2
Als sie am Cottage vorfuhren, trat Joe auf die Veranda. Er war angezogen, trug Khakihosen und ein weißes Hemd.
Anspannung erfasste Eve. Hoffentlich ging es jetzt besser. Hoffentlich war er anders, wenn Jane da war.
»Joe!« Jane sprang aus dem Jeep, sobald Eve den Motor abgestellt hatte. Sie flog die Stufen hinauf und in seine Arme. »Ach verdammt, es ist so schön, dich wiederzusehen.«
»Ich freue mich auch sehr, dich zu sehen.« Er hielt sie fest umarmt. »Aber du hättest eigentlich in Paris …«
»Das habe ich mir alles schon von Eve angehört«, unterbrach sie ihn. »Also sei still.« Sie trat einen Schritt zurück. »Wie ich höre, hast du mit Alligatoren gekämpft und versucht zu …« Sie erstarrte, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. »Joe?«
Er wandte sich schnell an Eve. »Ich habe frischen Kaffee aufgesetzt. Ich hole nur noch schnell mein Telefon, dann muss ich weg.«
»Wenn du meinst.« Eve stieg langsam aus dem Jeep. Joe stand im Schatten, daher konnte sie sein Gesicht nicht erkennen, aber sie sah Janes Miene. Und die gefiel ihr nicht. »Ich habe gehofft, dass wir gemeinsam noch eine Tasse Kaffee trinken können. Ich habe etwas von Dunkin’ Donuts mitgebracht.«
»Danke, aber ich habe keine Zeit mehr. Ich muss zur Dienststelle.« Er ging zur Tür. »Ich bin nur noch geblieben, um Jane zu sehen, bevor ich aufbreche. Jetzt hole ich mein Telefon und bin weg.«
Jane machte einen halben Schritt auf ihn zu. »Joe, warte. Ich will noch –«
Aber er war schon im Haus verschwunden.
Jane fuhr herum und sagte zu Eve: »Hast du nicht behauptet, es wäre alles in Ordnung?«
»›In Ordnung‹ habe ich nicht gesagt.« Sie stieg hinauf zur Veranda. »Ich sagte, so gut, wie man es erwarten kann. Nichts, worüber man sich Sorgen zu machen braucht.« Aber sie machte sich Sorgen und musste das vor Jane verbergen. Was nicht leicht war. »Und er hat auf dem Revier zu tun. Warum regst du dich deswegen so auf?«
»Er war so steif. Sein Gesicht war … Und er hat mich nicht einmal angesehen.«
»Das hat er bestimmt nicht so gemeint. Hör mal, vielleicht solltest du allein mit ihm reden. Ich geh mal rein und versorge die Donuts. Du schnappst ihn dir, wenn er rauskommt. Okay?«
Jane nickte. »Ich muss wissen, was los ist. Es sieht Joe gar nicht ähnlich, mich so zu behandeln.« Sie setzte sich auf die Schaukel, die auf der Veranda stand. »Ich komm dann gleich.«
Eve nickte. »Lass dir Zeit. Ich laufe nicht weg.« Sie ging ins Haus und betrat sofort die Küche. Jane sollte mit Joe sprechen können, ohne dass sie dabei war. Vielleicht fand Jane heraus, warum Joe sich in einer Weise benahm, die Eve Angst machte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Eheprobleme Joes Verhältnis zu Jane in Mitleidenschaft zogen. Es musste etwas anderes dahinterstecken. Aber Jane würde dafür sorgen, dass alles wieder in Ordnung kam. Sie schreckte nicht davor zurück, ein sachliches oder zwischenmenschliches Problem anzupacken. Mein Gott, war sie froh, dass Jane wieder zu Hause war.
Jane sprang auf, sobald Joe wieder auf die Veranda kam. »Also dann«, sagte sie. »Was zum Teufel ist mit dir los, Joe?«
»Ich weiß nicht, was du meinst.« Joe sah sie nicht an, sondern blickte hinaus auf den See. »Nichts ist mit mir los. Eve und ich haben ein paar harte Wochen hinter uns. Sie hat dir vielleicht auf dem Weg vom Flughafen davon erzählt.«
»Sie hat mir erzählt, dass der Serienkiller, den sie für Bonnies Mörder gehalten hat, es nicht gewesen ist. Und dass du auf dieser Insel in dem Sumpfgebiet einen regelrechten Friedhof von Kindern entdeckt hast, die er alle umgebracht hat.« Sie machte eine Pause. »Sie hat mir nicht erzählt, dass du dich so sehr vor ihr zurückgezogen hast. Das hat sie heruntergespielt. Du hast sie ja nicht einmal angesehen. Und nicht nur sie. Habe ich in letzter Zeit etwas getan, was dich verärgert hat?«
»Wie könntest du? Du warst in Paris in deiner Galerie.«
»Vielleicht findest du, ich hätte hier sein und Eve unterstützen sollen. Ich habe es versucht, Joe. Sie hat es nicht zugelassen.«
»Ich mache niemandem irgendwelche Vorwürfe.« Joes Lächeln war gezwungen. »Da müssen wir einfach durch.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Und es wird Zeit, dass ich aufs Revier fahre und ein bisschen Ordnung in diesen Fall bringe. Wir haben immer noch nicht alle Leichen identifiziert.«
»Und du willst mir nicht sagen, was los ist«, erklärte Jane geradeheraus. »Du läufst weg. Mach mir doch nichts vor, Joe. Du und Eve, ihr habt mich praktisch aufgezogen. Ich kenne dich.«
»Tatsächlich?« Er stieg die Verandastufen hinab. »Dann weißt du auch, dass ich Polizist bin. Und wenn ich eine Arbeit zu erledigen habe, dann tue ich das. Ich rufe dich und Eve später an und sage euch, wann ich nach Hause komme.« Er konnte Janes besorgten Blick spüren, als er sich ins Auto setzte. Er ließ den Motor an, und Eve trat aus dem Haus und stellte sich neben Jane. Zwei starke, intelligente Frauen, die beiden Frauen, die er am meisten auf der Welt liebte.
Und wegen ihrer Stärke und ihrer Intelligenz musste er sie zurzeit meiden wie die Pest. Er konnte es nicht brauchen, dass sie ihre Intelligenz und ihren Scharfsinn auf ihn richteten. Sie könnten etwas wahrnehmen, was er niemanden sehen lassen wollte.
Er winkte ihnen zu, als er aus der Einfahrt fuhr.
Mit ihm war alles in Ordnung. Nur der Stress und die Anspannung nach so vielen Jahren der Suche nach Eves kleinem Mädchen hatten heute Morgen die Halluzination ausgelöst. Er war nicht verrückt. Solange er das Problem benennen konnte, war es keines mehr. Es würde keine weiteren Halluzinationen geben.
Es würde keine weiteren geisterhaften Besuche von Bonnie geben.
»Warum hast du mir nichts davon erzählt, Eve?« Jane sah Joe nach, wie er davonfuhr. »So habe ich ihn noch nie gesehen. Ich weiß, dass ihr Probleme hattet, aber Joe war geradezu … distanziert.«
»Ich konnte dir nicht erzählen, was ich nicht wusste«, sagte Eve. »Als ich wegfuhr, um dich vom Flughafen abzuholen, war alles in Ordnung mit ihm.« Nein, nicht in Ordnung. Joe und ihre Beziehung standen unter Druck. Und dass es ihnen nicht gelungen war, Bonnie auf dieser Insel zu finden und die Agonie der jahrelangen Suche zu beenden, tat ein Übriges. Aber er war nicht der steife, beinahe verschlossene Mann gewesen, der Eve und Jane begrüßt hatte, als sie zum Cottage zurückkehrten. »Ja, wir liegen derzeit nicht ganz auf der gleichen Wellenlänge, aber wir werden das schon schaffen.«
»Wirklich?«
Sie zuckte die Achseln. »Wir geben uns Mühe. Vielleicht klappt es auch nicht. Dann ist es aber mein Fehler. Ich muss Bonnie finden, und ich bin diejenige, die davon besessen ist, nicht Joe. Ich weiß nicht, warum er mich nicht einfach verlässt.«
»Doch, das weißt du. Er liebt dich. Du bist der Mittelpunkt seines Lebens«, sagte Jane. »Und er wird dich nicht verlassen.«
»Diesmal war er ziemlich nahe dran«, murmelte Eve. »Ich habe dir doch gesagt, er muss Bonnie für mich finden. Er will, dass es endlich vorbei ist.«
»Du hast gesagt, ihr kommt damit klar. Solange es noch Hoffnung gibt, wird er nicht aufgeben.« Jane umarmte sie. »Er hat gesagt, ihr hättet harte Wochen hinter euch. Vielleicht war das heute Morgen nur eine Reaktion auf den Horror auf der Insel. Ich weiß nicht, wie zum Teufel ihr das überlebt habt.«
»Wir hatten Megan. Sie war diejenige, die beinahe gestorben wäre. Sie hatte einen Schock und lag stundenlang im Koma.«
»Das hast du mir erzählt.« Jane legte den Arm um Eves Taille und führte sie zum Haus zurück. »Auch wenn manches in deinem Bericht kaum zu glauben ist. Komm, trinken wir eine Tasse Kaffee und reden darüber.«
»Ich kann dich nicht davon überzeugen, an sie zu glauben, Jane. Ich dachte, Megan wäre eine Scharlatanin, aber das stimmt nicht.« Eve lächelte traurig. »Ich garantiere dir, sie hat nicht die mindeste Lust, die Stimmen dieser toten Kinder zu hören. Aber sie kann nichts dagegen tun. Sie hat sie gehört, und sie hat uns zu dieser Insel gebracht. Dabei hätte sie sterben können. Sie sagt, sie weiß nicht viel darüber, wie seherische Fähigkeiten funktionieren. Ihr eigenes Talent dazu hat sie erst vor sehr kurzer Zeit entdeckt.«
Jane goss Kaffee in Eves Tasse. »Du hast recht. Ich habe einige Mühe, was diese Sache mit Megan angeht. Ich neige zu der Ansicht, dass du dir einfach gewünscht hast, es möge wahr sein.« Bedächtig fügte sie hinzu: »Weil sie dir helfen könnte, Bonnie zu finden.«
»Ich würde sie nie darum bitten.« Eve trank einen Schluck Kaffee. »Mein Gott, ich hoffe, ich frage sie nie danach. Ich weiß, was ihr das antun würde.« Sie sah Jane über den Tisch hinweg an. »Sie glaubt, ich werde sie eines Tages darum bitten. Und sie hat mir bereits gesagt, dass sie es nicht tun wird. Weil es alles für mich nur schlimmer machen würde, wenn ich genau wüsste, wie Bonnie gestorben ist.«
»Ich bekomme immer mehr Respekt vor ihr. Sie hat wahrscheinlich recht«, meinte Jane. Sie hob die Hand, als Eve etwas sagen wollte. »Ich hoffe von ganzem Herzen, dass du Bonnie findest. Aber ich wünsche dir nicht, dass du dir damit eine ganze Reihe neuer Alpträume aufhalst.«
Eve schwieg eine Weile. Selbst Jane konnte die Gefahren erkennen, von denen Megan gesprochen hatte. Eve sah sie ebenfalls, aber Bonnie zu finden … sie nach Hause zu bringen …
»Eve …«
Janes Miene war voller Liebe, voll Verständnis und Sorge. »Hör zu, Eve. Ich sage gern, dass ich weiß, wie du dich fühlst, aber das weiß in Wirklichkeit niemand.« Sie fasste über den Tisch hinweg nach Eves Händen. »Als ich ein Kind war, war ich sogar ein bisschen eifersüchtig, weil du Bonnie so sehr geliebt hast. Ich wollte niemals ihre Stelle einnehmen, ich hätte dir nur so gern den Schmerz genommen. Aber ich wusste, dass mir das nie gelingen würde.« Sie schüttelte den Kopf, als Eve erneut zum Sprechen ansetzte. »Und als ich älter wurde, verstand ich allmählich. Ein Kind zu verlieren … ich werde vermutlich nie ganz begreifen können, was das bedeutet, ehe ich nicht selbst eines habe. Aber selbst wenn ich nicht fühlen kann, was du fühlst, solltest du wissen, dass ich an deiner Seite bin, bis die Hölle zufriert.«
»Das weiß ich doch.« Eve spürte, wie die Emotionen ihr die Kehle zuschnürten. »Und ich segne den Tag, an dem wir dich gefunden haben.« Sie bemühte sich um ein Lächeln. »Jetzt aber genug davon. Du bist erst ein paar Stunden zu Hause, und schon hast du dir um Joe Sorgen gemacht und um mich und auch noch versucht, sämtliche Probleme der Welt zu lösen. Jetzt vergiss uns mal wieder. Erzähl mir von deiner Arbeit. Sitzt du an einem neuen Gemälde?«
»Nein, ich war viel zu beschäftigt damit, Pressearbeit für die Galerie zu machen.« Jane schnitt eine Grimasse. »Du weißt, wie sehr ich so etwas liebe. Ich bin einfach nicht gemacht für –« Sie unterbrach sich, als Eves Telefon klingelte. »Geh nur ran. Von meinen Sorgen und Mühen mit den Medien willst du eigentlich gar nichts hören.«
»Doch, das will ich. Du entkommst mir nicht.« Eve warf einen Blick auf das Display. »Es ist Montalvo.«
Jane runzelte die Stirn. »Ist der immer noch nicht von der Bildfläche verschwunden?«
»Nein, aber er ist unter Kontrolle.« Soweit ihn irgendjemand unter Kontrolle halten konnte. Sie nahm das Gespräch an. »Ich bin sehr beschäftigt, Montalvo.«
»Warum begrüßen Sie mich immer, als würde ich Sie angreifen?« Luis Montalvos Stimme klang amüsiert. »Dabei wissen Sie doch, dass ich Ihr Bestes will.«
»Ich trinke gerade Kaffee mit Jane. Was wollen Sie, Montalvo?«
»Ach, Ihre Jane. Die schöne Jane MacGuire. Ich wusste nicht, dass sie wieder im Lande ist.«
»Sie ist gerade aus Paris angekommen.«
»Dann will ich Sie nicht aufhalten. Ich wollte Ihnen nur sagen, von einem meiner Detektive habe ich den möglichen Aufenthaltsort von Kevin Jelak erfahren.«
Sie erstarrte. »Was?«
»Na ja, wenigstens so ungefähr. Er hat in Garsdell, Alabama, einen Kreditkartenbeleg entdeckt.«
Alabama. Gleich auf der anderen Seite der Grenze. »So nah …«
»Vielleicht zu nah. Ich frage mich, was er vor Ihrer Haustür will. Und warum jetzt?«
»Ich habe gerade darüber nachgedacht, dass ich jetzt versuchen muss, ihn und Paul Black zu finden.«
»Als Sie feststellten, dass Sie dem falschen Mörder auf der Spur waren, wusste ich, dass dies Ihr nächster Schritt sein würde. Daher habe ich ein paar Telefonanrufe getätigt. Es ist eine sehr schwache Fährte, nichts, in das Sie Ihre Zähne schlagen können … noch nicht.«
»Warum warten Sie dann nicht ab, bis Sie vielversprechendere Informationen haben?«
»Weil ich Ihnen immer das geben will, was Sie sich wünschen. Und nicht das, von dem ich glaube, dass es gut für Sie ist. Das unterscheidet Quinn und mich.« Er schwieg einen Moment. »Wie geht es Quinn?«
»Er ist genauso enttäuscht wie ich, dass wir Bonnie nicht gefunden haben.«
»Dann bin ich sicher, dass Sie ihm die Neuigkeit über diese neue Chance am Horizont gleich mitteilen werden.«
»Ja, ich sage Joe alles.«
»Der Glückliche«, meinte Montalvo. »Aber ich würde noch ein bisschen warten, ehe Sie ihm das beibringen. Er braucht vielleicht eine Weile, um sich an den Gedanken zu gewöhnen.«
»Ihre Besorgnis rührt mich.«
»Ich mache mir Sorgen. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Quinns neuer bester Freund sein werde. Schließlich hat er mir das Leben gerettet.«
»Das stimmt.«
»Und ich bin ihm wirklich dankbar.« Sein Tonfall klang aufrichtig. »Aber ich muss meine Verpflichtungen Ihnen gegenüber und die gegenüber meinem neuen Freund stets abwägen. Das könnte eine ziemliche Herausforderung werden. Vielleicht rufen Sie Quinn ans Telefon, dann kann ich ihm selbst davon erzählen.«
»Er ist auf dem Revier.«
»Dann verlasse ich mich darauf, dass Sie ihm später Bericht erstatten«, sagte er. »Sie werden von mir hören, sobald ich mehr weiß. Oder ich rufe vielleicht meinen neuen besten Freund an.«
»Du knirschst mit den Zähnen«, bemerkte Jane, als Eve aufgelegt hatte. »Montalvo bekommt von dir immer eine entschiedene Antwort. Wenn auch nicht immer eine positive.«
»Er ist auch selten positiv. Und stört immer«, sagte Eve. »Er sagt, dass er möglicherweise einen der anderen Männer lokalisieren kann, die auf der Liste der Verdächtigen für den Mord an Bonnie stehen.«
»Möglicherweise? Hält er dir eine Karotte vor die Nase?«
»Vielleicht. Aber er würde mich nicht anlügen.«
»Du vertraust ihm?«
»Ja.« Montalvo war genial, schwierig, gefährlich und manchmal rücksichtslos, aber er war kein Lügner. Ihr Verhältnis war kompliziert, und sie hätte nichts dagegen, wenn er aus ihrem Leben verschwinden würde. Dennoch verstand er sie in gewisser Hinsicht besser als sonst irgendjemand. Montalvo war, als Eve ihn kennenlernte, Waffenhändler in Kolumbien gewesen. Er hatte lange nach dem Leichnam seiner ermordeten Frau gesucht und Eve dabei um Hilfe gebeten, im Austausch gegen die Namen von drei Männern, die als Mörder ihrer Bonnie in Frage kamen. Da sie und Montalvo einen vergleichbaren Verlust erlitten hatten und eine ähnliche Besessenheit teilten, verband sie etwas ganz Eigenes. »Ich vertraue ihm. Aber jedes Mal, wenn ich ihm den Rücken zukehre, tut er etwas, was mich komplett überrascht.«
»Wie zum Beispiel?«
»Er sagt, er möchte sich mit Joe anfreunden.«
»Was?« Jane lachte hell auf. »Er macht Witze, oder? Joe ist höllisch eifersüchtig auf Montalvo. Er würde ihm eher die Kehle durchschneiden, als ihn auch nur anzusehen.«
»Nein, er meint das ernst.«
Jane betrachtete sie eingehend, dann stieß sie einen leisen Pfiff aus. »Was für ein geschickter Mistkerl. Und was für ein raffinierter Weg, sich in dein Leben zu schleichen.«
»Ja. Aber das wird nicht klappen.« Oder vielleicht doch, dachte Eve. Joe hatte Montalvo das Leben gerettet, und das war für Montalvo von großer Bedeutung. Sie stimmte Jane voll und ganz zu, aber eigentlich kannte niemand Montalvo wirklich, außer ihm selbst. »Zumindest versorgt er mich mit Informationen.«
Jane nickte. »Jelak. Was weißt du über ihn?«
»Nicht viel. Nur dass er einer der drei Männer ist, die Montalvos Detektive für den möglichen Mörder von Bonnie halten. Zu der Zeit, als sie verschwunden ist, hat er in Atlanta gelebt, aber er ist schon vor vielen Jahren weggezogen und war seitdem nicht mehr aufzufinden.« Eve kniff die Lippen zusammen. »Aber ich werde sehr bald mehr wissen.«
»Von Montalvo?«
»Falls es nötig ist, ihn anzuzapfen.« Sie trank ihren Kaffee aus. »Aber ich habe Joe gemeint. Ich werde ihn anrufen und ihn bitten, diesen Kreditkartenbeleg in Alabama zu überprüfen.« Dann lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück. »Warum schläfst du nicht ein bisschen? Du musst doch völlig erledigt sein.«
»Etwas müde bin ich.« Jane stand auf und machte sich daran, den Tisch abzuräumen. »Und ich fürchte, nicht einmal dieser Kaffee wird mich wach halten.« Sie trug das Milchkännchen zum Kühlschrank. »Obwohl es mir eigentlich lieber wäre –« Sie hielt inne und blickte ins untere Fach des Kühlschranks. »Was zum Teufel ist das denn?«
»Was?«
»Dieser Becher. Er ist aus Gold oder Messing oder … Er war ganz nach hinten geschoben, darum habe ich ihn erst nicht gesehen. Das Licht hat sich darin gespiegelt und …« Sie ging in die Hocke und griff in den Kühlschrank. »Ich glaube, da ist etwas drin.«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.« Eve stand auf und durchquerte die Küche. »Ich benutze nur Tupperware, und die ist bestimmt nicht aus Gold oder Messing. Und in den letzten Wochen haben wir weder gekocht noch etwas aufbewahrt –« Sie blieb stehen, als sie den Gegenstand in Janes Hand sah. »Was ist das?«
»Das wollte ich von dir wissen.«
Der goldene Becher, den Jane hochhielt, war eigentlich ein Kelch, der aussah wie von einem mittelalterlichen Fest. Er war über und über mit eingravierten Buchstaben verziert und mit Szenen, deren Schauplatz offenbar eine altertümliche Banketthalle war.
»Den habe ich noch nie gesehen«, sagte Eve sofort.
»Joe?«
»Ich werde ihn fragen. Aber das ist nicht sein Stil. Er sammelt nicht, und das hier sieht aus wie etwas, das man im Souvenirladen eines Schlosses kaufen kann. Oder in einem dieser Kunstmagazine, die Ritterkram und Filmrequisiten anbieten.«
»Das glaube ich nicht. Er ist gut gearbeitet und keine Billigware.« Jane drehte den Kelch in ihrer Hand. »Schöne Ätzarbeit. Ich weiß nicht recht, was er –« Sie hob den Becher an ihre Nase. »Das sieht aus wie eine dunkelrote Paste, getrocknet … aber es riecht … metallisch.«
»Metallisch?« Eve nahm den Kelch und betrachtete den dunkelroten Inhalt. Ein eisiger Schauder durchfuhr sie. Sie kannte diesen Geruch, er war schwer zu vergessen. Sie hob den Becher und roch daran. Eindeutig Eisen. Ihre Bauchmuskeln spannten sich an, während sie gegen Übelkeit ankämpfte.
Jane beobachtete ihren Gesichtsausdruck. »Ist es das, was ich denke?«
Eve sah den Becher an. Ein wunderschöner Kelch. Glänzend und kunstvoll und bedeckt mit Szenen aus vergangenen Zeiten. Dennoch konnte sie nur an den dunkelroten Inhalt denken, der ihn befleckte.
»Blut.« Sie stellte den Kelch schnell auf die Arbeitsfläche. »Er ist voll Blut.«
»Bist du sicher?«, fragte Jane.
»Ja. Blut gerinnt sehr schnell, aber dieser Kelch war wohl bis zum Rand damit gefüllt.«
»Was sollen wir tun? Bist du sicher, dass du ihn nie zuvor gesehen hast?«
Eve schüttelte den Kopf. »Nein.« Trocken fügte sie hinzu: »Normalerweise bewahre ich keine mit Blut gefüllten Kelche auf.« Sie schluckte. »Und er jagt mir eine Heidenangst ein. Ich fühle mich … angegriffen. Wie ist er in mein Haus gekommen?« Sie zwang sich, den Kelch noch einmal anzusehen. »Was wir tun? Wir sollten zunächst herausfinden, ob es das Blut eines Menschen ist.«
»Und ich frage mich genau wie du, wie er hierhergekommen ist«, sagte Jane.
Eve nickte. »Joe und ich waren beide nicht zu Hause, sondern tagelang unten im Okefenokee-Sumpfgebiet. In dieser Zeit ist es offenbar passiert.« Dann ergänzte sie: »Aber ich weiß, dass Joe die Alarmanlage eingeschaltet hat, als wir losgefahren sind.«
»Alarmanlagen kann man umgehen. Und Toby, mein Hund, war nicht hier. Hast du nicht gesagt, dass sich Patty noch immer um ihn kümmert?«
Eve nickte. »Ich bin froh, dass er nicht im Haus war. Auch wenn er ein halber Wolf ist, der Golden Retriever dominiert doch. Er hat nicht gerade das Temperament eines Killers.«
»So ein Kelch voller Blut ist ganz schön gruselig. Man muss an Vampire denken. Der Schatten von Béla Lugosi.«
Dieser Vergleich passte zu dem, was Eve dachte. »Das musstest du jetzt erwähnen. Aber wenn ich mich recht erinnere, hat er keine Kelche benutzt. Er trank das Blut direkt aus dem Opfer.«
»Wie auch immer.« Jane wandte den Blick von dem Kelch ab. »Das könnte eine Art Streich sein. Dein Beruf macht dich anfällig für solche Späße.«
Eve schüttelte den Kopf. »Das möchte ich gern glauben, aber das ist es wohl nicht. Es ist zu … scheußlich.«
»Das stimmt. Ich würde das Ding gern loswerden«, sagte Jane. »Wir sollten den verdammten Kelch weggeben, um das Blut analysieren zu lassen. Und ich will, dass jemand von der Polizei kommt und dich beschützt. Rufst du Joe an oder soll ich?«
»Ich mache das.« Eve wählte Joes Mobilnummer. Es klingelte fünf Mal, ehe der Anrufbeantworter ansprang.
Irritiert legte sie wieder auf. »Keine Antwort. Aber er müsste noch auf dem Weg zur Dienststelle sein. Vielleicht ist er auf einem Einsatz. Ich versuche es in ein paar Minuten noch einmal.« Sie ging Richtung Schlafzimmer. »In der Zwischenzeit sollten wir uns im Haus umsehen, vielleicht finden wir noch ein paar weitere nette Andenken.«
»Der Tatort befindet sich in den Wäldern längs des Allatoona-Sees. In der Nähe des Kellogg Creek«, erklärte Detective Gary Schindler, als er Joe auf dem Handy erreichte.
»Warum ich?«, wollte Joe wissen. »Ich bin noch mit dem Kistle-Fall beschäftigt.«
»Die Chefin will dich dabeihaben. Verdammt, sie will alle dabeihaben. Ich habe heute frei, und sie haben mich zu Hause angerufen und mir befohlen, meinen Arsch dorthin zu bewegen. Das Opfer ist Nancy Jo Norris, und die Medien werden sich auf uns stürzen.«
»Und wer ist Nancy Jo Norris?«
»Die Tochter von Senator Ed Norris. Sie war Studentin an der University of Georgia und erst neunzehn Jahre alt.«
»Scheiße.«
»Ja. Hübsches Mädchen. Die Spurensicherung sollte schon dort sein, wenn wir ankommen.«
»Bin bereits unterwegs.« Joe legte auf und bog zur Autobahn ab. Er hatte nichts dagegen, nicht sofort zur Dienststelle zu fahren. So wie er sich derzeit fühlte, hätte ihn die Schreibtischarbeit nur in den Wahnsinn getrieben.
Wahnsinn. Kein besonders angenehmes Wort angesichts dessen, was er heute früh kurz vor Morgengrauen erlebt hatte. Halluzinationen waren eindeutig ein Zeichen für geistige Instabilität. Und den Geist von Bonnie Duncan zu sehen grenzte mit Sicherheit an Geisteskrankheit.
Verdammt. Mit ihm war alles in Ordnung. Aber er stand seit Monaten, seit Jahren unter Druck, und das hing mit Eves Tochter zusammen, die vor so vielen Jahren verschwunden war. Die jüngste Enttäuschung bei der Suche nach Bonnies Mörder und ihrem Leichnam hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht, und er hatte für einen kurzen Moment die Orientierung verloren. Das würde nicht mehr vorkommen.
Und vielleicht hatte es auch damit zu tun, dass sie bei der Suche nach Kistle mit Megan Blair zusammengearbeitet hatten. Diese ganze Hellseherei hatte einfach zu authentisch gewirkt. Aber jetzt war er zurück in der wirklichen Welt, und alles würde wieder gut, wenn er nur diese Erinnerung abschütteln.
Sein Handy klingelte. Eve. Er zögerte, ehe er das Gespräch annahm. Es war heute Morgen glasklar zu erkennen gewesen, dass sie seine Unruhe bemerkt hatte. Wie hätte ihr das auch entgehen können? Er hatte sich nicht nur irrational verhalten, sie standen einander auch viel zu nahe, um nicht jede Nuance der Gefühle des anderen wahrzunehmen. Darum hatte er das Haus fluchtartig verlassen. Es kam nicht in Frage, dass er sie mit dieser seltsamen Halluzination beunruhigte.
Aber er konnte ihren Telefonanruf nicht ignorieren.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie, als er antwortete. »Ich konnte dich nicht erreichen.«
»Ich bin gerade auf dem Weg zu einem Tatort am Allatoona-See.«
»Dann will ich dich nicht lange aufhalten.« Eve zögerte. »Jane hat etwas Makabres im unteren Fach unseres Kühlschranks gefunden. Einen über und über verzierten goldenen Kelch. Du weißt nichts darüber, oder?«
»Was? Du liebe Güte, nein. Was ist daran so makaber?«
»Er enthält Blut. Ich weiß nicht, ob es menschliches Blut ist. Würdest du ihn abholen lassen, damit es getestet wird?«
Joe erschrak. Das war wirklich ein merkwürdiger Morgen. Aber Blut war real und schauriger als jede Halluzination. »Sobald ich aufgelegt habe. Und ich schicke jemanden, der das Haus im Blick behalten soll. Sei auf der Hut, bis er da ist.«
»Ja, natürlich. Mir gefällt das gar nicht. Besonders jetzt, da Jane hier ist«, sagte Eve. »Der Kelch muss in den Kühlschrank gestellt worden sein, als wir im Sumpfgebiet waren. Es könnte natürlich irgendein Irrer gewesen sein, der über mich und meine Arbeit gelesen hat und mir jetzt Angst einjagen will. Aber immerhin muss er die Alarmanlage ausgeschaltet haben. Ich rufe die Firma an, sie sollen die Anlage überprüfen und sicherstellen, dass das nicht noch einmal passiert.« Sie schwieg einen Moment. »Montalvo hat angerufen. Seine Detektive haben einen Kreditkartenbeleg von Kevin Jelak entdeckt, in einer Stadt jenseits der Grenze zu Alabama.«
»Montalvo lässt auch nichts anbrennen«, bemerkte Joe in sarkastischem Tonfall. »Kistle ist kaum tot, und schon gibt er sich alle Mühe, dich weiterhin auf der Jagd zu halten.«
»Montalvo würde keine Beweise fälschen«, sagte sie. »Es ist nur ein seltsamer Zufall, dass Jelak plötzlich auftaucht.«
»Ich glaube nicht an Zufälle.« Er bog am Kellogg Creek ab. »Ich kümmer mich mal um diese Kevin-Jelak-Spur.« Er machte eine nachdenkliche Pause. »Heute Morgen war ich etwas kurz angebunden. Tut mir leid. Ich fürchte, mir gehen die Nerven ein bisschen durch.«
»Nicht nur ein bisschen. Willst du mir erzählen, warum?«
Er überhörte die Frage, denn er würde ihr auf keinen Fall sagen, was sie wissen wollte. »Ruf mich an, wenn es weitere Probleme gibt.«
»Hoffentlich nicht«, gab Eve trocken zurück. »Für diesen Tag reicht es mir. Es ist gerade mal acht Uhr morgens.« Sie legte auf.
Ja, der Tag hatte mit einem Knaller begonnen und war entsprechend weitergegangen. Von dem Moment an, als er um fünf Uhr früh aufgestanden und Kaffee aufgesetzt hatte, um zu warten, bis Eve und Jane vom Flughafen kamen. Die Erinnerung an das, was dann geschehen war, stieg immer wieder in ihm auf. Er musste sich alle Mühe geben, gelassen und ruhig zu bleiben.
Alles war wie immer gewesen, bis er auf die Veranda trat. Er hatte auf den See hinausgeblickt und an Eve gedacht.
Sehen.
Hören.
Öffnen.
Was zum Teufel war das?
»Hallo, Joe.«
Er fuhr herum und blickte auf die Verandaschaukel.
Dort saß mit angezogenen Knien ein kleines Mädchen. »Ich wollte schon so oft kommen, um dich kennenzulernen, aber es ging nicht. Ich bin so froh, dass ich es jetzt kann.«
Im dämmrigen Licht auf der Veranda war sie nur schemenhaft zu erkennen, aber sie konnte nicht älter als sieben oder acht sein. Das nächste Haus war meilenweit entfernt. Wie war sie hierhergekommen?
»Wer bist du?«, fragte er. »Was machst du hier? Wo ist deine Familie?«
»Sie kommt bald. Aber du bist auch meine Familie, Joe. Du hast mich so lange ausgeschlossen, aber jetzt ist etwas … passiert. Jetzt bist du offen für mich.«
Sehen. Hören. Öffnen.
»Ja, das stimmt, Joe.«
»Nein, das stimmt nicht. Das ist Unsinn. Du solltest heimgehen. Deine Eltern machen sich bestimmt schon Sorgen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du weißt, dass es nicht so ist. Du weißt, wer ich bin.«
»Verdammt, das weiß ich nicht!« Die Strahlen der Morgensonne ließen die Dunkelheit um die Verandaschaukel zurückweichen und die roten Locken und das kleine Gesicht des Mädchens leuchten. Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Das war verrückt. Und dennoch kam er sich gar nicht verrückt vor. Er empfand ein ganz merkwürdiges Gefühl von … Frieden. »Wer bist du?«
»Es wird alles gut werden, Joe. Das verspreche ich dir.«
»Wer bist du?«
Inzwischen wurde sie vom Sonnenlicht umgeben wie zuvor von der Dunkelheit, und das Bugs-Bunny-T-Shirt, das sie trug, war gut zu erkennen.
»Aber Joe.« Ihr strahlendes Lächeln berührte ihn, umfasste ihn, umhüllte ihn mit Liebe. »Ich bin Bonnie.«
Wahnsinn.
Das friedliche Gefühl war augenblicklich verschwunden, er hatte sich umgedreht und war voller Panik die Stufen der Veranda hinuntergerannt.
Das geschah nicht wirklich. Das war eine Halluzination. Es war verrückt, und es gab keinen Grund für dieses friedliche … Sein Herz raste. Warum hatte er Angst? Doch nicht vor dem kleinen Mädchen auf der Schaukel. Sie war nicht real.
Geisteskrankheit. Er hatte entsetzliche Angst vor einem Nervenzusammenbruch, und darum geriet er so in Panik. Er hatte Realität und Phantasie immer so sicher unterscheiden können. Das war das Fundament seiner Persönlichkeit, und nun begann diese Basis zu wackeln, zu bröseln.
Er zwang sich zu einem Blick nach hinten auf die Schaukel. Kein kleines Mädchen mit strahlendem Lächeln. Seine Anspannung ließ etwas nach. Er war noch immer erschüttert und erschrocken, aber die erste Panik war weg. Er hatte es doch gewusst, es war nur eine momentane Verwirrung gewesen, die nicht wiederkehren würde.
Dessen war er sich auch jetzt noch sicher, während er auf den Allatoona-See zufuhr. Das war kein geisterhafter Besuch von Eves Tochter gewesen. Stress, die Anstrengungen der letzten Tage und seine Phantasie hatten ihn ein paar Minuten lang in die Irre geführt. Aber jetzt tat er wieder das, was er am besten konnte, und sogar der Gedanke an Bonnie verschwand allmählich.
Ein paar Minuten später hielt er hinter dem Van des Gerichtsmediziners. Zurück in seiner Wirklichkeit. Nicht angenehm. Oft grauenvoll.
Heute war er froh darüber.
Er stieg aus dem Wagen, bückte sich unter dem gelben Band durch und ging hinunter ans Ufer, wo schon Detective Gary Schindler stand.
»Scheußlich.« Schindler drehte sich zu Joe um, als dieser näher kam. Mit einem Kopfnicken deutete er auf das Mädchen, das in ein paar Metern Entfernung von einem Spurensicherungsteam untersucht wurde. »Sie war noch ein Kind.«
»Nackt. Wissen wir, ob sie vergewaltigt wurde?«
»Noch nicht. Sie trug Jeans und ein rotes Sweatshirt mit einer Aufschrift der University of Georgia. Ihre Kleider lagen unter dem Baum da drüben. Sehr ordentlich zusammengelegt. Auch ihr Körper und die Haare waren sorgfältig arrangiert.« Schindler schwieg einen Moment. »Ein Ritualmord?«
»Könnte sein.« Joe trat vorsichtig einen Schritt vor, um sie genauer anzusehen. Das arme Mädchen. Ihre Augen waren geschlossen, aber das Gesicht war in Panik verzerrt. »Ihr wurde die Kehle durchgeschnitten.«
»Auch das sehr ordentlich«, sagte Schindler. »Ein sauberer Schnitt durch die Drosselvene, hat der Gerichtsmediziner gesagt. Ihre Handgelenke tragen Fesselspuren. Offenbar war sie vor oder während des Mordes gefesselt.«
»Nicht genug Blut für so eine Wunde.«
Schindler nickte. »Doch, da war Blut. Aber der Scheißkerl hat saubergemacht, damit sie hübsch aussieht. Abgesehen von dem Kelch. In dem Kelch hat er Blutspuren hinterlassen.«
Joes Kopf fuhr hoch. »Ein Kelch?«
»In der rechten Hand.« Schindler deutete darauf. »Halb unter dem Körper, aber sie hält eine Art Kelch aus Gold oder Messing. Ich glaube, er ist verziert. Wir können sie nicht bewegen, bevor die Forensiker fertig sind, aber man kann das Blut auf der Innenseite des Bechers erkennen. Darum vermute ich einen Ritualmord.«
Joe erstarrte.
Ein goldener Becher, über und über verziert, hatte Eve gesagt.
Joe kauerte sich auf den Boden, um den Kelch in Nancy Jo Norris’ Hand besser sehen zu können.
Das Gold glitzerte im Licht der Morgensonne. Er konnte nicht erkennen, was sie darstellten, aber es befanden sich ganz offensichtlich Gravuren auf dem Kelch.
Mist.