Siebtes Kapitel

Emma und Jenny waren zu Hause.

Jenny hockte im Wohnzimmer und telefonierte zärtlich mit Enzo. Als ich hereinplatzte, sagte sie gerade: »Wir könnten doch daran denken, ein Kind zu ... na ja, zu zeugen.« Dann lachte sie.

Ich entschuldigte mich und schloß die Tür wieder.

Emma saß am Küchentisch und trank Tee. »Was spricht die Welt?« fragte sie.

»Gegen einen Tee erzähle ich es dir. Wo ist denn dein Macker?«

»Der schoß sofort nach oben. Ich denke mal, er liegt auf dem Bett und telefoniert. Jedenfalls hatte er so ein Telefoniergesicht, und ich wurde übersehen. Das ist ein untrügliches Anzeichen dafür, daß er ein paar Fragen an das Schicksal hat.« Sie lächelte. Dann legte sie einen Zettel vor mich hin. »Das ist die Telefonnummer von dem 17jährigen Genie, das in den Computer des Finanzamtes eingebrochen ist. Bernard heißt er, glaube ich. Und jetzt erzähl mal.«

»Komisch, du erwähnst gar nicht, wie es Dinah geht.«

Sie sah mich erstaunt an. »Dinah geht es beschissen und ihrem neuen Freund auch. Dessen Eltern haben auf dem Krankenhausflur rumgeschrien, daß Dinah an dem Unfall schuld sei. Dinah habe ihren Sohn verhext. Wörtlich: Verhext. Es geht sehr weltlich zu an der Mosel. Reicht dir das?« Das klang aggressiv.

»Das reicht«, sagte ich. »Keine weiteren Fragen.«

»Wenn du die menschliche Größe hast, würdest du sie vielleicht anrufen«, setzte sie nach.

»Und ihr alles Gute wünschen«, sagte ich bitter. »Ach, Emma, was tun wir uns an?«

»Das, mein Lieber, frage ich mich schon, seit ich auf der Welt bin. Und jetzt erzähl mir endlich, was ihr Neues erfahren habt.«

Ich berichtete in aller Ausführlichkeit, sie unterbrach mich nicht ein einziges Mal. Irgendwann kam Rodenstock herein und setzte sich schweigend zu uns. Er war in Gedanken, hatte offenkundig ein Problem, so daß ich schnell endete und fragte: »Was hast du?«

Trocken berichtete er: »Kischkewitz wollte doch den Fahnder aus Düsseldorf vernehmen. Aber das ging leider nicht mehr. Der Junge hat Reißaus genommen, ist mit einem Taxi von Wittlich abgedampft, hat sich oberhalb von Birresborn an einem Waldrand absetzen lassen und kann seither als verschwunden gelten.«

»Und? Was macht Kischkewitz?« fragte Emma.

»Gar nichts«, seufzte Rodenstock. »Was soll er tun? Das Landeskriminalamt in Düsseldorf hat seine Identität bestätigt, er heißt Andreas Ballmann, ist dreißig Jahre alt. Das Landeskriminalamt hat aber auch bestätigt, daß der Mann Urlaub macht.«

Ich wurde wütend. »Verdammte Hacke, er hat ein Messer auf Stefan Hommes geworfen. Das muß doch reichen, ihn anzuzeigen und festzuhalten.«

»Genau an dem Punkt, mein Lieber, liegt der feine Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Erstens hat Stefan Hommes keine Anzeige erstattet. Zweitens hätte eine Anzeige keinerlei sittlichen Nährwert, denn Stefan Hommes hat zugegeben, sich außerordentlich dumm angeschlichen zu haben. Das heißt, unser Freund Ballmann würde vermutlich nicht angeklagt, ganz gleich, ob er Polizist ist oder nicht. Und die besonderen Umstände würden von der Staatsanwaltschaft gewürdigt: Es passierte in einem sehr unzugänglichen Teil des Waldes, an dem normalerweise keine Menschen auftauchen. Noch dazu hatte Hommes eine Faustfeuerwaffe in der Hand. Oh, Scheiße, wir sitzen fest, wir sitzen am Ende einer Einbahnstraße ohne Wendemöglichkeit.«

 

Weil niemand von uns sich die Mühe machen wollte, etwas Eßbares auf den Tisch zu bringen, fuhren wir nach Niederehe und aßen bei Markus. Jenny hatte ihr kleines Schwarzes gegen ein langwallendes Gewand von Emma getauscht und auf jede Schminke verzichtet, sie sah richtig edel aus. »Mit euch«, sagte sie, »ist alles ziemlich viel einfacher.«

»Eine Frage noch, dann lassen wir dich für heute in Ruhe.« Rodenstock legte ihr freundschaftlich einen Arm um die Schultern. »Julius Berner hatte sehr viele Gäste, nicht nur die Clique. Wer waren diese Gäste?«

»Na ja, Leute mit Geld, Geschäftspartner. Manchmal durften wir trotzdem kommen. Das waren Schwabbelbäuche, viele Schwabbelbäuche, Stefan Hommes nannte sie immer Biertonnen. Und, na klar, sie versuchten immer, uns Frauen zu betatschen. Wenn sie besoffen genug waren, kamen sie auch in die Zimmer.«

»Was passierte dann?« fragte Emma. »Hat Berner sie verscheucht?«

»Nein, hat er nicht. Er sagte immer: Kinder, seid freundlich zu den Onkels, die haben es schwer genug.«

»Gab es denn Frauen, die mit denen schliefen?«

»Nehme ich an«, antwortete Jenny. »Ich weiß jedenfalls von einem Fall. Geralda heißt sie. Die zeigte eines Morgens beim Kaffee einen Barscheck über zwanzigtausend, und sie war tödlich beleidigt, daß irgendeine andere sagte, für den Preis hätte sie nicht mal mit denen gelacht. Klar, es gab auch Nette unter den Schwabbelbäuchen. Aber meistens waren wir nicht in Mürlenbach, wenn Julius Geschäftspartner zu Gast hatte. – Wollt ihr denn nun, daß der Bernard euch hilft?«

»Oh ja«, sagte ich. »Das wollen wir. Wie lebt dieser Junge? Was ist mit seinen Eltern?«

»Soweit ich weiß, hat der Vater endlos Kohle. Die Eltern sind meistens unterwegs. Bernard geht noch zur Schule. Irgend jemand sorgt für ihn, ich glaube eine Art Haushälterin. Soll ich ihn gleich anrufen?«

»Das wäre gut«, nickte Rodenstock. »Aber vorher noch etwas anderes: Was hältst du von Stefan Hommes?«

»Also, den mag ich. Der steht auch total auf Julius Berner, weil der ihm ja den Job gegeben hat. Es gibt nichts, denke ich mal, was der nicht für Berner tun würde. Allerdings mag er die Clique nicht.«

Das Gespräch verflachte, wir aßen die Forelle mit Mandeln und hörten jemanden an der Theke in Eifler Platt Witze erzählen. Niemand verstand ein Wort, nicht einmal die, die neben dem Mann saßen. Eifler Platt ist eine schwierige Sprache, wenn sie unter dem Einfluß von fünf bis zehn Bier ins Nuscheln abgleitet, wirkt sie wie altägyptisch. Und wer spricht das schon?

Wir waren gegen zehn Uhr zu Hause und entschieden, ein abschließendes Glas Wein im Garten zu trinken. Es war noch warm, und kein Lüftchen bewegte sich.

Jenny nahm Rodenstocks Handy und rief diesen Bernard in Düsseldorf an.

»Hei«, sagte sie hell. »Hier ist die Jenny. Sag mal, könntest du vielleicht noch einmal helfen? Und was würde das kosten?« – »Aha, ja da ließe sich drüber reden. Wir haben hier nämlich ein Problem.« – »Wie bitte? Was hier heißt? Ich bin bei Freunden in der Eifel. Enzo ging es nicht so gut, und er liegt im Krankenhaus. Aber langsam wird’s besser.« – »Was er hat? Na ja, er hatte einen Zusammenbruch, er hat das alles nicht mehr verkraftet. Du weißt ja selbst, wie hoch der Druck war. Warte mal, ich verbinde dich eben mit Siggi. Das ist ein guter Freund.« Sie reichte mir das Handy.

»Hallo«, sagte ich, »ich bin Siggi. Ich höre, du bist gut im Lesen fremder Computer.«

»Das wird gesagt«, murmelte Bernard nicht sonderlich interessiert. »Und was soll ich tun?«

»Gibt es eine Möglichkeit, in den Computer der Industrie- und Handelskammer in Düsseldorf zu kommen?« Ich hatte ein mieses Gefühl, weil ich jemanden überredete, Gesetze zu übertreten, und weil dieser Jemand erst siebzehn Jahre alt war.

»Wann soll das sein?«

»So schnell wie möglich.«

»Hast du einen Computer, Internet-Anschluß und so? Und welches Fabrikat und welches System?«

Ich gab Auskunft, so gut ich konnte, und ich hörte förmlich, wie sein Gehirn klickte. »Das könnte funktionieren«, sagte er dann. »Wie komme ich denn zu euch?«

»Ich könnte dich holen. Morgen, nach der Schule?«

»Ich gehe morgen nicht zur Schule«, seine Stimme war kühl. »Keinen Bock. Ich könnte ein Taxi nehmen. Das zahlt ihr. Und die zweitausend für das Hacken.«

»Wann würdest du denn kommen?«

»Jetzt«, sagte er. »Oder paßt euch das nicht?«

»Doch, doch«, murmelte ich etwas verwirrt. »Ich könnte dich aber auch abholen. Ist zwar etwas umständlicher, aber wir könnten uns dann noch ein wenig unterhalten.«

»Von mir aus«, sagte er. »Du mußt in die Innenstadt. Königsallee. Hausnummer 132. An der Klingel steht kein Name, es ist nur eine Klingel. Bis denn.«

»Bis denn. – Er will abgeholt werden«, teilte ich den anderen mit. »Jetzt. Eigentlich habe ich gedacht, ich bin todmüde, aber jetzt bin ich nicht mehr müde. Rodenstock, leihst du mir deinen Rennwagen?«

 

Zehn Minuten später brauste ich den Berg hoch nach Heyroth, dann weiter nach Niederehe und Kerpen, rechts ab nach Nohn, hinunter in das Ahrtal und die Schnellstraße zur A 1. Irgendwann erwischte ich mich, daß ich laut Tacho zweihundertzehn fuhr, und wurde langsamer. Dieser Bernard war zwar wichtig, aber so wichtig nun auch nicht.

Ich weiß nicht, wieviel Uhr es war, als ich die Kö entlang blubberte. Das Haus zu finden, war einfach; es war ein schmales Haus und sah aus wie ein Safe. Ich schellte, und Bernards Stimme tönte blechern: »Schon gut, ich bin fertig. Eine Minute.«

Die Tür ging auf, und er sagte etwas hölzern: »Ich bin Bernard Servatius. Wo steht dein Wagen?«

»Hier, der ist es.«

»Was ist das für ein Ding?«

»Ein schnelles. Gib mir die Tasche, ich verstaue sie hinten drin.«

Bernard sah irgendwie erbärmlich aus. Er war schmal und trug unter der halblangen, vollkommen ungepflegten blonden Mähne eine Brille der Marke Glasbausteine. Er blinzelte ständig, und sein Unterkiefer stand eine Spur zu weit nach vorn. Er hatte einen dunkelblauen Dufflecoat angezogen, der nicht sympathischer wirkte als ein Kartoffelsack. Die Hosen waren beige und die Turnschuhe schneeweiß. Bernard war vollkommen der Typ, der niemals eine Freundin kriegt und in der Tanzschule allen auf die Nerven geht. Er war mir sofort vertraut, wahrscheinlich war er ein Verlierer.

»Bist du gern Hacker?«

»Oh ja«, sagte er befriedigt. »Das Ding fährt ja tatsächlich.«

»Ja, es fährt. Wie kommst du zu dieser merkwürdigen Beschäftigung?«

»Ich bin ein Freak«, meinte er gelassen. »Mein Vater verkauft Computer, weiß aber nicht genau, was ein Computer überhaupt ist. Da habe ich mich damit beschäftigt. Ich weiß genau, was man mit den Dingern machen kann, vor allem, was man nicht damit machen kann.«

»Was machst du denn, wenn man dich erwischt?«

Er lachte leise. »Na ja, dann bin ich der siebzehnjährige Bernard, der mit dieser Welt nicht recht fertig wird. Aber sie erwischen mich nicht.«

»Wieso bist du so sicher?«

»Ich verstehe ziemlich viel von Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Mein Hobby ist Mathematik.«

»Und was willst du einmal beruflich machen?«

»Ich würde gern Pianist werden, aber dafür habe ich nicht die Hände. Vielleicht Dirigent. Irgendwas mit Musik jedenfalls.«

»Also übernimmst du nicht Papas Geschäft?«

»Auf keinen Fall. Nichts ist öder als Geldverdienen. He, du fährst zweihundert, doppelt so viel wie du darfst.«

»Entschuldige.«

»Macht nichts. Und was kann ich für euch tun?«

»Das wissen wir nicht genau, weil wir nicht wissen, was möglich ist. Wir müßten noch einmal in den Computer des Finanzamtes, in die Anlage des Landeskriminalamtes und in die Anlage der Industrie- und Handelskammer. Falls das machbar ist.«

Er sah mich schräg an. »Natürlich. Es geht wieder um diesen Oldie, diesen Berner?«

»Ja, um den auch. Kennst du ihn eigentlich?«

»Nicht gut. Wir haben dem die Computeranlage geliefert, und ich habe die Programme eingespielt. Für mich ist der ein Opa, dem die Zeit wegläuft.«

Das war zweifelsfrei eine sehr bissige, aber gute Definition. »Kennst du die Clique der jungen Menschen, die immer um ihn herum sind?«

»Ein paar von denen. Für mich sind das arme Schweine, die ihr Leben geleast haben und die die Firma wechseln, wenn irgend etwas nicht klappt.«

»Wieso schreibst du nicht Texte für das Kabarett?«

»Geht nicht. Im Schreiben bin ich schlecht. Was ist dein Beruf?«

»Ich bin Journalist.« Ich nahm sämtliche Vorurteile zurück, die ich aufgestellt hatte. Der Junge war ein Juwel.

»Auch das noch«, seufzte er. »Aber du zitierst mich nicht? Am besten ist, du kennst mich gar nicht.«

»Ich habe dich nie gesehen«, formulierte ich folgsam. »Du hast sicher von den Morden im Umfeld von Julius Berner gelesen.«

»Ja, habe ich. Aber nicht aufmerksam, weil mich diese Revolverarien nicht reizen.«

»Um diese Morde geht es. Paß auf, ich schildere dir die Situation. Es begann alles mit drei Leichen ...« Ich informierte Bernard über den Stand der Dinge. Als ich Narben-Otto vorstellte und sagte, der habe mit Rauschmitteln gedealt und gleichzeitig die Rolle des Abtreibers übernommen, nickte er und meinte: »Genau das habe ich irgendwie erwartet. Im Dunstkreis der Männer, die Schotter ohne Ende haben, hat eine berufsmäßige Fröhlichkeit zu herrschen, sonst bis du ganz schnell draußen. So wie Enzo und Jenny, von denen behauptet wird, sie seien schwul. Und wenn du genau hinguckst, sind sie alle irgendwie melancholisch. Ist es denn nicht möglich, daß diese Mathilde Vogt von ihrem katholischen Mann umgebracht wurde? Ich meine, wenn das Baby nicht von ihm war, dann wäre das doch logisch, oder? Und dieser komische Fahnder? Dieser, wie heißt er doch noch?«

»Andreas Ballmann.«

»Ja, der. So wie du ihn schilderst, ist er aus einem bestimmten Grund in der Eifel, oder? Kann es nicht einfach sein, daß er seinen Urlaub benutzt, einen Fall zu lösen, weil er offiziell gar nicht den Auftrag dazu hat? Der Mann ist Fahnder, und also arbeitet er auch als Fahnder, oder?«

Ich mußte zunächst schlucken und heiserte dann: »Du kannst mit einer Festanstellung rechnen.«

»Du fährst schon wieder zweihundert.«

»Tut mir leid.«

»Macht ja nix. Meine Verlobte wittert ständig irgendwelche wilden Verschwörungen. Tatsächlich sprechen Menschen sich ab. Und meistens sprechen sie nicht ab, was sie sagen, sondern sie sprechen ab, was sie verschweigen wollen. So ist das.«

»Wer ist denn deine Verlobte?«

»Sie heißt Rosemarie, aber weil sie den Namen blöde findet, läßt sie sich Natascha rufen. Nächstes Jahr ziehen wir zusammen, weil ... sie will ein Kind von mir.«

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich.

Er sah mich erstaunt von der Seite an und murmelte betroffen: »Du meinst das ja ernst. Meine Eltern sagen, wir sind verrückt. Alle sagen, wir sind verrückt.«

»Du kennst nicht die richtigen Leute«, bemerkte ich weise.

»Mir ist übrigens noch etwas aufgefallen«, fuhr Bernard fort. »Julius Berner gilt als ganz harter Geschäftsbrocken, auch wenn er in der Eifel den Ruf genießt, ein Heiliger zu sein. Kein Mensch kann mir weismachen, daß der Mann völlig ohne Ahnung ist, weshalb diese drei Menschen getötet wurden. Und wenn das so ist, habt ihr keinen Bluff auf Lager, um ihn aufs Kreuz zu legen?«

»Du kriegst nicht nur eine Festanstellung, du wirst Direktor. Ein Bluff ist aber nur möglich, wenn jemand den ganzen Hintergrund kennt und Karnickel für Karnickel aus dem Zylinder holen kann. Für einen Bluff ist es jetzt zu früh, aber wir sollten das in Erinnerung behalten.«

»Ich liebe Bluffs«, sagte er träge und reckte sich.

»Wann wirst du mit der Hackerei anfangen?«

»Morgen früh. Zehn vor acht geht es los, und um halb neun wissen wir mehr.«

»Und weshalb diese Zeit?«

»Das ist ganz einfach«, erklärte er. »Was machen die Sekretärinnen als erstes, wenn sie morgens an ihren Arbeitsplatz kommen? Was tun die Angestellten, wenn sie ihren Arbeitsplatz in Beschlag nehmen? Wo informieren sich Abteilungsleiter, was anliegt? Richtig! Der Computer. Sie schmeißen alle ihre Maschine an. Und genau zu diesem Zeitpunkt mußt du drin sein und auf sie warten, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Meine Kenntnisse von Computern sind arg begrenzt. Ich war heilfroh, als ich entdeckt habe, daß die Tastatur Ähnlichkeit mit der der guten alten Schreibmaschine hat. Du bist eine andere Klasse, Bundesliga sozusagen. Versuch also gar nicht erst, mir zu erklären, was du da tust. Tu es einfach.«

»Dann müßt ihr für mich eure Fragen formulieren.«

»Das macht Rodenstock. Rodenstock ist unser Hirn, unsere Zuversicht, unser Vater, unser Bollwerk.«

Bernard sah mich mißtrauisch an und grinste schwach: »Sonst geht es euch gut, wie?«

Unter derartig munterem Geplauder erreichte ich die Steigung in die Eifel und stellte zu meiner Zufriedenheit fest, daß der Wagen diese Steigung mit einhundertachtzig Stundenkilometern nahm, ohne asthmatisch zu werden. Als wir auf meinen Hof rollten, lag das Haus dunkel in tiefem Frieden.

Ich brachte Bernard im Wohnzimmer unter, bezog zwei Decken und war sehr fürsorglich. Er war der Einzige, der den Fall in Bewegung halten konnte. Und er wußte, daß ich das wußte, er lächelte ein wenig herablassend. »Ich bin nicht sehr anspruchsvoll«, erklärte er. »Ich möchte deinen Computer sehen.«

»Etwa jetzt sofort?«

»Jetzt«, nickte er. »Es ist immer gut, das Klavier genau zu kennen, auf dem man spielt. Und dieser Rosenzweig soll ...«

»Rodenstock«, verbesserte ich.

»Egal, der soll die Fragen aufschreiben.«

»Ja, gut. Wir müssen die Treppe da hoch«, ich ging vor ihm her. Die Katzen kamen und rochen an Bernards Hosen. Anscheinend mochten sie ihn, Satchmo schnurrte so laut, daß man es für eine Werbung hätte halten können.

»Ahh«, sagte Bernard und betrachtete mein Schreibgerät. »Nichts Besonderes, aber sehr solide.« Es schien durchaus Zärtlichkeit in seiner Stimme zu sein. Dann bückte er sich unversehens, nahm Satchmo hoch und legte ihn gegen seine Brust. Satchmo schloß die Augen vor Entzücken. Paul wandte sich ab und schloß dabei ebenfalls seine Augen, allerdings vor Eifersucht. Bei Willi war das nicht so eindeutig zu erkennen, aber Willi ist ein mißtrauischer alter Kämpfer und nicht so schnell zu überzeugen.

Bernard stellte Satchmo neben die Tastatur.

»Wenn er drüberläuft, stürzt alles ab«, warnte ich.

Bernard schüttelte über soviel Unwissenheit den Kopf, sagte aber nichts. Satchmo durfte auf der Tischplatte bleiben und legte sich der Länge nach quer vor die Tastatur.

Bernard warf den Computer an und fragte: »Kriegst du öfter E-Mails?«

»Na ja, aber das interessiert mich nicht. Ich weiß nicht mal, woran man erkennt, daß eine Botschaft in dem Scheißding steckt.«

»Einen Augenblick.« Er zog ein kleines schwarzes Lederbuch aus seiner Hose, schlug eine Seite auf und hackte dann in wahnwitziger Schnelligkeit auf die Tastatur. Der Schirm flimmerte sehr kurz, dann erschienen in schneller Reihenfolge hektisch und scheinbar ungeordnet alle möglichen Bilder und Schriften, und endlich stand da sehr groß: Herzlich willkommen bei der deutschen Bundeswehr!

»Bist du verrückt?« fragte ich.

»Nicht die Spur«, murmelte er. »Ich benutze die Jungs immer als Test. Du müßtest mal erleben, wie die NATO in Brüssel einen willkommen heißt. Was willst du wissen? Beurteilung der Lage im Kosovo? Im Nahen Osten? In Tadschikistan? Im Kurdengebiet der Türkei? Ach nein, das ist nicht so gut. Das Verteidungsministerium mogelt immer, wenn es um die Kurden geht, schließlich verscheuern wir an die Türken Kriegsgerät. Für den Frieden. Und sie schießen mit dem Friedensgerät Männer und Frauen tot. Also, dein Computer ist okay. Wo ist dieser Rosenzweig? Sag bloß nicht, daß der schläft.«

»Er schläft, er hatte einen heißen Tag. Und er heißt Rodenstock.«

»Dann wecke ihn, ich brauche die Fragen.« Wieder spielte er mit der Tastatur. Es sah kinderleicht aus. Ich las: Der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland beurteilt die Entwicklung der Kriminalität mit Besorgnis.

Ich ging hinaus und klopfte vorsichtig bei Emma und Rodenstock an die Tür. Sie schnarchten beide.

»Rodenstock.« Ich zupfte an seinem Schlafanzug.

»Ja?«

»Wir haben den Teufel im Haus. Du mußt ihm Fragen aufschreiben.«

Er gab irgendwelche wütenden Geräusche von sich und setzte sich aufrecht. »Es muß wirklich der Teufel sein, um diese Zeit. Hast du einen Kaffee?«

»Ich mache einen.«

Von diesem Zeitpunkt an war in meinem Haus an Schlafen nicht mehr zu denken. Zuerst war Emma wach, dann tauchte Jenny total übermüdet auf, und ich fragte: »Wo warst du denn?«

»In deinem Bett«, sagte sie. Sie sah hübsch aus, sie trug eines meiner Holzfällerhemden.

»Oben ist Bernard. In meinem Arbeitszimmer.« Ich überlegte, was geschehen wäre, wenn ich in mein Schlafzimmer gegangen wäre, um dort meine verdiente Ruhe zu finden. Die Antwort war ziemlich simpel: gar nichts. Sie hätte wahrscheinlich »Huch« gesagt, und ich hätte eine Entschuldigung gestammelt.

»Hilft er uns?«

»Ja. Und ich finde ihn klug und gut.«

Emma beschwerte sich, daß sie zu wenig Schönheitsschlaf bekomme und daß Rodenstock unerträglich nervös sei. Da ich nichts antwortete, maulte sie: »Ja, ja ich halt schon meinen Mund, ich sag schon nichts mehr.«

»Setz dich und trink einen Kaffee. Der Bernard braucht unsere Fragen an das Schicksal. Er will um zehn vor acht loslegen, und wenn ich mich nicht täusche, ist es gleich fünf.«

Ich verschwand in meinem Wohnzimmer und hätte am liebsten die Tür hinter mir abgeschlossen.

Doch Emma klopfte zaghaft und steckte ihren Kopf durch den Türspalt. »Hier ist ein Kaffee für dich.«

»Komm nur rein«, sagte ich. Irgendwie war es zum Verzweifeln und gleichzeitig zum Lachen. Da hast du ein Haus, um nie mehr auf ein Zimmer verzichten zu müssen, in dem du allein sein kannst. Und dann hast du so verdammt viele gute Freunde zu Gast, daß du dir vorkommst wie in einer Studenten-WG.

Emma setzte sich mir gegenüber und sagte: »Ich habe dich betrogen.«

Sie sprang auf und ging hinaus, erschien nach einer Minute wieder. Sie hatte sich ihre Zigarillos geholt, die morgens auf nüchternen Magen in der Regel eine verheerende Wirkung auf meine Darmperistaltik haben.

»Du erinnerst dich, daß ich gesagt habe, die Eltern hätten geschrien, Dinah habe ihren Sohn verhext. Dieser Sohn ist tot. Er starb gestern morgen nach einer Komplikation, und weil zu spät eingegriffen wurde, scheiterten die Versuche, ihm zu helfen. Sie mußten Dinah unter Medikamente setzen. Sie hat Glück gehabt, daß sie im Krankenhaus war. Aber jetzt kann sie natürlich nicht zurück in dieses Elternhaus. Baumeister, es ist so ...«

»Schon gut, schon gut, schon gut, ich habe das verstanden. Sag ihr einfach, sie kann selbstverständlich zurückkommen, wenn sie will. Wenn sie nicht will, soll sie sich einfach ein Hotelzimmer nehmen. Ich gebe dir das Geld dafür. Ach, Scheiße, in was sind wir da reingerutscht? Sag ihr einfach, sie stört hier nicht. Was sage ich? Klar, hier ist ihr Platz. Ist ja scheinbar kein toller Platz mehr, aber immerhin ist es eine Art Schutz, und ich denke, das ist doch besser als gar nix, oder, und wenn sie dann ...«

»Baumeister«, unterbrach mich Emma sanft. »Sie muß noch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben, der Arm ist noch nicht okay. Und dann, so dachte ich, kann sie in unsere Wohnung, wenn ihr das gefällt.«

»Natürlich, natürlich, danke dir. Warum ist dieser Kerl denn gestorben? Weißt du das? Oh, Scheiße ... oh Gott, Emma.«

Sie sprang auf und setzte sich neben mich. Sie hielt mich einfach fest und sagte kein Wort. Sie qualmte dazu ihr holländisches Kraut, das mich zum Husten brachte.

Rodenstock kam herein, trug ein DIN-A4-Blatt vor sich her und dozierte: »Also, hört zu. Wir fragen nach den vier Pleiten, wann die waren, wie die Firmen hießen. Vor allem, wer zur damaligen Zeit im Düsseldorfer Finanzamt für Julius Berner verantwortlich war. Dann sollten wir herausfinden, seit wann Berner ein C 22-Fall ist. Wir sollten diesen begabten Jungen auch durchaus auffordern, im Computer des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen herumzukramen, was der so über diesen dynamischen Industriellen weiß.« Rodenstock blickte auf und war irritiert, als er Emma und mich so sitzen sah.

»Der Freund von Dinah ist gestern gestorben«, erklärte Emma. »Ich habe das verschwiegen, weil ich ... na ja, ich hatte keinen Mut.«

»Das ist ja furchtbar«, meinte er und setzte sich. Er war betroffen und plötzlich blaß. »Mein Gott, sie hat ja ... sie weiß doch gar nicht, wohin, oder? Baumeister, sie liegt da allein in dem Scheißkrankenhaus, das geht doch nicht. Kannst du sie denn nicht ...«

»Sie könnte auch in unsere Wohnung«, unterbrach ihn Emma. »Und Baumeister sagt, sie kann auch hierher zurück. Wir sollten sie vielleicht selbst entscheiden lassen.«

»Ja, natürlich«, nickte Rodenstock hilflos. »Mein Gott, da merke ich, wie gern ich sie habe.« Er starrte auf das Blatt Papier in seiner Hand. »Ich bringe das mal dem Jungen«, sagte er geistesabwesend und ging hinaus.

»Ich liebe ihn für so etwas«, murmelte Emma. »Und du solltest dich vielleicht hinlegen, sonst klappst du noch zusammen.«

»Und wo?« fragte ich grinsend, weil sich eine große Ruhe in mir breit machte.

»Ach so!« Sie kicherte. »Leg dich doch auf Dinahs Sofa in ihrem Arbeitszimmer. Oder geht das nicht?«

»Doch, doch.«

Ich marschierte also dorthin und atmete ihr diskretes Parfüm. Es störte mich nicht, es machte mich ruhig, und so etwas wie eine vorsichtige Gelassenheit stülpte sich wie eine Kaffeemütze über meine Seele. Ich schlief sehr schnell ein.

Es war hoher Mittag, als ich davon aufwachte, daß Rodenstock im Treppenhaus herumlärmte und beinahe brüllend der Welt mitteilte: »Junge, du bist zwar verrückt, aber sehr gut verrückt. Herzlichen Glückwunsch, herzlichen Glückwunsch!«

»Das war nun aber wirklich nicht schwierig!« betonte Bernard lässig.

Ich hatte sekundenlang die schöne Vorstellung, ich würde sie beide die Treppe hinunterschubsen und anschließend den Krankenwagen bestellen. »Laßt mich doch schlafen, verdammt noch mal.«

Rodenstock stürmte herein, ließ sich in einem Sessel nieder und strahlte: »Hör dir das an, hör dir das an!« Er hatte ungefähr sechs Meter Ausdrucke und wühlte darin herum, als sei das ein erregendes erotisches Abenteuer. »Julius Berner hat vor zwanzig Jahren zum erstenmal eine Firma in die Pleite gesteuert. Und zwar mit dem Geld seiner Mutter. Dann hat sie ihm erneut geholfen, und ein Jahr später gab es die nächste Pleite. Das war 1979. Mitte des Jahres 1980 meldete eine Baufirma Konkurs an, die zur Hälfte Berners Vater gehört hatte. Die Mutter war inzwischen verstorben. 1982 ging die nächste Firma den Bach runter, wieder mit dem Geld seines Vaters. Wir haben die Namen der Firmen, die Handelsregistereintragungen, die Konkursanträge. Berner startete erneut im Jahre 1984. Und siehe da, keine Spur mehr von Schwierigkeiten, statt dessen ein Wahnsinnsaufstieg, keine Managementfehler, hohe Risikobereitschaft, kombiniert mit geradezu unfaßlichem Glück. Er kaufte nach zwei Jahren seine schärfsten Konkurrenten aus dem Markt. Das war 1986 und ’87. Der zuständige Mann beim Finanzamt, der alle diese Pleiten erlebt hat, heißt Martin Kleve, der ...«

»Moment mal, der Mann im Landeskriminalamt, der für Organisierte Kriminalität und Wirtschaftsverbrechen zuständig ist, heißt Martin Kleve.«

»Es ist derselbe Mann«, nickte Rodenstock. »Hier ist sein Foto – ebenfalls aus dem Rechner des Landeskriminalamtes. Schon praktisch, was da alles archiviert wird. Julius Berner ist seit 1984 ein C 22-Fall, seit dem Zeitpunkt, als Julius Berner keine Fehler mehr machte, keine Firmen mehr ruinierte. Und zum gleichen Zeitraum ließ Martin Kleve sich in das Landeskriminalamt versetzen und wurde dort mit offenen Armen empfangen. Endlich ein hochqualifizierter Profi, sagten sie alle. Bernard hat Meldungen aus Tageszeitungen gefunden, in denen dieser Kleve wie Jesus Christus persönlich gefeiert wird. Was sagst du?«

»Ich würde jetzt gerne Cherie fragen, was sie davon wußte und von wem. Und wenn das so ist, daß sie etwas wußte, das ihren Tod bedeutete, warum dann Mathilde Vogt? Und warum Narben-Otto? Ich will nicht unken, Rodenstock, aber wir sind gar nicht weit gekommen. Warum soll ein junger Unternehmer in seiner Lernphase nicht scheitern? Und daß sich ein hochqualifizierter Finanzbeamter spezialisiert und ins Landeskriminalamt wechselt, dürfte auch kein Weltwunder sein. Der C 22-Fall? Zugegeben, das ist komisch. Aber ein Motiv für gleich drei Morde? Mir wäre es ehrlich gestanden lieber, wir würden in dem ganzen Chaos einen von Gott gesandten übereifrigen Moralapostel entdecken, der nach der Überzeugung gehandelt hat: Die sind schlecht, die verkörpern das Böse, die müssen weg! Und was treibt den Fahnder Andreas Ballmann in die Eifelwälder? Dafür haben wir bisher nicht den Hauch einer Erklärung.«

»Das sieht so aus«, sagte Emma. »Das sieht nur so aus. Was ist, wenn dieser Ballmann genau das Gleiche entdeckt hat, was Cherie zum Verhängnis wurde. Was ist, wenn Ballmann das, was er weiß, von Cherie erfahren hat? Er kennt sie, hat er gesagt. Eines ist doch ganz sicher: Wenn dieser Martin Kleve und Julius Berner sich seit Jahrzehnten kennen, dann muß die Verbindung zwischen diesen beiden so stark wie Stahlbeton sein. Dann muß also diese Verbindung Geld bedeuten. Kann es nicht sein, daß Andreas Ballmann gegen seinen eigenen Chef, Martin Kleve, ermittelt? Heh, Leute, strengt euer Gehirn an, ausruhen könnt ihr später.«

»Und was ist, wenn Martin Kleve diesen Ballmann in die Wälder geschickt hat, um irgend etwas über Julius Berner herauszufinden?« fragte Rodenstock. »Diese Ermittlungen sind so heikel, daß Ballmann dafür sogar Urlaub nehmen muß.«

»Dann setzt du voraus, daß Martin Kleve und Andreas Ballmann zwei höchst ehrenwerte Männer sind«, widersprach Emma verächtlich. »Da kann ich dir nicht folgen. Da sagt meine Lebenserfahrung etwas ganz anderes.«

»Einbahnstraße«, murmelte Rodenstock düster. »Wir brauchen jetzt Ballmann, dringender denn je.«

»Mich würde Martin Kleve entschieden mehr interessieren«, Emma verschränkte die Arme vor dem Körper, als müsse sie sich vor unangenehmen Berührungen schützen.

»Dann sollten wir uns trennen«, sagte ich. »Emma fährt nach Düsseldorf und sieht sich den privaten Martin Kleve an, und wir arbeiten weiter unsere Liste ab: versuchen Ballmann zu finden, unterhalten uns mit dem Ehemann der Mathilde Vogt, gehen mit Stefan Hommes in die Wälder. Mit anderen Worten, auch wir beide trennen uns. Rodenstock, du kannst dir aussuchen, was du machst.«

»Ich nehme den Ehemann der Vogt. Wichtig ist für uns in jedem Fall, daß wir Verbindungen wenigstens ausschließen können, so daß sie nicht mehr stören«, antwortete Rodenstock. »Und vergeßt eure Handys nicht, wir brauchen Kontakt.«

»Ich nehme Jenny mit und bringe Bernard zurück nach Düsseldorf.« Emma hatte schmale Augen. »Baumeister, kannst du zuerst Dinah anrufen und ihr sagen, daß sie keine Angst vor der Zukunft haben soll? Ich meine, ihr Männer scheint diese Angst niemals zu haben, wir Frauen haben sie jedenfalls dauernd.«

»Ja, gut«, nickte ich und hatte überhaupt keine Ahnung, wie es mir gelingen sollte, auch nur einen Satz ohne zu stottern rauszubringen.

»Hier ist der Zettel mit der Nummer«, sagte sie. »Und du, Rodenstock, ruf sie bitte auch an. Sie muß wissen, daß sie nicht allein ist. Heute abend müssen wir Dinah und Enzo besuchen.« Emma lächelte etwas schmerzlich. »Wahrscheinlich werde ich mit Jenny in einem Hotel bleiben, denn ein Tag wird für Martin Kleve nicht ausreichen.«

»Ich gehe mal telefonieren«, seufzte Rodenstock.

»Mir ist etwas eingefallen, das wir noch nicht abgeklärt haben«, sagte ich. »So lange Bernard im Haus ist, sollten wir das ausnützen. Nehmen wir an, Julius Berner und Martin Kleve bilden eine Achse, in der Pleiten und Pannen nicht mehr möglich sind. Dann muß im Grunde genommen ein Vertrauter von Kleve und Berner Moderatorenfunktion übernommen haben. Jemand muß den Steuermann für die Geldbewegungen spielen. Sollen wir Kleve und Berner durchleuchten, ob sich in ihrem unmittelbaren Umfeld solche Personen tummeln?«

»Du beweist manchmal richtig Gehirn!« lobte Rodenstock. »Das klären wir sofort.«

Eine halbe Stunde später legte Bernard ein Organigramm des Unternehmens des Julius Berner vor. Neben anderem gab es eine ›Zentrale Buchführungsgruppe‹ und eine ›Private Vermögensverwaltung Julius Berner‹. Chef dieser zweiten Gruppe war ein Mann namens Lothar Kammhuber.

»Und dieser Kammhuber«, erklärte Bernard sachlich, »war zunächst Beamter im Finanzministerium und trat 1985 als Leiter Finanzen bei Berner ein. Kleve hat also seinen eigenen Mann bei Berner plaziert. Von Anfang an.«

»Ich preise die Computer«, sagte ich. »Du kriegst noch Geld.«

»Kriege ich nicht«, antwortete er ruhig. »Ist für Jenny. Und ich wollte noch sagen, daß es mir hier sehr gefällt.«

»Danke schön.«

»Ja dann, bis zum nächsten Mal.« Er reichte mir die Hand, und wir wußten beide, daß wir uns wahrscheinlich in diesem Leben nicht wiedersehen würden. Bernard würde in seine Welt zurückkehren, ich blieb in der meinen.

Gegen 14 Uhr fuhr ich los, um Stefan Hommes in Gerolstein abzuholen. Rodenstock und Emma hatten sich längst auf den Weg gemacht. Paul, Willi und Satchmo versammelten sich auf dem Hof. Sie waren sauer und guckten schräg, Katzen mögen keine Trennungen, ich eigentlich auch nicht.

Hommes stand unten vor dem Haus, und offensichtlich war er froh herauszukommen. Seine Krankenhausblässe hatte sich verzogen. »Warum wollen Sie eigentlich zu dem Adenauer-Haus?«

»Ich wollte es immer schon einmal besuchen. Und dort haben sich unserer Kenntnis nach Drogenkuriere getroffen, die Narben-Otto belieferten. Ich will diesen Platz einfach sehen, um plastischer schreiben zu können.«

»Wir fahren am besten über Roth und Kalenbach-Scheuern. Ich sage Ihnen, wo es langgeht.«

»Sagen Sie mal, Sie haben gefragt, ob Julius Berner gefährdet ist, und mein Freund Rodenstock hat das bejaht. Wieso kommen Sie auf so eine Frage?«

»Na ja, unsereiner hat ja normalerweise mit Kriminalität nichts am Hut. Gut, da werden mal ein paar Weihnachtstannen geklaut, oder jemand lädt Baumstämme auf seinen Truck, die ihm nicht gehören. Aber Mord? Mord doch nicht. Und ich habe gedacht, da murkst jemand Menschen ab, die alle was mit meinem Chef zu tun haben. Da wird man doch nachdenklich.«

»Sehr gut beobachtet«, lobte ich. »Und genau an dem Punkt setzt bei uns Unsicherheit ein. Darf ich Ihnen das mal erklären?«

»Aber ja«, sagte er eifrig. »Vielleicht verstehe ich dann die Probleme besser.«

Ich dachte etwas aufgeregt, daß Hommes ein Informant war, der es einfach nicht verdiente, ausgetrickst zu werden. Wahrscheinlich würde ich am besten mit ihm klar kommen, wenn ich ihm reinen Wein einschenkte.

»Dann halte ich an und stopfe mir eine Pfeife.« Wir befanden uns auf einem Waldweg, der breit und bequem sanft anstieg, ich parkte und empfand dankbar die Stille. Uns umgab ein ungefähr einhundertfünfzig Jahre alter Buchenbestand, der Waldboden lag schattig und ohne Unterholz. Ich stopfte mir die alte Bari, ein Edelstückchen. Hommes zündete sich eine Zigarette an und machte einen gelassenen Eindruck.

»Tatsächlich würde es uns nicht wundern, wenn jemand hinginge und Julius Berner erschießen würde. Wir wüßten auch dann noch nicht, was das Motiv ist, aber es würde zum Gesamtbild passen. Es sei denn, die Morde wurden im Auftrag von Berner begangen. Wir haben zwar nicht die geringste Ahnung, was ihn dazu bewegt haben könnte, ausgerechnet Cherie erschießen zu lassen, aber wir müssen auch das Undenkbare denken, wenn wir weiterkommen wollen. Können Sie das verstehen?«

»Klar«, nickte er mit abgewandtem Kopf. Er starrte zwischen die hochragenden Buchenstämme, und ich spürte deutlich die Spannung in ihm.

»Ich sage Ihnen ganz offen, daß wir versucht haben, in dem angeblich heiligmäßigen Leben Ihres Chefs schwarze häßliche Flecken zu finden. Und wir haben welche gefunden. Einfach ausgedrückt, ist der Julius Berner in der Eifel ein ganz anderer Mensch als der Unternehmer in Düsseldorf.«

Laß ihn daran kauen, Baumeister, erspare ihm nichts, er ist zäh, er ist wahrscheinlich ehrlich, und jetzt ist er erschrocken, weil es um seinen Arbeitsplatz gehen könnte. Er weiß, daß er in die Arbeitslosigkeit fällt, wenn wir gezwungen sind, seinem Chef eine Schweinerei anzulasten. Was tust du jetzt, Baumeister? Richtig, du tust so, als hättest du nicht gespürt, daß es gerade um die Wurst geht. Du wechselst zu einem anderen, harmlosen Thema.

»Ah, ehe ich es vergesse. Dieser Botaniker, der Waldfreak, wurde vorübergehend festgenommen, hat sich dann aber wieder in die Büsche geschlagen. Er ist spurlos verschwunden. Wo würden Sie ihn suchen, vorausgesetzt, daß er sich noch in dieser Gegend aufhält?«

Hommes wirkte erleichtert. »Zum Beispiel da, wo wir jetzt hinwollen. Im Kammerwald bei Duppach. Wenn der Mann Karten richtig lesen kann, muß er auf dieses Gebiet kommen. Da ist es unheimlich schön und gleichzeitig total einsam. Deshalb wollten die ja dem Adenauer dort auch eine Bude hinklotzen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wüßte gern, was die sich dabei gedacht haben.« Dann setzte er die Frage hinzu: »Was ist denn das nun für ein Kerl?«

»Das ist immer noch nicht klar«, log ich. »Na ja, aber wir werden es noch erfahren. Wenn Sie Anzeige erstattet hätten, könnte man ihn verhaften.«

»Das will ich nicht«, erwiderte der Wildhüter. »Irgendwie finde ich den Mann gut. Und letztlich hat er richtig gehandelt. – Ach, es wird doch immer soviel über Wildschäden gesprochen. Haben Sie Lust, mal richtige Wildschäden zu sehen?«

»Oh ja«, sagte ich und meinte das so.

»Dann müssen wir den Hang durch die Buchen hochgehen. Oben ist ein großer Fichtenbestand mit fast 80 Prozent kaputten Bäumen. Und bei drei Prozent gehen schon die Warnlichter an. Kommen Sie.«

»Waldschäden bedeuten, es gibt viel zu viel Wild?«

»Richtig. Zuviel Rotwild, zuviel Rehwild. Das ist hier so kraß, daß die Tiere schon die an der Oberfläche verlaufenden dicken Wurzeln der Fichten abschälen.«

»Das ausgerechnet von Ihnen zu hören, wundert mich aber. Jagdpächter wollen doch immer mehr Wild, um anzugeben und ihren Gästen etwas zu bieten.«

»Nicht Berner und ich«, sagte er schnell. »Das ist nicht unsere Politik. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.« Er stieg aus, ich legte die Pfeife in den Aschenbecher und folgte ihm.

Wir gingen gemütlich den Hang zwischen den Buchen hoch bis zu einem breiten Waldweg, auf dessen anderer Seite der Fichtenbestand war.

»Sie werden keinen gesunden Baum mehr finden«, erklärte er. »Sie sind alle geschält. An den Schälstellen fließt Harz aus, und durch die Schälstellen kriecht Fäulnis in den Stamm. Normalerweise bringt so ein Stamm durch den schnurgeraden Wuchs auf den ersten sechs Metern etwa dreihundertfünfzig Mark, geschält bringt er kaum noch einhundertzwanzig. Das Holz taugt nur noch für die Spanplatte, wie wir sagen. Ein Wald soll ja auch Gewinn bringen, doch hier ist der Gewinn gleich null. Im Gegenteil, das ergibt Miese. Diese Waldschäden werden dem Jagdpächter gemeldet, und der muß sie bezahlen. Kurioserweise bezahlt er aber nicht den tatsächlichen Gegenwert. Die Staatlichen Forstämter müssen Neuanpflanzungen anordnen und sofort einzäunen. Nicht eingezäunte, frisch gepflanzte Bäume werden geschält. Also bezahlt im Grunde der Steuerzahler den Spaß des Jagdpächters: Zuviel Wild, und der Wald als reine Kulisse für die Ballerei. Und jetzt zeige ich Ihnen, was Sie selten sehen können.«

Er stieg durch die Fichten den Berg weiter hinauf. Wir erreichten eine sehr große Lichtung, auf der merkwürdig kleine, pilzförmige Bäume von vielleicht einem bis anderthalb Metern Höhe standen.

»Sie werden es nicht glauben, aber das sind Buchen, die durch fortwährende Äsung durch das Wild auf dieser Höhe gehalten werden. Es sieht aus wie eine malerisch angelegte Anpflanzung von Bonsais. Und nun raten Sie mal, wie alt diese Buchen sind?«

»Weiß nicht. Fünf Jahre?«

»Sie sind dreißig Jahre alt. Sehen Sie da drüben die Abschußrampe? Buchen sind beliebt bei Rotwild und bei Rehen. Die Jäger auf dem Hochsitz brauchen nur zu warten und können die Tiere wie auf dem Tablett abschießen. Das hier ist ein trauriger Ort.«

»Ist eigentlich kontrollierbar, wer was schießt?«

»Nicht die Spur«, erklärte er. »Die Statistiken der Unteren Jagdbehörde sind ein Witz. Die Jagdpächter reden die Stückzahl an Wild herunter, die Förster, darauf bedacht, die Schäden auszugleichen, rechnen sie hoch. Die Untere Jagdbehörde macht einmal im Jahr eine Wildzählung. Daß die nicht stimmt, weiß jeder, aber der Blödsinn wird jedes Jahr wiederholt. Dabei kann man Wild nicht zählen. Wild wandert permanent, vor allem, wenn es viel zu viel gibt.« Hommes marschierte rasch und raumgreifend vor mir her, während er unaufhörlich Försterwissen von sich gab, von dem ich nicht genau wußte, ob ich es in dieser Situation hören wollte oder nicht.

»Sie haben gefragt, ob kontrollierbar ist, wer was schießt. Ist es nicht. Wenn ein stattlicher Hirsch zwischen diese Buchen tritt, dann dürfte er geschossen werden, ganz gleich, wie alt er ist. Die Trophäe reizt. Diese Hirsche nennen wir Kofferraumwild. Früher war es einfach unmöglich für einen einzelnen Jäger, solche Tiere zu schießen. Sie mußten das Stück abtransportieren lassen. So erfuhr das ganze Dorf zwangsläufig davon, also auch der zuständige Staatsförster. Heutzutage ist das alles anders. Der Hirsch wird auf die Ladefläche des Geländefahrzeugs gelegt, mit einer Wolldecke zugedeckt, und ab geht die Post. Es kommt hinzu, daß der Jäger Wege kennt, die kilometerweit nur durch Wald verlaufen, auf denen null Verkehr ist. Dreißig Kilometer in jede Himmelsrichtung zu fahren und dabei bestenfalls eine Landstraße zu überqueren, ist die leichteste Übung.«

Und dann passierte es, unabwendbar und von mir gewollt. Hommes blieb plötzlich stehen, drehte sich halb zu mir herum. »Darf man mal fragen, was Sie mit häßlichen Flecken meinten, die Sie bei meinem Chef gefunden haben? Ich meine, das interessiert einen doch.«

Halt ihn auf, Baumeister. Zier dich wie eine fromme Jungfrau. Er wird mehr reden, je länger er auf Aufklärung wartet.

»Moment, vorher habe ich noch eine Frage. Es wird immer behauptet, daß es Reviere gibt, in denen maximal vierzig Wildsauen leben könnten, in denen es aber in Wirklichkeit das fünf-, sechs- oder siebenfache gibt. Ist das so?«

»Da sie gefüttert werden, und zwar mit Leckereien wie Zuckerrüben, Möhren und Mais, ist das die Regel. Man kann das an den Abschußzahlen erkennen, für die sich kein Mensch interessiert. Die älteren Jäger schwärmen immer von den guten alten Zeiten, als alles noch voller Wild stand. Das ist schlicht gelogen. Nehmen wir zum Beispiel das Land Rheinland-Pfalz. Da sind im Jahr 1957 rund viereinhalbtausend Stück Schwarzwild geschossen worden. Rund vierzig Jahre später waren es pro Jahr sage und schreibe rund vierzigtausend. In dieser Zeit hat sich die Waldfläche ja nicht vergrößert, sondern ganz einschneidend verkleinert. Die reden sich die Welt schön, und der Wald ist nur die Staffage für die Abschüsse. Der Zustand des Waldes interessiert den Durchschnittsjäger eben nicht.«

»Sie sind Wildhüter in festem Sold bei einem sehr reichen Jäger. Wieso sind Sie so massiv gegen die Jagd?«

»Ich bin nachdenklich geworden, wie mein Chef ja auch. Wir müssen die Wildzahlen dezimieren, wir müssen den Wald retten. Das alles hier«, er deutete mit einer weiten Armbewegung in die Runde, »wird es bald nicht mehr geben, wenn uns keine Lösung einfällt. Das Waldparadies ist zum Sterben verurteilt. Lassen Sie uns zum Wagen zurückkehren. Sie wollen die Frage nach den häßlichen Flecken bei meinem Chef nicht beantworten. Habe ich recht?«

Ich marschierte weiter hinter ihm her, jetzt den Hang hinunter. »Sie waren sehr fair zu uns, Sie haben eine Antwort verdient. Ich frage mich nur, was Sie mit den Antworten anfangen. Werden Sie zum Handy greifen und Berner informieren?«

Er drehte sich sehr schnell herum. »Das werde ich nicht«, sagte er. »Ich bin schließlich nicht blind. Ich weiß genau, daß mein Chef hier in der Eifel ein anderer ist als in Düsseldorf.«

»Die meisten Menschen«, dozierte ich, »sind eben nicht schwarz oder weiß. Die meisten Menschen sind grau. Sie sind netter Mensch und Schwein zugleich. Woher wissen Sie, wie er in Düsseldorf ist?«

»Ganz einfach, ich habe ihm sehr oft Wild nach Hause gefahren. Außerdem haben viele Konferenzen über Wegebau im Wald und Freilegung von Auwäldern und so weiter in Düsseldorf stattgefunden, wenn Berner keine Zeit hatte, in die Eifel zu kommen. Da kriegt man vieles mit.« Hommes stiefelte wieder vor mir her zurück zum Auto, und wahrscheinlich war er froh, mich nicht anschauen zu müssen.

»Kennen Sie ein Beispiel? Ein Beispiel für seine Härte?«

»Viele. Da war die Sache mit seiner zweiten oder dritten Sekretärin. Die hatte Probleme mit dem Ehemann. Der Mann hat sie betrogen. Und sie hatte zwei Kinder und arbeitete hart. Klar, sie wurde krank, nervenkrank. Jeder wird bei so was nervenkrank. Wir hatten eine Konferenz, es ging um Fischbestände in Bächen und Teichen. Diese Konferenz war unerwartet einberufen worden, Berner hatte mich morgens um vier Uhr in Gerolstein angerufen und für acht Uhr nach Düsseldorf bestellt. Die Sekretärin verwaltete die Unterlagen über die Jagd, und sie wußte nichts von der Konferenz. Mein Chef scheuchte sie rum, ließ sie Unterlagen anschleppen. Und dann fand sie irgendeine Statistik über Forellen nicht. Er schrie sie an, er habe die Schnauze von ihrer Zickigkeit voll und er müsse sich, wenn das so weitergehe, von ihr trennen. Ich konnte es nicht fassen, das war quasi eine fristlose Entlassung.«

Nur unsere Schritte auf dem weichen Waldboden waren zu hören, unterbrochen von dem kurzen, hellen Knacks, wenn wir auf einen trockenen Ast traten. Ein Eichelhäherpärchen schoß in wilden Flugbewegungen zwischen den Stämmen hindurch und verschwand hangauf.

Plötzlich setzte sich der Wildhüter auf einen Baumstumpf, sah mich nicht an, starrte zwischen seinen Beinen auf den Boden. »Klar, ich weiß, wenn Sie meinem Chef was nachweisen, bin ich arbeitslos. Und einen solchen Job werde ich nicht mehr kriegen. Vielleicht einen als Waldarbeiter, wenn ich Schwein habe. Komisch, als Cherie und Mathilde tot aufgefunden wurden, wußte ich sofort: Das ist genau der Skandal, der ihm und mir das Genick brechen wird. Ganz egal, ob wir daran beteiligt sind oder nicht.«

»Sie haben Angst, nicht wahr?« Acht Schritte weiter war ein zweiter Baumstumpf. Ich setzte mich.

»Klar«, nickte er. Da war unzweideutig eine große Traurigkeit in seiner Stimme, ein Zittern. »Meine ganze Lebensplanung ist dann im Eimer.« Und dann, nach einer unendlich langen Pause: »Ich wollte Ende des Jahres heiraten.«

Es war grotesk. Nie hatte ich von Stefan Hommes als Ehemann gedacht, er war immer ein Teil des Eifellebens von Julius Berner gewesen, nie jemand, der in Eigenverantwortung ein eigenes Leben aufbaut, der eine Frau liebt, der vielleicht Kinder haben will, der Träume hat, ganz normale kleine menschliche Träume. Warum, um Gottes willen, leiden wir alle unter einem verengten Blickwinkel?

Leise sprach er weiter: »Sicher, Berner war immer so etwas wie der liebe Gott, er war wie ... wie ein Wohltäter. Er ist hier zu Hause. Und es ist meine Aufgabe, ihm dieses Zuhause irgendwie gut zu machen. Ich habe wirklich nie Grund gehabt, mich über ihn zu beschweren. Er ist einfach gut, er ist einfach der ideale Chef. Er mag die Eifler und tut alles, was er tun kann. Da ist ein Waldarbeiter zusammengebrochen. Hirnblutung. Die Kasse wollte es nicht als Arbeitsunfall anerkennen. Was macht Berner? Er macht der Krankenkasse Feuer unter dem Arsch, daß ihr das Wasser im Mund kocht, und unterstützt die Frau und die vier Kinder so lange mit Geld, bis die Krankenkasse klein beigibt. So ist er. Und dann diese Brutalität mit der Sekretärin. Was ist das? Können Sie mir erklären, was das ist?«

»Ich habe darauf keine Antwort. Ich könnte antworten, so ist das Leben, aber das ist platt und dämlich. Berner ist ein guter Mann, und wahrscheinlich ist er auch ein schlechter Mann. Wen wollen Sie heiraten?«

»Sie heißt Trude, wir sind seit sechs Jahren zusammen. Sie ist ein Gerolsteiner Mädchen, immer gutgelaunt. Ich glaube, ich kenne sie seit Kindergartentagen. Berner will uns einen kostenlosen Kredit für ein Haus geben. Trude besitzt ein Grundstück Richtung Hillesheim. Oh, Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Er schlug sich klatschend auf die Oberschenkel. »Was für häßliche Flecken?«

»Es sind nur Vermutungen, und wir sind dabei, sie zu beweisen. Tatsache ist, daß Berner viermal mit irgendwelchen Firmen Pleite machte, ehe er ab Mitte der achtziger der perfekte Manager wurde. Keine Pleite mehr, keine Panne mehr, kein Fehler im Management, statt dessen Aufstieg, Aufstieg, Aufstieg. Was immer er anfaßte, bekam einen goldigen Schimmer. Konkurrenten, deren Geschäft er haben wollte, drängte er brutal aus der Welt. Einer hat sich erhängt, weil Berner ihm keine Chance zugestand. Aber das ist nur ein kleiner Teil der Geschichte. Es geht damit weiter, daß der Sohn dieses Selbstmörders Mitglied der Clique war, die sich um Berner gebildet hat. Dessen Freundin gehörte auch zu der Gruppe. Sie kennen sie gut: Enzo und Jenny. Die Clique verbreitete das Gerücht, die beiden seien schwul. Das Schlimme ist, daß Ihr Chef Berner das ohne jeden Beweis geglaubt und selbst weiterverbreitet hat. Enzo und Jenny sind so wenig schwul wie Sie, Hommes. Außerdem, selbst wenn? Sie selbst haben das mit der Schwulität auch geglaubt, das haben Sie selbst gesagt. Wo leben wir, im Mittelalter? Hexenverfolgung? Und es ist immer noch nur ein Viertel der Geschichte.«

»Erzählen Sie mir den Rest der Geschichte? Ich muß es wissen, es geht doch auch um meine Existenz.« Er hockte da in einem Flecken aus Sonnenlicht. Ziemlich dicht neben ihm war langstieliges Gras hochgeschossen und wiegte sich leicht im Wind. Hommes hatte einen der Halme abgeknickt und kaute darauf herum.

»Sie haben Ihre Trude, seien Sie froh drum. Wer hat schon die Chance, ein echtes Eifler Mädchen zu kriegen? Ich finde die einfach gut, auch wenn sie zuweilen hart und ruppig erscheinen. Tja, die restlichen drei Viertel der Geschichte lassen sich nicht gut an. Das hat etwas mit den Industriellen zu tun, die Ihr Chef zur Jagd einlädt, mit denen er Geschäfte macht, denen er Hirsche und Rehböcke zum Abschuß schenkt, damit sie sich fühlen können wie Gott in Frankreich. Was jetzt kommt, dürfen Sie nicht preisgeben, nicht einmal Ihrer Trude, Hommes.«

»Ist gut«, nickte er. »Ich verspreche es.«

»Gut. Also: Ihr Chef hat seit dem Jahre 1985 keine Steuernummer. Im Finanzamt gibt es ihn nicht. Er ist ein Code-Fall. Er steht unter dem Schutz oder unter der Überwachung des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Der hohe Finanzbeamte, der die vier Pleiten betreut hat, saß plötzlich in der Abteilung Wirtschaftsverbrechen und Organisierte Kriminalität im Landeskriminalamt und verwaltet die Akte Berner. Und seit den achtzigern wird die private Vermögensverwaltung von einem anderen ehemaligen Beamten des Finanzamtes geleitet. Was würden Sie daraus schließen?«

Er überlegte nicht. »Da läuft eine Riesensauerei.«

»Richtig. Und unserer Überzeugung nach hat Cherie eine Menge davon gewußt, und irgend jemand ist hingegangen und hat die Notbremse gezogen.«

»Oh Gott.« Das kam wie ein Hauch.

»Und deshalb muß ich Sie bitten, mir alles über die Industriellen zu erzählen, die in Berners Jagdhaus zu Gast waren und sind. Sie werden sich jetzt nicht an alles erinnern, aber Sie werden sich an alles erinnern müssen. Es wird nicht zu vermeiden sein, daß die Mordkommission Sie vernimmt, ausführlich vernimmt. Und Sie haben recht: Es ist ganz scheißegal, ob Berner an den Morden beteiligt ist oder nicht: Es kann sein Untergang sein, es kann die Arbeitslosigkeit für Sie bedeuten.« Ich wartete einen Augenblick. »Aber es wird Sie nicht zerstören! Sie haben Trude.«

»Ach, Scheiße!« rief er wild. »Trude hat keine Ahnung!«

»Das ist die Meinung aller Machos: Unsere Frauen haben keine Ahnung. Sie wissen ganz genau, daß die Frauen wahrscheinlich mehr Ahnung haben als Sie selbst. Frauen riechen solche Skandale, Männer nie.«

»Was genau wollen Sie von mir wissen?« Er stand auf und machte erst ein paar Schritte nach links, dann nach rechts, dann schräg nach vorn. Dann ärgerte er sich über seine Ruhelosigkeit und schnaubte wütend, ehe er sich wieder hinsetzte.

»Ich will die ganze Geschichte, soweit Sie davon wissen. Wie war das Verhältnis Berner – Cherie?«

»Das war wie in einem Kitschroman«, begann er tonlos. »Man fällt ja auf so was immer rein. Ich gehe jede Wette ein, daß mein Chef mit ihr über alles redete. Ich sage alles und meine alles. Geschäftlich und privat. Wenn er mit ihr in die Eifel kam, gingen sie in sein Schlafzimmer und sprachen die halbe Nacht miteinander. Dann schliefen sie und kamen morgens nur kurz zum Frühstück runter. Anschließend verschwanden sie wieder und sprachen weiter. Berner sagte immer: Sie weiß alles, sie muß alles wissen, sie ist klug. Ich vermute, daß sie ihm auch Ratschläge gab. Mich fragt er auch, wenn etwas im Wald oder mit dem Wild unklar ist. Mein Chef steht auf dem Standpunkt, daß es wichtig ist, die Meinung der Jugend zu hören. Deshalb auch diese verrückte Clique, die ihm immer genau das erzählte, was er zu seinem Glück brauchte. Mein Gott, war das eine ... Moment, ich wollte sagen: Ist das eine verlogene Scheiße! In Düsseldorf ist Berner der Eiserne, der Ironman. Hier ist er jemand, der wie ein Großvater dauernd fragt, was man denn so vom Leben hält. Ich glaube, es gibt nur zwei Menschen, die genau wußten, was für einen Spagat er da hinlegte. Die eine ist seine Frau, die andere war Cherie.«

»Was wissen Sie über Berners Frau?«

»Ziemlich viel. Weil wir uns mögen. Sie ist ein Mama-Typ, Sie wissen schon, was ich meine.« Er grinste matt. »Und ich bin angeblich der Typ ›Schwiegersohn-den-ich-gerne-hätte‹. Sie ist eine Person, die niemals klein beigibt und niemals aufgibt. Sie wußte von Cherie, die ganze Zeit. Aber sie hat meinem Chef nie Streß gemacht. Mir hat sie mal gesagt, das wäre doch alles verdammt menschlich. Und sie sagte auch, sie hätte ja mitgeholfen, daß ihr Mann Cherie erst wie eine Tochter hielt und dann eben wie seine Geliebte. Cherie ist verwöhnt worden, auch von Berners Frau. Sie ist schwer in Ordnung. Und in der Eifel hält sie sich raus.«

»Weiß die Frau viel über Berners Geschäfte?«

Er schüttelte den Kopf: »Sie hat seit Jahren ihre eigene Welt. Irgendein Sozialwerk, sie kümmert sich um Waisenkinder in Uganda oder so etwas in der Art. Sie nimmt ihren Mann aus, um das Geld zu verschenken. Mein Chef sagt immer: Sie ist der beste Straßenräuber, den ich kenne.« Hommes lächelte vor sich hin. »Er nennt alle Schnorrer Straßenräuber.«

»Ah, da wir gerade von Schnorrern reden. War Narben-Otto ein Schnorrer?«

Er wiegte den Kopf hin und her. »Ich weiß es nicht. Neulich gab mein Chef mir ein Kuvert. Da waren dreißig Tausendmarkscheine drin. Das sollte ich Narben-Otto bringen, das habe ich auch getan. Er hat nur muffig Danke gesagt und das Kuvert in die Tasche gesteckt. Nachgezählt hat er nicht. Da das Kuvert offen war, hatte ich das Geld vorher gezählt. Und ich frage mich, was das für Geld war. Aber das ist das Problem von meinem Chef und nicht meines. Ich weiß nicht, ich habe Narben-Otto nie gemocht.«

»Ich wiederhole eine alte Frage, Stefan Hommes: Ich hatte gefragt, ob Cherie jemals eine Abtreibung vornehmen ließ. Durch Narben-Otto. Als ich diese Frage zum erstenmal stellte, hätten Sie mich fast erwürgt. Also, was ist?«

»Es gab eine Abtreibung. Im letzten Herbst. Ich mußte Cherie zu Narben-Otto fahren. Das war gegen Abend. Der machte das dann, und sie mußte die Nacht über liegen. Ich wartete draußen, bis sie soweit okay war, daß ich sie nach Mürlenbach ins Bett fahren konnte. Sie heulte, das Kind sei von Julius gewesen, und eigentlich hätte sie es gern ausgetragen. Eines ist ganz sicher: Mein Chef hat nichts davon geahnt. Doch genau das kommt mir so unfaßbar vor. Und deshalb glaube ich auch, daß Narben-Otto durchaus in der Lage war, ihn zu erpressen. Ich glaube, daß dieser Kerl von allen kassiert hat, bei denen etwas zu kassieren war.« Er hockte wie ein Häufchen Elend auf dem Baumstumpf und machte den Eindruck, als wolle er vor Scham in der Erde versinken, als sei er es, der sich versündigt hatte.

»Grenzen Sie sich ab, verdammt noch mal«, sagte ich wütend. »Sie sind nicht verantwortlich für drei Tote und den gesamten Rest der Schweinereien. Sie fühlen sich verantwortlich, aber Sie sind es nicht. Verantwortung tragen Sie nur gegenüber Trude und gegenüber Berner, wenn es okay ist und Ihren Job betrifft. Ich will jetzt wissen, was das für Industrielle sind, die Ihr Chef zu Gast hat.«

»Glauben Sie, der Mörder ist darunter?«

»Das ist unser Verdacht. Möglicherweise wird Berner auch in großem Stil erpreßt. Wenn ich sage in großem Stil, dann meine ich, daß es um Millionen geht. Die Toten sollten vielleicht den Druck auf ihn erhöhen. Verstehen Sie, was ich meine?«

»Und warum geht er damit nicht zur Polizei?« fragte er verzweifelt.

»Weil er belastet ist, weil er mit Dingen erpreßt wird, die niemand wissen darf, weil er möglicherweise dafür in den Knast marschieren würde. So einfach kann das sein, Hommes, so einfach. Aber lassen Sie uns jetzt eine Pause machen, fahren wir zu diesem blöden Adenauer-Haus. Ist das weit?«

»Drei, vier Minuten«, sagte er etwas krächzend. »Mein Gott, ich wußte, das wird uns das Genick brechen.« Er stand auf und ging so schnell den Hang hinunter, daß ich rennen mußte, um ihn einzuholen.

»Fahren Sie diesen Weg da lang, Sie kommen dann an eine Gabelung. Bleiben Sie rechts, Sie müssen auf diesen Berg, den Sie jetzt nicht sehen können.«

»Wir können uns duzen«, sagte ich. »Und tu dir einen Gefallen: Erinnere dich an alles. Laß nichts aus.«

Hommes schwieg verbissen, starrte aus dem Fenster, während ich den Wagen den Weg hochknüppelte, als würde ich dafür bezahlt.

Nur einmal nuschelte er: »Jetzt da rechts. Dann sind wir auf der Kuppe, dann sind wir da.«

Ein typisches Merkmal aller deutschen Mittelgebirge sind die Lichtungen in den Wäldern, deren Grün einfach unbeschreiblich intensiv ist, zuweilen geradezu schmerzt. Die Lichtung, auf der sie in den fünfziger Jahren das Adenauer-Haus gebaut hatten, war zudem von großen Flecken Roter Fingerhut bedeckt. Das sanfte, bis in die Malvenfarbe hineinreichende Rot inmitten des Grüns leuchtete in solcher Intensität, daß ich am liebsten am Steuer sitzengeblieben wäre, um das Bild in mich hineinzuzwingen.

»Sechshundert Quadratmeter Wohnfläche«, sagte Hommes heiser. »Sechshundert Quadratmeter Eifel-Filz. Komm her, ich zeig es dir. Aber paß auf, halte dich in dem Bau eng an mich, der verrottet seit vierzig Jahren. Da sind Riesenlöcher im Beton. Wie du siehst, ist der querstehende Bau zweigeschossig, alles andere eingeschossig. Nur Flachdach, was damit zu tun hat, daß sie damit rechneten, daß Konrad Adenauer mit dem Hubschrauber einfliegen würde. Das Tragische ist, daß Adenauer dieses Haus nie im Leben gesehen hat, er wollte es einfach nicht. Paß auf jetzt, wir gehen zuerst in den Keller. Das muß man gesehen haben, um es zu glauben.«

Es wurde dunkel, wie bei einem schnell aufziehenden Gewitter. Unsere Stimmen schallten laut, ich sah nur noch die Umrisse seiner Schultern.

»Aufpassen, da sind Löcher im Boden.«

Da war etwas hinter mir. Ich wollte mich herumdrehen, aber ich reagierte zu spät.

Jemand schnauzte wütend: »Warum könnt ihr Arschlöcher mich nicht in Ruhe lassen? Warum tigert ihr hinter mir her? Seid ihr scharf auf einen Selbstmord? Und jetzt, verdammt noch mal, hebt die Arme hoch und geht vor mir her. Aber langsam, wenn ich bitten darf. Und noch etwas: Dies ist eine äußerst solide halbautomatische Winchester. Und ich blase euch die Köpfe von den Schultern, wenn ihr Mist baut.«