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Das Knarzen des alten Sofas weckte Pit. Ihm brummte der Schädel. Er hatte einen grauenhaften Geschmack im Mund und ekelte sich vor seinem eigenen Atem. Und dann der gruselige Albtraum! Ohne den Alkohol im Blut hätte er vermutlich den Rest der Nacht stehend verbracht.
Gähnend blickte er sich um und zog eine Grimasse. Leider waren keine Heinzelmännchen gekommen, um das Wohnzimmer aufzuräumen. Abgesehen von ihm wagte sich nur die Morgendämmerung in dieses Chaos. Sollte er noch aufräumen oder sich lieber gleich umbringen?
Er wälzte sich ächzend von der Couch. Bei der Landung auf dem Teppich stieß er sich das Knie an der leeren Wodkaflasche und fluchte. Er vermochte sich gerade noch zu beherrschen, sie nicht durchs Fenster zu werfen. Die eigenwillige Standuhr schlug neunmal. Vermutlich war es sechs Uhr drei.
Er schlurfte ins Bad und putzte sich die Zähne. Danach sammelte er im Flur sein Zeug auf. Der Schlüsselbund kam in das Lederschälchen, das Maja in den Hallen am Gleisdreieck auf dem Flohmarkt gekauft hatte. Die orangerote Jacke fand ihren Platz an der Garderobe.
Gewohnheitsmäßig untersuchte er mit spitzen Fingern den Inhalt der Taschen. In der Hektik eines Einsatzes steckte er manchmal eine Kanüle oder andere verletzungsträchtige Gegenstände ein, um die Hände für die Notversorgung freizuhaben. Da er Linkshänder war, kontrollierte er zunächst diese Seite. Und wurde fündig.
Er hatte die Visitenkarte von Kriminaloberkommissarin Katharina Nour ganz vergessen. Stirnrunzelnd las er ihre handschriftlich notierte E-Mail-Adresse:
kahina@hotmail.com
»Warum Kahina?«, murmelte er. Vermutlich ein Spitzname für Katharina. Er warf einen Blick in die rechte Außentasche der Jacke. Darin lag ein Schlüssel.
»Wo kommst du denn her?«, staunte er. Warum hing das Ding nicht an seinem prallen Schlüsselbund? Neugierig untersuchte er den Fund und wunderte sich erneut. Der Schlüssel war gar kein Schlüssel. Der Schlüssel war ein USB-Stick, der nur so aussah wie ein Schlüssel. Einem Aufdruck nach besaß der Speicherstick eine Kapazität von acht Gigabyte.
Hat Ihnen dieser Zekarias irgendetwas gegeben?
Die Frage der betörend schönen Polizistin erschien wie ein Pop-up-Fenster auf Pits Gedankendisplay. Konnte das sein? Waren das Umsichschlagen und Würgen des dunkelhäutigen Riesen nur Ablenkung gewesen, um den Stick in die Tasche des Notarztes zu schmuggeln? Der Gedanke war abenteuerlich. Welcher Mensch führt ein solches Theater auf, wenn er gerade beide Beine verloren hat?
»Bist du womöglich doch ein Schlüssel?«, murmelte Pit. »Hütest du ein Geheimnis?«
Die Neugier verscheuchte den Kater und die düstere Stimmung. Auf Pits Frage nach einem kriminellen Hintergrund des Verunglückten hatte die Kommissarin sich bedeckt gehalten. Also war dieser Zekarias ein Gauner.
Oder jemand, hinter dem irgendwelche Verbrecher her waren.
Pit ging in sein Arbeitszimmer. Während er den Computer hochfuhr, schob er Nours Visitenkarte unter die Schreibunterlage. Sein Blick huschte über die Kartons, den Kleiderständer, den Bügeltisch und die Kindertapete. Maja und er hatten hier dem Baby ein kuscheliges Nest gebaut. Mittlerweile war es eine Rumpelkammer mit Internetanschluss.
Nachdem der iMac gebootet und Pit eingeloggt war, steckte er den Stick ein und startete den Finder – das Programm zum Durchforsten von Speichermedien.
»Wow!«
Der USB-Stick war randvoll mit Ordnern und Dateien. Letztere enthielten sowohl Bilder als auch Texte. Über den Inhalt gaben die kryptischen Namen kaum Aufschluss. Das änderte sich schlagartig, als Pit ins erste Unterverzeichnis wechselte. Etliche Dateien begannen mit dem englischen Wort blood.
»Blut?« Pit kamen die letzten Worte des sterbenden Zekarias in den Sinn: Folge dem Strom aus Blut. Er führte den Mauszeiger zu einem Dokument mit dem Namen blood_drk_001.pap.pdf und öffnete es mit einem Doppelklick.
Die Datei enthielt überwiegend Text, ergänzt um Balken- und Tortendiagramme sowie etliche Fotos. Es ging um den Deutschen Roten Kreis, Deutschlands größten Wohlfahrtsverband. Der gemeinnützige Verein deckte ein breites Spektrum an Leistungen ab – von A wie Altenpflege bis W wie Wasserwacht. Das Dokument widmete sich ausschließlich dem Buchstaben B: Es beschrieb, wie der DRK Blut sammelte, testete, in seine Bestandteile aufspaltete, abfüllte, lagerte, verwaltete und verkaufte. Beim Endprodukt lag der Schwerpunkt auf Erythrozyten-Konzentraten, landläufig als Blutkonserven bezeichnet. Achtzig Prozent der Blutspenden in Deutschland, behauptete der Verfasser, gingen an diese Organisation. Der Rote Kreis sei ein Monopolist in Sachen Blut.
Folge dem Strom aus Blut.
Hatte Zekarias vom Roten Kreis gesprochen?
Pit öffnete willkürlich einige andere Dokumente. Alle beschäftigten sich mit dem Lebenssaft. Dabei kamen auch die Unternehmen der Pharmaindustrie nicht zu kurz. Im Gegensatz zu gemeinnützigen Institutionen wie dem DRK durften Chirion und Rosch und wie sie alle hießen mit Blut Gewinne erzielen. Und es war ein äußerst profitables Geschäft, wie die Dokumente belegten. Dabei spielten Blutspenden eine eher untergeordnete Rolle. Die Platzhirsche der pharmazeutischen Industrie beuteten den Lebenssaft anders aus. Sie stellten Wundkleber und verschiedenste Medikamente aus Blutplasma her, und sie verkauften Bluttests, etwa zum Nachweis von Hepatitis-C-Viren und HIV und, und, und. Der Strom aus Blut trieb Mühlräder an, die Milliarden von Euros schöpften. So jedenfalls behauptete Zekarias' Blutdossier.
Pit fragte sich, was der Zweck dieser Faktensammlung war. Beim ersten Querlesen zeichnete sie für ihn ein eher verwirrendes Bild. Die Behauptung, der Rote Kreis erziele mit kostenlos gesammelten Blutspenden Millionengewinne, geisterte immer wieder einmal durch die Medien. Pit interessierte sich mehr für die Dokumente über Blutreihenuntersuchungen. Eine Auflistung aus unbekannter Quelle fand er besonders aufschlussreich.
Als Arzt kannte er die üblichen Blutfaktoren und ihre Abkürzungen, die bei solchen Screenings getestet werden. Zwei Werte sagten ihm jedoch gar nichts. Der erste Faktor kam nur zu etwa null Komma eins Prozent in den untersuchten Blutproben vor. Und der zweite nannte sich »∞«.
»Das Zeichen für Unendlichkeit?«, grübelte Pit und schob dabei die Unterlippe vor. Das klang nicht nach einem Krankheitserreger. Null Komma null null Prozent stand hinter der Bezeichnung. Wer immer nach dieser liegenden Acht suchte – er hatte sie noch nicht gefunden.
Stoppt die Domen! Wen hatte Zekarias damit gemeint? Eine kriminelle Vereinigung? Oder war der Name lediglich ein Code für alle, die den Strom aus Blut aus irgendwelchen Beweggründen in Gang hielten? War Zekarias der Verfasser des Blutdossiers? Oder hatte er es gar gestohlen und sich damit sein eigenes Grab geschaufelt? Pit stellten sich die Nackenhaare auf. Sollte Letzteres stimmen, war er womöglich in großer Gefahr.
Sein Blick streifte die Zeitanzeige am rechten oberen Bildschirmrand. Ihm fuhr der Schreck in die Glieder. Er hätte längst in der U-Bahn sitzen müssen. Sein Dienstplan in dieser Woche war noch enger als sonst, weil sich mehrere Kollegen krankgemeldet hatten. Um sieben war Schichtwechsel. Das war kaum zu schaffen.
Plötzlich meldete sich die Türglocke. Er zuckte abermals zusammen. Wohlgemerkt, es war nicht der Klingelton, der jemanden vor dem Haus ankündigte. Der Besucher stand bereits an der Wohnungstür.
Pit riss den USB-Stick aus dem Computer und steckte ihn in die Hosentasche. Schleichend näherte er sich der Wohnungstür. Eine Diele knarrte unter seinem Gewicht. Er spähte durch den Spion in den Hausflur.
Dort stand Kriminaloberkommissarin Katharina Nour.
Sie verdrehte die kaffeebraunen Augen. »Machen Sie schon auf, Herr Zuckmayer! Ich weiß, dass Sie da sind.«
Er überlegte, ob er sich tot stellen sollte. Da er es ja nicht einmal schaffte, sich umzubringen, ließ er den Gedanken gleich wieder fallen und öffnete die Tür.
»Sie?«, stieß er hervor. Ihm fiel gerade nichts Besseres ein.
Die Polizistin lächelte, nicht spöttisch wie noch vor einigen Stunden, sondern mitfühlend. »Sie sehen grauenvoll aus.«
»Danke.«
»Dürfte ich kurz eintreten?«
»Nein.« Sie will mich überrumpeln, dachte er.
Nour hatte schon zum Schritt über die Schwelle angesetzt, hielt nun aber inne. »Es dauert nicht lange, Herr Zuckmayer. Nach unserem gestrigen Gespräch ergaben sich noch ein paar Fragen …«
»Mein Dienst beginnt um sieben. Ich bin spät dran«, fiel er ihr ins Wort.
»Mein Auto steht vor der Tür. Ich fahre Sie.«
»In den Wedding? Danke. Die U-Bahn ist schneller.«
»Dann bringe ich Sie zum Bahnhof Hallesches Tor. Sie sparen sich das Umsteigen, und ich kriege dafür von Ihnen die gesparte Zeit.«
Er zögerte immer noch. Sie will den Takt angeben, dachte er. Der Zeuge soll sich keine Geschichten ausdenken, sondern spontan antworten.
»Ich könnte Sie auch vorladen, wenn Ihnen das lieber ist«, sagte Nour.
Er stöhnte. »Also schön. Kommen Sie rein. Bleiben Sie hier stehen und stellen Sie Ihre Fragen. Ich ziehe in der Zwischenzeit ein frisches Shirt an.«
»Das ist eine blendende Idee.«
Pit ließ sie in die Wohnung. Er nahm sich vor, wachsam zu sein.
Nour hob die linke Hand und deutete auf die Schramme in seinem Gesicht. »Wie geht es Ihrer Verletzung?« Sie berührte ihn – es fühlte sich an wie ein sanftes Streicheln. »Sah gestern schlimm aus. Gibt es irgendwelche Komplikationen?«
»Alles bestens.« Die Frau war ihm nicht geheuer. Er legte den Rückwärtsgang ein und bewegte sich aufs Schlafzimmer zu.
Sie blieb zum Glück stehen und beobachtete ihn mit besorgter Miene. »Ist etwas von seinem Blut in Ihre Wunde geraten?«
»Es ist nur ein harmloser Kratzer. Ich habe ihn fachgerecht versorgt. Haben Sie schon den Laborbericht? Stand der Mann unter Drogen?«
»Wie kommen Sie darauf?«
Erwischt!, dachte er. Sie hatte ihm etwas entlockt, das er besser nicht gesagt hätte. Noch zwei oder drei solche Schachzüge, und er würde ihr von dem USB-Stick erzählen … Sollte er das nicht sowieso tun? Vermutlich war der Datenspeicher ein wichtiges Beweismittel. Ein Gegenstand, der seinen Besitzern den Tod brachte.
Und wenn Katharina der Todesengel ist?
Der Gedanke traf ihn wie ein Keulenschlag. … verlangen Sie ausdrücklich mich. Sprechen Sie mit niemandem sonst über diesen Zekarias. Pit erschauderte. Warum spielte ihm sein Gedächtnis Nours Worte ausgerechnet in diesem Moment zu? Um ihn zu warnen? Er beschloss, den Stick vorerst nicht zu erwähnen.
»Wie ich darauf komme?«, fragte er stattdessen, während er im Schlafzimmer verschwand. »Ich finde so einiges merkwürdig an diesem … Fall. Der Mann hatte im Kopf- und Brustbereich sowie an den oberen Extremitäten keine sichtbaren Verletzungen. Außerdem benahm er sich irgendwie seltsam. Könnte natürlich an dem Schock gelegen haben. So, wie ich die Kollegen von der Gerichtsmedizin kenne, haben sie gestern keine Überstunden gemacht und ihn noch nicht obduziert, oder?« Während er sprach, nahm er Geruchsproben von verschiedenen Polo- und T-Shirts aus seinem Kleiderschrank.
»Die Leiche des Mannes ist verschwunden«, antwortete Nour.
Überrascht streckte den Kopf in den Flur. »Verschwunden? Kommt das öfter vor?«
Die Polizistin betrachtete gerade eines von Majas großformatigen Fotos neben der Tür zum Arbeitszimmer. Sie wandte sich ihm zu. »In der Gerichtsmedizin ist gestern Abend ein Brand ausgebrochen. Mitarbeiter haben ihn glücklicherweise früh entdeckt und die Feuerwehr alarmiert. Offenbar haben die Täter – wir gehen davon aus, dass es wenigstens zwei waren – das Durcheinander genutzt, um sich einen bösen Scherz zu erlauben. Sie begnügten sich nicht damit, die Leiche aus dem Kühlraum zu stehlen, sie haben vielmehr den Toten durch etwas anderes ersetzt. Raten Sie mal, was!«
»Sand?« Er hielt den Atem an. Zweiter Schachzug gegen dich, dachte er.
Nour nickte. Ihre Mundwinkel zuckten amüsiert. »Sind Sie der Dieb, Herr Zuckmayer?«
Meinte sie das ernst? Er trat die Flucht nach vorn an. »Klar doch. Dort drüben ist ein Zimmer voller Sand. So was mache ich dauernd.«
Sie lächelte. »Keine Sorge. Sie stehen nicht unter Verdacht. Ich habe übrigens veranlasst, den Sand aus dem U-Bahnhof und den aus der Gerichtsmedizin labortechnisch zu vergleichen.«
Er zog sich wieder ins Schlafzimmer zurück und begutachtete ein olivgrünes Poloshirt. »Dann war mein Insistieren also doch nicht umsonst. Was sagen denn die Augenzeugen? Hat der Mann sich umgebracht, oder wurde er vor den Zug gestoßen?«
»Einige behaupten, er sei freiwillig auf die Gleise gesprungen.«
»Sie klingen nicht gerade überzeugt. Was glauben Sie denn? War es Suizid?« Er schlüpfte in das grüne Shirt, das nach seinem Rasierwasser roch und gut zu den Jeans passte. Wieso ihm das plötzlich wichtig war, darüber wollte er lieber nicht nachdenken. Zufrieden mit seiner Wahl kehrte er in den Flur zurück.
Katharina Nour war nirgends zu sehen.
»Darauf kann ich nicht antworten, ohne Ihnen Einblick in unsere Ermittlungen zu verschaffen«, drang ihre Stimme aus dem Arbeitszimmer.
Pit fühlte sich betrogen. Mit langen Schritten überbrückte er die Distanz zur Rumpelkammer. Durch die offene Tür sah er Nour vor seinem iMac stehen. Sie verschob gerade einen Brief auf seinem Schreibtisch, offenbar in der Absicht, die darunter liegenden Papiere zu lesen. War das nur die pathologische Neugier einer Polizistin? Oder warum schnüffelte sie bei ihm herum?
Er räusperte sich. »Steht mir nicht das gleiche Recht zu, Ihnen den Einblick in meine Privatsphäre zu verwehren?«
Ihr Blick wandte sich ihm zu. Kein hektisches Herumrucken des Kopfes, keine schuldbewusste Miene, nur ein abgeklärtes Lächeln und ein zum Monitor deutender Zeigefinger. »Wenn Sie das nächste Mal einen Speicher aus dem System entfernen, müssen Sie ihn zunächst auswerfen. Sonst gibt es diese unangenehmen Fehlermeldungen, die einem einreden, sämtliche Daten könnten zerstört sein.«
Er schluckte. Schachmatt!, dachte er. Als Nächstes kommt die Frage nach dem Inhalt des Sticks. Pit machte ein erzürntes Gesicht, was allein der Abschreckung diente. Er schob sich forsch an Nour vorbei, um den Computer auszuschalten.
»Etwas eng Ihr … Büro«, sagte sie, ohne ihm auch nur einen Millimeter zu weichen. Ihre Körper berührten sich.
Nours Parfüm roch nach Pfeffer, schwarzem Tee und wildem Farn, eine herbe, fast männliche Duftmischung. Pit schlug einen versöhnlichen Ton an. »Unser Töchterchen sollte hier einziehen. Sie starb letztes Jahr, bevor sie das Licht der Welt erblickte.«
»Das tut mir leid. Ich wollte nicht …« Sie legte eine Hand auf seine Linke und blickte ihm forschend in die Augen. Ihr Mitgefühl wirkte echt. Die Luft zwischen ihnen schien zu knistern. Er hätte nur den Kopf neigen müssen, um ihre betörend vollen Lippen zu küssen …
Mit einem beherzten Schritt rettete sich Pit in die neutrale Zone vor der Tür. Flirtete sie mit ihm? Warum tat sie das? Sie war eine Kripobeamtin und er ein Zeuge. »Ich wäre dann so weit. Können wir?«, fragte er kühl.
Sie schürzte die Lippen. Diese verführerischen Lippen, die seine Blicke anzogen wie eine rote Blüte die Honigbienen. »Schade. Und ich dachte, die Zeit reicht noch für einen Kaffee.«
»Vielleicht ein andermal«, sagte er und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen.
»Ich nehme Sie beim Wort.«
Die beiden verließen die Wohnung und das Haus und fuhren in Nours PS-starkem Flitzer entlang des Landwehrkanals zum U-Bahnhof Hallesches Ufer. Unterwegs redeten sie kein Wort miteinander. Pit kämpfte erneut mit wirren Befürchtungen. Ihn beschlich das Gefühl, nicht in einem Audi A3, sondern in einer Venusfliegenfalle zu sitzen. Nour wäre nicht die erste Polizeibeamtin, die für eine kriminelle Organisation die Schmutzarbeit erledigte. Warum sonst hatte sie ihm eingeschärft, nur mit ihr über Zekarias zu reden …?
Pit fuhr heftig zusammen, als plötzlich die Reifen quietschten.
Die Aktion war nicht wie befürchtet ein Angriff auf sein Leben, sondern lediglich eine maximal negative Beschleunigung, die zum Standardrepertoire von Rennfahrern gehört. Der Flitzer hatte sein Ziel erreicht, den U-Bahnhof Hallesches Ufer.
»Da sind wir«, verkündete Nour. »Sollte Ihr Chef wegen der Verspätung Ärger machen, sagen Sie ihm die Wahrheit.«
Pit reichte ihr verstört die Hand. »Danke. Ich wollte schon immer mal bei der Monte Croce mitfahren.«
»Keine Ursache«, sagte sie schmunzelnd. »Passen Sie auf sich auf, Herr Zuckmayer!«
Er nickte und öffnete die Beifahrertür. Seine rechte Zehenspitze berührte gerade den Asphalt, als Nour ihn plötzlich am Ärmel packte. »Haben Sie gehört, was ich eben gesagt habe? Ich möchte nicht, dass Ihnen etwas passiert«, sagte sie in beschwörendem Ton.
Verwundert blickte er in ihre dunklen Augen. Es war keine Floskel gewesen. Sie hatte es ernst gemeint. Er fröstelte. »Wollen Sie mir etwas Bestimmtes sagen, Frau Nour?«
Sie ließ ihn los und schüttelte den Kopf. Zum ersten Mal, seit er sie kennengelernt hatte, wirkte sie unsicher. »Jedes Menschenleben ist kostbar«, antwortete sie leise. »Sie sind kostbar, Pit.«
Katharina Nour beugte sich über den Mitteltunnel und zog die Tür zu. Dann brauste sie mit heulendem Motor davon.