Kapitel 16

Die Wahrheit kommt immer ans Licht.

Am Nachmittag eines sonnigen Donnerstags erreichten sie die Abzweigung nach Gretna Green. Madeleine hatte die Wegweiser schon gut zwanzig Meilen vorher gesehen und gebetet, dass sie an dem Ort vorbeifahren würden. In Anbetracht des herrlichen Wetters gab es gewiss keine Veranlassung, jetzt schon Rast zu machen. Als sie sich dem Dorf näherten, sah die Straße nicht mehr so aus, wie in Madeleines Erinnerung. Man schien den Verlauf geändert zu haben, denn sie führte jetzt um das Dorf herum.

Madeleine wertete dies als glücklichen Zufall und entspannte sich ein wenig, während sie weiterhin aus dem Fenster schaute.

Merrick räusperte sich plötzlich und klopfte vernehmlich an das Dach der Kutsche. Der Kutscher ließ die Pferde anhalten, und der Pferdeknecht sprang von der Kutsche herunter. Merrick öffnete den Schlag und lehnte sich hinaus in den hellen Schein der Nachmittagssonne. »Fahren Sie nach Gretna Green«, gab er Anweisung. »Wir werden uns dort für die Nacht ein Quartier nehmen.«

»Für die Nacht ein Quartier nehmen?«, wiederholte Madeleine, als die Tür wieder geschlossen war. »Es ist halb vier. Warum fahren wir nicht bis Einbruch der Dämmerung weiter?«

»Ich muss einige Briefe schreiben.« Merrick sah entschlossen aus. »Geschäftsbriefe. Die sollte ich nicht in einer schwankenden Kutsche schreiben.«

Mit schwerem Herzen schaute Madeleine aus dem Fenster, als sie langsam in das Dorf fuhren, vorbei an der alten Dorfschmiede. Auch wenn sie es gut verbarg, so ließ der Anblick dieses Ortes, an dem sie und Merrick vor so vielen Jahren überstürzt ihr Ehegelübde abgelegt hatten, sie doch unerklärlich beunruhigt zurück. Bis auf einen neuen Kalkanstrich sah die Schmiede unverändert aus. Auch das Dorf war noch genauso klein und sauber, wie sie es in Erinnerung hatte, und die Auswahl an Gasthäusern war noch immer beklagenswert klein.

Zu ihrer Bestürzung ließ Merrick am anderen Ende des Dorfes halten, im Hof genau jener Kutschenstation, in der sie jene erste schicksalhafte Nacht ihrer Ehe verbracht hatten. Nachdem er dem Kutscher befohlen hatte, sich um die Pferde zu kümmern, ging er in das Haus, als gehörte es ihm. Als der Gastwirt ihn mit Namen begrüßte und sich nach seinem Wohlergehen und seinen Geschäften erkundigte, gab Merrick bereitwillig Auskunft. Falls es ihn auch nur im Mindesten belastete, diesen kleinen Ort wieder aufzusuchen, so merkte man das seinem Verhalten nicht an. Ohne Zweifel hatte er hier im Laufe der Jahre, wenn er von London zu seiner Familie und zurück gefahren war, viele Male Station gemacht.

Wie sie es in allen vorigen Gasthäusern gehalten hatten, bestand Madeleine auch in diesem darauf, sich getrennt einzuschreiben und für die Zimmer zu bezahlen, die ihre Begleitung und sie bewohnen würden. Sobald ihr Handkoffer in das Zimmer gebracht worden war, das sie und Eliza sich teilten, öffnete Madeleine ihn und nahm ihren Schal heraus.

Eliza schaute sie über das Bett an. »Sie gehen aus, Ma'am?«

»Ja, ich mache einen Spaziergang«, nickte Madeleine. »Ich brauche frische Luft.«

Eliza sah sie fragend an. »Wünschen Sie, dass ich Sie begleite?«

Madeleine schüttelte den Kopf. Sie brauchte niemanden bei sich zu haben, nicht einmal Eliza, um zu wissen, was für eine dumme, sentimentale Närrin sie im Grunde war. »Danke«, sagte sie. »Aber ich werde nicht lange fortbleiben. Warum packen Sie nicht den Rest aus und ruhen sich dann aus?«

Der Empfang war leer, als Madeleine die Treppe herunterkam. Nur eine rundliche Frau in einem grauen Kleid und mit einer weißen Haube war zu sehen, die mit einem Staubwedel nicht besonders gründlich über die Lampen und Türstürze fuhr. Madeleine nickte ihr höflich zu, als sie vorbeiging und schlüpfte zur Tür hinaus. Sie fühlte sich von einer unruhigen Energie erfüllt und machte sich mit einer seltsamen Entschlossenheit auf den Weg zu ihrem Ziel. Sie war wirklich erzürnt. Warum hatte Merrick nur verlangt, ausgerechnet in diesem Dorf Halt zu machen? Sie hätten doch sicherlich noch über den Sark fahren und in einem der neueren, besseren Gasthäuser an der Hauptstraße übernachten können?

Natürlich war ihr die Ironie des Ganzen nicht entgangen. Nicht einmal während ihrer ersten schicksalhaften Fahrt nach Gretna Green hatte sie die Klugheit der Entscheidungen Merricks infrage gestellt. Sie hatte auch nicht ihre impulsive Entscheidung bereut, davonzulaufen, oder die Hoffnung und die Freude, mit der diese Wahl ihr Herz erfüllt hatte. In dieser Hinsicht hatte sie Merrick die Wahrheit gesagt. Aber jetzt stellte sie das alles rückhaltlos infrage. Sie waren so jung gewesen, und die ganze Welt, so hatte es den Anschein gehabt, war gegen sie gewesen. Und jetzt waren ihr diese Hoffnung und Freude vom unerbittlichen Mahlstrom des alltäglichen Lebens ausgetrieben worden.

Ihr Vater hatte behauptet, Merrick dreißigtausend Pfund gezahlt zu haben, damit dieser fortging. Daran dachte Madeleine, als sie die schmale Straße herunterging. Sie glaubte das jetzt nicht mehr. Rosenberg hatte ihr versichert, Merrick habe sein Unternehmen mit finanzieller Hilfe seiner Großmutter gegründet, der Frau, zu der sie auf den Weg waren. Es wäre ganz einfach, sie zu fragen, ob das stimmte.

Die Werkstatt des Schmieds tauchte jetzt auf. Aus der Ferne hörte Madeleine schon den rhythmischen Schlag des Hammers auf Metall. Sie war nicht einmal sicher, warum sie hier war; vielleicht war sie nach all dem Kummer bereit, einige wenige Momente dieser verlorenen Freude wiederzufinden. Sie wartete ab, bis ein Bauernkarren an ihr vorbeigerumpelt war, und überquerte dann, nachdem sie tief durchgeatmet hatte, die Straße.

Auf dem mit Kies bestreuten Hof der Schmiede stand ein nach vorn auf seine Deichsel gekippter Karren, moderndes Stroh stach zwischen seinen Brettern hindurch, und seine Achse war offensichtlich gebrochen. Unter einer alten schmiedeeisernen Bank lag ein schlafender Hund, der ihre Ankunft kaum zur Kenntnis nahm. Der leichte Wind trug den Geruch nach heißer Asche und verbrannter Kohle zu ihr. Der Haupteingang zur Schmiede war deutlich ausgewiesen, und Madeleine trat ein, ohne sich die Zeit zu geben, noch einmal darüber nachzudenken.

Sie schloss die Tür hinter sich, wandte sich um - und fiel fast in Ohnmacht.

Merrick stand vor ihr. Er stand an dem grob gezimmerten Tisch, die Hände auf dem Rücken fest verschränkt. Es war die ihr vertraute Haltung unbeugsamer Entschlossenheit. Er wirkte besonders groß in diesem kleinen, kargen Raum, als er sich umwandte und eine Augenbrauen hob.

»Suchst du etwas, Madeleine?«

Sie stand noch wie erstarrt an der Tür und öffnete den Mund, aber es kam kein Wort heraus. Die Hitze, die vom Schmiedefeuer ausging, schien sie plötzlich fast zu ersticken. Sie dachte, sie wäre vielleicht vor ihrer Torheit gerettet, als ein gedrungener, kahlköpfiger Mann im Lederwams durch eine Tür hinter dem Tisch den Raum betrat. Aber leider sollte es nicht so sein.

»Hier ist es, Sir«, sagte der Mann und legte ein in Leder gebundenes Buch auf den Tisch. »Das sind alle Eheschließungen seit 1818. In welchem Monat, sagten sie, ist es gewesen?«

Merrick streckte einen Arm aus, als wollte er Madeleine einladen, an den Tisch zu treten. »Es war Juli, nicht wahr, meine Liebe?«, fragte er. »Vielleicht der 24.?«

»Der 22.«, platzte sie heraus und ging zu ihm.

Merricks Augen blitzten vor Zufriedenheit. »Ganz recht, meine Liebste!«, sagte er. »Ich wollte nur wissen, ob du dich erinnerst.«

Madeleine kniff die Augen zusammen.

Der Mann war unempfindlich gegen die plötzliche Spannung und lächelte. »Aye, glücklich ist der Mann, der sich immer an seinen Hochzeitstag erinnert!«, bemerkte er und blinzelte Madeleine zu, während er das Buch öffnete.

»Oh, ich habe ihn nie vergessen«, sagte Merrick trocken. »Ich feiere ihn ausnahmslos jedes Jahr mit einem oder zwei Drinks - oder auch mit zwanzig.«

Der Mann sah ihn neugierig an, dann wandte er sich wieder dem Buch zu. »Juli, Juli, Juli«, murmelte er vor sich hin, während er mit der Spitze seines dicken Fingers durch die Seiten blätterte. »Aye, Juli! Och, war nicht viel los in diesem Monat. Und Mr. und Mrs. MacLachlan, richtig?«

Merrick lächelte auf Madeleine herunter, legte einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich. »Bis dass der Tod uns scheidet«, sagte er.

Der Mann räusperte sich und blätterte in den wenigen Seiten hin und her. »Also der 22.?«, sagte er. »Könnte es auch im Juni gewesen sei? Der Juni ist ein sehr beliebter Monat zum Heiraten!«

Merrick schüttelte den Kopf. »Ganz sicher nicht.«

Madeleine gefiel die leichte Ratlosigkeit nicht, die sich über das Gesicht des kahlköpfigen Mannes zu legen begann. »Es war der 22.«, sagte sie und beugte sich vor. Sie sah, dass er schon bis zum August vorgeblättert hatte. »Nein, das ist zu weit. Blättern Sie eine Seite zurück.«

Er tat es, dann hob er den Kopf und sah Merrick und Madeleine verblüfft an. »Hier steht nichts von einem MacLachlan«, sagte er. »Nicht im Juni, Juli oder August.«

Merricks Miene sackte herunter, genau wie sein Arm. »Aber das ist unmöglich«, sagte er finster. »Geben Sie mir das Buch.« Verärgert schlug er Seite um Seite um.

Madeleine wandte sich an den kahlköpfigen Mann. »Es muss doch noch ein Register geben«, sagte sie.

Der Mann schüttelte den Kopf. »Nicht hier, Ma'am«, sagte er und rieb sich die Hände ein wenig verlegen an seiner Jacke. »Vielleicht ist die Eheschließung drüben in Gretna Hall gewesen? Vor einigen Jahren haben dort auch Trauungen stattgefunden.«

Madeleine schaute sich in dem kleinen Raum um. »Nein, es war hier«, beharrte sie. »Ich erinnere mich genau.«

Der Mann hob die Hände und versuchte zu grinsen. »Aye, nun, wenn er sich daran erinnert, und wenn Sie sich daran erinnern, dann hat der Rest ja nicht viel zu sagen, richtig?«

Merrick beugte sich fast über den ganzen Tisch, als wollte er den Burschen darüber ziehen. »Nennen Sie mich sentimental«, schnarrte er. »Aber ich will diesen verdammten Eintrag sehen.«

Der Mann zuckte verständlicherweise zurück. »Aber gewiss! Aber gewiss doch!«, sagte er. »Wir haben nur irgendeinen Fehler gemacht. Haben Sie noch die Heiratsurkunde, Sir? Alles hat seine Ordnung, vom Gesetz her gesehen, solange Sie die richtigen Papiere haben, ob Ihr Name nun in diesem Buch steht oder nicht.«

Madeleine hatte das Buch genommen und zu sich gedreht. Merrick zog die Heiratsurkunde aus seiner Brieftasche und wedelte damit vor dem Gesicht des Kahlköpfigen hin und her. Während deren Gespräch immer hitziger wurde, blätterte Madeleine etwas aufmerksamer durch die Seiten.

»Nun, das ist sehr seltsam«, sagte sie scharf.

Beide Männer verstummten und schauten zu ihr.

Madeleine zeigte auf das Buch. »Es gab hier elf Eheschließungen zwischen dem 5. und 21. Juli«, sagte sie. »Und dann keine mehr bis zum 10. August.«

Die Männer sahen sie verständnislos an.

Madeleine zog die Augenbrauen hoch. »Nun, kommt den Herren das nicht seltsam vor?«, fragte sie. »Oder wollen Sie beide sich einfach weiter darüber streiten, bis die Namen auf mysteriöse Weise wieder erscheinen?«

Merrick schnappte sich das Buch. Der kahlköpfige Mann spähte hinein und kratzte sich am Kopf. »Das scheint nicht ganz zu stimmen«, stimmte er zu.

»Wo ist der Bursche, der das hier unterschrieben hat?«, verlangte Merrick zu wissen und zeigte mit Finger auf die Heiratsurkunde. »Lebt er noch? Oder ist er gestorben?«

»Der ist tot«, sagte der Mann finster. Dann ging er zu der Tür und öffnete sie. »Ezekiel!«, rief er in die Dunkelheit. »Ezekiel, du wirst hier gebraucht!«

Merrick und Madeleine schauten sich argwöhnisch an. Aber der Mann, der herbeikam, sah in der Tat zu jung aus, um der Mann sein zu können, der sie getraut hatte. Er sah sie prüfend an und kaute dabei lässig an dem, was von einem grünen Apfel noch übrig war.

»Das ist Ezekiel«, sagte der Kahlköpfige und legte dem Burschen gütig die Hand auf die Schulter. »Die Unterschrift da auf Ihrer Urkunde ist von seinem Vater. Ezekiel kann sich gut an Daten und Zahlen erinnern. Vielleicht erinnert er sich an irgendetwas.«

Ezekiel nickte - seine Bewegungen wirkten seltsam bedächtig - und schluckte seinen Apfelbissen herunter.

»Diese Leute haben hier 1818 geheiratet«, erklärte der Kahlköpfige ihm. »Erinnerst du dich an den Juli 1818, Ezekiel?«

Der junge Mann blinzelte, dann nickte er langsam. »Dr-dreißig Tage hat der September«, sagte er in einer ungewöhnlich monoton klingenden Ton. »April, J-Juni und November. Alle andern haben eindunddreißig.«

»Wir reden vom Juli, um Gottes willen!«, sagte Merrick gereizt.

Madeleine legte besänftigend die Hand auf seinen Arm. Der junge Mann, erkannte sie, war ein wenig langsam im Denken, auch wenn es nicht sofort offensichtlich war. »Ja, Juli 1818, Ezekiel«, sagte sie ruhig. »In dem Register gibt es eine Lücke.«

Ezekiel nickte und begann wieder mit seinem Spruch. »Dreißig Tage hat der September«, intonierte er. Dieses Mal wartete Merrick ab, wenn auch ungeduldig, bis der Junge fertig war. »Außer dem Februar, der hat achtundzwanzig, ist mal klar, und neunundzwanzig im Schaltjahr«, schloss er schließlich.

»Ganz recht, Ezekiel«, lobte Madeleine ihn.

Ezekiel lächelte ein wenig, dann beugte er den Kopf über die Seite und seine breite Stirn legte sich in tiefe Falten. Er begann, vor sich hin zu murmeln, während er mit dem Zeigefinger die Seite herunterfuhr.

Der kahlköpfige Mann sah ihm ein wenig skeptisch dabei zu. Offensichtlich verstand er nicht, welchen Unterschied das Register machen sollte, weil die Tatsache, dass es eine Heirat gegeben hatte, nicht bestritten zu werden schien. Auch Madeleine wunderte sich. Sie hatte Merrick hier geheiratet, und sie brauchte ganz gewiss nicht das Register, um das zu bestätigen - nicht, nachdem sie diesen Tag fast dreizehn Jahre lang bereut hatte. Sie war noch nicht einmal sicher, warum sie sich so sehr gewünscht hatte, diesen Ort noch einmal zu sehen.

»MacLachlan«, sagte Ezekiel und hob abrupt den Kopf. »22. Juli. Capstone, 23. Juli. Hetwell, 23. Juli. Martin, 26. Juli. Anders, 29. Juli.«

Merrick unterbrach ihn, indem er die Hand leicht über Ezekiels legte. »Was liest du?«, fragte er, sein Ton war jetzt sanfter.

Ezekiel zeigte auf die Bindung des Buches. »S-seite ist weg«, sagte er. »Eine Seite. Zehn Namen. Vickers, 30. Juli. Elderwood, 3. August. Pickering, 5. August.«

Der kahlköpfige Mann unterbrach ihn. »Danke, Ezekiel«, sagte er und wandte sich dann an Merrick. »So könnte er den ganzen Tag weitermachen«, sagte er fast entschuldigend. »Er merkt sich diese Dinge, weil es ihm Spaß macht.«

»Aye, und es ist verdammt gut, dass er das getan hat«, sagte Merrick. »Weil Sie so unachtsam waren, eine Seite zu verlieren.«

Ezekiel schüttelte jetzt heftig den Kopf. »N-nicht verloren«, sagte er. »Nicht verloren. Flora hat sie genommen.«

»Flora?« Der Mann sah Ezekiel argwöhnisch an. »Wer zum Teufel ist Flora?«

Ezekiel blinzelte wieder. »Daddys Freundin«, sagte er. »Sie hat ... so kornisch gesprochen. Und Geld gegeben. Englisches Geld. Für die Seite. U-und sie hat ihn geküsst. Sechzehn Guineas, drei Pfund, v-vier Schillinge.«

Merrick sah den Kahlköpfigen ungläubig an. »Guter Gott, das sind zwanzig Pfund.«

Aber Madeleine hatte sich über das Register gebeugt, um es zu untersuchen. Ezekiel ging zu ihr. »Sehen Sie!«, flüsterte er und zeigte auf die Vertiefung zwischen den Seiten. »Flora hatte ein Rasiermesser.«

Madeleine tätschelte ihm die Hand. »Vielen Dank, Ezekiel«, sagte sie. »Du warst uns eine große Hilfe.«

Merrick wandte sich von dem Kahlköpfigen ab, der ihn so offensichtlich so viel Geduld gekostet hatte, und schüttelte Ezekiel die Hand. »Ja, vielen Dank«, sagte er. »Vielleicht solltest du all diese Namen eines Tages aufschreiben?«

Ezekiel nickte. »In Ordnung«, sagte er. Dann verschwand er nach hinten in die Werkstatt.

»Das Problem ist«, sagte der Kahlköpfige, »dass er nicht schreiben kann. An jede Zahl, jedes Wort und jede Summe kann er sich sofort erinnern, und er kann ein bisschen lesen. Aber er kann gerade mal seinen Vornamen schreiben.«

Merrick musterte den Mann verbittert. »Nun, verdammt, aber Sie können doch schreiben, oder etwa nicht?«, knurrte er. »Guter Gott, muss dieser arme Kerl denn alles allein machen?«

Madeleine versuchte zu vermitteln, indem sie Merrick am Arm nahm und aus der Schmiede führte. Draußen auf dem Hof zögerte er. »Es gibt keine Möglichkeit, dem auf den Grund zu gehen, nicht wahr?«, brummte er. »Diese Seite ist einfach mit dem Wind davongeweht, verschwunden.«

Madeleines Lächeln wirkte ein wenig schief. »Verschwunden in jemandes Tasche, wohl eher«, sagte sie. »Aber in Anbetracht des Zeitraums, für den die Angaben fehlen, wurde die Seite vermutlich zwei Wochen nach unserer Heirat entfernt.«

Merrick sah sie finster an. »Und was folgt daraus?«, fragte er. »Dass dein kostbarer Vater nichts damit zu tun hatte?«

»Merrick, offensichtlich wollte irgendjemand, dass unsere Heirat schwer nachzuweisen ist«, sagte sie kühl. »Und derjenige war bereit, einen Preis dafür zu zahlen. Aber in Anbetracht der Eigenart einer Heirat in Gretna Green könnte es auch einer der zehn anderen wütenden Väter gewesen sein.«

Merrick schnaubte zweifelnd. »Oh, lass uns mal eine Vermutung wagen, wessen Vater!«

Madeleine schaute auf den mit Kies bestreuten Hof. »Ich werde ihn nicht verteidigen, Merrick«, sagte sie mit leiser Stimme. »So schwer es für mich sein mag zu glauben, er könnte so etwas tun, muss ich akzeptieren, dass es möglich ist. Dachtest du, ich würde das nicht akzeptieren?«

Merrick starrte in die Ferne und strich sich mit der Hand durchs Haar. Die Sonnenstrahlen brachen sich in seinem Siegelring und ließen ihn auffunkeln. »Ich weiß kaum noch, was ich überhaupt denken soll.«

»Mein Vater kann es nicht selbst getan haben, denn wir sind überstürzt fortgefahren«, sprach Madeleine weiter. »Aber ist es möglich, dass er jemanden dafür bezahlt hat, es zu tun? Ja, ich würde meinen, das ist es.«

Und Madeleine hatte auch eine vage Vermutung, wer dieser Jemand gewesen sein könnte. Aber zunächst musste sie mit Eliza reden.

Merrick stand noch immer wie angewurzelt da. »Es tut mir leid, Maddie«, sagte er schließlich. »Es tut mir leid, dass du der Wahrheit ins Gesicht sehen und erkennen musst, was dein Vater war.«

»Mir tut es auch leid«, entgegnete sie ruhig. »Und wenn es dir nichts ausmacht, dann möchte ich jetzt wirklich nicht mehr darüber sprechen.«

»Aye.« Das Wort klang angespannt. »Also gut.«

Sie zwang sich zu einem Lächeln und nahm seinen Arm. »Komm, Merrick. Wollen wir jetzt zurückgehen?«

Einen Moment lang zögerte er. »Hast du es plötzlich eilig?«

»Ich nicht«, erwiderte sie kühl. »Du bist doch derjenige, der all diese dringenden Geschäftsbriefe zu schreiben hat.«

Schweigend gingen sie zu dem alten Gasthaus zurück, ihre Hand lag auf seinem Arm. Seine Schritte, sonst rasch von Ungeduld, waren fast schleppend, als fürchtete er sich davor, zurückzukehren. Sie war sicher, dass irgendetwas ihn zutiefst beschäftigte, aber sie hatte Angst, ihn danach zu fragen.

Der Wirt war an seinen Schreibtisch am Empfang zurückgekehrt und sah die Post durch. Merrick führte Madeleine in einen kleinen Raum in der Nähe der Schankstube. Beide Räume waren leer bis auf den rothaarigen Kellner, der einen Tisch abräumte.

»Du siehst müde aus«, sagte Merrick. »Ich werde nach Tee schicken.«

Madeleine war müde - müde von den Ereignissen des Tages und ein wenig müde auch Merricks befehlendem Ton. Doch Tee klang gut. Sie legte ihren Schal über einen Stuhl an dem kleinen Tisch. Der Kellner war mit dem Tablett in die Küche gegangen, deshalb musste Merrick sich auf die Suche nach einer Bedienung machen. Er kam bald zurück, zog ihren Stuhl vor und bat sie mit einem Blick, Platz zu nehmen.

Madeleine setzte sich ohne Widerrede. In ihrem Kopf wirbelten noch Mutmaßungen über eine Verschwörung herum. Sie und Merrick schafften es, sich höflich über Nichtigkeiten zu unterhalten, bis der Tee serviert wurde. Madeleine schenkte zwei Tassen ein, vergaß dann aber völlig, ihren Tee zu trinken.

Merrick sah sie unter seinen dunklen Wimpern hervor an. »Warst du nicht wenigstens ein wenig neugierig auf Gretna Green, Maddie?«, fragte er leise. »Hast du dir nicht gewünscht, dieses kleine Dorf noch ein letztes Mal zu sehen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich hätte es vorgezogen, wir wären daran vorbeigefahren.«

»Und doch bist du zur Schmiede gegangen.« In seinem Ton lag eine Spur von Herausforderung.

Madeleine zuckte mit der Schulter. »Ich wollte nur sehen ...« Sie zögerte einen Moment und versuchte dann, ihre Worte wieder aufzunehmen. »Ich wollte nur unsere Namen sehen, Merrick. In dem Register. Ich denke ... ich denke, ich wollte irgendetwas selbst überprüfen. Kannst du das nicht verstehen? Kannst du nicht verstehen, dass man etwas sehen möchte und dennoch nicht den Schmerz erfahren möchte, den es macht, es anzusehen?«

»Oh, aye.« Sein intensiver blauer Blick fing ihren auf und hielt ihn fest. »Sehr gut sogar.«

Madeleine beugte sich ein wenig vor. »Ich werde nicht behaupten, dass ich immer geglaubt habe, was mein Vater gesagt hat, Merrick«, flüsterte sie. »Aber dass ich nicht in der Lage bin, diese Annullierungsdokumente zu finden ... Du lieber Himmel! Ich fange an, mich zu fragen, was noch alles nicht

so sein könnte, wie er behauptet hat. Dinge, auf die ich mein Leben aufgebaut habe. Großer Gott, ich hätte mir nur nie träumen lassen, dass ...«

Er legte die Hand auf ihre und drückte sie fast heftig. »Und ich hätte mir nie träumen lassen, dass du so etwas von mir denken würdest, Maddie«, sagte er rau. »Wie konntest du das denken? Dass ich unsere Ehe annullieren lassen würde - oder dich sogar nur des Geldes wegen geheiratet habe. Wie?«

Sie schüttelte den Kopf. »Er hat mir die Papiere gezeigt, Merrick. Sie sahen so echt für mich aus. Aber zuvor ... zuvor war da dieser Brief. Ich wollte ihn vergessen.« Sie wandte den Blick ab, unfähig, ihn noch länger anzusehen.

»Ein Brief?«, fragte er schließlich.

Ihre Hand - die auf ihrem Schoß - begann zu zittern. »Du fragst dich vielleicht, warum ich es für möglich halte, dass mein Vater jemanden bestochen hat, diese Seite aus dem Register zu entfernen«, sagte sie. »Der Grund ist, dass ich wusste, dass er so etwas schon einmal getan hatte.«

»Maddie, wovon sprichst du?«

»Ich weiß von deinem Brief an den Architekten in London«, flüsterte sie. »Ich weiß es, weil Dad ihn hierher nach Gretna Green mitbrachte. Er hat jemanden dafür bezahlt, denke ich, ihn aus Mr. Wilkersons Büro zu stehlen.«

»Wilkerson?« Merrick sah aufrichtig verwirrt aus. »Ich muss ihm im Laufe der Jahre Dutzende von Briefen geschickt haben, aber keinen von solcher Bedeutung, dass man jemanden bestechen würde, ihn zu stehlen.«

»Es war dein erster Brief an ihn«, sagte sie. »Der, in dem du ihm die Zahlung von dreißigtausend Pfund zusagst - deine Hälfte an einem neuen Geschäft. Du würdest ihm im August das Geld zukommen lassen, hast du geschrieben, sobald du es hättest.«

»Großer Gott!«, rief Merrick. »Und in welche Art von Geschäft zum Teufel hätte ich mich für diese große Summe einkaufen wollen?«

Sie sah ihn an. »Eine Baufirma, was sonst?«

»Maddie, wenn ein Architekt dreißigtausend Pfund besitzt, muss er wohl kaum noch arbeiten.«

Wieder schüttelte sie den Kopf. »Dad sagte, du würdest sehr viel Geld brauchen«, beharrte sie. »Er sagte, es wäre für - o Gott, ich weiß es nicht! - etwas mit Bürgschaften oder Versicherungen oder so etwas, weil du so prunkvolle Projekte angehen wolltest.«

»Aye, zum Teil ist das richtig«, räumte Merrick ein, aber sein Gesicht war vor Wut finster geworden. »Ein neues Geschäft reißt große Löcher in die Finanzen eines Mannes und bringt lange Zeit nur verdammt wenig ein. Aber was ich Wilkerson versprochen hatte, waren dreitausend Pfund, die ich mir bereits von meiner Großmutter geliehen hatte.«

»Drei?«

»Aye, und wenn du einen Brief gesehen hast, in dem von dreißig die Rede war, dann war da, Maddie, und das kannst du mir glauben, wieder der Fälscher deines Vaters am Werk.«

Das kranke, üble Gefühl war in ihren Magen zurückgekehrt, eine Mischung aus Wut und niederschmetterndem Bedauern. Sie zwang es fort. Merricks Augen blitzten jetzt vor Zorn. »Aber Dad hat behauptet, dass das der Grund war, aus dem du mich geheiratet hast, Merrick«, beharrte sie. »Weil du die Chance hattest, in dieses neue Unternehmen einzutreten - eine Chance, deinen Traum zu verwirklichen - und dass du mein Geld gebraucht hast, um das tun zu können.«

»Aber dreißigtausend Pfund, Maddie?«, entgegnete er ungläubig. »Und das hast du geglaubt? Jesus Christus, wie töricht und einfältig muss man sein, um ...«

Sie hatte die Tasse in ihrer Hand, bevor sie noch wusste, was sie damit wollte. Der warme Tee traf ihn mitten ins Gesicht. Merrick sagte kein Wort, sondern starrte sie nur an, dann zog er sein Taschentuch hervor und trocknete sich das Gesicht.

»Ich sollte mich dafür wohl entschuldigen«, zischte sie. »Aber das werde ich nicht tun, weil ich fast dreizehn Jahre auf diese Gelegenheit gewartet habe. Jetzt nenn mich noch ein mal töricht und einfältig, und das Nächste, was dich treffen wird, wird um einiges übler sein als lauwarmer Tee.«

Merrick warf sein Taschentuch empört beiseite. »Dann lass es mich anders formulieren! Nein! Weißt du was, Maddie? Es lohnt sich nicht. Lass es uns vergessen!« Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Ich habe es gründlich satt zu versuchen, einen Sinn in all dem zu sehen.«

Auch sie schob ihren Stuhl zurück. »Du hast es also satt?«, fragte sie herausfordernd. »Nun, dann bring mich einfach zurück nach London, um Gottes willen! Du bedeutest mir gar nichts mehr, Merrick MacLachlan. Ich will nach Hause.«

Merrick stützte sich mit beiden Händen auf den kleinen Tisch und beugte sich zu ihr vor. »Geh doch, wohin es dir gefällt, du scharfzüngige Hexe«, knurrte er. »Und gehab dich wohl! Das ist dann das gute Ende eines schlechten Handels, mehr gibt es für mich dazu nicht mehr zu sagen.«

Zu ihrer Demütigung schossen ihr die Tränen in die Augen. »Ich kann nicht weggehen!«, schrie sie. »Du und dein verdammtes Stück Papier halten mich gefangen! Ich schätze mich glücklich, dass du mir nicht deine - deine Aufmerksamkeiten aufgedrängt hast, wie du es mir angedroht hast!«

»Aye, das hättest du wohl gern!« Seine blauen Augen standen jetzt in Flammen, sein schottischer Akzent wurde mit jeder Sekunde stärker. »Jetzt hör mir zu, Madeleine, hör mir gut zu. Ich würde dich nicht nehmen, selbst wenn man dich mir nackt auf einem Silbertablett servieren würde. Du bedeutest mir gar nichts, und diese verdammte Urkunde - zur Hölle damit. Der Junge ist bei mir gut aufgehoben, und das weißt du verdammt gut!«

»Das weiß ich nicht!«, log sie. »Wie könnte ich das? Hast du dich denn um mich gekümmert? Hast du das, Merrick?«

Er zitterte jetzt buchstäblich vor Wut. »Aye, nur raus damit, du verdammtes Weib«, keuchte er. »Reiß mir die Seele aus dem Leib! Aber ich werde den Jungen bis Allerheiligen bei mir behalten, also schwing dich auf deinen verdammten Besenstiel und ...«

»Allerheiligen!«, schrie sie. »Aber ... aber das ist ja noch Monate hin!«

»Oh ja, vier, um genau zu sein!«, pflichtete er ihr bei. »Aber da du seine Gesellschaft in den letzten gottverdammten zwölf Jahren hast genießen können, denke ich nicht, dass das zu viel verlangt ist.«

Madeleine stand da, zitternd vor Empörung, und versuchte, sich eine weitere Beleidigung auszudenken, um sie ihm ins Gesicht zu schleudern, als ein leises Kichern das schreckliche Schweigen durchbrach. Ihr Kopf fuhr herum. Sie sah eine weiße Haube um die Ecke verschwinden und den rothaarigen Kellner, der ihr folgte.

Scham und Verlegenheit überfluteten sie. Taumelnd ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl sinken.

Merrick schien es nichts auszumachen. Mit einem heftigen Tritt seines Stiefelabsatzes stieß er den Stuhl zurück unter den Tisch und ging dann aus dem Zimmer. Sobald seine Schritte die Treppe hinauf verklungen waren, ließ Madeleine den Kopf in die Hände sinken.

Lieber Gott! Was hatte sie dieses Mal angerichtet?

Dieser verdammte Merrick MacLachlan mitsamt seinem Temperament und seinem übermächtigen Stolz - sollte er damit zur Hölle fahren! Und zur Hölle auch mit ihr. Denn die schreckliche Wahrheit war, dass es nicht nur Merrick war, auf den sie wütend war. Sie war es auf sich selbst. Sie war eine naive Närrin gewesen. Und sie war schwach gewesen. Sie hatte ihre Ehe aufgegeben.

Seit ihr Vater sie nach Sheffield zurückgebracht hatte, sie abgeschnitten hatte von ihrem Leben in London - ihrem Leben mit Merrick -, war ihr das alles wie eine entfernte Fantasie vorgekommen. Der Mut, der sie dazu gebracht hatte, mit Merrick durchzubrennen, hatte sie völlig verlassen. Ohne ihn war sie zusammengebrochen, war in einen mentalen Abgrund gefallen, der so tief und so hoffnungslos gewesen war, dass es ihr leichter erschienen war, zu schlafen und zu weinen, als aufzustehen und etwas zu unternehmen, um sich aus ihrer Lage zu befreien.

Warum war sie nicht einfach davongegangen? Warum hatte sie nicht versucht, Merrick zu finden und darauf zu bestehen, die Wahrheit aus seinem Mund zu hören? Sie hätte etwas verkaufen können - irgendetwas. Ihren Schmuck? Ihre Kleider? Und sie hätte sich ein Pferd aus dem Stall stehlen und nach London zurückreiten können. Sie hätte an jemanden schreiben können, vielleicht an ihre Tante in London, und um deren Hilfe bitten können.

Aber sie hatte nichts von all dem getan. Weil sie es ihrem Vater gestattet hatte, sie zu überzeugen, dass Merrick sie nicht gewollt hatte. Sie hatte zugelassen, dass er auf raffinierte Weise das untergraben hatte, was sie in ihrem Herzen als Wahrheit gewusst hatte. Sie hatte zugelassen, dass ihr Vater ihr das Gefühl vermittelt hatte, wieder ein kleines Mädchen zu sein. Und sie hatte seine Lügen akzeptiert - Lügen, von denen sie jetzt wusste, dass sie nicht einmal besonders gut gewesen waren. Weil sie dazu erzogen worden war, zu glauben, dass ihrem Vater ihr Wohlergehen am Herzen lag.

Merrick trug seine eigene Schuld, ja. Aber sie hatte versagt, was ihre Ehe anging - und damit auch ihr Kind.

Madeleine drückte die Handballen auf die Augen. Ja, dort, vielleicht, lag die schreckliche Wahrheit. Da war Schuld genug für alle Seiten dieses Durcheinanders, und der Schmerz in ihrem Herzen wurde größer mit jedem Tag, der auf dieser elenden, unüberlegten Reise verging.

Langsam und mit einem tiefen Seufzen stand Madeleine auf, nahm ihren Schal und ging die Treppe hinauf. Morgen würde ein anstrengender Tag sein, und das hatte sie vor allem sich selbst zu verdanken. Nichtsdestotrotz würde sie jetzt nicht umkehren. Welches Schicksal auch immer auf sie und Merrick wartete - und auch auf Geoff -, sie würde irgendwie die Kraft aufbringen, es dieses Mal durchzustehen. Sie würde nicht noch einmal aufgeben, auch wenn sie heute, wie es schien, kaum gewusst hatte, um was sie eigentlich kämpfte.