EINUNDDREISSIG
Auf dem PNU-Campus herrschte am
Sonntagvormittag eine unheimliche Stille – eine eigentümliche
Leere, als ob sich die Gespenster in die Kapelle zurückgezogen
hätten und die Gebäude Luft holten. Frankie war zu dieser
freiwilligen Arbeit pünktlicher erschienen als zu ihrer normalen,
und Punkt zehn befanden wir uns in Raum zwölf. Ein kleiner Wagen
mit Ausrüstung stand im Korridor. Wir zerstörten mit unserer
Zielstrebigkeit die atemlose Stille.
Frankie, die ohne Make-up und in einer schlichten
braunen Jeans kaum wiederzuerkennen war, sah sich mit der
Geschwindigkeit einer Expertin im Séance-Zimmer um. »Okay. Zuerst
den Tisch. Er passt allerdings nicht durch die Tür. Wir müssen also
die Beine abschrauben. Zum Glück habe ich das richtige Werkzeug
dabei.«
Sie lief zu dem Wagen hinaus und holte sich zwei
gro ße Schraubenzieher, die sie sich hinten in die Hosentasche
schob. Dann legten wir den Tisch um, wobei wir einen kleinen,
pulsierenden Flecken aus Energie zerdrückten, der auf dem Teppich
festhing. Eine Weile mühten wir uns mit den Tischbeinen ab, bis
Frankie die Geduld verlor.
»Du bist wirklich ein unmöglicher Tisch«, erklärte
sie und stand auf. Sie holte mit dem Fuß aus und trat so heftig
gegen eines der Beine, dass das Holz zerbrach. Nun konnte man
Kabel und Metallklammern erkennen, die wie Innereien aus dem
Tischbein quollen. »Ha! Da siehst du es!«, jubelte sie. Voll
schadenfroher Genugtuung fuhr sie fort, um auch die anderen Beine
auf dieselbe Weise zu entfernen. Wir schleppten die Teile die
Treppe hinunter zur Hintertür, wo wir sie auf die Pritsche eines
geliehenen Kleintransporters warfen.
Wieder oben begann Frankie damit, die Bücherregale
auszuräumen und den Inhalt in zwei Stapel zu sortieren. Das, was
der PNU gehörte, kam auf den im Flur stehenden Wagen, während der
Rest auf den Transporter, in den Müllcontainer auf dem Parkplatz
oder in mein Auto gebracht wurde. Die zwei Beistelltische neben dem
Sofa ereilte dasselbe Schicksal wie den Tisch. Sie wurden mit
Tritten zu Kleinholz gemacht und weggetragen.
»Ihnen macht das ziemlichen Spaß – nicht wahr?«,
bemerkte ich, als wir wieder nach oben gingen. Mein Knie war noch
immer nicht ganz verheilt, sodass ich die Anstrengung mehr als
gewöhnlich spürte.
»Das kann man wohl sagen! Ich habe das Gefühl, mich
endlich von Tuck zu befreien. Es fühlt sich großartig an, dieses
Zeug kaputt machen zu können.«
»Wie wird er wohl reagieren, wenn er davon
erfährt?« »Ach, der kann von mir aus einem Wal einen Zungenkuss
geben – ist mir doch egal! Ich werde ihm einfach sagen, dass die
Anweisung vom Dekan kam. Er kann sich dann mit dem alten Knacker
herumschlagen. Ich bin mir sicher, das wird ihm viele Pluspunkte
einbringen.« Sie kicherte hämisch. »Er bewegt sich seit dieser
letzten Panne sowieso auf sehr dünnem Eis. Außerdem soll er bei
einem Essen der Psychologen-Vereinigung ziemlich ausfällig geworden
sein. Ich freue mich schon auf seinen Sturz – das kann ich Ihnen
sagen.«
Frankie verhielt sich wie eine Frau, die schwer
enttäuscht worden war. Sie hatte mir zwar nie erzählt, was Tuckman
gemacht hatte, um in ihren Augen so tief zu sinken, aber es klang
ganz so, als ob er es noch bitter bereuen würde.
Wir rissen die Verkabelungen aus dem Teppich,
brachten die Couch weg und verteilten die Stühle in den anliegenden
Zimmern. Frankie schleppte die Monitore und Apparate aus der
Beobachtungskabine und stellte sie auf das Wägelchen. Schließlich
gab es nur noch die Fotos und Poster an den Wänden sowie Kens
Portrait von Celia. Ich hängte alles ab und warf es in einen
Metalleimer.
»Haben Sie ein Feuerzeug?«, fragte ich.
»Nein«, erwiderte sie. »Das gehört zu den wenigen
schlechten Angewohnheiten, die ich nicht habe. Außerdem sollten Sie
das nicht hier drinnen verbrennen. Sonst geht nur der Rauchmelder
los. Wahrscheinlich gibt es irgendwelche Streichhölzer in der
Kaffeeküche.«
Wir trugen den Teppich und den Metalleimer auf den
Parkplatz hinunter. Während Frankie mit dem zum Teil bereits
zerfetzten Teppich kämpfte, ging ich noch einmal hoch und
durchsuchte die Küche.
Ich kehrte mit Streichhölzern in der Hand auf den
Parkplatz zurück. Dort hob ich das Portrait des Poltergeists hoch
und betrachtete es ein letztes Mal. Es war erstaunlich, wie viel
Leben Ken in seine Darstellung gelegt hatte. Celia strahlte
geradezu. Ich zündete eine Ecke des Porträts an und murmelte die
Worte, die Carlos für diese Gelegenheit aufgeschrieben hatte.
Zuerst weigerte sich das Papier, Feuer zu fangen,
doch dann kroch die Flamme auf die Tinte. Rauch stieg auf. Seltsame
Ranken aus Feuer züngelten in die Luft, und ein unheimliches Licht
breitete sich aus.
Ich ließ das Papier in den Eimer fallen, und das
Feuer schlug höher. Nun begannen auch die Fotos und Poster zu
brennen. Auf einmal ertönte ein seltsames Heulen, ein hohes Klagen,
das immer schmerzhafter klang. Ein gelber Strahl schoss aus dem
brennenden Papier und wand sich, als müsste er Folterqualen
erleiden. Unangenehm berührt trat ich einige Schritte zurück. Eine
Gestalt zeigte sich in den unheimlichen Flammen und schrie
entsetzt. Panisch wand sie sich, als die Flammen nach ihr fassten.
Es war eine junge, blonde Frau, die eine Uniform trug und deren
Haare aus dem Gesicht gekämmt waren. Die Flammen loderten blutrot
auf und wurden schwächer. Sie nahmen die schreckliche Vision mit
sich.
Frankie sah mich über den allmählich schwächer
werdenden Rauch hinweg fassungslos an. Ich wirkte wahrscheinlich
genauso überrascht. Wir wandten uns beide von dem Eimer ab. Frankie
ging, ohne etwas zu sagen, ins Haus, um den kleinen Wagen zu holen,
während ich den Eimer hochhob und mit ihm zur anderen Seite des
Parkplatzes lief, wo ich die Asche in einen anderen Müllcontainer
warf. Dann trug ich den Eimer in den Raum Nummer zwölf
zurück.
Frankie hielt gerade die Topfpflanze in der Hand,
die immer auf dem Fensterbrett gestanden hatte, als ich hereinkam.
Wortlos und mit einer seltsamen Miene eilte sie an mir vorbei. Sie
schien auf einmal meinem Blick auszuweichen. Ich sah mich im leeren
Zimmer um. Nun gab es hier nur noch Staub und einen schwachen
gelben Energiefaden, der an Kraft zu verlieren schien. Tiefer im
Grau konnte ich die blauen und gelben Energieleitungen des
Netzwerks erkennen, die allmählich ihre normale Form zurückgewannen
und aus Raum zwölf zu verschwinden schienen.
Frankie ging mit den Schlüsseln und der Topfpflanze
vor
mir die Treppe hinunter. Draußen auf dem Parkplatz begann sie, die
Apparate und Monitore in die Fahrerkabine des Transporters zu
laden.
»Okay«, sagte sie schließlich. »Ich werde die
Sachen in Tucks Büro bringen, damit er nicht behaupten kann, man
hätte ihn beklaut. Danach werde ich den Müll auf der Ladefläche an
verschiedenen Orten in und um Seattle los. So sollte ich das doch
machen – oder?«
»Genau. Es sollten mindestens zwei verschiedene
Orte sein, die so weit wie möglich voneinander entfernt liegen.
Mehr wären natürlich besser.«
»Verstehe.« Sie wollte gerade in den Transporter
klettern, als ihr noch etwas einfiel. »Was war eigentlich das im
Feuer?«
Mir lief ein Schauer über den Rücken. »Ich vermute,
das war Celia.«
Sie wirkte auf einmal sehr jung. »Ist sie jetzt
verschwunden?«
»Ich glaube, sie wird bald verschwunden sein«,
antwortete ich.
Frankie nickte. »Gut. Ich habe nämlich keine Lust,
noch mehr Alpträume zu haben. Hören Sie zu – ich werde Sie anrufen,
sobald ich weiß, was mit Tuck passiert. Okay?«
»Gerne. Passen Sie auf sich auf, Frankie.«
»Keine Sorge, ich bin die unbesiegbare Königin der
Kaffeepausen«, sagte sie und kletterte hinter das Steuer des
Wagens. »Mir kann kein noch so eitler Narziss etwas antun – und ein
falscher Poltergeist schon gar nicht. Stärkere Männer als Gartner
Tuckman zittern beim Gedanken an meinen Zorn. Oder das sollten sie
zumindest.« Sie zog die Autotür zu und ließ den Motor an. Mit einem
leicht hysterischen Grinsen brauste sie davon.
Ich fuhr zu zwei verschiedenen Wertstoffhöfen, um
die Überreste aus dem Séance-Zimmer loszuwerden. Dann machte ich
mich auf den Weg nach Hause. Dort legte ich etwas Eis auf mein Knie
und ließ das Frettchen aus seinem Käfig. Eine zufriedene Müdigkeit
breitete sich in mir aus. Es war eine angenehme Abwechslung zu der
Erschöpfung und dem Gefühl, überhaupt nichts im Griff zu haben,
seitdem ich mit Celia beschäftigt gewesen war.
Offensichtlich hatte der erste Teil von Carlos’
Anweisungen funktioniert. Jetzt musste ich nur noch Ian finden,
damit ihn der Vampir ablenken konnte, während ich den Rest des
Poltergeists zerstörte.
Einige Stunden später hatte ich es mir auf einem
der Sofas im Wohnzimmer der Danzigers bequem gemacht. Ben lag auf
dem Boden vor dem Kamin, die Beine in der Luft. Brian ›flog‹, indem
er auf den Fußsohlen seines Vaters lag und dabei lustige
Zischgeräusche von sich gab.
Mara kam mit der Destillierblase in der Hand ins
Zimmer. »Entschuldige, wir mussten sie woanders unterbringen.
Sowohl Brian als auch Albert waren zu fasziniert davon und haben
immer wieder versucht, irgendwie dranzukommen. Ich habe keine
Ahnung, was sie damit anfangen würden, aber ich hielt es für das
Beste, sie an einem sicheren Ort aufzubewahren. Sie war die ganze
Zeit über in dem alten Becken hinten auf der Veranda, wo ich sie
außerdem mit einem starken Zauber fixiert habe. Irgendjemand hat
nämlich versucht, den Stöpsel herauszuziehen.« Sie warf Albert
einen wütenden Blick zu, als dieser vorbeischwebte. »Deshalb der
Zauber. Ich bin froh, wenn wir das Ding bald wieder los sind. Es
war ziemlich anstrengend, die beiden davon fernzuhalten.«
»Wenn alles gut geht, werdet ihr es nie mehr
wiedersehen müssen«, meinte ich und stellte das Glasbehältnis auf
den Tisch neben mir. Der unheimliche Inhalt schien bereits kleiner
geworden zu sein und waberte mit weniger Vehemenz als am Tag zuvor
herum.
Da sich der Stöpsel in der Öffnung befand, konnte
ich die Verbindungsfäden weder erkennen noch zählen. Ich war mir
aber sicher, dass es weniger waren als zuvor. Ich hatte gesehen,
wie Patricias Faden zerfallen war, und das Fehlen der Stahlqvists
bei der Beerdigung ließ mich vermuten, dass auch sie ihre
Verbindung zum Poltergeist gelöst hatten. Insgeheim hatte ich
gehofft, dass das Wesen durch die Zerstörung des Séance-Raums seine
ganze Energie verlieren würde, aber dem war nicht so. Es war ihm
schon immer möglich gewesen, auch dann zu agieren, wenn nur vier
Teilnehmer anwesend waren. Außerdem hatte es in den letzten Tagen
angegriffen, ohne dass sich die Gruppe versammelt hatte. Das zeigte
mir, dass es inzwischen mehr oder weniger selbstständig handeln
konnte. Obwohl die Energieleitung im Grau nun wieder an ihren
ursprünglichen Ort zurückkehrte, war es dem Wesen weiterhin
möglich, eine Verbindung mit dem Netzwerk und Ian zu halten.
»Was willst du damit machen?«, fragte Ben.
»Vermutlich hast du mit Carlos einen Plan
ausgearbeitet – oder?«, meinte Mara.
»Richtig«, entgegnete ich. »Ich habe schon damit
angefangen. Mit Tuckmans Assistentin war ich heute an der Uni und
habe den Séance-Raum aufgelöst. Seinen Inhalt haben wir überall in
der Stadt verteilt. Als ich Celias Portrait verbrannte, sahen wir
sogar ein Gesicht in den Flammen.«
»Das war bestimmt das künstliche Wesen – sozusagen
die Seele, die der Künstler in das Bild gesteckt hat. Einerseits
ist das ein gutes Zeichen. Andererseits ist es schlecht, da es
jetzt keine eigene Persönlichkeit mehr besitzt, sondern nur noch
die, die ihm sein Meister verleiht.«
»Der Poltergeist ist jetzt also nur noch so klug
und verrückt wie sein Meister, und offenbar ist der Typ nicht
dumm«, sagte ich. »Ich hoffe, dass er auch arrogant ist. Jedenfalls
kam er mir so vor. Er wird Fehler machen, wenn er glaubt, besonders
schlau zu sein.«
»Dann ist es also sicher einer der jungen Männer?«,
fragte Ben.
»Ja. Solis meinte, dass sich die Sache um eine Frau
drehte, und für einen Moment glaubte ich, dass auch eine Frau die
Fäden in der Hand hielte. Aber es war einer der jungen Männer, der
mich mit dem Poltergeist angegriffen hat.«
»Was willst du jetzt tun? Weiß die Polizei davon?«
Ben gab ein lustiges Grunzgeräusch von sich, während Brian
weiterhin auf seinen Sohlen schwebte.
»Solis kennt den Mann, und ich bin mir ziemlich
sicher, dass er seine nächsten Opfer unter Beobachtung hat. Er hat
es zwar nicht gesagt, aber es wäre dumm, das nicht zu tun. Und
Solis ist alles andere als dumm. Aber er wird nicht nach dem Wesen
suchen. Ich bin mir nicht sicher, wie nahe der Meister sein muss,
um es so zu benutzen, wie er das bei Mark getan hat. Möglicherweise
könnte er sich außerhalb der Beobachtungszone aufhalten. Ich glaube
aber, dass ich ihn trotzdem aufspüren kann. Er steht noch immer in
Verbindung zu Celia, die sich wie eine Kompassnadel auf ihn richten
wird. Bei mir ist das jedenfalls so, und deswegen nehme ich an,
dass es bei ihm nicht anders ist«, erklärte ich.
»Er kann sich im Grunde nur an zwei Orten
aufhalten«, fuhr ich fort. »Offenbar ist er gern in der Nähe seiner
Opfer.
Er berauscht sich daran, sich auszumalen, was er alles tun kann.
Wenn ich also die Flasche mit Celia an einen dieser beiden Orte
trage, sollte ich in der Lage sein, seinen Kontrollfaden ausfindig
zu machen. Schließlich ist das Wesen im Glas nicht völlig
isoliert.«
»Und dann?«, fragte Mara.
Albert schwebte zu Brian, und der kleine Junge
lachte daraufhin so laut, dass ich nicht antworten konnte.
»Runter«, befahl er.
Während Ben ihn herunterließ, wandte ich mich an
Mara.
»Sobald ich ihn gefunden habe, wird Carlos mir
helfen, ihn abzulenken, während ich die Kreatur zerstöre.«
»Carlos will dir helfen? Ich persönlich hätte ja
keine Lust, noch einmal mit ihm zusammenzuarbeiten.«
Brian jagte hinter Albert her und stieß wieder
einmal einen seiner Nashornlaute aus.
»Ich glaube auch kaum, dass es mir Spaß machen
wird«, entgegnete ich. »Aber er kann das Wesen leider nicht allein
auseinandernehmen. Es hat nie gelebt, weshalb es auch nie gestorben
ist. Das bedeutet, dass er es nicht zu fassen bekommt – es sei
denn, ein weiterer Mensch würde durch Celia sterben oder wir würden
jemanden umbringen. Und das halte ich für keine so gute Idee. Mark
hat sich offenbar nicht in einen Geist verwandelt, weshalb es auch
keine Verbindung zu ihm gibt. Carlos zufolge wurde sein Leben so
schnell beendet, dass es sogar kaum mehr Spuren davon im Grau gibt.
Er hat mir erklärt, wie ich Celia zerstören kann. Dummerweise
scheine ich die Einzige zu sein, die dazu in der Lage ist.
Allerdings brauche ich von dir einen Zauber, der den Geist eine
Weile festhält.«
Ben folgte seinem Sohn in den Flur hinaus.
»Eine Fessel«, sagte Mara.
»Und wie sieht die genau aus?«
»Es gibt mehrere Möglichkeiten, jemanden
festzuhalten, aber die meisten Zaubersprüche sind für Menschen oder
Dinge bestimmt. Bei einer Fessel handelt es sich um einen Zauber,
den man herumtragen kann – in gewisser Weise wie einen
Fliegenfänger. Wenn du sie fallen lässt, wird es an der Stelle für
eine Weile klebrig bleiben.«
»Genau so etwas brauche ich«, sagte ich. »Und wie
bringe ich diese Fessel dazu zu funktionieren?«
»In diesem Fall muss man der Fessel eine
Zeitschlaufe beigeben, damit der Geist eine Weile festgehalten
wird. Du musst die Fessel also auf einen Geist fallen lassen, der
sich in einer Wiederholungsschlaufe befindet, und dann deinen
Poltergeist in diese Schlaufe locken. Die Schlaufe ist im Grunde
wie eine Bärenfalle. Sobald sich Celia in ihrem Inneren befindet,
wird sie festgehalten, bis die Energie des anderen Geistes
verschwunden oder die Schlaufe zerstört ist.«
»Und wie lange dauert so etwas?«
»Normalerweise etwa eine Stunde. Das hängt
allerdings von der Kraft des Geistes und der Fessel ab. Ich werde
mein Bestes geben.«
»Und wie lange brauchst du etwa, um diese Falle
herzustellen?«
»Nur einige Minuten. Ich muss etwas aus dem Garten
holen. Bin gleich wieder da, bleib nur sitzen. Dein Knie sieht noch
immer ziemlich empfindlich aus.«
Ich nickte. »Ja, ich werde lieber nicht aufstehen.
Später muss ich noch genug durchmachen.«
Sie lächelte mitfühlend und ließ mich allein im
Wohnzimmer zurück.
Einige Minuten lang war alles ruhig. Ich fühlte
mich wohlig
vom Schutzzauber des Hauses umgeben, atmete langsam und bewusst
ein und aus und versuchte so, meine innere Anspannung etwas zu
lösen. Für einen Moment schloss ich die Augen. Das war mein
Fehler.
Mit einem lauten »Graaahhhhhhh!« galoppierte der
Nashorn-Junge ins Zimmer, gefolgt von Albert. Ben kam kurz hinter
ihnen herein.
Albert umkreiste Brian, der seinen Kopf senkte und
sich zum Angriff rüstete.
Der Geist schwebte in den kleinen Tisch neben
meinem Ellenbogen.
Brian hingegen rammte mit dem Kopf gegen die
polierte Eiche.
Der Tisch geriet ins Schwanken.
Ich streckte den Arm aus, um …
die Flasche festzuhalten …
die...
auf den Boden …
fiel...
und...
zerbrach.
Ein Sturm aus Spiegelglas wirbelte mit einem lauten
Brüllen durch die Luft. Das ganze Haus erzitterte. Heiße gelbe und
blutrote Fäden sammelten sich, und das Wesen zischte zur Tür.
Brian ließ sich mit einem entsetzten Schrei auf den
Boden fallen.
Mara eilte ins Zimmer. In der Hand hielt sie einen
kleinen Kranz. Sie blieb wie erstarrt in der Tür stehen. Mit weit
aufgerissenen Augen betrachtete sie zuerst die Scherben der
Destillierblase, zwischen denen ihr Sohn nun saß, und dann die
tosende Gestalt, die an ihr vorbeitobte.
Ich sprang auf und begann hinter dem Poltergeist
herzurennen. Mein Knie pochte wütend. Ich schaffte es gerade noch
auf die Straße hinaus, ehe ich die Kreatur aus den Augen
verlor.
»Verdammt!«, fluchte ich.
Der dünne gelbe Energiefaden, der mich mit Celia
verband, spannte sich und zeigte nach Südwesten. Nach
Chinatown.
Ich stürzte ins Haus zurück und packte dort Tasche
und Jacke.
»Ich muss hinterher!«
Mara drückte mir den kleinen Kranz aus
Brombeerranken und Blättern in die Hand. »Sie ist nicht so gut
geworden, wie ich das wollte. Diese Fessel wird bestimmt nur eine
halbe Stunde reichen. Aber es wird gehen. Pass auf mit den
Dornen.«
Doch die letzte Warnung kam zu spät. Ich hatte mich
bereits gestochen. Hastig schob ich den Kranz in meine Jackentasche
und rannte dem Geist, der in Wahrheit gar kein echter Geist war,
hinterher. Nach Chinatown.