33
Carly sah Matt erst am späten Nachmittag des folgenden Tages wieder. In einem bequemen weißen Pique-Kleid und Sandalen saß sie auf der hinteren Veranda neben ihrem heutigen Begleiter Sammy Brooks und sah Annie zu, wie sie mit wilden Luftsprüngen Jagd auf Vögel und Schmetterlinge machte. Es war Sonntag, und sie hatte sich schließlich der alten Gewohnheit gefügt und war so wie die anderen zur Kirche gegangen. Das Schlimme daran war vor allem der Klatsch nach dem Gottesdienst gewesen. Danach hatte sich eine große Schar von Menschen im Haus eingefunden. Offenbar hatte es sich herumgesprochen, dass Sandra heute ein großes Festmahl zubereitete.
Nachdem sich die Eröffnung ihrer Frühstückspension nun um einiges verzögerte, überlegte Carly, ob sie nicht ein Restaurant aufmachen sollten. Immer mehr Bewohner der Stadt schienen Interesse an Sandras Kochkünsten zu zeigen.
Als sie zur Seite blickte, sah sie Matt, der in seiner Sheriff-Uniform am Zaun lehnte und sie ansah - und er sah so umwerfend aus, dass ihr Herz einen Sprung machte.
Sie war so froh, ihn zu sehen, dass sie unwillkürlich lächelte, bevor ihr bewusst wurde, dass es ihrem Anliegen vielleicht dienlicher wäre, wenn sie sich ihm gegenüber ein wenig reservierter geben würde. Doch er hatte sie mit seiner plötzlichen Anwesenheit überrascht - und vielleicht hatte er ihr Lächeln aus der Entfernung ja gar nicht bemerkt.
»Hallo«, sagte er, als er auf die Veranda kam. Sein Blick sagte ihr, dass er es sehr wohl bemerkt hatte und dass es ihm wahrscheinlich auch bewusst war, dass ihr Herz plötzlich schneller schlug. Aber es war so drückend heiß und sie war von all dem, was in letzter Zeit geschehen war, so erschöpft, dass sie nicht die Kraft hatte, sich ständig zu fragen, wie sie sich am besten verhalten sollte.
Außerdem hatte sie ja ohnehin einen kleinen Sieg errungen. Sein altes Spiel, nach ein paar Küssen gleich wieder das Weite zu suchen, war zumindest für den Moment vorbei. Er war immer noch hier bei ihr.
Auch dir viel Glück, Mike, dachte sie.
»Ich mache hier mit dem Babysitten weiter«, sagte Matt zu Sammy. »Du kannst dich um das hier kümmern.«
Sammy nickte und stand auf, während Matt ihm die Papiere reichte, die er in der Hand hielt. Dann wandte sich Matt Carly zu.
»Hättest du Lust auf einen kleinen Ausflug?«
Sie spürte die Schmetterlinge im Bauch auf und ab tanzen.
Sie nickte, und er streckte ihr die Hand entgegen. Sie legte ihre Hand in die seine, und er zog sie hoch. Er blickte kurz zur geschlossenen Hintertür hinüber, um das Gelächter und Getuschel in der Küche zum Verstummen zu bringen, was ihm jedoch nicht ganz gelang. Dann führte er sie an der Hand zum Tor im Gartenzaun hinüber. Er dachte offenbar genauso wie sie; warum sollte man sich all den neugierigen Blicken aussetzen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ?
Doch ihre heimliche Flucht wurde beinahe vereitelt. Als sich das Gartentor hinter ihnen schloss, befand sich Annie, die ihnen durch den Garten gefolgt war, immer noch drinnen, was sie jedoch nicht akzeptieren wollte. Sie begann empört zu kläffen und auf und ab zu springen.
»Nimm sie mit«, sagte Matt schließlich frustriert.
Carly öffnete das Tor, und Annie sprang freudig ins Freie hinaus. Sie sprachen kein Wort mehr, bis sie alle drei in Matts Wagen saßen. Matt nahm Annie von Carlys Schoß und setzte sie auf den Rücksitz. Dann beugte er sich zu Carly hinüber und küsste sie fest auf den Mund.
Carly war völlig überrascht, doch schließlich ließ sie ihre Hand in seinen Nacken wandern und erwiderte seinen Kuss.
»Nun, dann hätten wir das ja geklärt«, sagte er schließlich. »Würdest du mir jetzt vielleicht verraten, wie du Mike überredet hast, mit dir auszugehen?«
Während er die Frage stellte, ließ er den Wagen an und setzte in die Auffahrt zurück, ohne auch nur in die Nähe des wiederhergestellten Briefkastens zu kommen, wie Carly feststellte.
»Wie kommst du darauf, dass ich ihn überredet habe?«, erwiderte Carly. Sie war immer noch ein wenig außer Atem, und auch ihr Puls raste nach dem unerwarteten Kuss.
»Ich kenne ihn«, sagte Matt mit einem säuerlichen Lächeln. »Und ich kenne dich.«
»Vielleicht mag ich ihn einfach«, erwiderte Carly in dem Bemühen, ihre Gefühle für Matt nicht allzu deutlich zu zeigen. Wie Erin gesagt hatte - Matt war sein Leben lang von den Mädchen umschwärmt worden. Was sie ganz bestimmt nicht wollte, war, auch zu dem Schwärm zu gehören.
»Oh, das glaube ich gern. Er ist ein netter Kerl. Man muss ihn einfach mögen, nicht wahr?« Sie waren mittlerweile auf der Straße Richtung Stadt unterwegs.
»Vielleicht mag ich ihn wirklich. Er sieht gut aus, ist dir das nicht aufgefallen? Und er ist wirklich nett und so rücksichtsvoll und ...«
»Ach, hör schon auf, Curls«, warf Matt ein. »Du bist mit ihm ausgegangen, weil du mich ein wenig provozieren wolltest.«
Carly sah ihn nachdenklich an. Ihr war schon früher bewusst geworden, dass es einige Nachteile hatte, wenn man versuchte, eine Beziehung mit einem Mann zu haben, der einen so gut kannte. »Um dich eifersüchtig zu machen, meinst du?«
»Genau das habe ich gemeint.«
»Und - hat es funktioniert?«
Er grinste. »Okay. Es hat funktioniert - bis ich euch dann zusammen gesehen habe. Mike schien sich nicht recht wohl in seiner Haut zu fühlen. Und dann fiel mir etwas ein.«
»Was?«, fragte Carly neugierig.
»Dass du bis über beide Ohren in mich verliebt bist.«
Diese simple Wahrheit traf sie wie ein Keulenschlag. Sie hielt den Atem an und sah, dass er ihre schockierte Reaktion genoss. »Hör mal, mein Lieber«, sagte sie in dem Versuch, sich wieder zu fangen, »ich würde mir an deiner Stelle nicht so viel einbilden. Vielleicht ist dein Körper alles, was ich von dir will.«
»Das auch«, sagte er lächelnd, den Blick auf die Straße gerichtet.
Sie hielten an einer roten Ampel an. In dem verzweifelten Bemühen, irgendetwas anderes als ihn anzusehen, sah sich Carly um. Im goldenen Licht des Spätsommers zeigte sich das Ortszentrum von Benton von seiner schönsten Seite. Sie waren nicht die Einzigen, die mit dem Auto unterwegs waren - doch die meisten Autos standen auf dem Parkplatz des Corner Cafe. Es waren nicht wenige, die sich das Vergnügen gönnten, sonntags auswärts zu Abend zu essen.
»Wo fahren wir denn hin?«, fragte Carly, als die Ampel auf Grün umsprang.
»Na ja, wir könnten zum Beispiel ein paar Plätze besuchen, die wir aus unserer Kindheit kennen. Wir könnten aber auch im Corner Cafe einen Happen essen. Dann könnten unsere Freunde und Bekannten gleich sehen, dass ich deine Gunst wiedergewonnen habe. Wir könnten natürlich auch das ganze Vorgeplänkel auslassen und gleich zur Sache kommen - ich rede von Sex.«
Carlys Herz begann schneller zu schlagen. Sie tat so, als würde sie über die Optionen nachdenken. »Wenn wir Sex haben, machst du mir dann wieder einen Heiratsantrag?«
Sie hatte den Eindruck, dass sich seine Gesichtsmuskeln ganz leicht anspannten. Er sah sie ein klein wenig unsicher an. »Würdest du das denn wollen?«
Nur, wenn er es wirklich wollte.
»Nur damit du's weißt - wenn du das tust, dann passiert dir was.«
»Heißt das, du bist für den Vorschlag Sex, und zwar sofort?«, sagte er mit einem Funkeln in den Augen, das sie erzittern ließ.
»Ja.«
Es war wahrscheinlich dumm, dachte sich Carly - sie sollte sich von ihm fern halten und lieber Erins Ratschlag beherzigen; Matts Schwester hatte gemeint, dass Matt vielleicht am ehesten ganz ohne Sex zu erobern wäre. Im Moment lagen ihr jedoch solche strategischen Überlegungen ziemlich fern. Wenn sie nur daran dachte, wie es sich anfühlte, Matt auf ihr und in ihr zu spüren, begann sich alles um sie herum zu drehen, und sie hätte sich am liebsten auf der Stelle die Kleider vom Leib gerissen und ...
»Wenn du nicht aufhörst, mich so anzusehen, dann kann es sein, dass ich den Wagen zu Schrott fahre.«
Sie spürte seinen heißen Blick auf sich ruhen. Die Luft im Wagen schien elektrisch geladen zu sein wie vor einem heftigen Sommergewitter.
Carly hatte Mühe, überhaupt noch zu atmen.
»Das würde deinen Vorgesetzten gar nicht gefallen«, sagte sie und bemühte sich, ihm nicht zu zeigen, dass sie so scharf auf ihn war, dass sie beim bloßen Gedanken an das, was sie miteinander tun würden, hätte kommen können. Doch er kannte sie so gut, dass er bestimmt wusste, wie erregt sie war. Sie erkannte es daran, dass sich seine Gesichtsfarbe eine Spur verdunkelte, dass sich sein Körper plötzlich anspannte und seine Augen intensiv leuchteten.
Und auch sie wusste, wie erregt er war.
Der Wagen hielt an, und es gelang ihr, sich wenigstens so weit auf die Welt um sie herum zu konzentrieren, dass sie erkannte, dass sie vor seiner gemieteten Garage standen. Er öffnete das Handschuhfach vor ihr und holte die Fernbedienung heraus. Er drückte den Knopf, das Tor ging auf, und sie fuhren in die staubige dunkle Garage. Dann drückte er den Knopf noch einmal und stellte den Motor ab. Das Tor ging hinunter, und sie standen in dem dunklen Raum.
Es war kühl im Wagen, und Annie schlief auf dem Rücksitz. Carly saß einen Moment lang nur da und überlegte, ob sie mit ihren weichen Knien und ihren zitternden Muskeln überhaupt aussteigen konnte. Matt sah sie an, als er seinen Sicherheitsgurt öffnete und dann zu ihr hinübergriff, um auch den ihren zu öffnen. Sie strich mit einer Hand über seinen Arm und ließ ihre Finger unter seinen kurzen Hemdsärmel gleiten, um seinen Oberarm zu streicheln. Er wandte sich ihr zu und drückte seine Lippen auf ihren Hals. Sie hielt den Atem an und schlang ihre Arme um ihn, und er hob den Kopf und sah sie an. Dann hob er sie hoch, setzte sie auf seinen Schoß und küsste sie. Seine Lippen verschmolzen regelrecht mit den ihren, seine Zunge war heiß und fordernd, und seine Hand umschloss ihre Brust. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und erwiderte seinen Kuss voller Hingabe. Sie war zwischen ihm und dem Lenkrad eingeklemmt - doch sie empfand es keineswegs als unbequem, nein, es war ganz einfach wunderbar, ihn so nahe bei sich zu spüren. Sie befreite sich von ihrer zweiten Sandale, nachdem sie die erste bereits verloren hatte, und vergrub ihre Finger in seinem Haar. Sie hielt seinen Kopf fest und erkundete mit der Zunge seinen Mund, während ihr Herz immer schneller schlug und die Glut in ihrem Unterleib immer drängender wurde.
»Du hast wieder meine Seife verwendet, Curls«, murmelte er, während er seine Lippen über ihren Hals wandern ließ.
Sie verstand nicht recht, was er mit seiner Bemerkung meinte - vielleicht konnte sie auch ganz einfach nicht mehr klar denken -, und so öffnete sie die Augen und stellte fest, dass er sie betrachtete. Er atmete ebenfalls schwer und war um kein bisschen weniger erregt als sie. Sie vergaß, warum sie zu ihm aufgeblickt hatte, und sah ihn einfach nur an. Seine Augen verdunkelten sich noch mehr, und er küsste sie mit einer Leidenschaft, dass sie an seinen Lippen aufstöhnte. Seine Hände liebkosten und drückten ihre Brüste sanft, und sie genoss seine Zärtlichkeiten und erwiderte seinen Kuss, bis sie am ganzen Leib zitterte und das Gefühl hatte, innerlich zu brennen. Dann wanderte seine Hand an ihrem Körper hinunter und weiter zwischen ihre Beine, ehe er zärtlich, aber entschlossen über die zarte Haut ihrer Schenkel strich. Er schob ihren Rock hoch und berührte sie durch das dünne rosa Nylon ihres fiöschens hindurch und rieb sie, bis sie an seinen Lippen keuchte und sich unwillkürlich unter seiner Hand bewegte. Dann ließ er seine Hand unter das Höschen wandern und berührte sie direkt zwischen den Beinen. Es fühlte sich so wunderbar an, dass sie es kaum noch auszuhalten glaubte. Sie war heiß und feucht und absolut bereit für ihn, und als er schließlich einen Finger in sie gleiten ließ, stöhnte sie auf und verlangte nach mehr ...
Tu es, Matt.
Er stieß ein leises Knurren an ihren Lippen hervor, und es wurde ihr bewusst, dass sie ihren Gedanken vielleicht laut ausgesprochen hatte. Danach hörte sie ganz und gar zu denken auf, als er ihr berauscht vor Verlangen das Höschen herunterzog und den Sitz zurückklappte. Rasch öffnete er den Reißverschluss seiner Hose, hob sie rittlings auf sich und drang in sie ein. Er fühlte sich groß und heiß und einfach unbeschreiblich in ihr an.
»Reite auf mir«, sagte er mit heiserer Stimme, und sie tat, was er von ihr wollte. Sie schloss die Augen und umklammerte seine Schultern, während er sie an den Hüften festhielt und immer wieder nach oben stieß. Er küsste und liebkoste durch die Kleider hindurch ihre Brüste, bis er ihr schließlich das Kleid über den Kopf zog und auch den BH entfernte. Er widmete sich erneut ihren Brüsten, und sie drückte seinen Kopf an ihre Brust und ritt in unbeschreiblicher Wonne auf ihm auf und ab.
»Carly«, stöhnte er und stieß noch einmal zu, so fest er konnte, dass sie bis ins Innerste erschauderte und mit einem lauten Aufschrei den Gipfel erreichte und sich ihm ganz hingab.
Ich liehe dich, Matt.
Diesmal flüsterte sie diese Worte nicht in der Hitze der Leidenschaft, sondern danach, als sie schweißnass und erschöpft an seiner Brust lag. Einen Moment lang hoffte sie, dass sie es sich nur gedacht hatte - doch sie wünschte es sich vergeblich.
»Ja, Curls, ich weiß«, sagte er, genauso ermattet wie sie.
Oh, wie romantisch.
Sie hob den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. Was sie da sah, war kein liebevoller Blick. Sie hatte die Arme immer noch um seinen Hals geschlungen und drückte sich so fest an ihn, dass sie seine metallene Dienstmarke an ihrer Brust spürte. Sie war voll und ganz und unleugbar sein, das war auch ihm absolut bewusst. Bei dem Gedanken richtete sie sich in seinem Schoß auf.
»Nur damit du's weißt, mein Lieber, das sage ich zu allen.«
Sein Mundwinkel zuckte kurz nach oben. Sein Blick wanderte an ihrem Körper hinunter, und er sog anerkennend alles in sich auf. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie vollkommen nackt war, während er noch angezogen war; nur sein Hemd war bis zur Hälfte aufgeknöpft, und seine Hose war ein Stück weit nach unten gezogen. Trotzdem hatte sie sich ihm viel weiter ausgeliefert als er sich ihr. Sie konnte sich nicht bewegen, ohne mit dem Hintern gegen das Lenkrad zu stoßen und mit den Brüsten seine Brust zu streifen.
»Deine Nase ist gerade ein ganzes Stück länger geworden; kann es sein, dass du gerade gelogen hast?«, fragte er und tippte ihr mit dem Finger zärtlich an die Nase.
Sie sah ihn mit finsterer Miene an. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, beugte er sich lachend vor und küsste sie - in erster Linie, so dachte sie, damit sie nichts sagen konnte. Dann ließ er sie los, lehnte sich im Sitz zurück, ließ seine Hände unter ihren Brüsten ruhen und lächelte sie träge an.
»Nur damit du's weißt, Curls: Ich liebe dich auch.«
Carly hatte das Gefühl, ihre Sinne würden plötzlich aussetzen. »Was?«
»Ja«, sagte er fast reumütig, doch sie erkannte an seinem Blick, dass er es wirklich so meinte. »Es ist so.«
Sie holte tief Luft, ihr Herz weitete sich, und ihre Welt begann plötzlich zu pulsieren und in tausend Farben zu schimmern, die sie nie zuvor gesehen hatte.
Matt hatte gesagt, dass er sie liebte. Matt... liebte .... sie.
»O mein Gott«, sagte sie.
Er sah sie grinsend an. »Ja, das habe ich mir ungefähr auch gedacht.«
Sie stieß ihn in den Arm. Dann küsste sie ihn, und das Spiel der Sinne begann von neuem - es konnte jedoch nicht zu Ende geführt werden, weil sie einen Krampf im Bein bekam. Sie mussten aussteigen, und Carly zog - gegen seinen Protest - ihr Kleid an, worauf er ihr das Bein massierte. Nein, es kam nicht in Frage, dass sie nackt in der Garage herumstand, während er fast vollständig angekleidet war. Schließlich machte sich auch noch Annie lautstark bemerkbar, weil man sie im Wagen zurückgelassen hatte. Sie ließen sie aus dem Wagen und gingen zu dritt die Treppe in die Wohnung hinauf.
Und danach spielten sie zu zweit ein Spiel namens »Wir ziehen unseren Sheriff aus« und stiegen ins Bett.
Um die Außenwelt kümmerten sie sich erst wieder, als es unaufhörlich klingelte und Matt benommen sein Handy suchte.
»Ja«, sprach er hinein und hörte eine Weile zu. »Nein, es ist alles in Ordnung. Ich habe die Zeit übersehen. Ja. Ja. Das geht dich nichts an. Nein, das geht dich wirklich nichts an. Wahrscheinlich irgendwann morgen. Ja, okay. Tschüs.«
Carly drehte sich auf den Rücken, zog die Decke über ihre Brust und schaltete die Nachttischlampe ein, als Matt das Gespräch beendete.
»Wer ...?«
»Erin. Sie hat gefragt, ob alles in Ordnung ist. Es ist fast zwei Uhr, weißt du. Ich habe ihr gesagt, dass ich wahrscheinlich erst morgen heimkomme. Dann hat sie noch gefragt, ob du mich ins Bett bekommen hast.«
»Nein, das glaube ich nicht!« Doch so wie sie Erin kannte, war es ihr durchaus zuzutrauen. »Und was hast du gesagt?«
Sie erinnerte sich, dass er mehrmals Ja gesagt hatte.
»Ich habe ihr gesagt, dass ich eine Liebesnacht hinter mir habe, dass mir Hören und Sehen vergangen ist - dass ich mich aber schon wieder erhole.«
»Das hast du nicht gesagt.« Nachdem sie genau mitbekommen hatte, was er gesagt hatte, widersprach sie ihm nicht allzu heftig.
»Okay, ich habe es nicht gesagt. Aber es wäre nicht gelogen gewesen.«
Er stand vollkommen nackt da und sah sie lächelnd an, während er das Handy auf den Tisch legte. Er sah so unheimlich sexy aus, dass sein bloßer Anblick ihr Blut in Wallung brachte. Aber das Beste an ihm war, dass er ihr Matt war.
Der Gedanke entlockte Carly ein glückliches Lächeln.
»Du siehst so zufrieden aus wie eine Katze, die einen Kanarienvogel verspeist hat«, sagte Matt und betrachtete sie seinerseits mit einem vielsagenden Lächeln. Wenn man bedachte, wie ausgiebig sie sich einander gewidmet hatten, so konnte sich Carly gut vorstellen, dass man ihr ansah, wie erfüllt sie war.
»Na, dann komm her zu mir, Tweety«, sagte sie augenzwinkernd und winkte ihn zu sich. Er lachte und schlüpfte wieder zu ihr ins Bett.
Als er sich etwas später auf einen Ellbogen stützte, sah er stirnrunzelnd zu ihr hinunter. Benommen und zufrieden und von einem Gefühl der Wärme und des Glücks erfüllt, lächelte sie ihn träge an.
»Was ist denn?«, fragte sie, als er sie weiter schweigend ansah.
Er griff nach einer Locke ihres Haars und ringelte sie sich um seine Finger. »Bist du sicher, dass wir bei unserem Grundsatz bleiben sollten? Ich meine - keine Bindung?«
Carly überlegte kurz. »Na ja, vielleicht eine ganz kleine Bindung. Du könntest zum Beispiel hin und wieder mit mir ausgehen, damit ich nicht nette Jungs wie Mike dazu überreden muss - aber ansonsten keine Bindung.«
Er sah sie immer noch stirnrunzelnd an. »Keine Bindung -das klingt überhaupt nicht nach dir, Curls.«
Sie liebte ihn so sehr, dass es ihr wehtat und dass ihr schon warm wurde, wenn sie ihn nur ansah. Egal, wie sich die Sache zwischen ihnen beiden entwickelte - er würde für immer in ihrem Herzen bleiben. Doch sie liebte ihn so sehr, dass sie ihn nicht wollte, wenn er im Grunde frei sein wollte. Er hatte gesagt, dass er sie liebte - und das schon mehrmals -, und sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er es auch so meinte. Doch sie sah auch den leichten Schatten in seinen Augen, wenn er es sagte - und sie wusste, dass das nichts anderes als Angst war. Die Angst, dass Liebe letztlich zur Unfreiheit führte und dass er für immer an diese kleine Stadt und an sie gefesselt sein würde.
Sie wusste, dass er trotz dieser Angst jederzeit bereit war, ihr die dauerhafte Bindung anzubieten. Doch sie würde dieses Geschenk niemals annehmen, solange sie diese Angst in seinen Augen sah.
»Keine Bindung«, sagte sie mit Nachdruck und küsste ihn. Der Kuss lenkte sie von diesem ernsten Thema ab, so dass sie sich fast die ganze restliche Nacht wieder anderen Dingen widmeten.
Am folgenden Morgen um sieben Uhr dreißig hatte es schon wieder dreiunddreißig Grad. Carly wusste es, weil Matt das Autoradio aufgedreht hatte, als sie aus der Garage hinausfuhren. Es würde ein wenig peinlich werden, wenn sie jemandem begegnete, der gesehen hatte, wie sie am Tag zuvor Matts Haus in denselben Kleidern - weißes Kleid und Sandalen - verlassen hatte, die sie auch jetzt trug - doch auch dieser Gedanke konnte ihr Wohlgefühl nicht wirklich trüben. Sie war glücklich und schläfrig und verspürte ein gewisses Ziehen in bestimmten Körperteilen - und obwohl sie wusste, dass es auf dieser Welt auch Ungeheuer in Menschengestalt gab und eines davon es auf sie persönlich abgesehen hatte, konnte sie an diesem wunderbaren Morgen doch nicht wirklich so etwas Schreckliches glauben -nicht an diesem Morgen, an dem die Sonne sich gerade träge emporhob, um den morgendlichen Nebel zu lichten, und an dem Matt frisch rasiert, nach Seife und nach ihr duftend neben ihr saß.
Nach einer Weile wurde ihr bewusst, dass er mit ihr zu sich nach Hause führ. Der ganze Zirkus, der seit einer Woche immer nervenaufreibender geworden war, konnte von neuem beginnen, was ihre Hochstimmung doch empfindlich trübte. Während sich ihr Liebesleben von einem absoluten Nullpunkt zu ungeahnten Höhen aufgeschwungen hatte, versank ihr übriges Leben immer mehr in einem Sumpf der Trostlosigkeit. Nein, kam es ihr plötzlich in den Sinn. Sie war nicht mehr das brave Mädchen von früher, das alles unwidersprochen hinnahm - und deshalb würde sie an ihrer Situation einiges ändern.
»Matt«, sagte sie entschlossen. »Ich will mein altes Leben wiederhaben.«
Sie standen an einer Kreuzung und warteten darauf, dass die Ampel auf Grün umsprang.
»Das klingt gar nicht gut«, sagte er lächelnd und warf ihr einen kurzen Blick zu. »Was habe ich denn angestellt?«
»Bieg rechts ab«, sagte sie, als es grün wurde und er geradeaus in die Stadt weiterfahren wollte.
Er tat, was sie verlangte, und fragte mit angehobenen Augenbrauen: »Wohin genau?«
»Zu meinem Haus«, antwortete sie.
»Warum?«, fragte er stirnrunzelnd.
»Weil ich so nicht länger leben kann. Wer weiß, wie lange es noch dauert, bis ihr den Kerl gefasst habt, der mich überfallen hat? Was ist, wenn ihr ihn nie erwischt? Ich kann doch nicht mein ganzes Leben in deinem Haus verbringen, praktisch unter Hausarrest. Ich muss mir auch meinen Lebensunterhalt verdienen und meine Frühstückspension auf die Beine stellen, und ich habe ein Haus, das mir gehört. Ich kann das alles nicht so einfach auf unbestimmte Zeit verschieben. Ich will es nicht.«
»Carly«, sagte er nun sehr ernst. »Jemand hat versucht, dich umzubringen. Der Kerl läuft immer noch frei herum. Es gibt allen Grund zur Annahme, dass er es wieder versuchen wird. Solange wir nicht wissen, warum er das tut und wer der Kerl ist, lasse ich dich nur über meine Leiche allein in diesem Haus.«
»Matt...«
»Nein, ich meine es ernst.«
»Zu deiner Information, Mr. Oberboss - nur weil du mit mir schläfst, hast du noch lange nicht das Recht, mich herumzukommandieren.«
»Das stimmt - aber ich tue es als Sheriff, in dessen Schutzhaft du dich befindest.«
Carly sah ihn vorwurfsvoll an. Er erwiderte ihren Blick ebenso finster, bis er schließlich seufzte.
»Ich weiß, dass das alles nicht leicht für dich ist. Das wäre es für niemanden, aber es ist die beste Lösung, um deine Sicherheit zu garantieren. Ich könnte natürlich auch bei dir einziehen, aber ich kann nicht vierundzwanzig Stunden am Tag bei dir sein. In meinem Haus bist du sicherer. Es ist relativ überschaubar, und es sind ständig eine Menge Leute zu Hause. Leute, von denen man nie genau sagen kann, wann sie da sind und wann nicht. Also kann der Kerl keinen Plan aushecken.«
»Meinst du wirklich, dass er es wieder versuchen wird? Warum sollte mich jemand umbringen wollen?« Es war wie ein Aufschrei aus tiefstem Herzen.
»Baby, wenn wir erst herausfinden, warum, dann wissen wir wahrscheinlich auch, wer es ist. Aber bis dahin bitte ich dich, dass du mir einen Nervenzusammenbruch oder einen Herzinfarkt ersparst und das tust, was ich sage.«
Der Gedanke, dass Matt sie so sehr liebte, dass er einen Nervenzusammenbruch oder einen Herzinfarkt wegen ihr bekommen könnte, war doch einigermaßen schmeichelhaft; außerdem gab er ihr keinen Befehl, sondern bat sie nur, das zu tun, was er wollte. Sie sah ihn an und schmolz regelrecht dahin; es wurde ihr bewusst, dass sie im Moment wie Wachs in seinen Händen war und dass es keine gute Idee war, ihn das wissen zu lassen. Er war auch so schon eingebildet genug.
»Okay, für den Moment zumindest. Aber wenn es noch länger so weitergeht, dann ohne mich.« Sie sah ihn entschieden an, um zu übertünchen, wie butterweich sie sich fühlte. Sie erreichten die letzte Biegung vor dem Hügel, ehe Carly ihr Haus vor sich sah - und es sah genauso aus wie immer, als wäre nie etwas vorgefallen. »Wenn wir schon hier sind«, sagte sie, »können wir nicht anhalten, damit ich mir noch ein paar Kleider holen kann?«
»Aber sicher«, sagte Matt. »Wir sind hier mit unserer Arbeit fertig. Wir haben alles überprüft. Ich möchte dich nur ersuchen, dass du in meiner Nähe bleibst, ja?«
Carly sah ihn an und spürte, wie es ihr kalt über den Rücken lief. Dass Matt sich solche Sorgen um sie machte, ließ ihre Angst zurückkommen; es führte ihr die Bedrohung viel realer vor Augen. »Meinst du, dass er uns vielleicht folgen könnte?«
Matt schüttelte den Kopf und hielt vor dem Haus an. »Hierher ist uns niemand gefolgt. Ich habe die Augen offen gehalten. Trotzdem gehe ich lieber auf Nummer Sicher.«
Danach ging Carly nur zu gern Hand in Hand mit ihm den Hügel hinauf. Annie lief draußen im Garten herum - sichtlich erfreut, wieder in vertrauten Gefilden zu sein -, während sie mit Matt das Haus betrat. Carly war überrascht über die heftigen Gefühle, die sie überkamen, als sie über die Schwelle trat. Als sie sich von der Düsterkeit des Hauses umfangen fühlte, krampfte sich alles in ihr zusammen. Ihr Atem ging schneller, und ihr Herzschlag beschleunigte sich ebenfalls spürbar.
»O mein Gott, Matt«, sagte sie und blieb stehen, als sich alles um sie herum zu drehen begann. "
»Alles okay?«, fragte er und legte einen Arm um ihre Schulter, um sie an sich zu ziehen. Sie sah, dass er sein Holster geöffnet hatte, um die Pistole schneller ziehen zu können. Das beruhigte sie wieder. Er würde schon dafür sorgen, dass ihr nichts zustieß. »Ich habe mir gleich gedacht, dass das keine gute Idee ist.«
»Nein, ich ... ist schon okay.« Sie fühlte sich tatsächlich wieder besser. Das Schwindelgefühl ließ bereits nach. Sie atmete tief durch und rief sich in Erinnerung, dass das ihr Haus war. Es würde keinem verdammten Mörder gelingen, sie von hier zu vertreiben. »Dieses Haus betrachte ich seit zweiundzwanzig Jahren als mein Zuhause. Ich lasse es nicht zu, dass ein schlimmes Erlebnis das alles zunichte macht.«
»Ganz meine Curls, wie ich sie kenne«, sagte Matt lächelnd. »Eine Kämpferin durch und durch.«
Carly lehnte sich an ihn und blickte zu ihm auf; sie fürchtete, dass man ihr ihre Gefühle für ihn nur allzu deutlich ansah. »Ich liebe dich«, sagte sie. Bevor er etwas antworten konnte, fügte sie hinzu: »Aber jetzt sehen wir zu, dass wir hier fertig werden.«
Entschlossen schritt sie durch die Zimmer im Erdgeschoss und erinnerte sich dabei an jene Nacht, als sie blutend vor diesem Verbrecher flüchtete. Sie erinnerte sich an das Blitzen seines Messers und an den Klang seiner rauen Stimme, mit der er ihr du bist so gut wie tot nachgerufen hatte. All die Gefühle kamen wieder zurück - die Angst, der Schmerz, als er ihr das Messer in die Schulter stieß, und die Verzweiflung, als ihr klar wurde, dass sie die Tür nicht rechtzeitig erreichen würde. Doch sie hatte letztlich überlebt; sie hatte das Ungeheuer überlistet, und Matt war rechtzeitig zur Stelle gewesen. Und jetzt würde sie ihr Haus wieder in Besitz nehmen.
Mit hoch erhobenem Kopf ging sie die Treppe hinauf und durchquerte das gesamte erste Stockwerk des Hauses. Das Badezimmer war wieder sauber; nicht der kleinste Blutstropfen war mehr zu sehen. Dann ging sie in ihr Zimmer und suchte einige Kleidungsstücke heraus, die sie fein säuberlich in ihre Tasche legte. Schließlich stieg sie erleichtert wieder die Treppe hinunter und ging quer über den Flur und auf die Veranda hinaus.
Dort begannen ihre Knie plötzlich zu zittern, so als würden sie jeden Moment unter ihr nachgeben. Sie schaffte es noch bis zur Treppe, wo sie sich auf der obersten Stufe niederließ. Sie atmete tief durch und blickte auf die Wiese mit der riesigen Birke und den Eichen hinaus und dann zur Straße hinunter, wo Matts Streifenwagen stand. Die heiße Sonne brachte nach und nach die Kälte zum Verschwinden, die der Gang durch das Haus in ihr hinterlassen hatte.
»Was ist los?«, fragte Matt, der mit ihrer Tasche in der Hand hinter ihr stand. Er stellte sie nieder und setzte sich neben sie.
»Ich war ein bisschen außer Atem«, sagte sie und sah ihn lächelnd an.
»Wirklich?«, fragte er mit skeptischem Blick.
»Okay, ich habe weiche Knie bekommen«, gestand sie und verzog das Gesicht.
»Verstehe«, sagte er und zog zärtlich an einer ihrer Locken. »Trotzdem war es nicht schlecht, durch das Haus zu gehen, nicht wahr?«
Carly holte tief Luft und nickte. »Es ist mein Haus. Ich kann es mir doch nicht von diesem Monster verderben lassen.«
Matt nahm ihre Hand, an der die Schnittwunde fast verheilt war, und drückte sie an seine Lippen. Carly sah ihn lächelnd an. Sie wollte gerade etwas sagen, als Annie unter der Veranda hervorgelaufen kam. Sie hatte irgendetwas zwischen den Zähnen, einen annähernd runden schwarzen Gegenstand, der schwer genug sein musste, dass Annie ein wenig Mühe hatte, ihn zu tragen.
»Sieht aus wie eine Damenhandtasche«, sagte Matt ein wenig überrascht, als ihm der Hund ebenfalls auffiel.
»Wem die wohl gehört?«, sagte fcarly und stand auf - nicht zuletzt auch, um zu sehen, ob ihre Knie sie schon wieder trugen. Sie ging sicheren Schrittes die Treppe hinunter und wusste, dass es ihr beim nächsten Mal schon leichter fallen würde, das Haus zu betreten. Die Erinnerung an den Überfall würde immer da sein, aber es würde wieder ihr Haus sein - und wenn der Täter erst gefasst war, würde sie wieder hier leben können, und der Schrecken würde ein Ende haben.
»Annie, zeig mir das mal«, forderte sie die Hündin auf. Annie ließ den Riemen der Tasche los, als Carly danach griff. Es war eine billige Handtasche, nicht aus Leder, sondern aus Kunststoff. Sie fühlte sich kalt an und war schon ziemlich schmutzig, nachdem sie gewiss schon eine Zeit lang unter der Veranda gelegen hatte. Carly hatte die Tasche noch nie gesehen; sie gehörte weder ihr noch Sandra, und so öffnete sie sie, warf einen Blick hinein und holte eine Geldtasche heraus.
»Gehört sie jemandem, den ich kenne?«, fragte Matt, der ebenfalls die Treppe heruntergekommen war.
Carly öffnete die Geldtasche und warf einen Blick auf den Führerschein. Das Foto zeigte eine attraktive rothaarige Frau.
»Marsha Mary Hughes«, las sie.
Matt war augenblicklich wie elektrisiert.
» Was?«, fragte er und nahm ihr die Geldtasche aus der Hand. Er starrte auf den Führerschein in der Plastikhülle, als traue er seinen Augen nicht.