11. Der Schlüssel zur Stadt

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DER SCHLÜSSEL ZUR STADT

 

 

Die Befreiungsarmee marschierte ohne aufgehalten zu werden durch das freundliche Land, wo Poitains große Herden edler Pferde und fleischiger Rinder auf den saftigen Weiden grasten, und wo prächtige Burgen ihre zinnenbewehrten Türme rot, purpurn und golden in den Himmel streckten. Die Rebellenarmee folgte den Serpentinenwegen über Bergkuppen mit saftigem Grün, und erreichte schließlich die Grenze zwischen Poitain und den Zentralprovinzen von Aquilonien.

Aber während Conan hoch zu Roß auf einer Böschung saß und seine Soldaten vorbeireiten und -marschieren ließ, war seine Miene ernst, ja düster. Denn obgleich Numitors Grenzer wie Laub im Herbstwind verstreut waren, griff ein neuer Feind seine Armee an, gegen den er sich nicht wehren konnte. Eine Krankheit war es, eine Seuche, die scharlachrote Flecken hervorrief, verbunden mit Schüttelfrost und Fieber. Sie breitete sich immer schneller aus, und mehr Soldaten fielen ihr zum Opfer als einem übermächtigen Feind in einer Schlacht. Viele Männer mußten bettlägrig in den Ortschaften auf dem Weg zurückgelassen werden; viele, die sich vor der schrecklichen Seuche fürchteten, desertierten; und noch mehr starben daran.

»Wie hoch ist unsere Zahl jetzt?« fragte Conan eines Abends Publius, als die Armee sich dem Grenzort Elymia näherte.

Der frühere Reichskämmerer studierte seine Listen. »Ungefähr achttausend, die etwa tausend Kranken mitgerechnet, die sich auf den Füßen halten können.«

»Crom! Wir waren zehntausend, als wir den Alimane überquerten und viele hunderte schlossen sich uns seither an. Was ist aus ihnen geworden?«

»Einige sehen alles in einem rosigen Licht und kommen zu uns wie der Bräutigam zur Braut, aber wenn sie sich schwitzend abplagen und ein paar Dutzend Meilen, oder auch weniger, vom heimischen Herd entfernt sind, überlegen sie es sich anders, um so mehr, wenn sie sich Sorgen um ihre Familien machen und die Ernte, die bald eingebracht werden muß.«

»Und diese Fleckenkrankheit hat Tausende befallen«, fügte Dexitheus hinzu. »Ich und die Heiler unter mir versuchten jegliches Kraut und jedes Mittel ohne den geringsten Erfolg. Mir scheint, daß Magie im Spiel ist. Oder das Schicksal meint es nicht mehr gut mit uns.«

Conan unterdrückte eine abfällige Bemerkung. Nach dem Erdbeben wagte er es nicht mehr, die beachtlichen Zauberkräfte seines Feindes, noch die launische Grausamkeit der Götter zu unterschätzen.

»Wenn wir die Satyrn hätten überreden können, mit uns zu kommen und ihre Pfeifen mitzunehmen, wäre unsere Zahl von geringerer Bedeutung«, meinte Prospero.

»Aber sie wollten ihr Zuhause im Brocellianischen Forst nicht verlassen«, brummte Conan.

»Ihr hättet den alten Zudik als Geisel nehmen und sie zwingen können.«

»Das ist nicht meine Art«, knurrte der Cimmerier. »Zudik hat sich als Freund in der Not erwiesen. Ich würde nichts tun, was ihn kränken könnte.«

Trocero lächelte sanft. »Wart nicht Ihr derjenige, der Prinz Numitors hohe Ideale verächtlich abtat?«

»Bei Wilden hat der Häuptling nicht übermäßig viel zu sagen. Ich lebte unter ihnen und machte mehrfach diese Erfahrung. Außerdem bezweifle ich, daß die Kleinen, selbst wenn sie ihren Oberfaun liebten und um sein Wohlergehen besorgt wären, ihre Furcht vor dem offenen Land überwinden könnten. Aber wir wollen uns der Zukunft zuwenden und nicht mit dem Wenn und Aber der Vergangenheit die Zeit vergeuden. Haben die Kundschafter schon Anzeichen von Ulrics Armee gemeldet?«

»Nichts dergleichen«, antwortete Trocero, »sie erspähten heute lediglich ein paar Reiter aus der Ferne, die schnell außer Sicht galoppierten. Wir wissen nicht, wer sie waren, aber ich möchte wetten, daß die Nordbarone Graf Ulric immer noch aufhalten.«

»Morgen werde ich Gyrtos Trupp zum Kundschaften entlang der Grenze nehmen, während ihr anderen weiter nach Elymia marschiert.«

»General«, protestierte Prospero. »Ihr dürft Euch nicht so waghalsig in Gefahr bringen. Ein Feldherr sollte hinter den Linien bleiben, wo er seine Einheiten unter Kontrolle hat, und nicht sein Leben wie ein heimatloser Abenteurer aufs Spiel setzen.«

Conan runzelte die Stirn. »Wenn ich hier Befehlshaber bin, dann muß ich auch befehlen und tun können, wie ich es für richtig halte!« Als er Prosperos betroffene Miene bemerkte, fügte er mit einem Lächeln hinzu: »Habt keine Angst, ich werde nichts Leichtsinniges tun, aber ein General muß eben manchmal die Gefahr mit seinen Männern teilen. Außerdem, bin ich denn nicht wirklich ein heimatloser Abenteurer?«

»Mir deucht«, brummte Prospero, »Ihr gebt lediglich Eurem barbarischen Verlangen nach Handgreiflichkeiten nach.« Conan grinste breit, aber er ging nicht auf diese Bemerkung ein.

 

Die Straße war ein goldenes Band vor ihnen, als Conans Trupp durch den dunstigen Morgen trottete. Der Cimmerier ritt an der Spitze, in Kettenrüstung wie die anderen, mit Hauptmann Gyrto an seiner Seite. Jeder der Kavalleristen hatte eine Lanze an einem Steigbügel befestigt und saß stolz im Sattel, während er wachsam die sanft hügelige Landschaft betrachtete. Ein paar Vorreiter hatten sich vom Trupp getrennt, sie kanterten in weitem Bogen über die brachliegenden Felder, vermieden jedoch die einfachen Gehöfte und Äcker mit den reifenden Feldfrüchten.

Die Landleute in ihren Feldern oder Weinbergen hielten in ihrer Arbeit inne und stützten sich auf ihre Rechen oder Hacken und schauten den Reitern nach. Ein paar riefen ihnen freundlich zu, aber die meisten verhielten sich gleichmütig. Hin und wieder war flüchtig das Rot oder Gelb eines Unterrocks zu sehen, wenn Frauen sich hastig vor dem Reitertrupp versteckten.

»Sie warten, bis sich herausstellt, wer siegt«, brummte Gyrto.

»Und das ist auch das Beste, was sie tun können«, erwiderte Conan. »Denn wenn wir verlieren, werden alle, die uns geholfen haben, bitter dafür bezahlen müssen.«

Elymia kauerte unterhalb der nächsten Höhe in einer weiten Mulde. Ein Flüßchen, kaum mehr als ein Bach, schlängelte sich träge an den Lehmziegelhäusern vorbei und nahm seinen Weg ostwärts zum Khorotas. Weiden spiegelten sich in seinem dunklen Wasser.

Das Dorf, das nicht mehr als zweihundert Seelen beherbergte, war nicht befestigt, denn viele Jahrzehnte des Friedens hatten die Bürger so sehr in Sicherheit gewiegt, daß sie die alte Mauer aus sonnengetrockneten Lehmziegeln völlig hatten zerfallen lassen. Nirgendwo waren hier Menschen außerhalb ihrer Häuser – auch nicht bei irgendeiner Arbeit – zu sehen.

»Es ist zu ruhig hier«, murmelte Conan. »An einem so schönen Tag müßten die Leute im Freien sein.«

»Vielleicht halten sie ein Mittagsschläfchen«, meinte Gyrto. »Oder alle, außer den Säuglingen und den Greisinnen sind auf den Feldern.«

»Nicht die richtige Zeit dafür«, knurrte Conan. »Es gefällt mir nicht.«

»Oder vielleicht haben sie sich verkrochen, weil sie fürchten, wir würden sie ausplündern und morden.«

Conan befahl: »Schickt zwei Kundschafter durch die Ortschaft. Wir warten einstweilen hier.«

Zwei Reiter trabten den schrägen Hang hinunter und verschwanden im Rachen der schmalen, sich durch die Häuser windenden Straße. Doch bald darauf spuckte die Straße sie wieder aus. Sie galoppierten zurück und gaben das Zeichen, daß alles in Ordnung zu sein schien.

»Wir wollen uns selbst umsehen«, brummte Conan. Gyrto wies seine hundert berittenen Lanzer zu einem schnellen Trott an.

Die Sonne war eine gigantische orangefarbige Scheibe, als sie am westlichen Horizont versank. Die Häuser von Elymia hoben sich schwarz und unheildrohend gegen ihr feuriges Glühen ab. Die Rebellen sahen sich ein wenig beunruhigt um, denn immer noch rührte sich nichts auf der schmutzigen Straße, noch hinter den geschlossenen Türen.

»Vielleicht hörten die Bürger von zwei feindlichen Armeen, die sich in der Gegend zum Kampf treffen würden, und flohen, um nicht zwischen zwei Mühlsteine zu geraten«, meinte Gyrto jetzt.

Conan zuckte die Achseln und zog sein Schwert ein Stück aus der Scheide, um es schnell hiebbereit zu haben. Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich niedrige Häuschen mit dichten Strohdächern. Die Vorderseite eines der Häuser hatte eine Art offenen Vorbau in dem eine Theke stand. Ein gemalter Krug über dem Eingang wies es als Schenke aus. Weiter entlang der Straße lag ein scheunenähnliches Gebäude ein wenig zurück. Verstreute Eisenbarren, Zangen und ein Amboß verrieten, daß es sich um eine Schmiede handelte, aber kein Hämmern erklang von ihr. Etwas – Conan wußte selbst nicht, was es war – stellte ihm die Härchen auf dem Nacken auf.

Der Cimmerier drehte sich im Sattel, um zurückzuschauen, als die letzten der Doppelkolonne in das Dorf ritten. Die Pferdepaare mußten dicht nebeneinander trotten, um nicht gegen die Häuser zu streifen, so schmal war die Straße.

»Genau der Ort für einen Überraschungsangriff«, brummte Conan. »Gebt den Männern das Signal, schnell hindurchzureiten.«

Gyrto winkte seinem Trompeter, als eine andere Trompete ganz in der Nähe erschallte. Sofort schwangen alle Türen der Häuschen auf und königstreue Soldaten stürmten heraus. Ihre Schlachtrufe zerrissen die Stille. Mit blutdürstigen Schwertern und Piken stürzten sie sich von beiden Seiten auf Conans Trupp.

Voraus sprangen drei Reihen Lanzenträger in Stellung. Sie blockierten die Straße mit einer Mauer spitzen Stahles. Langsam bewegten sie sich vorwärts. Die Mordlust leuchtete in ihren Augen, und die Lanzenspitzen glühten im Schein der untergehenden Sonne in einem stumpfen Rot.

»Crom und Ischtar!« heulte Conan und riß sein Schwert aus der Scheide. »Wir stecken in der Falle! Gyrto, laßt Eure Männer wenden.«

Der Schlachtenlärm schwoll – das Brüllen wütender Männer, das Wiehern sich aufbäumender Pferde, das Schleifen von Stahl auf Stahl, das Klirren von Schwertern auf Schildern, und der dumpfe Aufprall von Fallenden. Conans Trupp war durch den gleichzeitigen Angriff von drei Seiten und die zahlenmäßige Übermacht des Feindes stark im Nachteil. Die Enge der Straße verhinderte auch eine massive Formation oder die Möglichkeit, Geschwindigkeit für einen Sturm aufzunehmen, der ihnen zumindest einen kleinen Vorteil gebracht hätte, denn eine Lanze in der Hand eines galoppierenden Reiters ist eine wirkungsvollere Waffe als in der Hand des gleichen Reiters, dessen Pferd zum Stehen gezwungen ist.

Die Rebellen, von Angst und Grimm getrieben, stachen mit den Lanzen auf ihre Angreifer ein. Einige ließen sie jedoch bald fallen und griffen lieber zum Schwert und deckten ihre Gegner mit wohlgezielten Hieben ein. Laute Flüche an alle möglichen Götter waren zu hören. Verwundete Pferde bäumten sich auf und ihre Schmerzensschreie waren schlimmer als das Geheul der Verdammten in der Hölle. Eines stürzte mit aufgeschlitztem Bauch auf seinen Reiter. Die Königstreuen fielen über den Bedauernswerten her und ruhten nicht eher, bis er zur Unkenntlichkeit verstümmelt neben seinem Roß lag.

Ein anderer Rebell wurde von einer Lanze aufgespießt, vom Sattel gehoben und unter die Hufe eines trampelnden Pferdes geworfen. Ein weiterer wurde zu Boden gezwungen, aber es gelang ihm, Rückendeckung an einer Häuserwand zu finden und seine Angreifer mit flinker, geschickter Klinge abzuwehren.

Einige von Graf Ulrics Soldaten gingen unter den Lanzen und schwingenden Schwertern der Rebellen zu Boden. Blut sickerte in den Lehmboden der Straße und färbte den Staub, während die Verwundeten in ihren Todesqualen schrien oder röchelnd ihr Leben aushauchten.

Wie ein Löwe brüllend kämpfte sich Conan einen Weg durch die Kolonne. Er zwängte sich zwischen seinen Männern und den Hausmauern hindurch. Mit fast jedem Hieb seines Schwertes ließ ein Königstreuer sein Leben oder sackte kampfunfähig zusammen.

»Zurück! Zurück! Aus dem Dorf!« brüllte er. »Sammelt euch auf der Straße.«

So lautstark seine Stimme auch war, gingen seine Worte doch in dem Schlachtgetümmel unter. Aber nach und nach gelang es seinen Männern, ihre Tiere zu wenden und sich südwärts zu zwängen. Hinter Conan kämpften Hauptmann Gyrto und zwei alte Lanzer in der letzten Rebellenreihe verzweifelt gegen die dichte Masse der feindlichen Lanzer, die hinter ihrem blitzenden Stahl vorwärtsdrängten. Doch selbst wenn es ihnen gelang, mit ihren panikerfüllten Pferden und ausgestreckten Lanzen einen der Königstreuen zu fällen, sprang sofort ein anderer herbei, um seinen Platz einzunehmen. Und so kamen sie trotz ihrer grimmigen Entschlossenheit, zu siegen oder zu sterben, nicht gegen die unaufhaltsame Welle der eisengerüsteten Männer an, und einer der Veteranen fiel.

Conans Pferd stolperte über eine Leiche. Der Cimmerier riß am Zügel, um den Sturz des Tieres zu verhindern, und schwang gleich danach seine Klinge gegen einen feindlichen Schwertkämpfer, traf jedoch nur dessen Schild, aber allein die Wucht des Schlages warf den Soldaten auf die Knie. Er kroch eilig zu einer offenen Tür und hielt seinen gebrochenen Arm, während ihm die Tränen über die Wangen rannen.

Schließlich sah Conan, daß die letzten seiner Leute sich von ihren Angreifern freikämpften und zum Hang außerhalb des Städtchens galoppierten. Zwischen ihm und seinen sich zurückziehenden Männern war die enge Straße mit königstreuen Fußsoldaten gefüllt, die auf dem Blut ausrutschten und vor Erschöpfung schwankten, sich aber wie Schweißhunde, die ihre Opfer wittern, unaufhaltsam den drei Reitern näherten, die in der grausamen Umklammerung der geschickt gestellten Falle festsaßen. Da bemerkte Conan zwischen zwei Häuschen einen schmalen Weg, nicht mehr als ein Pfad im Unkraut.

»Gyrto!« brüllte er. »Hierher! Folgt mir!«

Abrupt lenkte er sein Pferd in diesen engen Durchgang und hielt nur lange genug an, um sich zu vergewissern, daß die beiden anderen dichtauf waren. Die tiefen Schatten zwischen den zwei Häusern verschlangen die Reiter, und im Augenblick folgte ihnen auch niemand.

In der momentanen Ruhe ließ Conan die Zügel seines erschöpften Gaules locker hängen und gestattete ihm, selbst den Weg durch das Unkraut zu nehmen. Plötzlich sah der Cimmerier, trotz der zunehmenden Düsternis, einen Schweinestall. Er war mit einer alten Holzplanke versperrt, die man mit einem Strick am anschließenden Zaun befestigt hatte. Mit seiner blutbesudelten Klinge durchtrennte Conan den dicken Strick, und die plumpe Tür schwang auf.

Gyrto und sein Kamerad Sardus hielten bestürzt an und fragten sich, ob die Schlachtenlust oder ein Hieb auf den Schädel ihrem General den Verstand geraubt hatte. Aber Conan deutete mit einem erhobenen Finger nach vorn und trieb sein Pferd weiter durch den engen Durchgang.

Da stürmte eine Welle von königstreuen Fußsoldaten, mit einigen Berittenen dazwischen, um die Hausecke und drängte sich ebenfalls in den Durchgang.

Gyrto brüllte Conan zu: »Reitet, Mann, reitet! Sie sind uns dicht auf den Fersen!«

Conan beugte sich tief über den Nacken seines Pferdes und vergrub sein Gesicht in der flatternden Mähne. Doch da verbarrikadierte am Ende des Durchgangs ein hoher Zaun, der in der zunehmenden Dämmerung kaum zu sehen war, den Weg.

Conans Pferd setzte zum Sprung an und nahm das Hindernis, mit Sardus' Hengst dicht hinter ihm. Aber Gyrto hatte weniger Glück. Sein Wallach war zu erschöpft für den Sprung. Er prallte gegen die Barriere und brach sich den Hals.

Gyrto, der abgeworfen worden war, sprang auf die Füße und zog sein Schwert, bereit, sein Leben teuer zu verkaufen. Doch plötzlich blieben die verfolgenden Reiter zurück. Sie fluchten lautstark auf ihre sich aufbäumenden und tänzelnden Tiere, die in ihrer Panik die Fußsoldaten gegen die Hauswände preßten oder ihnen gefährliche Hiebe mit den ausschlagenden Hufen versetzten.

Gyrto staunte über das Wunder, das ihn vor seinem fast sicheren Tod bewahrt hatte. »Schon wieder Zauber?« murmelte er zwischen zusammengebissenen Zähnen.

Da erspähte er die Ursache seiner Rettung. Eine Sau und etwa zwanzig Ferkel waren aus der offenen Stalltür gekommen und rannten nun über und über schmutzbedeckt und stinkend durch das Unkraut, um nach etwas Freßbarem zu suchen.

Conan brüllte: »Kletter schon über den Zaun, Mann! Schnell!«

Da zögerte Gyrto nicht länger. Er zog sich hoch, schwang sich über die Spitzen und landete gerade auf der anderen Seite, als die Königstreuen den Zaun erreichten.

»Haltet Euch an meinem Steigbügel fest!« donnerte Conan. »Versucht aber nicht, aufzusitzen.«

Gyrto griff nach dem Steigbügel und rannte mit Riesenschritten neben dem Pferd her. In leichtem Kanter überquerten sie die dunklen Felder und ließen die Königstreuen zurück.

Als das Dorf in der Ferne schrumpfte, hielt Conan an. Er betrachtete die in die Dämmerung gehüllte Landschaft. »Wir müßten die Kolonne bald eingeholt haben«, sagte er. »Doch zuerst möchte ich einen Blick auf das Lager des Feindes werfen. Vom Hügel dort läßt es sich vielleicht ermöglichen.«

Von der Kuppe aus spähte Conan über das wellige Land. Nördlich des Dorfes entdeckte er schließlich das feindliche Feldlager. Vom Dorf aus war es durch eine Anhöhe verborgen gewesen, doch von hier war es gut zu sehen und seine beachtliche Größe zu erkennen. Dutzende von Kochfeuern glühten im Dämmerlicht und dünne blaue Rauchschwaden kräuselten sich im leichten Wind.

»Das ist Graf Ulrics Armee«, sagte Conan. »Auf wie stark schätzt Ihr sie, Gyrto?«

Der Hauptmann betrachtete das Lager und überlegte. »Nach der Anzahl der Feuer und der Größe des Lagers würde ich sagen, es sind etwa ein Dutzend Regimenter. Was meint Ihr, Sardus?«

»Mindestens zwanzigtausend Mann«, erwiderte der alte Veteran. »Was ist das für eine Standarte, die rechts im Lager von einem Fahnenmast flattert?«

Conan kniff die katzenscharfen Augen leicht zusammen. »Verdammt! Ich will ein Stygier sein, wenn das nicht das Banner der Schwarzen Drachen ist!«

»Doch nicht die königliche Leibgarde, General?« rief Gyrto verblüfft. »Das ist unmöglich, außer Numedides reitet persönlich mit Graf Ulric!«

»Ich sehe des Königs Standarte nicht, also bezweifle ich es«, brummte Conan. »Es ist Zeit, daß wir uns wieder unseren Kameraden anschließen. Der Weg zurück ins Lager ist weit.«

Sardus setzte sich hinter seinem Hauptmann, dem die Füße schmerzten, auf sein Pferd, und die drei machten einen vorsichtigen Bogen um das Dorf, in dem so viele ihrer Toten lagen. Als sie endlich die Straße erreichten, trabten sie zu einer Baumgruppe, wo die Überlebenden der Schlacht warteten. Zumindest ein Drittel des Trupps fehlte. Viele mit Verbänden halfen die Wunden ihrer Kameraden versorgen.

Als Conan, Gyrto und Sardus herbeitrotteten, riefen die niedergeschlagenen Soldaten ihnen ein schwaches, doch erfreutes Hurra entgegen. Conan knurrte:

»Ich danke euch, aber spart eure Hurras für den Sieg. Ich hätte die Häuser durchsuchen müssen, ehe ich euch wie ein Anfänger in die Falle führte. Trotzdem, Jungs, habt ihr euch großartig geschlagen und dem Feind schlimmere Verluste zugefügt als er uns. Und nun laßt uns zum Lager reiten und hoffen, daß wir es noch vor Morgengrauen erreichen.«

 

Am nächsten Morgen berichtete Conan, was ihnen zugestoßen war. Prospero pfiff durch die Zähne: »Zwanzigtausend Mann! In einer regulären Schlacht würden sie uns lebenden Leibes verschlingen!«

Nachdem er einen riesigen Bissen von einer Rinderlende gekaut und hinuntergeschluckt hatte, sagte Conan: »Solchen Gedanken dürft Ihr nicht nachhängen, sonst beschwört Ihr gar noch herauf, daß sie wahr werden. Ruft jetzt die Männer zusammen – alle außer denen, die in Elymia kämpften – und laßt sie das Lager befestigen. Mit einer solchen Übermacht könnte Graf Ulric leicht ein Nachtangriff einfallen. Ohne Gräben und Palisaden, ihn aufzuhalten, würde er uns wie Käfer unter einem Wagenrad zerquetschen.«

»Aber die Schwarzen Drachen!« rief Trocero. »Es ist einfach unvorstellbar, daß Numedides seine Leibgarde zur Verstärkung Ulrics schickte und sich so selbst allen Schutzes entblößte!«

Conan zuckte die Achseln. »Ich weiß, was ich gesehen habe. Keine andere Einheit führt als Banner ein geflügeltes Ungeheuer auf schwarzem Feld!«

Pallantides warf ein: »Daß Numedides seine Schwarzen Drachen geschickt hat, mag ihn zwar verwundbarer machen, aber es trägt nicht dazu bei, unser gegenwärtiges Problem zu verringern.«

»Im Gegenteil«, fügte Graf Trocero hinzu, »ihre Anwesenheit erhöht es noch.«

»Dann macht euch daran, das Lager zu befestigen, meine Freunde!« forderte Conan die Rebellenführer auf. »Wir haben keine Zeit zu vergeuden.«

 

Eine milde Vormittagsbrise streifte gegen hastig errichtete Palisaden und kühlte die blutunterlaufenen Augen und schmerzenden Glieder ihrer Erbauer. Als die Lagerbegleiter – Marketender, Wasserträger, Frauen und Kinder – Wasser aus einem nahen Bach holen wollten, tauchte eine Schwadron königlicher Kavallerie hinter einer Anhöhe auf und galoppierte zu ihnen herab, daß sie um ihr Leben liefen. Ein alter Mann und ein kleines Kind, die zu langsam waren, fanden den Tod.

Ein Kundschaftertrupp der Rebellen wurde überrascht und war gezwungen zu fliehen. Als er das Lager erreichte, galoppierten seine Verfolger daran vorbei. Sie stießen Hohnrufe aus und warfen Speere über die Palisaden. Conans schnell herbeieilende Bogenschützen trafen zwei Feindpferde, aber ihre Reiter wurden von ihren Kameraden zu sich hochgezogen, und sie ritten ohne Menschenverluste davon. Zwar fand kein wirklicher Angriff auf das Rebellenlager statt, aber die Anspannung und Unruhe zermürbte Conans müde Männer.

 

Bei der Abendversammlung sagte Publius: »Ich verstehe zwar nicht viel von militärischen Dingen, General, aber ich glaube, wir sollten uns während der Nacht davonstehlen, ehe Ulric uns überfällt oder belagert und aushungert. Er ist uns zahlenmäßig weit überlegen und bei ihm geht auch keine Seuche um, wie bei uns.«

»Und ich sage«, rief Trocero und schlug mit der Faust auf den Tisch, »wir halten unsere Stellung, während meine Poitanen das Landvolk an die Waffen rufen. Wenn Ulric uns umzingelt, dann können die Bauern einen noch größeren Kreis um ihn schließen.«

»Jetzt, kurz vor der Ernte«, gab Publius zu bedenken, »werdet Ihr Mühe haben, auch nur tausend aufzurufen. Und Bauern, die mit nichts weiter als Axt und Mistgabel bewaffnet sind, können einem Sturm von Ulrics schwerer Kavallerie nicht standhalten. Ich wollte, wir wären zurück im Brocellianischen Forst, wo uns unsere Satyrfreunde wieder helfen könnten!«

»Ja, aber nur so lange, bis die Königstreuen dahinterkommen, daß sie sich nur die Ohren zu verstopfen brauchen«, warf Prospero ein. »Ich bin dafür, daß wir noch heute nacht einen Überraschungsangriff auf Ulrics Lager riskieren!«

Pallantides schüttelte abwehrend den Kopf. »Nichts führt zur schlimmeren Verwirrung, in der Freund den Freund niederschlägt, als ein Nachtangriff mit nur so flüchtig ausgebildeten Männern wie unseren.«

Die Offiziere diskutierten weiter, aber sie kamen zu keinem einzigen brauchbaren Vorschlag. Conan saß mit gerunzelter Stirn und düsterer Miene dabei, ohne selbst viel zu sagen. Da meldete eine Wache:

»Ein königlicher Offizier mit etwa fünfzig Mann kam mit einer weißen Fahne und ersucht, Euch zu sprechen, General.«

»Laß dir seine Waffen geben und schick ihn herein!« befahl Conan und straffte die Schultern.

Die Zeltklappe wurde zurückgeschlagen, und ein Mann in Rüstung trat ein. Auf seinem weißen Waffenrock trug er das Adlerwappen Aquiloniens, während sich auf seinem Helm der Messingdrache von des Königs Leibgarde erhob. Der Offizier salutierte steif.

»General Conan? Ich bin Hauptmann Silvanus von den Schwarzen Drachen. Ich und der größte Teil meines Trupps sind gekommen, uns Euch anzuschließen, wenn Ihr uns haben wollt.«

Conan musterte den Hauptmann unter halbgesenkten Lidern. Er sah einen hoch- und gutgewachsenen blonden Mann, fast ein wenig zu jung, um schon Hauptmann zu sein.

»Willkommen, Hauptmann Silvanus«, sagte er schließlich. »Ich danke Euch für Euer Angebot. Doch bevor ich es annehmen kann, muß ich erst mehr über Euch wissen.«

»Aber gewiß, General. Bitte fragt.«

»Als erstes, was bewegt Euch dazu, zu diesem Zeitpunkt die Fahnen zu wechseln? Ihr müßt doch wissen, daß unsere Lage prekär, Ulric zahlenmäßig stärker und er selbst ein fähiger Feldherr ist. Also, weshalb kommt Ihr heute zu uns?«

»Das ist ganz einfach, General Conan. Meine Männer und ich wählten das Risiko, für die gute Sache der Rebellen zu sterben, als weiter ein sicheres Leben unter diesem Wahnsinnigen zu führen, wenn überhaupt ein Leben unter des Königs Standarte als sicher angesehen werden kann.«

»Aber weshalb ausgerechnet jetzt?«

»Es ist unsere erste Gelegenheit. Die Drachen kamen gestern am Spätnachmittag, kurz vor dem Scharmützel zwischen Ulrics Mannen und Euren, in Elymia an. Wären wir von Tarantia aufgebrochen, um uns Euch anzuschließen, hätten königstreue Truppen uns den Weg versperrt und uns vernichtet.«

Conan fragte: »Hat Numedides denn das gesamte Drachenregiment ausgeschickt?«

»Ja, mit Ausnahme von ein paar jungen Rekruten, die noch in Ausbildung sind.«

»Aber weshalb hat dieser Hund sich von seiner persönlichen Leibgarde getrennt?«

»Numedides hat sich selbst zum Gott ernannt. Er hält sich für unsterblich. Und da er als Gott unverwundbar ist, braucht er auch keine Leibwache. Außerdem ist er fest entschlossen, Eure Rebellion niederzuwerfen und deshalb unterstellt er alle Streitkräfte Graf Ulric. Weitere Truppen sind von der Ostgrenze hierher unterwegs.«

»Was ist mit Thulandra Thuu, dem Zauberer des Königs?«

Silvanus wurde bleich. »Dämonen werden manchmal allein durch Erwähnung ihrer Namen herbeigerufen, General Conan. Während des Wahnsinns Numedides' regiert der Hexer das Reich, und wenn er auch weniger töricht ist als der König, so ist er dafür herzlos und habgierig. Nur zu gut wissen alle über seine Opferungen von Jungfrauen für seine grauenvollen Experimente Bescheid.« Er fummelte mit zitternden Fingern in seinem Lederbeutel und brachte ein auf Alabaster gemaltes Bildnis zum Vorschein, das an einer goldenen Halskette hing. Das Bild stellte ein etwa zehnjähriges Mädchen dar.

»Meine Tochter«, murmelte Silvanus. »Sie ist tot. Er nahm sie. Wenn die Götter mir auch nur die geringste Chance gewähren, werde ich ihm mit meinen Zähnen die Kehle zerfleischen.« Die Stimme des Hauptmanns bebte wie seine Hände von der Heftigkeit seiner Gefühle.

Conans Augen funkelten in eisigem Feuer. Seine Offiziere schauten einander bedeutungsvoll an. Sie wußten, daß auch nur die Erwähnung von Frauenmißhandlungen eine wilde Wut in dem Cimmerier erweckte. Er reichte das Bildnis herum und gab es schließlich Silvanus zurück.

»Wir brauchen nähere Auskünfte über Graf Ulrics Armee. Wie stark ist sie genau?«

»Fast fünfundzwanzigtausend Mann, glaube ich.«

»Woher hat Ulric so viele Soldaten? Die Nordarmee hatte diese Stärke nicht, als ich des wahnsinnigen Königs Dienst quittierte.«

»Viele von Prinz Numitors Grenzer sammelten sich, als sie ihre Panik überwunden hatten, und schlossen sich Graf Ulric an. Und das Drachenregiment wurde von Tarantia zu ihm beordert.«

»Was ist mit Numitor?«

»In seiner Verzweiflung über die Niederlage wählte er den Freitod.«

»Seid Ihr sicher?« fragte Conan. »Es wurde auch behauptet, daß Amulius Procas sich das Leben nahm, aber ich weiß, daß er einem Mordanschlag zum Opfer fiel.«

»Es besteht kein Zweifel, General. Prinz Numitor erstach sich vor Zeugen.«

»Bedauerlich«, murmelte Graf Trocero. »Er war der anständigste von allen, wenn auch etwas zu arglos für einen blutigen Bürgerkrieg.«

»Wir müssen noch eine eingehende Besprechung abhalten«, brummte Conan. »Pallantides, sorgt für Unterkunft für Hauptmann Silvanus und seine Männer, dann kommt hierher zurück! Gute Nacht, Hauptmann.«

Publius, der bisher nur wenig gesagt hatte, hob die Stimme: »Einen Augenblick noch, wenn Ihr so freundlich wärt, Hauptmann Silvanus. Wer war Euer Vater?«

Der Offizier drehte sich am Zelteingang noch einmal um und erwiderte: »Silvius Macro, Sir. Weshalb fragt Ihr?«

»Ich kannte ihn, als ich Hofkämmerer war. Gute Nacht.«

 

Als der Hauptmann das Zelt verlassen hatte, sagte Conan: »Nun, was meint Ihr? Es ist zumindest ein gutes Zeichen, daß Männer zu uns überlaufen und nicht von uns desertieren – zur Abwechslung einmal.«

»Ich glaube«, brummte Prospero, »daß Thulandra Thuu wieder einmal versucht, einen Attentäter in unsere Mitte zu schmuggeln. Der Bursche wird nur auf eine Gelegenheit warten, Euch ein Messer in die Rippen zu jagen, General, und sich dann schleunigst aus dem Staub machen.«

Trocero widersprach. »Nein, ich halte ihn für einen offenen, anständigen jungen Offizier. Er sieht nicht aus wie einer von Numedides' verderbten Lüstlingen, noch wie einer von Thulandras Anhängern, die sich der Magie verschrieben haben.«

»Man darf sich nicht vom Äußeren beeinflussen lassen«, sagte Prospero, »selbst der rotbackigste Apfel kann Würmer behausen.«

»Wenn Ihr gestattet«, warf Publius ein. »Ich kannte den Vater des jungen Offiziers. Er war ein hochanständiger, aufrechter Mann – und ist es sicher auch jetzt, wenn er noch lebt.«

»Der Sohn muß nicht immer dem Vater nachgeraten«, brummte Prospero.

»Prospero«, sagte Conan. »Eure Sorge um mein Wohlergehen ehrt Euch. Aber man muß auch Risiken eingehen, vor allem im Krieg. Wenn Ihr mich auch noch so gut vor einem versteckten Dolch beschützt, ist es doch weit wahrscheinlicher, daß Ulric uns allen das Lebenslicht ausbläst – außer wir können durch einen unerwarteten Glücksfall das Blatt wenden.«

Eine Weile herrschte Schweigen, während Conan grübelnd auf den Boden starrte, ehe er schließlich fortfuhr:

»Ich habe einen Plan – einen gefährlichen Plan, aber auch nicht gefährlicher als unsere gegenwärtige Lage. Tarantia ist ungeschützt und des gesamten Militärs entblößt, während der wahnsinnige Numedides auf seinem Thron den unsterblichen Gott spielt. Ein Trupp tollkühner Männer, als Angehörige der Leibgarde verkleidet, könnten den Palast erreichen und ...«

»Conan!« brüllte Trocero. »Eine göttliche Eingebung! Ich werde den Trupp führen.«

»Ihr seid zu wichtig für Poitain, mein Lord«, protestierte Prospero. »Ich werde ...«

»Keiner von euch beiden geht!« sagte Conan in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Die Poitanen sind in den Zentralprovinzen nicht sehr beliebt, denn die Menschen dort haben die Invasion ihres Landes durch sie während des Krieges mit König Vilerius nicht vergessen.«

»Wer dann?« fragte Trocero. »Pallantides?«

Conan schüttelte seine schwarze Mähne und sein Gesicht glühte vor Abenteuerlust. »Ich werde den Plan selbst ausführen oder dabei sterben. Ich wähle erfahrene Veteranen aus und wir leihen uns die Waffenröcke und Helme von Hauptmann Silvanus' Männern. Silvanus werde ich mitnehmen, denn ihn kennt man am Tor. Ja, er ist der Schlüssel zur Stadt.«

Publius hob warnend eine Hand. »Einen Augenblick, meine Herren. Conans Plan mag sehr wohl in einem normalen Krieg von Erfolg gekrönt sein. Aber in Tarantia haben wir es nicht nur mit einem vom Wahn besessenen König zu tun, sondern auch mit einem Hexer, dessen Zauberkräfte und Beschwörungen Berge versetzen und die Dämonen aus der Erde, dem Meer oder dem Himmel rufen können.«

»Zauberer jagen mir keinen Schrecken ein«, sagte Conan. »Vor Jahren mußte ich mich einem der furchtbarsten stellen – und tötete ihn, trotz allen Fummelns und Brummelns.«

»Wie habt Ihr das fertiggebracht?« fragte Trocero.

»Ich warf mein Schwert nach ihm.«

»Rechnet lieber nicht damit, daß Euch das auch diesmal gelingt. Eure Kraft ist groß, und Eure Sinne schärfer als die anderer, aber das Glück ist auch den Helden nicht immer hold.«

»Wenn meine Zeit gekommen ist, ist sie eben da«, brummte Conan.

»Aber Eure Zeit mag dann sehr wohl auch die unsrige sein!« gab Prospero zu bedenken. »Laßt mich nach Dexitheus schicken. Ein Mitrapriester weiß mehr über die andere Welt, als wir normalen Sterblichen.«

Conan gab mißmutig nach.

Dexitheus hörte sich Conans Plan mit gefalteten Händen an. Schließlich sagte er ernst: »Publius hat recht, General. Ihr dürft die Kräfte Thulandra Thuus nicht unterschätzen. Wir von der Priesterschaft verstehen ein wenig von den finsteren, namenlosen Mächten jenseits der Vorstellung der Menschen.«

»Woher kommt dieser Teufel überhaupt?« fragte Trocero. »Manche halten ihn für einen Vendhyaner, andere für einen Stygier.«

»Er ist weder das eine, noch das andere«, antwortete Dexitheus. »In meiner priesterlichen Bruderschaft erachten wir ihn als Lemurier, der – wir wissen nicht auf welche Weise – von Inseln jenseits der bekannten Welt kommt, und zwar aus dem Osten hinter Khitai. Diese geheimnisumwitterten Inseln sind alles, was von einem einst großen Land übrigblieb, das unter den Wellen versank. Um einen Hexer wie ihn zu schlagen, braucht unser General mehr als normale Waffen und Rüstung.«

Trocero fragte: »Haben wir denn keine Zauberer in diesem Lager, die diese Aufgabe übernehmen könnten?«

»Nein!« schnaubte Conan. »Nein, ich habe nichts übrig für ihresgleichen. Nie würde ich einen aufnehmen oder seine Hilfe suchen.«

Mit trauriger Miene sagte Dexitheus. »General, auch wenn Ihr es nicht ahnen könnt, betrüben mich Eure Worte sehr.«

»Wie das, Ehrwürdiger?« fragte Conan. »Ich schulde Euch viel und möchte Euch keineswegs kränken. So sprecht nicht in Rätseln, mein Freund.«

»Ihr haltet nichts von Zauberern, General, und betrachtet sie als Scharlatane und Quacksalber, und doch gibt es einen, den Ihr Euren Freund nennt. Glaubt mir, Ihr braucht einen Magier, aber Ihr lehnt seine Hilfe ab.« Dexitheus hielt inne. Conan bedeutete ihm fortzufahren.

»So wisset denn, daß ich in meiner Jugend die Schwarzen Künste studierte, obgleich ich nicht über die untersten Stadien der Zauberei hinauskam. Später sah ich Mitras Licht und entsagte allem, was auch nur im geringsten mit Dämonen und dem Okkulten zu tun hat. Hätte die Priesterschaft von meiner früheren Zauberlehre erfahren, wäre ich nicht in ihren Orden aufgenommen worden. Wenn ich Euch also in dieser gefährlichen Mission begleite ...«

»Was? Ihr?« rief Conan stirnrunzelnd. »Magier oder nicht, Ihr seid nicht mehr der Jüngste und würdet dreihundert Meilen im Galopp nicht überleben.«

»Ganz im Gegenteil. Ich bin viel zäher, als Ihr Euch auch nur vorstellen könnt. Mein asketisches Leben verleiht mir Kraft und Stärke, die meine Jahre Lügen strafen. Und Ihr braucht einen oder auch mehrere Gegenzauber. Doch wenn ich Euch begleite, wird mein Geheimnis ans Licht kommen und ich werde gezwungen sein, mein heiliges Amt aufzugeben – ein trauriges Ende meiner langen priesterlichen Laufbahn.«

»Ich würde sagen, die Benutzung von Magie für einen guten Zweck ist eine Sünde, die man vergeben muß«, brummte Conan.

»Dieser Meinung seid vielleicht Ihr, General, doch nicht mein Orden, der in dieser Hinsicht keine Duldsamkeit kennt. Aber ich habe keine Wahl. Ich werde, über was ich an Kräften verfüge, für Aquilonien einsetzen.« Sein Seufzer war schwer von unterdrückten Tränen.

»Wenn alles vorbei ist, kann ich vielleicht Eure Bruderschaft überzeugen, daß es richtig wäre, bei Euch eine Ausnahme von ihren strengen Regeln zu machen. Seid bereit, guter Freund, noch in dieser Stunde aufzubrechen.«

»Mitten in der Nacht?«

»Welch bessere Zeit gibt es für uns? Wenn wir bis zum Morgen warten, belagern uns möglicherweise bereits die Königstreuen. Prospero, wählt mir einen Trupp Eurer tüchtigsten berittenen Kämpfer aus. Stattet jeden mit zwei Pferden aus, damit wir häufig wechseln können. Wir müssen der Kunde, daß wir das Lager verlassen haben, zuvorkommen. Und ihr anderen, baut die Befestigung weiter aus, während ich fort bin. Und nun, lebt wohl!«

 

Der Halbmond spitzte kaum noch über die Baumwipfel, als ein Trupp Reiter, jeder mit einem Ersatzpferd, sich aus dem Lager schlich. Ihr Führer war Conan im Helm und weißen Waffenrock der Schwarzen Drachen. Hauptmann Silvanus ritt neben ihm, und hinter ihm, ebenfalls wie die beiden bekleidet, der Mitrapriester Dexitheus. Fünfzig von Conans besten Soldaten folgten. Auch sie trugen die Uniform der Drachengarde.

Unter Silvanus' Anweisung machten sie einen weiten Bogen um das feindliche Lager. Erst als sie sich wieder auf der Straße nach Tarantia befanden, gaben sie ihren Pferden die Fersen zu einem gleichmäßigen Trott. Der Mond versank hinter den Bäumen, und die schwarze Nacht verschlang die zu allem entschlossenen Männer.

 

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