Kapitel 4
Heirate nie des Geldes wegen,
du kannst es billiger leihen.
Madeleine eilte in blinder Panik durch das Dorf. Nach Hause. Sie musste nach Hause. Das war doch Wahnsinn! Das war nicht möglich! An der nächsten Ecke stieß sie fast mit einem Gentleman zusammen, der aus dem Tabakwarenladen kam, und sich gezwungen sah, vom Bürgersteig herunterzugehen. Ein Stück weiter die Straße entlang rief ihr Mrs. Beck von der Poststation ein fröhliches Hallo zu. Madeleine sah die Frau starr an und lief weiter.
Nach Hause. Sie musste irgendwie nach Hause. Ihr Blick suchte verzweifelt nach ihrer Straße, und als sie sie entdeckte, lief sie darauf zu. Das kleine Cottage aus Stein stand am Ende des Weges, fest und unerschütterlich. Sie lief darauf zu und sah dabei aus, das wurde ihr später bewusst, wie eine Wahnsinnige. Sie warf sich gegen die Tür - was ihre Frisur veranlasste, sich endgültig aufzulösen -, riss den Riegel nach oben, lief ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu.
Mrs. Drexel, die Haushälterin, kam aus dem Wohnzimmer. Sie trug ein Tablett in den Händen. »Guten Tag, Mylady!«, sagte sie leicht überrascht. »Ist ... stimmt etwas nicht?«
»Eliza«, stieß Madeleine hervor und rang nach Atem. »Ich brauche Eliza. Wo ist
sie?«
Die Frau knickste. »Mit Clara in der Küche. Ich werde sie sofort hochschicken.«
Madeleine ging hinauf in ihr Zimmer und zog die Vorhänge zurück, um auf die schmale Straße hinauszusehen. Ihr Blick suchte sie ab, entdeckte aber nichts. Wie dumm sie doch war, überhaupt nachzusehen! Hatte sie wirklich geglaubt, er wäre ihr gefolgt? Wenn er sich nicht vor fast dreizehn Jahren diese Mühe gemacht hatte, warum sollte er das jetzt tun?
Vielleicht wurde sie tatsächlich verrückt. Vielleicht hatte Merrick - oder der Gedanke an ihn - letztendlich dazu geführt, sie völlig den Verstand verlieren zu lassen.
Ihre Zofe betrat das Zimmer, durchquerte es und berührte sie leicht an der Schulter. »Mylady, was ist geschehen? Was haben Sie denn?«
»Oh, Eliza!« Madeleine ließ die Vorhänge zurückfallen und wandte sich um, die Fingerspitzen auf die Lippen gedrückt. »Oh du lieber Gott! Er ist es.«
»Wer, Mylady?« Elizas Hand war warm und tröstlich. »So schlimm kann doch gar nichts sein.«
»Doch.« Das Wort klang tief und verzweifelt. »Er ... er ist zurückgekommen. Nach all diesen Jahren ist er zurückgekommen.«
Eliza spannte sich abrupt an. »Mr. MacLachlan?«, flüsterte sie. »Sprechen Sie von ihm?«
Madeleine nickte.
»Jesus Maria und Josef!«, wisperte Eliza. Dann, als müsste sie darauf achten, was sie sagte, drückte sie aufmunternd Madeleines Schulter. »Vielleicht, Mylady, haben Sie es sich nur eingebildet? Vielleicht haben Sie ... einen Verwandten von ihm gesehen? Jemanden, der ihm ähnlich sieht? Es gab doch einen Bruder, haben Sie einmal gesagt.«
»Sir Alasdair.« Madeleine schüttelte den Kopf. »Aber sie sehen sich überhaupt nicht ähnlich.«
Sie ging zum Bett und setzte sich, müde und geschlagen. Mit knappen Worten und fast emotionslos berichtete sie ihrer Zofe, was geschehen war. »Und somit ist er, wie es aussieht, der Mann, der all diese großen Häuser gebaut hat«, schloss sie. »Oder ihm gehört die Firma, die sie gebaut hat. Oder irgendetwas in der Art. Es scheint, er ist doch nicht nach Schottland zurückgegangen.«
»Lieber Gott!«, sagte Eliza. »Und er hat behauptet, Sie seien seine Frau? So eine Frechheit!«
»Warum sagt er das, Eliza?« Sie sah ihre Zofe flehend an. »Warum sagt er das nach all diesen Jahren?«
»Nun, ich weiß es nicht!«, entgegnete die Zofe. »Vielleicht weil er es so sieht?«
»Wie könnte er das?«, rief Madeleine. »Er - er wollte doch seine Freiheit haben! Und auf jeden Fall wollte er Dads Geld. Nein, mich hat er nie gewollt. Nicht wirklich. Oh Eliza, es ist zu schrecklich! Ich habe gedacht, nach Bessetts Tod könnte ich ein Leben in Frieden führen. Ist das denn zu viel verlangt, Eliza? Ist es das?«
Eliza nahm ihre Hand und drückte sie tröstend. »Es ist schrecklich, Ma'am, das ist wohl wahr«, sagte sie. »Aber vielleicht ist damit ja jetzt alles vorüber. Vielleicht werden Sie ihn nie wiedersehen.«
»Oh, ich bete darum, dass es so ist!« Madeleines Schultern sackten herunter. »Er sieht - oh, Eliza, er sieht ... so anders aus. So finster, fast dämonisch. Seine Hände sind so groß, und seine Augen! So kalt! Und dann ist da diese Narbe, eine ganz schreckliche Narbe, oh, ich kann es gar nicht erklären. Er sieht aus wie er, und doch ganz verändert. Macht das irgendeinen Sinn?«
»Ich glaube, ich verstehe es«, sagte Eliza und begann, die Kissen des Bettes aufzuschütteln. »Die Bösen altern schneller, oder so ähnlich sagt man doch.«
Madeleine sah sie zweifelnd an. »Das habe ich noch nie gehört.«
Eliza lächelte sie an und wechselte das Thema. »Ihre neue Freundin, Lady Treyhern, wollte Sie besuchen, während Sie fort waren.«
»Tatsächlich? Nun, ich hatte nicht erwartet ...«
»Sie hat Sie gebeten, am Sonnabend zum Tee zu ihr zu kommen. Und sie möchte, dass Sie Mr. Geoffrey mitbringen.«
»Du meine Güte!« Madeleine presste die Fingerspitzen an ihre Schläfe. »Geoff. Wo ist er?«
»Er hat das Haus gegen zwei Uhr verlassen, um spazieren zu gehen, Mylady«, sagte Eliza. »Er schien wieder glücklich und ganz eins mit sich zu sein. Sie haben doch nichts
dagegen, oder?«
Irgendwie brachte Madeleine die Energie auf, den Kopf zu schütteln. »Die Bewegung tut ihm gut«, sagte sie ruhig. »Dr. Fellows sagt, dass es nicht gut für seine - für seine Stimmungen war, seine Nase immer nur in Bücher zu stecken.«
»Aye, er ist jetzt zwölf, und für sein Alter schon sehr erwachsen«, sagte Eliza. »Im Dorf wird ihm schon nichts Schlimmes widerfahren.«
»Nein, ich glaube auch nicht«, stimmte Madeleine zu. »Ach, Eliza! Dieses Dorf! Jenes Haus! Wie kann ich denn darin leben, wenn ich weiß, dass er hier ist?«
Eliza tätschelte wieder ihre Hand. »Oh, ich bezweifle, dass er Ihnen Ärger machen will, Ma'am«, sagte sie. »Hätte er das gewollt, hätte er das schon vor langer Zeit tun können. Und Sie werden ihm doch nicht begegnen müssen. Nicht wahr, Ma'am?«
»Ich weiß es nicht«, räumte Madeleine ein. »Dieses Dorf ist so klein. Wenn er anfängt, herumzuerzählen, ich sei seine Frau ... Nun, das wäre entsetzlich für mich! Er muss wirklich dazu gebracht werden, damit aufzuhören! Oh, vielleicht sollte ich morgen zu Mr. Rosenberg gehen und ihn darum bitten, den Vertrag einfach zu zerreißen? Vielleicht sollten wir doch nach London ziehen? Würde es Ihnen sehr viel ausmachen, Eliza?«
»Ich denke, es würde Ihnen etwas ausmachen, Mylady«, sagte Eliza besänftigend. »Und ich denke, Sie würden sich über sich selbst ärgern, würden Sie wieder etwas aufgeben, an das Sie Ihr Herz gehängt haben.«
Ein kleines Lächeln huschte um Madeleines Mund. »Sie kennen mich zu gut, Eliza.«
»Ich kenne Sie gut genug«, stimmte das Mädchen zu. »Warum legen Sie sich jetzt nicht für eine Weile hin und ruhen sich aus? Sie haben Kopfschmerzen, das ist noch etwas, das ich weiß. Ich werde gehen und ein kühles Tuch für Ihre Stirn holen und die Vorhänge zuziehen. Sie werden noch früh genug darüber nachdenken, was zu tun ist - und dann wehe Mr. MacLachlan.«
Madeleine legte sich aufs Bett, aber sie überließ sich nicht den Tränen. »Nein, ich werde mich nicht von ihm unterkriegen lassen, Eliza«, schwor sie. »Ich liege vielleicht am Boden, aber ich bin weit davon entfernt, mich geschlagen zu geben.«
»Das klingt schon mehr nach Ihnen, Ma'am!«, ermutigte Eliza sie, während sie die Vorhänge schloss. »Sie sind im Recht und er im Unrecht. Sie vermissen Loughton, und Sie hatten einen anstrengenden Morgen mit Mr. Geoffrey. Und dann auch noch das mit Mr. MacLachlan. Das alles verlangt seinen Tribut, Mylady.«
»Aber ich werde mich wieder erholen«, sagte Madeleine entschlossen. »Wenn er mir Ärger machen will, wird er es nicht mehr mit dem sanftmütigen kleinen Mädchen zu tun haben, das er zurückgelassen hat. Ich habe gelernt zu überleben - und ich will verdammt sein, wenn am Ende wieder Merrick MacLachlan der Überlegene sein wird.«
Eliza hatte die Hand schon am Türknauf. »Sind Sie noch sicher, dass Sie Mr. Rosenberg aufsuchen wollen, Ma'am?«, fragte sie und warf einen Blick zurück über die Schulter.
Einen Moment lang dachte Madeleine darüber nach. »Vielleicht nicht, Eliza«, entgegnete sie. »Aber unter Umständen kann Mr. Rosenberg etwas Licht in diese Sache bringen. Es gibt einige Fragen, auf die ich gern eine Antwort hätte.«
Als die Zofe nach kurzer Zeit mit einem kühlen Tuch und einer Tasse Tee zurückkehrte, hatte sich Madeleine die Schuhe ausgezogen und starrte blicklos an die Decke, während sie in Gedanken wieder an das Desaster dachte, das sie am Nachmittag erlebt hatte. Aber dieses Mal wurde sie nicht ohnmächtig. Stattdessen schlug sie Merrick mit der flachen Hand kräftig ins Gesicht und sagte ihm, wie sehr sie ihn in all diesen Jahren gehasst hatte.
Der Tee war wunderbar heiß, und Madeleine merkte schon bald dessen beruhigende Wirkung. Vermutlich hatte Eliza ihn mit einer ihrer speziellen Beigaben versetzt. Madeleine fragte nicht danach, was es war, sondern trank ihn einfach. Nach den schrecklichen Ereignissen dieses Tages war sie es zufrieden, sich einfach Elizas Fürsorge zu überlassen. Und als die Zofe nach einer Weile kam, um nachzuschauen, dass die Vorhänge richtig geschlossen waren, damit kein Lichtschimmer in das Zimmer eindringen konnte, war Madeleine dabei, einzuschlummern.
Sie dachte an Merrick - aber seltsamerweise nicht daran, wie er jetzt war, sondern daran, wie sie ihn einst mit ihren jungen und unschuldigen Augen gesehen hatte. Ihre Liebe für ihn war tief und groß gewesen, eine Liebe, wie Madeleine es niemals für möglich gehalten hatte. Er war ihr unbesiegbar und leidenschaftlich vorgekommen. Hinreißend. Sanft. Und erfahren - zumindest hatte sie das geglaubt. Aber am Ende hatte er sich als ebenso naiv und dumm erwiesen wie sie.
Nein. Nein, das stimmte so nicht. Madeleines Finger gruben sich in ihr Kissen und schlossen sich zur Faust, während sie versuchte, klar zu denken. Sich zu erinnern. Merrick hatte mit ihrer Naivität gespielt. Er hatte vorgegeben, leidenschaftlich und zärtlich zu sein. War das nicht die Wahrheit? War das nicht das, was Dad gesagt hatte? Als ihre Müdigkeit stärker wurde, musste Madeleine sich eingestehen, nicht länger sicher zu sein. Keine Gewissheit zu haben, wo der Schleier der süßen Erinnerung endete und wo die harte, grausame Wahrheit begann.
»Sieh doch, Maddie!« Sie spürte die Wärme von Cousine Beckys Lippen, als diese ihr ins Ohr flüsterte. »Der Mann dort - der Architekt - er starrt dich schon wieder an.«
Madeleine richtete sich auf der Picknick-Decke auf und schaute über die weite Wiese. Dort drüben stand er. Der sehr große, schwarzhaarige junge Mann von gestern Abend. Und von einigen Abenden zuvor. Er sah sie so kühn an wie immer, seine eisblauen Augen blickten mit einer Intensität, die sie zu beunruhigen begann. Ihr Puls schlug heftiger Madeleine stützte sich mit einer Hand auf und krallte ihre Finger in das frühlingsgrüne Gras, als könnte sie so ihr Herz davon abhalten, wie verrückt zu pochen.
»Er ist ein Niemand, Madeleine!«, zischte Cousine Imogene. »Der jüngere Sohn irgendeines schottischen Baronets, von dem noch nie jemand etwas gehört hat - und sein Bruder ist ein schrecklicher Schürzenjäger. Schau nicht zu ihm hin, Madeleine, ich bitte dich! Mum sagt, er ist überheblich und hätte niemals hierher eingeladen werden dürfen.«
Becky lachte ihre Schwester aus. »Du bist doch nur eifersüchtig, Imogene, weil er gestern Abend nicht mit dir getanzt hat. Aber mit mir hat er getanzt - und mit Maddie zweimal!«
Imogene reckte die Nase in die Luft. »Maddie ist ja kaum aus dem Schulzimmer heraus«, sagte sie. »Sie weiß es deshalb noch nicht besser. Aber du, du solltest es besser wissen - und ich sage dir, Mr. MacLachlan ist kein Gentleman. Nun, Mum hat gehört, wie er Lord Morton angeboten hat, an der Küste eine Villa für ihn zu bauen - gegen Bezahlung!«
»Ja, und Lord Morton hat diese Gelegenheit beim Schopfe ergriffen, oder etwa nicht? Ich für meinen Teil würde sofort wieder mit ihm tanzen, wenn ich die Gelegenheit dazu hätte«, sagte Becky verträumt. »Er ist ein wahrer Künstler, sagt man.«
»Er ist ein wahrer Habenichts«, erwiderte ihre Schwester und rümpfte die Nase.
»Nun, dann ist er der bestaussehende Habenichts, den ich je gesehen habe«, gab Becky zurück. »Ich glaube, es könnte mir gefallen, mit einem armen, hungerleidendem Künstler zusammenzuleben. Das wäre doch unglaublich romantisch, nicht wahr?«
»Du würdest dann aber auch hungern.« Imogene schnippte zum Nachdruck ihrer Worte mit den Fingern. »Daddy würde dich kurzerhand enterben.«
»Dich aber auch, Imogene.« Becky wandte sich so rasch zu ihrer jüngeren Cousine um, dass ihre Locken flogen. »Maddie, aber du könntest ihn nehmen! Schließlich bist du eine Erbin.«
»Ich - ich weiß nicht.« Madeleine konnte ihre Augen nicht von denen des dunkelhaarigen jungen Mannes losreißen. »Ich fürchte, mein Dad wäre nicht einverstanden.«
»Natürlich wäre er das nicht!«, sagte Imogene schulmeisterhaft. »Schließlich weiß jeder, dass du Lord Henry Winters heiraten sollst.«
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Maddie ruhig.
Imogene sah sie ungeduldig an. »Oh Maddie, sei doch keine Gans!«, sagte sie. »Wie sollte Onkel Howard denn Premierminister werden, wenn du Lord Henry nicht heiratest?«
»Ich sehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat«, erwiderte sie.
»Das ist, wie Politik funktioniert, du Schäfchen«, erklärte ihr Imogene herablassend. »Du heiratest Henry, und Henrys Vater und seine konservative Partei wird sich dann mit Onkel Howards Freunden zusammenschließen, und dadurch wird Onkel Howard eine Mehrheit im ...«
»Sei still, Imogene!« Becky streckte die Hand aus und zwickte ihre Schwester in den Arm. »Du irrst dich. Onkel Howard würde Maddie niemals auf solche Weise benutzen.«
»Aber so funktioniert die Welt«, tadelte Imogene. »Ehrlich, Becky, man könnte meinen, du bist ein ebenso naives Landei wie Madeleine.«
Aber Madeleine hörte ihren beiden Cousinen kaum noch zu. Der dunkelhaarige junge Mann - Mr. Merrick MacLachlan - kam auf sie zu, ging mit entschlossenen Schritten über die Wiese. Der brennende Blick seiner blauen Augen ließ sie dabei nicht einem Moment lang los. Ihr Herz schlug wie wild, und ihr Magen schien sich umzudrehen. Sie hoffte - o ja, sie hoffte, er würde wieder versuchen, sie zu küssen.
Er beugte sich tief zu ihr herunter und bot ihr seinen Arm an, der stark und verlässlich aussah. Ein goldener Ring funkelte an seinem kleinen Finger. »Lady Madeleine«, sagte er mit seinem leichten schottischen Akzent, »darf ich Sie zu einem Spaziergang am Fluss einladen?«
Madeleine vermochte kaum noch zu atmen. »Nun ... ich ... ich weiß nicht ...« Sie verstummte und schluckte mühsam. Sie hatte ein wenig Angst vor ihm. Und noch mehr vor sich selbst. »Ja, Mr. MacLachlan. Sehr gern.«
Madeleine schaute sich nicht nach Tante Emma um, obwohl sie wusste, dass sie es hätte tun müssen. Sie war sich fast sicher, dass Mr. MacLachlan zu der Sorte Mann gehörte, vor der ihre Tante sie gewarnt hatte.
Er schwieg, als er sie zum Ufer hinunter und dann ein Stück den Fluss entlang führte, bis die Picknickgesellschaft nur noch ein Flimmern aus Geräuschen und Farben zwischen den Bäumen war. Bis der Rhododendron zu einem dichten Gebüsch wurde. Bis die zu ihnen dringenden Stimmen der Picknickgäste und das Murmeln des Wassers sich miteinander verbanden. Dann blieb er stehen und drückte Madeleine gegen einen Baumstamm. Für einen endlos langen Augenblick wanderten seine eisblauen Augen über ihr Gesicht, dann schloss er die Augen, beugte sich zu ihr herunter und küsste sie.
Madeleine fühlte ihre Knie schwach werden, fühlte, wie sich ein faszinierend sinnliches Kribbeln in ihrem Bauch ausbreitete, genau so, wie es gestern Abend gewesen war. Und dann veränderte sich sein Kuss, sein Mund öffnete sich über ihrem, und seine Zunge drang zwischen ihre Lippen, seidig, langsam. Das Gefühl wand sich tiefer, sandte raues Verlangen durch ihren Körper. Sie begann zu zittern, und irgendwie lagen ihre Hände plötzlich auf seinen Schultern. Halbherzig schob sie ihn zurück.
Er hob den Kopf und zog sich zurück.
»Wir könnten ertappt werden«, wisperte sie.
Sein heißer Blick verschlang sie. »Aye, aber das kümmert mich nicht«, entgegnete er rau. »Dich etwa?«
»Ich ... ich möchte meinen Vater nicht erzürnen«, erwiderte sie. »Und diese Art des Küssens - sie ist sündig, nicht wahr?«
»Nicht, wenn wir etwas füreinander empfinden«, flüsterte er.
»Aber Sie kennen mich doch kaum.«
In seinen Augen lag ein beharrliches Funkeln. »Ich kenne dich gut genug«, erwiderte er. »Gut genug, um zu wissen, dass du die Frau für mich bist. Und gut genug, um zu wissen, dass du mich willst.«
»Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie ein wenig zu frech sind, Mr. MacLachlan?«
Der Anflug eines Lächelns legte sich um seinen Mund. »Stört es dich, Mädchen? Sag es frei heraus, und ich werde gehen.«
Unsicher fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Nein. Nein, das kann ich nicht sagen.«
Die schwarzen, faszinierend langen Wimpern senkten sich wieder über seine Augen, und irgendwie küssten sie sich wieder. Leidenschaftlicher. Intensiver. Seine starken Hände glitten über ihren Körper, steigerten ihr Verlangen zu einem scharfen, sehnsüchtigen Schmerz. Ihre Haut glühte, und Madeleine sehnte sich nach ... oh, nach irgendetwas!
Als er aufhörte, konnte sie kaum mehr atmen. »Mr. MacLachlan!«, keuchte sie. »Sie nehmen sich Freiheiten heraus, die Sie sich nicht herausnehmen sollten.«
Er sah sie mit tödlichem Ernst an. »Aye, aber ich habe vor, das.schon bald in Ordnung zu bringen«, schwor er. »Ich will dich heiraten.«
Madeleine versuchte, ihn tadelnd anzusehen. »Sie sind ein schockierend arroganter Mann.«
»Aber nein«, sagte er. »Nur ein sehr entschlossener.«
Sie hob das Kinn. »Und wenn es nicht mein Wunsch ist, Sie zu heiraten?«
»Nun, vielleicht wollen Sie das nicht«, räumte er leise ein. »Weil ich dir nicht mit schönen Worten den Hof mache. Und weil ich wenig zu bieten habe außer der Kraft meiner Muskeln und des Talents meiner Hände. Aber es ist genug von beidem, dir ein Dach über dem Kopf zu geben.«
Sein Ernst beeindruckte sie. »Und das ist alles?«
Er hielt ihrem Blick stand. »Aye, das ist alles«, sagte er, während sein Griff um ihre Schultern sich verstärkte. »Was ist, Mädchen? Reicht das, dich zu gewinnen?«
Sie sah scheu zu ihm hoch. »Ich bin mir nicht ganz sicher, Mr. MacLachlan«, neckte sie ihn. »Vielleicht sollten Sie mich noch einmal küssen und mir helfen, mich zu entscheiden?«
Seine Augen blickten wärmer. »Was ist schon ein Kuss«, sagte er grinsend. »Ich will dich in meinem Bett.«
»Auch eine Ihrer Stärken, nehme ich an?«, murmelte sie. »Oder würde man das eher ein Talent nennen?«
»Du Hexe!«, sagte er und zog sie an seine Brust. »Lass mich in dein Bett und urteile selbst.«
»Ich ... ich traue mich nicht«, wisperte sie.
Etwas in seinen Augen bezwang sie. »Heute Nacht«, sagte er. »Trau dich. Ich werde an dein Fenster kommen.«
»Oh Gott!« Madeleine schloss die Augen. »Mein Vater wird Sie umbringen, wenn er davon erfährt!«
»Dann werde ich als glücklicher Mann sterben«, erwiderte Merrick feierlich. »Ich muss dich sehen! Wir können einfach nur reden, Maddie, wenn das alles ist, was du willst.«
Lieber Gott, das war nicht alles, was sie wollte! »Aber wir werden nicht einfach nur reden«, sagte sie rau. »So ist das nicht mit uns, nicht wahr? Sogar ich weiß das.«
Er zog sie fest an sich. »Ich werde einen Kiesel an die Scheibe werfen. Wirst du mich hereinlassen, Mädchen?«
Madeleine schluckte mühsam und fast wie gegen ihren Willen nickte sie. Und dann küsste er sie wieder, machte sie zittern und weckte ihr Begehren ...
»Wer ist sie, Merrick?«, fragte Wynwood zwei Stunden später. Er hatte den Fuß gegen Merricks Schreibtisch gestemmt und drehte ein Glas mit dunklem, rauchigem Whisky in den Händen. »Oder anders gefragt, wer war sie? Ich habe nie etwas von ihr gehört.«
Merrick stand von seinem Schreibtisch auf und ging zur Anrichte. In seiner Familie und unter seinen engen Freunden war die Jugendsünde seiner überstürzten Heirat nicht gerade ein Geheimnis. Aber wie aus einer stillschweigenden Übereinkunft heraus wurde nie darüber gesprochen.
Merrick wünschte auch jetzt nicht besonders, darüber zu sprechen, aber Wynwood war in eine verdammt unangenehme Situation gebracht worden. Und Wynwood war einige Jahre jünger als er. Und es war gut möglich, dass er nicht wusste, wer Madeleine war, denn Merricks beharrliches Schweigen hatte dafür gesorgt, dass es im Laufe der Jahre kaum Klatsch darüber gegeben hatte. Müßiges Gerede war eine verräterische Sache. Es konnte die Geschäfte eines Mannes auf eine Art und Weise beeinflussen, die unvorhersehbar war.
»Weichst du meiner Frage aus, alter Freund?« Wynwoods Stimme brachte ihn zurück in die Gegenwart. »Tu dir keinen Zwang an, mich zum Teufel zu wünschen. Meine Gefühle sind nicht so leicht zu verletzen.«
Merrick zerrte den Stöpsel aus dem kristallenen Dekanter. »Lady Madeleine Howard«, sagte er scheinbar ruhig, während er sein Glas auffüllte. »Sie ist die Tochter des Earls of Jessup - oder besser gesagt, sie war es.«
Wynwood furchte die Stirn, dann glättete sie sich wieder. »Du meinst diesen alten, stocksteifen Erzkonservativen?«, fragte er. »Man nennt ihn auch ›das Schwert von Sheffield‹, richtig?«
»Aye, weil er seine Feinde rücksichtslos vernichtet«, erwiderte Merrick.
»Dazu kann ich nichts sagen, weil ich mich nicht für politische Intrigen interessiere«, gestand Wynwood. »Aber der Name ist selbst mir bekannt. Ein unangenehmer Zeitgenosse, wie man von allen Seiten hört. Er weilt nicht mehr unter den Lebenden, richtig?«
»Er ist vor einigen Jahren im Schlaf gestorben.«
Und das war ein weitaus gnädigerer Tod als ihn dieser Bastard verdient gehabt hätte. Merrick kehrte zu seinem Stuhl zurück und trank langsam von seinem Whisky. Sehr langsam. Weder Lady Madeleine Howard noch deren aufgeblasener Scheißkerl von Vater waren es wert, eine Flasche edlen Finlaggans herunterzustürzen. Genau genommen waren sie nicht einmal den Zorn und die Lust wert, die seit zwei Stunden in seinem Bauch brannten. Und deshalb hatte er diese Gefühle verdrängt, mit einem scharfen Schnitt, so, wie man einer Schlange den Kopf abschlug: schnell und sauber, damit sie nicht zubiss.
Er fühlte nichts als das sich ausbreitende Brennen des Whiskys und seine übliche Ungeduld, sich etwas anderem zuwenden zu können - seiner nächsten geschäftlichen Verabredung, seinem nächsten Projekt, kurz gesagt, allem, was ihn davon abhalten konnte, sich mit sich selbst beschäftigen zu müssen, allem, was ihn in die Welt des Praktischen und Rationalen zurückbrachte. Aber er konnte wohl kaum seinen Freund auffordern, jetzt zu gehen. Zumal dieser ja eigentlich gekommen war, um Geschäftliches zu besprechen.
Wynwood fuhr fort, nachzubohren, wenn auch zögernd. »Dass du das Mädchen geheiratet hast, war nicht allgemein bekannt, vermute ich?«
Merrick schüttelte den Kopf und starrte in die Tiefen seines Büros. »Wir sind durchgebrannt«, erwiderte er. »Kurz vor dem Ende ihrer ersten Saison. Hat Alasdair dir diese Geschichte nie erzählt?«
»Nein. Hätte er das tun sollen?«
Merrick stieß ein bitteres Lachen aus. »Es war dramatisch, wirklich«, sagte er. »Ich hatte mir Alasdairs Kutsche genommen, und wir sind nach Gretna Green gefahren mit nicht mehr als dreißig Pfund in der Tasche.«
»Zum Teufel!« Wynwoods Stiefelhacken knallten auf den Boden. »Ich habe noch nie jemanden gekannt, der das tatsächlich durchgezogen hat. Wie in Gottes Namen hast du das gemacht?«
Voller Verzweiflung. Voller Leidenschaft. Und mit dem Teufel im Nacken.
»Oh, auf die übliche Weise.« Merrick brachte ein hartes, gedämpftes Lächeln zustande. »Glühende Briefe des Mädchens, übergeben an einen Diener. Zwei Koffer und eine Leiter zum Fenster. Und natürlich eine Flucht um Mitternacht. Kein Durchbrennen wäre komplett, würde man es zu einer vernünftigen Stunde tun, nicht wahr?«
Wynwood grinste. »Und der alte Mann hat euch nicht wieder eingefangen?«
»Nicht schnell genug.«
»Und dann?«
Merrick zog eine Augenbraue hoch. Das war jetzt weit genug gegangen, selbst zwischen Freunden. »Und dann was, Quinn?«, murmelte er. »Alte Geschichten soll man nicht wieder aufwärmen. Wolltest du nicht ein Haus kaufen?«
Wynwood sah ihn seltsam an. »Nun, wenn du ...«
Er wurde von einem lauten Klopfen an der Tür unterbrochen. Phipps, Merricks Butler und Kammerdiener in Personalunion, kam herein. »Eine Miss Bromley ist hier wegen der Verabredung für vier Uhr.«
Eine Frau stand im Schatten hinter Phipps. Sie war von Kopf bis Fuß in schwarze Seide gekleidet und trug einen perlenbesetzten schwarzen Schleier, der ihre Augen verbarg und bis an ihren breiten Mund reichte. Eine kleine Hutschachtel baumelte von einem ihrer Handgelenke, und der Ausschnitt ihres Kleides ließ sehr viel von ihrem cremeweißen Dekollete sehen. Miss Bromley war ganz gewiss nicht gekommen, um über Immobilien zu sprechen.
Wynwood zog dieses Mal beide Augenbrauen hoch und warf Merrick einen abschätzenden Blick zu, während er aufstand. »Ich werde morgen wiederkommen«, sagte er ruhig, »und dich jetzt deiner ... hm, deiner Verabredung überlassen, alter Freund.«
Merrick zuckte gleichmütig mit den Schultern und trank seinen Whisky aus. »Bleib, wenn du willst«, murmelte er. »Ich bin heute großzügig.«
Wynwoods Augen blitzten alarmiert auf. »Ich fürchte, ich habe das aufgegeben, alter Junge.« Er stellte sein Glas mit einem lauten Klirren auf den Schreibtisch. »Ich gehe jetzt besser. Ich werde mit meiner Frau sprechen und morgen wieder vorbeischauen. In Ordnung?«
Phipps hatte sich bereits zurückgezogen. Miss Bromley beobachtete Wynwoods Abgang mit offensichtlichem Amüsement, ihr Mund verzog sich zu einem seltsamen Halblächeln.
»Ihr Freund ist frisch verheiratet, richtig?« Ihre Stimme klang weich und doch irgendwie rau.
Merrick antwortete nicht. »Sie kommen von Mrs. Farnham?«
»Ich bin Bess«, sagte sie und hob den Schleier, um ein Paar kalter, dunkler Augen zu enthüllen. Perfekt, dachte er. Er war nicht in der Stimmung für Wärme. Er war in der Tat sehr froh, dass er Kitty und ihr gutmütiges, fast kindliches Lächeln los war.
Er schloss die Tür ab und durchquerte das Büro. Die Frau folgte ihm in den Salon, den er zum Schlafzimmer umgestaltet hatte, damit er immer in der Nähe seines Büros sein konnte.
Die Arme vor der Brust verschränkt, stand er am Fenster und betrachtete die Frau einen Moment lang. Er hatte ganz vergessen, dass heute Donnerstag war. Sie war schön - wenn ein Mann schwarzhaarige, üppige und selbstsichere Frauen mochte. Er mochte sie, manchmal jedenfalls. Aber heute war er halbwegs versucht, die Frau fortzuschicken. Er war nicht in Stimmung.
Oder war er es doch?
Er dachte wieder an Madeleine und wie es gewesen war, sie nach so vielen leeren Jahren wiederzusehen. Aber was hatte er erwartet? In fast dreizehn Jahren hatte es auch nicht einen Hinweis gegeben, dass diese Frau Reue empfand. Unerklärlicherweise drohte der dunkle, brennende Zorn zurückzukommen, und wie eine aufflackernde Flamme züngelte er durch seine Gedanken.
Bess Bromley schien seinen Zorn zu spüren. Ihre Augen streiften ihn, dunkel und wissend.
Sie war gut einen Kopf kleiner als Madeleine. Ihr Haar war so dunkel wie das Gefieder einer Krähe, ihr Mund dünn und breit; ein scharfer Kontrast zum hellblonden Haar und den vollen Lippen seiner Frau. Genau genommen hätten die beiden sich nicht unähnlicher sein können. Das war gut. Das war in der Tat sogar sehr gut. Er hatte es aufgegeben, mit schönen, langbeinigen Blondinen ins Bett zu gehen, nachdem die ersten zwei, drei Jahre vergangen waren.
Bess Bromley warf Hut und Schleier auf einen Stuhl, und ließ ihre Hutschachtel in die Mitte der schmalen, nachlässig bedeckten Liege fallen, die als sein Bett diente. Die Schachtel landete mit einem dumpfen Aufprall auf der Seite. Der Deckel öffnete sich und eine dünne Lederpeitsche fiel heraus. Es waren noch andere Gegenstände in der Schachtel. Sein rascher Blick registrierte sie. Er war kein Dummkopf; er kannte das Handwerkszeug von Frauen wie ihr.
Als wollte sie ihn ermuntern, ging Bess auf ihn zu. Sie legte einen Arm um seinen Nacken, presste ihre Brüste an seine Brust und streichelte seinen Nacken. Ihr Blick glitt über die Narbe in seinem Gesicht, dann senkte sie die Lider. »Arme kleine Kitty!«, sagte sie in einem rauen Flüstern. »Sie weiß gar nicht, wie man einen Mann wie Sie behandeln muss.«
Merrick schaute auf sie herunter. »Kitty hat es nicht schlecht gemacht.«
Zart wie die Berührung eines Schmetterlings fuhr Bess Bromley mit ihrer Zungenspitze über seine Narbe. »Kitty denkt, Sie würden es hart mögen, MacLachlan«, sagte sie anzüglich. »Hat sie recht damit?«
»Manchmal«, räumte er ein.
Ohne Warnung presste Bess ihren heißen offenen Mund auf seine Kehle und trieb ihre Zähne in seine Haut. Sein Atem stockte bei diesem Schmerz, aber er zuckte nicht zusammen. »Und was ist mit dir, meine Liebe?«, fragte er, packte sie am Po und zog sie an sich. »Magst du es hart?«
Sie antwortete nicht, erschauderte aber in seiner Umarmung.
Als würde sie von ihrem eigenen Willen getrieben, glitt Merricks Hand zu Bess Bromleys Schulter. Der Seidenstoff zerriss, als er ihr das Kleid herunterzerrte. Und warum nicht? Merrick befand sich in einer seltsamen finsteren Stimmung, in der Stimmung, etwas zu zerstören, und wenn das eine nicht in seiner Greifweite war, warum tat es dann nicht auch etwas anderes?
Unter ihrem Kleid trug Bess kein Hemd - und wahrscheinlich auch keine Unterhosen. Ihre nackte Brust wölbte sich aus dem schwarzen Korsett, das in einem altmodischen Stil gearbeitet und so eng geschnürt war, dass es reichte, ihre Atmung zu beeinträchtigen.
Bess schien von seinem Handeln nicht beunruhigt zu sein. Unter seinem Blick richtete ihre Brustwarze sich auf und wurde hart. Der Warzenhof war groß und dunkel. Merrick wandte den Blick ab. Er wünschte, ihre Brüste wären nicht so üppig. Er wünschte, sie wären kleiner, blasser, und dass er mit der Fingerspitze die feinen blauen Äderchen unter ihrer Haut nachzeichnen könnte. Genau genommen wünschte er, sie wäre jemand anders. Der Gedanke diente nur dazu, ihn noch zorniger zu machen.
Abrupt stieß er Bess von sich weg. »Zieh dich aus«, sagte er knapp. »Und leg dich aufs Bett.«
»Und was, wenn ich das nicht tun will?«, flüsterte sie. Ihre Augen funkelten herausfordernd. »Was, wenn Sie mich dazu zwingen müssten?«
Ein höhnisches Lächeln verzog seine Lippen. »Aye, mit deiner kleinen schwarzen Lederpeitsche vielleicht«, schlug er vor. »Ist es das, was du willst, meine Liebe?«
Bess griff nach der Peitsche und zog sie aufreizend, fast sinnlich, über ihre Handfläche, als würde sie jeden Knoten und jede Windung des geflochtenen Stranges genießen. »Kitty sagt, Sie haben Narben.« Die Worte waren nur ein raues Flüstern. »Viele davon. Tiefe, böse Narben.«
»Kitty redet verdammt zu viel.«
Bess fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. »Zieh dich aus«, sagte sie, ihre Augen blickten drängend und gierig. »Ich mag einen Mann, der Narben hat. Lass mich sehen, MacLachlan, wie viel du ertragen kannst.«
Mehr als du in tausend Jahren austeilen könntest, dachte er. Mehr, als menschenmöglich war. Aber er wollte verdammt sein, wenn er mit ihr darüber reden würde. »Ich denke, du hast vergessen, wer hier für seine Dienste bezahlt wird, meine Liebe.«
Sie machte einen Schritt auf ihn zu und verzog ihre grell geschminkten Lippen zu einem Schmollmund. »Armer Mr. MacLachlan«, gurrte sie. »Sie haben es zu lange mit dieser faden, langweiligen Kitty getrieben. Ich kenne Sie. Ich kenne Ihren Typ. Ich weiß, was Sie brauchen. Ich kann die Wut auf Ihrer Haut riechen.«
Er packte sie am Handgelenk und riss sie an sich, dann presste er den Mund auf ihren. Sie hielt noch immer die Peitsche in der Hand, als sie ihre Zunge tief in seinen Mund stieß, sich wieder zurückzog und ihm grausam in die Lippe biss.
Zorn explodierte in seinem Kopf. Er zuckte zurück. »Warte, du kleine Hexe!«
Ihre Augen glitzerten gefährlich. »Das war sehr böse von mir, nicht wahr?«, erwiderte sie. »Du bist wütend.«
Mit dem Handrücken berührte Merrick vorsichtig seine blutende Lippe und machte einen Schritt zurück. »Du hast verdammt recht, ich bin wütend.«
Bess lachte leise. »Sie waren schon in dem Moment wütend, als ich dieses Zimmer betreten habe«, erwiderte sie. »Ich habe Ihnen nur einen Weg geboten, Ihre Wut loszuwerden.«
»Halt den Mund, verdammt noch mal!« Merrick beförderte die Hutschachtel mit einem Fußtritt vom Bett auf den Boden. Bess war näher an der Wahrheit, als er zugeben wollte. »Halt einfach den Mund und zieh dich aus. Ich will es schnell und hart. Und danach verschwindest du von hier.«
Bess Bromley zog langsam den Ärmel ihres schwarzen Kleides herunter. Es enthüllte erst ihre Schulter und dann ihre Brüste, die von den festen Streben ihres Korsetts gehalten wurden. Darunter trug sie nichts als schwarze Strümpfe, die fest ihre schlanken, milchweißen Schenkel umschlossen. Der Kontrast war verwirrend. Erotisch.
Sie wandte sich wieder zu ihm um und lächelte verführerisch. »Ich bin sehr grausam gewesen«, sagte sie wieder. Sie schob ein Knie auf die Matratze, und kroch auf allen vieren langsam auf das Bett, ihr Po so nackt wie an dem Tag, an dem sie geboren worden war. »Ich habe Sie wütend gemacht«, sprach sie weiter und legte sich auf den Bauch.
»Ich fange an zu glauben, du könntest verrückt sein«, bemerkte er.
»Vielleicht bin ich das.« Ihre Augen glitten zu der Peitsche, die aufgerollt wie eine Schlange auf dem Teppich lag. Die Zungenspitze schoss wieder vor, befeuchtete ihre Lippen. »Aber kommen Sie jetzt zu Bess, MacLachlan, und spielen Sie ein kleines Spiel mit ihr. Kommen Sie und geben Sie mir, was ich verdiene«, lockte sie. »Sie werden es genießen.«
»Werde ich das?«
Sie schob die Hand unter ihren Bauch und ließ sie nach unten gleiten. »Oh ja«, sagte sie und schloss die Augen. »Ich kenne Sie. Kommen Sie, jetzt. Machen Sie mich ... oh,
machen Sie mich ...«
Er war schon halb überredet. Vielleicht war es das, was er brauchte. Vielleicht war er voller Dämonen, so wie er sich manchmal fühlte. Aber die Peitsche, nein. Das niemals.
Die Frau auf seinem Bett wand sich jetzt. Gegen seinen Willen glitt seine Hand zu den Knöpfen seiner Hose, zerrte sie auf. Sollte seine Frau verdammt noch mal zur Hölle fahren, diese treulose Hexe. Im nächsten Augenblick stieg er auf das Bett, legte sich über Bess und zwang ihre Beine mit seinem Knie auseinander. Er drang mit einem harten Stoß in sie ein und hielt ihre Pobacken fest zwischen seinen Händen, damit sie seine Invasion duldete.
Bess' Augen weiteten sich überrascht, und sie schrie auf.
Er hörte nicht auf. Seine Dämonen trieben ihn zu der einzigen Sühne, der diese schwarzen Teufel je nachgegeben hatten. Er ließ sich von seiner Wut anstacheln, bis Bess' Fingernägel sich in die wollene Decke krallten, sich tief eingruben, als sie unter ihm zu keuchen und zu stöhnen begann. Gedämpft hörte er sie aufschreien, hörte er sie nach mehr flehen.
Merrick gehorchte ihr. Unter ihm schien sich ihr ganzer Körper anzuspannen. Sie erbebte ein-, zweimal und sank auf dem Bett zusammen. Dann fühlte er es kommen. Diese absolute Benommenheit. Den körperlichen Zusammenbruch und die sinnlose schwarze Leere. Die wenigen wahnsinnigen Augenblicke, die sein gesättigter Körper ihm geben konnte. Er stieß noch einmal zu und fühlte, wie er fiel.