4. Entdeckungen


Wie es die neu zusammengesetzte Verwaltungsbehörde einen Monat nach dem Wahlsieg des australischen Premierministers versprochen hat, bekommt der Mann mit den eigenartigen grünen Brillen die gewünschten Einladungen und Flugtickets. Er wird zusammen mit elf Partnern der Kooperative ein paar Tage lang am Großen Barriereriff tauchen, bevor sie mit einem Geländewagen auf der Halbinsel York, Queensland, eine Abenteuerfahrt unternehmen werden. Es ist das übliche »Eine Hand wäscht die andere«-Arrangement: Die Kooperative ist ein mächtiges Konsortium von sechs multinationalen Konzernen. Im Austausch gegen gewisse Ein- und Ausfuhrprivilegien erhält die Regierung eine Reihe von Finanzspritzen. Ähnlich wie diejenige, die am Ende des Wahlkampfes dem damaligen Herausforderer und jetzigen Premierminister zugute gekommen ist.


Dieser Premierminister agiert nicht so schnell wie der vorige. Es dauerte eine Weile, bis er seine Rolle als Beschützer der Interessen der Kooperative verstand. Man konnte es ihm erst richtig begreiflich machen, als man mindestens zehn Prozent Wachstum des Bruttonationalproduktes versprach, wenn die Forschungseinrichtungen der Kooperative im Northern Territory genehmigt würden. Davon würde auch seine Popularität bei der nächsten Wahl wesentlich profitieren. Dieses Argument verstand er.

Der Führer der Kooperative schlug auch vor, dass der Premierminister inoffiziell mit dem US-Präsidenten sprechen sollte, mit dem sie eine ähnlich vorteilhafte Beziehung während der letzten US-Wahl im Jahre 2012 etabliert hatten. Der Chef der Kooperative wusste, dass der Premierminister den Ehrgeiz hatte, sich von seinen Vorgängern entscheidend abzuheben, und das Wissen um diese Eitelkeit gab der Kooperative die Macht, den Politiker zu ihrem eigenen Vorteil einzusetzen.


18. Dezember 2013

Südkalimantan, Indonesien, Borneo

Der Sicherheitsgurt drückt Mandi unangenehm an der Schulter, als der Truppentransporter über den holprigen Fahrweg wackelt. Asep, Geologe der entlegenen Senaggin-Mine, versucht – so gut es geht – den Schlaglöchern auszuweichen, aber es sind so viele, dass er unweigerlich immer wieder eines erwischt. Die mit Wasser gefüllten Löcher sind groß genug, um darin ein Rad zu verlieren. Roter Schlamm spritzt auf die Windschutzscheibe. Immer, wenn Asep die Scheibenwaschanlage betätigt, verrührt der Scheibenwischer alles zu einem blasigen Schmutzgemisch.

Die Regenzeit hat heuer so heftig begonnen wie schon seit Jahren nicht mehr. Seit Mandi vor ein paar Tagen angekommen ist, gab es jeden Nachmittag starke Schauer. Alle Sekundärgruben der Mine wurden überflutet, sodass der Abbau nur noch in der wichtigsten Kohlegrube weitergehen kann. Und sogar dort hat das Wasser den Untergrund so aufgeweicht, dass die großen Maschinen langsam ins Rutschen kommen. Gestern machte der Regen aber eine Pause und Mandi hofft, dass es auch heute trocken bleiben wird.

Trotz des miesen Straßenzustandes genießt Mandi die Fahrt. Sie liebt das Wilde und das Gefühl des Ausgesetztseins. Der Weg ist breit genug, dass zwei der schweren Transporter mit 160 Tonnen Nutzlast aneinander vorbeifahren können. Die Straße wird von einer steilen, matschigen Erdböschung begrenzt. Dahinter beginnt der Dschungel, eine dichte, ineinander verwobene Wand aus Grün. Ein Affe wird von der Straße aufgescheucht, zieht sich behände an einer Wurzel die Böschung hinauf und bringt sich schnell im Dickicht in Sicherheit. Oben sitzend beobachtet er dann neugierig die vorbeiziehenden Laster.

Mandi und Asep sind unterwegs zum westlichen Randgebiet des Bergbaugebietes. Das Wetter hier in Kalimantan ist unglaublich: Wenn es regnet, dann schüttet es gleich wie aus Eimern, sodass ein Fortkommen auf der Straße schnell unmöglich wird. Schmale Wasserläufe schwellen in kürzester Zeit zu reißenden Sturzbächen an. Immer wieder erzählt man von »Wasserwänden«, die eine Straße heruntergeschossen kommen und alles fortreißen, was sich ihnen in den Weg stellt. Der Regen wäscht die Straßenböschungen aus, sodass große Bäume unterspült werden und schließlich auf die Straßen niederdonnern. Aber so schnell, wie das Wasser kommt, so schnell geht es auch wieder: Der Regen hört auf, und die Sonne kommt heraus, fast so, als ob der Regisseur der Verwüstungen sich an den Auswirkungen ergötzen möchte.

Aus dem dichten Urwald sieht Mandi ein paar Rauchsäulen aufsteigen. Sie münden in die dunklen Wolken, die sich immer stärker zusammenbrauen und Gewitter ankündigen.

Mandi wundert sich, wie die Menschen hier leben können. Die Dschungeldecke lässt keine Unterbrechung erkennen, die auf Straßen oder größere Ansiedlungen hinwiesen würde. Dennoch weiß Mandi, dass es Dörfer im Dschungel gibt; auch heute sind sie schon durch ein paar kleinere Siedlungen gekommen, die man hier Kampungs nennt.


Herbs Anruf von letzter Woche kommt Mandi wieder in den Sinn. Der Anruf, der dazu geführt hat, dass sie nun hier ist. Herb klang gedrückt. Er ließ den üblichen Austausch von Freundlichkeiten aus und kam direkt zum Thema: »Mandi, ich muss ins Spital – Bypassoperation. Sie machen noch ein paar Untersuchungen und übermorgen komme ich dran …«

Nachdem er Mandis Schwall von Fragen zu den medizinischen Details beantwortet hatte, fuhr er fort: »Ich habe ein Projekt laufen, das ich nicht weiter betreuen kann. Interessant, aber nicht einfach. Es geht um einen Kohlebergbau in Indonesien. Die Beteiligten sind indonesische Politiker, das Militär und die lokalen Behörden – aber es gibt auch Geldgeber in aller Welt. Das Projekt ist sehr wichtig – das Ergebnis wird entscheidend für den Entspannungsprozess im asiatisch-pazifischen Raum sein. Wenn du übernimmst, mache ich noch schnell ein paar Anrufe, damit du die nötigen Visa und Reisegenehmigungen bekommst. Mandi, ich weiß, dass du das schaffen kannst. Aber ich weiß auch, dass du eigene Pläne hast …«

Wenn Mandi an die Urlaubspläne denkt, die sie mit Alan geschmiedet hat, bohrt in ihr das Gefühl der Schuld. Sie hat aufgehört zu zählen, wie oft sie einen Urlaub mit ihm aufgeschoben oder abgesagt hat. Alan hat sich nie beschwert, aber Mandi hat gespürt, dass sein Verständnis für das dauernde Verschieben schwindet. Erst kürzlich hat sie ihm versprochen sich zu bessern … aber sie war in einer misslichen Lage … nur ein paar Wochen … und es wäre beruflich für sie eine wichtige Herausforderung … ob er nur ein weiteres Mal Verständnis zeigen könnte?


Da tritt Asep voll auf die Bremse und Mandi wird aus ihren Gedanken gerissen. Er schreit etwas auf Indonesisch und reißt an Mandis Sicherheitsgurt. Erst jetzt nimmt sie den Rauch wahr, der seitlich an der Motorhaube des Wagens hochringelt. Hastig springen sie aus der Fahrerkabine und lassen sich im Schlamm seitlich von der Straße hinunterrutschen. Ein paar Meter neben dem Fahrzeug liegend hört Mandi die Kabel unter der Motorhaube knistern. Funken sprühen. Asep ist inzwischen zurück zum Wagen, hat sich den Feuerlöscher geschnappt und die Motorhaube aufspringen lassen. Als er versucht sie hochzuheben, verbrennt er sich die Finger. Mandi läuft hin, um ihm zu helfen, nimmt den Feuerlöscher, den er fallen gelassen hat, und versucht von vorne durch den Kühlergrill zu löschen. Als es ihnen schließlich gelingt die Motorraum zu öffnen, ist es zu spät. Damit werden sie nirgends mehr hinfahren.

Mandi steigt ins Auto um den Erste-Hilfe-Koffer für Asep zu holen. Beim Griff unter den Sitz bemerkt sie, dass die Verdrahtung des Funkgerätes herausgerissen ist; das muss wohl Asep beim hektischen Griff nach dem Feuerlöscher passiert sein. Als Asep das Missgeschick bewusst und ihnen klar wird, dass sie per Funk niemanden um Hilfe bitten können, hebt er vorsichtig die verbundene Hand und deutet die Straße nach oben: »Da Dorf.«


Also marschieren Mandi und Asep los in Richtung Dorf. Asep hält unbeholfen sein Hände vom Körper weg, Mandi hat sich ihren Rucksack über eine Schulter geschwungen.

Schon nach wenigen Schritten sind Mandis Stiefel dick von rotem Schlamm bedeckt und das Gehen wird anstrengend, als ob sie schwere Gewichte an die Beine gebunden hätte. Eines ist sicher: Diese Reise, wie kurz auch immer, wird das Training mehr als kompensieren, das sie vor über einem Monat aufgegeben hat.

Nach einer halben Stunde fühlen sich Mandis Beine wie Holzpfosten an. Sie muss an ihr Training denken, das sie immer mittwochs in Fremantle absolvierte. Der Kurs in Ashtanga-Yoga hat ihr Spaß gemacht – warum hat sie nur damit aufgehört? Die Kursbeschreibung hatte sie amüsiert und neugierig gemacht: ‚Die etwas andere Art von Yoga – Das Arschtritt-Yoga‘ hatte es geheißen. Sie beschloss den Kurs zu versuchen. Sie fand den Gruß an die Sonne und die Dehnungen durchaus belebend. Aber, wenn sie ganz ehrlich sein sollte, der wirkliche Grund weiterzumachen war Alan, auch ein Anfänger. Er fühlte sich nicht wohl zwischen all den Frauen, aber er kam immer wieder. Später fand Mandi heraus, dass er deswegen kam, weil sie beide den gleichen Sinn für Humor hatten. Sehr oft, wenn sie ganz ruhig eine balancierte Stellung halten sollten – zum Beispiel einen »Baum« –, verlor sie das Gleichgewicht, weil sie über einen seiner Witze lachen musste.

Als sie sich auch außerhalb des Yogakurses trafen, war es bald so, dass sie außer für ihre Forschung, ihr Consulting und Alan für absolut nichts anderes mehr Zeit hatte.


»Zeit. Im Endeffekt geht es immer um Zeit. Ich werde wieder mit den Übungen beginnen, wenn ich zurück bin. Ich nehme mir einfach die Zeit«, schwört sich Mandi.

Bei ihrem Marsch wird Mandi bewusst, dass es einen großen Unterschied macht, ob man den Fahrweg durch den Dschungel entlangfährt oder -geht. Sie sieht jetzt ganz andere Dinge. Der dichte Wald zum Beispiel ist eben keine einheitliche Wand aus fleckigem Grün. Eher schon ein kompliziert verwobener Vorhang. Es gibt feines Blattgeranke mit zierlichen purpurnen Blüten, aber auch große, glänzende Blätter, die man leicht für Hände von grünen Riesenmonstern halten könnte. Und Unmengen von grellroten Libellen, die zwischen den Pflanzen herumschießen.

Schweißgebadet nähern sich Mandi und Asep nach einer Stunde einem kleinen Dorf. Längst haben sie die letzte Wasserflasche geleert, die Mandi in ihrem Rucksack mitgenommen hatte. Die Kinder des Dorfes haben sie bereits entdeckt und umringen sie aufgeregt. Für Mandi ist der laute Chor ihres »Hello Mister!« eine willkommene Abwechslung nach dem ständigen, durchdringenden Lärm der Dschungelzikaden. Sie blickt in die Gesichter der Kinder, die neben ihnen her hüpfen und ernst zu ihnen aufblicken. Erst als Mandi sie anlächelt, kommt als Antwort ein schrilles Lachen zurück.


Der Kontrast zwischen Mandi und den Kindern ist unübersehbar. Auf dem Weiß von Mandis Gesicht und Hals zeigen sich rote Hitzeflecken, sogar ihre Augen sind von der Sonne gerötet. Ihr braunes Haar, das sonst sanft gewellt ihre Schultern umgibt, klebt an Stirn und Nacken. Im Gegensatz dazu ist die Haut der Kinder tiefbraun und ihre schillernden Augen heben sich deutlich davon ab. Die Gesichter der Mädchen sind eingefasst von den gestärkten weißen Kopfbedeckungen der Muslime, sodass ihre Gesichter wie gerahmte Fotos wirken. Die Kinder tragen Schuluniformen in Weiß und Rotbraun. Mandi lächelt noch einmal, lässt ihren Blick aber dann schnell über das Dorf schweifen. Sie sucht ein Plätzchen zum Ausrasten und auch etwas zu trinken wäre nicht schlecht.

So wie vorhin die Kinder, so tauchen jetzt einige Männer wie aus dem Nichts auf. Sie begrüßen Asep mit herzlichen Umarmungen und begleiten ihn die Straße weiter. Hoffentlich kann Asep irgendwie das Lager kontaktieren, denkt Mandi. Sie hätte eine Dusche nötig.

Eine Frau in einem langen Rock nähert sich aus einem kleinen Holzhaus und nimmt Mandi am Arm. Eine andere Frau bringt einen Plastikstuhl. Mandi setzt sich und nimmt dankbar eine Getränkedose entgegen. Wenn der Drink auch nicht kalt ist, wie sie gehofft hat, wenigstens ist es etwas zu trinken! Nach wenigen Minuten ist Mandi von einer ganzen Gruppe von Frauen umgeben. Sie tragen saubere, ordentlich gebügelte, lockere Röcke und Blusen. Und Lippenstift, grellroten Lippenstift. »Sie sind sehr gepflegt und schön«, denkt Mandi. »Ich könnte denken, ich bin in Jakarta, Singapur oder Hongkong, nicht in einem kleinen Dschungeldorf.«

So wie die Kinder sehen ihr auch die Frauen direkt in die Augen. Als Mandi ihre Blicke erwidert, zeigen sie keine Scheu und starren sie weiter an. Aber wenn Mandi lächelt, lächeln sie jedes Mal schnell zurück. Jemand reicht ihr eine große Schüssel mit gelbem Reis und einem Spiegelei obenauf. Mandi ist es unangenehm beim Essen beobachtet zu werden; sie hat die Kunst der indonesischen Art zu essen noch immer nicht gemeistert: kleine Mengen Reis zu schaufeln und gleichzeitig mit der rechten Hand das Gemüse fein zu schneiden, ohne sich das meiste davon auf den Schoß zu schütten. Im Lager des Bergwerks gibt man ihr Löffel, Gabel und Messer, hier bekommt sie nur einen gehäuften Teller ohne diese Extras. Schließlich schafft sie es, etwas in den Mund zu bekommen; sie kaut gewissenhaft und schluckt. Plötzlich schießen ihr die Tränen in die Augen. Sie öffnet den Mund und fächelt sich Luft zu.

»Oh Gott, ist das scharf!«, japst Mandi und schluckt gierig etwas von dem Getränk. Die Frauen und Kinder lachen und ein Stimmengewirr erfüllt die Luft.

Jetzt wird ein zweiter Stuhl gebracht, für Asep, der gerade mit einer kleinen Männergruppe daherkommt. Auch er bekommt eine Schüssel mit Reis und Ei und isst genüsslich. Die Frauen stoßen sich lachend in die Seiten, die Kinder kichern amüsiert. Mandi gelingt es, nur wenig von dem scharfen Reis zu essen, indem sie ihn mit dem Ei mischt.

Als Mandi in die Menge sieht, die sie umgibt, bemerkt sie einen kleinen Buben, der etwas abseits steht. Er hält sich im Schatten eines Hauses verborgen; trotzdem entgeht Mandi nicht, dass er auffällig zuckt und nervös zappelt. Als er aufblickt, hält Mandi unwillkürlich den Atem an: Sein Gesicht passt auf merkwürdige Weise nicht zum Rest seines Köpers – während sein Körper die Größe eines Kindes aufweist, wirkt sein Gesicht wie das eines alten Mannes; seine Stirn ist stark von Falten zerfurcht. In einer Art Selbstgespräch scheint er heftig mit jemandem zu streiten, obwohl niemand in seiner Nähe ist.

Mandi erhebt sich, drängt sich sanft durch die Menschen und geht auf den Buben zu. Als sie näher kommt, blickt er zu ihr auf. So wie die anderen Dorfbewohner hat auch er dunkle, schokoladefarbene Augen. Für einen kurzen Moment macht sein Zucken eine Pause und seine Stirnfurchen glätten sich ein wenig. Sein neugieriger Blick unterscheidet sich nicht von dem der anderen Kinder, aber der Blickkontakt währt nur kurz. Schon suchen sich seine Augen in ruheloser Nervosität ein anderes Ziel und sein Körper hat das sinnlose Zucken wieder aufgenommen. Die Falten stehen ihm wieder im Gesicht und er läuft auf der Straße davon.

Mandi folgt dem Buben, bis er auf einem schmalen Pfad in den Dschungel verschwindet. Etwas ratlos kehrt sie langsamen Schrittes zu der Gruppe zurück, die inzwischen merklich kleiner geworden ist. Asep bricht schließlich das unangenehme Schweigen: »Morgen Auto neu. Nacht hier.«

Mandi lächelt Asep und die Frauen dankbar an: »Terima kasih17.« Asep bedankt sich ebenfalls bei den Frauen und gibt ihnen für das Essen ein paar Tausend-Rupien-Scheine18. Dann gehen Mandi und Asep die gesamte Länge der Hauptstraße des Dorfes entlang: zwölf auf Pfählen erbaute Häuser, ein Geschäft auf Pfählen und eine weiß getäfelte Moschee. Mandi kommt sich vor wie der Rattenfänger von Hameln: Zwei Mädchen halten ihre Hand und hintennach folgt eine kleine Prozession von hüpfenden, rennenden, lachenden Kindern.

17 »Danke« in Bahasa-Indonesisch.

18 Zurzeit entsprechen 1.000 Rupien etwa 12 US-Cent.

Es gibt auch ein paar »traditionelle« Häuser; na ja, Mandi nennt sie halt »traditionell«. Es sind solche Häuser, die Mandi von ihren Fahrten durch das Land kennt: blassgraue, abgewohnt wirkende Holzhäuser. Aus der Nähe betrachtet wird es Mandi allerdings klar, dass die Häuser keineswegs alt sind, sondern das unbehandelte Holz nur durch die intensive tropische Sonne schnell verwittert. Die Häuser sind auf dünnen Pfählen errichtet, nur knapp über den beständigen Wasserpfützen. Aus dem schmutzigen Wasser ragen Plastikflaschen, künstliche Inseln, von Insektenschwärmen umschwirrt. Wenn unter einem Haus ausnahmsweise keine Pfütze steht, dann scharren dort Hühner im Dreck. Hoch aufragende Kokospalmen werfen ihren Schatten auf viele der Häuser. In den kleinen Gärten hinter den Häusern stehen Obstbäume, die sich unter der Last der Früchte biegen: dichte Bananenbüschel und Papayas von Melonengröße. So große Früchte hat Mandi noch nie gesehen!

Asep bleibt vor einem Haus stehen – eines, das Mandi als »nicht traditionell« klassifiziert. Es ist, so wie die beiden anderen »nicht traditionellen« Häuser des Dorfes, frisch gestrichen, in einem Stahlblau mit pastellblauen Fensterrahmen. Im Unterschied zu den traditionellen Häusern, die lediglich hölzerne Balken als Hitzeschutz aufweisen, hat dieses Haus gläserne Fenster. Auch dieses Haus steht auf Stelzen im Wasser, allerdings sind seine Pfähle etwas höher als die der anderen Häuser. An der Eingangstreppe steht eine schöne Frau in einer lockeren, bunten Batikbluse und einem langen Rock. Sie grüßt Asep und Mandi freundlich und lächelt mit ihren vollen, roten Lippen.

»Nama saya Anisa19«, sagt sie, schüttelt Mandis Hand und führt dann ihre Hand schnell zum Herz.

»Dr. Amanda Webber«, stellt Asep Mandi vor. »Bitte nenne mich Mandi«, sagt Mandi. Als Asep der Frau das übersetzt, muss diese kichern.

Auch Mandi lacht und sagt: »Schon gut, ich weiß. Ich weiß, Mandi bedeutet ‚Bad‘, ‚Dusche‘ oder ‚Toilette‘ auf Indonesisch, und das findet ihr komisch. Wenigstens weiß ich, dass ihr meinen Namen nicht so schnell vergessen werdet!«

Asep sieht Mandi verwirrt an, er kann ihren schnell hingeworfenen Monolog nicht übersetzen. Mandi lächelt nur zurück und versichert ihm, dass alles okay ist, eine Übersetzung sei nicht notwendig.

19 »Ich heiße Anisa« in Bahasa-Indonesisch.

Asep verabschiedet sich von den beiden Frauen und Anisa führt Mandi die Holztreppe empor zum Haus. Auf der Veranda ziehen sie die Schuhe aus: Mandis schlammverkrustete Wanderstiefel wirken sehr derb neben Anisas zarten Sandalen. Mandi hat Hemmungen ihre schmutzigen Schuhe auf den sauberen, weißen Fliesenboden zu stellen, aber Anisa nickt ihr zu, dass es in Ordnung sei.

Das Haus, das Mandi jetzt betritt, ist leer. Anisa rollt eine gewebte Matte auf, auf die sich Mandi setzen soll, dann verschwindet sie in einen angrenzenden Raum. Mandi sieht sich um. Es gibt nicht nur keine Möbel, es gibt auch keinerlei Dekoration – keine Fotos, keine Bücher, kein Schnickschnack. Dieses Heim kontrastiert stark mit Mandis eigener gemütlicher Wohnung in Fremantle, die überquillt von Reiseandenken, Fotos, Büchern und Zeitschriftenartikeln.

Anisa kommt mit zwei Gläsern Tee zurück und einem Teller, auf dem sich kleine, süße Bananen von der Staude vor dem Haus stapeln. Mandi liebt den schwarzen Tee, der sehr süß serviert wird, und ist auch für die Bananen dankbar, denn von ihrem scharfen Mittagessen hat sie ja nicht viel gehabt.

Ungefähr eine halbe Stunde vergeht, während der sich die beiden Frauen mühsam mit Handzeichen verständigen. Mandi hat über Anisa herausgefunden, dass sie 24 Jahre alt ist und zwei Kinder im Alter von zwei und vier Jahren hat. Anisa hat über Mandi erfahren, dass sie Australierin ist, unverheiratet, keine Kinder. Die beiden letzten Tatsachen scheinen Anisa zu schockieren und zu verblüffen. Mandi hat weder einen Mann, noch Kinder!?


Als die Dämmerung hereinbricht, teilt Mandi mit, dass sie nach draußen gehen möchte. Sie ist überrascht, eine Anzahl von Leuten auf der Straße zu sehen. Eine Gruppe »Hello Mister« schreiender Kinder läuft vorbei, Fahrradreifen mit einem Stecken vor sich her treibend. Riesige Kipplaster stehen neben einigen der Häuser, Frauen schlendern plaudernd die Straße entlang, kleine Kinder auf der Hüfte balancierend. Einige Frauen nehmen ein »Kübelbad« neben ihren Häusern – sie klemmen ihre Sarongs sicher unter den Arm, schöpfen mit kleinen Kübeln Wasser aus großen Regentonnen und schütten es sich über den Kopf, nachdem sie sich mit grünen Seifenstücken eingeseift haben.

Die Männer stehen auf der Straße rund um kleine Karren, auf denen verschiedene Speisen serviert werden: Nudeln, Reis, Huhn und Gemüse. Sie essen, tratschen und rauchen. Der Rauch der billigen Zigaretten steigt hoch und vermischt sich mit dem Rauch der kleinen Feuer, auf denen Maiskolben gebraten werden. Das Abendlicht taucht die gewaltigen Palmwedel der umgebenden Bäume und das Dickicht des Dschungels in einen goldenen Glanz.

Mandi geht auf das Warung, ein kleines Geschäft, zu. In dem Laden sieht man Stapel von grüner Seife, Dutzende Packungen von Zweiminutennudeln und Reihe auf Reihe von Trinkwasserflaschen. Quer durch den Raum hängen in durchsichtige Plastikbeutel gefüllte rosafarbene, orangerote und purpurne Süßigkeiten, wie Christbaumschmuck arrangiert. Auf einer Glasvitrine stehen gut versiegelte Plastiktassen mit grellroter, grüner und gelber Götterspeise.

Mandi verlässt den Laden mit einer Einkaufstasche voll mit guten Sachen. Sie beschließt das örtliche »Nachtleben« auszulassen – ihr Kopfschmerz, sonst wie ein dumpfes Schlagen im Hintergrund, ist zu einer hämmernden Migräne geworden. Ihr Sehvermögen beginnt sich auch schon einzuschränken. Mandi macht den heutigen langen Marsch durch die Hitze für die Migräne verantwortlich und glaubt, die Sehprobleme würden von den kleinen Feuern verursacht, deren Rauch immer dichter wird.

Sie geht zu Anisas Haus zurück und ist glücklich, sich endlich niederlegen zu können. Durch die dünne Liegematte kann sie die Kühle des Bodens spüren und die Haut an ihren sonnenverbrannten Armen entspannt sich. Sie schläft schneller ein, als sie wollte – sie hat gehofft noch wach zu sein, wenn Anisas Familie nach Hause käme.


Ihr unruhiger Schlaf führt sie durch einen irritierenden Traum: Vor ihr steht der kleine Bub, dem sie gefolgt ist. Aber jetzt ist sein Gesicht im Schatten vollkommen unsichtbar. Als sie ihre Arme nach ihm ausstreckt, ist er auf und davon. Sie jagt ihm durch dichten Dschungel nach, sie will unbedingt mit ihm sprechen und ihm dabei ins Gesicht sehen. Zweige schlagen ihr ins Gesicht, Ranken und Wurzeln schlingen sich um ihre Füße. Urplötzlich endet der Dschungel und sie kann gerade noch am Rand einer Felsklippe anhalten. Vor ihr tut sich ein dunkler, tiefer Abgrund auf. Sie blickt hinunter und sieht den Buben. Er fällt und fällt. Im Fallen dreht er sich, da kann sie sein Gesicht sehen. Aber sie sieht nicht das Gesicht des Buben – sie sieht ihr eigenes Gesicht!

Mandi sitzt kerzengerade und schlägt die Zweige weg, die sie immer noch vor ihrem Gesicht fühlt. Es ist das Moskitonetz, das sie spürt – es hat sich durch ihr wildes Umsichschlagen komplett aus seiner Befestigung gelöst und ist auf sich herabgefallen. Jetzt ist Mandi hellwach – mit angespanntem Körper und weit aufgerissenen Augen blickt sie panisch um sich.

Im Haus ist es ruhig. Durch den dünnen Vorhang wirft das Mondlicht kleine Muster auf Mandis Rucksack. Sie versucht ihren Atem zu beruhigen und legt sich wieder hin. Ihre schweißnasse Bluse klebt ihr unangenehm kalt am Rücken. Sie blickt auf die Uhr: 4 Uhr. Mit einer Technik aus dem Ashtanga-Yoga versucht Mandi ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen, aber vergeblich – sie kann nicht mehr einschlafen.

Um 5 Uhr gibt sie es auf und beschließt einen Spaziergang zu machen. Feiner Nebel hängt in der Luft und macht sie dick und kühl. Auf der Straße ist es unheimlich ruhig, nur aus manchen Häusern sind schwache Bewegungen wahrzunehmen. Der schwere Geruch von kaltem Speiseöl hängt in der Luft. Mandis Gedanken kreisen. Was hat ihr Traum zu bedeuten? Warum bedrückt sie diese Sache so sehr? Nur wirre Bilder, verursacht durch Flüssigkeitsmangel und zu viel Sonne. Aber so leicht kann sie sich nicht von ihnen lösen. Das Bild des kleinen Buben geht ihr nicht mehr aus dem Kopf.

Da! Wie durch ihre Gedanken heraufbeschworen flitzt er ein paar Häuser weiter quer über die Straße. Der kleine Bub! Mandi rennt los, aber er ist wieder zu schnell. Er läuft zwischen den Häusern, um die Pfützen und Mandi versucht ihm zu folgen. Aber schon bald ist er wieder irgendwo im Dunkel verschwunden. Der Gestank des fauligen Wassers treibt Mandi zurück auf die Straße.


Eine einsame Gestalt steht auf der anderen Straßenseite. Als Mandi auf sie zugeht, erkennt sie, dass es eine Frau ist, und obwohl Mandi sicher ist, am Vortag alle Frauen des Dorfes kennen gelernt zu haben, ist ihr diese Frau unbekannt. Sie ist barfuß, ungeschminkt und trägt saubere Kleidung, die um ihren mageren Körper schlottert. Sie geht Mandi entgegen und deutet wiederholt von sich in Richtung Kind.

»Oh, es ist also Ihr Kind?«, fragt Mandi.

Die Frau spricht sanft, aber sehr schnell. Die offensichtliche Dringlichkeit ihrer Botschaft macht Mandi unruhig, da sie sie nicht verstehen kann. Mandi deutet auf Anisas Haus und winkt der Frau, ihr dorthin zu folgen. Vielleicht braucht sie Hilfe, ihren Buben zu finden? Doch die Frau schüttelt bestimmt den Kopf – sie will etwas anderes mitteilen. Sie nimmt Mandi an der Hand und zieht sie mit sanftem Nachdruck.

Mandi folgt der Frau zurück, an dem Dorfladen vorbei, in die Richtung, in die der Bub verschwunden ist. Am Rande des Dschungels zögert sie kurz. Soll sie sich wirklich mitten in der Nacht im Urwald einer Unbekannten ausliefern?

Der Pfad ist nass, aber begehbar. Die Zweige sind zurückgeschnitten und der Weg selbst halbwegs in Ordnung. Die Morgendämmerung ist zwar inzwischen angebrochen, aber unter dem dicken Blätterdach ist es trotzdem noch sehr schummrig. Je weiter sie in den Wald vordringen, umso fester hat die Frau Mandis Hand im Griff; sie führt sie umsichtig durch das Dickicht. Der Pfad ist jetzt immer schwerer auszumachen, sie müssen immer wieder einen Bogen um umgefallene Bäume herum machen und sich unter tief hängenden Ästen durchzwängen.

»Ihr Haus kann nicht mehr weit sein«, denkt Mandi.

Nach weiteren 20 Minuten bleibt Mandi stehen und protestiert, aber die Frau beharrt unnachgiebig darauf weiterzugehen. Wieder vergehen 40 Minuten, bevor sie eine Stelle erreichen, wo sich das Blätterdach etwas lichtet.

Mandi bleibt stehen. »Wohin bringen Sie mich?«, fragt sie fordernd. Sie ist müde und hat es satt, ständig Moskitos abzuwehren und durch den finsteren Dschungel zu stolpern. Und wenn sie noch weiterginge, würde sie wahrscheinlich ohne die Hilfe der Frau nicht mehr zurück zum Dorf finden. Mandi wendet sich um und schickt sich an zurückzugehen.

Wieder ergreift die Frau fest Mandis Arm und redet eindringlich auf sie ein.

»Ich kann nicht verstehen, was du sagst«, schreit Mandi sie ungeduldig an. »Auch wenn dein Sohn da draußen ist, ich kann dir nicht helfen ihn zu finden!«

Die Frau hat aufgehört zu sprechen. Sie macht eine Geste, die vielleicht »telefonieren« bedeuten könnte, und deutet dann auf ihre Schläfen und ihr Gesicht. Sie wiegt die Arme, als ob sie ein Baby halten würde, und zeigt dann in eine Richtung: vom Dorf weg. Leidenschaftlich und mit großer Bestimmtheit sprudeln jetzt wieder die Worte aus ihr hervor. Aber ebenso schnell bricht ihr Wortschwall wieder ab.

Die Frau macht einen Schritt auf Mandi zu und nimmt sie an beiden Händen. Wortlos blickt sie ihr in die Augen. Mandi versteht nicht, warum sie darauf besteht weiter vom Dorf weg zu gehen, aber es ist offensichtlich, dass die Frau verzweifelt ist. Das genügt Mandi, um sich umstimmen zu lassen. Sie zeigt auf sich selbst und sagt: »Mandi.«

Das Gesicht der Frau entspannt sich. Lächelnd antwortet sie mit der gleichen Geste: »Elly.«

Die beiden nehmen ihren Marsch wieder auf. Eine weitere Stunde ist vergangen, als Elly Mandi ein Zeichen gibt stehen zu bleiben. Elly läuft weiter und verschwindet im dichten Unterholz. Mandis Gedanken rasen, während sie um sich blickt. Der Weg, den sie gegangen sind, ist stark verwachsen, aber immerhin erkennbar. Sie sieht nach oben zum grünfleckigen Blätterdach, das sie vom Sonnenlicht abschirmt. Wie lange würde sie alleine im Urwald überleben können? Würde Asep sie finden? Niemand hat gesehen, wie sie in den Dschungel gegangen sind … was sind das für Geräusche? Und was ist mit Baumschlangen und Pythons? … In ihrem Kopf pocht es so stark, dass sie kaum denken kann.

Um gegen das aufkommende Gefühl der Beklemmung in ihrer Brust anzukämpfen, geht Mandi in die Richtung los, in die Elly verschwunden ist. Blattwerk und Ranken verfangen sich in ihrem Haar und zerren an ihrer Kleidung. Unbeholfen schiebt Mandi sie beiseite. Sie konzentriert sich auf den Boden direkt vor ihr und setzt jeden Schritt mit Bedacht – sie lässt sich Zeit.

Als Mandi aufblickt, ist immer noch kein Zeichen von Elly zu sehen. Ihre Ohren surren von all den Moskitos und den fremdartigen Dschungelgeräuschen. Einen Arm stemmt sie in die Hüfte, mit der anderen Hand schlägt sie nach den Moskitos. So steht sie da und überlegt, was sie tun soll: Weiter Elly suchen oder zurück zum Dorf gehen? Keine dieser Möglichkeiten erscheint ihr wirklich attraktiv oder aussichtsreich. Aber als sie sich erneut umsieht, kann sie einen kurzen Moment lang Elly sehen, die sich ihr durch das Dickicht nähert. Elly lächelt und flüstert Mandi etwas zu. Sie deutet in die Richtung, aus der sie gekommen ist. Zusammen nehmen sie ihren Marsch wieder auf, so leise wie möglich.


Vor ihnen lichtet sich der Wald und ein Seufzer der Erleichterung entfährt Mandis Lippen. Elly blickt sie streng an und Mandi nickt nur: Schon gut, sie wird sich ruhig verhalten. Vielleicht wird sie ja doch nicht hier sterben müssen …

Auch wenn Elly Englisch hätte sprechen können und versucht hätte, Mandi das zu beschreiben, was sie hier inmitten des indonesischen Dschungels sehen, Mandi hätte es ihr nicht geglaubt: Am Waldrand hockend blickt Mandi auf eine lange Reihe von kleinen, aber gepflegten Gebäuden, zwischen denen eine Menge von Bäumen als Schattenspender gepflanzt sind. Das gesamte Gelände ist umgeben von einem hohen Stacheldrahtzaun. Eine Gruppe indonesischer Männer sitzt rauchend im Schatten eines der Gebäude. An die Wand neben ihnen sind zwei Gewehre gelehnt.

Nach einiger Zeit zeigt Elly auf ein Gebäude ganz links drüben. »Was ist das, Elly?«, fragt Mandi gestikulierend. »Was immer die Leute hier tun, ich glaube nicht, dass sie Freude mit unangemeldeten Besuchern haben«, überlegt Mandi. Sie deutet Elly, dass sie um das Gelände herum gehen möchte; sie will wissen, was sich da drin verbirgt. Warum sollte es hier mitten im Dschungel eine derartig gesicherte Anlage geben?

Behutsam wählen sie ihren Weg durch die Büsche. Von der anderen Seite erkennt Mandi eine Reihe von Satellitenschüsseln und Antennen, die über die gesamte Länge des Lagers laufen.

Mandi sieht auf die Uhr: Es ist 9:30 Uhr. In zwei Stunden werden die Muslimmänner überall in Indonesien zum Freitagsgebet gehen. Sie kann nirgends ein Gebäude sehen, das als Moschee dienen könnte, aber sie würde darauf wetten, dass unter den Männern des Lagers einige Muslime sind. Vielleicht könnte sie den Moment nutzen, um einen genaueren Blick auf die Sache zu werfen?

Mandi gibt Elly mit Zeichen zu verstehen, dass sie sich das Gelände ansehen möchte. Ellys Augen weiten sich und eindringlich flüstert sie etwas zu Mandi, das diese nur als heftigen Einwand deuten kann. Nach einigem Hin und Her hört Elly auf zu sprechen. Offensichtlich versucht sie, für sich eine Entscheidung zu finden.

Mandi zeigt auf ihrer Uhr 11:30 Uhr und dann zurück auf die Gebäude. Elly hat verstanden und nickt. Sie führt Mandi zur Nordseite des Geländes. Dort deutet sie Mandi hier zu bleiben und robbt dann zum Zaun, wo sie mit den Händen im Erdboden zu graben beginnt. Nach kurzer Zeit kann sie den unteren Rand des Zauns hochheben.

»Also hast du das schon öfter gemacht«, denkt Mandi, lächelt zu Elly hinüber und gibt das Daumen-hoch-Zeichen. Aber sie bezweifelt, dass sie selbst durch die kleine Öffnung im Zaun passen wird. Während sie wartet, erkennt sie viele der Baum- und Buscharten wieder, die ihr gestern bei der Fahrt über die Transportstraße aufgefallen sind. Je länger sie sie betrachtet und ihre Größe im Vergleich zu sich selbst und zu den Gebäuden abschätzt, desto sicherer ist sie, dass die Pflanzen hier größer sind als die, die sie gestern gesehen hat.

»Irgendetwas an diesen Bäumen ist anders … sind sie wirklich größer als sonst üblich?«, fragt sich Mandi. »Vielleicht wachsen sie höher ohne den Stress des Straßenverkehrs? Apropos Stress – ich brauche mein Aspirin.«

Mandi deutet auf die Bäume, aber Elly schüttelt nur verständnislos den Kopf. So kann auch Mandi nur die Achseln zucken. Sie zieht eine Wasserflasche aus ihrem Rucksack und die Packung Aspirin.

Kurz vor 11:30 Uhr verschwinden die Wachen tatsächlich in einem Gebäude, so wie es Mandi vorausgesehen hat. Als sie die charakteristische Stimme des Muezzins aus dem Lautsprecher kreischen hören, nickt Mandi Elly zu. Sie haben ungefähr eine Stunde.

Mandi passt wirklich durch die kleine Öffnung unter dem Zaun, aber erst nachdem sie sich ihre Bluse und ihre Jeans daran zerrissen hat. Die beiden Frauen verbergen sich, so schnell sie können, im Schatten des nächstliegenden Gebäudes. Sie haben Glück: Ihr unbefugtes Eindringen wird zwar von den Kameras aufgezeichnet, aber von den Wachen, die in ihre Gebete vertieft sind, nicht bemerkt.

Da wird die Tür des nächsten Gebäudes geöffnet. »Brauchen wahrscheinlich Frischluft«, denkt Mandi. Alle Fenster, bei denen sie vorbeigekommen sind, waren ja fest verschlossen. Mandi hat es bisher nicht gewagt, einen Blick in eines der Gebäude zu werfen; was, wenn sie jemandem direkt in die Augen starrt?

Auf Händen und Knien kriechend schiebt sie vorsichtig ihren Kopf ums Eck, sodass sie den Fußboden überblicken kann. Keine Füße oder Beine – sie können rein! Schnell steht sie auf und winkt Elly, dass sie herkommen soll. Als sie sich wieder dem Raum zuwendet, ist sie verblüfft darüber, was sie da sieht: eine Fertigungsstraße für irgendein Gerät!

Mandi betritt das Gebäude, um sich die Sache aus der Nähe anzusehen. Auf einem ruhenden Förderband liegen verschiedene Komponenten eines elektronischen Gerätes: Miniaturdisplays, kleine Buchstaben und Ziffern, Gehäuse in ansprechender Form.

Mandi holt ihren e-Helper heraus, sieht ihn erstaunt an und dann wieder die Bauteile. »Wenn ich nicht wüsste, dass diese e-Helper in Neuseeland oder Australien produziert werden, ich könnte glauben, sie werden genau hier, im Dschungel von Borneo hergestellt!«, flüstert sie zu sich selbst. Sie geht die Förderbänder entlang und sieht sich die verschiedenen Bauteile genau an. »Bingo! e-Helper, genau solche wie meiner!«

Der Fertigungsraum ist relativ klein und jeder Zentimeter ist ausgenutzt. An den Enden einiger der Förderbänder sind kleine Behälter befestigt, in die die produzierten Teile fallen. Alle diese Behälter befinden sich in der Nähe des Eingangs, durch den Mandi hereingekommen ist.

Mandi blickt sich noch einmal vorsichtig um. Die hellen Neonleuchten erinnern sie an eine Arztpraxis. Oder ist es doch eher der antiseptische Geruch, der diese Assoziation hervorruft?

An der rechten Wand ist eine große Weltkarte angebracht. Einige Länder, besonders in Südostasien, sind mit grellgelbem Marker hervorgehoben. Andere Länder, darunter Neuseeland und Australien, sind mit rosa Leuchtfarbe markiert.

Nahe beim Eingang steht ein Teeautomat, daneben ein Trinkwasserspender. Auf einem kleinen Rollwagen sind fein säuberlich gebrauchte Teetassen gestapelt. Eine Ameisenstraße führt Hunderte der kleinen Insekten durch das Tor zum Rollwagen und hinauf zum schmutzigen Geschirr. Das ist die einzige Bewegung im Raum. Sonst ist alles vollkommen reglos.

Mandi und Elly stehlen sich lautlos aus dem Gebäude und schleichen zu einem anderen. Die unteren Fenster sehen aus wie Milchglas, aber als sie näher kommen, erkennen sie, dass die Scheiben von Kondenswasser beschlagen sind. Mandi wischt das Wasser von einem kleinen Bereich ab und lugt hindurch. In dem Gebäude sind Computer, große Flachbildschirme und einige kleine, aber leistungsstarke Taschencomputer.

»Wer immer diese Anlage betreibt, muss Unmengen von Geld haben«, flüstert Mandi zu Elly und es wird ihr nicht einmal bewusst, dass diese sie gar nicht versteht. Während sie spricht, überkommt sie plötzlich ein starkes Gefühl der Anspannung und eine Welle von Übelkeit durchfährt ihren Körper. Sie krümmt sich und nimmt einige tiefe Atemzüge. Elly fasst Mandi besorgt um die Taille.

»Es geht schon. Bin nur ein wenig nervös, denke ich. Verdammt, seit Jabiru habe ich keine Panikattacke mehr gehabt«, sagt Mandi. Sie erhebt sich und wirft erneut einen Blick auf die Taschencomputer.


Mandi wollte so einen kleinen Taschencomputer immer schon haben, seit sie vor sechs Monaten auf den Markt gekommen sind. Sie sind wirklich »smart« und mit jedem e-Helper, Heim- oder Bürocomputer kombinierbar – nur zusammenschalten und los geht’s. Der Computer erkennt die verschiedenen Betriebssysteme und Anzeigeprogramme und passt sich selbstständig an.

Mandi hat sich die ganze Zeit in Gedanken Listen mit sinnvollen Nutzungsmöglichkeiten zurechtgelegt und so versucht, eine mögliche Anschaffung über Forschungsmittel zu rechtfertigen. Für ihre Arbeit nutzt sie mehrere Botanikdatenbanken und mit einem solchen Gerät könnte sie jederzeit Zugriff auf all die Daten haben. Sogar hier, mitten im Dschungel, hätte sie immer die neueste Information zur Verfügung.

Mandis derzeitiger Computer – man kann ihn als »robust« bezeichnen – kann nicht einmal eine einzige Datenbank verkraften. Trotz des Zusatzspeichers, den sie gekauft hat, ist der Zugang zu der Datenbank mit den millionenfachen Einträgen nur im Schneckentempo möglich. Und das ist nur eine Datenbank – es gibt mehrere davon, die Mandi regelmäßig nutzt. Mit einem Taschencomputer könnte sie all diese Informationsquellen nutzen und dazu noch ihre Forschungsdaten, Vortragsskripten und die Unterlagen für die Consulting-Projekte. Sie mag auch die Vorstellung, dass sie jederzeit das Gerät hervorziehen und seine eingebaute Projektorfunktion nutzen kann. Damit kann sie Bilder aus einer Bilddatenbank zeigen, während sie einen Vortrag in einem Hörsaal hält oder auch direkt im Feld bei einer Consulting-Tätigkeit.


Mandi erinnert sich an die Kontroverse, die es rund um diese Geräte gegeben hat, kurz bevor sie auf den Markt gekommen sind. Die Diskussionen waren besonders hitzig und daher wundert sich Mandi sehr, dass sie so schnell abgewürgt wurden.

Offensichtlich hatten recht begrenzte Tests an einem dieser Taschencomputer ergeben, dass er bedeutend mehr elektromagnetische Strahlung abgab als Laptops und e-Helper und sogar mehr als ältere Handys. Mandi hatte von der Debatte gehört, aber noch bevor sie eine Chance gehabt hätte, sich mit den Details zu befassen, wurde die Unbedenklichkeit des Gerätes bestätigt. Kurz darauf waren die Taschencomputer auf dem Markt.

Ihre beruflichen Interessen und ihr privater Hintergrund machen sie besonders neugierig, wofür diese Geräte hier verwendet werden. Sie winkt Elly, dass sie im Schatten bleiben soll, und geht auf das hintere Tor zu. Das Tor ist leider versperrt und so geht sie zur seitlichen Wand zurück. Elly ist nicht mehr zu sehen. Mandi wendet sich wieder dem Gebäude zu und späht durch ein Fenster. Angestrengt versucht sie etwas auf den großen Bildschirmen zu erkennen. Obwohl nichts wirklich klar zu sehen ist, hat sie den Eindruck, ein Bildschirm könnte die Wellenlinien eines EEGs20 zeigen. Wenn sie nur einen genaueren Blick darauf werfen könnte! Gedankenverloren reibt sich Mandi die Schläfe, während sie versucht, mehr Details zu erkennen. Ihre Migräne macht ihr jetzt schwer zu schaffen.

Sie sieht sich jetzt das Gebäude an, das sich gleich links neben ihr, vor der Fertigungshalle, befindet. Auch dieses Gebäude hat Kondenswasser an den Fenstern. »Noch ein Computerraum!«, denkt Mandi. »Diese Leute müssen ganz schön gestopft sein!«

Da erscheint Elly hinter einer Ecke dieses Hauses und deutet Mandi, sie solle wieder zurückgehen, hinauf auf den Hügel. Mandi schaut auf die Uhr: Es ist noch nicht 12 Uhr, sie haben noch eine halbe Stunde, bevor das Gebet zu Ende geht. Mandi schüttelt den Kopf und geht auf Elly zu. Aber Elly deutet weiterhin entschieden zum Hügel. Ihr Blick ist sehr bestimmt, also läuft Mandi schnell, aber vorsichtig den Hügel hinauf. Beim Durchzwängen unter dem Zaun reißt der Draht ein weiteres Loch in ihre Bluse. Mandi kriecht auf dem Bauch bis zum Rand des Dschungels; dort hockt sie sich im Schutz der Blätter hin und sucht Elly.

20 Dorland’s Medizinisches Wörterbuch definiert ein Elektroenzephalogramm (EEG) als eine Aufzeichnung des elekrischen Potenzials am Schädel, das durch die Ströme der spontanen Nerventätigkeit im Gehirn verursacht wird. Die charakteristischen Wellenformen korrelieren mit bestimmten neurologischen Zuständen.

Schließlich sieht sie sie. Sie steht am Tor eines Gebäudes direkt hinter der Fabrikhalle. Mit der Faust hat sie ihr T-Shirt zu einem Knäuel zusammengeballt. Es sieht so aus, als ob sie eines der Glasfelder der Tür einschlagen will. Ihr Gesicht ist zur Seite gedreht, als würde sie angestrengt lauschen.

»Was tut sie!?«, denkt Mandi und Panik erfasst sie. »Sie wird doch nicht ernsthaft vorhaben das Glas einzuschlagen!?«

Genau in diesem Moment ertönt ein lauter Schrei aus dem Lautsprecher und Mandi sieht, wie Elly das Fenster einschlägt – aber sie hört es nicht. Schnell greift Elly hinein, öffnet die Tür und verschwindet im Inneren des Gebäudes. Mandi sieht vom Computerraum zum weiter entfernten Gebäude, in dem die Männer beten. Plötzlich ist alles ruhig. Mandis Herz setzt aus. Sie beobachtet angespannt die Tür des Gebäudes. Jeden Moment wird sie aufgeschlagen werden und die Männer werden hervorstürmen! Aber nichts geschieht. Stattdessen kommt ein langes Atemgeräusch durch den Lautsprecher – jemand atmet tief ein. Dann wieder der durchdringende Ruf. Und Elly läuft aus dem Gebäude, in jeder Hand einen fertigen e-Helper!

»Oh, mein Gott!«, ruft Mandi aus und steht unvermittelt auf, wobei sie sich schmerzhaft den Kopf an einem Ast stößt. Sie läuft Elly zum Zaun entgegen und hebt ihn in die Höhe. Elly schlüpft geschickt durch das Loch und schnell laufen sie in den Dschungel.

Noch immer ist gedämpfter Gesang zu hören, aber bald wird das Gebet zu Ende sein und dann werden sie die eingeschlagene Scheibe sehen …

Mandi und Elly laufen, so schnell sie können, durch den Urwald, aber diesmal sind sie vorsichtiger als zuvor. Elly zeigt Mandi, wie sie sich recht rasch durch das Dickicht bewegen kann, ohne allzu viele Zweige und Blätter abzubrechen. Allerdings erfordert das, dass sie ihre Schuhe ausziehen und nur in Socken weiterlaufen muss. Es ist keine Zeit für Diskussionen. So knüpft Mandi ihre schweren Schuhe an den Bändern zusammen und schultert sie.

Nach 20 Minuten hören sie starken Regen auf das Blätterdach über ihnen prasseln, aber sie werden nur von wenige Tropfen getroffen. Allerdings wird es schnell drückend schwül. Das Atmen wird mühsam und der Schweiß rinnt Mandi in die Augen. Ihr Rücken schmerzt von den Kratzern des Stacheldrahts.

Elly sieht immer wieder zurück nach Mandi, aber sie bleibt nicht stehen. Schließlich nimmt sie ihr Schuhe und Rucksack ab, um ihr das Gehen zu erleichtern.

Weitere 40 Minuten vergehen, die Mandi wie eine Ewigkeit vorkommen. Mit einem breiten Lächeln deutet Elly nach rechts. Mandi kann nichts Besonderes erkennen, außer noch mehr Dschungel – der hier allerdings besonders undurchdringlich erscheint!

»Du scheinst ja sehr erfreut darüber zu sein, dass wir jetzt zum schwierigen Teil kommen«, sagt Mandi entmutigt. »Ich hoffe, du hast deine Machete dabei.«

Wieder lächelt Elly. Sie nimmt Mandi an der Hand und führt sie sachte durch das dichte Gebüsch in einen kleinen Raum. Dort stellt den sie e-Helper und Mandis Sachen nieder und zündet eine kleine Petroleumlampe an.

Mandi sieht sich um. Sie kommt sich vor wie in einem großen geflochtenen Korb mit der Öffnung nach unten. Rundum sind sie umgeben von langem Dschungelgras und Pflanzenranken, die fein verwoben Wand und Decke der Hütte bilden. Über der Eingangsöffnung hängt ein hübscher Blumenstrauß. Zwei Töpfe sind auf dem Boden neben zwei Rollen Liegematten ordentlich ineinander gesteckt; daneben liegt ein kleiner Stapel von zusammengelegten Kleidungsstücken.

Elly entrollt eine der Matten und bietet sie Mandi als Sitzplatz an. Dann verschwindet sie kurz aus der Hütte, um gleich darauf mit einem Büschel Bananen und drei Kokosnüssen wiederzukommen. Mit der Machete schneidet sie geschickt eine Kerbe in eine Kokosnuss und reicht sie Mandi. Dann bereitet sie auf dieselbe Art noch zwei weitere zu.

»Das übertrifft alle meine Erwartungen. Terima kasih, Elly«, sagt Mandi lachend.

Und auch Elly lächelt. Sie stellt ihre Kokosnuss nieder und geht zur Tür. Als sie ihre Hand ausstreckt, legt sich eine Kinderhand hinein und Elly umschließt sie sanft. Der Bub, den Mandi gestern gesehen hat, betritt zögernd, von Elly sanft gezogen, den Raum. Elly stellt sich hinter ihn und umfasst ihn beschützend um den Nacken.

»Eko«, sagt sie.

Mandi erhebt sich, um Eko zu begrüßen, aber geschwind versteckt er sich hinter Elly. Elly redet ruhig auf ihn ein und begleitet ihre Worte dabei mit einer Reihe von Gesten. Eko sieht Mandi an und macht ebenfalls einige Gesten. Elly wiederholt die Bewegungen, zeigt auf Mandi, deutet dann wieder etwas und zeigt schließlich auf die e-Helper. Langsam kommt Eko hinter Elly hervor und stellt sich neben sie. Sie macht eine Kopfbewegung in Richtung der dritten Kokosnuss. Da erscheint ein Lächeln auf dem Gesicht des Buben und er schnappt sich die harte Frucht. Im Trinken blickt er aus den Augenwinkeln auf Mandi.

Elly bedeutet Mandi sich hinzusetzen und lässt sich dann selbst vor ihr nieder, Eko knapp neben sich. Elly teilt Mandi mit, sie solle ihren Kopf nach vorne beugen. Als Mandi dies tut, kann sie Ellys Finger fühlen, die ihr Haar nach Zecken durchsuchen. Kurz darauf sind da auch Ekos kleine Hände in ihrem Haar. Unwillkürlich zuckt Mandi zurück, als sie die Stelle berühren, wo sie sich an dem Zweig gestoßen hat. Elly sagt etwas zu Eko und kurz darauf spürt sie die angenehme Kühle eines feuchten Tuchs auf der schmerzenden Stelle. Nach vorne gebeugt bemerkt Mandi einen Blutegel an ihrer Wade. Angeekelt entfernt sie das unschöne Tier; Eko schnappt es sich und läuft damit nach draußen. Elly lacht und fährt dann mit der Haarpflege fort.

Als sie fertig ist, nimmt sie Wasser aus einem kleinen Eimer und wischt mit einem Tuch Mandis Gesicht sauber. Das angenehme Gefühl verdrängt Mandis Kopfschmerz für kurze Zeit in den Hintergrund ihres Bewusstseins.

Elly reicht Mandi eines ihrer verblassten T-Shirts. Mandi lehnt ab, aber Elly besteht darauf, dass sie es nimmt, und deutet auf Mandis zerrissene Bluse. Sie redet beruhigend auf Mandi ein, während sie ihr die Bluse aufknöpft. Vorsichtig reinigt sie mit einem Schwamm die Kratzer am Rücken und am Hals. Danach massiert sie Mandis Schläfen. Mandi verfällt in ein entspanntes Dösen. Aber schon nach wenigen Minuten gibt ihr Elly einen Stups und deutet an, dass sie nun gehen müssen. Mandi steht zu schnell auf und ist schwindelig. Sie fühlt sich wieder erschöpft und abgekämpft.


Die drei durchwandern eilig den Dschungel. Eko erinnert Mandi an einen Kobold. Nicht so sehr wegen seines Aussehens, sondern wegen der Art, wie er wortlos im Grün verschwindet und ebenso unvermutet wieder auftaucht.

Zu Mandis Überraschung kommen sie nicht beim Dorf aus dem Dschungel, sondern dort, wo gestern ihr Lastwagen kaputtgegangen ist. Bevor sie aus dem Verborgenen auf die Straße treten, packt Elly Mandi am Arm und versucht ihr verzweifelt etwas mitzuteilen. Sie deutet auf sich selbst, dann auf Eko. Sie imitiert einen Affen, zeigt dann auf Ekos Schläfen und auf Ellys Stiefel.

Mandi streckt ihre Hände aus und will damit sagen, dass Elly und Eko mit ihr kommen sollen; hier ist es nicht sicher für die beiden. Was, wenn sie als die Einbrecher ausgeforscht werden? Nach den Sicherheitsvorkehrungen rund um die Anlage zu schließen nimmt Mandi nicht an, dass ungebetene Gäste mit einem freundlichen Empfang zu rechnen haben. Das Bergwerkslager ist auf jeden Fall sicherer als Ellys Hütte. Wenn nötig, können sie alle morgen – oder sogar noch heute Nacht – ausfliegen.

Elly drückt für einen Moment Mandis Arm und lässt sie wieder los. Mandi versteht, dass sie beschlossen hat, hier in ihrer Blätterhütte zu bleiben, ungeachtet der Gefahr. Im Weggehen hat Mandi das rührende Bild einer Mutter vor sich, an die sich fest ihr Sohn drückt. Ekos Gesicht zeigt wieder die tiefen Furchen und er beginnt zu einer imaginären Person in seiner Nähe zu sprechen. Elly hockt sich nieder und hält das Kind in fester Umarmung. Mandi wendet sich wieder der Straße zu.

Eine Gruppe von Männern drängt sich um das ausgebrannte Wrack des Lastwagens. Asep ist unter ihnen. Es regnet leicht und Mandis Stiefel machen schmatzende Geräusche im Matsch.

Als die Männer auf Mandi aufmerksam werden, unterbrechen sie ihre Arbeit und starren sie erstaunt an. Mandi sieht sich vorsichtig um: kein Zeichen mehr von Elly oder Eko. Sie wird sich überlegen müssen, wie viel sie davon wem erzählen kann.