Kapitel 13
In Frakknor regnet es mehr als an jedem anderen Ort in den vier Königreichen. Es heißt, nach wochenlangem Regen würde die Luft so feucht werden, dass die Fische an Land kommen und Menschen nach einem Atemzug ertrinken. Dem Reisenden sei geraten, diese Behauptung nicht auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 2
Alles war nass.
Jonans Kleidung klebte an seinem Körper, in seinen Stiefeln stand Wasser, und von der Pferdemähne, die er mit klammen Fingern hielt, tropfte Regen. Er ritt bei Nacht und schlief tagsüber in den Astgabeln von Bäumen, unter deren Blättern es wenigstens etwas trockener als auf dem durchweichten Boden war. Die Hoffnung, irgendwo eine verlassene Hütte zu finden oder einen Verschlag mit Feuerholz, hatte er längst aufgegeben. Wenn es Dörfer gab, dann lagen sie entlang der Handelsstraße, doch auf der wagte er nicht zu reiten. Er wusste nicht, ob die Miliz nach ihm suchte.
An einer Weggabelung zügelte Jonan sein Pferd und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. Es war fast Mittag. Müdigkeit drückte ihn nieder. Seine Wunden waren fast verheilt, nur das Fieber war geblieben. Es zog die Stärke aus seinem Körper und trübte seine Gedanken. Diese Schwäche war gefährlich.
Ich brauche eine Unterkunft, dachte er, einen Ort, an dem ich meine Kleider trocknen, etwas Warmes essen und schlafen kann.
Er sah hinauf in den Himmel. Er war grau. Die Wolken hingen so tief, dass manche Baumwipfel in ihnen verschwanden. Ohne Sonne fiel die Orientierung schwer, aber Jonan war sich sicher, dass er nach Süden ritt, dorthin, wo er eine größere Stadt vermutete. Wenn Ana immer noch nach Westfall wollte, musste sie ein Fährschiff finden, und die gab es nur in Städten.
Vor Jonan teilte sich der Weg. Der schmalere führte nach Südosten, der breitere nach Südwesten. Jonan zögerte einen Moment, dann lenkte er sein Pferd auf den südwestlichen Weg. Der brachte ihn zwar näher an die Handelsstraße heran, doch damit auch näher an die nächste Stadt. Er hatte durch unwegsames Gelände und Wege, die im Nichts endeten, viel Zeit verloren. Er glaubte zu spüren, wie die Entfernung zwischen ihm und Ana größer wurde, als wären sie Treibholz, das in unterschiedliche Flussarme gezogen wurde, machtlos gegen die Kräfte, die auf sie einwirkten.
Jonan schüttelte den Kopf. Die Müdigkeit in ihm stieg auf wie ein dunkler Vogel, doch einen Moment später ließ sie sich wieder auf seinen Lidern nieder. Es hatte keinen Sinn weiterzureiten. Er brauchte Schlaf.
Er warf einen Blick auf die Bäume. Die meisten waren jung, kaum drei Manneslängen hoch mit moosbedeckten Ästen, die das Gewicht eines Menschen nicht tragen würden. Anscheinend war der Weg einmal eine Straße gewesen, die sich der Wald allmählich zurückeroberte.
Ein Baum, der unmittelbar am Wegesrand stand, fiel Jonan auf. Moos hatte seinen Stamm grün gefärbt. Nur ein rechteckiger Ausschnitt auf Augenhöhe war frei geblieben, Jonan ritt näher heran. Jemand hatte das Moos abgekratzt; er sah die Spuren eines Messers in der Rinde. Erst als er noch näher kam, bemerkte er, dass die Anordnung der Kratzer kein Zufall war. Die wenigen, tief in die Rinde eingeritzten Linien stellten etwas dar: einen Krug und darunter einen Pfeil, der nach Süden wies, dem Weg folgend. Die Kratzer sahen alt aus, aber das Moos wurde offenbar regelmäßig entfernt, sonst hätte es die Rinde längst überwuchert.
Ein Gasthaus, dachte Jonan. Er zügelte sein Pferd. Niemand baute ein Gasthaus mitten im Wald. Entweder war er der Handelsstraße näher, als er gedacht hatte, oder in der Nähe lag ein Dorf. Beides bedeutete Gefahr.
Und Trockenheit, fügte er in Gedanken hinzu. Trotzdem wendete er sein Pferd. Im Orden hatte man ihn gelehrt, dass sich nur ein Narr einer Gefahr, die er umgehen konnte, stellte.
Jonans Blick fiel wieder auf den eingeritzten Krug. Regenwasser lief in seinen Kragen und den Rücken hinunter. Er hustete, dann wendete er das Pferd erneut und ritt nach Süden.
Meine Schwäche ist die Gefahr, dachte er. Ich kann sie nicht umgehen.
Er war sich nicht sicher, ob die Meister des Ordens ihm zugestimmt hätten.
Nur wenig später sah er hellen Rauch hinter einer Biegung aufsteigen. Jonan verließ den Weg, stieg vom Pferd und führte es durch das Unterholz. Was auch immer sich hinter der Biegung befand – er wollte es sehen, bevor es ihn sah.
Der Regen schluckte das Geräusch seiner Stiefel und der Pferdehufe. Ein Haus tauchte zwischen den Bäumen auf. Es bestand aus schweren, dunklen Balken und war größer, als Jonan erwartet hatte. Rauch stieg aus einem gemauerten Kamin. Die Eingangstür stand offen. Ein Stall grenzte an das Haus. Unter seinem Dach gab es eine Pferdetränke aus einem ausgehöhlten Baumstamm und einige in den Boden gerammte Pfähle mit Eisenringen. Pferde sah Jonan nicht.
Vorsichtig trat er aus dem Wald auf den Weg. Hinter dem Gasthaus, auf einer gerodeten Lichtung, standen einige Hütten. Sie wirkten verlassen. Unkraut wucherte in den Gemüsegärten, die sie umgaben, und Bäume und Sträucher wuchsen in den Ruinen schwarz verbrannter Hütten. Am Rande der Lichtung bemerkte Jonan einen Tempel. Das Dach war eingestürzt, die Balken geschwärzt, und Tauben nisteten in den Fenstern. Jonan hörte ihr Gurren über den Regen hinweg.
Kein Mensch war zu sehen, noch nicht einmal die Spuren eines Menschen. Nur der Rauch verriet, dass Jonan nicht allein war.
Er überquerte den Weg. Etwas bewegte sich hinter der Eingangstür. Jonan blieb stehen, bemerkte auf einmal, wie frei er stand. Es gab keine Deckung außer seinem Pferd. Zu beiden Seiten lag der Wald mehr als drei Schritte entfernt, zu weit, um einem Pfeil oder Speer zu entgehen.
»Was stehst du da draußen im Regen herum?«, krächzte eine Stimme plötzlich aus dem Halbdunkel jenseits der Tür. Sie klang so alt, dass Jonan nicht hätte sagen können, ob es die eines Mannes oder einer Frau war. Nur gefährlich klang sie nicht. »Komm schon rein.«
Jonan ließ das Pferd stehen; er hatte kein Zaumzeug, mit dem er es hätte im Stall festbinden können. Er duckte sich unter dem Türrahmen hindurch und betrat das Gasthaus.
Wärme strich über sein Gesicht wie eine trockene, weiche Hand. Das Gasthaus bestand nur aus einem Raum, doch der war so hoch, dass ein Mann, der auf den Schultern eines anderen stand, wohl kaum die Decke hätte berühren können. Von den Deckenbalken hingen Hängematten und Strickleitern. Darunter standen drei lange Tische, einige Bänke und Stühle. Im Kamin brannte ein Feuer. Seine Flammen schlugen bis in den Schornstein hinein. Ein großer Kessel hing neben dem Kamin an einer Eisenkette.
Jonan nickte dem Mann zu, der ihm auf einen langen Stock gestützt entgegenhinkte. »Ich danke dir für deine Gastfreundschaft.«
»Hast du Kupfer oder Silber?« Der Mann sah ihn aus trüben Augen an. Sein Rücken war bucklig, sein kahler Kopf von braunen Flecken übersät, und ein Netz aus Falten durchzog sein Gesicht. Es sah aus wie ein ausgetrocknetes Flussbett nach langer Dürre.
»Ein wenig«, sagte Jonan. Es fiel ihm schwer, den Mann nicht anzustarren. Er hatte noch nie einen so alten Menschen gesehen.
»Gut. Dann kannst du dich ausruhen.« Mit der freien Hand zeigte der alte Mann auf den Tisch vor dem Kamin. Seine Fingernägel waren lang und gelb, seine Finger gekrümmt. »Setz dich, bevor ein anderer dir den Platz wegnimmt.«
»Ein anderer?«, fragte er.
»Nur ein Scherz.« Der Mann grinste, und Jonan glaubte fast, die Haut des Alten müsse dabei aufplatzen wie eine Lehmform. »Es wird kein anderer kommen.«
»Lebst du allein hier?«
»Warum fragst du? Willst du mich ausrauben? Glaub mir, wenn du fünf Kupfermünzen in der Tasche hast, dann hast du fünf mehr als ich.«
Jonan zog seine Stiefel aus und stellte sie an den Kamin. »Es war nur eine Frage.«
Der alte Mann grunzte. Jonan spürte, wie seine Blicke ihn musterten.
»Mein Name ist Pardus«, krächzte er schließlich.
»Jonan.«
»Bist du ein Soldat, Jonan?« Pardus hinkte zu einem der Fässer, die an der Wand standen. Krüge hingen darüber an Haken.
»Nein.«
»Du siehst aber aus wie ein Soldat«, sagte Pardus, während er den Deckel des Fasses abnahm und einen Krug hineintauchte. »Und ich habe schon viele Soldaten gesehen. Nicht in diesem Krieg, sondern im letzten.«
Jonan kämpfte gegen die Müdigkeit. Die Hitze des Kamins umgab ihn wie eine Decke. »Der Krieg gegen den Roten König?«, fragte er, um wach zu bleiben.
»Oder für den Roten König. Es gab nicht nur eine Seite.« Pardus legte den Deckel zurück auf das Fass und stellte den Krug vor Jonan auf den Tisch. »Lass den Wein warm werden.«
Er setzte sich so vorsichtig und langsam, als habe er Angst zu zerbrechen. »Bist du auf dem Weg nach Süden, Jonan?«
»Ja.«
»Warum?«
Es war eine Frage, die sich Jonan nicht einmal selbst beantworten konnte. Er hob die Schultern. »Weil dort mein Ziel ist.«
Pardus schien ihm kaum zuzuhören. Er richtete den Blick seiner Augen in die Ferne. »Du solltest nach Osten gehen. Ich wollte immer nach Osten gehen, bis ans Ende der vier Königreiche und über den Ozean. Weg von allem.«
»Warum bist du nicht gegangen?«, fragte Jonan. Er unterdrückte ein Gähnen. »Weil du ein Magier warst?«
»Dir ist der Name also aufgefallen. Ich war mir nicht sicher.« Pardus räusperte sich. »Auf ›us‹ soll der Name eines jeden Magiers enden, auf dass er vom Volke stets unterschieden und mit dem rechten Auge betrachtet werden kann.«
Es schien ein Zitat zu sein, aber Jonan wusste nicht, woraus es stammte.
Mit dem Stock schob Pardus einige Holzstücke zurück ins Feuer. »Ja, ich war ein Magier. Kein besonders guter, aber ich war da an dem Tag, als sich der Rote König unserer entledigte. Ich floh, kam hierher – wusstest du, dass diese Straße früher zum Sommerpalast des Roten Königs führte? – und wurde Priester. Dann kam Balderick mit seinen Truppen und brannte alles nieder. Niemand blieb, außer mir.«
Er lachte, ein Laut wie das Ächzen eines Blasebalgs. »Ich war alt, als der Krieg begann. Ich dachte, ich würde sein Ende nicht mehr erleben. Und jetzt bin ich noch älter, und es ist schon wieder Krieg.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hätte nach Osten gehen sollen. Mach nicht den gleichen Fehler.«
Seine langen Fingernägel kratzten über die Tischplatte. »Tut mir leid. Ich rede zu viel. Du siehst müde aus. Nimm dir eine Hängematte, wenn du willst.«
»Das werde ich, danke.« Jonan stand auf. Er war so müde, dass er auf dem Stuhl hätte einschlafen können, aber unter dem Dach würde er sicherer sein.
Die Sprossen der Strickleiter waren verstaubt, ebenso wie die Decken, die in den Hängematten lagen. Jonan achtete kaum darauf. Er streckte sich in einer der Matten aus, passte sich ihrem Schaukeln an und schloss die Augen. Es war warm so dicht unter den Balken. Der Geruch von altem Holz mischte sich in den Rauch des Feuers. Er brachte Erinnerungen mit an den Süden, an Zeltstangen, von denen Felle hingen, und an dunklen, süßen Tee. Seit Jahren hatte Jonan nicht mehr an den Süden gedacht. Er fragte sich, warum er es nun tat.
Ein plötzlicher Knall ließ ihn hochschrecken.
»Wo ist er?«, brüllte eine dunkle Männerstimme unter ihm. »Wo ist der Mann, dessen Pferd draußen steht?«
Vorsichtig schob Jonan die Decke beiseite und sah durch das Netz der Hängematte nach unten. Es war dunkel geworden. Nur das Licht des Kaminfeuers erhellte den Raum.
»Hier ist niemand außer mir«, behauptete Pardus. Er saß am Kamin, ein Messer in der Hand. Ein Korb voller Zwiebeln stand neben ihm.
»Du lügst.«
Stiefelsohlen scharrten über das Holz, dann traten vier Männer in den Schein des Feuers.
Tohm, dachte Jonan. Also hatte die Miliz die Suche nach ihm doch nicht aufgegeben. Er tastete nach seinen Schwertern und zog eines lautlos aus dem Gürtel. Tohm stand neben einem der Tische, und Wasser tropfte aus seiner Kleidung auf den Boden. Die anderen verteilten sich im Raum, blickten unter Tische und hinter Vorhänge. Einer öffnete sogar ein Fass.
Jonan sah seine Stiefel vor dem Kamin, wo er sie ausgezogen und zum Trocknen hingestellt hatte. Noch hatte keiner der Milizionäre sie entdeckt, aber das konnte – musste – jeden Augenblick passieren, und dann …
Pardus griff nach einer Zwiebel. »Ich habe seit vier Blindnächten niemanden mehr gesehen. Was führt euch hierher?«
»Warum lügst du?« Tohm machte zwei, dann drei Schritte auf ihn zu.
Jonan wischte die Klinge an seiner Hose ab und schloss die Finger einer Hand um den Rand der Hängematte. Seine nackten Füße fanden Halt zwischen den Maschen.
Ein weiterer Schritt. »Weißt du überhaupt …«
Jonan sprang.
Er landete so, wie er es erwartet hatte, mit beiden Füßen auf dem Boden, einen Arm um Tohms Hals gelegt, den anderen, in dessen Hand er das Schwert hielt, in seinem Rücken. Tohm schrie auf und stolperte. Aus den Augenwinkeln sah Jonan, wie sich die anderen Männer umdrehten. Der erste hob sein Schwert.
»Lass das!«, schrie Tohm. Er streckte die Hand aus und ließ sein eigenes Schwert fallen. Jonan spürte, wie er versuchte, den Kopf zu drehen, und verstärkte den Druck seines Arms. Tohm begann zu husten.
Der Anführer sollte immer dein erstes Ziel sein, hatte sein Lehrer gesagt. Die anderen sind nicht daran gewöhnt zu denken.
»Seid ihr allein?«, fragte Jonan. Er brachte sein Schwert nach vorn, richtete es auf Tohms Kehle.
Tohm keuchte. Sein Blick heftete sich auf die Schwertspitze. »Ja. Wir sind allein, und wir …« Er unterbrach sich, um tief Luft zu holen. Schweiß rann an seiner Schläfe entlang zum Kinn. Er schluckte.
Josyff trat vor. Jonan drehte Tohm, brachte ihn als Schild zwischen sich und den älteren Mann.
»Was Tohm versucht zu erklären«, sagte Josyff »ist, dass wir nicht auf der Jagd nach dir sind. Wir glauben nicht, dass du ein Nachtschatten bist.«
Tohm nickte. Der Schweißtropfen fiel von seinem Kinn auf Jonans Schwert. »Wir wissen, dass du kein Nachtschatten bist«, sagte er mit zitternder Stimme. »Wir haben das Pferd gesehen, dass du gestoh… dass du dir genommen hattest, und wir fragen uns nur …«
Er schluckte erneut und hustete.
»… wieso«, fuhr Josyff fort, »du wusstest, dass der Priester uns verraten würde. Du bist seinetwegen geflohen, nicht wahr, und das nur einen Tag, bevor es passierte.«
Daneel, dachte Jonan, und laut fragte er:
»Bevor was passierte?«
»Du weißt es nicht?« Tohm drehte den Kopf und sah ihn an. »Das Lager wurde von Nachtschatten überfallen. Es waren Dutzende.«
»Hunderte«, sagte Olaff.
»Oder Hunderte. Sie brachten alle um, und der Priester war bei ihnen. Wir und noch ein paar andere konnten fliehen, aber wir verloren uns im Wald aus den Augen. Vielleicht haben die Nachtschatten sie erwischt.«
Jonan ließ das Schwert sinken. Diese Männer hielten ihn nicht für ihren Feind. Er hatte keinen Grund mehr, sie zu bedrohen. »Die Armee der Nachtschatten ist hier?«, fragte er.
Tohm machte einen raschen Schritt nach vorn, um aus seiner Reichweite zu gelangen, und setzte sich auf eine Bank. »Ja. Sie marschiert nach Süden. Wir haben ihre Vorhut auf der Handelsstraße gesehen. Deshalb sind wir auf diesen Weg ausgewichen.«
Pardus schob ihm einen Weinkrug zu. Tohm trank und verzog das Gesicht. »Schmeckt wie Pferdepisse.«
»Dann trink es nicht.« Pardus hob die Schultern. »Mir ist es egal.«
Die Männer, die sich im Raum verteilt hatten, kamen näher. Josyff musterte Jonan. »Also, woher hast du es gewusst?«
»Ich kenne den Priester. Ich weiß, was er mit denen zu tun vermag, die ihm zuhören.« Er antwortete halbherzig. Seine Gedanken beschäftigten sich mit der Nachtschattenarmee und ihrem Marsch nach Süden.
»Das ist wahr«, sagte Olaff. »Mein Kopf fühlte sich immer ganz komisch an, wenn er mit mir sprach.«
Jonan beachtete ihn nicht. Er wandte sich an Pardus. »Was für eine Stadt liegt im Süden?«
»Srzanizar, keine zwei Tagesritte von hier entfernt. Da leben aber nur Halsabschneider und Betrüger. Ihr solltet besser nach Osten gehen. Im …«
Jonan unterbrach ihn. »Legt dort eine Fähre an?«
»Sogar mehrere, die auf verschiedenen Routen des Flusses verkehren. Das sind große Flussschiffe, die Waren und Personen befördern. Srzanizar ist die größte Stadt in der Gegend. Der Rote König sammelte dort während des Kriegs seine Truppen.«
»Heißt das, die Nachtschatten wollen nach Westfall?« Olaff sah sich nervös um, so als rechne er jeden Moment mit einem Angriff.
»Wer weiß«, sagte Josyff. Er drehte den Weinkrug zwischen den Händen. Jonan steckte das Schwert zurück in seinen Gürtel, setzte sich an den Kamin und zog seine Stiefel an. Sie waren warm und trocken.
»Was machst du da?«, fragte Tohm.
»Aufbrechen. Jemand muss Srzanizar warnen.« Und Ana finden, fügte er in Gedanken hinzu.
»Warum reiten wir nicht zusammen?« Tohms Frage klang beiläufig, aber Jonan sah die Sorge in seinem Blick. Sie waren keine Kämpfer. Allein würden sie dem ersten Nachtschattenspäher zum Opfer fallen.
Jonan nickte. »Gut, aber wir müssen uns beeilen.«
Tohms Angst wich Erleichterung. »Unsere Pferde sind frisch. Wir können sofort aufbrechen.« Josyff schien widersprechen zu wollen, aber Tohm brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. »Sofort, sage ich.«
Josyff ging zur Tür.
Jonan sah Pardus an. »Willst du mitkommen?«
Der alte Mann winkte mit verkrümmten Fingern ab. »Ich würde euch nur aufhalten. Reitet los, lasst mich zurück. Die Nachtschatten werden mir schon nichts tun.«
»Wirklich?« Olaff hakte die Daumen in seinen Gürtel und ging übertrieben breitbeinig auf Pardus zu. Etwas Gemeines grub sich wie eine Falte in sein Gesicht. »Warum denn nicht? Vielleicht weil du einer von ihnen bist?«
»Olaff!« Tohm klatschte in die Hände. »Lass den Alten in Ruhe und komm! Srzanizar soll eine reiche Stadt sein. Man wird uns bestimmt für die Warnung belohnen, aber nur, wenn wir die Ersten sind, verstanden?«
»Verstanden.« Olaff sprang über eine Bank und lief zur Tür. Die anderen folgten ihm, Jonan zuletzt.
Er nickte Pardus zu. Der alte Mann erwiderte die Geste, dann keuchte er wie jemand, der fast zu lange die Luft angehalten hatte. Seine Augen färbten sich gelb, so wie Jonan erwartet hatte.
Er wandte sich ab und verließ das Gasthaus. Der beißende Essiggeruch verwehte im Wind.