Kapitel 12

Das Feuer fängt vom Funken an,

vom Funken brennt das Haus.

Phipps zupfte noch einmal die Jackenaufschläge seines Arbeitgebers zurecht. »Sehr gut!«, sagte er dann mit unüberhörbarer Befriedigung. »Sie sehen vortrefflich aus, Sir.«

Merrick schaute in den Wandspiegel und betrachtete sich darin. Er sah nichts als die Narbe. Gegen seine schwarze Abendkleidung hob sie sich besonders lebhaft ab wand sich wie eine dünne, blasse Schlange von seinem Kinn herunter zu seinem Nacken, wo sie unter dem gestärkten weißen Kragen verschwand.

»Welche Art Narr bin ich, Phipps, dass ich diese Einladung angenommen habe?«, fragte er.

»Die Art Narr, die als sehr reicher Mann sterben wird«, murmelte Phipps und richtete noch einmal Merricks Krawattenknoten.

»Aber eine Geburtstagsfeier«, brummte Merrick. »Für ein junges Ding, das noch nicht einmal dem Schulzimmer entwachsen ist.«

»Eine schwere Aufgabe, ohne Frage«, bemerkte Phipps pragmatisch. »Aber wenn man bedenkt, wer ihr Vater ist, darf man vermuten, zumindest einige Banker dort anzutreffen. Abgesehen davon ist es kein großes gesellschaftliches Ereignis.«

»Ich will verdammt sein, wenn ich mir aus solchen Dingen etwas mache, ob es nun ein gesellschaftliches Ereignis ist oder nicht!« Merrick steckte einen Finger in seinen Kragen und zerrte ein wenig daran. »Aber wenn einer einen direkt ansieht und geradeheraus fragt, ist es verteufelt schwer, einen Vorwand zu finden, die Einladung auszuschlagen.«

Phipps hatte sich heruntergebeugt, um mit einem Stofflappen Merricks Abendschuhe ein letztes Mal zu polieren. »Aber es ist doch eine recht angenehme Familie, Sir, oder nicht?«

»Schrecklich fröhlich«, erklärte Merrick. »Überall nur eitel Sonnenschein. Man könnte denken, dass zwischen Lord und Lady Treyhern niemals ein böses Wort fällt.«

Phipps erhob sich und bewunderte sein Werk. »Vielleicht ist es ja tatsächlich so«, gab er zu bedenken. »Idealerweise sollte es in allen Ehen so sein. Warum sollte man sonst denn heiraten?«

Merrick stieß einen seiner sarkastischen Seufzer aus. »Ihre Naivität schockiert mich, alter Knabe«, sagte er. »Solche Leute heiraten, um Erben in die Welt zu setzen.«

»Einige tun das, das ist wohl wahr.« Phipps öffnete Merricks silbernes Zigarrenetui und kontrollierte, ob alles in Ordnung war, ehe er es in die Tasche von Merricks Mantel steckte. »Aber Lord Treyhern nicht, wie ich hörte.«

Merricks Augen weiteten sich überrascht. Treyhern schien ihm genau der Mann zu sein, der allein aus praktischen Erwägungen heraus heiratete. »Eine Liebesheirat?«

»Oh ja, durchaus.«

Merrick war skeptisch. »Woher zum Teufel wissen Sie das?«

Phipps lächelte milde. »Dienstbotengeschwätz, Sir«, sagte er. »Die verlässlichste Quelle auf Erden. Treyherns Haushälterin, Mrs. Trinkle, ist die Stiefschwester von Mrs. Barney - Agnes' Mutter, die in Stepney lebt.«

»Agnes?«

»Agnes Barney, die in der Küche arbeitet, Sir.«

»Ah, ja, die dünne, flinke«, erinnerte er sich.

»Ja, sie ist sehr fleißig«, pflichtete Phipps bei. »Und Agnes sagt, dass ihre Tante Trinkle behauptet, dass Lord und Lady Treyhern eine skandalträchtige Vergangenheit haben.«

Merrick grinste. »Eine Vergangenheit?«

»Eine Jugendliebe«, führte Phipps näher aus. »Aber das Mädchen war arm - und Französin - und wurde als weit unter ihm stehend angesehen. Deshalb hat die Familie die beiden getrennt und das Mädchen in die Schweiz geschickt, damit es dort zur Gouvernante ausgebildet wurde. Der Earl ist eine Geldheirat eingegangen, aber es war eine unglückselige Verbindung. Die Frau galt als ...« Hier stockte Phipps, um sich heftig zu räuspern, »... nun, als von fragwürdiger Beständigkeit, Sir, wenn Sie verstehen, was ich meine?«

»Aye, ich habe eine leise Vermutung.«

Phipps lächelte angespannt. »Nun, wie auch immer, sie starb, und Treyhern hat dann doch noch Ihre Ladyschaft geheiratet.«

»Interessant!«, sagte Merrick. »Aber lassen Sie uns auf den Teil mit der Geldheirat zurückkommen, Phipps.«

Phipps zog eine Augenbraue hoch. »Welch ein Zynismus, Sir!«

»Närrisches Geschwätz über Liebe und Romantik ist ja ganz schön, Phipps«, sagte Merrick und zerrte dabei erneut an seinem Kragen. »Aber irgendjemand muss dabei die verdammte Zeche zahlen. Und die Frauen, nicht wahr, wissen das. Vielleicht war Lady Treyhern klug genug, ihre Zeit abzuwarten.«

Phipps seufzte tief. »Das mag durchaus sein, Sir«, sagte er und reichte Merrick Geldbeutel und Taschenuhr. »Soll ich jetzt die Kutsche vorfahren lassen?«

»Nun, das ist eine Art, einen Disput zu gewinnen.« Merrick grinste. »Dann schaffen Sie mich mal in diese Hölle, die sich gute Gesellschaft nennt.«

Die Hölle, die man die »gute Gesellschaft« nannte, stand acht Kutschen hintereinander aufgereiht in der Mortimer Street, als Merrick bei Treyherns Stadthaus ankam. Freunde und Familie, also wirklich! Das Ganze erweckte eher den Anschein eines kleinen Getümmels. Mit einem wachsenden Gefühl der Frustration steckte er den Kopf zum Fenster heraus und fragte sich, ob es nicht vielleicht doch irgendeine Entschuldigung gäbe, zu der er in letzter Minute greifen könnte. Bedauerlicherweise tat ihm weder ein Blitzschlag noch ein Erdbeben diesen Gefallen. Natürlich könnte er einfach die Pistole nehmen, die in seiner Kutsche stets griffbereit lag, und sich aus Frust erschießen - so wie der arme Chutley es getan hatte.

In diesem Moment bewegte sich die Kavalkade der Kutschen ein Stück weiter, und die nächste in der Reihe fuhr vor Lord Treyherns Tür vor. Zum Teufel noch mal! Ein perfekt geformter Knöchel wurde herausgestreckt, dann glitt eine Woge dunkelgrüner Röcke hinterher und bedeckte ihn sittsam. Vielleicht wäre es letztlich doch an der Zeit, nach besagter Pistole zu greifen.

Es war die Kutsche, die sein Unterbewusstsein wiedererkannt hatte. Oder vielleicht, Gott helfe ihm, war es in der Tat der Anblick dieses Knöchels gewesen. Selbst auf die Entfernung kam er Merrick kaum verändert vor. Lady Bessett hatte die Hand eines der Diener Treyherns ergriffen und entstieg jetzt der Kutsche mit einer Anmut, die einer Operndiva würdig gewesen wäre. Ihr hellblondes Haar war zu einer eleganten, aber nicht der Mode entsprechenden lockeren Frisur hochgesteckt, und schimmerte im letzten Licht des Tages wie flüssiges Feuer.

Als bewegte sie sich in Zeitlupe, schaute Madeleine zu dem Diener auf und lächelte. Der zum Kleid passende Kaschmirschal glitt ihr von der Schulter und ein kleines Ridikül hing an ihrem Handgelenk. Auf der Treppe und auf der Straße wandten sich die Menschen nach ihr um. Merrick wunderte sich nicht darüber. Madeleine war von einer alterslosen Eleganz und selbst mit dreißig die Verkörperung vollkommener Schönheit. Und für eine kurze Zeit hatte sie ihm gehört. Sie hatte ihm zwölf herrliche Wochen voller Euphorie geschenkt. Und das zu einer Zeit, als er nicht daran geglaubt hatte, dass es so etwas wie Euphorie gab. Er glaubte es noch immer nicht. Es war, in der Rückschau, ein surreales Intermezzo in seinem Leben gewesen.

Lord Treyhern kam die Treppe heruntergeeilt, um Madeleine persönlich zu begrüßen. Er bot ihr seinen Arm, und sie gingen die Stufen hinauf, um in den Tiefen des Hauses zu verschwinden. Merrick ließ sich auf seinen Sitz zurückfallen. Was er fühlte, war keine Bewunderung, sondern Wut. Keine selbstgerechte Empörung, sondern Verbitterung. Verdammt, er hätte ahnen müssen, dass diese Frau hier sein würde! Vielleicht hatte sein Unterbewusstsein das auch vermutet.

Nein. Das war einfach nicht wahr. Außerdem hatte er die Macht und den Willen, seine Reaktionen zu kontrollieren. Er war lediglich aus geschäftlichen Interessen hier. Wenn dieses Geschäft es erforderte, höflich zu dieser Frau zu sein, dann würde er das sein. Für die richtige Summe würde Merrick auch mit dem Teufel zu Abend essen, wenn es sein musste.

Andererseits könnte er es sich aber auch leisten, nicht zu dieser Abendgesellschaft zu gehen. Er brauchte Treyherns Geld und Grundstücke nicht. Das Leben war kurz. Er klopfte hart gegen das Dach der Kutsche. Sein livrierter Diener sprang herunter und öffnete die Tür. »Ja, Sir?«

Merrick öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne etwas zu sagen. Einen Moment lang war er unschlüssig. Dann nahm seine gute Erziehung seine Menschenfeindlichkeit in den Würgegriff und zwang sie zu Boden. »Nichts«, sagte er barsch. »Gar nichts. Nein - halt. Lassen Sie mich hier aussteigen. Drehen Sie um und kehren Sie solange im Blue Posts ein.«

»Jawohl, Sir.«

Merrick kletterte aus der Kutsche und suchte in seiner Tasche nach ein paar Münzen. »Sie und Grimes können ein Bier trinken und etwas essen«, sagte er. »Ich werde dorthin kommen, sobald ich kann.«

Der Diener steckte die Münzen stillvergnügt ein. Er sah nicht überrascht aus. Er war sich der Vorliebe seines Herrn, schnell die Flucht zu ergreifen, durchaus bewusst. Merrick holte seinen Stock aus der Kutsche und ging den Bürgersteig hinunter auf Treyherns Haus zu.

Er wurde sehr zuvorkommend vom Earl und dessen Frau begrüßt. Die Tochter - Arabelle oder Marianne oder Maribelle oder sonst einer dieser hellen, klirrenden Namen - knickste sehr anmutig. Er beugte sich tief über ihre Hand und wünschte ihr einen glücklichen siebzehnten Geburtstag, eine Bemerkung, die das Mädchen erröten ließ und stammeln machte und bei ihm das Gefühl zurückließ, so alt wie Methusalems Großonkel zu sein.

Er ging rasch weiter, wobei er sich verwundert nach der Empfindsamkeit der heutigen Jugend fragte. Dabei erinnerte er sich mit einigem Unbehagen, dass siebzehn - gerade erst siebzehn - das Alter war, in dem Madeleine eingewilligt hatte, ihn zu heiraten. Merrick wandte sich um und betrachtete das junge Mädchen noch einmal. Guter Gott, sie war ein Kind! Und er wollte verdammt sein, wenn er da nicht eine leichte Ähnlichkeit mit Madeleine entdeckte. Treyherns Tochter war ein bezauberndes kleines Ding - hochgewachsen und schlank, mit Haaren, die so golden glänzten wie sonnenreifer Mais. Ihre Gesichtszüge waren fein geschnitten, und sie war hübsch anzusehen, mit dieser vollen Unterlippe, die sinnlich und unschuldig zugleich wirkte.

Herrgott, vermutlich würde sie so manchem eine Sünde wert sein. Aber heiraten? Dazu war sie doch sicherlich noch viel zu jung, nicht wahr? Sie konnte unmöglich die volle Bedeutung des Ehegelübdes und der Pflicht verstehen, die eine Heirat mit sich brachte. Mit siebzehn konnte sie weder den Ernst des Lebens begreifen noch die Zwänge und Herausforderungen verstehen, die das Erwachsensein einer Person abverlangte.

Was ihn veranlasste, sich etwas zu fragen: Warum hatte er erwartet, dass Madeleine das alles verstand?

Aber es war zu spät, damit zu beginnen, Entschuldigungen für Madeleine Treulosigkeit zu suchen. Sie hatte ihn geheiratet. Und sie hatte ihn aufgegeben, ohne einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden.

In diesem Augenblick ertappte Maribelle-Arabelle ihn dabei, dass er sie anstarrte. Die feinen Gesichtszüge wurden um drei Nuancen röter, dann drohte ihm das Mädchen neckisch mit dem Finger und begann zu kichern. Zu kichern. Großer Gott! Es war Zeit für ihn, sich in irgendeine verborgene Ecke zurückzuziehen, so wie die anderen Herren ohne Begleitung.

Zumindest waren es weniger Gäste, als man nach der Zahl der Kutschen vor dem Haus hätte vermuten können, und niemand schien auf Förmlichkeiten zu bestehen. Treyhern ist klug, dachte Merrick, das Mädchen auf diese zurückhaltende Weise in die Gesellschaft einzuführen, statt sie mit einem teuren Debütantinnen-Ball oder ähnlichem Unsinn mitten ins Rampenlicht zu stoßen.

Treyherns Diener glitten durch den Salon und bedienten unauffällig die Gäste. Sie balancierten Tabletts, auf denen Gläser mit Sherry und Orgeat standen, einem Getränk aus Mandelsirup, Zucker und Rosenblütenwasser. Merrick kannte die meisten der Anwesenden und einige davon sogar recht gut.

»MacLachlan!« Jemand schlug ihm herzhaft auf die Schulter. »Ich hoffe, Sie sind gesund und munter?«

Merrick wandte sich um und sah einen der Direktoren der Bank vor sich stehen, der ihn anstrahlte.

Das ist, rief er sich in Erinnerung, einer der Gründe, hier zu sein. »Durchaus, Sir. Und selbst?«

Und damit begann eine Reihe jener bedeutungslosen kleinen Gespräche, die zu überstehen man während gesellschaftlicher Anlässe gezwungen war. Während er seinen Weg durch den Salon machte, war Merrick gezwungen, sich zweimal über das Alter und die Gesundheit Queen Adelaides zu äußern - die ganz entschieden nicht guter Hoffnung war -, dreimal über die Frage, ob das Oberhaus die Reformakte in die Länge ziehen würde - ganz gewiss würde es das - und fünfmal über das Wetter, welches im Allgemeinen für schön empfunden wurde. Oder als zu feucht. Oder zu warm. Oder zu regnerisch. Abhängend davon, mit wem man sich unterhielt.

Mithilfe seiner Entschlossenheit, derartige Belanglosigkeiten zu ertragen, und einiger geografisch-strategischer Ausweichmanöver gelang es Merrick, sich stets auf der Madeleine entgegengesetzt gelegenen Seite des Salons aufzuhalten. Bis sie zu Tisch gebeten wurden und er feststellte, dass Lady Treyhern sie als Tischnachbarn vorgesehen hatte.

Madeleine wirkte ein wenig angegriffen. Er verbeugte sich höflich und zog ihren Stuhl zurück. »Lady Bessett«, sagte er. »Guten Abend.«

»Mr. MacLachlan«, murmelte sie, »welch eine Überraschung.« In ihren Augen glomm ein Feuer.

»Nun erdolche mich nicht mit deinen Blicken, meine Liebe«, sagte er leise. »Ich habe die Gästeliste nicht gemacht. Du etwa?«

Sie erwiderte nichts und nahm auf ihrem Stuhl Platz, wobei sie sich bemühte, ihm nicht zu nahe zu kommen. Ihr Duft hüllte ihn ein wie eine Wolke. Es war der leichte Duft nach Seife und Jasmin und nach etwas anderem, das er nicht benennen konnte. Es war der kaum wahrnehmbare Duft nach etwas schmerzlich Vertrautem.

Das Dunkelgrün ihres Seidenkleides, bemerkte er, passte genau zu ihren funkelnden Augen und sah zu ihrer blassen Haut herrlich aus. Das Kleid war schlicht, gemessen an Londoner Maßstäben, aber es enthüllte auf verführerische Weise ihre Schultern.

Merrick zwang seine Aufmerksamkeit auf die anderen Gäste, die am Tisch Platz nahmen. Dem Anlass entsprechend war das Dinner weder besonders formell noch das Essen besonders aufwändig. Zuerst gab es viel Lachen und gutmütige Neckereien, die der Tochter des Hauses galten, deren Namen, wie er sich schließlich erinnerte, Ariane war, nicht Arabelle. Die meisten der Neckereien kamen von einem gut aussehenden jungen Mann, der als der Onkel des Mädchens vorgestellt worden war, also Treyherns Bruder, dessen Augen vor reinem Übermut funkelten und den das Mädchen zu verehren schien.

Merrick und Madeleine saßen in der Nähe von Lady Treyhern, die entschlossen zu sein schien, dafür zu sorgen, dass alle es bequem hatten und alle in ihrer Nähe unbeschwert miteinander plauderten. Treyhern selbst gab sich eher wortkarg, beteiligte sich aber ausreichend an der Unterhaltung. Als sein Blick über die Gäste glitt und an Merrick hängen blieb, wirkte er, als würde ihn etwas beunruhigen. Zum Teufel mit der ganzen »guten« Gesellschaft. Zwischen seinem Gastgeber und seiner Tischdame begann Merrick, sich ein wenig unerwünscht zu fühlen.

Madeleine hatte sich dem Gentleman zu ihrer Rechten zugewandt. Ihr weiches, butterfarbenes Haar tanzte in feinen Locken auf ihrem Rücken, und der perfekte Schwung ihres Nackens wurde nur von einer Perlenkette geschmückt. Genau genommen brauchte er gar keine Verzierung. Einen Moment lang war Merrick unfähig, den Blick abzuwenden. Da gab es eine Stelle - ja, genau dort, wo er ihren Puls schlagen sah -, die ihn einmal einen ganzen Abend lang fasziniert hatte. Ihre Haut dort war warm und besonders weich. Es war die Art von Stelle, die er gut kannte, die ein Mann mit seinen Lippen streichelte und dafür mit kleinen entzückten Schaudern belohnt werden würde.

Er hatte sich immer vorgestellt, dass Madeleine, sollte er sie jemals wiedersehen, völlig verändert sein würde: dass die Sonne Italiens sie hätte altern lassen, dass die Jahre der Ehe Spuren zurückgelassen hätten, Falten auf der Stirn oder ein Doppelkinn. Aber da war nichts. Nichts bis auf ein paar feine Fältchen um ihre Augen und eine Art vorsichtiger Skepsis in ihrem Blick. Sie war dieselbe, und er fand sie, zu seiner ewigen Frustration, noch immer hinreißend.

Sie musste die Wärme seines Blickes gespürt haben. Als sie sich ihm zuwandte, blickten ihre Augen für einen Moment feindselig. Er fühlte sich plötzlich wie ein ungeschlachter Bursche und wandte den Blick ab. Doch nur für einen kurzen Moment. Das ging einfach nicht. Gute Manieren, heute Abend der Fluch seiner Existenz, verpflichteten ihn, sich mit ihr zu unterhalten. Die Tafel hoch und herunter plauderten alle wie alte Freunde miteinander. Gewiss würden er und Madeleine das doch auch zustande bringen?

»Wie geht es Ihrem Sohn, Lady Bessett?«, fragte er, als die Diener unauffällig begannen, um den Tisch herum zu gehen und den nächsten Gang aufzutragen. »Ich hoffe, er hat sich erholt?«

»Wie freundlich von Ihnen, nach ihm zu fragen.« Ihre Stimme war so kühl, dass sie Fremde hätten sein können. »Es geht ihm recht gut.«

»›Recht gut‹ klingt ein wenig dürftig für einen so aufgeweckten, lebhaften Jungen wie Geoff«, erwiderte Merrick.

»Ich wusste nicht, dass Sie sich etwas aus Kindern machen, Mr. MacLachlan.«

»Ich mache mir etwas aus Geoff«, entgegnete er und zwang sich zu einem höflichen Ton. »Er ist ein ganz bemerkenswerter Junge.«

Sie wandte sich ihm zu und sah ihn aus großen Augen offen an. »Bemerkenswert?«, wiederholte sie. »Wie bitte meinen Sie das?«

»Er ist neugierig«, sagte Merrick. »Und er hat künstlerisches Talent. Zudem scheint er sehr klug für einen Jungen seines Alters. Ach, das wollte ich noch fragen - wie alt ist Geoff? Ich glaube nicht, dass er es je erwähnt hat.«

Einen langen Moment schien Madeleine durch ihn hindurchzustarren und vor Empörung fast zu zittern. »Würden Sie freundlicherweise ...« Sie verstummte, blinzelte rasch einige Male und setzte neu an. »Würden Sie freundlicherweise Ihren Stuhl ein wenig zur Seite rücken, Mr. MacLachlan. Ich glaube, er steht auf meinem Kleid.«

»Ach Gott, tatsächlich?« Instinktiv hob er den Stuhl ein wenig an und schob ihn ein kleines Stück von ihr weg.

Sie wandte sich sofort ab und nahm die Unterhaltung mit dem Gentleman zu ihrer Rechten wieder auf. Merrick blieb zurück, um wieder auf ihren Nacken zu starren.

Aber er wusste, was sich gehörte, und wandte sich deshalb an die Dame zu seiner Linken, um ein Gespräch mit ihr zu beginnen. Sie war eine dunkelhaarige Schönheit mit fast schwarzen Augen und hieß Frederica Rutledge. Sie war die Frau von Treyherns Bruder und stammte aus einer Familie von Malern, von denen einige sehr berühmt waren. Sie erwies sich als außerordentlich bewandert in der Welt der Kunst, und sie plauderten angeregt über die jüngste Ausstellung in der Royal Academy und über die Parallelen zwischen Kunst und Architektur. Er war überrascht festzustellen, dass er dieses Gespräch tatsächlich genoss.

Weiter unten an der Tafel gratulierte Lady Treyhern einem der etwas älteren Gäste zur bevorstehenden Vermählung seines Sohnes. Die jüngeren Damen waren in heller Aufregung, und ohne Zweifel wurde die geplante Hochzeit von ihnen in allen Einzelheiten erörtert.

»Und wird die Heirat Ihres Sohnes ein neues Haus erforderlich machen, Mr. Wagstaff?« Lady Treyherns weiche Stimme schwebte die Tafel herunter. »Wenn ja, dann müssen Sie mit Mr. MacLachlan sprechen und ihn um eines seiner Häuser bitten. Ich habe gehört, dass er einige herrliche Villen in Walham hat.«

Merrick lächelte höflich. »Sie sind zu freundlich, Ma'am. Es sind sehr schöne Stadthäuser, aber keine Villen.«

»Glücklicherweise bringt meine künftige Schwiegertochter ein Haus mit in die Ehe«, sagte der Gentleman, ein korpulenter, wohlhabender Besitzer eines Versicherungsunternehmens, den Merrick flüchtig kannte. »Aber MacLachlans Arbeit ist uns allen gut bekannt. Man kann es kaum besser machen.«

Merrick lächelte leicht. »Das hoffe ich nicht, Mr. Wagstaff. Mein Geschäft hängt davon ab.«

»Eine gute Einstellung!«, erwiderte der korpulente Mann und wandte seine Aufmerksamkeit dann Madeleine zu. »Übrigens, Lady Bessett, Sie kommen mir so bekannt vor. Sind wir uns schon einmal begegnet?«

»Ich glaube nicht, Mr. Wagstaff.«

Die rote Falte auf der Stirn des Gentlemans vertiefte sich außerordentlich. »Wer sind Ihre Eltern, meine Liebe? Ich bemühe mich sehr, Sie unterzubringen.«

Madeleine schien zu zögern. »Mein Vater war Jessup of Sheffield«, sagte sie schließlich. »Und meine Mutter war eine Archard aus West Yorkshire.«

»Oh, ja, ja natürlich!«, sagte Wagstaff und deutete mit seiner Fischgabel auf Madeleine. »Ich erinnere mich an Ihre Mutter und deren Debüt. Was für ein hübsches Ding sie war! Und ich erinnere mich auch an Ihres, meine Liebe! Sie haben genau wie sie ausgesehen.«

»Danke, Sir«, sagte Madeleine ruhig. »Ich halte das wirklich für ein sehr großes Kompliment.«

Wagstaffs Gesicht nahm einen übermütigen Ausdruck an. Madeleine wirkte äußerlich gefasst, aber Merrick spürte ihre größer werdende Nervosität. Und seine eigene. Ihm gefiel die Sache nicht, und Wagstaff war - nun, er war ein alter Schwätzer.

»Ja, Miss Archard war ein wunderschönes Mädchen«, fuhr der Gentleman fort. »Und ich erinnere mich auch ...«, seine Gabel deutete auf Merrick, dann wieder auf Madeleine, und das übermütige Funkeln in seinen Augen verstärkte sich, »ja, ich erinnere mich gut ... dass Sie beide ...?«

Merrick wollte die Sache ein für alle Mal hinter sich bringen. »Dass wir beide was, Wagstaff?«

Ein breites Lächeln folgte. »Ja, ich sehe, dass ich recht habe, MacLachlan!«, zog Wagstaff ihn auf. »Sie und die hübsche kleine Lady hier waren wochenlang das Gesprächsthema, wenn ich mich recht erinnere. Man hatte in der ganzen Stadt Wetten abgeschlossen.«

Mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck beugte sich Ariane vor. »Worauf wurde denn gewettet, Mr. Wagstaff?«

»Ariane!«, mahnte Lady Treyhern scharf.

Zu Merricks Schrecken legte Madeleine die Hand auf seinen Oberschenkel und ihre Nägel gruben sich in ihn hinein. Wagstaff strahlte noch immer wie ein Narr über das ganze Gesicht.

»Nun, Lady Ariane, man hat gewettet, ob Lady Madeleine diesen aufstrebenden Schotten heiraten würde oder« - die Gabel zeigte wieder auf Merrick - »ob sie ihre Hand Lord Nortings Sohn Henry reichen würde.«

Merrick legte seine Hand auf Madeleines und drückte sie beruhigend. »Auf wen haben Sie gewettet, Wagstaff?«, erkundigte er sich kühl.

Der Gentleman wäre höchstwahrscheinlich errötet, wenn seine übliche Gesichtsfarbe es zugelassen hätte. »Ich ... nun, ich habe auf Nortings Jungen gesetzt«, gestand er. »Ich glaubte nicht, dass Sie die gesellschaftliche Kluft würden überwinden können, MacLachlan.«

»Dann haben wir alle drei verloren, nicht wahr?« Merricks Stimme war jetzt eiskalt. »Die Lady war klug genug, London zu verlassen und zu Hause zu heiraten, wo die Menschen zweifellos sensibler waren.«

Die Finger in seinem Oberschenkel entspannten sich. Madeleine zog die Hand weg, ließ nichts zurück als Wärme.

»Nun, wie schön ist es doch, über alte Zeiten zu sprechen«, mischte sich Lady Treyhern ein. »Möchte jetzt jemand gern von der Crème brulée?«

»Gebrannte Creme, Maman«, wurde sie von Lady Ariane korrigiert.

»Ja, ganz richtig!« Lady Treyhern sprach schnell weiter. »Wir haben eine wundervolle Auswahl! Die Köchin hat sie im Wasserbad gegart und mit einem heißen Karamellisiereisen flambiert. Es gibt eine mit Orangen, eine mit Zitronen und eine mit Mandeln - meine Lieblingscreme - und sogar eine Sorte mit Zimt und Kürbis darin.«

»Kürbis«, sagte Madeleine rasch. »Ich würde gern die mit Kürbis probieren.«

Und ich würde gern einen Drink nehmen, dachte Merrick. Einen großen.

Aus Rücksicht auf den Geburtstag des Mädchens saßen die Herren nicht lange beim Port zusammen. Sie kehrten in den Salon zurück und sahen, dass der kleine Ballsaal, der ihm gegenüber lag, geöffnet worden war. Mrs. Rutledge hatte sich an das Piano gesetzt. Einige jüngere Gäste hatten sich um sie geschart und blätterten in Notenblättern oder riefen ihr Vorschläge zu, was sie spielen sollte.

Bald war der Tanz in vollem Gange, und die großen Flügeltüren nach draußen wurden geöffnet. Merrick nutzte die Gelegenheit, in die kühle Dunkelheit zu entkommen. Eine schmale Terrasse erstreckte sich über die Länge des Hauses. Es waren keine Lampen angezündet worden, und ihm leuchtete nur das Licht aus dem Ballsaal. Ein paar Schritte weiter stand sich eine Säule, um die sich einige in Töpfen wachsende hohe Palmen gruppierten. Merrick umrundete die Baumgruppe und zog eine Zigarre aus seiner Schachtel. Das Feuerzeug flammte beim ersten Streich auf.

Durch die offen stehende Tür drangen fröhliches Lachen und die Musik zu ihm heraus. Die Diener waren zurückgekommen, dieses Mal mit Tabletts, auf denen champagnergefüllte Gläser standen. Merrick trank keinen Champagner. Genau genommen hätte er gerade jetzt eine Menge für ein Glas guten schottischen Whisky gegeben. Er spürte noch immer den Druck von Madeleines Hand auf seinem Schenkel. Spürte noch die Wärme ihrer Finger, die durch seine Hosen an seine Haut gedrungen war.

Er schloss die Augen und dachte daran zurück. Er wünschte, sie hätte sich in diesem Moment der Beunruhigung nicht an ihn gewandt. Und er wünschte, er hätte es nicht begrüßt. Doch er hatte getan, was jeder aufrechte Gentleman unter diesen Umständen getan hätte. Er hatte Wagstaff scharf gestoppt und ihm die klare Botschaft übermittelt, dass seine intimen Enthüllungen unerwünscht waren. Aber der Schaden war angerichtet, und Madeleine würde jetzt die Neugier der anderen zu befriedigen haben - oder zumindest die Lady Treyherns. Merrick war weder deren leichtes Stocken des Atems noch der überraschte Ausdruck in ihren Augen entgangen.

Seinen Grübeleien wurde ein Ende gemacht, als eine laute Frauenstimme in der Nähe der Fenster zum Ballraum erklang. »Bentley, ma foi!«, sagte sie. »Lass meinen Arm los. Du tust mir weh.«

Lady Treyhern erschien auf der Terrasse, geführt vom Bruder ihres Mannes, der sie entschlossen am Oberarm gepackt hielt. »Helene«, sagte Rutledge leise. »Ich muss mit dir reden. Allein.«

»In welcher Angelegenheit bitte? Bentley, ich habe Gäste.«

Sie blieben auf der anderen Seite der Säule stehen, jenseits der Gruppe der Palmen. Noch gefangen in seinen eigenen Grübeleien, machte sich Merrick nicht, wie er es hätte tun sollen, bemerkbar.

»Mir ist zu Ohren gekommen, dass es Gerede gibt, Helene.« Seine geflüsterten Worte klangen grimmig. »Gerede über Thomas Lowe. Großer Gott! Warum nach all diesen Jahren?«

»Dein Bruder hat überreagiert.« Lady Treyherns Stimme klang beruhigend. »Ich hätte es niemals erwähnen sollen. Es war nur der Archard-Junge, der Ariane geneckt hat. Er hat sich nichts dabei gedacht. Er weiß gar nichts über Lowe.«

»Verdammt noch mal, ich habe gehört, was gesagt worden ist«, entgegnete Treyherns Bruder. »Das hat er sich nicht zusammengeträumt, Helene. Irgendjemandem hat es gefallen, Gerüchte zu verbreiten - sehr gefährliche Gerüchte -, und wir müssen dem ein Ende machen. Es war einer der Dienstboten, denke ich. Wer ist von Gloucestershire mit hierhergekommen?«

»Keiner«, entgegnete Lady Treyhern mit harter Stimme. »Niemand außer der Gouvernante, und die ist erst seit sechs Monaten bei uns. Und achte bitte auf deine Sprache!«

»Entschuldigung«, sagte Treyherns Bruder angespannt. »Aber ich denke, dass meine Sorge verständlich ist, oder nicht? Dieser Junge - woher kommt er? Wie alt ist er?«

»Er kommt aus Yorkshire und ist seit zwei Monaten in London«, erwiderte sie gereizt. »Er ist erst zwölf Jahre alt - und das ist wohl kaum das Alter, um heimtückisch zu sein. Zudem hat er die meiste Zeit seines Lebens im Ausland verbracht. Glaub mir, es war nur das dumme Gerede eines Kindes. Der Junge ist dafür bekannt, dass er - nun ja, seltsame Gedanken hat. Und falls du darauf bestehst, weiterhin in dieser Skandalbrühe herumzurühren, wirst du nichts anderes damit erreichen als alles noch schlimmer zu machen.«

»Großer Gott!«, sagte Rutledge wieder und schlug mit der Faust gegen die Hauswand. »Arme Ariane! Dieser Bastard Lowe hätte einen langsameren Tod verdient. Und könnte ich ihn noch einmal erschießen, würde ich ein gutes Stück tiefer zielen, um sicherzugehen.«

Merrick hatte genug gehört. Genau genommen hatte er nicht gewünscht, zuzuhören, aber er hatte es getan. Er hatte keine Ahnung, worüber die beiden gesprochen hatten, aber er kannte die Natur der Menschen gut genug, um zu wissen, dass Treyherns Bruder voller Wut war.

Aber es war Geoffrey gewesen, über den sie gesprochen hatten. Verdammte Hölle! Es musste so sein. Merrick gefiel der Gedanke nicht, dass der Junge in Schwierigkeiten steckte. Aber dann wiederum war das schließlich nicht seine Sache - oder? Nach einem letzten Zug an seiner Zigarre ging Merrick so leise und so weit er konnte die Terrasse hinunter, dort räusperte er sich laut und warf den Stumpen auf den Rasen. Dann ging er die Terrasse wieder zurück, pfiff dabei »God Save the King« und machte dabei einen solchen Lärm wie es menschenmöglich war, ohne über den Terrassenrand in das Gebüsch zu fallen.

Als er auf Lady Treyhern stieß, täuschte er Überraschung vor und schüttelte ihrem Schwager die Hand, als hätte er den Gentleman erst jetzt bemerkt.

»Mr. Rutledge«, sagte Merrick glattzüngig. »Was für ein Vergnügen.«

Lady Treyhern lächelte und machte ein paar unwichtige Bemerkungen über das Wetter. Sie schienen unbekümmert ob seiner Anwesenheit. Nach einer Weile verbeugte Merrick sich vor der Komtesse und ging weiter. Unter den funkelnden Kandelabern vergnügte sich ein halbes Dutzend Paare bei einem lebhaften Rundtanz, einige von ihnen waren schon ziemlich außer Atem geraten, andere lachten ausgelassen.

Er sah Madeleine, die ohne Begleitung war und auf das Klavier zuging. Er nahm sie leicht am Arm. Sie wandte sich um, ihr heiterer Gesichtsausdruck zerfiel, als sie ihn sah. Mrs. Rutledge hatte einen Walzer angestimmt.

»Tanz mit mir«, sagte er.

Sie zögerte unmerklich.

»Es ist zu spät, Madeleine«, sagte er grimmig und nahm ihre Hand. »Unsere Katze ist jetzt aus dem Sack.«

»Ja, und wessen Schuld ist das?«, fragte sie, während er sie mit sich auf den Tanzboden zog.

»Nicht meine, bei Gott!«, stieß er hervor. »Du bist es doch, die es nach all diesen Jahren für richtig gehalten hat, nach London zurückzukehren.«

»Ich verstehe«, sagte sie angespannt. »Und das ist deine Vorstellung davon, dass es zu Ende ist? Davon, mich nie wieder anzusehen?«

»Madeleine, die Hexe zu spielen, steht dir nicht«, erwiderte er und zog sie an sich. »Dies ist nur eine Dinnerparty. Ein einziger Tanz. Hätte ich gewusst, dass du hier bist, wäre ich weggeblieben. Aber ich wusste es nicht, und wenn wir jetzt umeinander herumschleichen und nicht einfach höflich miteinander umgehen, wird das nur noch mehr Gerede verursachen.«

Er spürte es in dem Moment, in dem sie nachgab. Sie erlaubte ihm, sie an sich zu ziehen, und sie tanzten schweigend eine Weile, die Seide ihres Kleides streifte seine Kleidung jedes Mal, wenn sie eine Drehung ausführten. Es ist lange her, dachte Merrick, seit ich mit einer Frau getanzt habe. Bis auf Madeleine erinnerte er sich an keine davon. Ihre Hand war klein und warm in seiner, und ihr Duft nach Seife und Jasmin neckte seine Nase.

Unerklärlicherweise wollte er das Gespräch weiterführen, das sie in der vorigen Woche gehabt hatten. Er wollte sie fragen, warum sie ihre Beziehung so schnell aufgegeben hatte. Und während er auf sie herunterschaute, war da auf einmal eine tiefe und plötzliche Sehnsucht in ihm, eine Art von Schwäche und ein schmerzendes Gefühl von Verlust. Er wollte sie enger an sich ziehen, um seine Hand zwischen ihre Schulterblätter zu legen statt auf ach so anständige Weise auf ihre Taille. Er wollte seinen Körper mit ihrem verschmelzen lassen. Und obwohl es klang, als wäre es eine rein körperliche Sache, so war es das nicht. Es war mehr als das. Es waren sein Herz und sein Körper, die sich an diese süße, kurze Zeit erinnerten, als sie eins gewesen waren.

Dreizehn lange Jahre. Und nur für sich konnte er eingestehen, dass er sie vermisst hatte. Sogar jetzt, da er wusste, dass sie nicht mehr die Frau war, die er einst geliebt hatte, vermisste er sie. Er vermisste das Mädchen, das sie gewesen war, nicht die spröde, kalte Frau, zu der sie geworden war. Er vermisste die Hoffnung auf ein glückliches Leben, das kommen würde, und eine verlässliche Partnerin, mit der er es teilen konnte. Und selbst für diese kleine Schwäche verachtete er sich. Herrgott, er musste einen Ausweg finden, einen Weg, das auszuschließen, oder der Schmerz würde ihn bei lebendigem Leib auffressen.

Er zwang ihn fort und wandte sich wieder seiner ursprünglichen Sorge zu. »Ich muss mit dir reden, Madeleine«, sagte er, seine Lippen an ihrem Ohr. »Es geht um Geoffrey.«

Sie versteifte sich in seiner Umarmung. Nur seine Hand, fest auf ihrer Taille, hielt sie davon ab, zurückzuweichen. »Ich habe kein Interesse, mit dir über meinen Sohn zu reden, Merrick«, sagte sie. »Lass uns bitte in Ruhe.«

Er ignorierte ihre Worte. »Was hat Geoff gesagt, Madeleine? Zu Treyherns Tochter?«

Irgendetwas in ihr schien sich zu bewegen. Sie warf ihm einen abschätzenden Blick zu, als er sie in die nächste Drehung führte. »Wovon sprichst du?«

»Ich weiß es nicht genau«, bekannte er. »Aber ich hasse den Gedanken, dass Geoffrey in Schwierigkeiten ist.«

»In ... Schwierigkeiten?« Ihr Griff um seine Hand spannte sich an, und er spürte mehr, dass sie schwankte, als dass er es sah. Ihr Fuß blieb an etwas hängen. Sie strauchelte. Er stützte sie und hielt sie, richtete sie wieder auf.

»Es tut mir leid«, sagte Merrick, als sie sich wieder gefasst hatte. »Ich bewerte die Sache wohl über. Ich habe zufällig eine kurze Unterhaltung zwischen Lady Treyhern und dem Bruder ihres Mannes mitangehört, das ist alles. Aber er schien sich große Sorgen über etwas zu machen, was Geoff zu dem Mädchen gesagt hat. Ich weiß nicht, was es war - oder warum er sich überhaupt darüber Gedanken macht. Aber ... aber er tut es. Und ich habe mich nur gefragt, was gesagt worden ist.«

Madeleine schwieg einen Moment.

»Maddie, ich will dem Jungen doch nicht schaden«, sagte er schließlich. »Du hast ganz recht: Es geht mich nichts an. Aber denk über das nach, was ich gesagt habe, und tu, was du für das Beste hältst. Wenn er das Mädchen gequält hat, dann sorg dafür, dass er damit aufhört.«

»Das ist es nicht«, sagte sie. »Geoff würde niemals jemanden quälen. Er ist sehr feinfühlig.«

»Das weiß ich, Madeleine«, beruhigte er sie.

Er sah, dass sie sich unsicher die Lippen befeuchtete. »Das Problem ist«, sagte sie, »dass Geoffrey nicht ... nicht ganz in Ordnung ist.«

»Was?« Auf ihn wirkte der Junge gesund und stark wie ein Pferd. »Madeleine, mit Geoffrey ist alles in Ordnung.«

»Nein«, widersprach sie. »Es ... es ist nur etwas, was man nicht auf den ersten Blick bemerkt.«

»Madeleine, rede dem Jungen nichts ein.«

Sie schürzte für einen Moment die Lippen und in ihren Augen spiegelte sich ihr Kummer wider. »Oh, du kannst das doch überhaupt nicht verstehen!«

»Bevor du das entscheidest, gestatte mir, im Zweifel für den Angeklagten zu sprechen, Madeleine.«

»Ich bin eine gute Mutter, Merrick«, erwiderte sie indigniert. »Und ich kenne meinen Sohn. Ich habe ihm mein ganzes Leben gewidmet. Und ich weiß, dass etwas nicht in Ordnung ist, und dass es schlimmer wird.«

»Es tut mir leid«, sagte er. »Du hast recht. Ich kenne den Jungen kaum. Sag mir, was mit ihm ist, und ich werde zuhören.«

Plötzlich wurde ihr Gesichtsausdruck sturer Entschlossenheit zu einem voller Unsicherheit. »Es ist nur, dass Geoff sich Dinge einbildet und dass er seltsame Gedanken hat.« Madeleine war blass geworden. »Und er leidet an Schwermut, sein Zustand ist oft sehr ernst. Das ist der Grund dafür, dass wir nach London gekommen sind. Ich bin nicht zurückgekommen, damit wir uns streiten können, Merrick. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass wir uns je wiedersehen. Ich habe nur verzweifelt versucht, jemanden zu finden, der meinem Sohn helfen kann, aber ... aber in dieser Beziehung habe ich versagt.«

Es hätte keinen ungeeigneteren Zeitpunkt für seine Hüfte geben können, sich zu krampfen. Doch die Ausfallschritte, die der Walzer erforderte, forderten ihren Preis. Der Schmerz kam plötzlich und heftig. Madeleine konnte die Veränderung in seinen Bewegungen nicht entgangen sein.

»Merrick?« Ihre Stimme klang scharf. »Was ist los?«

»Ich muss aufhören«, stieß er hervor, ein Eingeständnis, das überflüssig war, weil er bereits stehen geblieben war.

Er führte sie an der Hand von der Tanzfläche. »Ich muss mit dir sprechen, wo wir ungestört sind«, sagte er. »Irgendwo anders als in diesem Ballsaal.«

Es war vielleicht ein Hinweis auf den Grad ihrer Verzweiflung, dass sie zustimmte. »Im gelben Salon?«

Er schloss die Augen gegen den Schmerz und schüttelte den Kopf. »Keine Treppen. Nicht ... für eine Weile.«

Sie nickte und verließ den Saal. Merrick folgte ihr hinaus auf den Korridor und bemühte sich, nicht zu hinken. Gegenüber der Treppe befand sich eine schmale Tür. Keine breite, wie sie zu einem Zimmer führte, in dem Besucher empfangen wurden, sondern eine schmale, ganz gewöhnliche. Madeleine öffnete sie. Dahinter verbarg sich eine kleine Kammer, mit Geschirrschränken an den Wänden und einem schlichten Arbeitstisch mit vier rustikalen Stühlen in der Mitte. Es gab keine Fenster, aber in der Nähe des Tisches brannte ein Wandleuchter, und auf den Abstellflächen der Schränke stand das Geschirr, das beim Abendessen benutzt worden war, aufgetürmt zu ordentlichen Stapeln, bereits abgewaschen, getrocknet und bereit, weggeschlossen zu werden.

Madeleine betrat das Zimmer und zog zwei Stühle zu sich heran. »Ich denke, du solltest dich setzen«, sagte sie.

Merrick widersprach nicht. Er stützte sich mit der Hand auf dem Tisch ab und setzte sich. Die Erleichterung kam sofort. Madeleine ging zur Tür, drehte den Schlüssel im Schloss herum und kehrte zu Merrick zurück. Dann saßen sie sich gegenüber, in dem schmalen Raum waren ihre Knie nur Zentimeter voneinander entfernt.

»Mit meinem Bein ist es selten so schlimm«, begann er. »Aber manchmal packt es mich. Ich entschuldige mich dafür.«

»Du tanzt nicht oft.« Es war keine Frage.

»Es sieht so aus, nicht wahr?« Er lächelte bedauernd. »Nein, fast nie. Meine Art zu leben erfordert das nicht.«

Sie sah ihn ernst an. »Welche Art Leben ist das, Merrick? Ich - ich bin einfach neugierig, verstehst du.«

Er schwieg für einen Moment. »Es ist die Art von Leben, die zu führen ich immer erwartet habe«, sagte er schließlich. »Mehr oder weniger. Es ist ein Leben voller Arbeit und Pflichten, kein Leben mit gesellschaftlichen Verpflichtungen - oder nur sehr seltenen jedenfalls.«

»Ich verstehe.« Sie schwieg, als hoffte sie, er würde noch mehr sagen. Er tat es nicht.

Sie sah sich nervös um und verschränkte die Hände in ihrem Schoß. »Vielleicht sollten wir nicht hier sein.«

»Wir sind inzwischen wohl kaum mehr die zwei jungen Unschuldigen, Maddie«, sagte er. »Außerdem - was würden sie tun, wenn sie uns erwischen? Uns zwingen, zu heiraten?«

Sie lachte nervös auf, aber es klang nicht fröhlich. Ein lastendes Schweigen senkte sich über das kleine Zimmer.

»Du wolltest mich etwas über Geoff fragen«, erinnerte sie ihn. »Es tut mir leid, dass ich so heftig reagiert habe, aber ich habe dir alles gesagt, was ich weiß. Ich denke, je eher wir London verlassen, desto besser wird es vielleicht für ihn sein. Ich denke, er war ausgeglichener, als wir noch auf dem Lande gewohnt haben.«

»Aber was hast du damit gemeint, Madeleine, als du von Schwermut gesprochen hast?«, drängte er sie behutsam. »Ist er manchmal einfach nur unglücklich? In einem gewissen Alter leiden Jungen unter Stimmungsschwankungen.«

Sie erwiderte seinen Blick, ihre Augen waren groß und offen. »Das weiß ich, Merrick«, sagte sie. »Aber das ist eine Traurigkeit, die über das hinausgeht. Und es ist so schwer zu erklären. Er scheint zu denken, dass er - nun, dass er dafür verantwortlich ist. Für alles, scheint es manchmal.«

Merrick klopfte einen Augenblick lang mit den Fingern auf den Tisch. »Nenn mir ein Beispiel«, sagte er.

Madeleine wandte den Blick ab. »Nun - dieser arme Mr. Chutley«, sagte sie. »Geoff scheint es sich in den Kopf gesetzt zu haben, dass ihm irgendwie die Schuld an dessen Tod zu geben ist.«

»Guter Gott!«, sagte Merrick. »Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein! Wenn überhaupt, so hat er mich davor bewahrt, eine Kugel in den Kopf zu bekommen.«

»Genau das habe ich ihm zu sagen versucht«, erklärte sie. »Wohlgemerkt, er hat es nicht direkt gesagt, dass er sich verantwortlich fühlt. Es ist eben nur, weil ich weiß, wie sein Verstand arbeitet. Ich habe es wieder und wieder gesehen. Und ... nun ja, er weint. Sehr oft - obwohl er es zu verbergen sucht. Merrick, weißt du, wie demütigend es für einen zwölf Jahre alten Jungen ist, zu weinen? Es ist eine Schwäche, die ihn beschämt.«

Merrick sagte nichts. Er wusste gut, wie es für einen zweiundzwanzig Jahre alten Mann war, zu weinen. Er würde nicht zu schnell damit sein, zu sagen, dass es den armen Geoff beschämte. Und der Junge würde bald genug lernen, dass seine Tränen ihm keinen Trost brachten.

»Sehnt er sich nach jemandem?«, fragte er. »Vielleicht nach seinem Vater?«

Madeleine zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. Eine Locke ihres blonden Haars löste sich aus ihrer Frisur und fiel ihr bis auf die nackte Schulter. »Sie standen sich nicht übermäßig nah«, sagte sie und hielt noch immer ihre Hände im Schoß verschränkt. »Mein verstorbener Mann war sehr mit seiner Forschungsarbeit beschäftigt. Geoff und sein Halbbruder Alvin mochten sich, aber Geoff war schon in Yorkshire so wie jetzt. Genau genommen zeigte er diese Anzeichen schon als kleiner Junge in Italien. Ich habe immer gewusst, dass Geoff ... anders ist. Ich dachte, er würde sozusagen herauswachsen, aber es wurde nicht besser. Im Gegenteil - es wurde schlimmer.«

Merrick war verwirrt. Er glaubte ihr. Sicher, Madeleine mochte den Jungen ein bisschen zu sehr verhätscheln, aber das löste nicht die Dinge aus, die sie beschrieb. »Er macht auf mich einfach nicht den Eindruck eines übermäßig emotionalen Jungen«, bemerkte er.

Aber was zur Hölle wusste er denn schon? Er hatte in seinen ganzen fünfunddreißig Lebensjahren nur ein Kind gekannt.

»Was hat er zu dem Mädchen gesagt?«, fragte er. »Wenn du es mir sagen willst.«

Madeleine zuckte leicht mit den Schulter. »Es war nichts, wirklich«, sagte sie. »Vermutlich wollte er sie nur necken? Sie haben Karten gespielt, und er hat plötzlich etwas über ihren Vater gesagt ... dass er tot sei. Er hat das sicherlich nur als Scherz gemeint, aber es hat eben nicht so geklungen. Seitdem ist er wütend auf sich selbst.«

»Kinder haben seltsame Gedanken«, erwiderte Merrick. »Alasdair und ich haben mehr als eine Abreibung dafür bekommen, Dinge gesagt zu haben, die wir lustig fanden, die für unsere Mutter aber nicht annähernd so unterhaltsam waren.«

Der Schmerz in seinem Bein war jetzt fort, aber da war noch ein seltsamer Schmerz in seinem Herzen. Er empfand Mitleid mit Madeleine. Trotz alledem, was die Jahre gebracht hatten, trotz der Art, wie sie ihn verlassen hatte, schien es, dass er ihr nicht länger Böses wünschte. Und ganz gewiss wünschte er dem Jungen nichts Böses. Er mochte Geoff. Sie teilten so viele derselben Interessen. Bisher hatte er für Kinder nichts übrig gehabt.

Er nahm ihre Hand und beugte sich vor. »Maddie, es tut mir sehr leid«, sagte er und rieb ihre Hand leicht in seiner. »Ich würde dir nie wünschen, unglücklich zu sein. Es gab vielleicht eine Zeit, als ich dachte, ich würde es tun. Doch jetzt, da ich dich so sehe, weiß ich, dass mir das keine Freude macht. Aber ich weiß verdammt noch mal nicht, wie ich dem Jungen helfen könnte. Falls du irgendetwas weißt - egal was -, du musst es mich nur wissen lassen.«

»Es gibt nichts«, sagte sie niedergeschlagen. »Und du bist nicht für Geoff verantwortlich.«

Er lächelte leicht. »Nun, wie dem auch sei - du musst nur fragen.«

Sie presste die Lippen zusammen, als versuchte sie, nicht zu weinen. Es brach ihm fast das Herz. Es war Zeit, dieses enge Zimmer zu verlassen, bevor er noch etwas unglaublich Dummes tun würde. Wenn er für Geoff nicht verantwortlich war, dann war er es für Madeleine weiß Gott erst recht nicht. Er stand auf, hielt noch immer ihre Hände und zog sie leicht auf die Füße.

»Ich denke, ich werde jetzt nach Hause fahren«, murmelte sie. »Ich werde mich nur noch von Helene verabschieden.«

»Ich werde auch bald aufbrechen«, sagte er. »Ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt hergekommen bin.«

Er drückte noch einmal aufmunternd ihre Hände und ließ sie dann los. Madeleine wandte sich ab, um an ihm vorbeizugehen. Ohne darüber nachzudenken, legte er die Hand auf ihre Schulter.

Ihr Blick fuhr zu ihm. Für einen Augenblick standen sie wie erstarrt in der Zeit, und die Jahre zählten nicht mehr. Irgendwie fand er seine Stimme. »Maddie, ich ...« Er schüttelte den Kopf und versuchte es erneut. »Guter Gott, Maddie. Ich wünschte, du wärst nie zurückgekommen!«

Sie schaute noch immer zu ihm hoch und wirkte dabei schrecklich allein. Ihr Porzellanteint schimmerte leicht im Lampenschein. »Und ich wünschte, du wärst heute Abend nicht so nett zu mir gewesen«, erwiderte sie. »Irgendwie, Merrick, ist es leichter, dich aus der Ferne zu hassen.«

»Verdammt«, murmelte er. Plötzlich wünschte er sich, die Welt würde zerbersten.

Ihr unschuldiger Blick hielt seinen noch immer gefangen. »Gott, was haben wir nur angerichtet, Merrick?«

Narr, der er war, ging er einen Schritt auf sie zu. Sie waren nur noch Zentimeter voneinander getrennt. Ihre Augen waren groß, voller Schmerz und Bedauern und einem anderen Gefühl, das er nicht benennen konnte. Schockiert erkannte er, dass er sie wieder küssen wollte, und seltsamerweise spürte er, dass sie sich ihm nicht entziehen würde.

Lieber Gott, es wäre so falsch, so grausam, ihren Kummer auszunutzen! Aber Merrick war noch nie für seine Menschenfreundlichkeit bekannt gewesen. Er hob die Hand und berührte ihr Gesicht. Sie schloss die Augen; ihre Wimpern warfen federleichte Schatten über ihre Wangen. Mit einem atemlosen Laut wandte sie das Gesicht und presste es gegen seine Hand.

»Oh, nicht!«, wisperte sie, und ihre Lippen streiften so leicht wie eine Feder über seinen Daumen. »Oh, Merrick! Bitte!«

Bitte was? O Gott, er würde es bedauern! Aber er sehnte sich danach zu wissen, wie es sein würde, sie wieder zu berühren. Die erlittene Kränkung, das Verlangen und die unbezähmbare Lust wanden sich in seinem Leib wie ein lebendes Tier. Von ihnen getrieben verdrängte Merrick jeden anderen Gedanken und beugte sich über Madeleine, nahm sanft ihren Mund in Besitz.

Es war, als würde eine Öllampe in schwelende Glut geworfen. Hitze und Flammen explodierten, erwachten brüllend zum Leben, verschlangen sie. Ihre Lippen schienen zu schwellen und weicher zu werden unter seinen, als er von ihr kostete, seine Hände und sein Mund waren gierig und drängend. Sie stieß einen hungrigen, verzweifelten Ton aus.

Er hatte Angst, etwas zu sagen. Hatte Angst, aufzuhören, sie zu küssen, aus Furcht, einer von ihnen könnte zur Vernunft kommen. Stattdessen ließ er zu, dass dieser Kuss sie weiter trieb, als er sanft den Saum ihrer Lippen erforschte. Mit einem leisen Stöhnen öffnete sie sich ihm, bog den Kopf zurück und ergab sich. Heiß, begierig tauchte seine Zunge tiefer, ohne sie zu schonen, ohne sie zu warnen. Aber Madeleine zuckte nicht zurück. Dreizehn Jahre gingen in Flammen auf.

Er drängte tiefer hinein, und ein Beben erfasste ihn. Madeleine schmiegte sich an ihn, unmissverständlich, hungrig, als seine Zunge sinnlich an ihrer entlangstrich, als er die Tiefen kostete und eroberte, an die er sich so gut erinnerte. Sie öffnete sich ihm ohne zu zögern. Mochte Gott ihnen beiden beistehen!

In seinen Träumen, wenn er sie geküsst hatte, war es ein fast gewaltsamer Kuss gewesen; als könnte es die Dämonen freilassen, die ihn so viele Jahre beherrscht hatten, wenn er sie hart nahm. Doch dieser Kuss war wütend und wild, voller Bedauern, sinnlich sogar in seiner Traurigkeit. Er schloss die Hände um ihr Gesicht und küsste sie wieder, wandte sein Gesicht, um seinen Mund über ihren zu streifen, während er sich an die heiße Flut ihrer jungen Liebe erinnerte.

Madeleines Augen waren noch immer geschlossen, aber sie erwiderte seine Küsse mit größer werdendem Verlangen. Sie hatte danach gehungert; er spürte es, und sie drängte darauf. Sie presste ihre Brüste an ihn und ließ ihre Hand unter seine Jacke gleiten, unter seine Weste, bis er die Wärme ihrer Hand durch den dünnen Stoff seines Hemdes spüren konnte.

»Maddie«, flüsterte er, und sein Mund hauchte Küsse unter ihr Auge.

Ihre Hand krampfte sich um seinen Jackenaufschlag. »Sag nichts«, wisperte sie. »Sei nur ... o Gott. Hör nicht auf!«

Merrick schloss die Hand um ihre Brust und lauschte mit Befriedigung auf Madeleines leises lustvolles Keuchen. Ganz leicht strich er mit dem Daumen über die Knospe. Madeleine forderte das Schicksal heraus, als sie sich gegen seine Handfläche drängte. Irgendwie schob er den Stoff ihres Kleides von ihrer Schulter um ihre Brust zu enthüllen, so rund und perfekt, dass er seine Knie schwach werden fühlte. Die süße Spitze jedoch war noch vor seinem Blick verborgen. Er zerrte an dem Kleid und wurde belohnt.

Sie stieß einen Schrei der Lust aus, als sein Mund sie bedeckte. »O Gott«, hauchte sie.

Bei ihren Worten rauschte das Blut in seine Lenden. Ihre Knospe wurde zwischen seinen Lippen hart wie eine kostbare Perle. Wieder und wieder saugte er daran, umschloss er sie mit der Wärme seines Mundes. Madeleine lehnte sich gegen die Wand, bot sich ihm dar. Es war die totale Kapitulation.

Er würde ihr geben, worum sie ihn anflehte - hier und jetzt, in dieser kleinen Kammer, und zum Teufel mit den Konsequenzen. Merricks Hände glitten herunter, umfassten durch die glatte Seide ihres Kleides die Rundung ihres Pos. Sie stöhnte leise, als er sie streichelte. Er hob sie hoch und presste sie an sich, ließ sie das drängende Begehren seines Körpers spüren.

Madeleine ließ den Kopf in den Nacken fallen, ihr Mund war geöffnet, ihr Atem ging schnell und flach. »Oh«, wisperte sie. »O Gott, Merrick, bitte ...«

Merrick spürte ihren Körper schwach werden, als sie sich in seine Hände und gegen seinen Körper schmiegte. Sie zitterte jetzt vor Lust, so absolut war ihre Kapitulation. Die würdevolle, perfekte kleine Madeleine - sie tat nicht einmal so, als würde sie sich zurückzuziehen. So war es immer gewesen. Madeleine hatte ihn immer begehrt, körperlich zumindest, und sie hatte nie die Gabe besessen, etwas anderes vorzugeben.

Halbherzig versuchte er, über das Für und Wider dieser Sache nachzudenken. Sie war verwitwet. Sie musste einsam sein. Sie würde ihm vielleicht nie vergeben.

Und wenn er sie jetzt nicht nehmen würde, würde er sich selbst niemals vergeben.

Seine Ungeduld, sein Mangel an Selbstbeherrschung, wenn es um Maddie ging, waren es in erster Linie gewesen, was sie dazu gebracht hatte, nach Gretna Green zu fahren. Es war nicht der schnelle, harte Akt der Vereinigung, den er von ihr gewollt hatte. Aber jetzt, in diesem Moment, war es das, wonach sein Körper verlangte. Es musste so sein.

Ihre Hand hatte sich unter sein Hemd geschoben, und ihre Fingernägel gruben sich in seinen Rücken, bettelten ihn an. Die Vernunft verließ ihn, und er begann, ihre Röcke hochzuschieben.

Madeleine erbebte in seiner Umarmung, als seine Hand um ihren nackten Po glitt. Sie öffnete die Augen, in denen die Flamme der Lust brannte, aber in denen auch noch Fragen zu lesen waren. Ihre Handflächen pressten sich gegen seine Schultern, aber es war eine halbherzige Abwehr. »O Gott«, wisperte sie. »Was tun wir?«

»Was wir tun müssen«, murmelte er und presste seinen Mund an ihre Kehle.

Madeleine wusste, dass sie sich ihm widersetzen musste, aber sie konnte sich nicht mehr erinnern, warum. Seit so langer Zeit hatte ihr Körper sich nach dem hier gesehnt. Sie wollte sich dieser Sehnsucht ergeben. Wollte diesen langsamen süßen Schmerz spüren, der sich in ihrem Schoß sammelte. Seine Hände waren heiß und fordernd, sein Körper stark. Sie ließ den Kopf gegen seine Schulter sinken und küsste ihn in die Schulterbeuge.

Der Duft seiner Männlichkeit mischte sich mit dem seines Rasierwassers und hüllte sie wie in einer Wolke ein. Sie hörte wie im Nebel, wie Stoff zerriss, und sie fragte sich, welcher unbekümmerte Narr ein derartiges Risiko eingehen würde. Aber es war genau dieses Risiko, das sie so übermütig machte. Das Risiko eines Skandals. Das Risiko, überrascht zu werden. Und vielleicht das Risiko, wieder ihr Herz zu verlieren.

Sie küsste seinen Hals und arbeitete sich hinauf zu seinem Kinn. Merricks Atem ging rau, als seine Hand sich zwischen ihre Körper schob. Seine warmen geschickten Finger glitten über ihren Bauch und noch tiefer. Zwei Finger reizten ihren Schoß, glitten mit jedem sanften Streicheln tiefer hinein in die Hitze. Sein Atem streifte warm ihre Kehle. Guter Gott, sie musste ihn haben!

Schamlos ritt Madeleine auf seiner Hand. Als wollte er alle Lust aus ihr herausziehen, wurde sein Streicheln leichter, und sein Mund kehrte zu ihrer Brust zurück.

»Ohh«, wisperte sie. Es war ein Flehen. Es war ihre Niederlage.

Sein Mund kehrte mit neuem Drängen zu ihrem zurück, seine Hände streichelten ihren Körper fast verzweifelt, als seine Zunge wieder und wieder mit hungrigen Stößen in ihren Mund eindrang. Sein Mund glitt über ihre Kehle, und Madeleine hörte sich ihn um etwas anflehen; etwas Süßes und Langerinnertes.

Merrick drängte sie fort von der Wand. Madeleine spürte die Tischkante an ihren Beinen. Das flackernde Lampenlicht hüllte die Kammer in ein warmes goldenes Licht, das sie unausweichlich tiefer zog. Sie ließ ihre Hände wieder unter seine Jacke gleiten, hinauf über die harten Muskeln seines Rückens. Die Wärme seines Körpers umgab sie wie eine Hülle.

Ich mache mich wieder zur Närrin, dachte sie verschwommen. Seine Finger streichelten sich tiefer in ihren Schoß, reizten ihren empfindsamsten Punkt und ließen sie zitternd zurück. Er will nur das Eine. Aber der Gedanke störte sie nicht. Denn auch sie wollte nur das.

Merrick atmete schwer. Ihre Brüste warteten entblößt auf seine Berührung. Er umschloss sie mit den Händen, strich mit den Daumen leicht über ihre harten, sich sehnenden Spitzen. Das Licht des Wandleuchters war genug, die Intensität zu zeigen, die in seinen Augen brannte. »Madeleine«, sagte er rau. »Lieber Gott, Maddie!«

Er beugte sich über sie und ließ eine Hand wieder auf ihre Hüfte gleiten. Ein wenig grob drückte er sie herunter auf den Tisch. Er stand zwischen ihren Beinen, eine Hand unter ihren hochgeschobenen Röcken, während seine Augen sich an ihr satt aßen, an ihrem Gesicht, ihrer Kehle, ihren nackten Brüsten. Die Tischplatte unter ihr fühlte sich hart und kühl an. Das warme Gewicht seiner Hand unter ihren Röcken, das Streicheln zwischen ihren Beinen trieb ihr Verlangen zu einer fiebrigen Steigung.

»Oh, Merrick!« Ihr Kopf fiel zurück auf den Tisch, und ihr Körper bog sich hart gegen seine Hand. »Merrick, bitte! Bitte!«

»Bitte was, meine Liebe?« Er keuchte die Worte heraus. »Sag es mir.«

Sie richtete sich auf und streckte die Hände nach ihm aus. Er kniete sich auf sein kräftigeres Bein und folgte ihr auf den Tisch, stieg auf sie. Er nahm wieder ihren Mund in Besitz, stützte sich über sie, küsste sie tief. »Was?«, fragte er. »Was willst du, Maddie, Liebes?«

»Dich. In mir.« Ihre Hände glitten zu seinen Hosen, streichelten gierig die harte Schwellung, das Versprechen irdischer Freuden. »Jetzt.«

Er stöhnte und ließ seinen Körper gegen ihren sinken. Ungeduldig ließ sie die Hand tiefer gleiten, fand einen Knopf, und öffnete ihn. Ein weiterer und noch einer folgten. Seine kraftvolle Erektion sprang hervor, als sie mit einer Hand die Hose beiseite schob. Verlangend schloss sie die Hand um den heißen Schaft.

Er löste seinen Mund von ihrem und fluchte leise. »Du wirst es nicht bereuen?«, keuchte er. »Du wirst nicht mir die Schuld geben?«

Sie schüttelte den Kopf, ihr Haar glitt über den Tisch. »Nein«, wisperte sie. »Bitte. Nur dieses eine Mal.«

Merrick stützte sich auf eine Hand, erhob sich und schob sein Hemd zur Seite. Sie konnte seine pralle Männlichkeit sehen. Mein Gott! Sie hatte fast vergessen, wie großzügig die Natur ihn ausgestattet hatte. Madeleine stemmte einen Fuß gegen den Tisch, schlang ihr anderes Bein um seine Taille und zog ihn an sich.

Sie fühlte, wie sein hartes Glied ihre pochende Mitte erforschte und dann die warme Feuchtigkeit ihrer Lust berührte. Gierig bog Madeleine ihm die Hüften entgegen. Noch ein glühender Zentimeter, und er war in ihr. O Gott! Es fühlte sich so gut an, ihn in sich zu spüren! Erfüllt zu werden fast über das Erträgliche hinaus. Sich zu weigern, vernünftig zu sein.

Drängend zog sie ihn zu sich herunter, zog sie ihn tiefer in sich hinein und presste ihren Körper an seinen. Merricks Atem beschleunigte sich. Noch immer spürte sie Sehnsucht. Da war ein Schrei, ein rauer Ton in ihrer Stimme. »Mehr«, bettelte sie. »Merrick, lass mich ...«

Er hob die Hüften und stieß mit einem triumphierenden Stöhnen tief in sie hinein. Madeleine fühlte bei der plötzlichen Invasion ihren Körper zucken, und dann war es keine Invasion mehr, sondern nur noch süße Qual. Begierig drängte sie sich ihm entgegen.

»Heiliger Gott, Maddie«, stöhnte er, als er sich mit beiden Hände auf den Tisch stützte. Langsam begann er, sie zu reiten. Seine pulsierende Lanze entzündete eine Flamme der Lust. Oh, sie war so nah ... Noch ein, zwei Stöße, und sie wand sich seufzend unter ihm. Merrick stieß tiefer in sie, seine Bewegungen waren vollkommen, seine Härte köstlich, während sein Körper ihren Hunger stillte.

Plötzlich versteifte sich jeder seiner Muskeln, und sein Gesicht erstarrte. Er zog sich zurück, bevor er zu einem letzten süßen Stoß tief in sie eindrang. Seine Kehle arbeitete lautlos, die Sehnen seines Nackens spannten sich an, als seine Wärme tief in sie flutete. Und dann folgte sie ihm, der kleine Raum schien vor Lust und Licht zu bersten. Merrick verschloss ihren Mund mit seinem Kuss und trank ihren Schrei der Erfüllung.

Als sie wieder zur Besinnung kamen, war er noch immer über sie gebeugt, hielt er sie noch immer fest an sich gepresst. Er küsste sie wieder, tief und voller Sehnsucht, als könnte er es nicht ertragen, sie loszulassen. Für einen langen Moment hielten sie sich schweigend umschlungen. »Großer Gott!«, sagte er, als sein Atem wieder ruhiger ging.

Als Madeleine langsam in die Realität zurückkehrte, dachte sie vage daran, dass sie dies hier bedauern würde. Aber genau jetzt schien das Risiko es wert gewesen zu sein.

Merricks Blick war reuevoll, als er sich schließlich von ihr erhob. »Es wird verdammt hart werden, Maddie, so zu tun, als wäre das hier nicht geschehen.«

Sie wusste nichts darauf zu sagen. Ihr dämmerte langsam, welch schreckliches Risiko sie eingegangen waren. Ihre Hand glitt zu ihrem Ärmel und begann, ihn wieder an seinen Platz zu ziehen. »Es war nur dieses Mal, Merrick«, erinnerte sie ihn. »Das war es, was wir gesagt hatten, nicht wahr? Ich - ich werde schon bald fortgehen, und ... und dann können wir wieder vergessen. Wir können vergessen, dass dies jemals geschehen ist, wenn du es wünschst.«

Merrick richtete sich auf und erhob sich. Sanft half er ihr vom Tisch herunter und begann, ihre Kleider zu richten. »Ich würde sagen, es wird so sein«, stimmte er ruhig zu, aber nicht bereit, ihren Blick zu halten. »Ich würde meinen, wir beide sollten besser morgen darüber nachdenken, Maddie.«

Sie fühlte, wie ihr Gesicht errötete. »Ob man uns vermisst hat, was meinst du?«

Er zuckte mit den Schultern. »Höchstwahrscheinlich«, sagte er. »Vermutlich ... vermutlich gehst du am besten in den Ballsaal zurück. Ohne mich.«

Irgendwie fand Madeleine die Geistesgegenwart, zu nicken. Sie sah ihm zu, wie er sein Hemd zurück in seine Hosen steckte. »Sind wir verrückt, Merrick?«, wisperte sie. »Haben wir denn damals nichts gelernt?«

Merrick ließ die Hände sinken und trat zur Seite. »Oh, ich habe sehr viel gelernt«, sagte er.

Er beugte sich herunter und hob den Schal aus gestrickter Spitze auf, der ihr von den Armen geglitten war. »Hier. Leg ihn wieder um. Jetzt geh - ohne mich.«

Geh ohne mich.

Guter Gott, war das nicht genau das, was sie getan hatte? Und es hatte ihr keine Freude gebracht. Aber dies hier - diese schnelle, verzweifelte Vereinigung ihrer Körper und ihrer Seelen - brachte ihr Herz zum Flattern.

Madeleine legte sich den Schal um, wobei sie überrascht feststellte, dass ihre Hände zitterten. Merrick sah aus, als wäre er wütend auf sich und vielleicht auch auf sie. Wenn ihr Zusammensein ein Fehler gewesen war, ja, dann war er das wert gewesen. Und der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ vermuten, dass es ihr Herz für eine sehr lange Zeit würde wärmen müssen.

Mit einem letzten unsicheren Blick wandte sie sich ab und verließ die kleine Kammer.