8. Schwerter über den Alimane
8
SCHWERTER ÜBER DEN ALIMANE
Seit einigen Monaten hatten Graf Troceros Freunde ihre Arbeit getan und gut getan. Auf den Marktplätzen, in den Herbergen und Tavernen, in Dörfern, Städtchen und Städten, überall in der gesamten Provinz Poitain verbreitete sich auf leisen Schwingen die Kunde: »Der Befreier kommt!«
So nannten Graf Troceros Partisanen Conan, an den sie sich aus vergangenen Jahren erinnerten. Sie alle hatten von dem riesenhaften Cimmerier gehört, der mitten in den Fluten des Donnerflusses die wilden Pikten zurückgeschlagen hatte, die sonst zu Tausenden über die Grenze geschwärmt wären, um die Bossonischen Marschen zu verwüsten und dort zu schänden und zu brandschatzen. Die Poitanen, die jetzt seine Heldentaten kannten, schauten hoffnungsvoll auf den Unschlagbaren, damit er sie aus den Klauen des blutigen Tyrannen befreie.
Seit Wochen stahlen sich Bogenschützen und andere Bewaffnete südwärts, und weiter südwärts, dem Alimane zu. In den Dörfern beugten sich die Männer in den Wirtshäusern über ihre Bierkrüge. Sie steckten die Köpfe zusammen und flüsterten von der bevorstehenden Invasion.
Endlich kam der Befreier. Die Zeit, Poitain zu retten, war nahe, und danach ganz Aquilonien, das sich unter der schweren Hand des wahnsinnigen Numedides krümmte. Die Kunde, die so heißersehnt worden war, war in einem wasserdichten Seidenumschlag gekommen und mit dem Siegel des allseits verehrten Grafen Trocero versehen.
Sie waren bereit.
Die kalte, neblige Nacht ließ den Posten, einen jungen Gundermann, frösteln. Er nieste heftig, dann stampfte er mit den Füßen und schlug mit den Armen auf die Schultern, um ein wenig warm zu werden. Wachestehen war selbst bei schönem Wetter unangenehm, fand er, aber in tiefster Nacht und bei einem Nebel und einer Temperatur wie heute war es einfach scheußlich.
Wenn er sich nur nicht so dumm angestellt hätte, sich dabei erwischen zu lassen, wie er der Freundin seines Hauptmannes eine Kußhand zuwarf, hätte er jetzt in der wohligen Wärme des Unteroffizierskasinos mit den anderen zechen und fröhlich sein können. Wozu mußte man überhaupt das Haupttor der Kaserne von Culario in einer Nacht wie dieser bewachen? Glaubte der Kommandeur wirklich, eine Armee würde sich von Koth oder Nemedien oder gar vom fernen Vanaheim hierherstehlen, um die Garnison zu überfallen?
Traurig dachte er, wenn er das Glück gehabt hätte, als Sohn eines Landedelmanns geboren zu werden, tanzte er jetzt in schwerem Satin und vergoldetem Stahl beim Offiziersball. So sehr war er in seine Wunschträume vertieft, daß er das leise Scharren von Füßen auf dem Kopfsteinpflaster hinter sich nicht hörte. Er war sich seiner Umwelt überhaupt nicht bewußt, bis sich eine Lederschnur um seinen Hals zusammenzog und ihn erwürgte.
Laute Fröhlichkeit herrschte auf dem Offiziersball. Das Licht von tausend Kerzen brach sich in den unzähligen mannshohen Spiegeln. Die in ihren Paradeuniformen prächtig aussehenden jungen Offiziere wetteiferten um die Gunst der Stadtschönen, die sittsam errötend dem Südholzraspeln und den Komplimenten ihrer Tanzpartner lauschten, während ihre Mütter sie, geschmeichelt über die Erfolge ihrer Töchter, von den Reihen vergoldeter Stühle entlang der Säulenwände beobachteten.
Der Ball hatte den Höhepunkt überschritten. Der königliche Statthalter, Sir Conradin, hatte das Fest eröffnet, sich jedoch längst zurückgezogen und sich in seiner Kutsche nach Hause begeben. Der ranghöchste Offizier und Kommandeur der Garnison von Culario, Hauptmann Armandius gähnte und nickte über einem Kelch mit Poitains bestem Jahrgang fast ein. Aus seinem roten Samtsessel schaute er säuerlich auf die Tänzer und dachte, daß all dieses Gehopse, dieses Herumstolzieren, das Verbeugen und sich im Kreise drehen doch im Grund genommen etwas für Kinder war. Eine Stunde würde er wohl noch ausharren müssen, dann konnte er das Fest verlassen, ohne daß sich jemand beleidigt fühlte. Seine Gedanken wandten sich seiner schwarzäugigen zingaranischen Liebsten zu, die zweifellos bereits ungeduldig auf ihn wartete. Er lächelte schläfrig und stellte sich ihre sanften Lippen und ihre übrigen Reize vor, und entschlummerte.
Ein Diener wurde als erster auf den Rauch aufmerksam. Er riß die Tür auf und sah brennendes Reisig hoch gegen die Wand der Offiziersunterkünfte gehäuft. Er schlug Alarm.
Innerhalb weniger Atemzüge schwärmten die Offiziere des Königs aus dem Bauwerk wie Bienen, die von honigsuchenden Kindern aus ihren Stöcken geräuchert werden. Die Herren und ihre Damen, zum Teil wütend, zum Teil verwirrt, mußten feststellen, daß der Innenhof besetzt war – von stummen, finsteren Männern mit grimmigen, von harter Arbeit gezeichneten Gesichtern, und blankem Stahl in den sonnengebräunten Händen.
Die Offiziere mit ihren vergoldeten Dolchen, die weniger als Waffen, denn zur Zierde dienten, hatten kaum eine Chance gegen die wohlbewaffneten Rebellen. Innerhalb einer Stunde war Culario frei, und das Banner des Grafen von Poitain mit seinen roten Leoparden flatterte neben einer fremden, neuen Flagge mit einem goldenen Löwen auf schwarzem Grund.
In einem Privatzimmer in Cularios vornehmster Weinstube saß der königliche Statthalter mit seinem Freund, dem aquilonischen Steuereinzieher der Südregion, bei einem Spielchen. Beide hatten schon sehr tief in ihre Becher geschaut, und sein ständiges Pech im Spiel hatte den Statthalter leicht reizbar gemacht. Trotzdem, nachdem Sir Conradin dem Offiziersball glücklich entronnen war, zog er es vor, seinem Heim noch für eine Weile fernzubleiben, da er sich einer unfreundlichen Begrüßung von seiten seiner Frau sicher war. Die Anwesenheit des ihm zugeteilten Wachtpostens an der Tür störte ihn so sehr, daß er dem Soldaten barsch befahl, sich vor die Tür, aus seiner Sicht zurückzuziehen.
»Man muß einem Menschen doch ein bißchen Freiheit lassen«, knurrte er.
»Vor allem, wenn er am Verlieren ist, eh?« zog der Steuereinzieher ihn auf. Er war sicher, daß der Posten nicht allzulange im klammen Nebel würde ausharren müssen, denn Sir Conradins Beutel war fast leer.
Sie fuhren mit ihrem Spielchen fort und waren so sehr in das Rollen der Elfenbeinwürfel und das launische Spielglück vertieft, daß keiner der beiden den dumpfen Schlag und den Aufprall eines Körpers hinter der hölzernen Tür hörte.
Einen Augenblick später stießen Stiefel die Tür auf und eine wildäugige Meute von Bauern, mit Keulen, Rechen und Sensen, aber auch wirklichen Waffen, drängte sich ins Hinterzimmer und zerrte die beiden Spieler von ihrem Tisch zu dem neu errichteten Galgen in der Mitte des Marktplatzes.
Die Männer der Grenzlegion erhielten ihren ersten Hinweis auf die Aufstände in der Provinz, als ein Wachoffizier, der gähnend eine Inspektion der Wachen um das Lager machte, um sich zu vergewissern, daß auch alle auf ihren Posten waren, einen von ihnen scheinbar schlafend im Schatten eines Nachschubwagens kauern sah.
Fluchend stieß der Hauptmann dem Faulenzer die Stiefelspitzen in die Rippen. Als dieser wütende Schlag den Burschen nicht weckte, beugte der Offizier sich über ihn, um ihn zu untersuchen. Etwas Feuchtes an seinen tastenden Fingern ließ ihn zurückzucken. Ungläubig starrte er auf das dunkle Naß an seiner Hand und dann auf die durchschnittene Kehle des Postens, aus der immer noch Blut sickerte. Er richtete sich auf und holte tief Luft, um Alarm zu geben, doch genau in diesem Moment bohrte ein Pfeil sich in sein Herz.
Nebel trieb über das gekräuselte Wasser des Alimanes und wirbelte um die Baumstämme und die Zelte der schlafenden Soldaten. Auch am Rand des Lagers, wo der dunkle Wald knietief in purpurner Düsternis versank, wallte er empor. Die gespenstischen Schwaden wanden Dunstkränze um die uralten Eichen, und durch die sichtbehindernden Schleier stahl sich ein Trupp geduckter Gestalten in tarnfarbener Kleidung, mit Dolchen in den Händen und Bogen um die Schultern. Diese schattenhaften Gestalten huschten durch den Nebel von Zelt zu Zelt und immer verließen sie es mit blutigen Klingen.
Und während diese Eindringlinge den Schlafenden schweigend ein Ende bereiteten, kämpften weitere dunkle Gestalten sich durch die Strömung des Alimanes. Auch sie waren bewaffnet.
Ascalante, Graf von Thune, wurde durch einen Schrei, wie in Todesqualen ausgestoßen, aus tiefem Schlaf gerissen. Flüche, Brüllen und das Schmettern von Alarmsignalen folgten dem Schrei. Einen Augenblick lang glaubte der aquilonische Abenteurer, noch zu träumen. Doch dann klangen Kampfgeräusche an sein Ohr, die Schreie von Verwundeten, das Röcheln von Sterbenden, das Trampeln vieler Füße, das Schwirren von Pfeilen und das Klirren von Schwertern.
Fluchend sprang der Graf halbnackt von seinem Schlaflager. Er riß die Zeltklappe zurück und starrte hinaus auf eine blutige Szene. Brennende Zelte warfen ihr flackerndes Licht auf ein unbeschreibliches, grauenvolles Durcheinander. Leichen lagen wie achtlos von Kinderhand weggeworfene Puppen im Schlamm, und die Kämpfenden trampelten über sie hinweg. Halbbekleidete aquilonische Soldaten fochten mit dem Mut der Verzweiflung gegen Männer in Kettenhemden mit Lanzen, Schwertern und Äxten, während andere ganz aus der Nähe unfehlbar ihre gefiederten Pfeile abschossen. Königstreue Hauptleute und Sergeanten bemühten sich todesmutig, ihre Soldaten zu formieren und jene zu bewaffnen, die unvorbereitet aus ihren Zelten gestürzt waren.
Und dann tauchte eine schreckliche Gestalt vor dem Zelt auf, in dem der Graf von Thune vor Grauen und Überraschung wie gelähmt stand. Es war Gromel, der stämmige Bossonier, der einen ganzen Schwall von Flüchen ausstieß. Ascalante starrte ihn blinzelnd an. Der Offizier trug nichts weiter als ein Lendentuch und ein knielanges Kettenhemd, das an Dutzenden Stellen zerfetzt und von Klingen aufgerissen war, und so Gromels muskulösen Körper offenbarte, der über und über mit Blut besudelt war und so dem auf peinlichste Sauberkeit bedachten Grafen schier den Magen umdrehte.
»Verrat?« krächzte Ascalante und griff nach Gromels dunkelbeschmiertem Arm.
Gromel schüttelte die klammernde Hand ab und spuckte Blut aus. »Verraten und überrascht, oder beides – bei den schleimigen Eingeweiden Nergals!« knurrte der Bossonier. »Die Provinz hat sich erhoben. Unsere Wachen wurden niedergemacht, unsere Pferde in den Wald gejagt. Die Straße in den Norden ist blockiert. Die Rebellen haben in diesem verdammten Nebel unbemerkt den Fluß überquert. Den meisten der Posten wurden von den Bauern die Kehle aufgeschlitzt. Wir sitzen zwischen zwei Angreifern in der Falle und sind hilflos.«
»Was können wir denn tun?« wisperte Ascalante.
»Flieht und rettet Euer Leben«, schnaufte Gromel. »Oder ergebt Euch, wie ich es zu tun beabsichtige. Aber helft mir erst, meine Wunden verbinden, ehe ich verblute!«
Vom Nebel verborgen führte Conan als erster seine Lanzer durch die Furt von Nogara. Als der Kampf begonnen hatte, folgten ihm Trocero, Prospero und Pallantides mit den Bogenschützen und der Reiterei. Ehe der bleiche Mond durch die dichten Wolken spitzte, war der Graf von Poitain tief in der Schlacht, denn die Legionäre hatten sich gesammelt, um einen Schildwall zu bilden, aus dem ihre langen Speere herausragten. Trocero führte seine Reiterei gegen diese Barriere. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es ihnen durchzubrechen. Dann begann das Gemetzel.
Das Lager der Grenzlegion war behelfsmäßig errichtet. Es wand sich am Nordufer des Alimanes entlang, mit dem Wald dahinter. Seine langgezogene Form machte seine Verteidigung schwierig. Normalerweise bauten die Aquilonier quadratische Lager, mit Erdwällen oder Palisaden aus dicken Stämmen. Doch weder die eine noch die andere Befestigungsart war in diesem Fall durchführbar, und so war das Lager verhältnismäßig ungeschützt. Das ungünstige Gelände und der Überraschungseffekt durch die Befreiungsarmee (wie sie nun genannt wurde) neigten die Waagschale zugunsten der Rebellen, obgleich die Legionäre zahlenmäßig immer noch stärker waren als Conans Streitkräfte und die aufständischen Poitanen zusammen.
Außerdem war die Moral der Legion am Tiefpunkt, so daß Aquiloniens beste Soldaten diesmal ihrem Ruf keine Ehre machten. Ascalante hatte seinen Offizieren mitgeteilt, daß ihr früherer Oberbefehlshaber, Amulius Procas, durch eigene Hand den Tod gefunden hätte, da er über sein mißliches Verhalten in Argos nicht hinweggekommen war. Die Soldaten der Legion konnten diese Behauptung nicht glauben, denn sie hatten ihren alten General gekannt und geliebt, trotz seiner strengen Disziplin und seiner Rauhbeinigkeit.
Auf die Offiziere und Mannschaften wirkte Ascalante wie ein Geck und Wichtigtuer. Gewiß, der Graf von Thune hatte einige Militärerfahrung, doch lediglich im Garnisonsdienst und an ruhigen Grenzen. Sicher, jeder General, der über kampferfahrene höhere Offiziere gestellt wurde, mußte sich anstrengen, den Neid und Ärger der ihm Unterstellten zu überwinden, und das dauerte immer eine ganze Weile. Aber das etwas schläfrig wirkende Wesen und die höfische Art des Neuen trugen nicht gerade dazu bei, seinen Stab mit dem Kommandowechsel zu beschwichtigen, und die Unzufriedenheit der Offiziere übertrug sich wortlos auf die Soldaten unter ihnen.
Der Angriff war wohlgeplant. Als die poitanischen Bauern das Blut der Wachtposten vergossen, die Zelte angezündet und die Pferde aus ihrem behelfsmäßigen Gatter vertrieben hatten, formierten die so unsanft aus ihrem Schlaf gerissenen Soldaten sich zur Verteidigung gegen die Angreifer, die vom Norden gekommen waren. Doch als sie nun auch unerwartet aus dem Süden von Conans Streitkräften überfallen wurden, löste sich ihre Verteidigungslinie, und der Gesang der Schwerter wurde zur Todesklage.
General Ascalante war nirgends zu finden. Als der Höfling ein Pferd erspäht hatte, hatte er sich auf das ungesattelte Tier geschwungen und es mangels Sporen mit einem Zweig, den er hastig von einem nahen Baum riß, angetrieben. Er konnte den poitanischen Partisanen um Haaresbreite ausweichen und galoppierte in die Nacht hinein.
Ein listiger Glücksritter wie Gromel konnte sich vielleicht bei den Siegern in Gunst setzen, wenn er sich mit seinen Streitkräften ergab, doch für Ascalante war es anders. Er hatte den Stolz des Hochgeborenen. Außerdem ahnte er, was Thulandra Thuu tun würde, wenn er von der Niederlage erfuhr. Der Zauberer hatte erwartet, daß sein neuernannter General die Rebellen südlich des Alimanes halten würde – eine unter normalen Umständen nicht übermäßig schwierige Aufgabe für einen Befehlshaber mit einem Mindestmaß an militärischer Erfahrung. Aber die magischen Künste des Hexers hatten ihn irgendwie nicht vor dem Aufstand der Poitanen gewarnt – ein Ereignis, das selbst einen erprobteren Offizier als den Grafen von Thune entmutigt hätte. Und jetzt war sein Lager versengt und verkohlt, und die totale Niederlage stand bevor. Ascalante hatte demnach keine Wahl, als von hier zu verschwinden und eine möglichst große Entfernung zwischen sich und sowohl den Rebellenführer als auch den dunklen, hageren Zauberer in Tarantia zurückzulegen.
Die ganze mondlose Nacht galoppierte der Graf von Thune durch einen Tunnel hoher Bäume. Gegen Morgengrauen befand er sich etwa dreißig Meilen östlich des Katastrophenorts. Doch der Gedanke an Thulandra Thuus unberechenbaren Grimm trieb ihn auf seinem erschöpften Pferd weiter. Es gab Unterschlüpfe in den Wüsten im Osten, wo, wie er hoffte, ihn selbst der rachsüchtige Zauberer nie finden würde.
Doch im Verlauf der Stunden erwachte in Ascalante ein immer wilderer und nagenderer Haß auf Conan, den Cimmerier, dem er die Schuld an seiner Niederlage und Flucht gab. Tief im Herzen schwor der Graf von Thune sich, es ihm auf gleiche Weise heimzuzahlen.
Gegen Morgen schritt Conan durch das verwüstete Lager der Grenzlegion und nahm die Meldungen seiner Hauptleute entgegen. Hunderte von Königstreuen waren tot oder lagen im Sterben und Hunderte weitere hatten die Sicherheit des Waldes gesucht, wo Troceros Partisanen sich nun ihrer annahmen. Aber ein ganzes Regiment war zu Conan übergelaufen. Die Umstände und ein bossonischer Offizier namens Gromel hatten sie überzeugt, daß das das Klügste sei. Die Kapitulation dieser Soldaten – Poitanen, Bossonier, einige Gundermänner und mehrere Dutzend andere Aquilonier – freute Conan sehr, denn erfahrene, gut ausgebildete Berufssoldaten würden seine Schlagkraft und die Moral seiner zusammengewürfelten Truppe erhöhen.
Als kluger Menschenkenner hielt Conan Gromel, den er flüchtig von den Kämpfen an der piktischen Grenze her kannte, sowohl für einen mutigen Krieger und tüchtigen Offizier, als auch für einen schlauen Glücksritter. Aber Opportunismus wird gern verziehen, wenn er einem von Nutzen ist. Und so beglückwünschte er den stämmigen Mann zu seinem Gesinnungswandel und ernannte ihn zum Offizier in seiner Befreiungsarmee.
Trupps erschöpfter Soldaten plagten sich damit, die Toten von allen noch nützlichen Gegenständen zu befreien und die Leichen zum Bestattungsfeuer aufzuhäufen, als Prospero herbeischritt. Seine mit verkrustetem Blut besudelte Rüstung wirkte stumpfrot im Licht des frühen Morgens, und er schien sich der besten Laune zu erfreuen.
»Wie sieht es aus?« fragte Conan barsch.
»Bestens, bestens, General.« Der andere grinste. »Die gesamten Versorgungswagen mit Proviant und Waffen für eine Armee von zweimal unserer Stärke sind in unserer Hand.«
»Gute Arbeit!« lobte Conan. »Was ist mit den Pferden der Gegner?«
»Die Partisanen haben die Rosse, die sie aus dem Gatter gejagt hatten, wieder eingefangen, also haben wir auch wieder Reittiere. Außerdem ergaben sich mehrere tausend Legionäre, als sie sahen, daß sie keine Chance mehr hatten. Pallantides möchte gern wissen, was er mit so vielen Gefangenen tun soll.«
»Er soll ihnen anbieten, auf unserer Seite zu kämpfen. Wer nicht möchte, den soll er laufen lassen, wohin er will. Unbewaffnete können uns nicht viel schaden«, sagte Conan gleichgültig. »Wenn wir diesen Krieg gewinnen, brauchen wir so viele Leute wie nur möglich, die für uns sind. Also sagt Pallantides, er möge jedem die Wahl lassen.«
»Gut, General. Noch irgendwelche Befehle?« erkundigte sich Prospero.
»Wir reiten heute morgen nach Culario. Troceros Partisanen meldeten, daß es zwischen hier und der Stadt, die darauf wartet, uns mit offenen Armen zu empfangen, keinen einzigen bewaffneten Königstreuen mehr gibt.«
»Dann werden wir einen leichten Marsch nach Tarantia haben.« Wieder grinste Prospero.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, brummte Conan und kniff die Augen ein wenig zusammen. »Gewiß, es wird Tage dauern, bis die Kunde unseres Sieges über die Königstreuen Bossonien und Gunderland erreicht und sich die Garnisonen dort südwärts in Marsch setzen, um zu versuchen, uns aufzuhalten. Aber es wird noch früh genug sein.«
»Ja. Zweifellos wird Graf Ulric von Raman den Oberbefehl über sie übernehmen«, meinte Prospero. Dann, als Trocero sich ihnen anschloß, wandte er sich an ihn. »Was denkt Ihr, mein Graf?«
»Auch ich bin sicher, daß Ulric das Kommando führen wird«, antwortete Trocero. »Zu dumm, daß wir unser Treffen mit den Nordbaronen nicht einhalten konnten. Sie hätten ihn eine geraume Weile aufhalten können.«
Conan zuckte die muskelschweren Schultern. »Sorgt dafür, daß die Männer gegen Mittag aufbrechen können. Ich werde mir Pallantides' Gefangene ansehen.«
Kurz darauf schritt Conan die Reihen der entwaffneten Königstreuen ab. Hin und wieder blieb er stehen und stellte scharf die Fragen: »Ihr wollt also in der Befreiungsarmee kämpfen? Weshalb?«
Im Lauf dieser Inspektion fiel sein Auge auf ein von der Sonne widergespiegeltes Glitzern auf der haarigen Brust eines zerlumpten Gefangenen. Als er es näher betrachtete, bemerkte er, daß das Spiegeln von einer kleinen Halbscheibe aus Obsidian kam, die an einer Kette um einen bulligen Hals hing. Einen Augenblick lang bemühte Conan sich zu erinnern, wo er diesen Talisman schon gesehen hatte. Er nahm ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und fragte den Soldaten mit kaum unterdrückter Heftigkeit:
»Wo hast du dieses Amulett her?«
»Ich hob es vom Boden im Generalszelt auf, General, das war am Morgen nachdem General Procas umge... – nachdem er starb, Sir. Ich dachte, es würde mir vielleicht Glück bringen.«
Conan musterte den Mann unter zusammengekniffenen Lidern. »General Procas hat es zweifellos kein Glück gebracht. Gib es mir!«
Hastig streifte der Gefangene die Kette über den Kopf und reichte Conan mit zitternden Fingern das Amulett. In diesem Moment kam Trocero dazu. Conan, der den Obsidian vor seine Augen hielt, murmelte: »jetzt weiß ich, wo ich das Ding schon gesehen habe. Die Tänzerin Alcina trug es um ihren Hals.«
Trocero hob die Brauen. »Aha! Das erklärt ...«
»Später!« wehrte Conan ab. Er nickte dem Gefangenen zu und setzte seine Inspektion fort.
Als die Strahlen der Morgensonne die Wölkchen am Osthimmel zum Erröten brachten, holperten Conans Versorgungswagen, begleitet von der Nachhut, durch den Alimane, und bald darauf setzte die Befreiungsarmee sich auf den Marsch durch Poitain nach Culario, mit dem nächsten Ziel, das große Tarantia und der Königspalast. Aquilonischen Boden betreten zu dürfen, nach so vielen Monaten in einem schroffen Gebirgsland, versetzte die Rebellenkrieger in beste Stimmung. So müde und erschöpft sie auch nach der schweren Nacht des Kampfes waren, sangen sie jetzt doch aus vollem Hals Marschlieder, während sie zwischen den hohen poitanischen Eichen nordwärts stapften.
Schneller als der Wind eilte ihnen die frohe Kunde voraus: Der Befreier kommt! Von Gehöft zu Dorf, Städtchen und Stadt verbreitete sie sich. Nur ein verstohlenes Raunen zuerst, doch dann ein immer lauter werdender Ruf, ein Brüllen, wie Monarchen es fürchten, da es den Sturz eines Thrones, ja vielleicht gar einer ganzen Dynastie ankünden mag.
Conan und seine Offiziere, die auf edlen Rossen vorausritten, waren höchst erfreut. So wie es aussah, versprach der Marsch durch Graf Troceros Gebiet wie ein Flug auf Adlerschwingen zu werden. Die nächsten Königstruppen, die von ihrem Vorstoß noch nichts ahnten, befanden sich Hunderte von Meilen entfernt. Und da Amulius Procas in seinem Grabe ruhte, hatten sie keinen Gegner zu befürchten, ehe sie das schöne Tarantia erreichten. Natürlich würden die Stadttore verschlossen und verbarrikadiert sein, daran zweifelten sie nicht. Und die Schwarzen Drachen, die Leibgarde des Königs, würde zur Verteidigung ihres Monarchen und der Stadt bereit sein. Aber da das Volk hinter ihnen stand und ein Thron auf sie wartete, würden sie alle Verteidigungsmaßnahmen überwinden und jeden Feind zerschmettern.
Doch in letzterem irrten die Rebellen. Ein Feind blieb, von dem sie nur wenig wußten – das war der Zauberer Thulandra Thuu.
In seinem purpurnen Zaubergemach, das von den Kerzen aus Leichentalg erhellt wurde, saß Thulandra Thuu grübelnd auf seinem schwarzen Thron. Er starrte in den Obsidianspiegel und versuchte, allein durch seine Willenskraft der undurchsichtigen Scheibe klare Bilder von Personen und Ereignissen an fernen Orten zu entlocken. Schließlich lehnte er sich seufzend zurück und schloß die ermüdeten Augen. Nach einer Weile studierte er erneut das Pergament in seinen spinnendürren Fingern, auf dem die astrologischen Aspekte eingetragen waren, nach denen er sich bei einer okkulten Übertragung richtete. Er schaute auf die vergoldete Kristallwasseruhr, doch am Tag und an der Stunde konnte es nicht liegen, daß er keinen Erfolg hatte. Was immer auch der Grund war, Alcina hatte versäumt, sich zu der bestimmten Zeit mit ihm in Verbindung zu setzen, und das nun schon seit Tagen.
Ein Klopfen riß ihn aus seinen düsteren Überlegungen. »Herein!« rief Thulandra Thuu mit Lippen, die vor Enttäuschung fast zitterten.
Der Vorhang wurde geöffnet und Hsiao stand auf der Marmorschwelle. Der Khitan verbeugte sich und meldete: »Herr, Lady Alcina ersucht, mit Euch sprechen zu dürfen.«
»Alcina!« Die Schärfe des Tones verriet die Erregung des Zauberers. »Führ sie sogleich herein!«
Der Vorhang schloß sich lautlos und wurde wieder geöffnet. Alcina taumelte herein. Ihr Pagenkostüm klebte in Fetzen an ihr. Es war grau von Staub und mit getrocknetem Schlamm überzogen. Das schwarze Haar war zerzaust und ebenfalls steif von Lehm, der auch ihr verängstigtes Gesicht bedeckte. Ihre Füße vermochten sie kaum noch zu tragen, als sie sich in das Gemach schleppte. Das betörend schöne Mädchen, das siegessicher nach Messantia aufgebrochen war, wirkte nun wie eine Frau im Winter ihres Lebens.
»Alcina!« rief der Zauberer. »Woher kommt Ihr? Was führt Euch hierher?«
Mit kaum vernehmbarem Flüstern bat sie: »Meister, darf ich mich setzen? Ich bin so müde!«
»So setzt Euch doch!« Als Alcina auf eine Marmorbank sank und die Lider schloß, rief Thulandra Thuu mit seiner zischenden Stimme durch den widerhallenden Raum: »Hsiao! Wein für Lady Alcina. Und nun, meine Gute, berichtet mir alles, was Euch widerfahren ist!«
Das Mädchen holte schluchzend Atem. »Seit acht Tagen bin ich unterwegs und wagte kaum, länger als ein paar Herzschläge Rast zu machen, um einen Bissen zu mir zu nehmen und kurz die Augen zu schließen.«
»Ah! Und weshalb?«
»Ich kam, um Euch zu sagen – daß Amulius Procas tot ist ...«
»Gut!« Thulandra Thuus Augen glitzerten erfreut.
»... aber Conan lebt!«
Bei dieser erstaunlichen Nachricht, verlor der Zauberer zum zweitenmal an diesem Tag die Fassung. »Set und Kali!« fluchte er. »Wie ist das möglich? Sprecht, Mädchen, sprecht!«
Ehe sie antwortete, nahm Alcina einen tiefen Schluck des Safranweins, den Hsiao ihr in einem Becher anbot. Dann berichtete sie schleppend, was sich im Lager der Grenzlegion zugetragen hatte – wie sie Procas mit der vergifteten Dolchspitze tötete, wie sie erfuhr, daß Conan noch lebte, und wie sie den Wachen entkam.
»Und so«, schloß sie, »hielt ich es für meine Pflicht, mich sofort zu Euch zu begeben, da ich annahm, daß Ihr noch nichts von der wundersamen Heilung des Barbaren wißt.«
Mit finster zusammengezogenen Brauen betrachtete der Zauberer Alcina durchdringend. Dann knurrte er mit der unterdrückten Wut einer Wildkatze: »Weshalb habt Ihr Euch nicht in angemessener Entfernung vom Lager der Grenzlegion zurückgezogen und Euch zur bestimmten Zeit mit Hilfe des Spiegelstücks mit mir in Verbindung gesetzt, statt diese anstrengende Reise auf Euch zu nehmen!«
»Das konnte ich nicht, Meister.« Alcina rang gequält die Hände.
»Weshalb nicht?« Thulandra Thuus Stimme klang messerscharf. »Habt Ihr vielleicht die Tafel mit den Planetenstellungen verlegt, die ich Euch zu treuen Händen übergab?«
»Nein, mein Lord, viel schlimmer als das. Ich verlor mein Spiegelstückchen – meinen Talisman!«
Die Lippen zu einem Zähnefletschen zurückgezogen, knurrte Thulandra Thuu: »Bei Nergals Dämonen. Wie konntest du! Welch Teufel der Sorglosigkeit fuhr in dich? Bist du von allen Geistern verlassen? Oder hast du vielleicht dein leichtsinniges Herz wie eine läufige Katze an einen lüsternen Tölpel verloren? Dafür werde ich dich bestrafen, wie noch kein Sterblicher je bestraft wurde! Ich werde dir nicht nur lebenden Leibes die Haut abziehen lassen, sondern auch deine Seele zerreißen. Du wirst die Schmerzen all deiner früheren Leben noch einmal erfahren, angefangen mit der Zeit, da du noch protoplasmatischer Urschleim warst, bis zu dem Wurm, zum Fisch, zum Affen und schließlich zum menschlichen Wesen wurdest! Du wirst mich um den Tod anflehen, aber ...«
»Meister, so hört mich doch an!« rief Alcina verzweifelt und fiel vor ihm auf die Knie. »Ihr wißt genau, daß die Lüste eines Mannes mir nichts bedeuten, außer wenn ich sie in Eurem Auftrag erwecke.« Weinend erzählte sie ihm vom Todeskampf Amulius Procas' in der Dunkelheit, und wie sie erst später, als sie sich aus dem Lager entfernt hatte, den Verlust des Talismans entdeckte.
Thulandra Thuu biß sich auf die Lippen, um seinen wachsenden Grimm zu unterdrücken. »Ich verstehe«, sagte er schließlich. »Aber wenn man große Ziele verfolgt, kann man sich keine Fehler leisten. Hättest du deinen Dolchstoß richtig berechnet, wäre Procas nicht mehr in der Lage gewesen, dein Amulett zu packen.«
»Ich konnte doch nicht wissen, daß er ein Kettenhemd unter seiner Tunika trug. Könnt Ihr mir denn nicht ein anderes Stückchen Eures Spiegels überlassen?«
»Das könnte ich, aber ihm den Zauber zu verleihen, daß man es zu Übermittlungen über weite Entfernungen verwenden kann, ist so anstrengend und zeitraubend, daß der Krieg längst zu Ende wäre, ehe das Stück entsprechend präpariert ist.« Thulandra Thuu strich über sein kantiges Kinn. »Hast du dich vergewissert, daß Procas auch wirklich tot war?«
»Ja. Ich fühlte seinen Puls und lauschte seinem Herzschlag.«
»Aber bei dem Cimmerier hast du das nicht getan. Das war ein großer Fehler.«
Alcina machte eine verzweifelte Gebärde. »Das Gift, das ich in seinen Kelch gab, hätte ausgereicht, zwei gewöhnliche Männer auf der Stelle zu töten. Aber seine riesenhafte Größe zusammen mit seiner schier unnatürlichen Lebenskraft ...« Sie warf sich nun ganz auf den Boden vor ihren Herrn.
Thulandra Thuu erhob sich und stand nun in seiner ganzen Größe über dem zitternden Mädchen. Mit dem knochigen Zeigefinger deutete er gen Himmel. »Vater Set, kann denn keiner meiner Diener auch nur den einfachsten Befehl ausführen?« Dann richtete sein plötzlicher Grimm sich wieder auf das Mädchen. »Idiotin, würdest du denn einem Bluthund die Ration eines Schoßhündchens füttern?«
»Meister, Ihr gabt mir keinen Rat. Und wer bin ich denn schon, daß ich die Menge von Lotoskörnchen berechnen könnte, die notwendig sind, einen Riesen zu töten?« Alcinas Stimme hob sich, und Wut zitterte in ihr. »Ihr sitzt in aller Bequemlichkeit in Eurem prächtigen Palast, während diese Eure arme Dienerin bei gutem und schlechtem Wetter durch das Land reist und ihre Haut riskiert, um Eure gefahrvollen Aufträge auszuführen. Und nicht ein gutes Wort bekommt sie dafür!«
Thulandra Thuu breitete die Arme, mit den Handflächen entschuldigend nach oben aus. »Na, na, na, meine teure Alcina, wir wollen doch keine bösen Worte wechseln. Wenn Verbündete sich trennen, gewinnt der Feind ohne große Anstrengung die Schlacht. Bei meinem nächsten Auftrag, einen meiner Feinde zu vergiften, gebe ich dir einen Kämmerer mit, der die Dosis für dich berechnet!«
Mit einem etwas kläglichen Lächeln setzte er sich wieder. »Gewiß lachen die Götter sich krumm über diese Ironie. Nun, da ich Amulius Procas in die Unterwelt geschickt habe, wünschte ich ehrlich, daß das alte Rauhbein wieder lebte, denn keinem anderen ist zuzutrauen, daß er den Barbaren und seine Rebellen schlägt.
Ich glaubte, Ascalante und Gromel schafften es gemeinsam, die Alimane-Überquerung der Rebellen zu verhindern, und das hätten sie wohl auch gewiß, wäre nicht Conan der Rebellenführer gewesen. Jetzt bleibt mir nichts übrig, als einen tüchtigeren General für die Grenzlegion zu finden. Das bedarf einiger Überlegung. Graf Ulric von Raman führt die Nordarmee in Gunderland und hält ein Auge auf den Cimmerier. Er ist ein ungemein fähiger Befehlshaber, aber der Mond würde zu- und wieder abnehmen, ehe er meine Order erhielt und ganz Aquilonien durchritten hätte. Prinz Numitor befindet sich näher, an der piktischen Grenze, aber ...«
Hsiaos taktvolles Klopfen hallte wie eine kleine Messingglocke. »Eine Taube kam gerade mit einer Botschaft aus Messantia bei Vibius Latro an, Herr«, sagte er. Er verbeugte sich und händigte dem Zauberer eine winzige Schriftrolle aus.
Thulandra Thuu erhob sich und hielt das Pergament dicht an die Flamme einer der hohen Kerzen. Beim Lesen preßte er die Lippen zusammen, bis sie nur noch wie ein schmaler Strich in seinem dunklen Gesicht wirkten. Schließlich sagte er:
»Nun, Lady Alcina, es sieht ganz so aus, als wären die Götter meiner fernen Insel sorglos, was das Wohlergehen ihres Günstlings betrifft.«
»Was ist geschehen?« rief Alcina und erhob sich.
»Prinz Cassio, schreibt Fadius, hat einen Boten aus den Rabirianischen Bergen zu seinem Vater in Messantia geschickt. Conan, der sich völlig von seinem Siechtum erholte, hat den Alimane überquert und mit Hilfe der poitanischen Lords und Bauern die Grenzlegion aufgerieben. Hauptmann Gromel und seine Männer sind zu den Rebellen übergelaufen. Ascalante könnte geflohen sein, denn weder er, noch seine Leiche wurden gefunden.«
Der Zauberer zerknüllte die Botschaft und funkelte Alcina an. Seine Augen brannten wahrlich rot vor Wut, wie sie es noch bei keinem Menschen gesehen hatte. Er knurrte: »Manchmal reizt du mich, Weib, und ich habe gute Lust, dein armseliges Leben auszulöschen wie eine Kerzenflamme. Ich habe einen lautlosen Zauberspruch, der meine Feinde in ein Häufchen Asche verwandelt, ohne auch nur das Glimmen des kleinsten Fünkchens, oder die winzigste Rauchfahne ...«
Alcina wich vor ihm zurück und kreuzte die Arme über der Brust, aber vor dem durchdringenden Blick des Zauberers gab es kein Entkommen. Ihr Körper brannte wie von Flammenzungen, die aus einem offenen Kamin nach ihr leckten. Das Zauberfeuer drang in ihr tiefstes Inneres. Sie schloß die Augen, als könnte sie damit die grauenvolle Hitze von sich abhalten. Sie hob kurz die Lider, da warf sie die Arme hoch, wie um einen Schlag abzuwehren, und schrie grauenerfüllt.
Wo der Zauberer gestanden hatte, befand sich eine monströse Schlange. Aus ihrem erhobenen Schädel, der sich etwa in Kopfhöhe des Mädchens wiegte, schossen aus lidlosen Augen schreckliche Strahlen geradewegs in Alcinas Seele, während ein gräßlicher Reptiliengestank ihr schier den Magen umdrehte. Die schuppigen Kiefer gähnten weit und offenbarten ein Paar spitzer Fänge, die auf sie zuschnellten. Alcina schloß erschrocken erneut die Lider und wich noch weiter zurück. Als nichts geschah, öffnete sie die Augen. Die Schlange war verschwunden und Thulandra Thuu stand wieder vor ihr.
Mit einem verzerrten Lächeln sagte der Zauberer. »Fürchte dich nicht, Mädchen, ich zerschlage nicht mutwillig meine Werkzeuge, solange ihre Klinge scharf ist.«
Zwar zitterte Alcina noch, aber sie gewann soviel ihrer Fassung zurück, daß sie zu fragen wagte: »Habt ... habt Ihr wahrhaftig die Gestalt einer Schlange angenommen, Meister? Oder gaukeltet Ihr mir nur ihr Abbild vor?«
Thulandra Thuu wich ihrer Frage aus. »Ich wollte Euch nur vor Augen führen, wer von uns Meister und wer Gehilfe ist.«
Alcina hatte nichts dagegen, das Thema zu wechseln. Sie deutete auf das zerknüllte Pergament. »Wie kam Fadius zu Prinz Cassios Nachricht?«
»Milo von Argos lud zu einem Freudenfest ein, dessen Anlaß natürlich kein Geheimnis ist. Kein Zweifel, auf welcher Seite dieser alte Narr steht. Und noch etwas: Milo warf diesen Tölpel Quesado aus seinem Reich. Zuletzt wurde er unter argossanischer Bewachung auf dem Weg nach Aquilonien gesehen. Ich werde Vibius Latro den Rat geben, diesen Burschen als Dungsammler einzusetzen, zu etwas anderem taugt er nicht.
Und nun wird unser wahnsinniger König, der überall seine Nase hineinstecken muß, vielleicht die Staatsgeschäfte völlig mir überlassen und sich auf seine schwülstigen Vergnügungen beschränken. Ich muß meinen nächsten Zug in diesem Brettspiel mit dem Schicksal, in dem es um ein Königreich geht, reiflich überlegen. Deshalb, meine teure Alcina, habt Ihr meine Erlaubnis, Euch zurückzuziehen. Hsiao wird für eine Erfrischung, ein gewiß heiß ersehntes Bad und feine Kleidung für Euch sorgen.«
Erleichtert hörte Alcina aus der respektvolleren Anrede, daß sie offenbar wieder in Thulandra Thuus Gunst aufgenommen war.
Der viele Meilen lange glitzernde Zug, die Befreiungsarmee, wand sich um bewaldete Hügel, vorbei an Feldern und Gehöften, zu den Toren von Culario. Beim Anblick der weit geöffneten Torflügel, zügelte Conan an der Spitze der Armee sein Pferd. Von den Türmen flatterten Banner mit dem roten Leoparden Poitains. Die Standarte mit dem schwarzen Adler Aquiloniens war nirgends zu sehen. Innerhalb der Stadtmauer drängten die Bürger sich dicht an dicht zu beiden Seiten am Straßenrand. In Conans lebhafter Phantasie regte sich das Mißtrauen des Barbaren. Er witterte eine Hinterlist der sogenannten zivilisierten Menschen.
Er wandte sich an Trocero, der auf einem Schimmelwallach an seiner Seite ritt. »Seid Ihr auch sicher, daß das keine Falle ist, die die Königstreuen uns hier stellen?«
»Meinen Kopf darauf!« erwiderte der Graf hitzig. »Ich kenne mein Volk gut.«
Conan studierte das Bild vor sich und brummte: »Ich halte es für das Beste, nicht zu sehr als Eroberer aufzutreten. Wartet kurz.«
Er öffnete die Kinnriemen seines Helmes, nahm ihn ab und hängte ihn an den Sattelknauf. Dann saß er mit leichtem Klirren seiner Rüstung ab und schritt, sein Pferd am Zügel neben sich führend, zu Fuß zum Tor.
So betrat Conan, der Befreier, ohne Überheblichkeit die Stadt Culario. Er nickte den Bürgern zu beiden Straßenseiten ernst, doch freundlich zu und wurde dafür mit einem Blumenregen und stürmischer Begeisterung begrüßt. Prospero, der ihm hoch zu Roß folgte, lenkte sein Pferd neben Trocero und flüsterte seinem Kameraden ins Ohr: »War es nicht dumm von uns, lange zu überlegen, wer Numedides' Thron besteigen soll?«
Graf Trocero beantwortete die Frage mit einem trockenen Lächeln und einem Zucken der Achseln unter der Eisenrüstung, als er seine treuen Untertanen mit erhobener Hand grüßte.
Thulandra Thuu beugte sich in seinem Zaubergemach über eine auf einem Tisch aufgerollte und mit kostbaren Metallbarren an den Ecken und Rändern beschwerte Karte. Er sprach zu Alcina, die sich inzwischen von den Anstrengungen ihrer Reise erholt hatte und bezaubernd aussah in ihrem wallenden Gewand aus gelbem Satin, das sich an ihren grazilen Körper schmiegte und ihrem rabenschwarzen Haar schmeichelte.
»Einer von Latros Spionen meldet, daß Conan und seine Armee sich in Culario befinden, wo sie sich von der Schlacht und dem langen Marsch ausruhen. In kurzer Zeit werden sie nach Norden aufbrechen und dem Khorotas nach Tarantia folgen.« Er deutete mit einem langen, gepflegten Fingernagel. »Die günstigste Stelle, sie aufzuhalten, ist an der Imirianischen Höhe in Poitain, die auf ihrem Weg liegt. Die einzige Truppe, die einer solchen Aufgabe sowohl gewachsen ist, als sie auch zeitmäßig bewältigen kann, sind Prinz Numitors Königliche Grenzer, die in Fort Thandara in der Westermark von Bossonien stationiert sind.«
Alcina schaute auf die Karte und fragte: »Solltet Ihr dann nicht Prinz Numitor anweisen, sich umgehend mit allen Truppen, außer einer Mindestbesatzung für die Garnison, südostwärts in Marsch zu setzen?«
Der Zauberer kicherte. »Wir werden noch einen General aus Euch machen, meine teure Lady. Der Kurier mit dieser Order ist bereits seit Morgengrauen unterwegs.« Thulandra Thuu maß die Entfernung mit den Fingern und drehte die Hand, als wäre sie ein Zirkel. »Doch wie Ihr seht, wenn Conan innerhalb der nächsten beiden Tage aufbricht, kann Numitor beim besten Willen die Höhe nicht vor ihm erreichen. Wir müssen etwas tun, den Barbaren aufzuhalten.«
»Gewiß, Meister, aber was?«
»Ich bin nicht ganz unerfahren im Wetterzauber und vermag den Geistern der Luft zu gebieten. Ich werde einen Plan ausarbeiten, um den Cimmerier eine Weile in Culario festzuhalten. Holt mir die Pülverchen und Fläschchen dort, Mädchen, dann werden wir meine Zauberkräfte auf die Probe stellen.«
Conan stand neben dem neugewählten Bürgermeister von Culario auf der Stadtmauer. Als sie ihren Rundgang angetreten hatten, war der Himmel klar und sonnig gewesen, doch jetzt verdüsterte er sich und bleigraue Wolken überzogen ihn.
»Das gefällt mir nicht«, murmelte der Bürgermeister. »Der Sommer ist bisher schon naß genug gewesen, und das sieht mir aus, als stünde uns wieder länger anhaltendes schlechtes Wetter bevor. Zuviel Regen kann für die Ernte genauso schlecht sein wie überhaupt keiner. Ah, da ist er schon!« Er wischte sich einen schweren Tropfen von der Stirn.
Als die beiden Männer die Wendeltreppe um den Turm hinunterstiegen, kam ihnen Prospero aufgeregt entgegen. »General!« rief er. »Ihr habt Eure Leibwächter schon wieder überlistet!«
»Bei Crom!« knurrte Conan ungehalten. »Ich möchte hin und wieder auch einmal Ruhe vor ihnen haben. Schließlich brauche ich kein Kindermädchen, das auf mich aufpaßt!«
»Das ist der Preis der Macht, General«, sagte Prospero. »Ihr seid nicht nur unser Führer, sondern unser Symbol für Freiheit. Wir müssen Euch beschützen wie unsere Standarte oder ein anderes heiliges Relikt, denn wenn der Feind Euch niederstrecken könnte, hätte er den Sieg zu drei Viertel in der Tasche. Ich versichere Euch, daß sich Vibius Latros Spione in Culario herumtreiben und nur darauf lauern, Euch Gift in den Wein zu geben, oder Euch einen Dolch zwischen die Rippen zu stoßen.«
»Dieses Gewürm!« schnaubte Conan.
»Ja, aber auch Ihr, genau wie jeder einfache Mann, könnt durch das Gift dieses Gewürms sterben. Also haben wir keine andere Wahl, als Euch sorgsam zu behüten wie einen neugeborenen Prinzen. Diese unbedeutenden Unannehmlichkeiten müßt Ihr schon auf Euch nehmen.«
Conan seufzte tief. »Es spricht doch viel für das Leben eines ruhelosen Vagabunden, wie ich einst einer war. Aber laßt uns jetzt in den Palast des Statthalters zurückkehren, ehe dieser Wolkenbruch uns alle davonschwemmt.«
Conan und Prospero stapften eiligen Schrittes über das Kopfsteinpflaster. Der wohlbeleibte Bürgermeister hatte seine Mühe, ihnen zu folgen. Ein greller Blitz zerriß die Wolken über ihren Köpfen, und der Donner dröhnte wie tausend Trommeln. Eimerweise schien der Himmel sie mit Regen zu überschütten.