Kapitel 10
Vera, aufgeschreckt durch meine SMS, komme zurück kannst du mich 23:38 am bahnhof abholen?, holt mich zusammen mit Till pünktlich am Gleis ab. Während der Zugfahrt konnten wir zu meiner großen Enttäuschung nicht telefonieren, da der Empfang einfach zu schlecht war.
Ich bin so froh, die beiden zu sehen.
»Das ist ja eine Überraschung, dass ihr gleich beide hier auftaucht. Wenigstens auf meine besten Freunde ist Verlass!«
»Auf mich zumindest schon. Monsieur war ja anscheinend mal wieder ewig nicht erreichbar«, stichelt Vera in Richtung Till.
»Ich hatte ein Meeting. Ich habe einen Job, falls dir das was sagt. Du wärst ohne mich doch gar nicht rechtzeitig hier gewesen.«
»Mein Auto ist mal wieder kaputt«, erklärt Vera mir.
»Die fahrende Müllhalde? O nein, ich hoffe, das wird wieder.«
»Bestimmt, aber deshalb musste ich den da um Hilfe bitten.«
»Dann sei mal froh, dass der da dich mitgenommen hat«, giftet Till.
»Du hättest ohne mich doch gar nicht mitbekommen, dass Anna in Schwierigkeiten steckt …«
»Okay, das reicht«, unterbreche ich die beiden. »Ich bin jedenfalls total froh, dass ihr hier seid. Was wollen wir denn jetzt unternehmen?«
»Na, erst mal was trinken gehen, am besten im Carlssons«, schlägt Till vor.
»Das war meine Idee, du Super-Freund«, protestiert Vera.
»Wie auch immer. Klingt gut. Das sollten wir machen, und wenn ihr beide nicht bald aufhört rumzuzicken, setze ich euch mit einer Schaufel in einen Sandkasten«, versuche ich den Streit zu beenden.
Auf dem Weg zu Tills Auto schaffen es die beiden immerhin, sich mal nicht anzukeifen.
»Wo wolltest du denn mit all dem Gepäck hin?«, mokiert Till sich, während er ächzend meinen Koffer auf die Rückbank seines Autos quetscht.
»Nach Sylt.«
»Meine Güte, wolltest du von da aus ’ne Weltreise antreten oder gleich bei dem Kerl einziehen? Was ist denn da bloß drin? Der wiegt ja mindestens vierzig Kilo. Kein Wunder, dass dein Chirurg die Notbremse gezogen hat.«
»Wir können auch alleine was trinken gehen«, bemerkt Vera spitz.
»Dann könnt ihr aber auch zusehen, wie ihr da alleine hinkommt«, kontert Till und murmelt leise etwas von »Zicke«, während er in den Wagen steigt.
Vera und ich nehmen hinten Platz, und ich beginne damit, die beiden über den Stand der Dinge aufzuklären: »Nicht er hat diese Affäre beendet, sondern ich. Und, Till, bilde dir jetzt bloß nichts darauf ein, aber du hattest recht. Eigentlich hattet ihr beide recht mit eurem Urteil über Ben. Nur ich wollte mal wieder supernaiv an das Gute im Mann glauben.«
»Wir Männer verfügen durchaus über einige großartige Eigenschaften.«
Vera beugt sich nach vorne und knufft Till in die Seite: »Na, da sind wir ja mal gespannt. Wo haben sich deine wohl versteckt?«
»Das ist doch wohl offensichtlich. Ich gebe dir gerne mal Nachhilfe beim Umgang mit echten Männern, und jetzt hör auf mich zu boxen, sonst kannst du zu Fuß gehen.«
Zur Therapie meines gebrochenen Selbstbewusstseins oder vielleicht auch Herzens, setzen wir uns im Carlssons direkt an die Bar und bestellen eine Runde Cosmopolitans. Wenige Minuten später trifft auch Caro ein, die, von Vera alarmiert, mit der Ausrede eines familiären Notfalles spontan zu dieser späten Stunde einen Babysitter organisieren konnte. Cosmopolitans und beste Freunde können Wunder bewirken. Nach dem zweiten Cocktail sind meine Mädels und Till über jedes Detail meines Horrortrips informiert.
»Dieser gelackte, aalglatte, Porsche fahrende, Mikropenis-Ladykiller. Diese blasierte Witzfigur. Wie der schon redet! Du hast da ein Hämatom. Als ob er dadurch gebildeter wäre. Das ist ein blauer Fleck oder ehrlich gesagt ein Pickel, und damit basta.«
»Tja, ich möchte ja nicht klug daherschwätzen, aber ich hab dir gleich gesagt, du sollst bei dem Kerl vorsichtig sein.«
Till sieht ganz schön selbstzufrieden aus.
»Ach, jetzt hör schon auf. So etwas konnte doch kein Mensch ahnen«, springt Caro für mich in die Bresche.
»Doch. Ich hatte bei dem Kerl auch gleich ein ganz schlechtes Gefühl.« Vera kennt in diesem Punkt kein Mitleid.
»Du hast bei allen Männern ein schlechtes Gefühl«, bemerkt Till.
»Wisst ihr, was ich nicht begreife?«, frage ich mich eigentlich eher selbst und gebe dem Barmann ein Zeichen, uns noch eine Runde Cosmopolitans zu bringen. »Ich verstehe nicht, wie ich nur auf so einen Blender reinfallen konnte? Ich bin doch eine intelligente Frau.«
»Du wolltest dich in Wahrheit bestimmt einfach mal wieder so richtig durchvögeln lassen«, lautet Tills simple Antwort. »Das hättest du schon längst mal tun sollen. Dann wärst du in Männerfragen auch nicht so verspannt.«
»Da muss ich Till ausnahmsweise mal recht geben, auch wenn du dir an ihm kein Beispiel nehmen solltest«, streut Vera auch noch Salz in meine Wunden.
Was ihre Sexualität angeht, ist Vera zwar wählerisch, aber trotzdem sehr offen, und sie ist im Bett ziemlich versaut. Wir sind uns nicht ganz einig, zu welchem Zeitpunkt eine Frau mit einem neuen Mann Sex haben sollte. Vera scheut, ganz praktisch veranlagt, keine Kurzaffären. Wenn ein Kerl dann doch nur im Bett was taugt, dann ist das halt so.
Till ist alles egal. Wenn er Sex haben will, dann bekommt er ihn. Wann und wo und mit wem, ist ihm gleich.
Caro hingegen hat sich immer nur in langen Beziehungen ausgetobt. Dass sie, wenn es mit einem ihrer Freunde nicht mehr lief, stets völlig problemlos einen neuen Traummann fand, wundert mich nicht. Caro ist ein wandelndes Lara-Croft-Double, nur in Hellblond. Da kann ich nicht mithalten.
Außerdem bin ich anscheinend ein Magnet für die falschen Kerle. Dabei glaube ich, dass eine Frau mit einem Mann dann sofort ins Bett gehen kann, wenn sie nur Sex von ihm haben will und nicht mehr. Ist sie jedoch in jemanden verliebt, dann sollte sie damit einige Zeit warten. Ich glaube da fest an die Sechs-Wochen-Regel. In den ersten sechs Wochen keinen Sex. Wenn es gut läuft, vielleicht auch nur fünf oder vier. Genützt hat mir diese Theorie bislang allerdings nichts.
»Ich glaube, tief in deinem Herzen wusstest du, dass Ben nicht der Richtige ist«, fährt Caro fort.
»Wie meinst du das?«
»Du wolltest nur unbedingt, dass er es ist.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ganz einfach: Hast du, als du schon mit Ben ausgegangen bist, anderen Männern nachgeschaut?«
»Ähmm, ja klar. Die Augen offen halten kann nie schaden.«
»Wäre aber nicht nötig gewesen, wenn er perfekt für dich gewesen wäre.«
»Das ist ja mal eine gewagte Theorie.«
»Denk doch mal nach: Als du mit deinem Ex, dessen Namen wir hier gar nicht erwähnen wollen, zusammen warst, hast du dich da nach anderen Männern umgeschaut?«
»Ehrlich gesagt, nein. Aber wir wissen ja alle, was ich am Ende davon hatte.«
»Du leidest also immer noch unter dem Trauma deiner letzten Beziehung, und ich glaube, dass du das erst überwinden kannst, wenn du auf jemanden triffst, der wirklich der Richtige für dich ist.«
»Das ist mir jetzt echt ein bisschen zu tiefenpsychologisch.«
»Aber logisch. Vielleicht möchtest du dich im Grunde langsam ernsthaft binden und eine Familie gründen. Das ist in unserem Alter so«, gibt Caro zu bedenken.
Vera und ich sehen uns zweifelnd an, Till verdreht die Augen.
»Jetzt guckt nicht so. Ich bin so froh, dass ich mit Ralf endlich den Mann fürs Leben gefunden habe. Und ihr werdet garantiert auch bald … Ach, da ist er ja … Ralf!«, ruft Caro in Richtung Ausgang winkend. »Ich hoffe, es ist okay, wenn er dazukommt. Ralf war heute mit einem alten Freund was trinken und hat vorgeschlagen, dass wir uns hier treffen, wo wir heute Abend mal babyfrei haben.«
»Schon in Ordnung. Mir ist das egal.« Ich greife nach dem Cosmopolitan, den der Kellner vor mir abstellt. »Weißt du, Vera, ich muss endlich mal dazulernen. Wenn ich meine Zeit ständig mit irgendwelchen Heißdüsen verschwende, werde ich nie den Richtigen finden«, fahre ich an meine Singleleidensgenossin gewandt fort.
Ralf hin oder her. Dieses Problem muss jetzt besprochen werden.
»Hey, Anna, schön, dich zu sehen«, fällt Ralf mir da schon von hinten um den Hals. »Sollen wir den Mistkerl ordentlich vermöbeln? Ich habe tatkräftige Unterstützung mitgebracht.«
»Nein. Vielen Dank. Ich habe lediglich meine Zeit mit einem Schwachkopf aus einem Paralleluniversum verplempert.«
Er dreht mich auf dem Barhocker zu sich um.
»Darf ich vorstellen: Das ist mein alter Freund Nils. Wir haben uns während eines Auslandssemesters in England ein Zimmer geteilt. Nils, das ist Anna.«
Nils ist Nils … Denner.
»Ach du Scheiße …«, entfährt es mir.
»Frau Plüm!«, antwortet Denner nicht minder überrascht und steht stocksteif vor mir.
»Oh, ihr kennt euch?«, fragt Ralf verdutzt.
»Na klar kennen die beiden sich. Sie arbeiten zusammen«, grinst Vera und streckt Denner die Hand entgegen: »Hi, ich bin Vera. Wir haben uns ja gestern schon gesehen.«
Nun kapiert auch Caro, was hier los ist.
»Moment mal. Nils, du bist der Psychologe bei Moby Fit? Im Ernst?« Sie fängt an zu lachen. Denner nickt. »Ralf, Schatz, warum hast du mir nicht erzählt, dass Nils in der Kinderklinik arbeitet?«
»Ach, das hab ich dir doch schon x-mal erzählt.«
»Hast du nicht.«
Während die eheliche Diskussion darüber, wer wem was erzählt hat oder auch nicht, weiterläuft, starren Denner und ich uns an.
»Ja, also … Wie war’s denn auf Sylt?«, fragt er nach einer Ewigkeit.
»Super«, ich trinke meinen Cosmopolitan in einem Zug aus und stehe auf. »Mädels, ich muss mir mal die Nase pudern gehen.«
»Ich komme mit«, schließt sich Vera an und zieht Caro am Arm hinter sich her, »und du auch.«
Auf der Toilette findet erst mal eine Krisenbesprechung statt. Denner ist nach meinem Sylt-Desaster der Letzte, den ich jetzt sehen möchte.
»Warum hast du mir nicht erzählt, dass ihr Denner kennt? Was macht der hier?«, überhäufe ich Caro mit Fragen.
»Ich wusste das ja nicht. Nils hat für eine Weile in England gelebt. Seit er wieder hier ist, unternehmen Ralf und er öfter was miteinander. Männerabende halt. Aber jetzt beruhig dich mal. Nils ist wirklich sehr nett.«
»Nett ist auch das Blumengesteck am Grab meiner Oma.«
»Ach Anna, ich glaube, ihr beide hattet bei der Arbeit bloß einen schlechten Start. Vielleicht ist es ja ganz gut, wenn ihr euch jetzt auch mal privat seht. Ich bin sicher, ihr müsst euch nur mal richtig kennenlernen.«
»Klar, wer’s glaubt. Hast du Ralf erzählt, was ich alles über Denner gesagt habe?«
»Nein, ich glaube nicht … Vielleicht hab ich’s mal so am Rande erwähnt … oder so.«
»Wenn Ralf ihm das weitererzählt hat, führt das sicher nicht zu einem besseren Arbeitsklima«, feixt Vera, »wir können ja einfach die Location wechseln und woanders noch was trinken, wenn du den Kerl heute nicht erträgst.«
Ich schüttele entschieden den Kopf: »Auf gar keinen Fall. Dann glaubt Denner noch, es würde mir was ausmachen, dass er hier ist. Der nimmt sich eh schon viel zu wichtig. Ich brauche noch einen Drink.«
Der weitere Verlauf des Abends mit Denner, also Nils, ist wundersamerweise ganz erträglich. Ich bin sowieso hauptsächlich mit mir selbst beschäftigt.
»Hier, ich glaube Sie, ähm, du könntest mal ein Wasser vertragen.« Denner setzt sich neben mich an die Bar und stellt zwei große Gläser Wasser vor mir ab. »Ich wusste nicht, ob du lieber mit oder ohne Kohlensäure trinkst.«
Das weiß ich im Moment auch nicht.
»Du hast übrigens dein Buch im Büro vergessen«, fährt er fort.
»Ach, den Kitschroman. Macht nichts. Ist gar nicht meiner. Vera kauft die Dinger immer für ihre Oma«, nuschele ich und greife lieber wieder nach meinem Cocktail.
Die Nervensäge Denner oder der nette Nils oder wer auch immer er eigentlich ist, sieht mich fragend an und bleibt hartnäckig neben mir sitzen: »Du hast dich doch so brennend für die Gerüchte über Dr. Mösli interessiert.«
»Und wurde von dir gleich dafür abgewatscht.«
»Weil das echt daneben ist und mich diese intriganten Spielchen in der Klinik total wütend machen.«
»Was für Spielchen?« Jetzt ist mein Interesse doch geweckt.
»Dr. Mösli hatte gar keine Affäre mit Schwester Gisela. Nicht so richtig.«
»Was ist denn eine unrichtige Affäre?«
»Gisela hat es geschafft, ihn für eine Nacht rumzukriegen.«
»Ach, und deshalb ist es in Ordnung und er, der arme Mann, ist auch noch das Opfer?«
»In diesem Fall irgendwie schon. Dr. Mösli hatte sich doch auf die Stelle als Chef der chirurgischen Ambulanz beworben.«
»Da haben sich alle Chirurgen drauf beworben.«
»Genau. Einer seiner Konkurrenten hat wohl, um Dr. Mösli auszubooten, Gisela auf ihn angesetzt. Die hat ihn ins Bett gezerrt und heimlich Fotos gemacht. Damit haben sie dann versucht, ihn zu erpressen.«
»Bist du sicher, dass du dir die Geschichte nicht ausgedacht hast? Was sollten dann die Zettel an der Pinnwand? Das passt nicht ganz zur Erpressung.«
»Dr. Mösli ist auf die Erpressung nicht eingegangen, sondern hat seiner Frau alles gebeichtet und den Vorfall beim Chef gemeldet. Dann machte die Geschichte über den Betriebsrat die Runde und ist auch mir als Supervisionspsychologen der Mitarbeitervertretung zu Ohren gekommen.«
»Müsstest du diese Sache nicht für dich behalten?«
»Nicht mehr. Montag gibt es eine offizielle Erklärung zu den Vorgängen. Wegen dieser Zettel an der Pinnwand, die entweder Gisela oder ihr Auftraggeber dort aufgehängt haben.«
»Und wer ist Möslis böser Konkurrent?«
»Das weiß niemand. Schwester Gisela schweigt, und da sie die Klinik verlassen muss, werden wir das wohl nie erfahren.«
Das war bestimmt Klemme. Der ist der Einzige, dem ich so eine krasse Aktion sofort zutrauen würde.
»Ich wäre nie draufgekommen, dass dahinter so eine Geschichte steckt. Ich dachte immer, das wäre Frau Mösli gewesen, aus Rache. Aber Fakt ist und bleibt trotz allem: Hätte Mösli seine Hosen anbehalten, wäre ihm das nicht passiert. Also, selber schuld. Da habe ich echt kein Mitleid.«
»Was Dr. Mösli getan hat, ist aber nur ein ganz normales menschliches Fehlverhalten.«
»Männer! Ich finde das nicht normal! Ich könnte so etwas auch niemals verzeihen. So wie ich auch einige andere Eigenschaften bei Männern nicht tolerieren kann.«
Wütend massakriere ich mit einem Zahnstocher eine Olive in dem Schälchen, das vor mir steht.
»Tut mir leid, dass deine Reise so ein unschönes Ende genommen hat.«
Dieses Thema ist mir eindeutig zu persönlich.
»Ist halb so wild. Jeder muss halt im Leben so seine Erfahrungen sammeln. Lohnt sich auch nicht, weiter darüber zu reden. Kann ja nicht jeder sofort einen McDreamy treffen«, kanzele ich Nils barsch ab.
Der wühlt in seiner Jackentasche herum und holt schließlich einen zerknitterten Zettel heraus. In seinen Taschen scheint’s zuzugehen wie auf seinem Schreibtisch. Er lässt sich einen Stift geben und kritzelt irgendwas auf den Knitterzettel. Dann schiebt er ihn zu mir rüber. Erst jetzt erkenne ich, dass es ein uraltes abgegriffenes Blankorezept ist. Die wurden doch schon vor Jahren entsorgt. Darauf hat er geschrieben:
Rezept für: Anna Plüm
Verordnung für: einen McDreamy
Unterschrift: Nils Denner.
»So. Da du im Moment anscheinend keine Lust auf ein weiteres Gespräch hast, verschreibe ich dir das jetzt einfach. Vielleicht klappt’s dann ja. Für irgendwas muss diese ganze Studiererei ja gut gewesen sein. Und jetzt komm! Caro hat mich gebeten, dich nach Hause zu bringen. Falls das für dich okay ist.«
Nach Hause klingt nach einer guten Idee. Ich bin fix und fertig. Caro und Ralf mussten schon los, um den Babysitter abzulösen. Ich stopfe das Knitterrezept in meine Tasche. Irgendwie süß. Echt kitschig, aber süß. Wir verabschieden uns noch von Vera und Till, die sich mal wieder in irgendeine Diskussion verstrickt haben.
»Hast du nicht Lust, mit uns noch ein Haus weiter zu ziehen?« Vera drückt mich fest.
»Immer gerne, aber heute bin ich echt durch. Ein anderes Mal. Schlagt euch nicht die Köpfe ein, wenn ich nicht da bin.«
»Wenn du die Sachen aus deinem Schrankkoffer nicht zwingend brauchst, bringe ich ihn dir morgen vorbei«, bietet Till mir großzügig an.
»Das wäre vielleicht ganz gut. Die meisten Kosmetika, Zahnbürste und so habe ich doppelt. Heute Abend brauche ich die Sachen aus dem Koffer nicht. Wann willst du denn vorbeikommen?«
»Na, wenn wir alle ausgeschlafen haben, früher Mittag oder so. Wir könnten dann mal wieder zusammen joggen gehen. Das haben wir ewig nicht gemacht. Jetzt, wo du wieder eifrig mit uns im großen Teich der Singlefische schwimmst, solltest du was für dich tun.« Till zwinkert Nils zu und klopft mir auf den Hintern. So eine Unverschämtheit.
»Ich bin topfit.« Nur heute Abend vielleicht nicht mehr. Nils hakt mich unter und führt mich zu seinem Auto. Ich würde ja lieber alleine gehen, aber irgendwie schwankt der Boden ganz schön bedrohlich. Liegt bestimmt an den hohen Absätzen. Nils fährt einen alten Kombi. Passt zu seinen Pullundern. Aber trotz Spießerkarre rast er wie ein Irrer. Während der Fahrt muss ich mich arg zusammennehmen, um in den Kurven nicht einer plötzlich aufwallenden Übelkeit nachzugeben.
»Alles in Ordnung?«, fragt Nils, als er vor meiner Haustür hält, »du bist etwas blass.«
»Nur müde, und dein Fahrstil ist nicht gerade gut für meinen Magen«, nuschele ich so deutlich wie möglich, »trotzdem danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, mich zu fahren.«
»Kein Problem. Ich wohne gleich um die Ecke.«
»Ach was.«
»Wir kaufen im selben Supermarkt ein, falls du dich erinnerst.«
Auweia, ich hatte gehofft, er hätte dieses Zusammentreffen vergessen.
»Hmm, ja. Also, danke noch mal.«
»Soll ich dich noch raufbringen?«
»Auf einen Kaffee, oder was? Danke, mir reicht’s für dieses Wochenende.«
Nils sieht mich beleidigt an: »Wohl eher, damit du heil nach oben kommst.«
»Schon gut. Das schaffe ich alleine. Dann bis Montag.«
Mühsam hieve ich mich aus dem Wagen und versuche erfolglos, den direkten Weg zur Haustür einzuschlagen. Das ist heute Abend aber auch schwierig. Mist! Der Schlüssel ist schon wieder verbogen. Oder hat jemand das Schloss ausgetauscht? Ich werfe einen Blick zur Straße. Denner sitzt immer noch im Auto und beobachtet mich. Jetzt schnallt er sich auch noch ab. Nein, danke, ich komme wunderbar alleine zurecht. Zum Glück geht der störrische Schlüssel endlich ins Schloss, und ich kann die Tür öffnen. Ich winke Denner noch einmal betont munter zu und verschwinde im Hausflur.
Bevor ich endlich ins Bett gehe, stelle ich sicherheitshalber einen Eimer auf den Boden und eine Flasche Wasser daneben. Besser ist’s.