Am nächsten Tag steckte wieder eine Blume von Cole an meiner Windschutzscheibe, also rief ich ihn an. Wir redeten stundenlang. Er entschuldigte sich. Er versprach mir, jetzt alles anders zu machen. Er würde meine Freundschaft mit Bethany und Zack akzeptieren. Er würde sich bemühen, sich von seinen Eltern und dem Training nicht mehr so unter Druck setzen zu lassen. Alles würde wieder so werden, wie es am Anfang gewesen war.
Er überzeugte mich davon, dass wir nur eine schwierige Phase durchmachten, aber wenn wir beide wirklich so fest an unsere Beziehung glaubten, wie wir immer behaupteten, würden wir es problemlos hinkriegen. Diese Krise würde uns stärken, und der Abend, an dem er mich ins Gesicht geschlagen hatte, würde uns am Ende als etwas so Hässliches und so Peinliches in Erinnerung bleiben, dass wir nie mehr darüber reden würden, nicht mal miteinander.
Obwohl ich ihm tief drinnen nicht glaubte, redete ich mir ein, ich täte es doch. Ich musste ihm einfach glauben. Ich hatte schon so viel aufgegeben, nur um mit ihm zusammen zu sein. Wenn ich ihn jetzt verlor, hätte ich das Gefühl, all diese Opfer wären umsonst gewesen und ich bekäme am Ende nichts dafür.
Nach zwei Tagen »Darmgrippe« ging ich schließlich wieder zur Schule. Es war ein Freitag und ich hatte furchtbar viel Arbeit aufzuholen, außerdem musste ich dauernd mein Make-up prüfen und mein Gesicht neu pudern, darum hatte ich kaum Zeit für Cole, von Bethany und Zack ganz zu schweigen.
Aber als ich vor der letzten Stunde ins Lernlabor kam, saß Zack an dem Tisch, an dem er früher immer gesessen hatte, als ich noch seine Tutorin gewesen war.
»Hallo«, sagte ich, wobei meine Finger reflexhaft hoch zu meinem Wangenknochen wanderten. Als mir einfiel, dass ich nicht aus Versehen die Schminke abwischen durfte, berührte ich stattdessen meine Halskette. »Was machst du denn hier?«
»Hallo zurück!«, sagte er und ließ einen Zahnstocher von einem Mundwinkel zum anderen wandern, während ich meinen Rucksack auf den Tisch warf und mein Notizbuch herausholte. »Wie wir sehen, ist diese Frau derart beschäftigt, dass ihre Freunde einen Grund brauchen, wenn sie mit ihr reden wollen.« Er tat, als spräche er in ein Mikrofon. »Erzählen Sie mal, Miss Bradford, wie ist das, wenn man dauernd irgendwelchen Paparazzi ausweichen muss? Ich habe übrigens das Duschfoto in der neuesten Ausgabe von Glamour gesehen. Ihre, äh … Duschhaube sah wirklich umwerfend aus. Ich hab sie stundenlang angestarrt.« Jetzt hielt er mir das imaginäre Mikrofon hin. Ich lachte.
»Nein, ich freu mich doch, wenn ich dich sehe, Zack«, sagte ich. »Nur … solltest du nicht gerade bei Amanda sein?«
»Na ja«, sagte er, »wie sich rausgestellt hat, steht Amanda in Englisch selbst ziemlich auf der Kippe. Große Aufregung! Also hat Mrs Moody alles umgebaut. Amanda muss jetzt Stillarbeit machen, du kriegst mich und der große Meister geht ab heute zu Jackie Rentz.«
»Nenn ihn nicht so«, murmelte ich, schlug mein Notizbuch auf und setzte mich.
»Stimmt was nicht mit deinem Auge?«, fragte er, anscheinend ohne Zusammenhang. »Sieht geschwollen aus. Die Krankheit muss dich ja ziemlich erwischt haben. Celia meinte, du wärst kaum aus dem Zimmer gekommen.«
Ich stützte meine Stirn in die Hand, blickte nach unten und bemühte mich, Zack möglichst wenig von meinen Augen und meinen Wangen zu zeigen. »Celia ist schlimmer als jeder Paparazzo«, sagte ich. »Also, um was geht’s gerade bei dir?«
Wieder hielt er mir das imaginäre Mikrofon vors Gesicht. »Darf ich Ihren letzten Satz zitieren?«, fragte er mit Fernsehmoderatorenstimme. Als ich keine Antwort gab, nestelte er an seinem Kragen herum. »Oje, ein schwieriges Publikum heute. Ich kann mich da an ein Mädchen erinnern, sie hieß Alex Bradford. Früher hat sie noch ab und zu über meine Witze gelacht, wirklich wahr.« Er zog ein zerknicktes Blatt aus seinem Rucksack. »Wortschatztest«, erklärte er. »Schon am Montag.«
Ich fand es furchtbar, wie ernst seine Stimme auf einmal klang, überhaupt nicht nach Zack, aber es ging einfach nicht anders. Dieses Pseudo-Geflirte musste ein Ende haben. Auch wenn mir selbst absolut klar war, dass dieser Ton nichts weiter zu bedeuten hatte, provozierte er immer wieder Streitereien zwischen mir und Cole. Ich musste alles tun, um zu verhindern, dass sich zwischen uns wieder irgendwas aufschaukelte und außer Kontrolle geriet. Coles Laune war schwer vorhersehbar und manche seiner Stimmungswechsel konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen. Doch wegen seiner Eifersucht auf Zack konnte ich ihm kaum Vorwürfe machen. Zacks Späße hatten wirklich immer diesen zweideutigen Unterton und ich hatte ihn lange sogar noch angestachelt, wahrscheinlich weil mir die Aufmerksamkeit guttat. Aber jetzt wollte ich das nicht mehr. Ich konnte es nicht mehr wollen, denn wenn ich es wollte, sah es für Cole so aus, als würde ich ihn nicht wollen.
Also machten wir erst Wortschatzübungen und dann half ich Zack, einen Aufsatz zu überarbeiten, den er demnächst abgeben musste. Die ganze Zeit über blickte ich auf die Tischplatte, damit Zack mein Gesicht nicht sah.
Als wir gerade unsere Sachen packen wollten, öffnete sich auf einmal die Tür und Cole stürmte herein.
Automatisch verkrampfte sich mein Magen und mein Herz klopfte rasend schnell. Cole und Zack in einem Raum miteinander, das hatte noch immer Ärger gegeben. Und Ärger konnte ich überhaupt nicht brauchen an meinem ersten Tag zurück in der Schule – einem Tag, an dem ich die ganze Zeit mein blaues Auge hatte verstecken müssen.
Zack schien das ähnlich zu empfinden, denn er atmete bloß langsam aus und begann dann ohne ein Wort, seine Sachen zusammenzupacken.
Doch Coles Gesicht war vollkommen entspannt.
»Hallo, ihr beiden«, sagte er, stellte sich hinter Zack und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte ich es nie im Leben geglaubt. »Heute ist Freitag – das ist doch kein Tag, an dem irgendwer ernsthaft arbeitet!«
Er sprang um Zack herum zu mir, beugte sich vor und küsste mich.
»Großer Meister«, dröhnte Zack. »Wie geht’s denn, zum Teufel? Mal wieder ein Hündchen um die Ecke gebracht oder so?«
Cole lachte laut los – ein gezwungenes Lachen, das wahrscheinlich herzlich klingen sollte –, dann boxte er Zack leicht gegen die Schulter. »Nee, aber der Tag ist ja noch jung«, sagte er. Dann wandte er sich an mich: »Du hast recht, Alex, der Typ hat Humor.« Ich antwortete mit einem schwachen Lächeln.
Zack nahm den Zahnstocher aus dem Mund und behielt ihn in der Hand, während er sich seinen Rucksack über die Schulter warf. Ich sah ihm an, dass er das alles kein bisschen lustig fand und genau wie ich nicht recht wusste, was er von Coles Auftritt halten sollte.
»Genau, ich bin der geborene Comedystar«, sagte er. »Hör mal, Alex, hast du am Wochenende irgendwann Zeit?«
Ich nickte unsicher. Auch wenn ich nicht begriff, was da gerade zwischen den beiden ablief, wurde ich auf einmal höllisch nervös. Bitte, Zack, flehte ich ihn innerlich an. Ich weiß, dass du keine Ahnung hast, was hier los ist, aber wenn du jetzt irgendwelche Spielchen treibst, könnte es schlimm für mich ausgehen. Sofort wurde mir flau. Es könnte schlimm für mich ausgehen. Bloß wegen einem Witz.
»Könnte sein«, sagte ich. »Hab allerdings jede Menge Hausaufgaben.«
»Schon klar«, sagte er und blickte Cole jetzt direkt in die Augen. Dann wandte er sich wieder an mich. »Bethany kommt nämlich rüber, sie will mir helfen, meine Rolle zu lernen. Ich dachte, vielleicht hast du auch Lust. Weil’s ja, du weißt schon, neuerdings nichts mehr ist mit unserem Samstagstermin.«
»Mal sehen.« Ich hasste das Zittern in meiner Stimme und die Spannung, mit der ich auf Coles Reaktion wartete. Es war, als stünde ich unter Strom.
»Hey, Liebling, das klingt doch super«, sagte Cole und stieß mich mit der Hüfte an. »Außerdem hat mich mein Dad dazu verdonnert, am Wochenende irgendwas total Ödes für ihn zu erledigen. Dann fühl ich mich nicht so mies, dass ich sie die ganze Zeit allein lass, weißt du, Kumpel?« Und er boxte Zack gleich noch mal lässig gegen die Schulter. Ich zuckte zusammen, aber Zack stand so felsenfest da, als wäre er aus Beton.
»Cool«, sagte Zack und ließ den Zahnstocher wieder zwischen seinen Lippen wandern. »Ich ruf dich an.«
Er machte sich auf Richtung Tür, sein zusammengerolltes Rollenheft fest in der Hand.
»Bis dann, Alter. Ein schönes Wochenende wünsche ich«, rief ihm Cole hinterher.
»Hey, dir auch, großer Meister, bist ein cooler Typ, echt«, rief Zack zurück, ohne sich umzudrehen.
Als er weg war, drehte ich mich endlich zu Cole um. »Was war denn das?«
Er zuckte mit den Achseln und strahlte dabei übers ganze Gesicht. »Was denn?«
Ich deutete vage Richtung Tür. »Das da. ›Ein schönes Wochenende‹ und dieses Zeug.«
Er packte mich so plötzlich, dass ich zusammenzuckte, aber dann schlang er nur die Arme um meine Taille und zog mich an sich. »Ich bemüh mich. Für dich. Du hast gesagt, ich soll mich bemühen, also tu ich’s.«
Ich grinste. »Echt?«
»Ja. Ich denke mir, wenn du ihn magst, kann er nicht durch und durch schlecht sein. Und wenn ich für immer mit dir zusammen sein will – und das will ich –, sollte ich mich wohl an ihn gewöhnen. Auch an Bethany. Deine Freunde sind meine Freunde, Baby.« Er beugte sich zu mir herunter und küsste mich sanft, ganz sanft auf den Wangenknochen.
Ich seufzte tief, schlang die Arme um seine Taille und legte den Kopf auf seine Brust. Es war so gut, ihn endlich wieder zu berühren. Und zu spüren, dass all das Schreckliche – was auch immer es gewesen sein mochte – vorbei war und zwischen uns alles wieder so wie vorher. »Danke«, hauchte ich. »Ich liebe dich so sehr.«
Er ließ das Kinn auf meinen Kopf sinken. »Ich tu alles für dich. Ich hab dir gesagt, dass ich’s wiedergutmache, und das hab ich ernst gemeint. Von jetzt ab nur das Beste für dich. Hier. Ich hab dir was mitgebracht. Ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk.«
Er griff in seine Jackentasche und zog etwas Glänzendes, Silbernes heraus – eine Kette, an der ein zierlicher silberner Traumfänger baumelte. Er war winzig klein und in das zarte, silbrige Gewebe waren kleine rote Steine eingearbeitet. Auch die Federn, die unten dranhingen, waren aus Silber. Der ganze Anhänger schimmerte im Kunstlicht des Klassenzimmers.
Ich schnappte nach Luft, hielt die Hand vor den Mund und blickte von dem hin und her pendelnden Traumfänger zu Cole, der vor Glück strahlte.
»Mein Gott«, keuchte ich. »Cole, das hättest du …«
»Ich musste es«, sagte er. »Weil ich dich liebe. Und dir trotzdem wehgetan habe. Ich habe der Person, die ich liebe wie sonst nichts auf der Welt, wehgetan. Das werde ich mir nie verzeihen.«
Ich nahm die Kette, legte den Anhänger auf meine ausgestreckte Handfläche und betrachtete ihn. »Ich liebe dich auch«, sagte ich. »Und das hier ist wunderschön. Danke.«
Ich öffnete den Verschluss der Kette und hielt sie ihm hin, dann drehte ich mich um und hob meine Haare, damit er sie mir anlegen konnte. Als er das getan hatte, spürte ich den Traumfänger kühl auf meiner Brust. Er lag etwa fünf Zentimeter höher als der Anhänger von meiner Mom, der unter meinem Shirt verborgen war.
Mit einem Blick nach unten auf meine Brust ließ ich die Haare wieder los, legte die Hand auf den neuen Anhänger und drehte mich wieder zu Cole um.
»Wie schön«, sagte ich. »Er ist perfekt.«
Er schob meine Hand weg und begutachtete den Anhänger, dann beugte er sich herunter und küsste mir die Handfläche. »Ich hab gedacht, du könntest eine neue brauchen. Weil du die alte ja jetzt nicht mehr andauernd tragen musst.«
Dagegen hätte ich etwas einwenden können. Ich hätte ihn daran erinnern können, dass ich die alte nicht abgelegt hatte, seit ich acht war, und ihm klarmachen können, dass ich das auch jetzt nicht tun würde. Ich hätte ihm sagen können, dass ich vorhatte, beide Ketten jeden Tag zu tragen, und dass es mir sogar gut gefiel, sie beide zusammen umzuhaben – die eine schützte mich vor den Albträumen der Vergangenheit, die andere vor denen von heute.
Aber in diesem Moment konnte ich nichts anderes denken als: Gott sei Dank. Gott sei Dank hab ich keinem erzählt, was passiert ist. Gott sei Dank hatte ich nie das Vertrauen in ihn verloren. Gott sei Dank war er zurück, der alte Cole. Und Gott sei Dank hatte ich ihn von Anfang an richtig eingeschätzt.
Darum schlang ich, statt etwas zu sagen, meine Arme um seine Taille und schmiegte mich eng an ihn. Er ließ seine Arme über meine Schultern baumeln und stützte sein Kinn auf meinen Kopf.
So blieben wir lange stehen – aneinandergekuschelt und ein wenig schwankend, die Köpfe übereinander, als wären wir ein Wesen, das in zwei Hälften geteilt war und sich danach sehnte, wieder zusammenzuwachsen. Dann irgendwann löste er sich von mir.
»Hey«, sagte er. »Lass uns hier abhauen. Ich spiel dir einen Song vor, den ich für dich geschrieben hab. Brenda ist bei ihrem Lesezirkel und Dad bei der Arbeit. Wir haben das Haus für uns.«
»Ja«, hauchte ich. »Mir langt’s für heute mit der Schule.« Ich berührte meine Wange. »Und ich muss heute Abend auch nicht arbeiten.« Zum Glück. So hatte mein Gesicht noch einen Tag mehr Zeit, um zu heilen, bevor Georgias kritischer Blick darauf fiel. Das war gut, denn ihm standzuhalten würde mit Sicherheit nicht leicht sein.
Ich machte meinen Rucksack zu und warf ihn mir über die Schulter. »Ich bin fertig«, sagte ich. Cole drehte sich zu mir und strahlte mich an.
»Und später gehen wir dann aus«, sagte er. »Du darfst dir aussuchen, wohin.«
»Okay«, sagte ich und überlegte, wie wunderbar es sein würde, mich unter fremde Leute zu mischen und als ein beliebiges Gesicht in der Menge untertauchen zu können, ohne dass mich jemand fragte, was denn mit meinem Auge los war. »Klingt super!«
Er zog mich wieder zu sich und küsste mich oben auf den Kopf. »Der Rest vom Tag und dazu ein ganzer Abend mit dem Mädchen, das ich am meisten liebe«, sagte er, nahm seine Tasche und führte mich zur Tür, wobei unsere Hüften immer wieder aneinanderstießen. Genau wie es früher gewesen war, als es noch nichts Dunkles, Geheimes zwischen uns gegeben hatte.
Oder vielleicht doch nicht genau so. Ich hatte ihn vorher noch nie so glücklich gesehen. Das war neu. Ein neuer Cole. Ein ganz neuer Anfang unserer Beziehung.
Er bemühte sich wirklich. Um meinetwillen. Und allein darauf kam es an, oder? Wesentlich ist nicht, ob jemand einen Fehler begangen hat, sondern ob er aus diesem Fehler lernt und versucht, sich zu ändern.
Den restlichen Tag über fiel mir meine wehe Wange gar nicht mehr auf.