Kapitel 26

Bis wir endlich beim Mexikaner ankamen, lief das Basketballtraining schon eine halbe Stunde. Zack hatte noch bei Mr Tucker vorbeigemusst, um sich sein Rollenheft zu holen.

Bethany und ich warteten vor Mr Tuckers Büro auf ihn. Wir waren der Meinung gewesen, es würde nur ein paar Minuten dauern, aber anscheinend wollte Mr Tucker das ganze Stück mit Zack durchsprechen, während wir im Gang herumhingen, und das machte mich immer fahriger.

»Was meinst du, wie lange dauert das Training?«, fragte ich und biss an der Nagelhaut meines Daumens herum.

Bethany brummte irgendwas Nichtssagendes und zuckte mit den Achseln, ohne von ihren Hausaufgaben aufzuschauen. Ich hätte am besten auch was für die Schule gemacht, war dafür aber viel zu nervös.

»Meinst du, wir schaffen’s vor Trainingsende überhaupt bis ins Lokal?«, fragte ich und spuckte einen Hautfetzen aus.

»Keine Ahnung«, sagte Bethany und widmete sich weiter ihren Hausaufgaben.

Ich stand auf und lief ein paarmal im Gang auf und ab, dann ließ ich mich wieder dort auf den Boden sinken, wo ich vorher gesessen hatte. »Meine Güte, warum brauchen die so lange?«, sagte ich.

Bethany legte den Bleistift in ihr Buch. »Echt, Alex«, sagte sie. »Ist es denn so schlimm, wenn du’s nicht rechtzeitig zu Coles Training schaffst? Was soll er machen? Sich trennen oder was?«

»Ist ja nur, weil …« Ich wedelte mit der Hand zur Tür von Mr Tucker. »Ich meine, er hat gesagt, er wär gleich wieder da. Stattdessen dauert das ewig und ich hatte eben wirklich schon andere Pläne für den Abend …«

»Na gut«, sagte sie und nahm wieder ihren Bleistift. »Dann kümmer dich halt um … deine Pläne. Versteht Zack bestimmt. Die sind ja eindeutig wichtiger.«

»Nein, so ist es nicht«, sagte ich betroffen. Doch bevor ich etwas hinzufügen konnte, ging zum Glück die Tür von Mr Tuckers Büro auf und Zack trat auf den Flur, mit seinem Rollenheft in der Hand.

»Los geht’s«, sagte er, rollte das Heft zusammen und stopfte es in seine schwarze Tasche, während Bethany ihr Schulzeug zurück in ihren Rucksack steckte.

»Super!«, sagte sie, zog den Reißverschluss zu und stand auf. »Hier ist es nämlich furchtbar stickig. Die müssten echt ein Gebläse einbauen, damit nicht immer und ewig die gleiche miese Luft zirkuliert.«

Ich verdrehte die Augen, denn der Seitenhieb galt eindeutig mir. Aber ich ging gar nicht darauf ein. Mir fehlte einfach die Energie, dauernd zwischen den beiden und Cole zu vermitteln.

Als wir dann endlich bei El Manuel’s ankamen, besserte sich die Stimmung zwischen Bethany und mir. Zack war derart in Fahrt, dass man in seiner Gegenwart unmöglich wütend bleiben konnte. Er verdrehte beim Sprechen die Wörter zu einem Fantasie-Spanisch wir brauchen el-Tablo für el-Drei-o, por favor – und rief jedem, der an uns vorbeiging, ein schallendes Hakuna Matata zu. Wir kicherten schon unkontrolliert, bevor wir überhaupt an unserem Tisch saßen.

»Am 10. März ist Premiere«, sagte Zack, zog sein Rollenheft aus der Tasche und schlug es auf. »Ihr kommt doch, Leute, oder?«

»Natürlich«, sagte Bethany. »Das würde ich mir nie im Leben entgehen lassen. Wer weiß, vielleicht passiert dir irgendwas richtig Dämliches mit dem Kostüm, und was wäre ich für eine Freundin, wenn ich die Gelegenheit versäumen würde, mich über dich kaputtzulachen?« Sie bleckte die Zähne und setzte ein breites, übertriebenes Grinsen auf.

»Und ich«, fügte ich hinzu und schob mir dabei einen Tortilla-Chip in den Mund, »leg mich ins Zeug, dass meine Zwischenrufe so richtig schön böse werden.« Ich nahm die Hände wie einen Trichter vor den Mund und rief halblaut: »›Runter von der Bühne, Muttersöhnchen!‹«

»Ha, ha, ha, ihr seid superwitzig, echt. Ich muss wohl einen Rausschmeißer engagieren, der euch vor die Tür setzt«, sagte er und wischte mit dem Daumen einen Klecks Käsesoße von seinem Rollenheft. »He, hört euch mal diesen Liedtext an, den ich singen soll. ›Ich hab was in der Hand, mein Herz. Ich möchte es dir verehren. Ich bin ja so galant, mein Herz, will zum Schmusen dich bekehren. Drum zeig ich dir, mein holdes Herz, den Schatz, den meine Hand verbarg: den ach so zarten, so lieblich hellen Dezembermond.‹ Verdammt, aus was für einer Zeit stammt das denn?«

Bethany und ich warfen uns einen Blick zu und lachten laut los. »Wetten, du traust dich nicht, dem Publikum deinen nackten Hintern zu zeigen, wenn du das singst? Als Dezembermond?«, sagte ich und verschluckte mich beinahe vor Lachen.

»O Gott«, keuchte Bethany zwischen zwei Lachsalven. »Wie heißt denn dieser Song? Lied des fiesen Exhibitionisten oder wie? Was hält der denn da in der Hand, der Typ?«

Ich musste so sehr lachen, dass ich Chipskrümel quer über den Tisch sprühte. Zack wischte sich mit dramatischer Geste die Stirn ab und blieb vollkommen ernst, während Bethany und ich fast von den Stühlen kippten.

»Okay, okay«, sagte er. »Gackert ihr nur, ihr zwei. Macht ruhig weiter. Ha, ha, ha. Ihr zerreißt einen echt in der Luft.«

Aber als wir darüber nur noch mehr lachen mussten, konnte er sich selbst kaum noch beherrschen. »Na gut, das war’s«, sagte er, um seine Fassung ringend. »Wenn ihr nicht sofort aufhört, dann zeig ich euch, was in meiner Hand steckt.«

Er ballte eine Faust und tat so, als wollte er uns damit k.o. schlagen.

Und auf einmal fand ich das alles überhaupt nicht mehr lustig.

Ich hörte abrupt auf zu lachen und setzte mich gerade hin. Bethany lehnte sich an mich, sie hatte von meinem Stimmungswechsel nichts mitbekommen. Zack dagegen runzelte die Augenbrauen, öffnete die Faust und streckte seine Handfläche vor, wie um sich zu ergeben. Dann musterte er mich einen Augenblick länger als nötig, bis ich mich räusperte, die Serviette auf meinem Schoß glatt strich und das Thema wechselte.

»Leute«, sagte ich, »wir sollten jetzt vielleicht mal bestellen. Ich muss echt zusehen, dass ich noch irgendwie bei Coles Basketballtraining aufkreuze.« Doch ich wünschte mir gleich, ich hätte diesen Satz nicht gesagt, Bethany stöhnte sofort wieder.

Bis wir gegessen und bezahlt hatten, war mir klar, dass ich es auf keinen Fall schaffen würde. Als ich in mein Auto stieg, wurde es schon dunkel. Ein kalter Wind fegte über den Parkplatz und wirbelte eine Plastiktüte aus dem Wageninnern, kaum dass ich die Tür aufgemacht hatte.

Ich fuhr trotzdem so schnell los, wie ich konnte, denn vielleicht hatte ich ja doch noch eine Chance, Cole in letzter Minute zu erwischen. Am besten wäre es natürlich, wenn ich es hinbekäme, so zu tun, als wäre ich schon lange da und hätte die ganze Zeit über zugeschaut. Dann würde er von meiner Verspätung gar nichts merken.

Ich winkte Bethany und Zack zum Abschied zu, als ich an ihnen vorbei vom Parkplatz fuhr. Sie standen über das Rollenheft gebeugt neben Zacks Auto, Bethany mit einem breiten Lächeln im Gesicht und wieder mal ihre Brille richtend. Zack erwiderte meinen Gruß lässig nebenbei, während er sich einen Zahnstocher zwischen die Lippen schob, Bethany beachtete mich überhaupt nicht.

Das Basketballtraining war offenbar schon lange vorbei, als ich bei der Schule ankam, denn der Parkplatz war so leer wie eine Geisterstadt. Nicht mal der Wagen des Trainers stand noch da.

Und natürlich war auch Coles Auto weg.

Ich parkte, stieg aus, lief hektisch zur Seitentür der Sporthalle und rüttelte am Griff. Keine Ahnung, worauf ich hoffte – anscheinend, dass alles anders war, als es aussah. Dass Cole vielleicht doch noch da wäre und auf mich warten würde. Dass sein Auto noch dastünde, dass er mich sehen und winken würde, dass er mir entgegenkäme und mich an seine verschwitzte Schulter drücken würde.

Aber die Tür war abgeschlossen.

Frustriert trat ich dagegen und ging zurück zum Auto, wo ich ein paar Minuten unschlüssig sitzen blieb. Ich checkte mein Handy, aber da war nichts, keine Anrufe, keine SMS.

Ich wählte seine Nummer. Der Ruf ging durch, aber er hob nicht ab.

»Hey, Cole«, sagte ich, als sich die Mailbox meldete. »Ich bin an der Schule. Ich hab dich wohl verpasst. Das …«

Ich war drauf und dran zu sagen, es täte mir leid, doch auf einmal kam mir der Gedanke, dass es auf diese Art einfach nicht weitergehen konnte mit uns. Ich hatte schon so viel aufgegeben für diese Beziehung. Hatte so viel verloren, nur um mit Cole zusammen zu sein. Bethany entfernte sich immer mehr von mir. Meine Freundschaft mit Zack war sowieso schon fast am Ende, er verbrachte inzwischen viel mehr Zeit mit meiner Schwester als mit mir. Wenn ich mich von Cole trennte, wer bliebe mir dann überhaupt noch? Celia? Die konnte mich nicht ausstehen. Shannin? Die war ewig weit weg im College. Georgia? Die hatte ihre eigene Tochter, für die sie sorgen musste, außerdem hatte ich neulich erst gezeigt, was ich von ihren Ratschlägen hielt, als ich einfach so weggerannt war. Dad? Damit ich ihn verlieren könnte, müsste er überhaupt erst mal anwesend sein.

Ich beendete die Verbindung und begann nachdenklich an meinem Daumen herumzukauen. Wenn ich jetzt zu Cole nach Hause fuhr, konnte es sein, dass er stinkwütend werden würde. Aber wahrscheinlich war er das sowieso schon. Und wenn ich ihn heute Abend sah, bekam ich es vielleicht hin, ihn zu beruhigen. Morgen in der Schule hätte ich zwischen den Unterrichtsstunden immer nur kurz Gelegenheit, mit ihm zu reden.

Damit war es entschieden.

Ich startete den Wagen und machte mich auf den Weg zu Cole.