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»Die Kerle zeige ich an, alle beide!«, fauchte Pit. Obwohl das Verdeck aufgeklappt war und er erst seine Unterwäsche angezogen hatte, kochte er noch immer.

»Lass es bleiben! Ich könnte den Zöllnern sowieso nichts beweisen«, beschwichtigte ihn Nasrin. Es klang ziemlich desillusioniert.

Er musterte sie von der Seite, während er mit seiner Hose kämpfte. »Passiert dir das öfter?«

»Ständig. Frauen, die ihren Körper für Geld zeigen oder fotografieren lassen, sind für die meisten Männer nichts anderes als Prostituierte.«

»Du kannst dich doch wehren. Ich hab's gesehen.« Pit griff zum Hemd.

Ein Schmunzeln stahl sich auf ihre Lippen. »Manchmal tue ich das. Übrigens – Kompliment. Ich war mir selbst nicht sicher, ob du es schaffen würdest, unsere Bargeldbestände zu verflüssigen. Wenn du so weitermachst, übertriffst du noch Zafirah. Die schafft die Lyse samt ihrer Kleidung und einem ganzen Waffenarsenal.«

»Jetzt wird mir klar, wie sie in meiner Wohnung so plötzlich vor mir stehen konnte.« Er schloss den letzten Knopf des blauen Hemdes. »Jedenfalls spritze ich Gift und Galle, wenn ein Kerl dich noch mal so angrapscht.«

Nasrin blies sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Was du heute erlebt hast, ist nichts gegen das, was uns in Luxemburg bevorsteht.«

»Wieso?«, wunderte er sich.

»Weil ich keinen Schlüssel für das Schließfach meines Bruders habe. Wir müssen die Bank ausrauben.«

Das Terra Nomis in Esch-sur-Alzette war kein Hotel, es war ein Restaurant, das Zimmer hatte. Außen ochsenblutrot, innen mit gebrochenen Ziegelsteinen und dunklen Hölzern dekoriert, bot es den beiden Bankräubern einen sicheren Schlupfwinkel in rustikalem italienischem Ambiente. Nasrin hatte die Herberge im Internet gefunden und wegen ihrer vielen Vorzüge als Stützpunkt für die Operation Prometheus auserkoren. Sie war klein genug, um mit geringen Geldmitteln lästige Formalitäten bei der Anmeldung zu umgehen. Und sie lag in beruhigender Entfernung zum Einsatzort, um bei einer Ringfahndung nicht sofort der Polizei ins Netz zu gehen. Das Städtchen Esch an der Alzette lag nicht einmal zwanzig Kilometer vom Operationsgebiet entfernt.

Eigentlich planten sie gar keinen Bankraub, beruhigte Pit sein Gewissen. Zekarias hatte den Inhalt des Bankschließfaches im Fall seines Ablebens ohnehin seinen Schwestern vermachen wollen. Insofern holte Nasrin sich nur, was ihr zustand. Ihr fehlte lediglich der Schlüssel – wahrscheinlich hatte ihn Kahina verwahrt. Deshalb musste sich die Begünstigte auf nicht ganz vorschriftsmäßige Weise Zugang zum Erbe verschaffen.

Die zwei hatten als Paar eingecheckt, um möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Nasrin mietete das größte Zimmer. Es verfügte über eine Chaiselongue – Pit brauchte also wenigstens nicht auf dem Parkettboden zu schlafen. Die kleinen Unbequemlichkeiten nahm er gern in Kauf. Allein durch ihre Nähe verlieh Nasrin ihm ein Gefühl der Sicherheit, das er bisher nur von Maja gekannt hatte.

Nach einer letzten Lagebesprechung zum üppigen Frühstück fuhren sie in die Ville de Luxembourg, die Hauptstadt des Großherzogtums Luxemburg. Ihr Zielobjekt war eine Institution unter den Banken des Landes, die ehrwürdige Banque et Caisse d'Epargne de l'Etat – die Luxemburger Sparkasse.

Der historische Bankpalast lag an der Place de Metz, einem linsenförmigen Platz im Südwesten der alten Festungsanlage. Mit seinem hohen Uhrenturm ragte er weit über die umliegenden Gebäude der Altstadt hinaus. Der ehemalige Schalterraum beherbergte ein Bankenmuseum. Nasrin hatte sich auf einen Besuch desselben gefreut, um das Terrain zu sondieren. Bei der Gelegenheit wollte sie sich das im Internet angekündigte Video mit den schönsten Banküberfällen ansehen, um sich davon inspirieren zu lassen. Leider hatte die Show sonntags geschlossen.

»Findest du unser Vorgehen professionell?«, brummte Pit. Sie standen wie ein Pärchen auf Stadtbesichtigung am Fuß der Treppe des Hauptportals und musterten die Location, wie Nasrin es genannt hatte.

Sie hob die Schultern. »Weiß nicht. Ich breche zum ersten Mal in eine Bank ein.«

»Lass uns weitergehen, sonst erregen wir noch Verdacht. Wir müssen uns endlich auf einen Plan einigen.«

Nasrin hakte sich wie selbstverständlich bei ihm ein. »Gehen wir in die Innenstadt. Ich kenne am Place d'Armes ein nettes Café.«

Sie kehrten zum Auto zurück und fuhren über den Pont Adolphe in den inneren Festungsring. In dem Straßencafé spielten sie sämtliche Varianten des Coups durch. Schließlich einigten sie sich auf einen Plan, der so abgedreht war, dass er sogar funktionieren konnte.

Gravitätisch stolzierte Nasrin in die ehrwürdigen Geschäftsräume der Luxemburger Sparkasse. Sie hatte sich für den Besuch ein figurbetontes Kostüm in ihren Lieblingsfarben Rot und Schwarz ausgesucht. Ein breiter Lackgürtel betonte ihre schmale Taille. Der schräg auf ihrem Kopf sitzende geflochtene Tellerhut machte sie noch größer, als sie ohnehin schon war. An ihrer linken Schulter hing die schwere Sacktasche, die in spannungsreichem Dialog mit dem eleganten Outfit stand. Rechts hielt Nasrin eine Evian-Flasche mit trübem Inhalt.

Sämtliche Augen im Raum richteten sich auf die extravagante Besucherin. Eine Handykamera klickte. Irgendwo gickste eine Bankangestellte – eine häufig zu beobachtende Reaktion, wenn Prominente überraschend auf der Bildfläche erschienen. Nasrins Lächeln täuschte darüber hinweg, wie hoch konzentriert sie war. Eine einzige Unaufmerksamkeit, und ihr würden die Gesichtszüge entgleisen. Als Maske hatte sie sich die Physiognomie des weltberühmten Supermodels Naomi Campbell angelegt.

Es dauerte nicht lange, und ein hagerer kleiner Bankangestellter mittleren Alters in mausgrauem Anzug glitt herbei. »Bonjour, Madame Campbell! Welcome in our holy halls!«, katzbuckelte er zweisprachig, wobei sein Französisch im Vergleich zum Englisch geradezu göttlich war.

Nasrin lächelte jovial. Sie sprach nicht nur perfekt Englisch, sie ahmte sogar den britischen Akzent des Supermodels nach. »Vielen Dank für den warmen Empfang, Mister …?«

»Bertemes, Madame. Mein Name ist Ferdinand Bertemes. Ich erfreue mich des Umstands, dieses Finanzcenter zu leiten. Gestatten Sie mir die Bemerkung: Von den Fotos her habe ich Sie mir viel kleiner vorgestellt.«

»Das liegt wahrscheinlich an der Größe der Fotos.«

Er lachte gekünstelt. »Das wird es sein. Womit kann ich Ihnen dienen, Madame?«

»Ich möchte ein Bankschließfach mieten. Möglichst heute noch.«

»Haben Sie schon ein Konto bei der Banque et Caisse d'Epargne de l'Etat, Madame Campbell?«

»Nein. Aber daran soll es nicht scheitern. Ich habe zwar nur dreitausend Euro dabei, aber die können Sie gleich haben.« Sie zauberte sechs Fünfhunderter aus ihrem Sack und streckte sie Monsieur Bertemes entgegen.

»Oh, là, là, Madame!«, entfuhr es dem überraschten Filialleiter. Er hob beide Hände, als hätte Nasrin ihn mit einem Revolver bedroht. »Vor der Zahlung kommt der Akt.«

»Was? Für wen halten Sie mich?«, entrüstete sich Nasrin lautstark, damit es alle im Saal hörten. Innerlich schrie sie vor Vergnügen, weil Monsieur Bertemes sich im Überschwang seiner Beflissenheit zu einer solchen Zweideutigkeit hatte hinreißen lassen.

Der lief knallrot an. »Madame, Sie missverstehen. Ich wollte sagen: Vor der Einzahlung auf das Konto kommt der Verwaltungsakt.«

»Ach so! Jetzt haben Sie mich aber erschreckt, mein Lieber.« Nasrin pumpte alle Naivität, die sie aufbringen konnte, in ihr Lächeln. Vermeintlich erhitzt schraubte sie den Verschluss ihrer Plastikflasche auf, setzte sie an die Lippen, hielt dann aber inne.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte sie Monsieur Bertemes, während er entsetzt die trübe Brühe in der Flasche anstarrte. »Selbstverständlich kredenzen wir Ihnen ein Wasser, während wir die Formalitäten erledigen. Oder einen Kaffee, falls Ihnen danach mehr gelüstet.«

Sie hielt dem Filialleiter die Flasche hin. »Das ist ein Powerdrink. Da steckt die Kraft eines Riesen drin. Wollen Sie probieren?«

Monsieur Bertemes' Mundwinkel zuckten unter der Anstrengung, ihnen ein Lächeln aufzuzwingen. »Vielen Dank, Madame. Ich bin Vegetarier.« Er deutete in den hinteren Bereich des Schalterraumes. »Wenn Sie mir bitte in unseren Kundenraum folgen würden. Dann leite ich – husch! – alles ganz schnell in die Wege.«

Während Nasrin sich durch das Papierdickicht der Antragsformulare kämpfte, warf sie immer wieder besorgte Blicke auf ihre Flasche. Seit Pit dort hineingeschlüpft war, sah er unverändert trübe aus. Sie konnte nur ahnen, wie der Ärmste sich fühlte. Selbst schuld, beruhigte sie sich. Hättest du mich allein in die Bank gehen lassen, wäre auch nichts passiert. Er wolle zur Stelle sein, falls etwas Unvorhergesehenes geschah, hatte Pit gesagt. Wir sind hier in einer Bank, dachte Nasrin, und vor mir sitzt der langweiligste Mann der Welt. Was soll da schon passieren?

»Ich hätte einen Wunsch, Monsieur Bertemes, wenn ich darf«, äußerte sich Nasrin schüchtern.

Der langweiligste Mann der Welt lächelte. »Sie dürfen bei uns fast alles, Madame. Die Sparkasse ist zu hundert Prozent kundenorientiert.«

»Freut mich, das zu hören. Könnte ich für mein Fach eine Wunschnummer haben, damit ich sie mir besser merken kann?«

»Wenn das betreffende Kundenschließfach frei ist, kein Problem. Ich kann es gleich hier im Computer prüfen. Welche Nummer?«

»Neunzehnhundertneunundachtzig. Das ist mein … Das Geburtsdatum eines Menschen, der mir sehr nahesteht.«

Monsieur Bertemes' Finger quälten sich mit der Tastatur ab. Offenkundig lagen seine Stärken auf anderen Gebieten. »Tut mir außerordentlich leid, Madame Campbell. Das Schließfach ist bereits vergeben«, stellte er nach einiger Zeit fest.

»Und da lässt sich nichts machen? Kann man den Inhalt des Faches nicht … umbetten?«

»Das ist leider nicht möglich. Zu jedem Fach gibt es nur einen Schlüssel. Wir können unsere Mieter ja nicht ausschließen.« Der langweiligste Mann der Welt kräuselte die Lippen.

Nasrin übte sich in Enttäuschung. Sie zog einen Flunsch und überlegte, ob sie mit dem Fuß aufstampfen sollte. Stattdessen entschied sie sich für eine reifere Unmutsäußerung. »Zu schade! Dann frage ich wohl doch erst bei den anderen Finanzhäusern nach, ob da die Eins-neun-acht-neun noch frei ist. Zum Glück herrscht an Banken in dieser Stadt ja kein Mangel.«

Monsieur Bertemes passierte, was Nasrin tunlichst zu vermeiden suchte: Ihm entgleisten die Gesichtszüge. »Madame, ich bin untröstlich. Sie zu verlieren, könnte ich nicht verwinden.«

»Heißt das, Sie werden sich umbringen, wenn ich jetzt gehe?«

Der Filialleiter senkte den Blick und lächelte devot. »Ich spiele mit dem Gedanken. Seit achtzehnhundertsechsundfünfzig erfülle ich … nein, erfüllt die Sparkasse auch die ausgefallensten Wünsche unserer Kunden. Wäre Ihnen damit gedient, ein Schließfach ganz in der Nähe der Eins-neun-acht-neun zu bekommen?«

Nasrin warf einen verstohlenen Blick auf die Wasserflasche, die sie auf den Tisch gestellt hatte. Pit blubberte zustimmend. »Wie nahe?«, fragte sie, nachdem sie Monsieur Bertemes hinreichend lange hatte schwitzen lassen.

Der hatte inzwischen seinen Computer konsultiert. »Ich hätte die Eins-neun-acht-eins zu bieten. Das ist in derselben Reihe nur eine Winzigkeit weiter links.«

»Mein Geburtsdatum!«, quietschte Nasrin. »Die nehme ich.«

Monsieur Bertemes starrte sie eine Schrecksekunde lang an. Selbst eine Schönheit wie Naomi Campbell war gegen den Zahn der Zeit nicht gefeit. Der Filialleiter vertrieb den Unglauben aber schnell wieder aus seinem Gesicht und lächelte wie ein falscher Fuffziger. »Dann wäre ja alles perfekt. Jetzt bräuchte ich nur noch Ihren Pass, Madame.«

»Selbstverständlich«, flötete Nasrin, öffnete ihr Taschenuniversum und wühlte eine erkleckliche Weile lang darin herum. Erschrocken hob sie den Blick. »O mein Gott! Ich habe meine Papiere im Hotel liegen gelassen.«

»Ähm …«, machte Monsieur Bertemes. Er schien darüber nachzudenken, wie er der berühmten Kundin die formelle Unerbittlichkeit des luxemburgischen Bankenwesens nahebringen konnte.

»Ich muss bis morgen sowieso noch einmal wiederkommen. Können wir den … Akt dann nicht nachholen?«, fragte Nasrin und wählte aus ihrem reichen Repertoire das Femme-fatale-Lächeln.

Monsieur Bertemes starrte sie verwirrt an, blinzelte, sah auf sein Formular und hiernach wieder in das fragende Gesicht der Kundin. Nach reiflichem Zögern rang er sich endlich zu einer Entscheidung durch. »So machen wir's. Und Sie bekommen heute schon Ihr Kundenschließfach. Damit alles seine Richtigkeit hat, schreiben wir Ihrem neuen Konto nur einen symbolischen Betrag von einem Euro gut. Und wissen Sie was …?« Er langte in seine Hosentasche, wühlte ein Weilchen darin herum und zog eine Münze hervor. »Ihre erste Einlage schenke ich Ihnen.«

»Sie sind ein Schatz, Ferdinand«, behauptete Nasrin und sah, wie der langweiligste Mann der Welt beim Klang des eigenen Namens ein zweites Mal errötete.

Er räusperte sich verlegen. »Dann darf ich Ihnen Ihren Schlüssel aushändigen und Ihnen gleich Ihr neues Schließfach zeigen, Madame Campbell.«

»Sehr gern, Monsieur Bertemes. Ab wann sind Sie morgen Vormittag für mich ansprechbar?«

»Ich bin untröstlich, Madame. Für Dienstagfrüh ist seit Langem ein Filialleitermeeting anberaumt. Vor zwölf kann ich nicht zu Ihrer Verfügung stehen.«

»Das kommt mir entgegen. Ich richte mich darauf ein.«

Der Filialleiter rief eine Mitarbeiterin an, ließ sich einen Schlüssel mit zwei Bärten kommen und geleitete Nasrin ins Untergeschoss zu den Schließfächern. Nachdem er ihr das Prozedere gezeigt hatte, führte er sie mit der Stahlkassette in eine abschließbare Kabine und zog sich zurück.

Pit flutschte aus der Flasche, als wäre sein amorpher Leib mit Kohlensäure angereichert. Er verkörperte sich hinter Nasrin, damit er sich keine Kommentare über seine edlen Teile anhören musste.

»Hier ist es ja fast so eng wie in der Flasche«, beklagte er sich.

»Da kommst du auch gleich wieder rein. Ich wollte nur sichergehen, dass du dich da drin nicht verlierst.«

»Ich hätte doch länger versuchen sollen, unsere Bankräuberausrüstung mit mir zu verflüssigen. Bei deiner Barschaft hat's ja auch geklappt.«

»Das waren kaum zweihundert Banknoten. Du bist noch nicht so weit, Pit. Bei der Lyse zehrt jedes zusätzliche Gramm, das du auflöst, wie ein Marathonlauf an deinen Kräften. Die Masse des Werkzeugs unvorbereitet zu verflüssigen, könnte dich umbringen.« Sie lächelte. »Für deinen Slip hätt's aber wahrscheinlich gereicht.«

»Das sagst du mir jetzt erst?«, maulte er.

Sie atmete tief durch. »Du hast mir noch gar nicht gesagt, wie du mich fandest.«

»Als Naomi Campbell, meinst du? Du hättest etwas weniger dick auftragen können. Zum Schluss hatte Monsieur Bankdirektor Stielaugen wie 'ne Weinbergschnecke.«

»Alter Miesepeter. Es hat doch geklappt. Allein das Ergebnis zählt.« Nasrin öffnete den Reißverschluss ihres Taschenuniversums. »Kommen wir zur Phase zwei der Operation: das Umpacken der Wertsachen.«

Pit sah ihr über die Schulter hinweg zu, wie sie den morgendlichen Baumarkteinkauf aus dem Sack hervorkramte: Stemmeisen, Meißel, Vorschlaghammer, ein komplettes Akkubohrset, zwei Paar Gummihandschuhe und einen Scheuerlappen. In Letzteren wickelte sie das Werkzeug ein und verstaute alles in der Stahlkassette aus dem neuen Schließfach. Danach verrenkte sie den Kopf, um wenigstens das Gesicht des nackten Mannes hinter ihr zu sehen. »Fertig. Bist du so weit?«

Er seufzte. »Hab schon verstanden.«

Leichter denn je löste Pit seinen Körper auf und schoss in die Flasche.

»Und das hatten Sie alles in Ihrer Handtasche, Mistress Campbell?«, fragte in flüssigem Englisch der junge Bankmitarbeiter, der ihr beim Verstauen der schweren Kassette im Bankschließfach half. Laut seinem Namensschild hieß er Félix Nosbüsch.

Nasrin lächelte. »Frauenhandtaschen sind wie schwarze Löcher: Man sieht ihnen von außen nicht an, was sie im Lauf der Zeit verschlucken.«

Der Banker drehte den Schlüssel herum und reichte ihn dem vermeintlichen Supermodel. »Das ist der einzige Schlüssel, den es gibt. Geht er verloren, müssten wir das Fach aufbrechen. Das wird teuer. Also: nicht verlieren!«

»Danke«, sagte Nasrin, warf den Schlüssel in den Sack und deutete unter die Decke. »Warum haben Sie hier eigentlich keine Überwachungskameras, Mister Nosbüsch?«

Der junge Mann lächelte entspannt. »Weil niemand diesen Raum betreten kann, ohne draußen an mehreren Objektiven vorbeizuspazieren. Die genaue Anzahl darf ich Ihnen nicht nennen.«

»Natürlich nicht. Trotzdem bin ich ein wenig besorgt. Mein Agent meinte, ich solle das Schließfach bei einer richtigen Bank mieten, nicht bei der Sparkasse.«

Nosbüsch wirkte pikiert. »Die Banque et Caisse d'Epargne de l'Etat ist das älteste Finanzinstitut des Landes. Wenn wir keine richtige Bank sind, wer dann?«

»Bitte entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht in Ihrer Sparkassenehre verletzen.« Ihr immer noch ausgestreckter Zeigefinger schwenkte herum zur Schließfachtür. »Sind meine Wertsachen dahinter auch wirklich sicher? Die Tür sieht so winzig aus.«

»Da kann ich Sie beruhigen, Mistress Campbell. Die Kundenschließfächer sind so sicher wie diese Tür dort.« Er deutete auf den gewaltigen Einlass zum Tresorraum, eine Safetür, die so dick wie Pit breit war und Riegel von der Stärke seiner Oberarme besaß.

»Und die kriegt niemand auf?«

»Nicht außerhalb der Öffnungszeiten der Sparkasse. Glauben Sie mir, der Dieb müsste schon durch diese meterdicken Wände gehen, um hier reinzukommen.«

Die falsche Mistress Campbell lächelte erleichtert. »Nun, dann bin ich beruhigt.«