Blitzen zerschmettere!«

»Beruhigt Euch, Majestät! Ich habe Neuigkeiten ...«

Die Stimme des Königs hob sich schrill: »Ich sagte, hinaus! Ich werde Euch zeigen ...«

Numedides' tastende Finger streiften den Griff des Zeremonienschwerts. Er zog die schwere Klinge aus ihrer juwelenbesteckten Scheide. Mit beiden Händen das Schwert schwingend, kam er auf Thulandra Thuu zu. Der Hexer wartete völlig ruhig ab.

Mit einem überschnappenden Kreischen wirbelte der König die Klinge zum enthauptenden Hieb. Im letzten Augenblick riß Thulandra Thuu, ohne eine Miene zu verziehen, seinen Stab zum Parieren hoch. Stahl und geschnitztes Holz prallten mit einem durchdringenden Klirren zusammen, als schwänge auch der Zauberer eine metallene Klinge. Der Hexer drehte den Stab so geschickt, daß er Numedides das Schwert aus den Händen schlug. Es flog wirbelnd hoch in die Luft und als es wieder herabkam, traf die Klinge den König im Gesicht und schnitt ihm die Wange fingerlang auf. Blut troff in den rostroten Bart.

Numedides drückte die Hand auf die Wunde und starrte, als er sie gleich wieder zurückzog, ungläubig auf das Rot, das von seinen Fingern sickerte. »Ich blute genau wie ein Sterblicher!« murmelte er. »Wie ist das möglich?«

»Es wird noch eine Weile dauern, bis die Hülle der Göttlichkeit Euer ist«, sagte Thulandra Thuu mit dünnem Lächeln.

In seiner plötzlich aus Angst geborenen Rage brüllte der Monarch: »Sklaven! Pagen! Phaedo! Manius! Wo in den neun Höllen seid ihr? Euer göttlicher Gebieter wird gemordet!«

»Es wird ihm nichts nutzen«, sagte Alcina. »Er versicherte mir, daß er alle seine Diener in einen anderen Teil des Palasts geschickt hat, damit ich mir die Kehle aus dem Hals schreie, ohne daß irgend jemand außer ihm mich hören könnte.« Mit ihrer unverletzten Hand strich sie das schwarze Seidenhaar aus der Stirn.

»Wo sind meine getreuen Untertanen?« wimmerte Numedides jetzt. »Valerius! Procas! Thespius! Gromel! Volmana! Wo sind meine Höflinge? Wo ist Vibius Latro? Haben sie mich im Stich gelassen? Liebt mich denn keiner mehr, trotz allem, was ich für Aquilonien getan habe?« Der verlassene Monarch fing zu weinen an.

»Ihr wißt in Euren klareren Momenten genau«, sagte der Zauberer streng, »daß Procas tot, Vibius Latro geflohen und Gromel zum Feind übergelaufen ist. Volmana kämpft unter Graf Ulric, genau wie alle anderen auch. Aber nun setzt Euch und hört mir endlich zu! Ich habe Euch wichtige Dinge zu berichten.«

Numedides watschelte völlig verstört zum Thron. Die schmutzige weite Robe wallte um ihn. Er zog ein dreckiges Taschentuch aus einem Ärmel und drückte es auf seine verletzte Wange, bis es sich mit Blut vollsog.

»Wenn Ihr Euch nicht besser beherrschen könnt«, sagte Thulandra Thuu, »muß ich mich Euer entledigen und direkt regieren, statt mit Euch als Marionette wie zuvor.«

»Ihr könntet nie König sein!« murmelte Numedides. »Kein Mensch in Aquilonien würde Euch gehorchen. Ihr seid nicht von königlichem Blut. Ihr seid kein Aquilonier, ja nicht einmal ein Hyborier. Ich fange an zu zweifeln, ob Ihr überhaupt ein menschliches Wesen seid.« Er hielt mit funkelnden Augen inne. »Also selbst wenn wir einander hassen, braucht Ihr mich so sehr wie ich Euch.

Nun heraus mit der Sprache! Welche Neuigkeit wollt Ihr mir berichten? Gute, hoffe ich. Schnell, erzählt!«

»Wenn Ihr nur endlich zuhören wolltet ... Ich stellte heute nachmittag unsere Horoskope und erfuhr, daß wir uns in unmittelbarer tödlicher Gefahr befinden.«

»Gefahr? Wovor?«

»Das weiß ich nicht. Die Zeichen waren unklar. Bestimmt kann es nicht von der Rebellenarmee sein. Mein Blick in die Astralebene, der von der gestrigen Botschaft Graf Ulrics bestätigt wurde, zeigte, daß die Rebellen jenseits Elymias ihr Lager aufgeschlagen haben. Ihre Situation ist jedoch hoffnungslos, und sie werden sich entweder bald zurückziehen, sich angesichts dieser verzweifelten Lage zerstreuen, oder völlig aufgerieben werden. Von ihnen haben wir nichts zu befürchten.«

»Könnte es nicht sein, daß dieser arme Teufel, Conan, sich an Graf Ulric vorbeistahl?«

»Leider sind mein Astralvisionen nicht deutlich genug, Einzelpersonen aus einer solchen Entfernung zu unterscheiden. Aber der Barbar ist ein verschlagener Halunke. Als Ihr ihn in die Flucht triebt, warnte ich Euch, daß Ihr ihn möglicherweise nicht zum letztenmal gesehen habt.«

»Ich hörte von Verrätermeuten in Sichtweite der Stadtmauern«, sagte der König mit zitternden Lippen.

»Das sind Gerüchte, nichts weiter. Es kann keine Wahrheit dahinterstecken, außer es hat sich ein neuer Führer unter den Unzufriedenen der Zentralprovinzen erhoben.«

»Angenommen, dieser Abschaum der Menschheit schwemmt tatsächlich an Land und gegen die Stadtmauern? Was können wir tun, ohne die Schwarzen Drachen? Es war Eure Idee, sie zur Unterstützung von Graf Ulric auszuschicken.« Des Königs Stimme überschlug sich schrill, als Angst und Wut ihm die mühsam bewahrte Fassung raubten. Er tobte weiter:

»Ich überließ die Führung des Feldzugs Euch, weil Ihr Euch mächtiger Zauberkräfte brüstet. Jetzt sehe ich jedoch, daß Ihr in militärischen Dingen ein blutiger Anfänger seid. Ihr habt alles verpatzt! Als Ihr Procas nach Argos schicktet, sagtet Ihr, sein Eindringen würde mit der Rebellenbedrohung ein für allemal ein Ende machen, aber das war nicht der Fall. Ihr versichertet mir, daß dieses Ungeziefer nie den Alimane überqueren würde. Und wie war es wirklich? Die Grenzlegion wurde geschlagen und in alle Winde verstreut. Dann, ich zitiere Euch: haben die Rebellen keine Chance, die Imirianische Höhe zu überwinden! Trotzdem überquerten sie sie. Und schließlich die Seuche, die, wie Ihr so sicher wart, diese Banditen niederstrecken würde, und doch ...«

»Eure Majestät!« Eine jugendliche Stimme unterbrach die Anschuldigungen des Königs. »Gestattet mir, einzutreten. Es ist äußerst wichtig!«

»Das ist einer meiner Pagen. Ich kenne seine Stimme«, sagte Numedides. Er erhob sich und schritt zur immer noch verschlossenen Tür zur Linken des Thrones. Als er den Schlüssel umgedreht hatte, stürmte ein Junge in Pagenlivree herein. Er keuchte: »Mein Lord! Der Rebell Conan hat den Palast besetzt!«

»Conan!« schrie der König. »Was ist geschehen? Sprich!«

»Eine Abteilung der Schwarzen Drachen – oder vielmehr, von Männern in ihren Uniformen, galoppierte zum Palasttor und ihr Führer rief, er brächte eine wichtige Nachricht von der Front. Die Wachen dachten sich wohl nichts dabei und ließen die Reiter hindurch. Aber ich erkannte den riesigen Cimmerier, als ich sein narbiges Gesicht in dem beleuchteten Vorraum erblickte. Ich sah ihn in der Westermark, ehe ich nach Tarantia kam, um Eurer Majestät zu dienen. Und so rannte ich, Euch zu warnen.«

»Willst du damit sagen, er überfällt uns und es sind keine Wachen im Palast außer ein paar grünen Rekruten mit ihren Großvätern?« Mit wutfunkelnden Augen wandte der König sich an Thulandra Thuu. »Los, Ihr hexerischer Halunke, sprecht schnell einen Abwehrzauber!«

Der Magier fummelte bereits mit seinem Stab herum und rief etwas in einer zischelnden, unbekannten Sprache. Während die klangvollen Worte durch den Raum hallten, geschah etwas Seltsames. Das Kerzenlicht trübte sich, als wäre das Zimmer mit kräuselndem Rauch oder wirbelnden Nebelschwaden aus den nassen Sümpfen erfüllt, und Modergeruch hing in der Luft. Immer dunkler wurde es, bis es im Privataudienzsaal so finster war wie in einem seit Jahrzehnten vermauerten Verlies.

»Habt Ihr mir das Augenlicht geraubt?« rief der König panikerfüllt.

»Still, Majestät! Ich habe einen Finsterniszauber über den Palast herabbeschworen, das ist eine magische Verteidigungsmaßnahme. Wenn wir die Türen versperren und uns nur im Flüsterton unterhalten, werden die Eindringlinge uns nicht finden.«

Der Page tastete sich vorsichtig über den Teppich zur Flügeltür, wo er den schweren Schlüssel drehte, während Alcina, geschmeidig wie ein Panther, die rechte Tür versperrte. Der König setzte sich auf seinen Thron. Er war zu verstört, auch nur einen Ton von sich zu geben. Alcina suchte den hageren Hexer und kauerte sich in stummem Flehen vor seine Füße. Der Page, der sich in dem Gemach nicht auskannte, wich unsicher von der Tür zurück und wünschte, er befände sich irgendwo in den engen Gassen von Tarantia. Nur das Schlagen der angsterfüllten Herzen brach die Stille.

Plötzlich schwang die Tür neben dem Pagen auf und ein Gesang in der alten hyborischen Zunge war zu hören. Die Schwärze zog sich zurück und das Licht der unzähligen Kerzen flutete wieder den Raum.

Auf der Schwelle der offenen Tür stand Conan der Cimmerier, mit einem blutigen Schwert in der Hand, während Dexitheus, der Mitrapriester, noch die letzten Worte seines mächtigen Gegenzaubers leierte.

»Tötet sie, Thulandra!« kreischte Numedides. Noch verängstigter drückte er sich beim Anblick seines ehemaligen Generals gegen die Rückenlehne seines Thrones. Er preßte das blutige Taschentuch an seine wunde Wange und stöhnte.

Thulandra Thuu hob seinen geschnitzten Stab, streckte ihn Conan entgegen und stieß in der Sprache seiner unbekannten Heimat einen Fluch aus oder rief die Hilfe eines fremdartigen Gottes herab. Ein gezackter Blitz löste sich wie eine lebende Flamme aus der Stabspitze und schoß auf Conan zu. Mit dem Krachen eines Donnerschlags zerbarst der Blitz funkensprühend an einer unsichtbaren Barriere.

Thulandra Thuu runzelte die Stirn und wiederholte seinen Zauber. Lauter klang seine Stimme diesmal und befehlender, und nun deutete sein Stab auf Dexitheus. Wieder schoß ein Blitz heraus und brach sich an einem unsichtbaren Hindernis.

Als Conan auf den Zauberer zuzuschreiten begann, schob sich Hauptmann Silvanus mit Rachedurst in den Augen an ihm vorbei und brüllte:

»Jetzt sollst du dafür bezahlen, daß du mir die Tochter bestialisch gemordet hast!«

Silvanus stürzte sich mit erhobenem Schwert auf den Zauberer. Doch ehe er drei Schritte getan hatte, deutete Thulandra Thuu erneut mit dem Stab und leierte seinen Spruch. Wieder zischte der Blitz und leuchtete in grellem Blau. Diesmal hielt keine Barriere ihn auf. Silvanus stieß einen grauenvollen Schrei aus und fiel auf das Gesicht.

Ein Loch von der Stärke eines Männerdaumens zeichnete sich am Rücken auf seinem Harnisch ab, und der geschwärzte Stahl kräuselte sich wie die Blütenblätter der Todesrose. Rauch stieg daraus auf, und ein roter Fleck breitete sich über den Iranistanteppich aus und vermischte sich mit den Juwelenfarben seiner Knüpfung.

Conan verschwendete keine Zeit mit Trauer über das Geschick seines Gefährten, sondern stürmte mit hiebbereitem Schwert auf den Zauberer zu. Der aschfahle Page versteckte sich hinter dem Thron. Alcina und der König drückten sich an gegenüberliegende Zimmerwände.

Aber Thulandra Thuu war noch nicht am Ende seiner Kräfte. Er faßte beide Enden seines Stabes und hielt ihn mit ausgestreckten Armen vor sich, während er einen Zauber in einer Zunge sprach, die schon alt gewesen war, als die Fluten Lemurien verschlangen. Beim nächsten Schritt stieß Conan gegen ein merkwürdiges Hindernis, das ihn zum Stehen brachte.

Die unsichtbare Barriere war weich und nachgiebig, aber sie widerstand Conans heftigstem Angriff. Von seinem mächtigen Hals hoben sich Sehnen ab, seine Muskeln wanden sich wie Pythons. Doch das formlose Hindernis hielt stand. Als er sein Schwert in diese unsichtbare Substanz stieß, bemerkte er, daß Thulandra Thuus Stab sich in der Mitte bog, als zwänge eine starke Kraft ihn dazu, aber er brach nicht. Dexitheus' mächtigste Magie kam nicht gegen diesen Stab und den Schutz an, den er Thulandra Thuu bot.

Schließlich sprach der Hexer. Seine Stimme klang wie von der Last vieler schwerer Jahre gepreßt: »Ich sehe, daß dieser abtrünnige Mitrapriester Euch vor meinen Blitzen beschützt. Aber seine unbedeutenden Zauberkräfte schaffen es nicht, mich zu vernichten. Aquilonien ist die Mühe, die ich mir mit ihm machte, nicht wert. Ich werde mich in ein Land jenseits des Sonnenaufgangs zurückziehen, wo die Menschen meine Experimente und die Gabe des ewigen Lebens zu schätzen wissen. Lebt wohl!«

»Meister! Meister! Nehmt mich mit Euch!« rief Alcina und hob die Arme in demütigem Flehen.

»Nein, Mädchen, Ihr bleibt hier! Ich habe keine weitere Verwendung für Euch.«

Thulandra Thuu zog sich langsam zur Tür zurück, durch die er den Privataudienzsaal betreten hatte. Mit ihm bewegte sich die geschmeidige Barriere. Die Lippen zu einem freudlosen Grinsen gefletscht, die Augen wild funkelnd, folgte Conan dem Hexer Schritt um Schritt. Sein sehniger, muskelbepackter Körper zitterte von der Wut eines Löwen, dem man die Beute vorenthält.

Als sie die Tür fast gleichzeitig erreichten, begann Thulandra Thuu zuerst leicht zu schwanken und dann sich zu drehen. Er wirbelte um seine eigene Achse, schneller und immer schneller, bis seine dunkle Gestalt vor den Augen verschwamm. Plötzlich war er verschwunden.

Zur gleichen Zeit löste sich auch die unsichtbare Barriere auf. Conan sprang vorwärts, das Schwert zum mörderischen Hieb geschwungen. Mit einem wilden Fluch stürmte er auf den Korridor. Aber er war leer. Der Cimmerier lauschte. Auch keine Schritte waren zu hören.

Er schüttelte die zerzauste Mähne, als könnte er so diesen gespenstischen Eindruck abschütteln, und kehrte in den privaten Audienzsaal zurück. Dexitheus bewachte die andere Tür, Alcina drückte sich gegen eine Wand, der König saß auf seinem Thron und betupfte seine aufgeschlitzte Wange mit dem blutigen Taschentuch. Conan schritt auf ihn zu.

»Halt an, Sterblicher!« plärrte Numedides und deutete mit einem fleischigen Zeigefinger auf ihn. »Wisset, Wir sind ein Gott! Wir sind König von Aquilonien!«

Conans rechter Arm, dessen Muskeln sich wie Schlangen wanden, schoß auf Numedides zu. Er packte den Monarchen am Kragen und zog den Wahnsinnigen auf die Füße. »Du meinst wohl, du warst König. Hast du noch etwas zu sagen, ehe du stirbst?«

Numedides schmolz wie das Wachs einer niederbrennenden Kerze. Tränen rannen über die feisten Backen und vermischten sich mit dem Blut, das immer noch aus der Wunde sickerte. Er sank auf die Knie und flehte:

»Erschlagt mich nicht, edler Conan. Ich habe Fehler begangen, aber ich tat alles zum Wohle Aquiloniens! Schickt mich in die Verbannung, ich verspreche Euch, ich werde nicht wiederkehren. Ihr könnt doch keinen alternden, unbewaffneten Mann töten.«

Mit verächtlichem Schnauben schleuderte Conan Numedides auf den Boden. Er wischte sein Schwert am Saum des königlichen Gewandes ab und schob die Klinge in die Scheide. Dann drehte er sich auf dem Absatz und sagte:

»Ich jage keine Ratten. Bindet diesen menschlichen Abschaum, bis wir ein Haus des Wahnsinns finden, wo wir ihn einsperren können.«

Eine plötzliche Bewegung, die er mehr spürte als sah, und das scharfe Einatmen Dexitheus' warnten Conan vor der drohenden Gefahr. Numedides war auf den Dolch mit der vergifteten Klingenspitze gestoßen, der Alcina aus der Hand gefallen war, und jetzt erhob er sich, um in seiner Verzweiflung dem Cimmerier die Klinge in den Rücken zu stoßen.

Conan wirbelte herum. Seine Linke schoß vor und erfaßte das herabsausende Handgelenk. Seine Rechte legte sich um Numedides' schwabbligen Hals. Mit den mächtigen Muskeln zwang Conan seinen heimtückischen Angreifer auf den Thron. Der König versuchte verzweifelt, mit seiner freien Hand Conans Finger zu lösen, während seine Beine zuckend um sich schlugen.

Als Conans Nägel tiefer in den weichen Hals drangen, quollen Numedides' Augen schier aus den Höhlen. Sein Mund war weit aufgerissen, aber kein Laut drang heraus, bis die anderen im Saal, die mit angehaltenem Atem zusahen, die Wirbel brechen hörten. Blut sickerte aus den Mundwinkeln und vermischte sich mit dem Speichel im Bart.

Numedides' wurde immer bläulicher, und allmählich erschlafften seine um sich schlagenden Arme. Der vergiftete Dolch fiel auf den Boden und glitt in eine Ecke. Conan behielt den Würgegriff bei, bis das Leben den fetten Körper verlassen hatte.

Schließlich gab der Cimmerier die Leiche frei, und sie sackte vor dem Thron zu einem unförmigen Haufen nieder. Conan holte tief Atem, dann drehte er sich schnell um und zog das Schwert aus der Scheide, als er das Klacken von Schritten und Rasseln von Waffen und Rüstungen auf dem Korridor hörte. Etwa zwanzig seiner Männer, die ihn im Palast gesucht hatten, drängten sich an der Tür zusammen. Alle verstummten und aller Augen hingen an ihm, als sie sahen, wie er mit gespreizten Beinen, das Schwert in der Hand und triumphierend funkelnden Augen neben dem Thron von Aquilonien stand.

Welche Gedanken Conan in diesem Moment durch den Kopf gingen, würde nie jemand wissen. Schließlich steckte er das Schwert in die Hülle zurück, bückte sich und riß die blutige Krone vom Kopf des toten Numedides. Mit einer Hand hielt er den schmalen Goldreif, mit der anderen öffnete er den Kinnriemen seines Helmes und legte ihn ab. Dann hob er die Krone mit beiden Händen und drückte sie auf seinen Kopf.

»Nun«, fragte er. »Wie sehe ich damit aus?«

Dexitheus fand seine Stimme als erster: »Heil, König Conan von Aquilonien!« rief er.

Die anderen nahmen den Ruf auf, und schließlich stimmte sogar der Page mit ein, der mit großen Augen in seinem Versteck hinter dem Thron kauerte.

Alcina kam mit den verführerisch wiegenden Schritten der Tänzerin, die Conan in Messantia so aufregend gefunden hatte, zu ihm und kniete anmutig vor ihm nieder.

»O Conan!« rief sie. »Immer nur liebte ich dich, doch ich stand im Zauberbann des Hexers und mußte tun, was dieser Unhold befahl. Verzeiht mir und ich werde für immer Eure getreue Dienerin sein!«

Stirnrunzelnd schaute Conan auf sie hinab und seine Stimme klang wie Donnergrollen in den Bergen. »Wenn jemand versucht hat, mich zu morden, wäre ich ein Narr, diesem jemand eine zweite Chance zu geben. Wärst du ein Mann, würde ich dich hier und jetzt töten. Doch ich vergieße kein Frauenblut. Verschwinde!« Er blickte sie finster an. »Bist du aber morgen noch in den Teilen des Landes, die mir ergeben sein werden, wirst du dein hübsches Köpfchen verlieren. Elatus, begleite sie in den Marstall und sattle ihr ein Pferd, dann bring sie aus Tarantia hinaus!«

Alcina ging. Die schwarze Fülle ihres seidigen Haares verbarg ihr Gesicht. An der Tür drehte sie sich noch einmal um und sah Conan an. Tränen glitzerten auf ihren Wangen. Dann verließ sie den Saal.

Conan stupste die Leiche Nemedides mit den Zehen. »Spießt den Schädel dieses Aasgeiers auf eine Lanze, zeigt ihn in der Stadt herum, dann reitet damit zu Graf Ulric in Elymia und überzeugt ihn und seine Armee damit, daß ein neuer König in Aquilonien herrscht.«

Einer von Conans Soldaten bahnte sich einen Weg durch seine Kameraden im Audienzsaal. »General Conan!«

»Was gibt es?«

Der Mann hielt an und schnappte nach Luft. Seine Augen waren so groß wie Umhangknöpfe. »Ihr befahlt Cadmus und mir, das Palasttor zu bewachen. Vor einer kurzen Weile hörten wir ein Pferd mit einem Gefährt aus den Marställen kommen, doch wir sahen weder das eine noch das andere. Da deutete Cadmus auf die Straße, wo sich im Mondschein der Schatten eines roßgezogenen Wagens abzeichnete. Dieser Schatten flog dahin, doch was ihn warf, war nicht zu sehen!«

»Was habt ihr getan?«

»Getan? Was hätten wir tun können? Der Schatten glitt durch das offene Tor und verschwand entlang der Straße. Da eilte ich, es Euch zu melden.«

»Zweifellos des früheren Königs Zauberer mit seinem Diener«, sagte Conan zu den Anwesenden. »Sollen sie von dannen ziehen. Der Hexer sagte, er würde sich in ein fernes, östliches Land begeben. Er wird uns nicht mehr belästigen.« Er wandte sich an Dexitheus. »Wir müssen gleich morgen eine neue Regierung aufstellen. Ihr werdet Kanzler sein.«

Erschrocken rief der Priester: »O nein, Gen... Eure Majestät! Ich muß von nun ab das Leben eines Einsiedlers führen, um zu sühnen, daß ich gegen die Gebote meines Ordens Zuflucht zur Magie nahm.«

»Wenn Publius erst hier ist, mögt Ihr das mit meinem Segen tun, wenn Ihr es wirklich so wollt. Doch inzwischen brauchen wir eine Regierung, und Ihr versteht etwas von Politik. Ruft die Ratsmitglieder und ihre Schreiber bis zum Mittag zusammen!«

Dexitheus seufzte. »Gut, mein Lord König.« Er schaute zu Silvanus' Leiche hinab und schüttelte betrübt den Kopf. »Ich bedauere den Tod dieses jungen Mannes sehr, aber mir fehlten die Kräfte, auch um ihn einen Schutzschirm zu errichten.«

»Er starb den Tod eines Soldaten. Wir werden ihn mit allen Ehren bestatten«, sagte Conan. Er drehte sich um. »Wo kann man in dieser Marmorscheune ein Bad nehmen?«

 

Das Haar gestutzt, den Bart geschabt, in schwarzen Samt gekleidet, saß Conan auf den Purpurkissen des Thrones im Privataudienzsaal. Alle Spuren von Gewalt waren beseitigt – die Leichen hatte man fortgeschafft, den Teppich von den Blutflecken gereinigt, den vergifteten Dolch vergraben. Ein erwartungsvolles Lächeln überzog des Cimmeriers narbiges Gesicht.

Da platzte Kanzler Publius mit mehreren Schriftrollen unter dem Samtärmel herein. »Mein Lord«, rief er. »Ich habe hier ...«

»Croms Teufel!« donnerte Conan. »Können die Amtsgeschäfte nicht warten? Prospero wird gleich mit zwanzig ausgesucht schönen Mädchen kommen, die sich darum drängten, dem König Gesellschaft leisten zu dürfen. Ich soll eine Bettgefährtin unter ihnen auswählen.«

»Sire!« sagte Publius streng. »Einige dieser Angelegenheiten verlangen Eure sofortige Entscheidung. Es wird den jungen Damen nicht schaden, ein wenig zu warten.

Hier ist beispielsweise ein Gesuch der Baronie von Castrien. Sie bitten Euch, ihre Säumnis in der Bezahlung ihrer rückständigen Steuern mit Nachsicht zu behandeln. Hier sind die Aufstellungen des Schatzmeisters. Und hier die Schriftstücke der Advokaten im Rechtsstreit Phinteas gegen Arius Priscus zur Berufung vor dem Thron. Dieser Fall zieht sich bereits seit sechzehn Jahren ohne endgültige Entscheidung dahin.«

»Dann wird er auch noch weiter warten können.«

»Hier ist ein Schreiben von einem Quesado von Kordava, einem früheren Spion Vibius Latros. Mir deucht, wir hatten bereits mit ihm zu tun.«

»Was will der Hund?« schnaubte Conan.

»Er ersucht um Anstellung in seiner früheren Eigenschaft als Agent des Geheimdiensts Seiner Majestät.«

»Ja, er war gut, wenn es darum ging, sich vor Weinstuben herumzutreiben und sich wie ein Betrunkener oder geistig Unbedarfter zu benehmen. Gebt ihm einen Posten – auf Probe! Aber schickt ihn nie als Gesandten an einen benachbarten Hof!«

»Darauf könnt Ihr Euch verlassen, Sire. Hier ist ein Gnadengesuch für Galenus Selo. Und hier ein Bittschreiben der Kupferschmiedgilde. Sie möchten ...«

»Götter und Teufel!« brüllte Conan und hieb mit behaarter Faust in die Hand. »Warum warnte mich niemand, daß das Amt des Königs mühseligen Kleinkram mit sich bringt? Da wäre ich ja fast lieber ein Pirat auf hoher See!«

Publius lächelte. »Selbst die leichteste Krone drückt zu mancher Zeit. Ein Herrscher muß herrschen, wenn er nicht will, daß ein anderer es an seiner Statt tut. Der verstorbene Numedides entzog sich seinen Pflichten und wurde ...«

Conan seufzte. »Ja, ja. Ihr habt sicher recht. Croms Fluch! Page! Bring einen Tisch und breite die Schriftstücke darauf aus! Und jetzt, Publius, zuerst die Aufstellung des Schatzmeisters ...«

 

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