Traum oder Realität

 

 

Die Nacht war stockfinster und die Sterne funkelten so klar und unnatürlich, dass er kaum seinen Blick vom Himmel wenden konnte. Was war das? Waren das dunkle, pechschwarze Baumkronen, die über seinem Kopf knarrten? Er blickte sich um. Nur der aufgehende Mond stand tief zwischen den Bäumen. Etwas stimmte hier nicht.

Verwirrt versuchte er Konturen in der Nacht zu erkennen. Seine Bewegungen fühlten sich eigenartig an, als wäre er jemand anderes. Er befand sich in einem Wald. Wie zum Teufel kam er hierher?

„Wo bin ich hier, verflucht?“

Er ging einige Schritte, spürte den knisternden, unebenen Boden unter seinen Füßen und versuchte, nicht übers morsche Geäst zu stolpern. Nur langsam gewöhnten sich die Augen an die Dunkelheit, bis er endlich mehr Details erkannte. Der Wald schien sehr alt zu sein. Viele große Bäume standen relativ eng zusammen. Es waren hauptsächlich Buchen und Eichen, die glücklicherweise kaum Unterholz besaßen. Erst jetzt bemerkte er, dass er eine schwere geladene Armbrust in seinen Händen hielt. Und nicht nur das. Er fühlte sich beobachtet und hatte plötzlich Angst, als wäre jemand hinter ihm her. Immer mehr Emotionen erfüllten ihn wie in einem bösen Traum.

Geräusche drangen an sein Ohr. Einige waren ihm wohl bekannt und vertraut. Nichts, wovor man Angst haben musste. Wind rauschte, jeder Schritt knisterte und über ihm knarrten die Bäume, durch deren Geäst die Sterne leuchteten. Plötzlich raschelte es hinter ihm. Schritte. Der Wald war stockfinster. Er spürte förmlich, wie sein Herz schneller schlug. War es ein Tier, das sich ihm näherte, oder verfolgte ihn jemand?

Aus der anderen Richtung drang schwacher Feuerschein durch die mächtigen Baumstämme hindurch. Endlich ein Ziel vor Augen, begann er zu laufen. Die Geräusche hinter ihm wurden immer beängstigender. Flüsterten dort Stimmen? Was auch immer vor ihm war, er wollte so schnell wie möglich dorthin. Er rannte und rannte, wankte von einem Ast zum nächsten und wich mächtigen Baumstämmen aus.

Immer wieder blieb er an Wurzeln hängen, bis er schließlich stolperte und stürzte. Etwas Schnelles pfiff über seinen Kopf hinweg und krachte mit dumpfem Schlag in den nächsten Baum. Sein Fuß schmerzte. Mühevoll versuchte er sich am nächstgelegenen, rauen Stamm aufzurichten. Erneut pfiff etwas heran und schlug nur eine Hand breit neben seinem Kopf in das Holz des Baumes ein. Ein Pfeilbolzen mit einer langen, rostigen Spitze hatte sich in die Rinde gebohrt. Urängste der Dunkelheit wuchsen ins Unermessliche. Mit einer schnellen Bewegung versuchte er den Schützen zu finden. Hastig huschten seine Blicke immer schneller, erkannten mehrere dunkle Gestalten, die im Wald hin und her liefen. Langsam hob er seine Armbrust und zielte in die Dunkelheit. Er konnte nichts sehen, noch dachte er daran, die Armbrust zu benutzen. Er wollte niemanden töten. Er war kein Mörder. Aber wer war er überhaupt? Und wer zur Hölle waren die Verfolger und wieso schossen sie auf ihn?

Er lief wieder los, hastete durch die Bäume und hörte die Schritte und Stimmen hinter ihm lauter werden. Sie kamen näher. Seine Atmung wurde immer schwerer, bis ihm fast die Luft wegblieb. Als er schließlich den Waldrand erreichte, stoppte er vor einem frisch gepflügten Feld. Hundert Meter ragte ein hoher Burgwall mit doppelt so hohen Wehrtürmen stolz in die Höhe. Er folgte der von Fackeln beleuchteten Mauer, die sich über angrenzende Hügel und Felder erstreckte. Die Mauer nahm kein Ende.

„Dahinten ist er“, hörte er einen der Männer hinter sich rufen. „Schnappt ihn! Fasst den Dieb!“, rief ein anderer.

Während er um sein Leben rannte und ihn weitere Pfeile nur um Haaresbreite verfehlten, hasteten seine panischen Blicke immer wieder zurück, um seine Verfolger auszumachen. Nun konnte er sie erkennen. Es waren einfache Knappen und schwer bewaffnete Soldaten, die ihn mit Schwertern, Lanzen und Armbrüsten verfolgten. Er rannte weiter auf einen unbemannten Wehrturm zu.

Unter jedem der steinernen Türme befand sich ein Tor. Um Luft ringend, rüttelte er verzweifelt daran, musste jedoch feststellen, dass es von der anderen Seite verschlossen war. Die unbekannten Verfolger ließen nicht locker, also folgte er der Mauer einem leichten Hügel zum nächsten Turm hinauf. Irgendwo musste er durchkommen. Was für ein langes Bauwerk war das, und was befand sich dahinter, fragte er sich immer wieder. Es sah römisch-germanisch aus. War dies der Hadrianswall?

Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihm nicht, denn er war umzingelt. Hinter ihm näherten sich Pfeile schießende Soldaten, bereit ihn zu hängen und zu lynchen. Einige Dutzend Meter vor ihm mehrere Ritter, die ihm auf gepanzerten Rössern entgegen ritten. Sein Ende schien nah. Horrorvisionen mittelalterlicher Folter gingen ihm durch den Kopf. Der Kreis schloss sich. Er saß in der Falle. Speere senkten sich auf seine Höhe nieder. Einer der Ritter legte seine Armbrust an, um seinen Bolzen in die Brust des Diebes zu versenken. Doch sein Schuss erreichte den Ritter zuerst, durchbohrte seinen Helm, sodass dessen Armbrust ins Leere feuerte. Tödlich getroffen fiel der Mann zu Boden. Von Feinden umzingelt, wollte er schnell nachladen, als er überraschend bemerkte, dass er etwas völlig anderes in den Händen hielt. Ein diebisches Lächeln breitete sich auf seinem Mund aus. Die Karten wurden neu gemischt.

Es war ein schwerer HK220 Impulswerfer, der ihm noch bestens aus seiner Militärzeit vertraut war. Bisher hatte er diese Waffe noch nie auf einen Menschen anlegen müssen, sondern hatte sie lediglich auf Übungsplätzen benutzt. Ihre verheerende Wirkung war ihm bestens bekannt und er wusste nur zu genau, was diese Waffe mit menschlichem Gewebe anstellte. Sein Gewissen sträubte sich, auf wehrlose Ritter zu feuern. Ein heller Warnschuss verließ den dicken Lauf des Impulswerfers und schoss direkt in den Himmel.

„Zurück, Männer! Das ist Teufelswerk!“, rief der Hauptmann entsetzt. „Heilige Maria, Josef...“, bekreuzigte er sich.

Bogenschützen postierten sich auf dem Wehrturm und in den Schießscharten. Reflexartig schwang er seine Waffe, feuerte ein zweites Mal und traf den Wehrturm, der durch den Volltreffer regelrecht nach allen Seiten zerfetzt wurde. Die massiven Felsblöcke, aus denen der Turm erbaut worden war, regneten auf die Ritter nieder und rissen sie mit voller Wucht von ihren Rössern. Schockiert rappelten sich einige Ritter auf und wichen zurück. Andere suchten rennend das Weite.

„Das ist Luzifer!“

„Nichts wie weg hier.“

Unbekannte Empfindungen trieben ihn ruckartig nach vorn. Kaum imstande die Waffe zu halten, stürzte er auf die Knie. Ein metallischer Geschmack breitete sich auf seiner Zunge aus. Als er schmerzerfüllt Luft holte, hustete er und spukte Blut. Langsam griffen seine Hände zu seiner Brust. Er sah hinab. Was er fühlte und erblickte, sah übel aus. Drei blutbenetzte Pfeilspitzen ragten aus seinem braunen Lederbrustpanzer heraus. Ein weiterer Bolzen krachte frontal in seine Brust.

„Wir haben ihn“, lachten die Männer hinter ihm.

Es war ein seltsames Gefühl, denn bisher war er noch nie gestorben. Tödlich getroffen brach er zusammen und sank zu Boden.

„Seht ihr? Doch nur ein Mensch. Er blutet wie ein Schwein.“

„Bringt ihn zum Hof! Auf den Scheiterhaufen mit ihm.“

Unter den herannahenden Soldaten brach Gelächter aus. Sie feierten die gewonnene Jagd, als hätten sie ein Untier erlegt.

„Ja, brennen soll er.“

Dann verschwand der Schmerz und etwas Seltsames geschah. Er sah sich selbst auf dem Boden liegen. War er tot? War dies das Ende?

Mehrfach umkreiste er seinen verletzten Körper, bis ein grünlich transparentes Menü erschien. Zwei in Blut getränkte Worte stachen dabei besonders ins Auge.

 

„GAME OVER“

 

Dann brach das Bild zusammen, so dass ihn nichts als Schwärze umgab.

 

„Du Arsch!“

 

Exploration Capri: Inferno
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