2. Die Löwen sammeln sich
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DIE LÖWEN SAMMELN SICH
Weit im Süden von Aquilonien durchschnitt eine schlanke Kriegsgaleere das stürmische Gewässer des Westlichen Ozeans. Das Schiff, von argossanischer Bauart, näherte sich der Küste, wo die Lichter von Messantia durch die Dämmerung glommen. Ein Streifen hellen Rotes am westlichen Horizont zeigte den Abschied des Tages an, und darüber glitzerten die ersten Sterne am Saphirhimmel, ehe der Schein des aufgehenden Mondes ihnen den Glanz raubte.
An der Back lehnten sieben Personen sich gegen die Reling oberhalb des Buges. Sie trugen schwere Umhänge gegen den eisigen Gischt, der immer wieder an Deck sprühte, wenn der bronzene Rammdorn sich hebend und senkend durch die Wellen bohrte. Einer der sieben war Dexitheus, ein Mann reifen Alters mit ruhigen Augen und ernstem Gesicht, der die wallende Robe des Mitrapriesters trug.
Neben ihm stand ein breitschultriger, schmalhüftiger Edelmann mit graumeliertem dunklen Haar. Sein silberglänzender Brustharnisch wies in gehämmertem Gold drei Leoparden, das Wappen Poitains, auf. Er war Trocero, Graf von Poitain, und seine Standarte mit dem gleichen Wappen flatterte vom Fockmast hoch über seinem Kopf.
Neben ihm lehnte ein jüngerer Mann von stolzer Haltung im Kettenhemd über einem feinen Samtwams, der an seinem Bärtchen zupfte. Er wirkte grazil und sein freundliches Lächeln übertünchte die stete Kampfbereitschaft des erfahrenen, tüchtigen Soldaten. Er war Prospero, ehemaliger General der aquilonischen Armee. Ein kräftiger Mann mit schütterem Haar, der weder Schwert noch Rüstung trug und sich von der zunehmenden Dämmerung nicht stören ließ, kritzelte mit einem Griffel Zahlen auf eine Tafel, die er gegen die Reling stützte. Publius war der Kämmerer Aquiloniens gewesen, ehe er in verzweifeltem Protest gegen des Königs Politik unbeschränkter Besteuerung und unkontrollierter Ausgaben seinen Posten aufgab.
In seiner Nähe klammerten sich zwei Mädchen an die Reling des schlingernden Schiffes. Eines war Belesa von Korzetta, eine Aristokratin aus Zingara, schlank und anmutig und erst vor kurzem zur Frau gereift. Ihr langes schwarzes Haar flatterte wie ein Seidenbanner im Wind. An ihre Schulter schmiegte sich ein blasses, flachshaariges Kind, das mit weiten Augen auf die Lichter am Rand des Meeres schaute. Tina, eine ophireanische Sklavin, war von Lady Belesa, der Nichte des verstorbenen Grafen von Valenso, von einem grausamen Herrn gerettet worden. Seither waren Herrin und Sklavin unzertrennlich und hatten des mürrischen Grafen selbsterwähltes Exil in der piktischen Wildnis mit ihm geteilt.
Ein Mann mit grimmigem Gesicht und von riesenhafter Statur überragte die beiden. Seine schwelenden Augen von vulkanischem Blau und die schwarze Mähne dichten, glatten Haares, das gegen die mächtigen Schultern streifte, ließen die schlafende Wildheit eines Löwen ahnen.
Conans Seemannsstiefel, die enge Kniehose und das zerrissene Seidenhemd offenbarten seinen mächtigen Körperbau. Er hatte sich diese Kleidungsstücke aus den Truhen des toten Piratenadmirals, des Blutigen Tranicos', ausgewählt, dessen Leiche jetzt noch mit seinen toten Kapitänen um einen runden, mit den Schätzen eines stygischen Prinzen gehäuften Tisches saßen. Die für einen so großen Mann etwas knappen Kleidungsstücke waren geblichen, zerrissen und fleckig von Blut und Schmutz. Doch keiner, der auch nur einen Blick auf den riesenhaften Cimmerier mit dem schweren Breitschwert an der Seite warf, hätte ihn auch nur einen Moment lang für einen Bettler gehalten.
»Wenn wir Tranicos' Schatz auf dem offenen Markt zum Verkauf anbieten«, sagte Graf Trocero überlegend, »werden wir bei König Milo möglicherweise in Ungnade fallen. Bisher hat er uns anständig behandelt, doch wenn ihm Gerüchte unseres Hortes an Rubinen, Smaragden, Amethysten und ähnlichen in Gold gefaßten Edelsteinen zu Ohren kommen, mag es ihm vielleicht einfallen, den Schatz beschlagnahmen zu lassen.«
Prospero nickte. »Ja, Milo von Argos liebt wohlgefüllte Schatzkammern nicht weniger als andere Monarchen. Und wenn wir uns an die Goldschmiede und Geldverdiener in Messantia wenden, wird innerhalb einer Stunde jeder in der Stadt davon wissen.«
»Aber an wen sollen wir die Juwelen denn sonst verkaufen?« fragte Trocero.
»Fragt doch unseren Oberbefehlshaber«, riet Prospero lachend. »Berichtigt mich, wenn es nicht stimmen sollte, General Conan, aber hattet Ihr nicht einst gute Bekannte unter den ... ah ...«
Conan zuckte die Achseln. »Ihr wollt sagen, daß ich selbst ein Pirat war mit einem Hehler in jedem Hafen? Ja, damit habt Ihr sehr wohl recht, und vielleicht wäre ich auch in Kürze wieder einer geworden, hättet Ihr mich nicht rechtzeitig genug abgeholt, um mich auf die Straße der Ehre zu führen.« Er sprach fließend Aquilonisch, doch mit einem barbarischen Akzent.
Nach kurzer Pause fuhr der Cimmerier fort: »Mein Plan sieht folgendermaßen aus: Publius soll sich zum Kämmerer von Argus begeben und sich den Einsatz, den er für die Benutzung dieser Galeere hinterlegen mußte, abzüglich der Leihgebühr, zurückgeben lassen. Inzwischen bringe ich unseren Schatz zu einem vertrauenswürdigen Hehler, den ich noch von früher kenne. Der alte Varro machte mir immer einen anständigen Preis für Beutegut.«
»Man sagt«, gab Prospero zu bedenken, »daß Tranicos' Juwelen von größerem Wert sind als andere Edelsteine auf der ganzen Welt. Männer wie der, zu dem Ihr gehen wollt, würden uns nur einen Bruchteil ihres wirklichen Preises geben.«
»Macht Euch auf eine Enttäuschung gefaßt«, sagte Publius. »Der Wert solcher Kleinodien steigt bei jedem Weitererzählen, fällt jedoch beim Verkauf beträchtlich.«
Conan grinste. »Ich werde herausholen, was ich kann, macht euch deshalb keine Sorgen. Vergeßt nicht, daß ich schon viel mit Hehlern zu tun hatte. Außerdem genügte schon ein Bruchteil des Schatzes, alle Schwerter in Aquilonien anzuheuern.« Der Cimmerier schaute aufs Achterdeck, wo der Kapitän und der Steuermann standen.
»He, dort, Kapitän Zeno!« brüllte er auf argossanisch. »Sagt Euren Ruderern, wenn sie uns an Land bringen, ehe die Tavernen für die Nacht schließen, bekommt jeder zusätzlich zur versprochenen Heuer einen Silberpfennig. Ich sehe bereits das Licht des Lotsenbootes voraus.«
Conan drehte sich zu seinen Gefährten um und senkte die Stimme. »Von jetzt ab, Freunde, müssen wir unsere Zungen hüten, was unseren Reichtum betrifft. Ein zu lautes Wort, wenn erlauscht, kann uns die Mittel kosten, die wir brauchen, die benötigten Männer um unsere Standarte zu scharen. Vergeßt es nicht!«
Das Hafenboot, eine Gig, von sechs kräftigen Argossanern gerudert, näherte sich der Galeere. Im Bug schwenkte eine in einen Umhang gehüllte Gestalt eine Laterne, und der Kapitän beantwortete das Signal. Als Conan sich daran machte, nach unten zu gehen, um seine Habe zu holen, legte Belesa eine schlanke Hand auf seinen Arm. Ihre sanften Augen suchten seine, ihre Stimme klang bedrückt, als sie fragte: »Wollt Ihr uns immer noch nach Zingara schicken?«
»Es ist das Beste, uns hier zu trennen, Lady. Kriege und Rebellionen sind nichts für Edelfrauen. Der Ertrag der Juwelen, die ich Euch gab, müßte für ein sorgloses Leben für Euch ausreichen und für eine Mitgift ebenfalls, wenn Ihr Euch verehelichen möchtet. Wenn Ihr wollt, werde ich sie für Euch zu klingender Münze machen. Doch nun müßt Ihr mich entschuldigen, ich habe noch etwas in meiner Kabine zu erledigen.«
Wortlos reichte Belesa Conan einen kleinen Beutel aus weichem Leder. Er enthielt die Rubine, die Conan einer Truhe in Tranicos' Höhle entnommen hatte. Als der Cimmerier über den Laufgang zu seiner Achterkabine schritt, schaute Belesa ihm nach. Alles Weibliche in ihr wurde von der Männlichkeit angezogen, die wie die Glut einer Feuersbrunst von ihm ausstrahlte. Wäre ihr unausgesprochener Wunsch erfüllt worden, hätte sie keiner Mitgift bedurft. Doch seit Conan sie und das Mädchen Tina von den Pikten befreit hatte, war er nie mehr als ein Freund und Beschützer für sie gewesen.
Mit schmerzlichem Bedauern wurde ihr klar, daß er klüger als sie in solchen Dingen war. Er wußte, daß eine zarte, hochgeborene Dame, erzogen in den zingaranischen Idealen weiblicher Sittsamkeit und Keuschheit, sich nie dem wilden, rauhen Leben eines Abenteurers anpassen konnte. Außerdem, wenn er getötet oder ihrer müde würde, wäre sie eine Ausgestoßene, denn nie würden die Königshäuser Zingaras die Dirne eines barbarischen Söldners in ihren Marmorhallen dulden.
Seufzend stupste sie das Mädchen, das sich an sie schmiegte. »Zeit, nach unten zu gehen, Tina, und unsere Sachen zu packen!«
Unter Brüllen und Rufen der Schiffsleute und Ruderer legte die schlanke Galeere langsam am Kai an. Publius bezahlte die Hafensteuer und den Lotsen, danach Kapitän Zeno und seine Mannschaft. Nachdem er den argossanischen Seeoffizier noch einmal an die Notwendigkeit der Geheimhaltung ihrer Mission erinnert hatte, verabschiedete er sich mit großem Zeremoniell.
Der Kapitän donnerte seine Befehle. Das Segel wurde herabgeholt und unter dem Laufgang verstaut, die Ruder holte man mit viel Gefluche und großer Lautstärke ein und befestigte sie neben den Bänken. Die Besatzung – Offiziere, Matrosen und Ruderer – strömte zufrieden an Land, wo helles Licht aus Schenken und Tavernen ihnen den Weg wies. Bemalte Dirnen riefen den Männern aus Fenstern im ersten Stock zu und wechselten auffordernde Obszönitäten mit den erwartungsvollen Seeleuten.
Männer lungerten in den Straßen des Hafenviertels herum. Manche torkelten betrunken durch die Gassen, während andere in Türnischen schnarchten, oder in den dunklen Straßenschlünden ihre Blasen erleichterten.
Einer dieser Herumlungerer war weder so betrunken, noch so heruntergekommen, wie er aussah. Er war ein hagerer Zingarier mit scharfgeschnittenen Zügen, der sich Quesado nannte. Weiche blauschwarze Ringellocken umrahmten sein schmales Gesicht, und die dicken Lider über den Augen verliehen ihm den trügerischen Ausdruck schläfriger Gleichgültigkeit. In zerschlissener Kleidung von nüchternem Schwarz lehnte er gegen eine Tür, als hätte er alle Zeit der Welt, und als ein paar betrunkene Seeleute ihn ansprachen, antwortete er mit einem abgedroschenen Witz, den sie grinsend mit auf ihren Weg nahmen.
Quesado beobachtete die Galeere mit scharfen Augen, als sie am Kai vertäut wurde. Er bemerkte, daß nach dem Aufbruch der Besatzung eine kleine Gruppe Männer, von zwei Damen begleitet, das Schiff verließ und auf dem Pier stehenblieb, bis einige der Herumlungerer herbeieilten, um ihnen ihre Dienste anzubieten. Bald darauf verschwand die ungewöhnliche Gruppe, gefolgt von ein paar Trägern, die ihre Seesäcke über die Schultern geworfen hatten oder ihre Truhen auf dem Kopf trugen.
Als die Dunkelheit auch den letzten der Träger verschluckt hatte, stiefelte Quesado zu einer der Weinstuben, in die er mehrere der Mannschaftsmitglieder der Galeere hatte treten sehen. Er fand einen bequemen Platz am Feuer, bestellte sich Wein und musterte verstohlen die Seeleute. Schließlich wählte er einen kräftigen, sonnenverbrannten argossanischen Ruderer, der die Wirkung seines Becherinhalts bereits zu spüren schien, und begann ein Gespräch mit ihm. Er kaufte dem jungen Burschen einen Krug und erzählte ihm einen saftigen Witz.
Der Ruderer lachte dröhnend. Als er sich wieder beruhigt hatte, fragte der Zingarier scheinbar gleichgültig: »Bist du nicht von der großen Galeere, die am dritten Kai anlegte?«
Der Argossaner nickte und trank in tiefen Schlucken von seinem Bier.
»Kauffahrer, nicht wahr?«
Der Ruderer warf sein zerzaustes Haar zurück und starrte den Frager verächtlich an. »Da sieht man wieder, daß diese verdammten Ausländer nichts von Schiffen verstehen!« schnaubte er. »Es ist ein Kriegsschiff, du spindelbeiniger Dummkopf, die Arianus, der Stolz der ganzen Seekräfte König Milos.«
Quesado schlug eine Hand auf die Stirn. »Ihr Götter, wie dumm von mir! Sie war so lange unterwegs, daß ich sie nicht mehr wiedererkannte. Aber flatterte nicht ein Löwenbanner von ihrem Mast, als sie anlegte?«
»Das waren die roten Leoparden, das Wappen Poitains, mein Freund«, sagte der Ruderer wichtigtuerisch. »Kein geringerer als der Graf von Poitain persönlich hatte das Schiff geheuert und auch befehligt.«
»Nicht möglich!« tat Quesado erstaunt. »Bestimmt eine sehr wichtige diplomatische Mission, möchte ich wetten ...«
Der betrunkene Ruderer, der sichtlich unter der bewundernden Aufmerksamkeit seines Zuhörers anschwoll, fuhr fort: »Wir haben die verdammteste Reise hinter uns – tausend Seemeilen, oder mehr, legten wir zurück – und es ist ein wahres Wunder, daß die wilden Pikten uns nicht die Kehle aufschlitzten ...«
Er brach ab, als einer der Offiziere der Arianus die Hand auf seine Schulter legte und ihn finster ansah.
»Halt deine Zunge in Zaum, du sabbernder Idiot!« Er warf einen mißtrauischen Blick auf den Zingarier. »Der Kapitän mahnte uns, den Mund zu halten, vor allem Fremden gegenüber. Also tu es auch!«
»Jawohl«, murmelte der Ruderer. Er wich Quesados Blick aus und vergrub sein Gesicht im Bierkrug.
»Es ist von keinem wirklichen Interesse für mich, Freunde«, versicherte Quesado den beiden gähnend und mit gleichgültigem Achselzucken. »Es hat sich in letzter Zeit nur so wenig in Messantia getan, daß jede Neuigkeit die Eintönigkeit ein wenig erträglicher macht. Nichts für ungut.« Er erhob sich lässig, bezahlte und schlenderte zur Tür.
Draußen verlor Quesado schnell seine scheinbare Schläfrigkeit. Mit schnellen Schritten eilte er die Hafenstraße hoch, bis er zu einem heruntergekommenen Mietquartier kam, wo er sich ein Zimmer mit einem Blick auf den Hafen genommen hatte. Wie ein Dieb in der Nacht stieg er die schmale Treppe zum ersten Stock hoch.
Sofort verriegelte er die Tür hinter sich, zog die zerschlissenen Vorhänge vor die Dachfenster und zündete an den glühenden Kohlen des kleinen eisernen Feuerbeckens einen Kerzenstummel an. Dann beugte er sich über den zerbrechlichen Tisch und kritzelte mit einem spitzen Federkiel winzige Buchstaben auf einen schmalen Streifen Papyrus.
Als er seine Botschaft geschrieben hatte, rollte der Zingarier den Streifen zusammen und schob ihn geschickt in einen Messingzylinder, der nicht größer als ein Fingernagel war. Dann erhob er sich, öffnete einen Käfig, der an der dem Meer zugewandten Mauer lehnte, und holte eine fette, verschlafene Taube heraus. An einem ihrer Füße befestigte er den winzigen Zylinder. Er trat ans Fenster, zog den Vorhang zurück, öffnete die Scheibe und warf den Vogel hinaus in die Nacht. Während die Taube um den Hafen flatterte und verschwand, lächelte Quesado, denn er wußte, daß sie einen sicheren Platz finden würde, ehe sie im Morgengrauen ihren weiten Flug nach Norden begann.
Neun Tage später erhielt Vibius Latro in Tarantia, der Kanzler König Numedides' und Leiter des Geheimdiensts, vom Wärter der königlichen Taubenställe das Messingröhrchen ausgehändigt. Er rollte den dünnen Papyrusstreifen vorsichtig auf und hielt ihn in die Sonne, die schräg durch das Fenster seines Amtsgemachs schien. Er las:
Der Graf von Poitain ist mit einem kleinen Gefolge auf geheimer Mission aus einem fernen Hafen zurückgekehrt. Q.
Das Verhängnis kann auch über Königen schweben, und Zeichen und Omen künden den Sturz alter Dynastien und den Untergang mächtiger Reiche. Es bedurfte keiner Zauberkünste wie die Thulandra Thuus, um vorherzusehen, daß das Geschlecht Numedides' sich in größter Gefahr befand. Die Zeichen, die auf seinen bevorstehenden Sturz deuteten, waren überall zu erkennen.
Botschaften kamen aus Messantia über staubige Straßen und die unsichtbaren Wege der Luft. Sie erreichten jene, für die sie bestimmt waren, in Poitain und den anderen Grafschaften entlang der unruhigen und von Feinden verwüsteten Grenzen Aquiloniens; manche fanden sogar ihren Weg in die Palisadenlager und Festungen der getreuen aquilonischen Armee. Denn in diesen Forts waren Schwertkämpfer und Lanzenträger stationiert, Reiter und Bogenschützen, die unter Conan gedient hatten, als er noch Offizier in König Numedides' Armee gewesen war – Männer, die an Conans Seite in der großen Schlacht von Velitrium gekämpft hatten, und zuvor auf der Massakerwiese, wo Conan die Streitkräfte der wilden Pikten besiegte, Männer seines alten Regiments, der Löwen, waren es, die ihn in bester Erinnerung hatten. Und wie die Tiere, deren Namen sie angenommen hatten, blieben sie ihrem Führer treu. Andere, die dem Aufruf folgten, waren es müde, einem irren König zu dienen, der das Wohl seines Volkes seinen unnatürlichen Lüsten opferte und den Wahnsinnsträumen vom ewigen Leben folgte.
In den Monaten nach Conans Ankunft in Messantia quittierten viele aquilonische Veteranen der Piktenkriege den Dienst oder desertierten und zogen südwärts nach Argos. Auch Poitanen und Bossonier, Gundermänner aus dem Norden, Freiwillige aus Tauran, Edelleute aus Tarantia, verarmte Ritter aus ferneren Provinzen, und viele mittellose Abenteurer zogen auf den langen, einsamen Straßen in den Süden.
»Woher kommen sie nur alle?« staunte Publius, als er mit Conan neben dem großen Zelt des Oberbefehlshabers stand und einen Trupp zerlumpter Ritter ins Rebellenlager reiten sah. Ihre Pferde waren mager, das Sattelzeug fadenscheinig, ihre Rüstungen angerostet, sie selbst mit Staub und Schmutz bedeckt. Einige trugen Verbände über alle möglichen Wunden.
»Euer wahnsinniger König hat sich viele Feinde geschaffen«, brummte Conan. »Was glaubt Ihr, welche Meldungen ich erhalte? Von Rittern, deren Ländereien er beschlagnahmt hat, von Edlen, deren Frauen und Töchter er schänden ließ, von Kaufmannssöhnen, denen er das Geld abnahm – ja selbst von einfachen Arbeitern und Landleuten, die mit dem Mut der Verzweiflung die Waffen gegen ihn erhoben. Jene Ritter dort sind Gesetzlose, die verbannt wurden, weil sie es wagten, sich offen gegen den Tyrannen auszusprechen.«
»Tyrannei schaufelt sich meist ihr eigenes Grab«, sagte Publius nachdenklich. »Wie viele Männer haben wir jetzt beisammen?«
»Nach der letzten Zählung gestern abend etwas über zehntausend.«
Publius pfiff durch die Zähne. »So viele? Ich fürchte, wir müssen unsere Rekrutierung ein wenig einschränken, ehe unsere Mittel aufgebraucht sind. So hoch die Summe auch ist, die Ihr für die Juwelen Tranicos' eingehandelt habt, wird sie doch wie Schnee in der Frühlingssonne schmelzen, wenn wir mehr Männer aufnehmen, als wir uns leisten können.«
Conan klopfte dem korpulenten Zivilisten auf den Rücken. »Es ist Eure Aufgabe, guter Publius, dafür zu sorgen, daß von unseren Mitteln nach diesem Festmahl für die Aasgeier noch etwas übrigbleibt. Erst heute ersuchte ich König Milo um mehr Platz für unser Lager. Statt dessen überschüttete er mich mit Beschwerden. Unsere Männer überschwemmen Messantia und überfordern die Möglichkeiten der Stadt, sagte er. Sie treiben die Preise in die Höhe. Einige übertreten die Gesetze und vergehen sich gegen die Bürger. Er will uns hier nicht mehr haben. Wir sollen entweder in ein neues Lager übersiedeln, oder uns auf den Weg nach Aquilonien machen.«
Publius runzelte die Stirn. »Während sich unsere Truppen noch in Ausbildung befinden, müssen wir der Versorgung wegen in Stadt- und Seenähe bleiben. Zehntausend Mann entwickeln einen beachtlichen Appetit, wenn Ihr sie so drillt, wie Ihr es jetzt tut. Und zehntausend Bäuche brauchen viel zu essen, wenn Ihr nicht wollt, daß ihre Besitzer mürrisch werden und desertieren.«
Conan hob die Schultern. »Es läßt sich leider nicht ändern. Trocero und ich reiten morgen aus, um einen neuen Lagerplatz zu finden. Beim nächsten Vollmond dürften wir bereits unterwegs nach Aquilonien sein.«
»Wer ist das?« fragte Publius. Er deutete auf einen Soldaten, der nach Beendigung des Morgendrills jetzt dicht am Zelt des Generals vorbeischlenderte. Er war ganz in schäbiges Schwarz gekleidet, und er hatte offenbar bereits tüchtig gezecht, denn seine dürren Beine taten sich schwer, geraden Kurs zu halten, und einmal stolperte er über einen Stein auf dem Weg. Als er Conan und Publius sah, nahm er seine speckige Mütze ab und verbeugte sich so tief, daß er fast das Gleichgewicht verlor, doch er fing sich wieder und setzte seinen Weg fort.
»Ein Zingarier«, erwiderte Conan, »der vor ein paar Tagen im Lager auftauchte, um sich anmustern zu lassen. Er sieht nach nicht viel aus, ist auch kein Krieger, aber er stellte sich als guter Fechter, ausgezeichneter Reiter und unübertrefflich im Messerwerfen heraus. Also nahm Prospero ihn auf. Ich glaube, er nannte sich Quesado.«
»Euer Ruf zieht Männer von fern und nah wie ein Magnet an«, sagte Publius.
»Also wird mir nichts übrigbleiben, als diesen Krieg zu gewinnen«, brummte Conan. »Früher, wenn ich eine Schlacht verlor, konnte ich mich einfach in andere Länder verziehen, wo man mich nicht kannte, und von vorn anfangen, ohne daß es jemanden interessierte. Doch das dürfte jetzt nicht mehr so einfach sein. Zu viele haben von mir gehört.«
»Das ist gut für uns andere«, meinte Publius grinsend, »daß die Berühmtheit den Führern die Chance raubt zu fliehen.«
Conan schwieg. Er hing seinen Erinnerungen nach und dachte an die schweren Jahre, seit er als zerlumpter, abenteuerdurstiger Junge aus dem nordischen Winter gekommen war. Er hatte kämpfend und wandernd den ganzen thüringischen Kontinent durchquert. Dieb, Pirat, Bandit, Häuptling von Primitiven – all das war er schon gewesen, auch einfacher Soldat, der bis zum General aufgestiegen war und seine hohe Stellung wieder verlor, als das Glück ihm den Rücken kehrte. Von der rauhen Wildnis des Piktenlandes zu den hyrkanischen Steppen, vom Schnee Nordheims zu den dampfenden Dschungeln von Kush, waren sein Name und sein Ruhm Legende. Und so kamen die Krieger selbst aus den fernsten Landen, um sich um sein Banner zu scharen.
Conans Standarte flatterte stolz vom Mittelmast des Generalszeltes im Wind. Sein Wappen hatte er selbst gewählt und entworfen. Es war ein goldener Löwe, hochaufgerichtet vor einem Hintergrund aus schwarzer Seide. Als Sohn eines Schmiedes war Conan nicht edlen Blutes, aber er hatte sich seinen größten Ruhm als Befehlshaber des Löwenregiments in der Schlacht von Velitrium erworben. Seine Standarte hatte er erwählt, weil er wußte, daß Soldaten eine Fahne brauchten, für die sie kämpfen konnten. Nach diesem Sieg von Velitrium war es gewesen, da König Numedides seinen beliebten General hatte in die Falle locken und vernichten wollen, denn er sah in seinem Ruhm eine Gefahr für seine Oberherrschaft und hielt Conan für einen potentiellen Rivalen. Er neidete Conan den wachsenden Ruf der Unschlagbarkeit und fürchtete seine Anziehungskraft als Führer.
Nachdem er der Falle entgangen war, die Numedides ihm gestellt hatte, dachte der Cimmerier voll Nostalgie an die Tage mit den Löwen zurück. Und nun flatterte das Banner, unter dem er seine größten Siege errungen hatte, wieder über seinem Kopf, als Symbol vergangener Ruhmestaten und als Sammelpunkt für einen Krieg um eine gerechte Sache.
In den Monaten, die da kommen würden, brauchte er jedoch noch mächtigere Siege, und dafür war der goldene Löwe auf schwarzem Feld ein gutes Omen für ihn, denn ganz war auch Conan nicht von Aberglauben frei. Obgleich er über die halbe Welt gestiefelt, geritten und gesegelt war, ferne Länder erforscht, die Sitten und Gebräuche fremder Völker kennengelernt und Einblick in das Leben von Königen und Priestern, Zauberern und Kriegern, Vermögenden und Bettlern gewonnen hatte, schwelte doch noch der primitive Glaube seines cimmerischen Volkes tief in seiner Seele.
Nachdem er sich aus dem Bereich des Generalszeltes entfernt hatte, legte der Spion Quesado schnell seine vorgetäuschte Trunkenheit ab. Er torkelte nicht länger, sondern eilte festen Schrittes dem Nordtor Messantias entgegen.
Der Spion hatte vorsichtshalber sein Zimmer im Hafen beibehalten, als er sich im Soldatenquartier im Zelt außerhalb der Stadtmauer unterbringen ließ. In seinem Zimmer fand er, unter der grob gezimmerten Tür hindurchgeschoben, ein Schreiben vor. Es war nicht unterzeichnet, doch Quesado erkannte die Schrift als die von Vibius Latro.
Nachdem der Spion seine Tauben gefüttert hatte, setzte er sich, um in Ruhe den einfachen Kode zu entschlüsseln, der dem Brief mit dem scheinbar privaten Inhalt zugrunde lag. Indem er jedes vierte Wort entnahm, erfuhr er, daß sein Herr ihm einen Helfer schickte, oder vielmehr eine Gehilfin, die, wie er las, eine Frau von verführerischer Schönheit war.
Quesado gestattete sich ein dünnes, verständnisvolles Lächeln, ehe er seinen üblichen Report mit winzigen Schriftzeichen auf einen schmalen Papyrusstreifen kritzelte und ihn mit Taubenpost ins ferne Tarantia schickte.
Während die Armee ausgebildet wurde und an Stärke stetig weiter zunahm, sagte Conan Lady Belesa und ihrer jugendlichen Schutzbefohlenen Lebewohl. Er blickte der Kutsche nach, die mit einem Begleitschutz aus je einer Schwadron Reiter davor und dahinter, ratternd über die Küstenstraße nach Zingara rollte. Gut versteckt im Gepäck befand sich eine eisenbeschlagene Truhe, die genügend Gold enthielt, um Belesa und Tina viele Jahre ein sorgloses Leben zu gestatten. Und Conan hoffte, daß er sie nicht mehr wiedersehen würde.
Obgleich der riesenhafte Cimmerier durchaus nicht unbeeindruckt von Belesas Charme geblieben war, beabsichtigte er nicht, zu diesem Zeitpunkt mit Frauen Bindungen einzugehen, und schon gar nicht mit einer zarten Edelfrau, für die in den Kriegszelten kein Platz war. Später einmal, wenn die Rebellion von Erfolg gekrönt war, brauchte er vielleicht eine Gattin von königlichem Geschlecht, um seinen Thron zu sichern. Denn Throne, so hoch ihr Preis am Blut Gemeiner auch gewesen sein mochte, bedurften in der Regel der mystischen Macht königlichen Blutes, wollten sie Bestand haben.
Trotzdem verspürte Conan das Verlangen nach einem weiblichen Wesen nicht weniger als jeder andere blutvolle Mann. Lange war er ohne eine Frau gewesen, diese Entbehrung machte sich in Barschheit, düsteren Launen und plötzlicher Unbeherrschtheit bemerkbar.
Schließlich, als Prospero den Grund für Conans Gereiztheit erkannte, riet er ihm, sich doch unter den Tavernendirnen von Messantia umzusehen.
»Mit etwas Glück und Menschenkenntnis könntet Ihr sicher eine Bettgefährtin nach Eurem Geschmack finden, General«, meinte er.
Prospero ahnte nicht, daß seine Worte fruchtbaren Boden in den Ohren des hageren zingaranischen Söldners fanden, der ganz in der Nähe mit dem Rücken gegen eine Zeltstange lehnte, den Kopf auf den Knien, und zu schlafen vortäuschte.
Conan, der genausowenig auf ihn achtete, zuckte nur mürrisch die Achseln auf den Vorschlag seines Freundes. Doch im Lauf der Tage kämpfte sein Verlangen immer mehr mit seiner Selbstbeherrschung, und mit jeder Nacht, die verging, wurde es stärker.
Tag um Tag nahm die Zahl der Soldaten zu. Bogenschützen kamen aus den Bossonischen Marschen, Lanzer aus Gunderland, leichte Reiter aus Poitain, und Männer hoher und niedriger Abstammung strömten aus allen Teilen Aquiloniens herbei. Das Übungsfeld hallte von Befehlen wider, von den Schritten der Infanterie, dem Donner der Reiterei, dem Schnellen von Sehnen und dem Schwirren von Pfeilen. Conan, Prospero und Trocero schufteten unablässig, um den bunten Haufen von Rekruten zu einer gut ausgebildeten Armee zusammenzuschmieden. Aber ob diese Streitmacht, die aus Männern aller Herren Länder zusammengeflickt war und noch nie eine Schlacht erlebt hatte, den Elitetruppen des siegreichen Amulius Procas widerstehen, ja sie schlagen konnte, stand noch offen.
Inzwischen organisierte Publius eine Spionageabteilung. Er schickte seine Agenten tief ins Herz Aquiloniens. Einige hatten lediglich den Auftrag, sich umzuhören. Andere verbreiteten geschickt die Kunde von neuesten Untaten des wahnsinnigen Königs – und sie mußten dabei nicht übertreiben. Wieder andere ersuchten jene Edelleute, die zwar insgeheim die Rebellion guthießen, jedoch nicht offen Partei zu ergreifen wagten, um finanzielle Unterstützung.
Jeden Mittag inspizierte Conan seine Truppen; danach nahm er abwechselnd sein Mahl jeden Tag mit einer anderen Kompanie ein, denn ein guter Führer muß möglichst viele seiner Männer bei Namen kennen und ihre Ergebenheit durch persönlichen Kontakt stärken. Ein paar Tage nach Prosperos Rat, was die Tavernendirnen von Messantia betraf, aß Conan mit einer Schwadron leichter Reiterei. Er saß zwischen den einfachen Soldaten und tauschte derbe Witze mit ihnen aus, während sie Fleisch, Brot und bitteres Bier miteinander teilten.
Als sich plötzlich eine schrille Stimme hob, drehte Conan den Kopf. Ganz in seiner Nähe erzählte ein hagerer Zingarier, den Conan sich erinnerte, schon einmal gesehen zu haben, mit beredten Gesten etwas. Der General achtete nicht mehr auf einen Witz, den sein Tischnachbar eben zum besten gab, und spitzte die Ohren, denn der Bursche sprach von Frauen. Sein Blut floß schneller durch die Adern, als er ihm zuhörte.
»Eine Tänzerin ist sie«, rief der Zingarier gerade, »mit Haar so schwarz wie Rabenflügel, und Augen von der Farbe funkelnder Smaragde. Ein Zauber geht von ihren sanften roten Lippen und dem wohlgerundeten, grazilen Körper aus, und ihre Brüste sind wie reife Paradiesäpfel!« Er streckte die Hände aus und zeichnete die gepriesenen Umrisse in die Luft nach.
»Für ein paar Kupfermünzen tanzt sie jede Nacht in der Taverne der Neun Schwerter und entblößt ihren berückenden Leib im wiegenden Tanz. Aber sie ist eine ungewöhnliche Frau, diese Alcina – eine stolze, anspruchsvolle Maid, die keinem Mann ihre Umarmung gönnt, denn, so behauptet sie, sie hat den noch nicht getroffen, der die wahre Leidenschaft in ihr wecken könnte.
Natürlich«, fügte Quesado hinzu und zwinkerte vielsagend, »sind zweifellos ansprechende Krieger selbst hier in diesem Zelt, die vielleicht, wenn sie es richtig anpacken, ihr Gefallen finden könnten. Möglicherweise wäre unser ritterlicher General hier ...«
In diesem Moment bemerkte Quesado Conans auf ihn gerichteten Blick. Er unterbrach sich, neigte den Kopf und entschuldigte sich: »Ich bitte tausendmal um Verzeihung, edler General. Euer köstliches Bier löste meine vorschnelle Zunge so sehr, daß ich mich vergaß. Ich ersuche Euch flehentlich, meine indiskreten Worte zu vergessen.«
»Sie sind vergessen«, knurrte Conan und widmete sich wieder seinem Essen.
Aber an diesem Abend fragte er seine Burschen nach dem Weg zur Taverne der Neun Schwerter. Als er sich in den Sattel schwang und mit nur einem berittenen Burschen als Begleitung zum Nordtor donnerte, schaute ihm Quesado im Schatten verborgen mit einem zufriedenen Lächeln nach.