KAPITEL 14

Melanie war zu schockiert, um zu reagieren. Brachte nicht einmal einen Ton heraus, bevor die Tür hinter dem Vampir zufiel. Xylos hatte sie kommentarlos von den Fesseln befreit und sich angezogen. Immer noch lag sie nackt in seinem Bett, in seinem Versteck.

 

Fassungslos starrte sie auf die schwere Eisentür und versuchte zu begreifen, was eben geschehen war. In einem Moment hatte er sie mit einer Intensität geliebt, die sie nie für möglich gehalten hatte – im nächsten war er fort. Hatte alles beiseite geschoben. Sie und ihren Körper benutzt und weggeworfen. Bedeutungslos.

 

Melanie zitterte in der plötzlichen Kälte, die sich von ihrer Seele durch ihren Körper fräste. So fühlt es sich also an, wenn das Licht und die Hitze verschwanden. Auf wackeligen Beinen, und obwohl sie ahnte, dass die Tür verschlossen war, stand sie auf und überprüfte ihre Situation.

 

Hoffnungslos eingeschlossen.

 

Was würde Sofia an meiner Stelle machen? Sie setzte sich auf die Bettkante und versuchte ihre Gefühle und Gedanken in den Griff zu bekommen und das Zittern in ihren Gliedern. Sofia würde sich zuerst etwas zum Anziehen suchen! Melanie öffnete den Schrank. Zu ihrer Überraschung fand sie nicht nur seine Kleidung oder Kleidung anderer Frauen, sondern Dinge, die er ganz offensichtlich aus Sofias Wohnung mitgenommen hatte.

 

Andächtig ließ sie ihre Finger über ein Negligee tanzen, welches ihre Schwester geliebt haben musste, aber welches Melanie zu anrüchig erschien. Sofias Dessous ignorierte sie aus demselben Grund und entschied sich für einen einfachen Slip, eine schlichte weiße Bluse und einen schwarzen Rock.

 

Wenn du schon gefangen bist, musst du dich nicht kleiden wie ein Lustobjekt! Melanie warf einen ungeduldigen Blick in den Spiegel und war erschüttert von dem, was sie sah. Denselben Anblick, der sie seit jeher verfolgte, und den sie fürchtete.

 

Er wird nicht wiederkommen! Die Gewissheit war mit einem Mal da – genauso sicher und determiniert wie ihr Spiegelbild. Sie kommen nie wieder. Nur die Tränen kamen, spülten die Einsamkeit und Verzweiflung in ihr nach oben, die sie in sich eingeschlossen hatte, und die nun einen neuen Ausweg suchten.

 

Sofia würde nicht weinen. Sie weinte nie. Der Gedanke bewirkte das Gegenteil. Melanie hatte nie gelernt, Zorn aufzubauen um sich zu schützen, nie den Widerstand aufgebracht und den Kampfgeist, den ihre Schwester besaß. Sofia wäre gar nicht erst in diese Situation gekommen. Sie hätte gekämpft.

 

Doch wogegen hätte ich kämpfen sollen? Der Schock der nachglühenden Orgasmuswellen saß noch zu tief in ihrem Körper, als dass Melanie sich selbst hätte anlügen können. Xylos war sanft gewesen, zärtlich, leidenschaftlich und sehr, sehr gut. Natürlich hatte er viele Jahrhunderte Zeit gehabt, seine Kunst zu perfektionieren. Er war trainiert darin, Frauen alles zu nehmen, jede Verteidigung und jeden Schutz, bevor er ihre Welt in tausend kleine Traumscherben zersplittern ließ.

 

Sie hatte es gewusst, hatte diesen Teil seines Wesens bei ihrer Umwandlung gesehen und akzeptiert. Doch was sie in seinen Augen gelesen hatte, kurz bevor er sie ans Bett gefesselt hatte, war etwas anderes gewesen: Grausamkeit. Jennifer Schreiner Honigblut

 

Er hat gesagt, er sperrt dich zu deinem Schutz ein, und es ist die Wahrheit gewesen. Sie versuchte sich an seinen Worten festzuhalten und zu beruhigen, doch die Wahrheit entglitt ihr.

 

Aber er hat nicht gesagt, dass er wiederkommt, oder? Die Welt kippte, und die Leere war plötzlich wieder da, der Abgrund, der in ihrer Seele klaffte, und der sie stets gelähmt und betäubt hatte.

 

Dieses Mal lähmte und betäubte er nicht, war gnadenlos und stieß sie in den Schmerz, die Angst und die Verlassenheit. Genauso intensiv wie an dem Tag, an dem sie alles verloren hatte. Ihr entsetzter Schrei verhallte ungehört in der Kammer, bevor der Abgrund sie schluckte. Jennifer Schreiner Honigblut