3. Augen wie Smaragde

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AUGEN WIE SMARAGDE

 

 

Als die Sonne am wolkenlosen blauen Himmel aufging, kündete Fanfarenschall die Ankunft eines Abgeordneten von König Milo an. Prächtig in seinem bestickten Wappenrock ritt der Herold auf einer Fuchsstute in das Rebellenlager und schwenkte eine versiegelte Schriftrolle. Der Abgesandte rümpfte verächtlich die Nase über die bunten Scharen, die auf den Übungsplatz eilten, um sich zum Morgenappell aufzureihen. Als er mit dröhnender Stimme seinen Wunsch um eine Eskorte zu General Conan verkündete, griff einer von Troceros Männern nach dem Zügel seines Pferdes und führte ihn zur Mitte des Lagers.

»Das riecht nach Schwierigkeiten«, flüsterte Trocero dem Priester Dexitheus zu, als sie dem argossanischen Herold nachsahen.

Der hagere, kahlköpfige Mitrapriester spielte mit seinen Gebetsperlen. »Wir sollten eigentlich inzwischen an Schwierigkeiten gewöhnt sein, mein Graf«, erwiderte er. »Und wie uns doch sehr wohl klar ist, liegen noch weitere vor uns.«

»Ihr meint Numedides?« fragte Trocero mit trockenem Lächeln. »Mein guter Freund, für diese Art von Schwierigkeiten sind wir gerüstet. Ich dachte an Unannehmlichkeiten mit dem Herrscher von Argos. Wenn er mir auch gestattete, hier eine Armee aufzustellen, habe ich doch das Gefühl, daß König Milo diese vielen Männer, die sich einer fremden Sache verschrieben haben, so dicht außerhalb seiner Hauptstadt nicht behagen. Mir deucht, Seine Majestät bereut sein großzügiges Angebot eines bequemen Standorts für unser Lager.«

»Ja«, warf Publius ein, der gerade dazugekommen war, »ich bezweifle nicht, daß es in den Straßen und Gassen von Messantia bereits von Spionen aus Tarantia wimmelt. Numedides wird Druck auf den König von Argos ausüben, der ihn dazu bringen soll, sich gegen uns zu wenden.«

»Der König wäre ein Narr, wenn er es täte«, brummte Trocero. »Nicht, wo unsere Armee so nahe und schon in Kampfstimmung ist.«

Publius zuckte die Achseln. »Der Monarch von Messantia war bisher unser Freund, doch Könige neigen zur Heimtücke, und ihr eigener Vorteil hat den Vorrang selbst bei den edelsten von ihnen. Wir können nichts anderes tun, als abwarten ... Ich frage mich, welche schlechten Neuigkeiten dieser eingebildete Herold brachte.«

Publius und Trocero machten sich daran, ihren Pflichten nachzugehen, während Dexitheus zurückblieb und abwesend seine Perlenschnur befingerte. Als er von zukünftigen Schwierigkeiten sprach, hatte er damit nicht die bevorstehende kriegerische Auseinandersetzung gemeint, sondern etwas anderes, das ihn sehr beschäftigte.

In der Nacht war sein Schlaf durch einen beunruhigenden Traum gestört worden. Gott Mitra gewährte seinen getreuen Anhängern manchmal in Träumen eine Ahnung kommender Geschehnisse, und so fragte sich Dexitheus, ob dieser Traum eine Prophezeiung gewesen war.

In seinem Traum stand General Conan dem Feind auf dem Schlachtfeld gegenüber und erteilte seinen Soldaten mit geschwungenem Schwert Befehle. Doch hinter dem riesenhaften Cimmerier lauerte eine schattenhafte Gestalt, schlank und sich dem Auge entziehend. Nichts weiter vermochte der Schläfer von dieser verstohlenen Gestalt zu sehen, außer daß aus dem kapuzenverborgenen Gesicht smaragdgrüne Augen wie die einer Katze leuchteten, und daß sie nicht von Conans ungeschütztem Rücken wich.

Obgleich die Sonne den milden Frühlingsmorgen wärmte, fröstelte Dexitheus. Er mochte solche Träume nicht. Sie warfen Steinchen in den tiefen Brunnen seiner Gelassenheit. Er wußte genau, daß kein Rekrut des Rebellenlagers Augen von einem solch strahlenden Grün hatte, denn wäre es der Fall, hätte es seiner Aufmerksamkeit nicht entgehen können.

 

Der Herold trabte auf der staubigen Straße zurück, während Burschen die Rebellenführer zur Beratung zusammenriefen.

Dem riesigen Cimmerier war es noch nicht richtig geglückt, seinen Ärger zu unterdrücken, als seine Burschen ihm für den morgendlichen Drill in die Rüstung halfen. Als Prospero, Trocero, Publius und die anderen sich versammelt hatten, sprach er mit scharfen, abgehackten Worten.

»Kurz gesagt, meine Freunde, es ist der Wunsch Seiner Majestät, daß wir uns in das Grasland, zumindest dreißig Meilen von Messantia entfernt, zurückziehen. König Milo ist der Ansicht, daß unsere Anwesenheit so dicht an seiner Hauptstadt sowohl diese Stadt als auch unsere gute Sache in Gefahr bringt. Einige unserer Männer, so ließ er sagen, benahmen sich zu rüpelhaft. Sie störten des Königs Ruhe und legten sich mit seinen Wachen an.«

»Das hatte ich befürchtet.« Dexitheus seufzte. »Unsere Krieger halten viel von den Freuden des Bechers und des Bettes. Trotzdem dürfte es wohl etwas zuviel verlangt sein, von Soldaten – vor allem von einer so bunt zusammengewürfelten Schar wie der unsrigen – zu verlangen, daß sie sich mit der stillen Demut von Mönchen benehmen.«

»Wie wahr«, sagte Trocero. »Glücklicherweise trifft uns eine Verlagerung nicht unvorbereitet. Wann machen wir uns auf den Weg, General?«

Mit einer heftigen Bewegung schnallte Conan sich den Schwertgürtel um. Seine blauen Augen funkelten wie die eines Löwen unter der geradegeschnittenen schwarzen Mähne.

»Er gewährt uns eine Frist von zehn Tagen, aber ich bin dafür, daß wir sofort aufbrechen. Messantia hat zu viele Augen und Ohren für meinen Geschmack, und die Zunge vieler unserer Krieger löst sich nach einem Becher Wein nur allzu leicht. Ich werde mich nicht dreißig, sondern dreihundert Meilen von diesem Spionennest zurückziehen.

Also, meine Herren, dann wollen wir uns daran machen. Sperrt allen Urlaub und laßt unsere Männer aus den Tavernen holen, mit Gewalt, wenn es sein muß. Heute abend werde ich mit einem Trupp Ausgewählter die Route erkunden und Ausschau nach einem neuen, geeigneten Ort für unser Lager halten. Trocero, habt die Güte, das Kommando zu übernehmen, bis ich zurückkehre.«

Sie salutierten und verließen das Zelt. Den Rest des Tages wurden die Soldaten zusammengeholt und Proviant und Ausrüstung in Wagen verstaut. Noch ehe die nächste Morgensonne sich auf den vergoldeten Türmen Messantias spiegelte, brach man die Zelte ab, und die Kompanien stellten sich in Marschformation auf. Während die letzten Nebelschwaden sich über dem Tiefland verloren, machte die Armee sich auf den Weg – Ritter und Unteroffiziere, Bogenschützen und Lanzer, Flankenschutz und Späher.

Conan und sein Trupp poitanischer leichter Reiterei waren schon nordwärts aufgebrochen, während noch die Dunkelheit das Land verhüllte. Der Barbarengeneral traute König Milos Freundschaft nicht ganz. Viele Überlegungen beeinflussen das Handeln eines Monarchen. Wie leicht mochten Numedides' Spitzel das argossanische Reichsoberhaupt überredet haben, sich mit dem aquilonischen Herrscher zu verbünden, statt sein Geschick mit dem unbestimmbaren von Rebellen zu verknüpfen. Sicherlich wußte Argos, daß Aquiloniens Rache schnell und vernichtend sein würde, falls der Aufstand der Rebellen fehlschlug. Und wenn ein König darauf aus ist, sich einer Armee zu entledigen, dann läßt sich das am leichtesten durch einen Angriff dieser Armee während des Marsches bewerkstelligen, wenn die Soldaten in Reih und Glied überrascht werden können und sie durch ihre Ausrüstung behindert sind ...

 

Also zogen die Löwen nordwärts. Kompanie um Kompanie der noch unerprobten Armee marschierte über staubige Straßen, durchquerte Flüsse an seichten Furten und schlängelte sich durch die niedrigen Didymianischen Berge. Niemand stellte den Truppen einen Hinterhalt, griff sie an, oder kümmerte sich auch nur um sie. Vielleicht war Conans Mißtrauen, was König Milo betraf, unbegründet, vielleicht war die Armee auch nur zu stark, als daß die Argossaner sich hätten mit ihr anlegen wollen. Möglicherweise wartete der König aber auch nur auf einen günstigeren Moment, da er seine ganzen Kräfte auf die Rebellen werfen konnte. Doch ob er nun Freund oder Feind war, Conan ließ in seiner Wachsamkeit nicht nach.

Als seine Streitmacht unbelästigt den ersten Tagesmarsch hinter sich gebracht hatte, entspannte sich Conan, der vom erwählten neuen Lagerplatz zurückgeritten kam, ein wenig. Sie befanden sich nun außerhalb der Reichweite der Spione, die die krummen Straßen Messantias unsicher machten. Conans Späher und Agenten ritten weit in alle Richtungen, und er verließ sich auf sie, neugierige Augen aufzudecken, die seine Armee beobachteten, doch es schien keine zu geben.

Der riesenhafte Cimmerier vertraute nur wenigen Menschen, und diesen wenigen nie leichtfertig. Die langen Jahre der Kriegserfahrung und Gesetzlosigkeit hatten seine raubtierähnliche Vorsicht noch erhöht. Aber er kannte diese Männer, die ihm folgten. Sie kämpften für eine gemeinsame Sache. Und so kam er gar nicht auf den Gedanken, daß sich bereits Spione unter seinen Reihen befinden mochten und solche, die ihm übelwollten, in seinem Rücken.

 

Zwei Tage später überquerten die Rebellen den Astar in Hypsonia und kamen auf die Ebene von Pallos. Im Norden erhoben sich die Rabirianischen Berge, eine unregelmäßige Kette purpurner Gipfel, die wie Riesen in den Sonnenuntergang zu marschieren schienen. Die Armee schlug ihr Lager am Rand der Ebene auf, und zwar auf einer niedrigen Hügelkuppe, die einen gewissen Schutz bieten würde, wenn man sie mit Palisaden und Gräben befestigte. Hier konnten die Soldaten – solange sie von Messantia oder den Gehöften in der Umgebung regelmäßig mit Proviant versorgt wurden – weiter ausgebildet werden, ehe sie den Alimane nach Poitain, der südlichsten Provinz Aquiloniens, überquerten.

Während des langen Tages nach ihrer Ankunft arbeiteten die brummelnden Krieger mit Hacke, Schaufel und Beil, um das neue Lager mit einer Schutzwehr zu umgeben. Eine Schwadron leichter Reiterei kanterte einstweilen die Straße zurück, um den langsameren Nachschub zu eskortieren.

Während der zweiten Wache dieser Nacht glitt eine schlanke Gestalt aus der Dunkelheit von Conans Zelt in den silbernen Mondschein. Sie war in einen langen, weiten Kaftan aus beiger Wolle gehüllt, der sich in seiner Tarnfarbe der Erde unter ihren Füßen anpaßte. Diese Gestalt traf sich mit einer zweiten, deren Schatten mit dem eines nahen Zeltes verschmolz.

Die beiden wechselten ein paar geflüsterte Worte, um sich der gegenseitigen Identität zu vergewissern. Dann drückten schlanke Finger mit kostbaren Ringen einen zusammengerollten Streifen Pergament in die arbeitsrauhe Hand der anderen Gestalt.

»Auf dieser Karte zeichnete ich die Pässe ein, die die Rebellen auf ihrem Marsch nach Aquilonien überqueren werden«, erklärte das Mädchen mit der weichen, leicht summenden Stimme, die an das Schnurren einer Katze erinnerte. »Auch die Aufstellung der Regimenter.«

»Ich werde sie weitergeben«, murmelte die andere Gestalt. »Unser Herr wird dafür sorgen, daß Procas sie erhält. Ihr habt Eure Sache gut gemacht, Lady Alcina.«

»Es gibt noch viel mehr zu tun, Quesado«, flüsterte das Mädchen. »Wir dürfen nicht zusammen gesehen werden.«

Der Zingarier nickte und verschwand in den dunkelsten Schatten. Die Tänzerin warf ihre Kapuze zurück und schaute zum silberschimmernden Mond empor. Obgleich sie fast unmittelbar aus den leidenschaftlichen Armen Conans gekommen war, waren ihre Züge eisig und unbewegt. Wie eine aus gelbem Elfenbein geschnittene Maske wirkte das bleiche Oval ihres Gesichts, und in den kalten Tiefen ihrer smaragdgrünen Augen lauerten Spuren von Hohn, Bosheit und Verachtung.

 

In dieser Nacht, als die Rebellenarmee auf der Ebene von Pallos in der Umarmung der Rabirianischen Berge schlief, desertierte ein Rekrut. Seine Abwesenheit wurde erst beim Morgenappell festgestellt. Man nahm sie nicht wichtig. Der Deserteur, ein Zingarier namens Quesado, war als fauler Drückeberger verrufen, und sein Verlust war leicht zu verschmerzen.

Trotz äußeren Anscheins war Quesado in Wirklichkeit alles andere denn faul. Er war der tüchtigste aller Spione, und mit seiner scheinbaren Bequemlichkeit tarnte er seine stete Wachsamkeit, mit der er alles beobachtete und alles hörte. Er verfaßte knappe, prägnante Berichte, die auch ihr Ziel erreichten. In dieser Nacht, während das Lager schlummerte, stahl er ein Pferd aus der Koppel, schlich damit an den Wachen vorbei und galoppierte Stunde um ermüdende Stunde nordwärts.

 

Zehn Tage später, mit Schlamm bespritzt und staubbedeckt, vor Erschöpfung torkelnd, erreichte Quesado das Stadttor von Tarantia. Der Anblick des Sigills, das er über dem Herzen trug, bahnte ihm schnell den Weg zu Vibius Latro, dem Kanzler Numedides'.

Der Herr der Spione runzelte die Stirn, als Quesado ihm die Karte aushändigte, die Alcina ihm zugesteckt hatte. Streng fragte er: »Weshalb habt Ihr sie selbst gebracht? Ihr wißt doch, daß Ihr uns bei den Rebellen wichtiger seid.«

Der Zingarier zuckte die Achseln. »Es war unmöglich, sie durch eine Brieftaube zu schicken, Eure Lordschaft. Als ich mich dieser Rebellenhorde anschloß, mußte ich meine Vögel in Messantia unter der Fürsorge meines Ersatzmanns, dem Kothier Fadius, zurücklassen.«

Vibius Latro blickte ihn kalt an. »Weshalb habt Ihr die Karte dann nicht zu Fadius gebracht, der sie auf die übliche Weise hätte hierherbefördern können? Ihr hättet wahrhaftig in diesem Verräternest bleiben und weiter Augen und Ohren offenhalten können. Ich rechnete mit Eurem Messer in Conans Rücken.«

Quesado gestikulierte hilflos. »Als Lady Alcina mir diese Karte übergab, Herr, war die Armee bereits einen Dreitagemarsch von Messantia entfernt. Ich hätte wohl schlecht um einen sechstägigen Urlaub ersuchen können, ohne Verdacht zu erregen, und mich als Deserteur nach Messantia zu begeben, hätte mich der Gefahr ausgesetzt, von den Argossanern festgenommen zu werden. Keinesfalls wäre es möglich gewesen, mich wieder der Armee anzuschließen, nachdem ich mich ohne Erlaubnis entfernt hatte. Und tatsächlich kommt es vor, daß Brieftauben von Falken oder Raubkatzen geschlagen werden oder von einem Jäger erlegt. Ich hielt es doch für besser, ein Dokument von solcher Wichtigkeit selbst zu überbringen.«

Der Kanzler brummte mißvergnügt. »Warum habt Ihr es dann nicht gleich direkt zu General Procas gebracht?«

Quesado begann zu schwitzen. Auf seiner Stirn und den bartstoppeligen Wangen glitzerten Schweißperlen. Bei einem Mann wir Vibius Latro in Ungnade zu fallen, war gefährlich.

»Ge... General Pro... Procas kennt mich nicht.« Der Spion stammelte und seine Stimme klang jetzt jammernd. »Mein Sigill würde ihm nichts sagen. Nur Euch, Eure Lordschaft, unterstehen alle Verbindungen für die Übermittlung solcher Informationen an das Militär.«

Ein schwaches Lächeln huschte über die dünnen Lippen und die durchsichtigen Züge des anderen. »Richtig«, brummte er. »Ihr habt den Umständen entsprechend gehandelt. Es wäre mir allerdings lieber gewesen, Alcina hätte die Karte weitergeleitet, ehe die Rebellen nordwärts zogen.«

»Mir deucht, die Rebellenführer hatten sich bis zu jenem Abend, als sie sie mir gab, selbst noch nicht für die genaue Route entschieden«, sagte Quesado. Er wußte nicht, ob das stimmte, aber es klang glaubhaft.

Vibius Latro entließ den Spion und befahl seinen Schreiber zu sich. Er studierte die Karte und diktierte eine kurze Botschaft an General Amulius Procas, von der der König eine Kopie bekommen sollte. Nachdem der Schreiber Alcinas grobe Skizze abgezeichnet hatte, rief Latro einen Pagen und gab ihm beide Kopien jedes Schriftstücks.

»Bring dies dem Schreiber des Königs!« hieß ihn der Kanzler. »Und ersuche, daß Seine Majestät seinen Siegel auf einen Satz dieser Dokumente setze. Wenn er nichts dagegen einzuwenden hat, dann reite damit zu Amulius Procas in Poitain. Hier ist eine Vollmacht für den königlichen Marstall. Such dir das schnellste Pferd aus und wechsle an jeder Posthalterei!«

 

Die Botschaft gelangte nicht in die Hände des Schreibers, sondern in die schmalen dunklen Thulandra Thuus. Sein khitanischer Diener, Hsiao, brachte sie ihm. Als des Königs Zauberer sie las und die Karte im Licht der Leichentalgkerzen studierte, lächelte er kalt und nickte dem Khitan zufrieden zu.

»Genau wie Ihr es vorhersagtet, Herr«, erwiderte Hsiao auf das Nicken. »Ich erklärte dem Pagen, daß Seine Majestät und sein Schreiber sich gegenwärtig in Euren Gemächern aufhielten, und so händigte er mir die Schriftrollen aus.«

»Das hast du gut gemacht, Hsiao«, lobte Thulandra Thuu. »Hol mir das Wachs, ich werde den Rollen selbst das Siegel aufdrücken! Es besteht keine Notwendigkeit, Seine Majestät mit solch unwichtigen Dingen in seinen Vergnügungen zu stören.«

Aus einer verschlossenen Truhe nahm der Zauberer ein Duplikat von des Königs Siegelring. Er faltete eine Kopie von Karte und Botschaft, dann zündete er einen Fidibus an einer der großen Kerzen an, wärmte damit das Siegelwachs und ließ es auf den offenen Rand der Rolle tropfen, schließlich drückte er den Siegelring darauf und händigte sie dem Khitan aus.

»Gib es Latros Kurier«, sagte er, »und sag ihm, Seine Majestät wünscht, daß General Procas es schnellstens erhält. Dann setz mir einen Brief an Graf Ascalante von Thune auf, der gegenwärtig das Vierte Tauranische Regiment bei Palaea befehligt. Ich benötige seine Anwesenheit hier.«

Hsiao zögerte. »Gefürchteter Herr!« murmelte er.

Thulandra Thuu schaute seinen Diener scharf an. »Ja?«

»Es ist dieser unwürdigen Person nicht unbekannt, daß Ihr und General Procas nicht im besten Einvernehmen zueinander steht. Gestattet mir die Frage: Ist es Euer Wunsch, daß er über den Barbarengeneral siegt?«

Thulandra Thuu lächelte mit dünnen Lippen. Hsiao wußte, daß der Zauberer und der General heftige Rivalen in der Gunst des Königs waren. Hsiao war auch der einzige, dem der Zauberer sich anvertraute. Thulandra brummte:

»Im Augenblick, ja. Solange Procas in den Südprovinzen, fern von Tarantia bleibt, ist er keine Gefahr für meine Position hier. Mir bleibt nichts übrig, als mich damit abzufinden, daß er seiner fetten Liste von Erfolgen noch einen Sieg hinzufügt, denn weder er noch ich wären erfreut, Conan vor Tarantias Toren zu sehen.

Procas steht zwischen den Rebellen und ihrem Vormarsch auf die Hauptstadt. Ich beabsichtige, daß er den Aufstand niederwirft, das ist richtig, aber auf eine Weise, daß der Lorbeer mir zufällt. Dann wird vielleicht ein bedauerlicher Unfall unseren heldenhaften General im Augenblick seines Triumphes von unserer Seite reißen, ehe er siegreich nach Tarantia zurückkehren kann. Und nun mach dich auf den Weg!«

Hsiao verbeugte sich tief und zog sich stumm zurück. Thulandra Thuu schloß eine Ebenholztruhe auf und gab seine Kopie der Dokumente hinein.

 

Trocero starrte verwirrt seinen Oberbefehlshaber an, der wie ein gefangener Tiger im Käfig auf und ab lief, während seine Augen vor Ungeduld und Ärger funkelten.

»Was habt Ihr, General Conan?« fragte er. »Ich dachte zuerst, die Enthaltsamkeit mache Euch zu schaffen, doch jetzt, da Ihr die Tänzerin mitgebracht habt, ist diese Erklärung wie ein löchriger Weinbeutel. Welche Sorgen quälen Euch denn?«

Conan hörte mit seinem Hin- und Herlaufen auf und trat an den Klapptisch. Mit finsterer Miene goß er sich einen Becher Wein ein.

»Keine, auf die ich mit dem Finger deuten könnte«, knurrte er. »Aber seit kurzem habe ich ein ungutes Gefühl, und jeder Schatten macht mich mißtrauisch.«

Er unterbrach sich und schaute abrupt wachsam in eine Ecke des Zeltes. Dann zwang er sich zu einem rauhen Lachen und warf sich in seinen ledernen Faltstuhl.

»Crom!« fluchte er. »Ich bin so unruhig wie eine läufige Hündin. Aber ich weiß nicht, was es ist, das an meinen Eingeweiden nagt. Manchmal, bei unseren Besprechungen, ist mir fast, als belauschten die Schatten jedes unserer Worte.«

»Schatten haben zuweilen Ohren.« Trocero nickte. »Und Augen ebenso.«

Conan zuckte die Achseln. »Ich weiß, daß außer Euch und mir niemand hier ist, das Mädchen ruht sich aus, meine beiden Burschen putzen meinen Harnisch, und die Wachen ziehen ihre Runden um das Zelt. Trotzdem spüre ich, daß jemand lauscht.«

Trocero nahm Conans Ahnung nicht auf die leichte Schulter. Unruhe erwachte auch in ihm. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß Verlaß war auf die primitiven Instinkte des Cimmeriers, die viel schärfer waren als die eines Mannes aus einer zivilisierteren Gegend, als seine, beispielsweise.

Trotzdem hatte auch er, Trocero, seinen eigenen sechsten Sinn, und der sagte ihm, daß der grazilen Tänzerin nicht zu trauen war, die nur zu willig als Conans Geliebte mitgekommen war. Etwas an ihr störte Trocero, obgleich er nicht genau sagen konnte, was es war. Gewiß, sie war schön – vielleicht zu schön, um für ein paar Kupfermünzen, die man ihr zuwarf, in einer Hafentaverne zu tanzen. Auch war sie zu schweigsam und geheimnisvoll für seinen Geschmack. Trocero hatte üblicherweise keine Schwierigkeiten, mit seinem Charme eine Frau dazu zu bringen, sich ihm mit einem Wasserfall von Worten anzuvertrauen. Aber bei Alcina hatte er absolut keinen Erfolg. Sie hatte seine Fragen höflich beantwortet, doch ohne dabei etwas über sich preiszugeben, und er war danach nicht klüger gewesen als zuvor.

Er zuckte die Achseln und schenkte sich ebenfalls einen Becher Wein ein. Zu den neun Höllen Mitras mit diesen beunruhigenden Gedanken! »Die Untätigkeit macht Euch zu schaffen, Conan«, meinte er. »Wenn wir erst auf dem Marsch sind und das Löwenbanner über unseren Köpfen flattert, werdet Ihr gleich wieder Euer altes Selbst sein. Dann werdet Ihr nicht mehr an lauschende Schatten denken.«

»Möglich«, brummte der Cimmerier.

Was Trocero sagte, war nicht von der Hand zu weisen. Stellte man Conan einen Feind aus Fleisch und Blut gegenüber, drückte ihm kalten Stahl in die Hand, dann würde er ohne Bedenken selbst gegen eine große Übermacht kämpfen. Doch hatte er mit ungreifbaren Bedrohungen und unfaßbaren Schatten zu tun, dann erwachte der primitive Aberglaube seiner barbarischen Vorfahren in ihm.

Hinter einem Vorhang in einem Winkel des Zeltes lächelte Alcina zufrieden wie eine Katze, die eine Maus verschlungen hat, während ihre schlanken Finger mit einem sonderbaren Talisman spielten, der an einer dünnen Kette von ihrem Hals hing. Auf der ganzen Welt gab es nur ein Gegenstück dazu.

 

Weit im Norden, hinter den Ebenen und Bergen, jenseits des Alimanes, saß Thulandra Thuu auf seinem schmiedeeisernen Thron. Auf seinem Schoß, zur Hälfte aufgerollt, hielt er ein Pergament mit astrologischen Diagrammen und Zeichen. Vor ihm, auf einem Tischchen, stand ein ovaler Spiegel aus schwarzem Vulkanglas. Am Rand dieses mystischen Spiegels fehlte ein halbrunder Splitter. Und diese kleine halbe Scheibe aus Obsidian, die mit unsichtbarer psychischer Kraft mit dem Spiegel verbunden war, hing zwischen den runden Brüsten der Tänzerin Alcina.

Während der Zauberer das Diagramm auf seinen Knien studierte, hob er hin und wieder den Kopf zu der kleinen Wasseruhr aus Gold und Kristall neben dem Spiegel. Von diesem seltenen Instrument erklang ein schwaches, gleichmäßiges Tropfen, das nur das schärfste Ohr vernehmen konnte.

Als die Silberglocke in der Uhr die Stunde schlug, nahm Thulandra Thuu die Hände von dem Pergament. Seine klauengleiche Hand beschrieb eine Bewegung vor dem Spiegel und murmelte einen Zauberspruch in einer unbekannten Sprache. Während er tief in den Spiegel schaute, verbanden sein Geist und seine Seele sich mit seiner Dienerin, der Lady Alcina. Denn wenn eine mystische Trance zu bestimmten Zeiten, die von gewissen Stellungen der Himmelskörper abhingen, den Geist der beiden vereinte, dann sah der Zauberer in Tarantia, was Alcina erblickte, und ihre gemurmelten Worte wurden auf magische Weise an ihn übermittelt.

Wahrlich, der Hexer hatte keinen Bedarf an Vibius Latros Korps von Spionen. Und wahrlich, Conans scharfe Sinne trogen ihn nicht: selbst die Schatten in seinem Zelt hatten Augen und Ohren.

 

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