17
Du lieber Himmel, Tom, was hatten wir für einen Spaß! Diese glorreichen ungebundenen letzten Flitterwochen, auch noch, als die Wolken sich schon ballten.
Es wäre verzeihlich, wenn du glaubtest, die Pflichten eines Stellvertretenden Residenten seien zwar hochrangig, aber doch geringer als die seines Chefs. Weit gefehlt. Der Resident in Washington schwebt in den höheren Sphären der Geheimdienstdiplomatie. Er hat die Aufgabe, den Leichnam der Besonderen Beziehung zu massieren und alle Welt einschließlich seiner eigenen Person zu überzeugen, daß dieser Leichnam am Leben und gesund sei. Jeden Morgen stand der arme Hal Tresider früh auf, legte seinen alten Shirburbian-Schlips und den schweißgefleckten Sommeranzug an, strampelte gravitätisch auf seinem alten Drahtesel dem sumpfigen Traumland der Komiteeräume entgegen und überließ es deinem Vater, das Archiv der Residentur zu plündern, sich um die Außenstellen in San Francisco, Boston und Chicago zu kümmern oder loszurasen, um einen Agenten zu betreuen, der auf der Durchreise nach Mittelamerika, China oder Japan war. Zu den Frondiensten gehörte auch, grauhäutige britische Marineoffiziere durch die Brutstätten der amerikanischen Hochtechnologie zu führen, wo die wissenschaftlichen Geheimnisse, die man in Washington handelt, künstlich gezeugt werden. Den armen Seelen ein Abendessen spendieren, Tom, während andere sie in ihren Motels hätten verschimmeln lassen. Sie in ihrem frauenlosen, unterbezahlten ausländischen Exil trösten. Mit ihnen in hastig geübtem Fachjargon reden, über High-Tech, Opto-Elektronik, Mega-File, CCC-Technologien, Unterwasser-Kommunikation und Asrok-Starter. Ihre Arbeitspapiere von ihnen ausborgen und sie am nächsten Morgen zurückgeben. »Hallo – das sieht aber interessant aus. Darf ich mal unsern Marine-Attaché einen Blick reinwerfen lassen? Er löchert das Pentagon deshalb schon seit Jahren, aber sie halten ihn immer wieder hin.«
Der Marine-Attaché warf einen Blick rein, London warf einen Blick rein, Prag warf einen Blick rein. Was nützt ein Ausweis für Geheimstufe Cosmic ohne kosmische Leserschaft?
Armer, dummer, ehrenwerter Hal! Wie gewissenhaft hat Pym dein Vertrauen mißbraucht und deine unschuldigen Ambitionen torpediert! Kein Beinbruch. Wenn der National Trust dich nicht haben will, bleibt dir immer noch der Royal Automobile Club oder eine bewährte Firma in der City.
»Hören Sie, Pymmie, nächsten Monat besucht wieder so eine gräßliche Physikergruppe das Livermore Weapons Laboratory«, sagtest du zum Beispiel, ganz Zerknirschung und Verzagtheit. »Glauben Sie, daß Sie hinflitzen und ein paar von ihnen füttern und tränken könnten und aufpassen, daß sie sich nicht ins Tischtuch schneuzen, ja? Ich weiß wahrhaftig nicht, warum wir in diesem Amt heutzutage wie ein Haufen plattfüßiger Sicherheitsbeamter auftreten müssen. Ich hätte große Lust, deswegen nach London zu schreiben, wenn ich ein paar Minuten abknapsen könnte.«
Kein Land war jemals leichter auszuspionieren, Tom, keine Nation war so offen mit ihren Geheimnissen, so bereit, sie zu lüften, zu teilen, anzuvertrauen oder viel zu früh auf den Müllhaufen des eingeplanten amerikanischen Altwarenmarkts zu werfen. Ich bin zu jung, um zu wissen, ob die Amerikaner jemals fähig waren, ihren bewundernswerten Mitteilungsdrang zu zügeln, aber ich bezweifle es. Mit Sicherheit geht es schon seit 1945 bergab, denn es stellte sich bald heraus, daß Informationen, für die zehn Jahre früher Axels Geheimdienst Tausende von Dollars in kostbarer harter Währung hätte zahlen müssen, um die Mitte der Siebziger für ein paar Cents aus der Washington Post zu haben waren. Wir hätten darüber verstimmt sein können, wenn wir weniger großzügig gewesen wären, denn in der Welt der Spione gibt es kaum etwas Ärgerlicheres als den großen Knüller, den man heute für Prag und London an Land gezogen hat, schon eine Woche danach in Aviation Weekly zu lesen. Aber wir beklagten uns nicht. Im großen Obstgarten der amerikanischen Technologie gab es für jeden genug zu pflücken, auf daß es keinem von uns je wieder an etwas fehle.
Kameen, Tom, kleine Steinchen für dein Mosaik, mehr brauche ich dir jetzt nicht zu liefern. Sieh dir die beiden Freunde an, wie sie unter einem dunkelnden Himmel tollen, die letzten Sonnenstrahlen erhaschen, ehe das Spiel aus ist. Sieh, wie sie nach Kinderart klauen, obwohl sie wissen, daß um die Ecke der Polizist steht. Pym lernte Amerika nicht in einer Nacht lieben, auch nicht in einem Monat, trotz all der prächtigen Feuerwerke am vierten Juli. Erst mit Axels Liebe wuchs auch die seine. Ohne Axel hätte er vielleicht nie das Licht gesehen. Pym ging, ob du’s glaubst oder nicht, mit der festen Absicht hinüber, alles, was er sehen würde, zu mißbilligen. Diese Welt war zu jung für ihn, es fehlte ihr an Autorität. Er fand keine Prinzipien, keine starren Urteile, gegen die er sich auflehnen konnte. Diese vulgären vergnügungssüchtigen Leute waren für sein abgeschirmtes und abgekapseltes Leben zu offen und lärmend, zu hemmungslos. Sie liebten ihren Wohlstand allzu unverhüllt, waren zu flexibel und mobil, zu wenig die Sklaven von Ort, Ursprung und Klasse. Die Heimlichkeiten, die Pyms ganzem Leben die Hintergrundmusik zu seiner Gehemmtheit geliefert hatten, kannten sie nicht. Gewiß, in Komitees verwandelten sie sich alsbald wieder zum Typus und wurden aufs neue die feindlichen Kleinfürsten der europäischen Länder, die sie hinter sich gelassen hatten. Sie konnten Kabalen anzetteln, vor denen das mittelalterliche Venedig sich hätte verstecken müssen. Sie konnten holländisch und dickköpfig sein, skandinavisch und schwermütig, balkanesisch und mörderisch und stammesorientiert. Aber wenn sie sich untereinander mischten, waren sie amerikanisch und schwatzhaft und entwaffnend, und Pym hatte viel Mühe, bis er einen Ansatzpunkt zum Verrat fand.
Warum hatten sie ihm nichts Böses getan? Warum hatten sie ihn nicht gebunden, geängstigt, seine Glieder von der Wiege an in unmögliche Stellungen gezwängt? Es kam so weit, daß er sich nach den leeren dunklen Straßen Prags und nach der tröstlichen Umarmung von Ketten sehnte. Sich in seine gräßlichen Schulen zurückwünschte. Sich alles wünschte, nur nicht die unfaßbaren Horizonte, die zu Leben führten, die er nie gelebt hatte. Er wünschte sich, sogar die Hoffnung auszuspionieren, durch Schlüssellöchern nach dem Sonnenaufgang zu spähen und die Chancen zu leugnen, die er verpaßt hatte. Und diese ganze Zeit über – was für ein Witz – war Europa hinter ihm her. Er wußte es. Axel auch. Noch kein Jahr war vergangen, als ihnen das erste heimtückische Raunen des Verdachts zu Ohren kam. Aber eben diese ersten Anzeichen der Sterblichkeit lockten Pym aus der Reserve und veranlaßten ihn, die Führungsrolle zu übernehmen, genau dann, als Axel sagte: Mach Schluß, hau ab. Ein geheimnisvolles Dankesgefühl für Amerika, das Gerechte, und dessen nahende Vergeltung ergriff von ihm Besitz, während es ihm wie ein schwerfälliger ratloser Riese auf den Leib rückte, in der gewaltigen sanften Faust die sich mehrenden Beweise von Pyms doppeltem Spiel.
»Gewisse Aristos in Langley und London sorgen sich allmählich wegen unserer tschechischen Netze, Sir Magnus«, warnte Axel ihn in seinem steifen trockenen Englisch bei einem Blitztreff auf dem Parkplatz des Robert F. Kennedy-Stadions. »Sie fangen an, mißliche Muster zu erkennen.«
»Was für Muster? Es gibt keine Muster.«
»Sie haben bemerkt, daß die tschechischen Netze besseres Material liefern, wenn wir sie führen, und andernfalls fast gar nichts. Das ist das Muster. Heutzutage haben sie Computer. In fünf Minuten können sie damit das Oberste zu unterst kehren und sich fragen, wie es wieder hinaufgeht. Wir sind leichtsinnig geworden, Sir Magnus. Wir waren zu gierig. Unsere Eltern hatten recht. Nur was man selber tut, ist gut getan.«
»Jack Brotherhood kann diese Netze genausogut führen wie wir. Die Hauptagenten sind echt, sie berichten, was immer sie aufspüren. Irgendwann erschlafft jedes Netz. Das ist normal.«
»Diese Netze erschlaffen nur, wenn wir nicht da sind, Sir Magnus«, erwiderte Axel geduldig. »Langley ist dieser Ansicht. Und ist beunruhigt.«
»Dann gib den Netzen besseres Material. Signalisier es Prag. Sag deinen Aristos, wir brauchen einen Knüller.«
Axel schüttelte traurig den Kopf. »Du kennst Prag, Sir Magnus. Du kennst meine Aristos. Sie verschwören sich immer gegen den Abwesenden. Ich habe keine Möglichkeit, sie zu überreden.«
Ruhig erwog Pym die Wahl, die ihm noch blieb. Beim Dinner in ihrem schicken Haus in Georgetown, wo Mary die reizende Gastgeberin spielte, die reizende englische Lady, die reizende Diplomaten-Geisha, überlegte Pym, ob er Poppy jetzt nicht doch überreden könnte, eine weitere Grenze zu überschreiten. Er sah sich endlich frei von jedem Makel, ein angesehener Gatte, Sohn und Vater. Er entsann sich eines alten Farmhauses aus der Zeit der Revolution, das er und Poppy in Pennsylvanien bewundert hatten, zwischen wogenden Feldern und steinernen Umfriedungen, mit Vollblutpferden, die aus dem lichtgesprenkelten Morgennebel auftauchten. Er dachte an die weißgetünchten Kirchen, die nach den modrigen Grüften seiner Kindheit so strahlend und hoffnungsvoll waren, und sah im Geist die seßhaft gewordene Familie Pym dort bei Arbeit und Gebet und Axel auf der Gartenschaukel, wie er Wodka trank und Erbsen für das Mittagessen auspulte.
Ich werde Axel an Langley verkaufen und mir meine Freiheit kaufen, dachte er, während er eine perlzähnige Matrone mit einer witzigen Anekdote charmierte. Ich werde eine Amnestie für mich herausschlagen und die Bilanz ausgleichen.
Er tat es nie, er würde es nie tun. Axel war sein Hüter und seine Tugend, er war der Altar, auf den Pym seine Geheimnisse und sein Leben gelegt hatte. Er war zu jenem Teil Pyms geworden, der niemandem sonst gehörte.
***
Muß ich dir sagen, Tom, wie hell und liebenswert die Welt aussieht, wenn wir wissen, daß unsere Tage gezählt sind? Wie alles Leben sprießt und sich dir öffnet und sagt, komm herein, gerade dann als du dich unerwünscht gefühlt hattest? Zu welchem Paradies Amerika wurde, sobald Pym die Schrift an der Wand erblickte. Wie seine ganze Kindheit plötzlich wieder da war! Er nahm Mary mit zum Steeplechase nach Winterthur ins Land der Burgen und träumte von der Schweiz und von Ascot. Er streifte durch den schönen Oak Hill-Friedhof in Georgetown und stellte sich vor, er sei mit Dorothy in The Glades im triefendnassen Obstgarten eingesperrt, wo sein schuldiges Gesicht den Vorübergehenden verborgen blieb. Minnie Wilson war unser Briefkasten in Oak Hill, Tom. Unser erster in ganz Amerika – geh eines Tages hin und sieh sie dir an. Sie liegt auf einer gewellten Steinplatte ein Stück den Rasenhang hinunter, ein kleines totes viktorianisches Mädchen in marmornem Gewand. Wir steckten unsere Botschaften in einen belaubten Hohlraum zwischen Minnies Rückseite und ihrem Beschützer, einen gewissen Thomas Entwhistle, der hochbetagt verschieden war. Der Doyen des Friedhofs ruhte weiter oben, nah an dem Kiesweg, wo Pym seinen Diplomatenwagen parkte. Axel fand den Doyen, sorgte dafür, daß auch Pym ihn fand. Es war Stefan Osusky, Mitbegründer der Tschechoslowakischen Republik, 1973 im Exil gestorben. Keine versteckte Opfergabe für Axel schien vollständig ohne ein stilles Gedenken an unseren Bruder Stefan. Nach Minnie, als unsere Geschäfte zunahmen, mußten wir uns Postboten suchen, die näher am Stadtkern waren. Wir wählten vergessene Bronzegenerale, meist Franzosen, die auf amerikanischer Seite gekämpft hatten, um die Briten zu ärgern. Besonders ihre Schlapphüte und Fernrohre und Pferde liebten wir, und die rot uniformierten Blumen zu ihren Füßen. Ihre Schlachtfelder waren Grasgevierte voll lagernder Studenten, unsere Briefkästen alles, von den klobigen Kanonen, die sie schützten, bis zu den verkrüppelten Koniferen, deren innere Äste praktische braune Nester aus Tannennadeln bildeten. Aber Axels Lieblingsplatz war das neu eröffnete Luft- und Raumfahrt-Museum, wo er hingerissen vor der Spirit of St. Louis und John Glenns Friendship 7 verweilen und das Mondgestein mit dem Zeigefinger berühren konnte, so andächtig, als nehme er Weihwasser in der Kirche. Pym sah ihn dabei nie. Er erfuhr das alles erst hinterher. Der Trick bestand darin, daß sie die Päckchen in getrennten Schließfächern in der Garderobe hinterließen und im Dunkel des Samuel P. Langley-Vorführraums die Schlüssel tauschten, während das Kinopublikum keuchte und sich ans Geländer klammerte, wenn die Leinwand es durchs All wirbelte.
***
Und fern von den Augen und Ohren Washingtons, Tom, was soll ich dir als erstes bieten? Silicon Valley vielleicht und das spanische Dörfchen südlich von San Francisco, wo Murgos Mönche uns nach Tisch gregorianische Gesänge vortrugen. Oder die Landschaft von Palm Springs, ähnlich der am Toten Meer, wo die Golfwägelchen Rolls Royce-Kühler hatten und das Gebirge von Moab auf den rosa Stuck und die künstlichen Bergseen unseres ummauerten Motels herabblickte, während illegale Mexikaner mit Spezialgeräten auf dem Rücken über den Rasen schritten und unansehnliche Blätter wegpusteten, auf daß sie nicht das empfindsame Auge unserer Mit-Millionäre beleidigten. Kannst du dir Axels Begeisterung vorstellen, als er die im Freien installierten Klimaanlagen sah, mit denen die Wüstenluft angefeuchtet und Mikro-Nebel über die Sonnenbadenden mit den mit grünem Schlamm bedeckten Gesichtern geblasen wurde? Soll ich dir vom Hunde-Adoptions-Dinner der Humane Society von Palm Springs erzählen, wo wir Pyms Erwerb der neuesten Blaupausen für die Raketenköpfe des Stealth-Bombers feierten? Wie die Hunde, geschniegelt und gestriegelt, auf die Bühne geführt wurden, um von menschlichen Damen an Kindesstatt angenommen zu werden, und alles weinte, als wären sie vietnamesische Waisen? Von dem rund um die Uhr sendenden Bibelfunk, der den Christengott als Champion des Wohlstands darstellte, weil Wohlstand der Feind des Kommunismus ist! »Gottes Wartesaal«, so nennen sie Palm Springs. Auf fünf Einwohner kommt ein Swimmingpool, und nur ein paar Fahrstunden entfernt liegen die größten Todesfabriken der Welt. Seine Industrien sind Nächstenliebe und Tod. In jener Nacht hatten Axel und Pym ohne Wissen der pensionierten Banditen und senilen Schauspieler deren Greisenstaat um eine weitere Industrie bereichert: die Spionage.
»Wir werden nie wieder so hoch fliegen, Sir Magnus«, sagte Axel, als er in der Stille ihrer Sechshundert-Dollar-pro-Nacht-Suite ehrfürchtig Pyms Opfergabe betrachtete. »Ich glaube, wir können auch in den Ruhestand gehen.«
Soll ich dir Disneyland zeigen und einen weiteren Vorführraum mit Rundleinwand, die uns den amerikanischen Traum enthüllte? Kann ich dich davon überzeugen, daß Pym und Axel echte Tränen weinten, als sie die Flüchtlinge aus Europa den Fuß auf amerikanischen Boden setzen sahen und der Kommentator von einer Nation der Nationen sprach und vom Land der Freien? Wir glaubten es, Tom. Und Pym glaubt es noch immer. Erst in der Nacht, in der Rick starb, hat Pym sich wieder so frei gefühlt. Alles, was er noch immer in sich selber zu lieben bestrebt war, konnte er in den Menschen lieben, die um ihn waren. Eine Bereitschaft, sich Fremden zu öffnen. Ein Argwohn, der nur als Schutz für ihre Unschuld diente. Eine Phantasie, die befeuerte, aber nie fesselte. Eine Fähigkeit, sich von allem überwältigen zu lassen und dabei doch stets souverän zu bleiben. Und auch Axel liebte diese Menschen, war aber nicht so sicher, daß seine Zuneigung auf Gegenseitigkeit beruhte.
»Wexler stellt ein Untersuchungs-Team zusammen, Sir Magnus«, warnte er eines Abends in Boston, als sie in der kolonialen Großartigkeit des Ritz dinierten. »Ein gemeiner Überläufer hat geschwatzt. Zeit, daß wir Schluß machen!«
Pym sagte gar nichts. Sie wanderten durch den Park und beobachteten die Schwanenboote auf dem Teich. Sie saßen in einem spannungsgeladenen kahlen, irischen Pub, das von Verbrechen brodelte, die die Engländer vergessen hatten. Aber Pym wollte noch immer nicht sprechen. Ein paar Tage später indessen, als er einen englischen Professor in Yale besuchte, der die Firma gelegentlich mit kleinen Happen belieferte, sah er plötzlich das Standbild des amerikanischen Helden Nathan Hale vor sich, den die Briten als Spion gehenkt hatten. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Auf dem Sockel standen seine letzten Worte: »Ich bedauere nur, daß ich bloß ein einziges Leben für mein Land hingeben kann.« Danach ging Pym ein paar Wochen lang auf Tauchstation.
***
Pym redete. Pym war in Bewegung. Pym war irgendwo im Zimmer, die Arme an die Seite gepreßt, die Handflächen nach außen, als wolle er fliegen oder schwimmen. Er sank in die Knie, rollte die Schultern gegen die Wand. Er packte den grünen Aktenkasten und schüttelte ihn, und der Aktenkasten schwankte in seinem Griff wie eine alte Standuhr, die ihn in ihrer Umarmung niederdrücken wollte, und die Burnbox obendrauf hüpfte und schaukelte und sagte: »Nimm mich.« Er fluchte, aber nur in Gedanken. Er redete, aber nur in Gedanken. Er gebot allen Dingen Ruhe, aber sie gönnten sie ihm nicht. Er saß wieder am Schreibtisch, und der Schweiß tropfte auf die verstreuten Papiere. Er schrieb. Er war ruhig, aber das verdammte Zimmer wollte nicht zur Ruhe kommen, es störte seine Erzählung.
***
Wieder Boston.
Pym hat den goldenen Halbkreis entlang der Autostraße 128 besucht: Willkommen auf Amerikas Technologie-Highway. Ein Ort wie ein Krematorium ohne Schornstein. Diskrete niedrige Fabriken und Laboratorien kauern in Gebüschen und Bodenmulden. Er hat einer britischen Delegation die Würmer aus der Nase gezogen und mit einer in seiner Aktenmappe versteckten Kamera ein paar verbotene Fotos geschossen. Er hat privat im Haus eines großen amerikanischen Industriepatriarchen namens Bob gegessen, mit dem er sich dessen Geschwätzigkeit wegen angefreundet hatte. Sie saßen auf der Veranda und blickten über einen Garten mit sanft abfallenden Rasenflächen, die ein schwarzer Mann gemächlich mit einem Dreifachmäher trimmte. Nach dem Lunch fährt Pym nach Needham, wo Axel ihn neben einer Biegung des Charles River erwartet, der ihre amerikanische Aare darstellt. Ein Reiher streicht über das blaugrüne Schilf. Rotschwänzige Falken äugen von toten Bäumen herab. Der Pfad steigt an einem Geschiebehügel bis weit in die Wälder hinauf an.
»Also, was ist los?« sagte Axel schließlich.
»Warum sollte irgendwas los sein?«
»Du bist nervös, und du redest nicht. Die Annahme liegt nahe, daß etwas los ist.«
»Ich bin bei jedem Debriefing nervös.«
»Nicht so nervös wie heute.«
»Er wollte mir nichts sagen.«
»Bob?«
»Ich fragte ihn, wie’s mit dem Vertrag über die Ausstattung der Nimitz stehe. Er antwortete, seine Gesellschaft mache in Saudi Arabien große Fortschritte. Ich fragte ihn nach seinen Gesprächen mit dem Admiral der Pazifik-Flotte. Er fragte mich, wann ich Mary einmal zum Wochenende nach Maine mitbringe. Sein Gesicht hat sich verändert.«
»Wie?«
»Er ist böse. Jemand hat ihn vor mir gewarnt. Ich glaube, er ist eher auf den Warner böse als auf mich.«
»Was noch?« sagt Axel geduldig; er weiß, daß bei Pym immer noch etwas nachkommt.
»Ich wurde bis zu seinem Haus verfolgt. Ein grüner Ford, getönte Fenster. Man kann dort nirgends herumstehen, und amerikanische Kletten gehen nicht zu Fuß, also sind sie wieder verschwunden.«
»Was noch?«
»Hör auf mit deinem ›was noch‹!«
»Was noch?«
Plötzlich klaffte zwischen ihnen ein Abgrund von Vorsicht und Mißtrauen.
»Axel«, sagte Pym schließlich.
Es war ungewöhnlich, daß Pym ihn mit seinem Namen anredete, normalerweise verbot ihm das der Spionage-Knigge.
»Ja, Sir Magnus?«
»Als wir zusammen in Bern waren. Als wir studierten. Da hast du’s nicht getan, oder?«
»Nicht studiert?«
»Nicht die Leute ausspioniert. Die Ollingers. Den Cosmo. Mich. Damals warst du niemandens Agent. Du warst nur du.«
»Ich habe nicht spioniert. Ich war niemandens Agent. Ich habe niemandem gehört.«
»Stimmt das?«
Aber Pym wußte bereits, daß es stimmte. Er sah es an dem ungewohnten Zornesblitz, der in Axels Augen aufzuckte. Er merkte es an der Feierlichkeit und dem Ekel in Axels Stimme.
»Es war deine Idee, Sir Magnus, daß ich ein Spion war. Nie die meine.«
Pym sah zu, wie Axel sich eine frische Zigarre anzündete und wie die Streichholzflamme zitterte.
»Es war Jack Brotherhoods Idee«, korrigierte Pym.
Axel zog an der Zigarre, und langsam entspannten sich seine Schultern. »Egal«, sagte er. »In unserem Alter spielt es keine Rolle mehr.«
»Bo hat ein scharfes Verhör angeordnet«, sagte Pym. »Am Sonntag fliege ich zurück nach London und bring’s hinter mich.«
***
Wer sollte Axel etwas von Verhören erzählen? Und noch dazu von scharfen? Wer dürfte die nächtlichen Mätzchen einiger zahmer Firmenanwälte in einem sicheren Haus in Sussex mit den Prügeln und Elektroschocks und Entbehrungen zu vergleichen wagen, die seit zwei Jahrzehnten für Axel zur abnormen Norm gehörten? Jetzt errötete ich bei dem Gedanken, daß ich ihm gegenüber das Wort überhaupt ausgesprochen hatte. 1952 hatte Axel, wie ich später erfuhr, Slansky denunziert und für ihn die Todesstrafe gefordert – nicht sehr laut, denn er war selber halbtot.
»Aber das ist furchbar!« hatte Pym ausgerufen. »Wie kannst du einem Land dienen, das dir so was antut?«
»Es war gar nicht furchtbar, vielen Dank. Ich hätte es früher tun sollen. Es sicherte mir das Überleben, und Slansky wäre gestorben, ob ich ihn nun denunziert hätte oder nicht. Gib mir noch einen Wodka.«
1956 erwischte es ihn wieder. »Diesmal war es weniger problematisch«, erklärte er und zündete sich eine frische Zigarre an. »Ich habe Tito denunziert, und keiner machte sich die Mühe, ihn umzubringen.«
In den frühen Sechzigern, als Pym in Berlin war, schmachtete Axel drei Monate lang in einem mittelalterlichen Verlies in der Nähe von Prag. Was er damals versprach, wurde mir nie ganz klar. Es war das Jahr, als die Stalinisten ihrerseits Opfer einer, wenn auch nur halbherzigen, Säuberung wurden, und man Slansky wieder zum Leben erweckte, wenn auch nur posthum (obwohl er weiterhin als schuldig galt in aller Unschuld). Axel jedenfalls sah, als er wiederkam, um zehn Jahre älter aus, und ein paar Monate lang waren seine Reden mit Ähs durchsetzt, was wie Stottern wirkte.
Neben solchen Erfahrungen war Pyms Verhör wirklich eine Lappalie. Jack Brotherhood trat als sein Verteidiger auf. Der Personalchef gackerte um ihn herum wie eine Glucke und versicherte ihm, es gehe nur um die Beantwortung einiger Fragen. Eine erbärmliche Pflaume aus dem Schatzamt warnte meine Ankläger dauernd, sie seien in Gefahr, ihre Kompetenzen zu überschreiten, und meine beiden Gefängniswärter erzählten mir unablässig von ihren Kindern. Nach fünf dergestalt verbrachten Tagen und Nächten fühlte Pym sich so beschwingt wie nach einem Urlaub auf dem Land, und seine Vernehmer waren fix und fertig.
»Gute Reise gehabt, Darling?« fragte Mary zu Hause in Georgetown nach einem Vormittag im Bett, wo Pym vorübergehend die Spannung abreagiert hatte.
»Großartig«, sagte Pym. »Und Jack läßt grüßen.«
Aber auf dem Weg in die Botschaft sah er an der Ziegelwand des Weinladens Fayre-deal einen frischen weißen Kreidepfeil, Axels Befehl, bis auf weiteres jeden Kontaktversuch zu unterlassen.
***
Und jetzt, Tom, ist es Zeit, daß ich dir sage, was Rick damals tat, denn dein Großvater hatte vor seinem Ende noch einen letzten Streich auf Lager. Es war, wie zu vermuten, sein bester. Rick schrumpfte. Er gab das Unmaß als Lebensstil auf und kam winselnd und kriechend wie ein mißhandeltes Tier zu mir. Und je kleiner und faßbarer er wurde, umso unsicherer fühlte sich Pym. Es war, als rückten die Firma und Rick ihm von beiden Seiten auf den Leib, jeder mit seiner schmerzlichen und erbärmlichen Banalität, und Pym, der wie ein Akrobat auf dem Hochseil zwischen ihnen gestanden hatte, war plötzlich jeden Halts beraubt. Pym flehte ihn in Gedanken an. Er schrie ihm zu: bleib schlecht, bleib monströs, bleib standhaft, gib nicht auf! Doch Rick kam, schlurfend und grienend wie ein Bettelmann, und wußte, daß seine Macht, jetzt in seiner Schwachheit, am größten war. »Ich hab’s alles nur für dich getan, Sohn. Mir verdankst du deinen Platz bei den Höchsten im Land. Hast ein paar Kröten für deinen alten Herrn, ja? Wie wär’s mit einem anständigen Mixed Grill, oder schämst du dich, deinen alten Kumpel auszuführen?«
Der erste Schlag fiel an einem Weihnachtstag, keine sechs Wochen, nachdem Pym eine förmliche Entschuldigung des Stammhauses erhalten hatte. In Georgetown lagen sechzig Zentimeter Schnee, und wir hatten die Lederers zum Lunch eingeladen. Mary stellte gerade das Essen auf den Tisch, als das Telefon klingelte. Nimmt Herr Botschafter Pym ein R-Gespräch aus New Jersey an? Er nimmt an.
»Hallo, mein Sohn. Wie geht’s, wie steht’s?«
»Ich spreche oben«, sagt Pym grimmig zu Mary, und alle nicken verständnisvoll, sie wissen, daß die geheime Welt niemals schläft.
»Fröhliche Weihnachten, Sohn«, sagt Rick, als Pym im Schlafzimmer den Hörer abnimmt.
»Fröhliche Weihnachten, Vater. Was machst du in New Jersey?«
»Gott ist der zwölfte Mann im Cricket-Team, Sohn. Gott sagt uns, daß wir im ganzen Leben den linken Ellbogen hoch halten müssen. Niemand sonst.«
»Das hast du immer gesagt. Aber jetzt ist keine Cricket-Saison. Bist du betrunken?«
»Er ist Unparteiischer, Richter und Jury in einem, daß du mir das nie vergißt. Gott läßt sich nicht einseifen. Nie. Bist du froh, daß ich dir eine gute Erziehung bezahlt habe?«
»Ich will Gott nicht einseifen, Vater. Ich möchte nur mit meiner Familie feiern.«
»Sag hallo zu Miriam«, sagt Rick, und man hört deutlich Protest, ehe Miriam sich meldet.
»Hallo, Magnus«, sagt Miriam.
»Hallo, Miriam«, sagt Pym.
»Hallo«, sagt Miriam ein zweites Mal.
»Geben sie dir in deiner Botschaft anständig zu essen, Sohn, oder bloß Ketchup und Fritten?«
»Wir haben eine tadellose Kantine für die Angestellten, aber im Moment versuche ich, zu Hause zu essen.«
»Truthahn?«
»Ja.«
»Englische Brotsauce?«
»Vermutlich.«
»Meinem kleinen Enkel geht’s gut, wie? Er hat wie du auch die Stirn geerbt, über die alle Welt spricht.«
»Er sieht sehr gut aus.«
»Blaue Augen wie ich?«
»Marys Augen.«
»Wie ich höre, ist sie klasse, Sohn. Ich höre nur Gutes über sie. Es heißt, sie hat einen schönen Besitz unten in Dorset, der ein paar Batzen wert ist.«
»In Treuhandverwaltung«, sagt Pym scharf.
Aber Rick beginnt bereits, in seinem eigenen Selbsmitleid zu ertrinken. Er weint, das Weinen wird zum Heulen. Im Hintergrund weint auch Miriam, ein dünnes Gewimmer wie von einem kleinen Hund, der in einem großen Haus allein ist.
»Aber Darling«, sagt Mary, als Pym seinen Platz als Familienoberhaupt wieder eingenommen hat. »Magnus. Du bist aufgeregt. Was ist los?«
Pym schüttelt den Kopf, lächelt und weint zugleich. Er greift zum Weinglas und erhebt es.
»Auf ferne Freunde«, ruft er. »Auf alle unsere fernen Freunde!« Und später, nur für die Ohren einer Ehefrau bestimmt: »Nur ein alter, alter Joe, Darling, der mich hier aufgespürt hat und mir ein verflixt vergnügtes Julfest wünscht.«
***
Hättest du je vermutet, Tom, daß das größte Land der Welt zu klein für einen Sohn und seinen alten Herrn sein könnte? Und doch passierte genau das. Daß Rick sich dorthin aufmachte, wo er den Schutz seines Sohnes genießen konnte, war wohl nur natürlich und, nach Berlin, wohl auch unvermeidlich. Er ging zuerst, wie ich jetzt weiß, nach Kanada, im törichten Vertrauen auf die Bande des Commonwealth. Die Kanadier hatten bald genug von ihm, und als sie ihm mit Abschiebung drohten, machte er eine kleine Anzahlung auf einen Cadillac und steuerte südwärts. In Chicago erlag er, wie meine Nachforschungen ergaben, den vielen verlockenden Angeboten der Immobilienfirmen, in neu erschlossene Stadtrandsiedlungen zu ziehen und drei Monate mietfrei probezuwohnen. Ein Colonel Hanbury residierte in Farview Gardens, ein Sir William Forsyth beehrte Sunleigh Court, wo er seine Wohnfrist durch langwierige Verhandlungen wegen des Kaufs des Penthouses für seinen Butler beträchtlich ausdehnte. Woher die beiden Herren ihre Liquidität hatten, blieb wie immer ein Rätsel, aber zweifellos steckten dankbare Lovelies dahinter. Den einzigen Schlüssel liefert ein pikierter Brief der Leitung eines Chicagoer Rennclubs, der Sir William mitteilt, seine Pferde seien willkommen, sobald er die Stallgebühren beglichen habe. Zu Pym drang dieses ferne Grollen erst nur vage, und seine häufigen Abwesenheiten von Washington wiegten ihn in falscher Sicherheit. Aber in New Jersey veränderte irgend etwas Rick für immer, und was es auch war, von da an wurde Pym zu Ricks einzigem Projekt. Trieb dieselbe Witterung beide Männer gleichzeitig in dieselbe Richtung? War Rick wirklich krank? Oder ahnte er nur, wie Pym, das nahende Gericht? Sicherlich glaubte Rick, er sei krank. Sicherlich glaubte Rick, am besten sei er krank:
Bin gezwungen, ständig kräftigen Spazierstock zu benützen (neunundzwanzig Dollar bar) wegen Herz- und anderen Ernsten Beschwerden – schrieb er. Mein Arzt hält das Schlimmste von mir Fern und meint, Schonkost (nur einfache Speisen und Champagner, keinen kalifornischen) könnte dieses Dürftige Dasein verlängern und ich noch ein Paar Monate durchhalten, bis ich Abberufen werde.
Sicherlich trug er eine leberfarbene Brille wie Tante Nell, und als er in Denver straffällig wurde, beeindruckte er den Gefängnisarzt so sehr, daß man ihn entließ, sobald Pym die Behandlungskosten bezahlt hatte.
Und nach Denver hast du beschlossen, bereits tot zu sein, nicht wahr, und hast mich mit deiner Kleinheit wie ein Spuk überall hin verfolgt. In jeder Stadt, in die ich kam, fühlte ich dein pathetisches Gespenst im Nacken. Wann immer ich ein sicheres Haus betrat oder verließ, erwartete ich, daß du mir am Tor auflauern und deine absichtsvolle Winzigkeit vorführen würdest. Du wußtest, wo ich sein würde, noch ehe ich dort war. Du konntest ein Billett erschwindeln und fünftausend Meilen fahren, nur um mir zu zeigen, wie klein du geworden warst. Und schon saßen wir im besten Restaurant der Stadt, und ich spendierte dir ein Luxusdinner und prahlte mit meinem Diplomatenstatus vor dir und hörte mir dafür dein Prahlen an. Ich überschüttete dich mit allem Geld, das ich erübrigen konnte, und betete, du mögest dafür den grünen Aktenkasten um ein paar weitere Wentworths bereichern können. Aber während ich dir schöntat und dein strahlendes Lächeln erwiderte und mit dir Händchen hielt und dich in deinen idiotischen Plänen bestärkte, wußte ich, daß dir der größte Streich deines Lebens gelungen war. Du selber warst nichts mehr. Deine Rüstung lag jetzt auf meinen Schultern, und du warst nur noch ein nackter kleiner Mann, und ich der größte Schwindler, den ich kannte.
»Warum wirst du denn nicht endlich geadelt, Sohn? Ich höre, du solltest längst beamteter Unterstaatssekretär sein. Hast du vielleicht ein Skelett im Schrank? Ich sollte wirklich mal rüber nach London und mit deinen Personalburschen ein Wörtchen reden.«
Wie hat er mich gefunden? Wie war es möglich, daß sein Nachrichtendienst besser funktionierte als die Spürhunde der CIA, die schon bald zu meinen stetigen unwillkommenen Begleitern wurden? Zuerst dachte ich, er habe Privatdetektive angeheuert. Ich fing an, mir die Nummern verdächtiger Autos zu merken, die Zeiten falsch verbundener Anrufe zu notieren und zu versuchen, sie von denen aus Langley zu unterscheiden. Ich nervte meine Sekretärin: Hat jemand angerufen, der sich als mein kranker Vater ausgab und alles mögliche wissen wollte? Schließlich kam ich dahinter, daß der Mann von der Reisestelle der Botschaft leidenschaftlich englisches Billard in einem Freimaurerheim im verrufenen Viertel der Stadt spielte. Rick hatte ihn dort aufgetan und ihm eine schwachsinnige Legende aufgebunden: »Ich hab so ein schwaches Herz«, hatte er diesem Mann erzählt. »Es kann mich jeden Moment erwischen, aber sagen Sie’s bloß nicht meinem Jungen. Ich möchte ihm keine Sorgen machen, er hat ohnehin genug um die Ohren. Wissen Sie was? Sie klingeln mich an, wenn mein Junge verreisen muß, und geben mir einen Tip, damit ich weiß, wo ich ihn finden kann, wenn’s zu Ende geht.« Und zweifellos war auch von einer goldenen Uhr die Rede. Und von Karten für das nächste Cup-Finale. Und von einem Besuch bei dem lieben alten Mütterlein des jungen Mannes, wenn Rick demnächst über den Teich flitzen würde, um ein bißchen englische Luft zu schnappen.
Aber das entdeckte ich zu spät. Inzwischen hatte es bereits San Francisco gegeben, und Denver und Seattle, und Rick hatte es jedesmal geschafft, er weinte und schrumpfte vor meinen Augen, bis von Rick nur übrigblieb, was er von Pym besaß; und was von Pym nur noch übrigblieb, wie mir schien, während ich meine Lügen spann und allen um den Bart ging und Meineide schwor vor allen korrupten Tribunalen, war ein verkrachter Schwindler, der aus dem letzten Loch seiner Glaubwürdigkeit pfiff.
Ja, Tom, so war es. Verrat ist ein endloses Geschäft, und ich will dich nicht weiter damit behelligen. Wir sind am Ende angelangt, obwohl es, von hier betrachtet, ganz so aussieht wie der Anfang. Die Firma zog Pym aus Washington ab und schickte ihn nach Wien, damit er dort seine Netze wieder übernehmen und die wachsende Armee seiner Ankläger ihr elendes Computer-Muster um seinen Hals festzurren konnte. Es gab keine Rettung mehr. Nicht mehr. Poppy wußte es. Und Pym ebenfalls, auch wenn er es nie eingestehen wollte, nicht einmal sich selber. Nur noch ein einziger Schwindel, sagte er sich immer wieder: noch ein einziger Schwindel, und ich bin gerettet. Poppy drängte ihn, bat ihn, bedrohte ihn. Pym blieb eisern: laß mich in Frieden, ich will den Endsieg, sie lieben mich, ich habe ihnen mein Leben gegeben.
Aber in Wahrheit, Tom, wollte Pym nur die Toleranzgrenze derer testen, die er liebte. Er wollte nur hier in Miss Dubbers oberem Zimmer sitzen und auf Gottes Kommen warten, während er über die Gärten zum Strand hinunterblickte, wo die besten Kumpel, die es je gab, einen Fußball vom einen Ende der Welt bis zum anderen gekickt hatten und auf ihren Harrods-Rädern übers Meer gefahren waren.