Todesangst
Mein Hals schmerzte schrecklich und ich hob sachte meinen schweren Arm an und legte meine Hand auf die Wunde, welche die Spritze verursacht hatte. Da sie mit solcher sinnloser Gewalt in meine Haut gerammt wurden war, spürte ich unter meiner Berührung das verkrustete Blut. Wie lange war ich wohl bewusstlos gewesen?
Mit aller Mühe öffnete ich meine Augen. Doch mich erwartete nur Dunkelheit. Wo zur Hölle war ich? Und wieso konnte ich nicht einmal die Hand vor Augen sehen? Was für perverse Spinner hatten mich denn da entführt? Ächzend versuchte ich mich aufzusetzen, doch ich sackte sofort wieder in mich zusammen, da jede kleine Bewegung schmerzhafte Blitze durch meinen Körper schießen ließ. Ich spürte wie in meiner Kehle unkontrollierbare Schluchzer aufstiegen und meine Augen feucht wurden. Verdammt Rebecca reiß dich zusammen! Du wirst jetzt nicht anfangen zu heulen! Oh nein, das würde ich diesen Mistkerlen nicht gönnen. Wegen denen würde ich keine einzige Träne vergießen. Dann wanderten meine Gedanken zu Shane. Ich sah seine dunklen Augen vor mir aufblitzen und eine erneute Welle von Schluchzern sammelte sich in meiner Kehle und schnürte sie zu. Ich würde ihn nie wieder sehen. Ihn nie wieder berühren. Nie wieder seinen unvergleichbaren Duft einatmen. Ich konnte mich nicht einmal mehr mit ihm streiten. Ich war allein. Mutterseelenallein.
VERDAMMT REIß DICH ZUSAMMEN!
Wütend biss ich mir auf meine Lippe und versuchte erneut mich aufzusetzen, da die Position, in der ich mich derzeit befand, furchtbar unbequem war. Meine Hand lag noch immer an meiner pochenden Wunde. Mit aller Kraft schaffte ich es tatsächlich mich hochzuziehen und ich lehnte meinen schlaffen Körper gegen eine harte Wand. Ich saß, wie ich vermutete, auf einem kalten Steinboden. Wahrscheinlich hatten mich diese Mistkerle in irgendeinen Keller gesperrt. Doch ich war zu schwach um aufzustehen und den Raum nach einer Fluchtmöglichkeit abzutasten. Vermutlich wäre es sowieso umsonst. Wieder wurde mein Körper von einem heftigen Schluchzer geschüttelt. Verbissen schüttelte ich den Kopf und meine langen Haare fielen mir ins Gesicht und blieben daran kleben, da es vom nassen Schweiß bedeckt war. Wie lange ich hier wohl schon saß? Ich konnte es bei bestem Willen nicht sagen.
Die Stille hier war erdrückend und ich wünschte irgendein Geräusch würde ertönen und mir einen Tipp geben wo ich mich befand. Doch ich saß weiter eine Ewigkeit auf dem kalten Boden und presste die Hand auf meine Wunde. Irgendwann wurden meine Augen schwer und ich musste mich anstrengen wach zu bleiben. Doch irgendwann schaffte ich es einfach nicht mehr. Meine trägen Augen fielen zu und meine Hand knallte hart auf den Boden. Doch ich bemerkte es nicht einmal mehr. Ich driftete in einen unruhigen Schlaf, welcher von Spritzen mit meterlangen Nadeln handelte.
Shanes Sicht:
››Wo bleiben die Mädels denn nur?‹‹ Jake hatte sein Handy fest ans Ohr gepresst und versuchte nun schon zum elften Mal Maggy zu erreichen. Ryan saß auf der Couch und rückte unruhig hin und her. Und ich… tja ich pirschte die ganze Zeit durch den Raum und hielt es nicht aus auch nur eine einzige Sekunde ruhig auf der Stelle stehen zu bleiben. Meine Gedanken waren ununterbrochen bei Becky. Ich sah sie direkt vor mir mit ihren leuchtenden grün-braunen Augen und der langen dunkelbraunen Mähne. Ihr bezauberndes Lächeln strahlte mir in Gedanken entgegen. Dann veränderte sich das Bild und ich sah wie sie blutend am Boden lag und ihre Miene schmerzverzerrt war. Sie schrie meinen Namen. Immer und immer wieder.
Ich spürte genau, dass ich mit jeder Sekunde mehr und mehr meine Beherrschung verlor. Zornig fuhr ich mir durch die Haare und lehnte meine Stirn gegen eine der Wände.
››Verdammt geh endlich ran!‹‹ Jake versuchte sein Glück nun schon wieder. Doch selbst von weiten konnte ich den Anrufbeantworter hören. ››Scheiße!‹‹ Wutentbrannt knallte Jake das Handy auf den Boden und es zerbarst in 1000 Teile. Manche davon trafen mich am Bein. Ich sah nicht auf. Meine Hände waren zu Fäusten geballt und mein Atem kam nur stoßweise. Ich versuchte mich irgendwie zu beruhigen. Doch nichts half. Ich war wie auf heißen Kohlen. Mein gesamter Körper bebte und wieder sah ich das Bild der blutenden Becky vor mir. Ich konnte nicht mehr an mich halten und donnerte meine Faust direkt neben meinem Kopf in die Wand, welche unter der Wucht zusammenbrach. Ich sah nicht auf. Meine Hand verweilte noch einige Sekunden in dem Loch. Niemand sagte etwas zu meinem Ausbruch. Es herrschte betretene Stille.
Plötzlich läutete die Klingel. Sofort riss ich meine Hand zurück und sprintete wie ein Wahnsinniger zur Tür und öffnete sie mit einem Schwung. Hinter mir standen schon Jake und Ryan bereit… Das Bild was sich uns bot war grausam. Jake stieß einen lauten Fluch aus und schubste mich zur Seite. Dann stürmte er auch schon auf seine Frau zu und schlang seine Arme um sie. Maggy verschwand fast vollkommen in der Umarmung. Ihre Miene war ausdruckslos und ich konnte Tränen in ihren Augenwinkeln glänzen sehen. Ihre Klamotten waren zerrissen und eine stark blutende Wunde klaffte an ihrer Stirn, direkt über dem Auge. Was um Himmels Willen war nur mit ihr geschehen? Doch meine Gedanken verweilten nicht lange bei ihr. Meine Sorge um sie rückte in den Hintergrund. Ich stürmte ebenfalls in den Flur. Doch Maggy war allein. Niemand stand hinter ihr. Sofort schnürte sich meine Kehle zu und ich schluckte hart.
››Wo ist sie?‹‹ Nur ein leises Krächzen kam aus meinem Hals. Mein Blick war auf Maggy gerichtet. Ich starrte sie unvermittelt an und bohrte meinen Augen in ihre. Maggy befreite sich sanft aus der Umarmung und trat einen Schritt auf mich zu. In ihren Augen lag eine unendliche Trauer. Ich versuchte mich allerdings zusammenzureißen. Es hieß noch lange nichts. Vielleicht war Becky ja entkommen. Vielleicht war sie unten und wartete schon sehnsüchtig auf mich. Vielleicht würde ja alles gut werden… Doch ich spürte selber, dass ich mich gerade anlog.
Maggy streckte ihre kleine Hand aus und legte sie auf meine Wange. Nun flossen ihr die glänzenden Tränen die Wangen herab und landeten auf dem Boden.
››Es tut mir so leid.‹‹ Ihre Stimme war nur so laut wie ein leichter Windhauch, doch ich verstand sie genau. Das entsetzten breitete sich in meinen Gliedern aus und ließ mich erstarren. Nein, das durfte nicht wahr sein. ››Ich konnte nichts dagegen tun. Es waren zu viele. Sie haben sie mitgenommen. Sie haben mich bewusstlos geschlagen und als ich wieder aufgewacht bin, waren alle weg… einschließlich Becky. Gott es tut mir so leid. Das ist alles meine Schuld. Ich wollte das nicht. Wirklich… Ich konnte nichts tun.‹‹ Ein heftiger Schluchzer schüttelte Maggy und sie sank vor mir auf die Knie. Ihre Hand klammerte sich um meine. Noch immer stand ich geschockt auf der Stelle und war nicht fähig auch nur einen Mucks von mir zu geben oder mich auch nur zu bewegen. Es schien mir als würde die Welt sich plötzlich in Zeitlupe drehen. Vor meinen Augen verschwamm alles und erst als es zu spät war, bemerkte ich dass ich tatsächlich weinte. Ich! Ich weinte einfach so und war nicht in der Lage es zu stoppen. Ich fühlte mich so kraftlos und verloren. Das ich eigentlich meine Fassade erhalten musste, war mir im Moment egal. Die Tränen flossen still aus meinen Augen und tropften wie Maggys auf den Boden. Es war totenstille im Flur. Jake stand regungslos da und hatten den Blick auf seine weinende Frau geheftet. Ryan hingegen lehnte mit geschlossenen Augen an der Tür und hatte die Hände zu Fäusten geballt.
››Wir haben sie verloren‹‹, ertönte irgendwann Ryans verbitterte Stimme. Er boxte schwach gegen das Holz der Tür und diese erbebte. Das schien mich irgendwie aus meiner Trance zu holen. Die Worte ››Wir haben sie verloren‹‹ schallten noch immer in meinem Kopf herum. NEIN! Das würde ich nicht zulassen. Ich WÜRDE Rebecca nicht verlieren. ICH HATTE SIE NICHT VERLOREN!
Ohne ein weiteres Wort an meine Freunde riss ich mich von Maggy los, welche noch immer am Boden kniete. Dann ging ich mit ausdrucksloser Miene an Jake vorbei. Er hielt mich nicht auf. Seine Augen ruhten einige Sekunden auf mir und er verstand. Stillschweigend lief ich die Treppen herunter. ALLE! Ich dachte nicht einmal eine Sekunde an den beschissenen Aufzug. Ich würde sie suchen und sie finden. Und dann würde ich sie nie wieder gehen lassen. Sie war MEIN! Und kein anderer Kerl hatte ein Recht auf sie. Ich würde jeden einzelnen umbringen, der sie mir weggenommen hatte. Sie sollten leiden! Alle! Weil sie mir einfach so meinen Lebensinhalt weggerissen hatten, ohne dass ich auch nur eine Chance hatte ihr meine Gefühle zu gestehen. Oh ja ich würde sie alle bluten lassen!
Als ich einfach losrannte sah ich unentwegt das Bild von meiner Rebecca vor mir. Ich würde sie retten, denn ich liebte sie. Nur sie. Sie war meine Gefährtin und kein anderer würde sie mir wegnehmen… Niemals.
Rebeccas Sicht:
Quietschend öffnete sich eine Tür. Sofort öffnete ich ängstlich meine Augen. Endlich fiel ein schwacher Lichtstrahl in den Raum in dem ich mich befand. Es war tatsächlich ein Keller. Ein ziemlich schmuddeliger noch dazu. Doch meine Aufmerksamkeit wurde schnell wieder auf etwas anderes gelenkt. Vor mir stand eine schwarze Gestalt. Ängstlich sah ich zu ihr hoch. Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen. Das einzige was ich erkennen konnte waren eiskalte Augen, welche mich emotionslos musterten. Dann packte die Person, welche mit Sicherheit ein Mann war, mich grob am Arm und zog mich auf die Beine. Schwankend taumelte ich, da meine Beine sich wie Glibber anfühlten. Wahrscheinlich war das ebenfalls eine Nebenwirkung des Stoffes, den sie mir verabreicht hatten. Der Typ schmiss mich wortlos über seine Schulter und ging mit mir aus dem Raum. Ich war zu schwach um zu schreien oder um mich zu schlagen. Es hätte sowieso keinen Sinn gemacht. Ich konnte immerhin nicht einmal einen Schritt alleine gehen. Wie sollte ich also auch flüchten. Und wo auch immer ich mich befand, mich würde sowieso niemand hören. Also versuchte ich dagegen meine Umgebung zu mustern, um vielleicht irgendeinen Hinweis zu finden, wo ich mich befand. Ich musste einfach einen kühlen Kopf bewahren. Mehr hatte ich immerhin im Moment nicht.
Der Typ trug mich durch einen langen Korridor und ging immer mal wieder eine Treppe nach oben. Wir mussten uns anscheinend in irgendeinem Keller eines großen Anwesens befinden, sonst würde er mit Sicherheit nicht so lange brauchen, um oben anzukommen. Der Typ öffnete eine dicke Steintür und begrüßte zwei Männer, welche hinter der Tür standen und sie zu bewachen schienen. Dann lief er mit mir durch einen langen Gang. An den Wänden hingen viele alte Gemälde von irgendwelchen Personen und Landschaften. Außerdem wurde der Gang durch mehrere Kronleuchter erhellt. Mein Verdacht bestätigte sich. Ich war von irgendwelchen reichen Leuten verschleppt wurden, denn ich befand mich mit Sicherheit in einer alten Villa oder einem Schloss.
Irgendwann kamen wir an.
Der Typ öffnete eine Tür und trug mich in ein großes Zimmer. Dieses war ebenfalls wieder in diesem alten Stil mit Kronleuchter und Gemälden gestaltet. In der Mitte des Zimmers befand sich ein riesiges Bett. Es besaß goldene Verzierungen an den Seiten. Wie reich waren meine Entführer denn? Du meine Güte! Ich konnte mich unmöglich noch in München aufhalten, oder? Doch ich hoffte es inständig. Denn sonst würden die anderen mich niemals finden. Der Typ ließ mich achtlos auf das Bett fallen und dabei entwich mir ein leiser Schrei. Benommen lag ich auf dem Rücken und meine Haare versperrten mir die Sicht. Doch meine Glieder waren noch zu steif und ich war unfähig mich zu bewegen. Wann würde dieser Mist endlich aus meinem Organismus verschwinden? Das war ja nicht zum Aushalten.
Plötzlich wurden meine Hände rücksichtslos nach hinten verdreht und meine Schultern schmerzten dabei heftig und es fühlte sich so an als würden sie bald ausgerenkt werden. Tränen stiegen mir in die Augen. Etwas Kaltes legte sich um meine Handgelenke und als ich ein leises metallisches Geräusch hörte, zuckte ich zusammen. Ich traute mich allerdings nicht mich umzudrehen und nachzugucken, was der Typ mit mir anstellte. Meine langen Haare verdeckten mir außerdem noch immer die Sicht. Ich konnte hören wie der Typ mit schweren Schritten an mir vorbei ging und erst als einige Sekunden die Tür laut zugeschlagen wurde, seufzte ich leise aus. Meine Arme schmerzten, doch ich biss mir auf die Lippe. Beruhig dich Rebecca! Alles wird gut werden. Du musst einfach nur deinen klaren Kopf behalten. Mit schnellen Bewegungen meines Kopfs versuchte ich meine Haare aus meinem Gesicht zu bekommen, was sogar einigermaßen klappte. Nur noch wenige klebten an meiner nassen Haut und ich konnte endlich wieder meine Umgebung sehen. Der Typ war wirklich verschwunden und ich ganz allein. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf nach hinten. Tatsächlich! Meine Handgelenke waren mit Handschellen am Bettpfosten befestigt. Als ich mich noch weiter drehen wollte, um noch besser sehen zu könne, knackte meine eine Schulter laut und ich sackte vor Schmerzen zusammen. Der Schmerz trieb mir wieder Tränen in die Augen und ich konnte ein leises Wimmern nicht unterdrücken. Die Haltung in der ich lag war wirklich unbequem und ich spürte schon nach wenigen Minuten wie meine Glieder höllisch schmerzten. Doch ich war nicht in der Lage mich zu bewegen.
Was wollten diese Schweine von mir? Mich foltern?! Verdammte scheiße! Ich würde das niemals Stunden aushalten. Meine Arme pochten wie verrückt und meine Beine waren noch immer Gummi. Ich konnte mich also nicht einmal in eine bequemere Position drücken. Nun konnte ich die Tränen doch nicht mehr zurückhalten. Sie rannen unaufhörlich aus meinen Augen. Leider wurde mir bewusst, dass ich nicht wegen den Schmerzen weinte, sondern weil ich Angst hatte. Ich hatte schreckliche Angst und ich hasste mich dafür, dass ich so schwach war. Shane war niemals schwach…
Ein leises Quietschen ertönte und mein Blick wanderte automatisch zur Tür, denn von dort war das Geräusch gekommen. Ich konnte genau sehen wie sich die Türklinge langsam bewegte und immer mehr nach unten gedrückt wurde. Oh nein! Irgendwer kam jeden Moment herein. Ich konnte sogar gedämpfte Stimmen vom Gang vernehmen. Mein gesamter Körper begann unaufhörlich zu zittern, denn etwas in mir sagte mir genau, dass nun die Person kam, die für all das hier verantwortlich war. Und diese Person würde mich in mein Verderben stürzen.
››Shane.‹‹ Nur ganz leise flüsterte ich seinen Namen und sein Gesicht tauchte vor mir auf. Er lächelte mich beruhigend an. Ich schluckte ängstlich. Wenigstens war er in meinen Gedanken bei mir. Er würde mir Kraft geben. Und ich wusste er würde mich finden und retten egal was es kostete. Er ließ mich nicht allein.
››Ich liebe dich‹‹, stieß ich flüsternd aus. Nur eine Millisekunde später öffnete sich die Tür und jemand betrat das Zimmer. Der Blick der Person war nur auf mich gerichtet. Ängstlich presste ich meine Augen fest zu. Ich hatte Angst.
Todesangst.