1. Wenn der Wahnsinn die Krone trägt
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WENN DER WAHNSINN DIE KRONE TRÄGT
Die Nacht schwebte auf schwarzen Schleierflügeln über den schlanken Türmen der Königsstadt Tarantia. In den stillen Straßen brannten Laternen wie die Augen von Raubtieren in der Wildnis. Wenige nur wagten sich in einer Nacht wie dieser aus dem Haus, obgleich die nebelverhangene Dunkelheit mit dem würzigen Duft des Frühlings geschwängert war. Jene, die aus zwingenden Gründen unterwegs waren, schlichen verstohlen wie Diebe durch die Stadt und zuckten bei jedem Schatten zusammen.
Auf der Akropolis, um die herum sich die Altstadt ausbreitete, hob der Palast vieler Könige seine Zinnen zu den bleichen Sternen empor. Dieses burgähnliche Kapitol kauerte wie ein phantastisches Ungeheuer längst vergangener Zeiten auf seiner Erhebung und schaute finster auf die Mauern der Außenstadt, deren mächtige Quader es gefangenhielten.
Schweigen lastete dick wie der Staub in modrigen stygischen Grüften in den prunkvollen Gemächern und der Marmorhalle des düsteren Palasts. Die Diener und Pagen verkrochen sich hinter verschlossenen Türen. Niemand, außer der königlichen Leibgarde schritt durch die langen Korridore und stieg die geschwungenen Treppenaufgänge empor oder hinab. Selbst diese kampferprobten Veteranen scheuten davor zurück, allzu genau in den Schatten nach dem Rechten zu sehen, und auch sie zuckten bei jedem unerwarteten Geräusch zusammen.
Zwei Wachen standen reglos vor einem Eingang mit schweren Behängen aus purpurnem Brokat. Sie erstarrten, und Blässe überzog ihre Gesichter, als ein gespenstischer, unterdrückter Schrei aus den Gemächern hinter dieser Tür zu ihnen drang. Ein dünner, mitleiderregender Schmerzensschrei war es, der sich wie eine Nadel aus Eis in die tapferen Herzen der Gardesoldaten bohrte.
»Mitra beschütze uns!« preßte der Posten rechts der Tür durch bleiche Lippen.
Sein Kamerad schwieg, aber sein heftig pochendes Herz hallte diesen inbrünstigen Wunsch wider und fügte hinzu: Mitra beschütze uns alle, und das Land dazu.
Denn es gab ein Sprichwort in Aquilonien, dem stolzesten Königreich der hyborischen Welt: »Die Tapfersten fürchten sich, wenn der Wahnsinn die Krone trägt.« Und der König von Aquilonien war vom Wahnsinn besessen.
Numedides hieß er. Er war Neffe und Thronfolger Vilerus III. und Sproß eines alten Herrschergeschlechts. Seit sechs Jahren stöhnte das Königreich unter seiner drückenden Hand. Abergläubisch, uneinsichtig, genußsüchtig und grausam war Numedides. Doch bisher waren seine Laster lediglich die eines königlichen Wollüstlings gewesen, dessen Appetit nach weicher Weiblichkeit, dem scharfen Knall der Peitsche und dem Gestammel kriecherischer Bittsteller schier unersättlich war. Eine Zeitlang hatte Numedides sich damit zufriedengegeben, seine Minister das Volk in seinem Namen regieren zu lassen, während er in den sinnlichen Lüsten seines Harems und der Folterkammer schwelgte.
All das hatte sich seit der Ankunft Thulandra Thuus geändert. Wer er war, dieser hagere, dunkle Mann voller Geheimnisse, vermochte niemand zu sagen. Auch wußte keiner, von wo aus dem rätselvollen Osten er nach Aquilonien gekommen war, noch weshalb.
Manche raunten, er sei ein Hexer aus dem nebelverschleierten Land Hyperborea; andere, er sei unter den von Geistern heimgesuchten, zerfallenen Palästen Stygiens oder Shems hervorgekrochen. Einige glaubten sogar, er sei ein Vendhyaner, wie sein Name – wenn es wirklich sein Name war – schließen ließ. Vielfältig waren die Mutmaßungen, doch die Wahrheit kannte keiner.
Seit mehr als einem Jahr lebte Thulandra Thuu bereits im Palast und genoß die Freigebigkeit des Königs und die Macht und Vorrechte eines Günstlings. Manche munkelten, er sei ein Philosoph, ein Alchimist, der versuche, Eisen in Gold umzuwandeln oder ein Allheilmittel zusammenzubrauen. Andere schimpften ihn einen Zauberer, der sich der Schwarzen Kunst verschrieben hatte. Einige der weniger abergläubischen Edlen hielten ihn für nichts weiter als einen klugen Scharlatan, der auf Macht aus war.
Doch wie verschieden auch die Meinungen waren, niemand bezweifelte, daß er den König in seinen verhängnisvollen Bann geschlagen hatte. Ob es nun seine angebliche Beherrschung der Alchimie war, die die Habgier des Königs erweckt hatte, oder ob der finstere Thulandra Thuu tatsächlich einen Zauber über den Monarchen verhängt hatte, das wußte niemand mit Sicherheit. Aber es war offensichtlich, daß nicht Numedides, sondern Thulandra Thuu auf dem Rubinthron herrschte. Was ihm gerade in den Sinn kam, wurde Gesetz. Selbst der Kanzler, Vibius Latro, war angewiesen worden, Thulandras Befehle auszuführen, als kämen sie vom König persönlich.
Inzwischen benahm der König sich immer merkwürdiger. Er ließ die Goldmünzen aus seiner Schatzkammer schmelzen und zu Abbildern seiner selbst formen und sie mit Edelsteinen verzieren. Und oft unterhielt er sich laut mit den blühenden Bäumen und auf ihren Stengeln nickenden Blumen entlang der Wege seiner Lustgärten. Wehe dem Königreich, dessen Herrscher vom Irrsinn besessen ist – und noch schlimmer, wenn dieser Wahnsinnige die Marionette eines verschlagenen und skrupellosen Günstlings ist, gleichgültig, ob es sich bei ihm um einen echten Hexer oder einen gerissenen Scharlatan handelt.
Hinter den Brokatbehängen der bewachten Tür befand sich ein Gemach, dessen Wände mit mystischem Purpur bedeckt waren. Ein grauenvolles Bild bot sich hier dem Betrachter.
In einem durchscheinenden Sarkophag aus Alabaster ruhte der König wie in tiefstem Schlummer. Sein feister Körper war unbekleidet. Selbst in der entspannten Haltung verriet er ein Leben des Überflusses und der Bequemlichkeit. Seine Haut war fleckig, seine feuchten Lippen hingen schlaff hinab, dicke Tränensäcke falteten sich unter den Augen. Der unförmige Leib quoll krötengleich und abscheuerregend über den Rand des Sarges.
An den Fußgelenken gebunden hing ein nacktes, zwölfjähriges Mädchen mit dem Kopf nach unten über dem Sarkophag. Ihr zartes Fleisch wies die Spuren grausamer Mißhandlung auf. Ihr langes aschblondes Haar war voller Blut. Die Folterinstrumente lagen jetzt zwischen der herabbrennenden Glut in einem kupfernen Feuerbecken neben einem thronähnlichen Sessel aus schwarzem Eisen, das mit mystischen Zeichen in schwachglänzendem Silber durchzogen war.
Man hatte das Mädchen getötet wie ein Opfertier, und in dem frischen Blut badete König Numedides.
Zur Beleuchtung des Inhalts standen in einer exakten Ellipse neunzehn dicke Kerzen um den Sarkophag, jede so hoch wie ein halbwüchsiger Knabe. Diese Kerzen, so munkelte man im Palast, waren aus Talg von menschlichen Leichen gegossen, doch keiner wußte, woher sie stammten.
Auf dem schwarzen Eisenthron brütete Thulandra Thuu vor sich hin. Er war ein Mann von asketischer Gestalt und offenbar mittleren Alters. Sein von einem rötlichen Goldstreifen, in Form von ineinanderverschlungenen Schlangen, zusammengehaltenes Haar war silbergrau. Die kalten Augen unter den dicken Lidern erinnerten ebenfalls an Schlangen. Seine Miene war die eines Philosophen, doch der harte, stiere Blick verriet den Fanatiker.
Die Knochen seines schmalen Gesichts waren wie von einem Künstler geformt. Seine Haut war dunkel wie Teakholz. Ab und zu benetzte er die dünnen Lippen mit flinker, spitzer Zunge. Der hagere Leib war großzügig mit Seidenbrokat umwickelt, der eine Schulter unbedeckt ließ, aber auch die dürren Arme einhüllte.
In unregelmäßigen Abständen hob er den Blick von dem alten, mit Pythonhaut gebundenem Buch, das auf seinem Schoß lag, und schaute nachdenklich auf den Alabastersarg, in dem der aufgedunsene Leib König Numedides' in seinem Bad aus Jungfrauenblut ruhte. Stirnrunzelnd widmete er sich danach wieder den Seiten seines Buches. Das Pergament dieses umfangreichen Werkes war mit feiner Hand in einer Sprache vollgekritzelt, die selbst die Gelehrten des Westens nicht kannten. Zeile um Zeile verschlungener, schräger Buchstaben marschierten wie Soldaten in Reih und Glied die Seiten hinab. Viele der Hieroglyphen waren in grüner, roter oder blauer Tinte gezeichnet, die die Zeit nicht zu bleichen vermocht hatte.
Auf einem Tischchen in der Nähe schlug eine Wasseruhr aus Gold und Kristall die Stunde mit silbrigem Klang. Thulandra Thuu schaute erneut, etwas länger diesmal, in den Sarkophag. Die zusammengepreßten Lippen und der düstere Gesichtsausdruck verrieten auch ohne Worte das Mißlingen seines Versuchs. Das helle Rot des Blutes verdunkelte sich, Schaum überzog die Oberfläche, als die Wirkung der allmählich abkühlenden Flüssigkeit nachließ.
Abrupt erhob der Zauberer sich und schleuderte wütend das Buch von sich. Es prallte gegen die Wandbehänge und fiel aufgeschlagen auf den Marmorboden. Wäre jemand gegenwärtig gewesen und hätte er die Schriftzeichen auf dem Buchrücken nicht nur lesen, sondern auch verstehen können, würde er jetzt den Titel dieses Werkes kennen, der da lautete: Das Geheimnis der Unsterblichkeit, von Guchupta von Shamballah.
Aus seiner hypnotischen Trance erwacht, kletterte König Numedides aus dem Sarkophag und stieg in eine Wanne mit duftendem Wasser. Er trocknete sich die derben Züge mit einem flauschigen Handtuch, während Thulandra Thuu das Blut von seinem fettschwabbelndem Körper wusch. Der Hexer gestattete niemandem Zutritt zu seinem Gemach, während er sich mit Zauberei beschäftigte, nicht einmal des Königs Kammerdiener durften es betreten, um ihren Herrn anzukleiden, deshalb mußte Thulandra Thuu sich selbst seiner annehmen. Der Monarch schaute fragend in die grübelnden, düsteren Augen des Zauberers.
»Nun?« krächzte er schließlich. »Hatten wir Erfolg? Sog mein Körper das Signum vitalis auf, als es aus dem Blut des kleinen Balges floß?«
»Ein wenig, großer König«, erwiderte Thulandra Thuu mit tonloser, abgehackter Stimme. »Ein wenig – doch nicht genug.«
Numedides brummte unzufrieden und kratzte seinen haarigen Wanst mit ungepflegten Nägeln. Das dichte gelockte Haar seines Bauches war, genau wie das seines gestutzten Bartes, rostrot und mit Grau durchzogen. »Nun, wollen wir dann weitermachen? Aquilonien hat viele Mädchen, deren Familien es nie wagen würden, den Verlust anzuzeigen, und meine Beauftragten sind sehr geschickt.«
»Laßt mich noch einmal alles gründlich durchgehen, o König. Ich muß Amendaraths Schriften konsultieren, um mich zu vergewissern, ob das teilweise Mißlingen nicht vielleicht ungünstigen Planetenstellungen zuzuschreiben ist. Ich möchte gern erst noch einmal Euer Horoskop stellen. Die Sterne deuten auf bedrohliche Zeiten.«
Der König, der schwerfällig in eine scharlachrote Robe geschlüpft war, hob einen Kelch mit Purpurwein, auf dem rote Mohnblüten schwammen, und goß das exotische Getränk in einem Zug hinab.
»Ich weiß, ich weiß«, knurrte er. »Unruhen an den Grenzen, Komplotte, von mehr als der Hälfte meiner Edlen geschmiedet ... Aber fürchtet nichts, mein besorgter Thaumaturg! Dieses Königshaus ist alt und hat viele Stürme überstanden, es wird auch noch sein, wenn Ihr schon lange Staub seid.«
Des Königs Augen glänzten, und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, als er murmelte: »Staub – Staub – alles Staub. Alles außer Numedides.« Dann schien er sich offenbar wieder gefangen zu haben, denn er fragte gereizt: »Weshalb beantwortet Ihr denn meine Frage nicht? Soll ich Euch ein weiteres jungfräuliches Mädchen für Eure Experimente besorgen lassen?«
»Ja, o König«, erwiderte Thulandra Thuu nach kurzem Überlegen. »Mir ist eine Verfeinerung meiner Methode eingefallen, und ich bin sicher, daß sie uns ans Ziel führen wird.«
Der König grinste über das ganze Gesicht und schlug eine haarige Hand auf den knochigen Rücken des Zauberers. Der unerwartete Schlag brachte den dürren Hexer zum Taumeln. Plötzlicher Ärger huschte über die dunklen Züge, war jedoch sogleich wie durch eine unsichtbare Hand weggewischt.
»Gut, mein Herr Magier!« donnerte Numedides. »Macht mich unsterblich, damit ich dieses schöne Land in alle Ewigkeit regieren kann, und eine ganze Schatzkammer voll Gold soll Euer sein. Schon jetzt spüre ich die ersten Regungen der Göttlichkeit – doch ich werde es meine getreuen und ergebenen Untertanen vorerst noch nicht wissen lassen.«
»Eure Majestät«, rief der bestürzte Zauberer, gewann jedoch sofort seine Haltung zurück. »Euer Reich ist in größerer Bedrängnis, als Ihr offenbar zu wissen scheint. Das Volk wird unruhig. Rebellion schwillt im Süden und an der Küste. Ich verstehe nicht ...«
Der Monarch winkte ab. »Es wäre nicht das erstemal, daß ich mit Verrätern fertig werde.«
Was der König als lästig, aber von keiner größeren Bedeutung abtat, war in Wirklichkeit eine Situation, die seine ganze Aufmerksamkeit und Besorgnis verlangte. Mehr als eine kleine Revolte schwelte entlang der Westgrenze Aquiloniens, wo das Land von Kriegen zwischen den rivalisierenden Baronen zerrissen wurde. Die Bevölkerung ächzte unter der Uneinsichtigkeit Numedides', brach unter der unerträglich hohen Steuerlast und den Mißhandlungen durch die unbarmherzigen Einzieher des Königs schier zusammen und schrie nach Hilfe. Aber über die Sorgen des einfachen Volkes sah der König souverän hinweg, und das Flehen der Bedauernswerten stieß auf taube Ohren.
Doch Numedides war nicht so völlig in seine ungewöhnlichen Vergnügungen vertieft, daß er sich nicht für die Informationen interessierte, die seine Spitzel ihm durch seinen fähigen Minister, Vibius Latro, zutrugen. Der Kanzler berichtete von Gerüchten, nach denen kein geringerer als Graf Trocero von Poitain sich zum Führer der Unterdrückten gemacht haben sollte. Trocero war ein Mann, den man durchaus ernst nehmen mußte, denn er verfügte über eine unübertreffliche schwere Reiterei, und über kriegerische, absolut loyale Untertanen, die sich auf seinen Wink hin sofort erheben würden.
»Trocero«, murmelte der König, »muß vernichtet werden, das steht fest, aber er ist zu stark für eine offene Auseinandersetzung. Wir müssen einen geschickten Attentäter finden ... Mein getreuer, eiserner Amulius Procas hat seinen Standort in der südlichen Grenzregion. Er hat schon mehr als einen arroganten Landesherrn niedergeschlagen, der es wagte, zu rebellieren.«
Unleserlich waren die kalten schwarzen Augen Thulandra Thuus. »Am Antlitz des Himmels las ich Omen überwältigender Gefahr für Euren General. Wir müssen uns unbedingt ...«
Aber Numedides hörte schon nicht mehr zu. Sein trancegleicher Schlummer, zusammen mit dem Opiumwein, hatten seine sinnlichen Lüste aufgepeitscht. Sein Harem beherbergte seit kurzem eine bezaubernde, vollbusige Kushitin, und eine bisher noch nicht erprobte Foltermethode formte sich in seinem kranken Gehirn.
»Ich bin in Eile«, sagte er abrupt. »Haltet mich nicht auf, wenn Ihr nicht wollt, daß ich Euch mit meinen Blitzen zerschmetterte.«
Mit ausgestrecktem Zeigefinger deutete der König von Aquilonien auf Thulandra Thuu und zischte. Dann brüllte er vor Lachen auf, schob die Holzverkleidung hinter den Purpurbehängen zur Seite und schlüpfte hindurch. Von dort führte ein Geheimgang zu jenem Teil des Harems, den man voll Abscheu hinter seinem Rücken das Haus der Schmerzen und Lüste nannte. Der Zauberer schaute ihm mit der Spur eines höhnischen Lächelns nach, ehe er nachdenklich die neunzehn dicken Kerzen löschte.
»O König der Kröten«, murmelte er in seiner, in diesem Land unbekannten Sprache. »Wie wahr du sprichst, nur daß du die Personen verwechselst. Numedides wird zu Staub zerfallen, und Thulandra Thuu den Westen von einem ewigen Thron aus regieren, sobald Vater Set und Mutter Kali ihren sie liebenden Sohn gelehrt haben, wie er den dunklen Seiten des Seins das Geheimnis des ewigen Lebens entnehmen kann ...«
Die dünne Stimme raschelte durch das düstere Gemach wie das trockene Schleifen von Schlangenhaut über die morschen Knochen Hingemordeter.