Zehntes Kapitel
Wir hockten erschöpft in den Sesseln und starrten auf Vogt, der auf dem Teppich lag und immer noch sehr laut atmete. Gläsern und ohne Betonung sagte er: »Ich mußte sie für ihre Sünden strafen. Gott wollte das so.«
»Für welche Sünde denn besonders?« fragte ich. »Für das Kind in ihrem Bauch?«
»Ja, denn es war das Werk des Teufels, ein Teufelskind, ein Furienbalg.«
»Wer war der Vater?« fragte Rodenstock.
Vogt antwortete nicht.
Ich riskierte einen flachen Bluff und bemerkte: »Sie müssen nicht so tun, als sei Ihr Jagdkumpel Dr. Trierberg völlig aus der Welt.«
»Er herrscht in der Welt des Bösen«, sagte er hölzern. »Er hat meine gute Frau verführt und dann zerstört. Teufel zerstören immer.«
»Ihre Frau war keine gute Frau für Sie«, warf Rodenstock ein. »Sie war die Frau, die sich von Ihnen abgewandt hatte, die mit Ihnen nichts mehr zu tun haben wollte.«
»Sie war die Verführte«, beharrte er.
»Sie sind ein gottgefälliges Arschloch!« Rodenstock war wütend, hatte einen verkniffenen Mund. »Ich gehe jede Wette ein, daß Ihre Frau Ihnen gesagt hat, sie würde sie verlassen. Und sie hat auch gesagt, daß sie zu Trierberg geht. Und dann haben Sie sie erschossen.«
»Ich bin das Werkzeug Gottes, ich mußte das tun. Sie hat mein Haus beschmutzt, Trierberg hat mein Haus beschmutzt. Mein ist die Rache, spricht der Herr.«
»Sie widern mich an«, murmelte Rodenstock. »Halten Sie das Maul.« Er war ungewöhnlich tief beteiligt. Noch etwas war ganz ungewöhnlich für ihn: Er war blaß, und unter den Augen zeigten sich dunkle Schatten wie bei einem Herzkranken.
Ich erschrak, wollte ihm irgendwie helfen. Aber mir fiel nichts ein, was ich tun konnte, außer lahm zu sagen: »Vogt, hören Sie auf, uns zu bescheißen. Ihr Herrgott wird nicht damit einverstanden sein, daß Sie sich als Scharfrichter betätigen. Sie machen mich krank, Sie machen mich richtig krank.« Ich spürte, daß das meine Wahrheit war. Er machte mich krank, und wahrscheinlich machte er auch Rodenstock krank.
Wir warteten.
»Was wird jetzt aus den armen Kindern?« fragte Vogt dumpf in den Teppich.
Endlich klingelte es Sturm. Rodenstock stand sofort auf und ging hinaus. Es gab einen erregten Wortwechsel, von dem ich kein Wort verstand. Dann stand Rodenstock wieder im Türrahmen, und jemand stieß ihn vorwärts – ein uniformierter Polizeibeamter, der höchst erregt wirkte und in der rechten Hand eine Schußwaffe trug.
»Die Haushälterin hat die Polizei gerufen. Hier würde ein Überfall stattfinden, und wir würden dem Hausherrn etwas antun.«
»Mund halten!« sagte der Uniformierte scharf.
Ein zweiter Uniformierter tauchte auf, auch er mit gezogener Waffe und höchst mißtrauisch.
»Da liegt der Überfallene!« sagte Rodenstock sarkastisch. »Wir erstatten Anzeige gegen ihn. Wegen Mordes an seiner Frau.«
Vogt auf dem Teppich bewegte sich unendlich träge, er drehte sich auf den Rücken. »Das sind gute Polizisten«, sagte er und lächelte. »Gott hat mich zum Richter gemacht, Leute, das müßt ihr begreifen.«
»Wie? Ähh?« sagte der erste Polizist verunsichert. Dabei wedelte er mit der Waffe vor seinem Bauch, als störe sie ihn.
»Sie können uns am Arsch lecken«, sagte ich und fühlte, wie mich meine eigene Stimme zutiefst befriedigte. »Die Mordkommission ist unterwegs. Der Mann da auf dem Teppich hat seine Frau erschossen.«
Vogt mahnte hohl: »Streitet euch nicht, Leute.« Dann kicherte er hoch. »Meine Frau war eine Sünderin, der Trierberg ist ein Sünder, ein großer Sünder, ein Teufel in dieser meiner friedlichen Welt. Ich mußte sie strafen, ich hatte keine Wahl.«
»Haben Sie das gehört?« fragte Rodenstock. »Das ist ein Geständnis.«
»Habe ich aber nicht so verstanden«, erwiderte der zweite Polizist.
»Laß gut sein«, murmelte der erste Polizist rasch.
»Sie können Ihre Waffen wegstecken«, sagte ich. »Wir bleiben sowieso, bis Kischkewitz hier ist.«
Doch sie steckten die Waffen nicht in die Halfter zurück, bis es erneut klingelte und Kischkewitz hereinstürmte, als könne er noch etwas retten. Er sah die Waffen der beiden Uniformierten, dann Vogt auf dem Teppich. Er drehte sich herum und fauchte: »Habt ihr noch alle Tassen im Schrank?«
»Nun ja«, sagte der Polizist Nummer eins zögernd. »Weißt du, es war so ...«
Kischkewitz machte eine Bewegung, als wolle er Hühner verscheuchen. »Nun steckt die Ballermänner ein. Was wollt ihr denn damit?«
»Hier soll ein Überfall stattgefunden haben«, sagte Polizist Nummer zwei klagend.
Kischkewitz sah mich fragend an.
»Die Haushälterin hat die Polizei zu Hilfe gerufen. Und die beiden sind gekommen.«
»Wir drehen doch keinen Hollywood-Streifen hier.« Kischkewitz wirkte muffig. »Na, Vogt? Was ist?«
Vogt bewegte sich nicht.
»Herr Vogt«, drängte Kischkewitz. »Sie haben gesagt, Sie haben Ihre Frau erschossen. Weshalb, Herr Vogt?«
»Sie war das Werkzeug des Teufels«, wiederholte der Gefragte, ohne sich zu bewegen.
Erst jetzt steckten die beiden Uniformierten ihre Waffen weg und vollendeten damit ihren Auftritt.
Kischkewitz nickte. »Na, denn wollen wir mal. Herr Vogt, ich verhafte Sie wegen Mordes an Ihrer Frau.« Dann sah er Rodenstock an. »Ihr könnt verschwinden, und danke schön. Ich brauche eure Aussagen, aber ich kann sie abrufen, oder?«
»Selbstverständlich«, sagte Rodenstock und ging hinaus. Fast rannte er.
Im Wagen fragte Rodenstock matt: »Und? Wer hat nun Cherie erschossen?«
»Weiß ich immer noch nicht.«
»Wir haben die Auswahl.« Er starrte durch das Fenster. »Entweder war es Julius Berner oder Martin Kleve ...«
»... oder es waren beide«, ergänzte ich. »Wir haben nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Wir müssen den Mörder veranlassen, noch einmal zuzuschlagen. Die Frage ist nur, wen hängen wir ihm als Beute hin?«
»Vielleicht noch einmal Andreas Ballmann?« meinte Rodenstock versonnen.
»Reden wir mit deiner klugen Frau. Ich muß dich etwas fragen: Vogt ist durch den Wind, das ist klar. Wahrscheinlich hat er sich jeden Tag besoffen, wahrscheinlich nähert er sich einem psychotischen Zustand. Tatsache ist, er ist der Mörder seiner Frau. Aber du hast mir beigebracht, daß auch der Mörder ein Recht hat. Das Recht nämlich, Mensch zu sein. Du hast gesagt, es wäre wichtig einzusehen, daß wir alle Mörder sein könnten, wenn bestimmte Umstände zusammentreffen. Stimmt das immer noch?«
»Das stimmt immer noch.« Er starrte weiter aus seinem Fenster, er hatte vergessen, sich anzuschnallen.
Ich gab Gas, wollte weg aus diesem Wittlich. »Schnall dich an, ich brauche dich noch. Eben hast du Vogt beinahe gehaßt. Kannst du mir das erklären?«
Rodenstock schwieg eine lange Zeit, während ich viel zu schnell in die Linkskurve auf die Ausfallstraße ging, als wollte ich austesten, wie lange der Wagen haften bleibt. Ich schoß in Höhe Bungert so durch die Rechtskurve, daß Rodenstock gezwungen war, sich festzuhalten, um nicht gegen mich geworfen zu werden.
Erst als ich den Kreisverkehr durchfahren hatte, antwortete er: »Es betraf mich. Nein, es betrifft mich. Ich habe meine Frau einmal im Leben richtig beschissen. Und anschließend habe ich nach Entschuldigungen gesucht. Natürlich habe ich etwa zwanzig gefunden. Ich habe ihr niemals gesagt, daß Beschiß eben Beschiß ist, und ich denke, sie hätte das vor ihrem Tod eigentlich verdient. Vogt erinnerte mich an meine eigene Schwäche. Als er vom Teufel und vom göttlichen Strafgericht sprach, dachte ich: Sieh mal einer an! Darauf bin ich damals gar nicht gekommen. Ich habe ihn in diesem Moment wirklich gehaßt, weil er, ohne es zu wissen, mir einen Spiegel vorgehalten hat.« Er machte eine Pause. »Ich denke, du kannst das verstehen.« Wieder schwieg er, um dann fortzufahren: »Es ist wie bei Dinah. Sie ist weggegangen, um dir klarzumachen, daß du sie in der Zeit davor alleingelassen hast.«
»Ich beginne, das zu begreifen. Ich trage den Kerl immerhin am Freitag zu Grabe. Und ich bewundere mich dafür.«
»Wir kommen mit«, nickte er. »Du solltest das nicht allein tun.«
»Danke. Wohin jetzt?«
»Nach Brück, nach Hause. Ich brauche die Haut meiner Frau. Und ich will verstehen lernen, was sich abgespielt hat.« Er setzte hinzu: »Nach den Regeln der Kunst ist das nicht mal eine anständige, ordnungsgemäße, deutsche Mordserie.«
»Wieso denn das?«
»Weil in Krimis der Täter doch auf den ersten Seiten wenigstens vorkommen muß. Dieser Täter hier schält sich nur langsam heraus, weil eine uralte Geschichte dahinter steckt. Das ist wie im wirklichen Leben, das ist wie bei vielen meiner Fälle.«
»Aber wir schreiben keinen Krimi«, wagte ich zu widersprechen.
»Ja schon, aber ich wette mit dir, daß viele deiner Kollegen am Ende formulieren würden: Von Anfang an wollten sie nur eines: Reich werden!«
»Du hast gewonnen.«
Als wir auf den Hof rollten, waren Emma und Jenny noch nicht wieder zurück, nur Paul, Willi und Satchmo traten zur Begrüßung an und rieben sich an unseren Beinen. Ich stiefelte in den Garten und schaute nach meiner Goldfischflotte. Einen besonders kleinen gab es da, vielleicht drei Zentimeter lang. Und der lag auf der Seite in einer Wasserpflanze. Ich dachte, daß möglicherweise eine der Katzen zugelangt hatte, und wollte den scheinbar leblosen Körper mit einem Rechen herausfischen. Aber als ich die Wasseroberfläche berührte, schoß das Fischchen sehr lebendig davon. Woher soll ein unbedarfter Mensch auch wissen, daß Goldfische sich schlafen legen? Ich dachte: Ich nenne ihn Fritzchen. Fritzchen paßt.
Rodenstock stellte sich neben mich und sagte: »Kischkewitz hat Schwierigkeiten mit den Polen. Das Bargeld hat er gefunden, aber ihre Aussage fehlt noch, von wem sie beauftragt worden sind. Julius Berner wurde in Düsseldorf verhaftet und zwei Stunden später wieder auf freien Fuß gesetzt. Kaution drei Millionen Mark. Begründung: keine ausreichenden Beweise. Es wird wie erwartet einen jahrelangen Rechtsstreit geben, darüber werde ich ein alter Mann. Berner ist übrigens auf dem Weg in die heile Eifel. Hommes bereitet schon das Haus vor. Berner und Kleve werden beschattet, sämtliche Telefone abgehört. Es geht zum Finale, wobei ich keine Ahnung habe, wie das ausgehen wird. Denkst du an Adamek?«
»Sicher. Ich frage mich, wer auf der Beerdigung von Narben-Otto erscheinen wird.«
»Niemand«, sagte Rodenstock resolut. »Oder erwartest du Dealer, den deutschen Zoll und Julius Berner? Erwartest du die Frauen, bei denen er die Abtreibungen vornahm? Es gibt eben Leute, die sogar bei der eigenen Beerdigung einsam sind. Im Grunde war er wohl nur ein armes Schwein, er nutzte wahllos aus, und er wurde ausgenutzt. Bis später.«
Ich telefonierte fast eine halbe Stunde mit Karlheinz Adamek, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen. Minuten später verkündete er live über den Rundfunk, daß der Ehemann der Mathilde Vogt wegen dringenden Mordverdachtes verhaftet wurde. Aber das hörte ich nicht mehr, ich lag auf meinem Bett und starrte an die Decke, bis ich einschlief. Mörder sind anstrengend.
Ich wurde Stunden später wach, weil Jenny vor der Schlafzimmertür glücklich, außer Atem und laut verkündete: »Enzo, jetzt fangen wir erst richtig an.«
Mit seiner dunklen Stimme antwortete er: »Ja, mein Schatz.« Dann, nach einer Weile und eine volle Oktav höher: »Kannst du dir vorstellen, mich zu heiraten? Wir könnten ein Kind haben.«
In einem Haus zu leben, in dem eine Partei unentwegt an Heirat denkt, eine andere daran, Nachkommen zu zeugen, während ich mich bemühen mußte, meine Konkurrenz in ein ehrbares Grab zu schaufeln, ist eine denkwürdige Situation.
Ich wünschte mir sehr, an all das nicht mehr denken zu müssen. Ich riskierte einen Anruf bei dem total erschöpften Kischkewitz, weil ich den Kriminalrat Kleve nicht einordnen konnte, weil sein Bild zu glatt erschien, aalglatt.
»Aber er ist aalglatt!« sagte Kischkewitz schroff. »Wenn wir den Fehler machen, ihn zu verhaften, legt er zehn Millionen Dollar auf den Tisch des Untersuchungsrichters und wird auf freien Fuß gesetzt wie Berner. Unsere Situation ist im Sinne der Anklage beschissen. Kleve ist haushoch belastet, aber ...«
»Also hat Kleve die Morde angeordnet?«
»Soweit bin ich noch nicht, eher denke ich ... aber laß mich nicht zu sehr ins Spinnen verfallen. Hast du mal über die Rolle der Frau von Martin Kleve nachgedacht? Die Frau mit den vielen Firmen im Ausland und dem detonierenden Umsatz?«
»Habe ich nicht. Ich kenne die nicht. Ich nehme an, sie ist geldgeil.«
»Das ist sie, weiß Gott. Aber schon kommt der nächste Verdacht: Die Firmen und ihr Hintergrund sind bestimmten Leuten aus der Landesregierung bestens bekannt. Sie sind Teil eines riesigen Deals, sie gehören zur Absprache. Und was das heißt, kannst du dir vorstellen.«
»Kann ich nicht. Was willst du mir sagen?«
»Diese beiden Männer sind so reich und einflußreich, daß sie unter Umständen gar keinen Mord befehlen müssen. Es reicht vollkommen, der Meinung Ausdruck zu geben, daß zum Beispiel Narben-Otto gefährlich sein könnte. Und schon geht ein Arschkriecher hin und nietet Narben-Otto um. Und anschließend kann er auch noch glaubhaft versichern, daß das niemand von ihm verlangt hat. Vielleicht kannst du dir jetzt die Schwierigkeiten eines Leitenden Oberstaatsanwaltes vorstellen, der diese Geschichte aufs Auge gedrückt bekommt. Das ist ein Alptraum, der mit einem Freispruch erster oder zweiter Klasse für Kleve und Berner enden kann.«
»Bitte nicht so was«, murmelte ich und hatte einen trockenen Mund.
»Das ist die Sachlage, mein Bester. Drei Morde in der Eifel, einer geklärt. Die beiden anderen fanden zwar hier statt, haben aber im Grunde mit diesem Landstrich nichts zu tun. Die Arschlöcher haben unseren Wald als Kulisse benutzt, und die arschlöchrigen Jäger haben uns den Blick verstellt. Streng dein Köpfchen an, mein Bester. Wir müssen eine Falle aufbauen. Und die muß so perfekt funktionieren, daß kein Anwalt auf die Idee kommen kann, wir hätten gegen geltendes Recht verstoßen oder derartige Beweise seien nach der Strafprozeßordnung nicht zugelassen. Damit müssen wir nämlich auch rechnen. Weißt du, wie hoch dein IQ ist?«
»Im Moment liegt er in der Nähe eines Kronkorkens.«
»Das macht richtig Mut.« Kischkewitz lachte und legte auf.
Ich hoffte, ungestört den Flur überqueren zu können, um in meine Badewanne zu steigen. Das mit dem Flur klappte, das mit der Badewanne nicht. In der hockten und plantschten Jenny und ihr Enzo. Klar, wenn man beschließt, ein Kind zu zeugen, geht man erst mal zusammen ins Wasser. Prompt sagte ich demütig: »Oh, entschuldigt bitte, das wußte ich nicht.«
»Das macht doch nichts«, beruhigte mich Jenny mit dem unergründlichen Lächeln der Mona Lisa.
Vielleicht war es einen Versuch wert: Immerhin konnte ich meine Goldfische um Asyl bitten, Goldfische sollen freundliche Wesen sein. Zusammen mit Fritzchen im zarten Geäst einer Wasserpflanze zu liegen, war eine höchst sympathische Vorstellung. Dann fiel mir ein, daß ich auch noch über ein Arbeitszimmer im ersten Stock verfüge. Also verzog ich mich in diese Richtung und hatte Glück. Das Zimmer war zwar in einem chaotischen Zustand, aber immerhin war kein Gast drin. Man lernt es, sich über die kleinsten Annehmlichkeiten zu freuen. Und zufällig entdeckte ich, daß ich noch eine echte Pure Havana von Bethan besaß. Die Aluminiumröhre hatte sich hinter einen Schmöker von John le Carré verkrümelt. Die Zigarre war so gewaltig wie der Lauf einer Neun-Millimeter-Zimmerflak von Samuel Colt. Dumpf paffend hockte ich an meinem Schreibtisch und dachte komischerweise an alle, die in Hollywood mit einer solchen Zigarre unter kalifornischer Sonne hocken. Schwarzen-egger, Redford, Oliver Stone oder auch Barbara Streisand. Ihr Pech, daß sie keine Ahnung haben, wo die Eifel liegt. Dort raucht es sich angenehmer, und man wird dabei auch nicht dauernd fotografiert. Solch einen Blödsinn überlegte ich, während ich Havanna rauchend auf die Reste meiner kleinen CD-Anlage schaute, die den Teppich verunzierten.
Draußen wurde es finster, weil die nächste Gewitterwand über der Mosel aufzog und von Südwesten her auf die Eifel zuflutete. Es begann mit kleinen heftigen Windböen, es folgte ein scharfer Regen, der fast waagerecht peitschte, dann blitzte und knallte es, und das Wasser fiel dick und gleichmäßig wie aus tausend Eimern.
Ich stellte mich ans Fenster, starrte auf meinen Teich hinunter und fragte mich, wie Fritzchen so etwas wohl empfinden mochte. Vielleicht empfand er gar nichts, vielleicht nahm er es einfach hin, vielleicht gab es bei den Goldfischen keine Philosophie.
Plötzlich belebte sich mein Garten auf eine wundersame Weise. Fast senkrecht unter mir erschien Rodenstock in voller Montur, er hatte nicht einmal die Schuhe ausgezogen. Er hielt sein Gesicht in den Regen und sah dabei glücklich aus. Er streckte die Arme in den Himmel, als bete er darum, der Regen möge nicht aufhören. Es war so, als habe er endlich eine Chance gefunden, sich von dem dreckigen Fall reinzuwaschen, sich endlich wieder einmal sauber zu fühlen, vielleicht mit neuer Frische an die Klärung aller Fragen zu gehen.
Ich ließ die Havanna Havanna sein und rannte hinunter. Der Regen gehört schließlich allen. Auf den zehn Metern von der Haustür bis zum Gartentor wurde ich komplett geduscht. Und ich fühlte mich großartig dabei und hörte mit Vergnügen das Wasser in meinen Schuhen quatschen. Wenn Rodenstock jetzt einen Indianertanz hingelegt hätte, hätte mich das nicht verwundert. Aber er tanzte nicht. Er stand einfach da, mitten auf dem nicht gemähten Rasen und ließ die Pracht auf seinen Buckel prasseln. Dann verschränkte er die Beine und ließ sich langsam in das Gras sinken. Wie ein indischer Fakir, wie ein Mönch auf der sehr langen Reise in ein Gebet saß er da, und es fiel mir auf, daß er die Handflächen geöffnet hielt, als könne er die vielen tausend Wassertropfen auffangen. Ich setzte mich neben ihn, und er grinste mir zu, als seien wir Teil einer höchst geheimen Bruderschaft.
»Schön, wie?«
»Sehr schön«, nickte ich.
»Wenn du jetzt eine Antwort auf eine Frage frei hättest, was würdest du fragen?«
Ich überlegte lange. Natürlich konnte ich fragen: Wer hat Cherie getötet? Aber das war es wohl nicht. »Ich würde fragen, ob ich weiter mit Dinah leben kann. Und wie lautet die Antwort?«
»Die Antwort lautet ja. Aber nur dann, wenn du Geduld hast.«
»Den Pferdefuß habe ich geahnt. Und welche Frage hast du?«
»Wieviele Jahre ich noch zu leben habe.«
Erst jetzt hörte ich das Prasseln der Wassertropfen auf der Teichfläche. Es war sehr laut. »Noch mindestens zwanzig«, sagte ich. »Ich habe geträumt, daß du dich mit sechsundachtzig noch einmal verlobst.«
»Moment mal, ich habe Emma.«
»Geduld, mein Freund. Du verlobst dich mit Emma. Bis dahin seid ihr nämlich schon wieder zweimal geschieden.«
»Ach so«, grinste er. Dann wurde er unvermittelt ernst. »Womit fangen wir an? Es ist ein vertrackter Fall, und ich habe überlegt, daß Cherie vielleicht von jemandem getötet wurde, der mit dem Mord an Narben-Otto nicht das Geringste zu tun hat. Denn irgendwie paßt er von der Struktur her nicht zu der Tötung von Cherie.«
»Ich bin zurückgegangen. Bis in die Nacht, in der Cherie hingerichtet wurde. Ein paar hundert Meter entfernt starb wenig später Mathilde Vogt. Ihr Mann erschoß sie, das ist klar. Nehmen wir an, der Ehemann sagt die Wahrheit. Es war tatsächlich so, daß sie sagte, sie wolle in das Jagdrevier ...«
»... du bist richtig gut«, unterbrach mich Rodenstock. »Mach weiter.«
»Es war also mitten in der Nacht, und die Frau sagt, sie geht in das Revier. Was kann sie um diese Zeit dort tun? Schießen auf keinen Fall, es sei denn, sie ist auf eine Wildsau aus. Aber es gab kein Büchsenlicht. Also, was will sie dort? Will sie mit sich allein sein? Muß sie nachdenken? Muß sie Probleme wälzen? Und jetzt die entscheidene Frage. Geht eine schwangere Frau, selbst wenn sie Jägerin ist, mitten in der Nacht mutterseelenallein in ihrem Revier spazieren? Meine Antwort lautet: Nein, auf keinen Fall. Sie muß jemanden getroffen haben. Das kann Cherie gewesen sein, aber wahrscheinlich ist das nicht. An diesem Abend sind die beiden bereits einmal zusammengetroffen. Cherie ist offensichtlich von Düsseldorf aus ins Zentrum von Daun gefahren. Irgendwie ist sie dann nach Wittlich zu Mathilde Vogt gekommen. Vielleicht mit einem Taxi, vielleicht ist sie abgeholt worden von Mathilde Vogt. Cherie verläßt das Haus der Vogts, nachdem der Hausherr sie beleidigt und rausgeschmissen hat. Es scheint mir nicht sehr wahrscheinlich, daß Mathilde Vogt sich in den Wagen setzt, um in ihrem Revier erneut Cherie zu treffen. Also, wen traf sie? Natürlich den Zahnarzt Trierberg. Und jetzt, verdammt noch mal, rächt es sich, daß wir den Fall Mathilde Vogt so zögerlich angegangen sind, als sei er von minderer Wichtigkeit. Wir brauchen diesen Zahnarzt. Er ist der Vater von Mathilde Vogts Kind und ...«
»Schon gut, schon gut, ich rufe ihn an. Nimm dir ein Handtuch, rubbel dich ab und mach dich schön. Eine Eifler Liebesgeschichte. Darauf freue ich mich.«
Wir gaben Jenny und Enzo unsere Handy-Nummern und sagten, sie sollten uns bei jedem Anruf verständigen, dann ging es los. Rodenstock hatte über die Praxis des Zahnarztes erfahren, daß er zur Zeit eine Woche Urlaub mache, aber zu Hause sei, wenn es denn um einen dringenden Fall gehe. Waldschneise 17, östliches Stadtgebiet.
Es war ein flacher, weißer Bungalow, im Grunde sehr solide, im Grunde nichts Besonderes. Das Haus wirkte abweisend, weil sämtliche Rolläden hinuntergelassen worden waren. Neben der Einfahrt zur Garage standen zwei Mülltonnen auf der Straße, eine für die Bioabfälle und eine graue Tonne für den Restmüll. Rodenstock ging zu den Tonnen und klappte sie auf. Er fand nichts, kam zurück, ich drückte das kleine Gartentörchen auf, und wir schellten. Keine Reaktion. Wir schellten noch einmal, wieder nichts.
Dann rief eine Frau aus dem Vorgarten des gegenüberliegenden Hauses: »Der Doktor ist nicht da. Die Mülltonnen habe ich rausgestellt, weil er das ja meistens vergißt. Der ist schon seit mindestens einer Woche nicht mehr hiergewesen. Mein Bruder sagt auch, daß er das nicht versteht, weil der Doktor uns doch immer Bescheid gibt, wenn er in Urlaub fährt. Er hat nicht mal gesagt, daß ich die Blumen gießen soll.«
»Moment, bitte«, sagte Emma und überquerte die Straße. Wir folgten ihr. »Ist sein Auto weg?«
»Das Auto ist weg«, nickte die Frau. »Ich weiß das, ich habe ja die Schlüssel, ich war schließlich drin, ich darf immer rein, hat der Doktor extra gesagt, weil ich mich um alles kümmern soll.« Sie war eine kleine, hagere Figur, vielleicht sechzig Jahre alt mit einer leicht blondierten, billigen Perücke. Und sie wirkte ungeheuer diensteifrig.
»Können Sie sich denn erinnern, wann Sie den Doktor das letzte Mal gesehen haben?« fragte Rodenstock eindringlich.
»Das ist so ungefähr eine Woche her. Es war morgens, ja, morgens. Oder, nein, warten Sie mal, es war abends. Er winkte mir noch zu und fuhr dann los. Ich dachte, er fährt zum Jagen, weil er sein grünes Hemd anhatte und seine grüne Strickjacke und so. Das trägt er immer, wenn er auf die Jagd geht. Und ich mache ja schließlich seine ganze Wäsche. Seit mein Mann verstorben ist, sorge ich für den Doktor, daß er es auch immer gut hat.«
»Dann kennen Sie ja auch Frau Vogt«, stellte Emma kühl fest.
Die Frau wurde unsicher, sie stotterte etwas.
»Die ist erschossen worden«, fuhr Emma unerbittlich fort. »Davon haben Sie doch sicherlich gelesen, oder? Wahrscheinlich hat Dr. Trierberg Sie gebeten, über Frau Vogt nicht zu sprechen. So ist es gewesen, nicht wahr? War Dr. Trierberg mal verheiratet? Wie heißen Sie eigentlich?«
»Ich bin Frau Findeisen, Christel Findeisen.« Sie machte jetzt ein kummervolles Gesicht. »Wir haben im Radio gehört, daß der Mann von Frau Vogt, also der Ehemann, verhaftet worden ist. Er soll ... er soll die Frau erschossen haben.« Plötzlich weinte sie, und ebenso plötzlich holte sie ein kleines, spitzenbesetztes Tuch aus dem Ärmel und fuhr sich damit über die Augen. »Mich macht das ganz fertig. Sie wollte sich trennen, sie wollte Dr. Trierberg heiraten. Und ich sollte dann auf das Kind aufpassen. Und sie hatten auch gesagt, wenn wir in Urlaub fahren, nehmen wir Sie mit. Ich sollte mit! Und der Doktor sagte immer, ich sei für ihn wie eine Mutter.« Geplatzte Träume gegen Ende des Lebens.
»Sie sollten uns das Haus zeigen«, sagte Emma sanft. »Und zwar sofort. Wir glauben nämlich, daß Dr. Trierberg in großer Gefahr ist.«
Sie schrillte: »Oh Gott!« und hielt sich die rechte Hand vor den Mund. »Natürlich. Darf ich fragen, ob die Herrschaften etwas mit der Polizei zu tun haben?«
»Wir haben sehr viel mit der Polizei zu tun«, versicherte ich. »Wir arbeiten mit Herrn Kischkewitz von der Mordkommission zusammen. Und jetzt öffnen Sie bitte das Haus und die Garage und alle Räume im Haus, die abgeschlossen sind.«
»Selbstverständlich«, sagte sie.
Sie verschwand für eine Weile und kehrte dann mit einem Schlüsselbund zurück. Zuerst schloß sie die Garage auf.
»Was für einen Wagen fährt er?« fragte ich.
»Einen BMW. Aber wie der genau heißt, das weiß ich nicht. Dann hat er noch das Motorrad. Er liebt Motorradfahren.«
Eine schwarze Kawasaki stand da, blankgeputzt. Nichts in dieser Garage deutete auf einen ungewöhnlichem Umstand hin, einen hastigen Aufbruch etwa.
»Im Haus ist nichts verändert«, erklärte Frau Findeisen und ging vor uns her zur Haustür.
»Hat er denn Wäsche mitgenommen?« fragte die praktische Emma.
Die Nachbarin sah Emma etwas verdutzt an. »Da habe ich gar nicht nachgeguckt, das weiß ich nicht.«
Im Haus roch es muffig, nach Staub und Einsamkeit. Wegen der heruntergelassenen Rolläden herrschte ein bleiernes Zwielicht, das mich augenblicklich nervös machte.
»Reißen Sie sämtliche Fenster auf«, bat ich. »Hier muß Licht rein!« Dann knipste ich jeden sichtbaren Schalter an, das machte es etwas besser, vertrieb aber die bedrückende Stimmung nicht.
»Ehe wir weitersuchen«, sagte Emma und stellte sich vor Christel Findeisen. »Hatten Sie den Eindruck, daß die beiden, also Mathilde Vogt und Dr. Trierberg, sich aufrichtig liebten?«
Sie wurde rot, auf ihrem Hals erschienen rote Flecken, die Hände wurden fahrig. »Ja, oh ja, das ist wohl so. Sie ... sie waren glücklich.«
»Ich wiederhole die Frage«, Emma war unnachgiebig: »War der Doktor schon mal verheiratet?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er ... in der Eifel ist es ja so, daß Männer manchmal spät heiraten. Manchmal sehr spät. Der Doktor sagt immer: Wenn ich die Richtige finde, dann heirate ich. Und ich weiß noch, ich habe einen Scherz gemacht. Ich habe ihn gefragt, woran er denn merken will, ob sie die Richtige ist. Darauf hat er geantwortet: Wenn ich meine Patienten vergesse, dann ist sie die Richtige.«
Rodenstock stand in der breiten doppelflügeligen Tür zum Wohnzimmer. »War denn die Polizei nach dem Mord an Frau Vogt nicht hier?«
»Nein, das hätte ich gemerkt. Der Doktor sagte, er habe mit denen telefoniert. Jetzt weiß ich wieder, wann er ... Ja, ja, das war an dem Tag, an dem sie die Leichen gefunden haben. Da muß er gefahren sein. Am nächsten Tag nämlich ... Ganz sicher.«
»Er hat also mit der Polizei telefoniert?« fragte Rodenstock.
»Ja, hat er.«
»Mein Gott, Christel«, meinte Emma ganz sanft. »Sie sind ja vollkommen durcheinander. Wenn er an dem Tag verschwunden ist und wenn er an dem Tag mit der Mordkommission telefoniert hat, dann haben Sie doch was gemerkt, oder? Sie sind doch eine Frau, wir Frauen merken doch so was. Hat er ... er muß doch mit den Nerven fertig gewesen sein. Christel, bitte. Helfen Sie uns, er ist doch auch Ihr Doktor?«
»Ich erkundige mich bei Kischkewitz«, sagte Rodenstock und verzog sich.
»Christel«, sagte ich. »Wir versuchen, Ihrem Doktor zu helfen, falls überhaupt noch was zu helfen ist. Bitte, was war an dem Tag, an dem die Frauen ermordet worden sind?«
»Also, er fuhr aus der Garage raus.« Ihr schmallippiger Mund zuckte, sie hatte etwas verdrängt, sie hatte es nicht wissen wollen. »Mein Gott, die haben sich geliebt.«
»Langsam, Christel«, sagte Emma, und sie nahm sie in die Arme. »Ganz langsam. Er fuhr also aus der Garage. Vorwärts? Rückwärts?«
»Rückwärts, wie immer. Bis auf die Straße. Dann bin ich raus. Ich wollte fragen, ob ich irgend etwas tun kann. Ich dachte, er fährt in die Praxis. Dann sah ich sein Gesicht. Er weinte. Die Tränen liefen aus seinen Augen, und er konnte nicht richtig sprechen. Ich hab gefragt, was mit ihm ist. Er schüttelte nur den Kopf und sagte: Ich muß weg, Christel, ich muß weg. Und dann fuhr er.«
»Das war alles?« fragte ich.
Sie vergrub ihren Kopf an Emmas Schulter. »Das war alles.« Es klang dumpf und vollkommen verzweifelt.
Rodenstock kehrte zurück: »Es stimmt, Trierberg hat mit Kischkewitz gesprochen. Kischkewitz hatte nicht den geringsten Grund, anzunehmen, Dr. Trierberg hätte etwas mit den Morden zu tun. Allerdings wußte er nicht, daß das Kind von dem Doktor war. Christel, verdammt noch mal, wir haben noch eine ganz schmale Chance. Wo ist der Waffenschrank?«
»Im Keller. Aber dazu habe ich keinen Schlüssel.«
»Egal. Wir müssen was nachprüfen.«
Wir gingen hinter Christel Findeisen her eine Betontreppe hinunter. Sie schloß einen Raum auf. Darin lag ein großer Teppich, auf dem ein Schreibtisch stand. Davor ein Sessel. Sonst gab es nichts, der Raum wirkte sehr steril. Der Waffenschrank stand an der rechten Wand, ein Holzgehäuse mit zwei Glastüren.
»Da ist nichts mehr«, sagte Christel Findeisen fassungslos.
»Wieviele Gewehre waren da drin?« fragte Emma. »Wieviele, Christel? Wieviele Revolver oder Pistolen? Christel?«
»Ich glaube, es waren immer vier Gewehre«, sagte sie ohne Atem. Sie starrte in den Schrank, als stünde dort die Lösung.
Rodenstock sagte: »Entschuldigung« und schob die Frau beiseite. Dann schlug er mit der bloßen Faust durch die rechte Scheibe des Schrankes. Unten auf dem Boden des Schrankes befanden sich kleine Kartons. Munition. Jeder Karton war aufgerissen, keine Spur von Ordnung. »Waren hier auch Faustfeuerwaffen drin?«
»Da waren so ... Pistolen oder so was. Ich kenne mich da nicht aus.«
»Wieviele?« fragte Emma drängend.
»Scheiß drauf. Ist doch egal. Trierberg ist in den Krieg gezogen.«
»Christel«, sagte Emma. »Ist der Doktor ein Mann, der auf Menschen schießen könnte?«
»Kann er nicht, niemals. Er ist so ein gütiger Mensch. Er hat gesagt, er kann nicht mehr jagen, er will gar nicht mehr jagen. Nein, er kann nicht schießen, nicht auf ...«
»Stell dir vor, Christel«, sagte ich scharf, »er hört, daß seine Mathilde erschossen wurde. Stell dir das vor, nur das. Schießt er dann?«
Sie bewegte sich unruhig, stellte die rechte Schuhspitze vor eine Glasscherbe und schob sie nach vorn. »Dann schießt er«, nickte sie.
Rodenstock hantierte mit seinem Handy und sagte: »Stefan Hommes, gut. Du bist bei Julius Berner, nehme ich an?« –»Hör jetzt zu. Der Dr. Trierberg ist samt seinen Waffen verschwunden. Seit dem Tag, an dem die beiden Frauenleichen gefunden wurden. Er wußte, daß Mathilde Vogt erschossen worden ist. Und er war ihr Geliebter. Die beiden wollten heiraten.« – »Richtig, das ist ein Hammer. Wir sind jetzt im Endspurt. Überleg bitte genau: Hat Dr. Trierberg eine Jagdhütte?« – »Nein, ich denke nur, daß er zwei Möglichkeiten hatte. Er konnte die Gegend verlassen, von irgendwoher seine Praxis verkaufen, er braucht gar nicht mehr in Wittlich aufzutauchen. Aber: Er hat sämtliche Waffen, die er besitzt, mitgenommen. Ich denke, er ist in den Wald gegangen, wenn du verstehst, was ich meine ...« – »Die schmale Straße von Kopp nach Weißenseifen, richtig?« – »Dann teilt sich dieser Weg. Der nach Weißenseifen ist der linke, richtig? Gut. Wie weit?« – »Bis zum Waldrand linker Hand. Dann Waldweg am Wald entlang, dritte Schneise nach rechts. Ungefähr vierhundert Meter bis ...« – »Okay. Lichtung rechts. Und noch was, Junge. Paß auf den Berner auf. Laß ihn keine Sekunde aus den Augen.« – »Ja, ich weiß, das ist schwer, aber dein Chef hat nun mal keine sehr saubere Weste. Wir kommen bald.«
Rodenstock sah uns an. »Laßt uns fahren, Beeilung. Es gibt eine alte Jagdhütte, die schon dem Vater vom Trierberg gehörte. Das, was mir Kummer macht, ist sein BMW. Wo hat er den gelassen? Er hatte schließlich vier Gewehre zu schleppen, die Munition, die Faustfeuerwaffen. Falls er noch lebt. Glaubst du, daß er noch lebt?« fragte er Emma.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf, sie wirkte mutlos. »Christel, ich verspreche dir, ich komme zurück. Wir reden dann. Aber jetzt müssen wir los.«
»Ja, ja«, sagte sie. »Ich gieß mal die Blumen.«
Der Himmel war dunkel, wir hatten vielleicht noch zwei Stunden Licht, wenn es keinen weiteren Landregen gab.
»Ist es eigentlich möglich, daß Mathilde vor Cherie starb?« Emmas Frage richtete sich an sie selbst.
»Natürlich«, entgegnete Rodenstock. »Dann hat Trierberg das Blutbad angerichtet. Erst Cherie, dann Narben-Otto. Das meinst du doch, oder?«
»Ja«, sagte sie. »Ein glaubhaftes Motiv. Er hört im Radio die Nachrichten, dann packt er die Waffen ein und zieht in den Krieg. Irgend jemand ... Mein Gott, das paßt, das paßt alles, Rodenstock.«
»Nein«, sagte ich, gab Vollgas und zog die Gänge durch. »Narben-Otto paßt nicht.«
»Doch«, widersprach Rodenstock kühl. »Er hat bei Cherie eine Abtreibung gemacht. Cherie wird Mathilde davon erzählt haben. Mathilde sagt es Trierberg. Und der rastet aus. Mein Gott, die ganze chaotische Geschichte nichts als eine Beziehungskiste. Gib Gas, Junge.«
»Er wird sich getötet haben. Sein Leben war zu Ende.« Emma räusperte sich. »Er war wirklich am Ende.«
»Ja, ja«, sagte ich wütend. »Aber kannst du vielleicht mal einen Moment deine Phantasien zügeln? Sicher ist noch nichts. Kann doch auch sein, daß es die Nacht der Mörder war. Die haben sich in der Eifel verabredet. Kommt doch häufig vor, oder nicht? Die hatten hier ein Jahrestreffen, und der Vorsitzende und der Kassenwart und der Sportgerätewart haben ...«
»Hör auf«, bellte Rodenstock scharf. »Halt die Schnauze. Du beleidigst meine Frau.«
Ich mußte ein paarmal durchatmen, ehe ich reagieren konnte. »Tut mir leid, Emma. Tut mir leid, Papa.«
Gleich hinter der Autobahnabfahrt gelangten wir an eine typisch Eifler Straßenbaustelle. Nichts warnte, niemand stand rum und winkte mit einer Fahne. Die Arbeiter hatten sich einfach mitten auf der Straße aufgebaut und bemühten sich, mit einem Bohrhammer ein Loch in die Fahrbahn zu stemmen. Und genau in dieser schmalen Rinne, rechts neben dem bohrenden Trupp stand ein Autobus, und der Fahrer quatschte gemütlich mit jemandem, der aussah wie der Vorarbeiter.
»Das darf nicht wahr sein«, hauchte Rodenstock erstickt.
»Oh doch«, sagte ich und gab Vollgas, nahm die linke Fahrbahn an dem Bautrupp vorbei, und sie starrten mir fassungslos nach.
Ich lächelte wie Django, wenn er sich besonders einsam fühlt, und gab noch ein bißchen mehr Gas, weil pro Tag erfahrungsgemäß eine nicht abgesicherte Baustelle die Regel ist, zwei kommen selten vor.
Es herrschte sehr viel Betrieb auf den Straßen, und ich dachte verzweifelt, daß ich um das herrliche Daun nicht herumkomme, das einzige Städtchen, das stolz darauf zu sein scheint, daß seine Mitte von Süden aus absolut nicht erreichbar ist.
Rodenstock neben mir hielt sich an allem fest, was ihm sicher erschien. Emma, das sah ich im Rückspiegel, machte etwas sehr Cleveres, sie kniff die Augen zu, und es wirkte so, als lache sie. Aber wahrscheinlich war es das blanke Entsetzen.
Endlich erreichten wir hinter Gerolstein die lange Linkskurve an der Kyll entlang, es ging unter der Überführung durch, rechts um die Lissinger Burg, dann auf die Gerade, von der aus die Seitenstraße nach Kopp abbiegt. Hier schaltete ich sämtliche Lichter aus und trödelte nur noch mit etwa achtzig dahin, damit wir nicht unnötig auffielen.
»Was ist, wenn wir Trierberg nicht finden?« fragte ich.
»Dann ist er wirklich tot«, murmelte Rodenstock. »Und was ist, wenn er uns unter Beschuß nimmt?«
Eine Weile herrschte Schweigen.
»Das wird er nicht tun«, sagte Emma. »Ich nehme an, wenn er noch lebt, wird er ungeheuer erleichtert sein, daß wir kommen. Ich bin gespannt, was er gesehen hat.«
»Was soll er denn gesehen haben?« fragte Rodenstock.
»Na ja, wie jemand seine zukünftige Frau erschoß«, erwiderte sie lapidar.
»Aber dann kehrt er doch niemals ein paar Stunden später in den Wald zurück!« schnaubte Rodenstock.
»Falsch, mein Lieber, ganz falsch. Wenn er genau das tut, ist er an dem einzigen Platz auf der Welt, an dem niemand nach ihm sucht.«
»Wie gehen wir denn nun vor?« fragte ich.
»Wir richten uns danach, wie die Situation aussieht«, entschied Emma. »Falls Trierberg noch lebt.«
»Da fällt mir etwas ein. Wo ich euch zwei schon mal zusammen habe: Ich werde am Freitag nicht auf diese Beerdigung gehen. Und wenn es nach mir geht, wird auch Dinah nicht hingehen. Das ist eine Idee für einen Wald voll Affen.«
Eine Weile herrschte Schweigen. Rodenstock drehte seinen Kopf nach hinten und grinste.
»Das ist richtig«, nickte Emma. »Es war eine Scheißidee. Wir holen Dinah einfach aus diesem Krankenbett und gehen essen, oder so.«
Ich war sofort wütend. »Wieso hast du denn diesen Plan erst gutgeheißen?«
»Weil Frauen manchmal so denken«, erklärte sie.
»Aha!« sagte ich.
Wir erreichten die Kehren hinunter nach Eigelbach, und ich merkte, wie Rodenstock neben mir lachte. Da lachte ich auch. Dann rauschten wir die Straße entlang, die von Kopp den Berg hinauf führt. Nun war Schluß mit allen dümmlichen Bemerkungen und versuchten Gags, es wurde plötzlich ernst.
Als habe er genau dasselbe gedacht, nahm Rodenstock seine schwere Magnum 357 und reichte sie wortlos nach hinten, damit Emma sie durchsehen und ausprobieren konnte. Sie gab ihm dafür ihren Colt 38. Es war ein merkwürdiges Ritual. Sie hielten Waffen in den Händen, aber es wirkte wie eine Liebeserklärung. Es klickte, die Trommel rotierte.
»Sie ist okay!« sagte Emma. »Und sei nicht so mutig, Liebling.«
»Bin ich nicht«, entgegnete Rodenstock nachdenklich. »Dein Ballermann funktioniert auch.«
Sie tauschten die Waffen wieder, und Rodenstock holte die flache Beretta aus der Innentasche seines Jacketts. »Das ist deine«, sagte er und legte sie mir hinter das Lenkrad. »Und gebrauch sie gefälligst. Wir sollten gelegentlich einen Waffenschein für Siggi Baumeister beantragen.«
»Nicht für mich«, sagte ich und hatte einen trockenen Mund. Ich würde mich nie an das Gefühl einer Waffe in der Hand gewöhnen können. Nicht mehr in diesem Leben. »Da ist die Weißenseifener Straße. Glaubst du, daß das Licht noch reicht, um an ihn heranzukommen?«
»Ja, das glaube ich«, murmelte Rodenstock.
Rechts auf dem Hang standen Häuser weit von der Straße weg, dann waren wir allein.
»Wie weit ist es noch?« fragte Emma.
»Nicht mehr als ein paar hundert Meter. Wir sollten uns trennen, einen Fächer machen.«
»Nein«, sagte sie entschieden. »Halt mal an. Ich denke, wir trennen uns nicht, wir gehen in einer Linie. Eigentlich müßten wir seinen Wagen finden, wenn er hier ist. Wo versteckt ein Jäger sein Auto, wenn er es verstecken will?«
Ich überlegte. »Ein junger, kluger Förster hat mir mal erzählt, es gibt in jedem Revier Ecken, die sogar die Förster und Jäger meiden. Das sind meistens nasse Löcher mit jeder Menge Weißdorn, richtige Dreckecken. Da wachsen keine vernünftigen Bäume, und da liegt meistens jede Menge Bauschutt herum, den die Bauern generationenlang da abgeladen haben.«
»Gibt es so ein Dreckloch hier?« fragte Emma.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich und sah Rodenstock an.
Er wählte die Nummer von Stefan Hommes und gab die Frage weiter. Dann teilte er uns mit: »Am Wald entlang. An der dritten Schneise scharf links über ein Feld und runter zu einem Bach. Da ist so was. Sagt Stefan Hommes. Los, wir haben nicht viel Zeit.«
»Moment noch«, murmelte Emma und legte eine Hand auf meine Schulter. Plötzlich wurde mir klar, sie hatte Angst. »Ich habe ein Scheißgefühl, Rodenstock. Tut mir leid.«
»So etwas gibt es«, sagte er weich.
Kurze Zeit war es still.
»Ich will als erste gehen«, sagte Emma dann leichthin. »Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen.«
Wieder diese Stille.
»Natürlich«, nickte Rodenstock. Er wußte genau, daß es nicht den geringsten Sinn machte zu versuchen, ihr das Vorhaben auszureden. Sie wollte als erste gehen und als erste getroffen werden.
»Da fällt mir noch ein Witz ein.« Ihre Stimme war etwas atemlos und schnell. »Im Himmel sind Wahlen. Normalerweise ist es so, daß nur die Vertreter der Christlichen Partei gewählt werden. Zu hundert Prozent. Aber diesmal geht etwas schief. Der Demokratie zuliebe sind auch die Sozialisten zugelassen. Und die kriegen sage und schreibe eine Stimme. Skandal im Himmel. Wer war das? Der Verdacht fällt auf Josef, den Zimmermann, schließlich ist er der Schutzpatron aller Werktätigen. Man fragt ihn aus, man beschimpft ihn. Schließlich gibt er zu: Ich habe die Sozialisten gewählt! Aber stellt euch nicht so an, brummt er. Wenn ich meine Frau und meinen Sohn aus der Firma abziehe, geht ihr doch alle pleite!«
Rodenstock begann zu kichern, und ich mußte lachen.
»Dreißig Sekunden Konzentration«, befahl Emma rasch. »Und dann geht es los.«
Langsam ließ ich den Wagen wieder anrollen. An der Gabelung nahm ich die schmale Wirtschaftsstraße nach rechts. Sehr bald war der Asphalt zu Ende, das Sträßchen war nur noch ein Weg, dann kam schon linker Hand der Waldrand. In Höhe der zweiten Schneise fuhr ich den Wagen tief zwischen die Bäume.
»Das reicht jetzt, den Rest machen wir zu Fuß. Ich laufe jetzt runter zum Bach und schaue nach dem Auto. Vielleicht haben wir Schwein. Wartet eben.«
»Stech ihn ab«, sagte Rodenstock.
»Natürlich, Papa.« Ich rannte, weil es wichtig für mich war, erst einmal außer Atem zu kommen. Es war ein alter Trick vor körperlichen Anstrengungen, und er klappte fast immer.
Es waren nicht mehr als dreihundert Meter, dann stand ich am Bach, der sehr schmal und tief war. Bachaufwärts gab es kein Dreckloch, was immer ich mir darunter vorzustellen hatte. Aber rechts in ungefähr fünfzig Metern Entfernung schien Holunder zu wuchern. Ich lief näher heran. Es war Holunder, und ich sah mehrere zugewachsene große Erdhaufen.
Ich durchquerte den Bach und ging dorthin. Der BMW stand am Auslauf eines uralten zugewachsenen Weges, der vom Hang hinunterführte. Trierberg hatte ihn sehr geschickt positioniert. Sowohl vom Waldrand oben wie auch von dieser Seite des Baches war er nur zu finden, wenn man wußte, wo man ihn suchen mußte.
Ich nahm das Schweizer Armeemesser und stach alle vier Reifen ab, damit Trierberg uns nicht entwischen konnte. Eines war nun sicher: Er war hier.
Ich sprang zurück über den Bach und winkte Emma und Rodenstock zu. Dann lief ich den Wiesenhang hinauf.
»Er ist da«, berichtete ich. »Du führst, Emma.«
Sie nickte: »Abstand vier Schritte. Bei Beschuß gehst du nach rechts zu Boden, Rodenstock. Du nach links, Baumeister. Das sind auch die Seiten, die ihr beobachtet. Keine Heldentaten, und gefeuert wird grundsätzlich beidhändig, und nicht so, wie Bruce Willis das immer tut, wenn er mit einer 10-Kilo-Waffe umgeht, als sei sie aus Plastik. Na ja, sie ist ja auch aus Plastik. Los jetzt. Haltet den Kopf unten. Und die Ärsche auch! Die werden noch gebraucht.«
»Lange Rede, Sergeant«, grinste Rodenstock.
»Ach, hör auf«, sagte sie ernst. Dann setzte sie sich in Bewegung. Sie ging es langsam an, und ich wußte, sie wollte uns daran gewöhnen, durch Gras und Wald zu laufen. Sie wollte auch, daß unsere Augen sich an das diffuse Licht unter den Bäumen gewöhnten, sie wollte, daß wir ein Gefühl für diese Welt bekamen. Sie war eben ein Profi.
Bevor wir die Schneise drei erreichten, glitt Emma zwischen die Bäume, und wir folgten ihr. Sie vermied den direkten Weg durch die Schneise, sie suchte eine begehbare Parallele.
Mein Beobachtungsfeld war nach links ausgerichtet, und ich gewöhnte meine Augen an einen gleichmäßigen Rhythmus: erst links das Feld jenseits der Schneise. Dann die nächsten vier bis fünf Schritte geradeaus, um zu vermeiden, auf einen Ast zu treten oder in einer Kuhle zu straucheln. Ein paarmal ging das schief, und ich trat auf einen trockenen Fichtenast. Meine Handfläche, die die Waffe umkrampfte, schwitzte heftig.
Irgendwo vor uns flog ein Eichelhäherpärchen auf und machte einen Heidenlärm, weil wir es gestört hatten. Emma versank sofort im Boden, Rodenstock war auch nicht mehr zu sehen. Ich reagierte zu spät, es dauerte viel zu lange, bis meine Knie den Waldboden berührten. Ich wollte fluchen, weil das verdammt leichtsinnig gewesen war.
Emma blieb volle fünf Minuten am Boden, erst dann tauchte sie wieder auf und ging weiter.
Mit Schrecken dachte ich daran, daß ich mein Handy nicht ausgeschaltet hatte. Rodenstock wahrscheinlich auch nicht. Ich hielt wortlos mein Handy in die Luft.
»Okay«, hauchte Rodenstock und schaltete seinen Apparat aus.
Emma stand vor uns und wandte uns den Kopf zu. Sie lächelte, als wollte sie sagen: Euch kann man wirklich nicht allein lassen.
Nach meiner Berechnung hatten wir etwa zweihundert Meter waldeinwärts zurückgelegt, jetzt wurde es kritisch. Trierberg hatte Zeit genug gehabt. Wenn die Eichelhäher ihn aufmerksam gemacht hatten, würde er uns beobachten. Zweifellos besaß er den Vorteil, warten zu können. Ich fragte mich, wie Emmas Programm aussah. Wie wollte sie an die Hütte herankommen? Von der Seite? Von der Rückseite?
Nach weiteren fünfzig Metern sah ich die Hütte. Sie machte einen erbärmlichen Eindruck, windschief, alt, verrottet. Rechnete man vierzig Jahre zurück, mußte sie auf einer malerischen Lichtung gestanden haben. Jetzt verfiel sie im Schatten hochgeschossener junger Buchen.
Emma drehte sich um. Sie deutete auf sich und dann zur Hütte. Dann auf Rodenstock und mit der Hand wie ein Brett auf einen Punkt links von der Hütte. Ich bekam die wortlose Anweisung zu bleiben, wo ich war. Schließlich fuhr sie sich mit zwei Fingern an die Augen, was wohl heißen sollte, ich solle beobachten. Von dem Punkt aus, an dem ich mich befand, konnte ich das nicht. Vor mir lagen gefallene Fichten und hatten schwere Wurzelteller hochgezogen, die wie Schirme alles verdeckten.
Ich schaute also Emma an und bewegte die Hand hin und her. Ich deutete auf meine Augen, dann auf die umgeworfenen Bäume und schüttelte den Kopf.
Sie verstand sofort und zeigte erneut auf ihre Augen und auf die Schneise hinaus.
Ich nickte und wartete, bis Emma und Rodenstock losgingen. Emma bewegte sich auf einer Linie, die rechts von der Hütte auf den Wald traf. Rodenstock nahm die Parallele hangabwärts, und es war typisch für ihn, daß er seine Gefährtin stets im Auge behielt und erst dann weiter schlich, wenn sie stehenblieb, um nach vorn zu sichern.
Ich wünschte, Stefan Hommes und Andreas Ballmann wären bei uns, einfach, weil dann das Gefühl von Sicherheit größer gewesen wäre.
Als ich Emma schräg rechts und Rodenstock schräg links vor mir hatte, ging ich in die Knie und legte mich lang auf den Bauch. Ich kroch vorwärts.
Es war wie in Oos: Die Waffe störte mich, und ich steckte sie hinten in den Hosengürtel. Hinter mir lärmte das Häherpärchen, und die Tiere stoben wie zwei farbige Bälle durch die Luft. Aber sie schienen nicht unruhig, sie jagten sich, es war Lebenslust.
Sieh dir das an, Trierberg, dachte ich verkrampft. Du mußt begreifen, daß hier niemand ist. Sieh dir das an.
Emma richtete sich hinter einer kleinen Birke auf und drehte sich zu Rodenstock. Sie hob den rechten Arm, und ihre kleine Hand bildete eine Faust. Und ehe ich erschrocken einatmen konnte, knallten die Schüsse.
Es waren zwei.
Emma war nicht mehr zu sehen, Rodenstock tauchte für den Bruchteil einer Sekunde auf, als er losspurtete, um zu seiner Frau zu gelangen.
Ich dachte wütend: Scheiß drauf! und kroch auf Emmas letzten Standort zu; garantiert achtete ich nicht allzusehr auf meine Deckung.
Es folgten noch zwei Schüsse, drei, vier. Sie klangen schärfer, sie klangen peitschender, es war irgendeine andere Waffe.
Emma lag auf dem Rücken und hielt sich an Rodenstocks Schulter so fest, daß ihre rechte Hand weiß war vor Verkrampfung. Sie atmete etwas hastiger als gewöhnlich. Ihr linker Oberarm war getroffen, und unsinnigerweise wollte sie mit einem wütenden Gesicht Rodenstock beiseite drängen, um aufzustehen. Aber er drückte sie mit aller Gewalt in das Gras zurück. Sie wiederum drückte dagegen, und sie schnaufte dabei.
Rodenstock sah mich an, und sein Mund zuckte, als wollte er sagen: Schau mal weg! Dann schlug er Emma k. o.