10. Satyrenblut
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SATYRNBLUT
Prinz Numitor stapfte ruhelos im Lager der Königstreuen umher. Die Kochfeuer brannten nieder, und die Soldaten hatten sich zur Nachtruhe zurückgezogen. Die Mondsichel zeigte sich bereits am Himmel und leistete den Sternen Gesellschaft, die wie Brillanten auf dem blauen Samtgewand einer Lady glitzerten. Im Westen, wo noch ein wenig Dämmerung herrschte, hob sich eine jagende Fledermaus vom Horizont ab, während über dem Lager das Flattern einer Nachtschwalbe in der Stille zu hören war.
Der Prinz ging an der Postenkette vorbei und schritt zum Rande der Schlucht, wo Thulandra Thuu seine magischen Hilfsmittel lagerte. Hinter Numitor verschmolz das Lager mit den nächtlichen Schatten des Waldes. Vor ihm senkte der Fels sich steil in die Tiefe, und links gähnte die schwarze Klamm, die allgemein Riesenkerbe genannt wurde.
Obgleich des Prinzen Ohren keinerlei Geräusche aus der Schlucht aufnahmen, störte ihn doch etwas an der Lage des Camps, aber es dauerte eine geraume Weile, bis er sich des Grundes für seine Unruhe bewußt wurde.
Nachdem er ein paar Pfeilschußlängen dahingeschritten war, sah er die züngelnden Flammen eines kleinen Feuers. Er eilte darauf zu. Thulandra Thuu wirkte in seinem schwarzen Kapuzenumhang wie ein unheilbringender Rabe, während er sich über das Feuer beugte, und Hsiao auf den Knien kurze Reisigstücke nachlegte. Ein metallenes Dreibein, von dem ein nicht sehr großer Messingtopf an einer Kette hing, stand darüber. An einer Seite drückte ein großer Kupferkessel das Gras nieder.
Als Numitor näherkam, entfernte der Zauberer sich ein wenig vom Feuer. Er fummelte in einem Lederbeutel und brachte schließlich ein winziges Kristallfläschchen zum Vorschein. Mit einer Beschwörung in einer dem Prinzen fremden Sprache, zog er den Stöpsel heraus und leerte den Inhalt in den Topf über dem Feuer. Der Prinz hörte ein plötzliches Zischen, dann stieg in allen Regenbogenfarben durchzogener Rauch aus dem Topf.
Thulandra Thuu schaute flüchtig auf den Prinzen, murmelte ein »Guten Abend, mein Lord« und griff erneut in den Lederbeutel.
»Meister Thulandra«, sagte Numitor.
»Mein Herr?« Der Zauberer hielt in seiner Suche inne.
»Ihr bestandet darauf, daß wir das Lager weit von der Schlucht entfernt errichten. Ich mache mir Gedanken über Eure Gründe. Sollten die Rebellen sich in die Klamm stehlen und die Straße heraufschleichen, könnten sie uns überfallen, ehe wir sie überhaupt bemerkten. Wäre es nicht besser, das Lager morgen an den Schluchtrand zu verlegen, von wo aus unsere Männer den Feind mit Geschossen eindecken können?«
Die Augen unter der Kapuze lagen in purpurner Finsternis, aber der Prinz bildete sich ein, daß sie in ihren Höhlen glühten wie die eines Raubtiers auf nächtlichem Beutezug. Thulandra sagte übertrieben sanft: »Mein Lord Prinz, wenn die Dämonen, die ich herbeibeschwöre, ihre Aufgabe erfüllen, würden sie Eure Männer, wären sie zu nahe, in Gefahr bringen. Mit der abschließenden Beschwörung beginne ich um Mitternacht, drei Stunden von jetzt an. Hsiao wird Euch rechtzeitig Bescheid geben, wenn ich Euch brauche.«
Der Hexer schüttete weiteres Pulver in den dampfenden Topf und rührte die Mischung mit einem dünnen Silberstab. »Jetzt muß ich um Euer Verständnis bitten, mein guter Lord, und Euch ersuchen, ein wenig zurückzutreten, damit ich mein Pentagramm zeichnen kann.«
Hsiao reichte Thulandra Thuu den kunstvoll geschnitzten Holzstab, der dem Zauberer als Spazierstock diente, wenn er im Lager umherging. Während sein Diener weiter Reisig auf das niederbrennende Feuer gab, schritt der Hexer die genaue Entfernung davon ab und markierte die kahle Erde mit der Stockspitze. Leise vor sich hinmurmelnd zog er einen Kreis, ein Dutzend Schritte im Durchmesser, dann kratzte er darin den Drudenfuß in die Erde. Einem magischen Ritual folgend, ritzte er ein Symbol in jede Spitze des Pentagramms. Der Prinz verstand weder den fünfzackigen Stern, noch die Zeichen darin, aber er hegte auch keinerlei Verlangen, sich von dem Zauberer in seine unheiligen Geheimnisse einweihen zu lassen.
Jetzt erhob sich Thulandra Thuu. Er stellte sich neben das Feuer, mit dem Rücken zum Abgrund. Er leierte ein Gebet oder eine Beschwörung in einer fremden Sprache. Dann wandte er sich nach Osten und wiederholte den Singsang und schließlich auch in die anderen Richtungen, bis er wieder an seinem Ausgangspunkt angelangt war. Numitor bemerkte, wie die Sterne zu verschwinden schienen, und sah formlose Schatten durch die klare Nachtluft flattern. Er hörte das unheimliche Schlagen unsichtbarer Schwingen. Schließlich drehte er sich um und stolperte zum Lager zurück, denn er hielt es für besser, nicht Zeuge weiterer dieser gespenstischen Vorbereitungen des Günstlings seines Vetters zu sein. Ehe er sich für einen kurzen Schlummer zurückzog, gab er seinen Hauptleuten den Befehl, ihre Männer eine Stunde vor Mitternacht aufzuwecken, damit den Anweisungen des Zauberers Folge geleistet werden mochte.
Drei Stunden später wandte Hsiao sich an einen Posten, der einen Kameraden schickte, den schlafenden Prinzen zu wecken. Als Numitor sich auf den Weg zum Schluchtrand machte, wo der Hexer seinen Zauber vorbereitete, kam er an einer Kolonne Soldaten vorbei, die Thulandra Thuu sich ausgebeten hatte. Jeder der Bewaffneten hielt einen gefesselten Satyr. Ein Dutzend des kurzpelzigen Waldvolks wimmerte und heulte, als sie von den Wächtern in die Reihe gezerrt wurden.
Hsiao hatte das Feuer gut geschürt, und der Inhalt des Messingtopfs blubberte. Eine Wolke vielfarbigen Dampfes stieg aus ihm zum sternenhellen Himmel auf. Auf Thulandra Thuus barschen Befehl hin zog der vorderste Soldat der Kolonne seinen sich verzweifelt wehrenden Gefangenen zu dem Kupferkessel im Gras und zwang den Kopf der bedauernswerten Kreatur über den Rand des weiten Gefäßes. Während die Dunkelheit im Rhythmus einer unhörbaren Trommel pochte – oder war es das Herz des von Grauen erfüllten Soldaten? – schlitzte der Zauberer geschickt die Kehle des Fauns auf. Auf seinen Wink hob der Bewaffnete das Opfer an den Knöcheln hoch und ließ sein Blut in den Kessel fließen. Dann, ebenfalls auf einen leisen Befehl hin, warf er die kleine Leiche in den Abgrund.
Eine Pause setzte ein, während derer Thulandra seinem fürchterlichen Gebräu weitere Pulver zufügte und eine neue Beschwörung leierte. Schließlich winkte er den nächsten Soldaten in der Reihe heran, seinen Satyr zum Kessel zu bringen. Die anderen Soldaten scharrten unruhig mit den Füßen. Einer murmelte:
»Das dauert länger als eine Krönung. Ich wollte, er würde sich beeilen, damit wir uns wieder aufs Fell legen können.«
Der Himmel im Osten überzog sich bereits mit dem ersten Grau des Morgens, als der letzte Satyr starb. Das Feuer unter dem Messingtopf war zu schwelender Glut herabgebrannt. Hsiao löste den dampfenden Topf auf seines Gebieters Befehl hin von der Kette und leerte seinen sprudelnden Inhalt in den blutgefüllten Kessel. Die Soldaten, die ihm am nächsten waren, sahen gespenstische Gestalten aus diesem Kessel aufsteigen – oder glaubten zumindest, sie zu erblicken –, andere sahen lediglich wirbelnden Dampf. Aber in dem trügerischen Licht des frühen Morgens konnte keiner ganz sicher sein, was die Augen wirklich wahrnahmen.
Jene am Rand der Schlucht hörten aus weiter Ferne Marschschritte und das Klingeln von Geschirr und Waffen, die gegen Rüstungen rieben.
Thulandra Thuu hob schrill vor Anspannung die Stimme: »Mein Lord! Prinz Numitor! Befehlt Eure Männer zurück!«
Der Prinz, der im Stehen halb eingenickt war, fuhr erschrocken hoch und gab den Befehl, ins Lager zurückzukehren.
Die Geräusche einer sich nähernden Armee schwollen an. Der Zauberer hob die Arme und rezitierte Beschwörungen. Hsiao reichte ihm eine Kelle, mit der er etwas der Flüssigkeit aus dem Kessel schöpfte und sie in einen tiefen Spalt im Felsen goß. Dann trat Thulandra Thuu zurück, hob heischend die Arme zum blitzzerrissenen Himmel und rief etwas in einer fremden Sprache. Danach schöpfte er weitere Kellen voll aus dem Kessel.
Auf der Straße von Culario, ehe dieses sandige Band unter einem Laubdach verschwand, konnte der Zauberer zwei Berittene sehen. Sie trotteten auf die Riesenkerbe zu und während sie es taten, studierten sie die Felswand und die Wälder unterhalb. Dann kam eine Schwadron Kavallerie in Sicht, der lange Reihen von Fußsoldaten, mit ihren Waffen auf den Schultern, folgten.
Thulandra Thuu schöpfte hastig weitere Flüssigkeit aus dem Kessel und hob erneut die knochigen Arme zum Himmel.
Conan, der vor der ersten Reihe Kavallerie ritt, richtete sich in den Steigbügeln auf und schaute sich um. Seine Kundschafter hatten keine Königstreuen im Buschwerk entlang der Straße durch den Wald entdeckt, auch keine in der Riesenkerbe erspäht, noch oben auf den hohen Felsen. Die scharfen Adleraugen des Cimmeriers studierten den oberen Schluchtrand, der jetzt von den ersten Sonnenstrahlen rosig getönt wurde. Die Befürchtung, daß sich irgendwo eine Falle befinden mußte, wuchs schon fast zur Gewißheit in ihm. Prinz Numitor war kein strategisches Genie, dessen war er sich gewiß, aber selbst jemand wie er würde doch Vorbereitungen treffen, die Klamm zu verteidigen.
Aber er bemerkte nirgends Anzeichen von Königstreuen. Würde Numitor den Rebellen tatsächlich gestatten, die Imirianische Höhe ungehindert zu erreichen, um der Gleichheit der Kräfte willen? Conan wußte, daß die Edlen dieses Landes sich an die Regeln der Ritterlichkeit hielten, aber in all den Jahren seiner Kriegserfahrung hatte noch kein General seine sichere Siegeschance nur um eines solch abstrakten Prinzips willen aufs Spiel gesetzt. Nein, der Feind hatte die Oberhand. Irgendwo harrte ihrer eine Falle. Der Cimmerier kannte die Scheinheiligkeit der Menschen der Zivilisation nur zu gut, und so war seine Skepsis verständlich, was ihre Ideale betraf, die sie so lautstark priesen. Die Barbaren, unter denen er aufgewachsen war, waren bestimmt nicht weniger falsch, aber zumindest versuchten sie gar nicht erst, ihre Greueltaten mit hehren Worten zu beschönigen.
Ein Kundschafter meldete eine seltsame Entdeckung. Am Fuß der Felswand, links von der Riesenkerbe, war er auf einen ganzen Haufen Satyrleichen gestoßen, denen sämtlich die Kehle aufgeschlitzt worden waren. Die kleinen Körper, alle zerschmettert und verstreut, mußten von oben heruntergeworfen worden sein.
»Die Zauberopfer!« murmelte Trocero. »Ich möchte wetten, daß sich des Königs Hexer Numitor angeschlossen hat.«
Als die beiden vorausreitenden Männer sich der Kerbe näherten, trieben sie ihre Pferde an und verschwanden die Straße hoch, die parallel mit dem angeschwollenen Bitaxa verlief. Bald darauf zeigten sie sich auf einem breiten Felssims und gaben das Zeichen, daß nichts Auffälliges zu bemerken war. Wieder studierte Conan den oberen Schluchtrand. Ihm war als hätte er flüchtig eine Bewegung gesehen – nichts weiter als einen schwarzen Punkt. Aber das mochte ein Streich gewesen sein, den das Licht oder seine ermüdeten Augen ihm gespielt hatten. Er drehte sich um und bedeutete dem Führer des Trupps, Hauptmann Morenus, in die Klamm zu reiten.
Conan blieb am Straßenrand auf seinem Pferd sitzen und sah sich weiter wachsam um. Als die Kavallerie an ihm vorüberritt, schwoll seine Brust bei dem soldatischen Anblick, der seinem unnachgiebigen Drill zu verdanken war. Sein eigenes Roß, ein Fuchswallach, war ungewöhnlich nervös. Er stampfte fast unentwegt und tänzelte seitwärts. Conan streichelte des Tieres Nacken, aber das Pferd ließ sich nicht beruhigen. Anfangs hatte Conan gedacht, es sei nur ungeduldig, weil es sich den anderen Reitern anschließen wollte, aber als es immer unruhiger wurde, beschlich Conan ein ungutes Gefühl.
Nach einem neuerlichen Blick auf die Klamm schwang der Cimmerier sich mit gerunzelter Stirn aus dem Sattel und landete mit klirrender Rüstung auf dem Boden. Er faßte die Zügel und schloß die Augen. Seine Barbarensinne, die bedeutend schärfer waren als die der in den Städten aufgewachsenen Menschen, hatten ihn nicht getrogen. Er spürte durch die Stiefelsohlen ein schwaches Zittern der Erde. Es war nicht die Vibration, wie eine Schar galoppierender Reiter sie verursachen würde, sondern etwas Langsameres, eine eigene selbständige Bewegung, als wäre die Erde erwacht und gähnte und streckte sich.
Conan zögerte nicht länger. Er hielt die Hände als Trichter an die Lippen und brüllte aus voller Lunge: »Morenus, schnell, zurück! Raus aus der Klamm! Beeilt euch, alle!«
Einen Augenblick lang herrschte Verwirrung in der Schlucht, während der Befehl weitergegeben wurde und die Soldaten sich bemühten, ihre Pferde auf der schmalen Felsenstraße zu wenden. Über ihnen, am Rand der Schlucht, kreischte der Zauberer eine abschließende Beschwörungsformel und schlug mit seinem seltsamen Stab auf den Stein außerhalb des Drudenfußes.
Ein leises Rumpeln, das noch kaum zu hören war, klang aus der Erde. Die Felswände über den sich zurückziehenden Reitern begannen zu schwanken. Basaltbrocken lösten sich und rollten, mit trügerischer Langsamkeit zuerst, dann immer schneller. Sie prallten gegen die Felswand und zerschmetterten in der Klamm. Das Wasser des Bitaxa spritzte hoch und machte in seinem ebenen Lauf fast einem Wasserfall Konkurrenz.
Nur mit Mühe gelang es Conan, die Steigbügel zu finden, als sein panikerfülltes Pferd sich aufbäumte und herumtänzelte. Endlich saß er im Sattel und drehte sich den Infanteriekolonnen zu, die immer noch auf die Riesenkerbe zumarschierten.
»Zurück! Zurück!« donnerte er, aber das Poltern und Donnern der Lawinen und des Erdbebens verschluckten seine Worte. Er lenkte den Wallach in den Weg der vordersten Reihe der Marschierenden. Die Männer verstanden seine verzweifelten Gebärden, aber die hinteren fuhren fort, nach vom zu drängen, so daß die ganze Kolonne sich ineinander verkeilte.
Innerhalb der Klamm schwankten die Felsen. Sie neigten sich und zerfielen. Mit dem Donnern eines erzürnten Gottes stürzten Millionen von Tonnen Gestein in die schmale Schlucht. Die Erde unter den Füßen der Soldaten wankte und bewegte sich so stark, daß die Männer sich aneinanderklammerten, um nicht zu fallen. Trotzdem verloren manche ihr Gleichgewicht und stürzten mit klirrenden Waffen zu Boden.
Von Panik getrieben brauste Conans Kavallerie heraus aus der einstürzenden Klamm. Die vordersten rasten in die Infanterie. Einige Pferde stürzten, ihre Reiter landeten entweder auf dem harten Felsboden oder auf den Leibern der niedergerittenen Fußsoldaten. Männer schrien und brüllten, Pferde wieherten, und die bebende Erde grollte mit dem Poltern und Krachen der immer noch fallenden Gesteinsmassen.
Der Bitaxa quoll, durch das Geröll aufgewühlt, aus seinem Bett. Er überflutete die Ebene unterhalb der Klamm und spülte über die Straße. Die Soldaten standen knöcheltief im Wasser und beteten zu allen möglichen Göttern.
Mit festem Zügelgriff behielt Conan die Kontrolle über sein Pferd und versuchte, die Ordnung wiederherzustellen. »Morenus!« brüllte er. »Sind alle Eure Männer herausgekommen?«
»Mit Ausnahme etwa einem Dutzend der Vorhut, General.«
Conan starrte finster auf die Klamm und fluchte über den Verlust der guten Männer. Eine riesige Staubwolke verbarg die Schlucht, bis der Wind aufkam und sie vertrieb. Als die Sicht wieder klarer war, sah der Cimmerier, daß die Riesenkerbe nun viel breiter war als zuvor, und die Wände wirkten nicht mehr ganz so steil. Ab und zu noch löste sich eine Lawine aus den jetzt schrägen Hängen und polterte hinunter auf das angesammelte Geröll. Wen es dort auch erwischt hatte, er würde für immer unter den Gesteinsmassen begraben bleiben.
Ein winziges Stück der linken Felswand war erstaunlicherweise unberührt geblieben. Es hob sich nun wie ein schmaler Pfeiler aus dem Plateau heraus. Auf diesem seltsamen Gebilde sah Conan zwei kleine Gestalten in schwarzen Kapuzenumhängen. Eine hob die Arme hoch, wie um die Götter oder Dämonen anzuflehen.
»Das ist Thulandra Thuu, der Zauberer des Königs, ganz sicher«, sagte eine Stimme in Conans Nähe, »oder ich will ein Stygier sein!«
Conan drehte sich um und bemerkte, daß Gromel dicht bei ihm stand. »Glaubt Ihr, er hat dieses Erdbeben ausgelöst?«
»Ganz bestimmt. Und wenn er gewartet hätte, bis wir uns alle in der Klamm befanden, wären wir jetzt ohne Ausnahme erledigt. Er ist zu weit entfernt, daß ein Pfeil ihn treffen könnte, aber bei den Göttern, hätte ich einen Bogen, ich würde es trotzdem versuchen.«
Ein Schütze hörte ihn. Er gab dem Offizier seinen Bogen und sagte: »Seht, ob Ihr mit meinem etwas ausrichten könnt, Sir.«
Gromel saß ab, legte einen Pfeil an die Sehne, zielte und schoß. Der Pfeil flog hoch und prallte ein Dutzend Schritt unterhalb des oberen Randes gegen den Felsen. Die kleinen Gestalten verschwanden.
»Ein guter Versuch«, brummte Conan. »Wir hätten einen Werfer aufstellen sollen. Gromel, es gibt gewiß mehr als genug gebrochene Knochen, die geschient werden müssen. Kümmert Euch darum, daß die Heiler genügend Helfer haben.«
Mit zusammengezogenen Brauen starrte Conan auf das Geröllfeld. Seine barbarischen Instinkte rieten ihm, seine Männer zu sammeln, die Kavallerie absitzen zu lassen und sie alle mit blanker Klinge von Fels zu Fels springend, die Hänge hochstürmen zu lassen. Doch die Erfahrung warnte ihn. Er würde nur kostbare Menschenleben aufs Spiel setzen und nicht viel erreichen, denn sie kämen nur langsam und mühsam voran, und während sie sich die Wand hochkämpften, konnte man sie von oben mit Pfeilhagel eindecken. Wer wirklich oben ankam, wäre zu erschöpft, sich in den Kampf zu stürzen.
Er schaute sich um. »He, Trocero! Prospero! Morenus, schickt einen Mann, um Publius und Pallantides hierher zu holen. Nun, Freunde, was meint ihr, sollen wir als nächstes unternehmen?«
Graf Trocero lenkte sein Pferd dichter an Conans und studierte die ungeheuren Gesteinsmassen. »Unmöglich können die Reiter die Hänge bezwingen. Zu Fuß wäre es langsam und mühsam zu schaffen, aber auch nur, wenn Numitor nicht von oben angreift, und der Hexer sich nicht einen weiteren Zauber einfallen läßt. Die Wagen müßten wir auf jeden Fall zurücklassen.«
»Könnten wir vielleicht eine eigene Straße bauen, ähnlich dem Simsweg, der nun unter dem Geröll liegt?« fragte Prospero.
Trocero brauchte nur kurz zu überlegen. »Mit tausend Arbeitern, ausreichenden Mitteln könnte ich in wenigen Monaten eine Straße erstellen, wie Ihr sie Euch schöner gar nicht wünschen könntet.«
»Aber wir haben weder die Zeit noch das Geld dafür«, brummte Conan. »Wenn wir nicht durch die Kerbe kommen, müssen wir eben darüber, darunter oder um sie herum. Befehlt den Männern, sich etwa zwei Meilen auf der Straße zurückzuziehen und unter den Bäumen zu kampieren.«
Im Lager der Königstruppen erwartete den Zauberer ein wütender Prinz. Der erschöpfte Thulandra Thuu wirkte älter, und er mußte sich an Hsiaos starke Schulter stützen. Der Felsrand, wo er sein Pentagramm gezeichnet hatte, war nicht mit dem Rest der Wand eingebrochen, und so hatte er ohne Schwierigkeiten auf dem schmalen Stück in die Sicherheit des Plateaus zurückkehren können.
»Ihr Dummkopf von einem Hexer!« raste Numitor. »Wenn Ihr schon zu Magie greifen mußtet, hättet Ihr zumindest warten sollen, bis die Rebellen samt und sonders in der Kerbe steckten. So hätten wir sie alle vernichten können. Jetzt sind sie ohne größere Verluste geflohen.«
»Ihr versteht nichts von diesen Dingen, Prinz«, erwiderte Thulandra kalt. »Ich wartete mit dem letzten Schritt des Zaubers, bis ich bemerkte, daß etwas – oder jemand – den Rebellenführer vor der Falle gewarnt hatte, und die Vorhut zu fliehen begann. Hätte ich noch länger gezaudert, wären sie völlig ungeschoren davongekommen. Auf jeden Fall ist die Klamm jetzt blockiert. Die Rebellen müssen entweder ostwärts zum Khorotas marschieren, oder westlich zum Alimane, denn sie können jetzt die Höhe nicht bezwingen.
Aber jetzt entschuldigt mich. Die Beschwörung hat mir viel Kraft entzogen, und ich muß mich ausruhen.«
»Ich habe nie viel von einem Wunderwirker gehalten«, brummte Numitor, während er sich abwandte.
In ihrem Waldlager beugten sich Conan und seine Offiziere an diesem Abend über eine Karte. »Um das Plateau zu umgehen«, sagte Conan, »müssen wir in die Ortschaft Pedassa zurückkehren, wo die Straße sich zu den beiden Flüssen gabelt. Aber das ist ein langer Marsch.«
»Wenn es nur in der langen Felswand unbekannte Klüfte gäbe«, sagte Prospero, »könnten wir uns vielleicht unbemerkt an Numitor heranstehlen und ihn überfallen.«
Conan runzelte die Stirn. »Auf dieser Karte sind keine weiteren Pässe, außer der Riesenkerbe eingezeichnet. Aber ich lernte aus Erfahrung, daß auf Kartenzeichner nicht immer Verlaß ist. Man kann schon von Glück reden, wenn sie die Flußläufe richtig eintragen. Trocero, wißt Ihr denn keine andere Route?«
Der Graf schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Aber es müßte doch außer dem Bitaxa sonst noch Flüsse geben, die sich ihr Bett durch den Fels gegraben haben!«
Trocero zuckte nur die Achseln. Pallantides betrat das Zelt und meldete. »Verzeiht die Störung, General. Zwei Männer aus Serdicus' Kompanie sind desertiert.«
Conan schnaubte verächtlich. »Jedesmal wenn wir einen Sieg erringen, begehen Soldaten aus dem Königslager Fahnenflucht und kommen zu uns, und immer, wenn wir Pech haben, laufen einige unserer Rebellen zu den Königstreuen über. Es ist wie ein Glücksspiel. Schickt Kundschafter nach ihnen aus und henkt sie, wenn Ihr, sie faßt, aber macht es nicht öffentlich. Und nun zu etwas anderem: Laßt gute Waldläufer und Bergsteiger die Felswand in beide Richtungen, je etwa vier Meilen weit, nach einem möglichen Weg nach oben absuchen! Das wär's. Meine Freunde, laßt mich jetzt allein, damit ich in aller Ruhe alles eingehend überlegen kann!«
Conan saß neben seinem Feldbett brütend über einer Kanne Bier. Immer wieder studierte er die Karte und zerbrach sich verzweifelt den Kopf nach einer Möglichkeit, auf die Hochebene zu kommen.
Abwesend spielte er mit dem halbrunden Obsidianstück, das zwischen den prallen Brüsten der Tänzerin Alcina gehangen hatte und dessen Kette nun eng um seinen mächtigen Hals lag. Er starrte auf das Amulett, oder was immer es war, und dachte, wie recht sein Freund Trocero doch mit seinem Verdacht gehabt hatte, daß sie den Tod des alten Amulius' herbeigeführt hatte.
Allmählich fügte sich Stück um Stück des Puzzles zusammen. Alcina war entweder vom königlichen Leiter des Geheimdiensts oder dem königlichen Zauberer geschickt worden, um ihn, Conan zu töten. Und später war es ihr gelungen, General Procas zu ermorden. Warum den tüchtigen Oberbefehlshaber? Weil Procas, nachdem Conan unter der Erde ruhte, nicht mehr benötigt wurde, den wahnsinnigen König von Aquilonien zu beschützen. Also hatte weder sie noch ihr Gebieter zum Zeitpunkt von Procas' Tod gewußt, daß Conan sich von dem Mordanschlag erholt hatte.
Ich werde wohl in Zukunft ein wenig vorsichtiger sein müssen, wenn ich mir meine Bettgefährtinnen aussuche, dachte der Cimmerier nicht ohne Bitterkeit. Aber warum mußte Procas sterben? Weil Alcinas Auftraggeber, wer immer er auch war, den Alten aus dem Weg haben wollte. Dieser Gedanke führte Conan zu Thulandra Thuu, denn die Rivalität zwischen dem Zauberer und dem General um die Gunst des Königs war allgemein bekannt.
Conan umklammerte den schwarzen Talisman, als ihm diese Einsicht kam. Und während er es tat, wurde er sich etwas sehr Seltsamem bewußt. Er hatte das merkwürdige Gefühl, als führten Stimmen ein Zwiegespräch in seinem Kopf.
Eine schattenhafte Form nahm vor seinen Augen Gestalt an. Als Conan die Schultern straffte, um nach seinem Schwert zu greifen, verdichtete sich das Bild, und er sah eine Frau auf einem schwarzen Schmiedeeisenthron sitzen. Diese Vision war in bestimmtem Grad durchschimmernd – er konnte schwach die Zeltwand hinter dem Bild sehen – und zu verschwommen, um die Züge der Frau zu erkennen. Aber in dem schattenhaften Gesicht brannten smaragdgrüne Augen.
Jeder Nerv in Conan schien zu kribbeln, als er die Gestalt beobachtete, und den Stimmen lauschte. Eine war die tiefe, klangvolle Stimme einer Frau, und mit den Worten bewegten sich die Lippen der Schattengestalt. Es war zweifellos Alcinas Stimme, aber sie schien sich nicht bewußt zu sein, daß Conan sie sah und hörte.
Die andere Stimme klang metallisch, ohne Regung, und sie sprach Aquilonisch mit einem leichten Zischen. Conan hatte nie ein Wort mit Thulandra Thuu gewechselt, obgleich er den Zauberer hin und wieder, wenn er, Conan, in seiner Eigenschaft als General des Königs an den Hof beordert worden war, von weitem im Thronsaal gesehen hatte. Aber der Cimmerier fand, daß die Stimme zu seinem Aussehen paßte. Sie fuhr gerade fort:
»... weiß nicht, wer meinen Plan verriet, aber irgend jemand muß den Rebellenhäuptling gewarnt haben.«
Alcina erwiderte: »Vielleicht nicht, Meister. Das Barbarenschwein hat viel schärfere Sinne als ein normaler Mensch. Er hat den bevorstehenden Kataklysmus möglicherweise durch eine Luftbewegung über dem Boden gespürt. Was beabsichtigt Ihr jetzt zu tun?«
»Es bleibt mir nichts übrig, als hierzubleiben und aufzupassen, daß dieser Einfaltspinsel Numitor nicht irgendeine Dummheit begeht, ehe Graf Ulric eintrifft. Die Sterne sagen mir, daß er in drei Tagen hier sein wird. Aber ich bin so müde. Die Erdgeister herbeizubeschwören hat mich entkräftet. Ich kann keine weiteren Zauber wirken, ehe ich nicht meine physische Kraft zurückgewonnen habe.«
»Dann flehe ich Euch an, kehrt gleich zurück«, drängte Alcina. »Ulric wird zweifellos eintreffen, ehe die Rebellen einen Weg auf die Imirianische Höhe finden, und ich brauche Euren Schutz.«
»Schutz? Wieso?«
»Seine wahnsinnige Majestät, der König, wird immer zudringlicher in seiner Aufforderung, an seinen gräßlichen Vergnügungen teilzunehmen. Ich habe Angst.«
»Wozu drängt dieser wandelnde Kothaufen Euch denn?«
»Sein Verlangen übersteigt jegliche Beschreibung, Meister. Auf Euren Befehl habe ich mit Männern gelegen und andere getötet. Aber das, worauf er aus, ist werde ich nicht tun!«
»Set und Kali!« fluchte die Männerstimme. »Wenn ich mit Numedides fertig bin, wird er wünschen, er wäre in der Hölle. Ich breche gleich am Morgen nach Tarantia auf.«
»Habt gut acht, daß Ihr unterwegs nicht den Rebellen in die Hände fallt! Größere Meuten von Aufrührern wurden entlang der Straße der Könige gemeldet, und das Barbarenschwein ist imstande, einen schnellen Raubzug in königstreues Gebiet zu machen. Er ist als Gegner nicht zu unterschätzen.«
Die Männerstimme klang leicht amüsiert. »Macht Euch meinetwegen keine unnötigen Sorgen, meine teure Alcina. Selbst in meinem gegenwärtigen entkräfteten Zustand kann ich immer noch mit meinen ungewöhnlichen Fähigkeiten jeden Sterblichen töten, der sich mir in den Weg stellt. Und jetzt, lebt wohl!«
Die Stimmen verklangen, und das Bild verschwand. Conan schüttelte sich, als erwache er aus einem sehr lebhaften Traum. Wenn Thulandra Thuu die Hochebene verließ und Ulric noch nicht eingetroffen war, hatte er eine gute Chance, Numitors Armee zu überfallen und zu schlagen – wenn er nur das Plateau erreichen könnte, ehe es zu spät war.
Er brauchte frische Luft, um einen klaren Kopf zu bekommen, also erhob er sich. Im anschließenden Zeltteil waren die Leibwächter, die Prospero zu seinem Schutz eingeteilt hatte, so in ein Spiel vertieft, daß sie nicht einmal aufblickten, als Conan lautlos wie ein Schatten an ihnen vorbeiglitt.
Die Wachen vor dem Zelt, die an seine nächtlichen Ausflüge gewöhnt waren, nahmen an, daß er im Lager nach dem Rechten sehen wollte. Sie salutierten. Er wanderte weiter zum Rand des Lagers und von dort hinein in den nächtlichen Wald. Unwillkürlich grinste der Cimmerier, als er an Prospero dachte. Der Gute würde sehr erzürnt sein, weil er seinen Leibwächtern wieder einmal entschlüpft war.
Er fummelte in seinem Lederbeutel nach dem Beinpfeifchen, das Gola ihm gegeben hatte. Er holte es heraus und befingerte es. Der Satyr hatte gesagt, wenn er je Hilfe von dem Waldvölkchen wollte, brauchte er nur darauf zu blasen. Achselzuckend hielt er das winzige Pfeifchen an die Lippen und blies. Nichts geschah. Daraufhin versuchte er es ein wenig stärker.
Vielleicht hatten die restlichen Satyrn sich aus dieser Gegend zurückgezogen, wo man ihnen so übel mitgespielt hatte. Doch selbst wenn sie den Ruf hörten, brauchten sie Zeit, zu ihm zu kommen. Conan blieb reglos stehen und wartete mit der wachsamen Geduld eines Panthers, der einer Beute auflauert. Er lauschte dem Summen und Zirpen der Insekten und dem Rascheln der Blätter, wenn der Wind mit ihnen spielte. Hin und wieder setzte er das Pfeifchen erneut an die Lippen und blies wieder.
Endlich spürte er eine Bewegung in den Büschen.
»Wer du, der bläst Satyrpfeife?« fragte eine helle, hohe Stimme auf Aquilonisch.
»Gola?«
»Nein. Ich Zudik, Häuptling.« Das Buschwerk wurde geteilt. »Wer du?«
»Ich bin Conan, der Cimmerier. Kennst du Gola?« Conan, dessen Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah, daß die hohe Stimme zu einem gebückten, offenbar sehr alten Satyr gehörte, dessen Pelz mit viel Silber durchzogen war.
»Ja«, erwiderte der Oberfaun. »Er von dir erzählt. Du ihn und vier andere retten. Was wollen?«
»Eure Hilfe, um die Männer auf der Hochebene zu schlagen.«
»Wie Zudik großen Mann wie du helfen?«
»Wir brauchen einen Weg zum Plateau«, sagte Conan, »nun, da die Riesenkerbe mit Geröll verstopft ist. Kennt ihr einen anderen Weg?«
Das Insektenzirpen klang wie ein fröhliches Lied in der nächtlichen Stille. Zudik antwortete bedächtig. »Kleiner Pfad dort!« Er deutete ostwärts.
»Wie weit?«
Der Satyr antwortete in seiner eigenen Sprache, die wie das Krächzen von Krähen klang.
Verwirrt fragte der Cimmerier: »Würden wir es in einem Tagesmarsch schaffen?«
»Marschieren schnell, können schaffen.«
»Wirst du uns den Weg weisen?«
»Ja. Ich bereit, ehe Sonne aufgeht.«
Später suchte Conan Publius auf und sagte: »Wir brechen bei Morgengrauen zu einem Pfad auf, der zum Plateau hochführt. Das jedenfalls versicherte mir ein Faun. Aber die Wagen können wir nicht mitnehmen. Bringt Ihr sie nach Pedassa zurück und folgt von dort der Straße zum Khorotas. Wenn wir uns Euch auf der Straße anschließen, dann wißt Ihr, daß wir Numitor geschlagen haben; wenn nicht ...« – Conan zog einen Finger um seine Kehle – »zieht Ihr allein weiter.«
Die zweite Kluft im Massiv war viel schmaler als die Riesenkerbe. Von unten war sie überhaupt nicht zu sehen, da üppiges Grün und überhängende Felsen sie verbargen. Die Reiter führten ihre Pferde über den Bach, der am Fuß der Klamm gluckerte, und den felsigen Weg hoch. Immer wieder hielt ein Pferd, das sich vor den engen Klammwänden fürchtete, die anderen auf, während es verstört wieherte, die Augen rollte und sich aufbäumte.
Die Männer, die hintereinander stapften, hatten weniger Schwierigkeiten als die Rosse, sich hindurchzuzwängen, aber als angenehm empfanden auch sie diesen Weg nicht. Beim Einbruch der Dämmerung, die den Pfad noch dunkler und gespenstischer erscheinen ließ, riet Conan den Männern, sich jeweils an ihrem Vordermann festzuhalten und nicht loszulassen. Als der neue Morgen graute, waren alle durch die Klamm.
Während der Rast nach dem Gewaltmarsch und der anstrengenden Klettertour schickte Conan Späher aus, die Numitors Position erkunden sollten. Nach ihrer Rückkehr meldete der Truppführer:
»Numitor hat sein altes Lager abgebrochen und sich gut zehn Meilen weiter entlang der Straße zurückgezogen. Seine Männer haben das neue Lager im Wald aufgeschlagen und direkt über der Straße.«
Conan blickte seine Offiziere fragend an. Pallantides sagte erstaunt: »Was soll das denn nun wieder? Selbst wenn es stimmt, daß Numitor nicht übermäßig klug ist, habe ich noch nie gehört, daß er ein Feigling ist.«
»Ich würde eher sagen«, warf Trocero ein, »er erfuhr, daß wir einen Weg das Massiv hoch gefunden haben und befürchtete, wir würden ihn zum Abgrund drängen.«
»Der Zauberer könnte ihn gewarnt haben«, meinte Prospero.
»Das ist nicht alles, General«, fuhr der Kundschafter fort. »Vier weitere Regimenter sind zur Verstärkung des Feindes eingetroffen. Wir erkannten ihre Standarten.«
Conan brummte: »Numitor hat alles Militär von der Westermark zurückgezogen und überläßt die Verteidigung gegen die Pikten der einheimischen Miliz. Also sind wir zahlenmäßig wieder einmal unterlegen – und die Königlichen Grenzer sind ausgezeichnete Krieger. Ich habe mit ihnen gekämpft und weiß es.« Er machte eine kurze Pause, dann fügte er hinzu: »Freunde, der Satyr Gola erwähnte etwas über die Verwendung von Pfeifen gegen Feinde. Was glaubt ihr, meinte er damit?«
Keiner wußte es. Schließlich murmelte der Cimmerier. »Dann werde ich mich wohl wieder mit dem kleinen Volk in Verbindung setzen müssen.«
Als die Abenddämmerung einen grauen Schleier entlang des Wildbaches zog, kletterte Conan den Pfad hinab, den seine Männer so mühsam erklommen hatten. Allein stand er in der allesumhüllenden Dunkelheit des Brocellianischen Forstes und lauschte vergebens nach leisen Schritten. Er blies die Pfeife, und wieder, wie schon einmal, wartete er geduldig unter einem alten Baum. Er war sehr erleichtert, daß wieder Zudik seinem Ruf Folge leistete. Auf seine Frage antwortete der Häuptling der Satyrn:
»Ja, wir benutzen Pfeifen. Lasse deine Männer Ohren stopfen!«
»Unsere Ohren verstopfen?« wunderte sich der Cimmerier.
»Ja. Nehmt Bienenwachs, Stoff, Lehm – damit nicht hören. Dann wir euch helfen können.«
Numitors Grenzer kampierten in Halbmondformation quer über die Straße nach Tarantia. Der Prinz hatte sich ganz offensichtlich auf die Verteidigung eingerichtet, bis Graf Ulric kam. Seine Männer hoben Gräben aus und schützten sie mit einer Art Palisade. Wegen des dichten Baumbestands konnten die Rebellen die langen Reihen der Königstreuen nicht umgehen.
So lautlos wie möglich zerstreute die Befreiungsarmee sich vor dem Halbmond und verbarg sich zwischen und hinter dem allgegenwärtigen Buschwerk. Aber als ein Feindposten eine Bewegung zwischen dem Unterholz bemerkte, schlug er Alarm. Numitors Männer ließen ihre Spaten fallen, griffen nach ihren Waffen und gingen in Stellung.
Conan winkte seinen Adjutanten zu, die sich, wie alle anderen, die Ohren verstopft hatten, und bedeutete ihnen, den Bogenschützen das Signal zum Beschuß zu geben. Gleich darauf zerriß das Singen der Sehnen und das Schwirren der Pfeile die Luft. Aber Conans Leute hörten nichts.
Die königlichen Verteidiger dagegen vernahmen einen schrecklichen Laut, der ihnen schier das Blut in den Adern stocken ließ – ein schrilles, auf und ab klingendes, unirdisches Pfeifen war es. Es drang aus dem Nichts überall hin. Die Männer hatten das scheußliche Gefühl, als schmerze sie jeder einzelne Zahn, und es versetzte sie in eine seltsame, unverständliche Panik. Numitors Soldaten ließen ihre Waffen fallen und preßten die Hände an den Kopf, der ihnen zu bersten drohte. Einige brachen in hysterisches Gelächter aus, andere in unstillbares Schluchzen.
Je näher das Pfeifen kam, desto schlimmer wurde das Gefühl des unabwendbaren Verhängnisses, bis es schließlich ihre Seelen überflutete. Der Drang davonzulaufen, den sie anfangs mannhaft unterdrückt hatten, gewann die Oberhand über ihre langjährige Disziplin und Kampferfahrung. Hier und da sprang ein Soldat von seiner Stellung in den vorderen Linien auf und rannte, wie ein Besessener schreiend, zurück zur Reserve. Immer mehr taten es ihnen gleich, bis die vordersten Linien sich zu einer heulenden Masse panikerfüllter Flüchtlinge auflöste, die selbst nicht wußten, wovor sie überhaupt flohen. Als auch die Flanken nicht mehr besetzt waren, bewegten sich die unsichtbaren Pfeifer dem Zentrum zu, bis auch das sich auflöste. Troceros Kavallerie verfolgte jetzt die Fliehenden, tötete einige und nahm andere gefangen.
»Jedenfalls«, sagte Conan erfreut, als er das verlassene Lager der Königstreuen betrachtete, »haben sie uns genug Ausrüstung zurückgelassen, daß wir noch einmal so viele Männer rekrutieren können, wie wir schon sind.«
»Das war ein leichter Sieg!« freute sich Prospero.
»Zu leicht«, erwiderte Conan grimmig. »Ein leichter Sieg ist häufig so falsch wie das Lächeln eines Höflings. Ich werde erst sagen, daß der Weg nach Tarantia frei ist, wenn ich die Stadtmauern vor mir sehe, aber nicht eher.«