8 UMWELT
8.1 Der Baumgarten
Die Zerstörung der Natur geht in riesigen Schritten voran. Jährlich sterben Hunderte Tierarten aus, werden Hunderttausende Quadratkilometer Wald vernichtet, werden Millionen Tonnen fossiler Stoffe (Öl, Erdgas, Kohle) verbrannt, wird mehr Giftmüll in die Meere geschüttet …
Nature’s End – das Ende der Natur, wie ein mäßig guter amerikanischer Roman aus dem Jahre 1987 heißt – nähert sich rasch und wird von den meisten Österreichern weniger ernst genommen als eine Niederlage bei einem Schirennen im Weltcup. Während zwischen 20 % und 30 % unserer Nadelwälder krank sind (je nachdem, wie man das zählt) und Österreich eine gute Chance hat, im Jahr 2030 so befremdlich waldlos wie Island auszusehen, reichen diese Fakten nicht aus, um uns wachzurütteln.
Welche Nachrichten werden es sein, die uns endgültig ausreichend schockieren? Wird es genügen, wenn in 20 Jahren immer mehr vom Grassterben die Rede sein wird und von den verzweifelten Kämpfen, als letzte Baukolonien einige Weidenstauden in den einstmaligen Donauauen und eine Gruppe von Holunderbüschen in der Oststeiermark zu retten?
Hier eine Vision, ein Albtraum: Im Jahr
2040 hat man in den größeren Städten nicht nur einen Tiergarten (wo
Tiere, die man sonst nie sehen
kann, bewundert werden können), sondern auch einen Baumgarten
eingerichtet. Unter einer Glaskuppel hegt und pflegt man die
letzten Exemplare jener sonst schon längst ausgestorbenen
Pflanzenarten. Der Wiener Baumgarten mit drei großen Eichen, mit
der tausendjährigen Linde, die man aus Millstatt hierher gerettet
hat, mit einigen Tannen, Fichten, Lärchen, Buchen, ja selbst mit
einer kleinen Sammlung von Obstbäumen (deren seltene Blüten
liebevoll mit kleinen Pinseln bestäubt werden) ist eine besondere
Rarität und Kostbarkeit und für Kinder, die das erste Mal hierher
kommen, ein überwältigendes Erlebnis. Wie wenig beeindruckend ist
doch etwa ein vietnamesisches Warzenschwein im Vergleich zu den
Rieseneichen (die von der Größe her an die Saurier aus den Büchern
erinnern); wie bescheiden und kleinkariert erscheint doch das Huhn
im Tiergarten, das angeblich einmal am Tag ein Ei legt, wo doch
hier an einem meterhohen Baum Hunderte Äpfel gleichzeitig reifen.
Übrigens, wenn man alle Fragen beim Preisausschreiben über die
Bäume richtig beantwortet und man ein bisschen Glück hat, erhält
man als ersten Preis sogar einen wirklichen Apfel! (Nebenbei – so
ein echter Apfel schmeckt echt komisch; die überall erhältlichen
Instant-Apple sind eigentlich sehr viel aromatischer und enthalten
kein lästiges Kerngehäuse.)
Mit Verwunderung und Staunen gehen so die Kinder durch den Baumgarten. Nicht etwa verwundert oder besorgt, dass man alle diese Bäume, die es (angeblich) früher alle einmal überall gab, heute nur mehr im Baumgarten findet, sondern verwundert, dass sich so eigentümliche Lebewesen wie Bäume überhaupt in großen Zahlen so zäh bis ins 21. Jahrhundert retten konnten. Offenbar mussten diese Bäume ja ein großes Ärgernis gewesen sein, wenn sie überall im Weg herumstanden, bei starkem Wind oder im Alter umstürzten, viele von ihnen durch jährlichen Blattabwurf große Mengen Mist (und Ungeziefer!) verursachten usw.
Wie gut, dass es Löwen, Bären, Klapperschlangen und all diese vielen komischen Baumarten heute in der Freiheit nicht mehr gibt.
Noch einmal zurück aus der Vision in die heutige Realität: Wenn wir sehen, was die Menschheit in den letzten 3.000 Jahren mit der Tier- und Pflanzenwelt getan hat und wie rasant die Ausrottung der Arten weitergeht, dann wird die Gefahr klar, dass nicht nur die Vision – das Ende der Bäume – Wirklichkeit wird, sondern dass der anpassungsfähige Mensch sogar damit irgendwie weiterleben wird, ohne den Verlust wirklich zu erfassen.
Übrigens, wenn Obiges so klingt, als würde ich immer für die Grünen stimmen, ich tue es nicht. Die Lösungen unserer Probleme liegen nicht im nostalgischen Zurück, sondern in bewussten Gegenmaßnahmen, die in den anderen Beiträgen dieses Kapitels und in den Kapiteln 7 (Bevölkerungsprobleme), 10 (Verkehr) und (teilweise) 12 (Visionen) beschrieben werden.
8.2 Verschließen,
nicht erschließen
Reinhold Messner machte nicht nur durch die Besteigung unzähliger Achttausender mit Minimalausrüstung von sich reden, sondern auch durch sein aktives Eintreten für die Rettung der Bergwelt. So bestieg er bekanntlich einmal einen der Masten der Mont-Blanc-Gletschergondelbahn, blockierte sie auf Stunden und forderte den Abbruch dieser Gondelbahn.
Bravo, Reinhold!
Ja, es wird höchste Zeit, dass man überall (aber konzentrieren wir uns, um konkret zu bleiben, auf Österreich) endlich mitkriegt, dass es nicht nur erforderlich ist, den Bau weiterer Lifte, Gondelbahnen, Straßen, Hotels usw. in den schönsten Naturlandschaften Österreichs einzustellen, sondern dass es sinnvoll ist zu überprüfen, welche über das Ziel geschossene Erschließungsmaßnahmen rückgängig gemacht werden sollen.
Es geht nicht mehr darum, weitere Almen, Seitentäler, Bergseen und Hochwälder zu erschließen (sodass man auch sie ohne Muskelkraft erreichen kann), es geht darum, viele von ihnen wieder zu verschließen, damit wenigstens ein Teil der Natur ungestört von Autos, Liften, Staudämmen, Stromleitungen, Betonklotzhotels, Schipistentrassen usw. in ihrer Schönheit für uns und unsere Nachkommen bestehen bleibt. Jeder, der wie ich seit 45 Jahren in den österreichischen Bergen wandert, kann nur entsetzt sein, in welchem Ausmaß fast die gesamte Berglandschaft in Mitleidenschaft gezogen wurde: teils durch Kraftwerkbau, teils durch Liftanlagen (meistens für den Wintersport) und teils durch Straßen, die immer tiefer in die Täler, immer höher auf die Berge vorstoßen.
Ich halte es nicht nur für sinnvoll, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen weitere Liftanlagen, Bergstraßen und Kraftwerkbauten in den Bergen vorzugehen, ich halte es auch für notwendig zu überdenken, welche bestehenden Einrichtungen so störend sind, dass man sie abreißen oder modifizieren muss. Wir dürfen die Vernichtung der Natur nicht als etwas Unwiderrufliches hinnehmen, das man nur mehr oder minder stark bremsen kann; wir müssen uns vielmehr dazu aufraffen, die zerstörte Natur wenigstens an einigen Stellen wieder in Ordnung zu bringen. Es geht hier nicht nur um eine prinzipielle Frage und eine Frage der Ästhetik, sondern es geht darum, ob Österreich auch in Zukunft ein attraktives Land für Besucher bleiben kann. Bei der Bedeutung des Fremdenverkehrs für Österreich ist die Erhaltung der Naturschönheiten von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Mont-Blanc-Gletscherbahn (gegen die Reinhold Messner protestierte) mag ein Beispiel sein für eine Anlage, die man am besten wieder demontiert. Hunderte solcher Beispiele gibt es in Österreich: Dass einer der landschaftlich schönsten Flecken der Niederen Tauern, die Turracher Höhe, auf der Westseite durch einen mehrgeschoßigen Betonklotz mit vielgeschoßiger Autogarage verschandelt ist, bedeutet einfach, dass dieses Gebiet an Attraktivität viel verloren hat. Wer immer seinerzeit die Baugenehmigung für solch ein Ding gegeben hat, hat den Begriff Fortschritt falsch verstanden; ein Fortschritt wäre es jetzt aber, diesen Bau umgehend abzutragen. Ein ähnliches Unding – in meinen Augen fast ein Verbrechen – ist die Nockalmstraße: In eine bis dahin weitgehend unberührte große, hochgelegene Almlandschaft (eine der wenigen, die in Österreich verblieben waren) schleust man nun Tausende Autos, als gäbe es nicht ohnehin genug hoch hinaufführende Wege. Im wunderschönen Rauris am Ende des Gasteinertales endet gleich der erste Wasserfall in einem Bachbett, das nur noch als Kanal bezeichnet werden kann (obwohl es sicher auch andere Alternativen gibt, die Umgebung eines Wildbaches gegen Überschwemmungen abzusichern). Eine der Hauptattraktionen des im Sommer nicht gerade an Überfüllung leidenden Bad Gastein – der dreifache Wasserfall in der Ortsmitte – wird von der Elektrizitätsgesellschaft ab- und aufgedreht, wie der Strom gerade benötigt wird, ohne Rücksicht darauf, ob Hunderte von Touristen, die den Wasserfall als Rinnsal erleben, nicht nur kein zweites Mal kommen, sondern auch entsprechend Negatives weitererzählen werden. Am Feuerkogel wurde mit Bulldozern auf weiten Strecken der Latschenwald planiert, um bessere Schiabfahrten zu gewinnen – Wunden, die man noch vom anderen Ende des Traunsees sehen kann. Und als ich vor einigen Jahren im Sommer zum Ankogel aufstieg, erstickte ich fast im Staub, weil dort der Hang vom Hannoverhaus zur Seilbahnmittelstation von Unebenheiten befreit wurde, um das Schifahren im Winter zu verbessern. Die Liste ist beliebig fortsetzbar.
Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Natur und unsere Berge durch kurzsichtiges Profitdenken zugrunde gerichtet werden. Die weitere »Erschließung« (sprich Zerstörung) der Alpen muss beendet, einiges muss rückgängig gemacht werden. Bei bestehenden Forststraßen sind umfassendere Fahrverbote notwendig und Fahrverbote, die auch eingehalten werden.
8.3 Lärmschutz und
Umweltbelastung
Beim Versuch, negative Erscheinungen des Straßenverkehrs zu bekämpfen, werden immer wieder Regelungen eingeführt und mit dem Argument vertreten, man müsse »die Umweltbelastung verringern und die Anrainer vor zu starker Lärmbelastung schützen«. Diese Formulierung ist insofern hinterhältig, als sie suggeriert, dass man eine Reduktion der Umweltbelastung und einen Lärmschutz der Anrainer gleichzeitig und mit denselben Maßnahmen erreichen kann. Leider ist es gerade umgekehrt: Verstärkter Lärmschutz führt häufig gerade zu höherer Umweltbelastung, wie ich anhand von zwei Beispielen belegen will.
Beispiel 1: Nachtfahrverbot für LKWs auf Transitrouten in Österreich
Das Nachtfahrverbot hat die nächtliche Lärmbelastung für Anrainer der Transitstrecken etwas verringert. Da das Gesamtvolumen des Verkehrs durch das Nachtfahrverbot nicht (oder nur minimal) abnahm, konzentriert sich jetzt der Verkehr in einem kürzeren Zeitraum. In diesem ist die Lärmbelästigung nicht nur jetzt größer als vorher, sondern, noch schlimmer, der Verkehr ist untertags sehr viel weniger flüssig als in der Nacht. Durch das dadurch bedingte ständige Bremsen und Anfahren wird die Umweltbelastung durch Abgase stark vergrößert. Die Umweltbelastung durch einen in der Nacht bei wenig Verkehr fahrenden LKW kann bis zu drei Mal geringer sein als jene, die durch denselben LKW bei zähem Verkehr verursacht wird! Die etwas geringere nächtliche Lärmbelastung der Anrainer wird durch stärkere Luftverunreinigung für alle Österreicher erkauft. Ein guter Tausch?
Bei aller Rücksicht auf Anrainer von Hauptverkehrsstraßen sind meiner Ansicht nach doch zwei wichtige Punkte zu beachten: Erstens, wenn man freiwillig in die Nähe einer großen Straße übersiedelt (weil man dort kostengünstiger wohnen oder bauen kann), dann ist es unbillig, wenn man sich nachher über den starken Verkehr aufregt. Zweitens, kommt man »unschuldig« zu einer starken Verkehrsbelastung (etwa, weil eine neue Straße an der Wohnung vorbei gebaut wird), so sinkt der Wert der Wohnung bzw. des Hauses und eine entsprechende Ablöse für diesen Wertverfall sollte in Zukunft in die Kosten einer solchen neuen Straße einkalkuliert werden (genau wie dies mit den Kosten einer direkten Grundablöse geschieht). Dies Prinzip der »Ablöse von Wertminderungen, die durch Maßnahmen im öffentlichen Interesse entstehen« (gute Straßen gehören zu solchen Maßnahmen) sollte meiner Meinung nach fest in unseren Gesetzen verankert werden. Die Notwendigkeit für Bürgerinitiativen gegen die Errichtung einer neuen Straße, einer Kläranlage, einer Fabrik usw. würde damit sehr verringert werden. Manche Projekte würden dann auch von selbst unterbleiben, weil sie zu kostspielig wären; jene aber, die trotzdem durchführbar sind, benachteiligen niemanden in dem Ausmaß, in dem es heute manchmal geschieht.
Zurück zur ursprünglichen Behauptung, dass Lärmschutz für einige oft größere Umweltbelastungen für viele mit sich bringt.
Beispiel 2: Verkehrsberuhigung in
manchen Stadtteilen
In vielen europäischen Städten versucht man, die durch den Verkehr auftretende Belastung dadurch zu verkleinern, dass man durch »Tempo 30«, ungewöhnliche Einbahnen, Schikanen (wie Schwellen oder Slalom erzwingende Pflanzentöpfe) den Verkehr aus bestimmten Stadtteilen fernhält. Dies ist sinnvoll, wenn es sich um Straßenzüge handelt, die nicht für den Durchzugsverkehr notwendig sind. Leider gibt es auch Städte (Graz gehört dazu), wo gegen diese Regel eklatant verstoßen wird, auch in wichtigen Verbindungsstraßen wird der Verkehr behindert. Dies hat eine von zwei Folgen und beide sind abzulehnen:
(a) Der Verkehr fließt weiterhin, aber behindert durch diese Straßen (Umwege, Schikanen, die Bremsen/Anfahren bewirken), wodurch sich zum Beispiel die Luftbelastung erhöht.
(b) Oder der Verkehr wird gezwungen auf andere Straßen auszuweichen. Damit werden zwar einige Anrainer entlastet, andere aber mehr belastet (»Floriani-Prinzip: Verschone unsere Häuser, zünd andre dafür an«), wobei sich die Mehrbelastung von Straßenzügen durch zäh fließenden Verkehr insgesamt umweltschädigend auswirkt. Auch in diesem Fall gilt also: Ein etwaiger Vorteil einiger geht zu Lasten vieler.
8.4 Green War
Die Brücke über den Ausfluss des Keg-Sees im Lakeville-Gebiet von Maine, USA, war bis Juni 1989 eine stattliche Konstruktion. Trotz heftigen Widerstands einer Naturschutzlobby war sie gebaut worden, um den See für Ferienhäuschen erschließen zu können. In der Nacht auf den 14. Juni beendeten neun Dynamitstäbe die Freude an der Brücke. Und auf Flugzetteln wurden weitere Sprengungen angekündigt, sollte man versuchen, die Brücke zu reparieren bzw. die Rodungen für die Feriensiedlungen fortzuführen.
Die
weltweit agierende Organisation Greenpeace tritt seit vielen Jahren
mit mehr oder minder »friedlichen« Methoden für die Erhaltung der
Umwelt und der Artenvielfalt ein. Es mag durchaus
Greenpeace-Aktionen geben, die man nicht immer billigt, aber die
Grundtendenz aktiv Umweltschutz zu betreiben ist sicher
begrüßenswert. Zugegeben, die Liste der Probleme liest sich
langweilig (weil wir sie schon so oft gesehen haben): Wir verpesten
die Luft durch Abgase, verschmutzen die Meere durch Abwässer und
Ölrückstände (allein 5 Millionen Tonnen Erdöl gelangen pro Jahr in
die Weltmeere), wir roden riesige Teile der Regenwälder, wir
verbauen unsere Landschaften und Gebirge mit immer mehr Häusern,
Straßen und Bergbahnen usw. usw. Wir dürfen unser Raumschiff Erde
nicht weiter zerstören. Neben der Verringerung der Erdbevölkerung
gehören auch alle Maßnahmen zur Schonung der Umwelt zur Bewahrung
der Erde. Die Zeit, wo man – wie Greenpeace – allein mit
friedlichen Mitteln die Umwellt retten will, geht aber zu Ende.
Zunehmend treten militante, oft auch irrational agierende Gruppen
auf, die eine aktive, notfalls auch gewaltsame Rückgewinnung der
Natur verlangen. Neben Greenpeace entsteht zunehmend ein Green War;
die einführende Geschichte (Sprengung der Keg-See-Brücke) ist ein
Beispiel dafür.
So
sehr ich jede gesetzwidrige Vorgangsweise ablehne, mit einigen
Zielen der extremeren Green-War-Gruppen kann ich mich sehr wohl
identifizieren; z. B. haben wir zu viele Straßen, Lifte und
Ferienhäuschen in unseren Bergen und es fehlen Naturparks ohne
nennenswerte Zivilisationseinrichtungen und umweltschonender
Verkehr.
Die
radikalste Bewegung, die ich in dem Bereich, den ich mit Green War
bezeichne, kenne, ist »Earth First!«, die 1980 von D. Foreman und
H. Wolke (die seinerzeit zu der Vereinigung »Freunde der Erde«
gehörten) gegründet wurde. Earth First! (symbolisiert durch eine
grüne Faust) will – mit Methoden, die auch die Legalität
überschreiten – nicht nur einen Teil der Natur retten, sondern »die
ganze Natur; wir müssen versuchen, der Natur zugefügte Wunden
wieder heilen zu lassen«. Earth First! plädiert für »Ökotage«
(Sabotage zur Rettung der Natur) mit Methoden wie Zusperren mancher
Straßen durch Stahlseile, Verstreuen von tetraederförmigen Nägeln,
um das Befahren gewisser Straßen zu behindern, bis hin zur
Sprengung von Brücken oder Bauwerken oder bis hin zum »Spiking« (um
das Fällen von Bäumen zu verhindern). Beim Spiking werden kopflose
Nägel (Metallstifte) in Bäume getrieben; angeblich überleben dies
die Bäume ohne Probleme, nicht aber Motorsägen, die einen solchen
Baum fällen sollen.
Earth
First! versucht peinlichst, die Natur zu schützen bzw.
»zurückzuerobern«, ohne dass dabei Menschen zu Schaden kommen. Die
Grenze bei solchen Bemühungen ist aber heikel. Obwohl zum Beispiel
nach Ehrenkodex jeder gespikte Baum mit einem großen weißen S als
Warnung bemalt wird, hat es beim Umsägen gespikter Bäume (war das S
verwittert oder wurde es ignoriert?) schon schwere Verletzungen
gegeben. Hoffen wir, dass in Europa und vor allem bei uns in
Österreich umfassende Gesetze zum Schutz der Umwelt so rechtzeitig
entstehen, dass es nicht zur Formierung so militanter Gruppen wie
Earth First! kommen muss. Grund für Optimismus haben wir freilich
wenig. Die Besetzung der Hainburger Au oder der Fischinger Au oder
das Verkleben von Schlüssellöchern von Pelzgeschäften (als Protest
gegen den Verkauf exotischer Pelze) beginnen die Grenze zwischen
Greenpeace und Green War immer mehr zu
überschreiten.
8.5 Die Umwelthysterie
Die Grenze zwischen der berechtigten Sorge um unsere Umwelt und unproduktiver Umwelthysterie wird immer häufiger überschritten. Ich belege dies mit zwei Beispielen.
Beispiel 1: Das Ozonloch
Die unsere Erde in großer Höhe umgebende Ozonschicht (durch die die einfallenden ultravioletten Strahlen stark vermindert werden) entwickelte vor Jahren, vor allem über dem Südpol, ein »Loch«, das sich eine Zeit lang vergrößerte. Obwohl harte wissenschaftliche Beweise fehlten, wurden vor allem Treibgase aus Spraydosen für dieses Ozonloch verantwortlich gemacht und daraufhin in vielen Ländern der Welt verboten. Nun, wir brauchen diese Treibgase und Spraydosen nicht wirklich, also wurde damit nicht viel vertan; das Verbot der Treibgase mag daher selbst dann noch gerechtfertigt sein, wenn diese Treibgase nur mit 10 % Wahrscheinlichkeit für das Wachsen des (inzwischen übrigens wieder geschrumpften) Ozonloches verantwortlich sind. Die Reaktionen auf das Ozonloch sind aber insofern hysterisch zu nennen, als gar nicht klar ist, ob die Existenz oder Nichtexistenz eines solchen Loches der Normalzustand ist! Möglicherweise hat es ein Ozonloch von 200.000 v. Chr. bis 1920 n. Chr. immer gegeben und die geschlossene Ozonschicht über den Polkappen, die man 40 Jahre lang beobachtete, war eine ungewöhnliche Ausnahme, das Aufbrechen des Ozonlochs also nur die Rückkehr zum Normalzustand! Mit anderen Worten: Nicht jede beobachtete Veränderung der Umwelt muss schlecht oder unnatürlich sein, nicht für jede sind wir Menschen verantwortlich.
Beispiel 2: Der
Treibhauseffekt
Vom seit Jahren zunehmenden Kohlendioxidgehalt der Luft (weitgehend ausgelöst durch Verbrennungsvorgänge aller Art) wird häufig behauptet, dass er für eine Erwärmung des Erdklimas verantwortlich sein wird, wobei dieser »Treibhauseffekt« zu katastrophalen Folgen führen könnte, wie zum Beispiel Anstieg des Meeresspiegels (durch Abschmelzen der Polarkappen), weitere Versteppung bzw. Wüstenbildung in schon heute trockenen Landstrichen in Afrika, Asien und Amerika u. v. m.
Tatsächlich stehen so ziemlich alle Aussagen über den Treibhauseffekt auf schwankendem Boden. Obwohl Eisproben (Tiefbohrungen) in der Antarktis einen Zusammenhang zwischen höherem Kohlendioxidgehalt und Durchschnittstemperatur zu belegen scheinen (man kann die im Eis eingeschlossene Luft untersuchen und das Alter des Eises und die damals herrschende Durchschnittstemperatur durch andere Indikatoren bestimmen), analysiert die seriöse Zeitschrift »National Geography«, dass der Temperaturanstieg wahrscheinlich vor dem Anstieg des Kohlendioxidgehaltes erfolgte, nicht umgekehrt (womit der Treibhaustheorie ein starker Dämpfer versetzt wird). Ferner ist es unklar, ob eine Erwärmung der Luft einen Anstieg oder ein Fallen des Meeresspiegels bewirken würde. Zwar würden auf Bergen, vor allem aber in den Polargebieten, die Eismassen schrumpfen; wärmere Luft speichert aber auch mehr Wasserdampf als kältere; die erhöhte Wolkenbildung bindet also erstens Wasser und führt zu mehr Niederschlägen. Die heute trockenen Gebiete könnten u. U. feuchter und nicht noch trockener werden. Wärmere Luft blockiert ferner den Sonneneinfall und bewirkt so wieder einen Temperaturrückgang. Ob es also einen Treibhauseffekt durch Kohlendioxiderhöhung gibt, ist nicht sicher; ob dieser negative oder positive Folgen haben würde, ist unklar. Aber selbst angenommen, er hat negative Folgen: Müssen wir ihn dann fürchten? Eine provokante These ist: Vermutlich nicht. Wir wissen, dass große Vulkanausbrüche durch die gewaltigen Staubmassen, die in die Atmosphäre geschleudert werden, das Wetter jahrelang beeinflussen. Die Temperaturen gehen zurück, da weniger Sonnenlicht die Erde erreicht. Es ist denkbar, dass man relativ strahlungsarme Atomexplosionen in zum Beispiel unbesiedelten Wüstengebieten auslösen könnte, die einen ähnlichen Effekt haben. Eine gezielte kleine Version des oft beschworenen »nuklearen Winters« könnte den Treibhauseffekt ausschalten, falls dies wirklich einmal notwendig sein sollte.
Überspitzt formuliert: Ozonloch und Treibhauseffekt sind Phänomene, die zurzeit ergiebige Forschungsthemen sind, die uns aber (noch) nicht besonders beunruhigen sollten. Sie lenken nur ab von den wirklichen Umweltproblemen: von der Luftverschmutzung durch gesundheitsschädliches Kohlen- und Stickstoffmonoxid, von der Verschmutzung der Weltmeere, vom Anwachsen unserer Giftmüllhalden, von der Zerstörung der Wälder und von der Notwendigkeit der Bevölkerungsreduktion. (»Viel mehr dazu im Lexikon der Ökoirrtümer von D. Maxeiner und M. Miersch«)
Ein schwieriger und ernster Kampf um die Erhaltung der Umwelt liegt vor uns. Hysterische Maßnahmen helfen aber nicht. Eine Analyse der notwendigen Prioritäten mit klarem Kopf ist notwendig.
Anmerkung von Peter Lechner:
Vieles in der Berichterstattung zu unserer Umwelt ist wirklich hysterisch. Tayllerand hat einmal gesagt: »Alles, was übertrieben ist, ist bedeutungslos«. Also liegt in der Hysterie eine Gefahr, die wirkliche Bedrohung (die es sehr wohl gibt) durch die ständige Übertreibung, bis hin zu Weltuntergangsszenarien, nicht mehr Ernst zu nehmen. Vor etwa 25 Jahren wurde »die Rückkehr der Gletscher«, eine neue Eiszeit, prognostiziert, jetzt haben wir den Treibhauseffekt. Zu der ganzen Hysterie passt der Ausspruch: »Ob der saure Regen am Waldsterben Schuld hat, weiß man nicht. Aber man hat es mit großer Mehrheit beschlossen!«
8.6 Fit bleiben in Österreich?
Die Mehrzahl der Österreicher ist übergewichtig. Außerdem isst sie nicht nur zu viel, sondern isst vor allem auch zu fett (vor allem zu viel tierische Fette), wodurch Blutfettwerte (zum Beispiel der Cholesterinspiegel) gefährlich hoch getrieben werden. Österreich gehört daher zu den Ländern mit einer besonders hohen Infarktrate.
Obwohl jeder von uns einmal stirbt (wie häufig diese Tatsache doch verdrängt wird!) und ein rascher Herztod einem langen Krebsleiden ziemlich sicher vorzuziehen ist (ich bitte um Entschuldigung für diesen Zynismus), ist es wenig erfreulich, wenn ansonsten gesunde Menschen durch zum Beispiel einen Hirnschlag zu bedauernswerten Krüppeln werden.
Nur, jeder, der einmal versucht hat abzunehmen oder fettarm zu leben, weiß, wie schwer dies einem gemacht wird. Beim Selberkochen geht es ja gerade noch. Da gibt es Diätpläne, Kalorientabellen, ja selbst die Fettwerte finden sich auf einer zunehmenden Anzahl von Lebensmittelpackungen. Freilich, wenn man wissen will, wie sehr zum Beispiel eine Packung Nudeln durch ihren Eigehalt den Cholesterinspiegel erhöhen wird, fühlt man sich von der Nahrungsmittelindustrie und dem Ministerium für Gesundheit im Stich gelassen: keine Informationen dazu oder wenn, dann als chemische Analyse, die für einen Laien unverständlich ist.
Besonders schwierig wird die Situation für Kalorien- bzw. Cholesterinbewusste beim Auswärtsessen: Das »reichhaltige Frühstücksbüfett« enthält immer Butter, Eier in den verschiedensten Formen (Eidotter enthält besonders viel Cholesterin), Wurst- und Käseware ohne jede Angabe von Kalorien- und Fettwerten usw. Warum kann man nicht endlich bei den verschiedenen Speisen eines Büfetts Täfelchen aufstellen, auf denen steht, was angeboten wird (nur ein Fachmann kann optisch zum Beispiel die sehr viel gesündere Putenextrawurst von einer Schweineextrawurst auseinander halten!). Vor allem aber sollten diese Täfelchen Kalorien- und Fettwerte angeben: Magerjoghurt mit 1 % Fett schmeckt vergleichbar gut wie eines mit 3 oder mehr Prozent Fett. Nur wie soll man ohne Informationen den Fettgehalt wissen? Gleiches gilt natürlich für alle Käse- und Wurstsorten, Milch etc. Noch undurchsichtiger wird es bei gekochten Speisen. Man kann nur raten, ob gewisse Gerichte mit Butter, Schmalz oder pflanzlichen Fetten (Bratmargarine, Pflanzenöle) zubereitet sind, der Aufbau einer schmackhaften Sauce ist auch nach zähen Befragungen nicht herauszufinden, selbst auf der Fischsuppe schwimmen dicke Fettaugen (die dem Holzhacker im Winter wohl sehr zuträglich wären, dem typischen heutigen Menschen, der sich viel zu wenig bewegt, aber nicht) …
Solange der Durchschnittsgast die Begriffe fettarm bzw. kalorienarm in ihrer Bedeutung für seine Gesundheit noch gar nicht erfasst hat oder sie mit »schlecht schmeckend« und »kleine Portionen, nach denen man hungrig ist« assoziiert, ist noch viel Aufklärungsarbeit notwendig: von den verschiedensten Organisationen, allen voran den Schulen und den Fremdenverkehrsorganisationen. Wie wäre es, wenn zum Beispiel nach entsprechender Vorbereitung die österreichische Fremdenverkehrswerbung ein Jahr unter ein Motto wie »Gesundheit tanken in Österreich« stellte. Sozusagen als Angriff auf die vielen Halbpensions-Arrangements mit zwei »üppigen kalten und warmen Mahlzeiten« am Meer, wo sich die Gäste pro Woche im Durchschnitt mindestens ein weiteres Kilo Gewicht anessen und am Strand eifrigst bemüht sind, einen vielleicht latenten Hautkrebs durch möglichst viel Sonne und einen Infarkt durch hitzebedingt möglichst wenig Bewegung zu aktivieren, ganz zu schweigen vom erhöhten Alkoholkonsum (gefördert durch Hitze und billigen Wein), der dem Prozentsatz österreichischer Alkoholiker im internationalen Vergleich weiterhin einen Platz im vorderen Viertel garantiert.
Apropos Viertel: Wenn dieser Beitrag zu trocken war – ein Heuriger mit Stelzen, Schinken, fetten Schweinswürsteln und Schmalz- oder (steirischem) Verhackertbrot ist sicher ganz in der Nähe. Also dann: Guten Appetit und Prost!
Es gibt bei Ihnen keinen solchen Heurigen um die Ecke? Nun, das nächste Kaffeehaus mit ein oder zwei Stück Torte mit Schlagobers, einem starken Kaffee und dann vielleicht noch ein Schnäpschen tut’s wohl auch.
8.7 Die Tabuisierung von
Körperfunktionen
Die Senatoren im antiken Rom vereinbarten häufig wichtige Besprechungen in den öffentlichen Latrinen. Ein entspanntes Gespräch während einer entspannenden »Verdauungssitzung« gehörte zum normalen Tagesablauf und war dem sozialen Klima genauso förderlich wie dem Darm. In manchen »Plumpsklos« auf unseren Almen findet man als Überbleibsel anstelle der isolierenden Einlochanordnung die geselligkeitsfördernde Mehrlochkonstruktion. Auch ein Schuss Pragmatik mag da dabei gewesen sein: Schließlich ist das Freischaufeln des Weges in einer Winternacht eine typische Teamarbeit: Einer leuchtet, zwei schaufeln. Früher waren Schlürfen und Schmatzen beim Essen üblich und ein Kompliment an die Kochkunst.
Auch ein Zitat Luthers (»Warum rülpset und furzet Ihr nicht, hat es Euch nicht geschmecket?«) zeigt den Wandel in der Einstellung zu vielen Körperfunktionen und ihre zunehmende Tabuisierung.
Ich erinnere mich noch an Schilder in den Amtsräumen von Behörden: »Bitte nicht auf den Boden spucken!«, und man bot Spucknäpfe als Alternativen an. Heute sind nicht nur die Schilder, sondern auch die Näpfe verschwunden.
In einem alten Englischbuch fand ich den Limerick:
There was a young fellow of Ealing
devoid of all delicate feeling
when he read on the door
»please don’t spit on the floor«
he immediately spat on the ceiling.
Fast unverständlich klingt dieser Limerick heute: Das Ausspucken ist innerhalb von zwei Generation als Gewohnheit (als Problem?) verschwunden.
In einem Roman aus dem letzten Jahrhundert, der in der »steirischen Eisenwurzen« spielt, wird von einem schwer arbeitenden Familienvater berichtet, der nach einem gefährlichen Einsatz nach Hause kommt. »Als sich der starke, vertraute Schweißgeruch des Mannes in der Wohnstube ausbreitete, entspannten sich die Kinder und Maria: Der Vater war wohlbehalten daheim.« Damals durften die Menschen noch riechen, war dies eine vertraute und eine persönliche Note! Heute haben uns Seifen- und Deo-Industrie eingeredet, dass wir gefälligst geruchlos zu sein haben oder bestenfalls einen der gerade anerkannten Modedüfte ausströmen dürfen!
So sehr ein Mindestmaß an Hygiene sinnvoll sein mag, ist die weitgehende Tabuisierung aller menschlichen Ausscheidungsfunktionen schon deshalb zweifelhaft, weil sie ein Symptom für eine Entwicklung ist, die den Menschen immer mehr zu einer perfekten, sterilen, unmenschlichen Maschine machen will.
Wir tabuisieren ja nicht nur so natürliche Körperfunktionen wie Ausscheidungsvorgänge; wir verdrängen den menschlichsten Vorgang von allen, das Sterben. Wir erlauben das Geschrei von Kindern in Wohnungen nur mehr bis zu einer gewissen Lautstärke, auch wenn draußen ein Überschalljäger viel lauter vorbeidonnert; wir sind verzweifelt, wenn Kinder miteinander raufen, als wäre dies nicht ein grundnatürlicher Vorgang. Als in einem voll besetzten Zugabteil sich unlängst ein junges Liebespaar etwas intensiver küsste, gerieten die Mitpassagiere in Aufruhr wegen des »unmöglichen Benehmens« usw. usw.
Sind wir vielleicht im Begriff, auch die Nahrungsaufnahme immer mehr zu tabuisieren? Wir verstecken unseren Mund, wenn wir (wohlerzogen) gähnen, einen Zahnstocher benutzen oder den Kirschkern unseres Kirschkuchens auf die Gabel befördern (wer kann’s perfekt?). Das Essen eines kleinen Imbisses auf der Straße gilt (zunehmend) als »unfein«, wenn man nicht in unmittelbarer Nähe eines Würstel- oder Maronistandes ist. Die Beleuchtung in »guten« Restaurants ist so schwach (eine aus den USA importierte Unsitte), dass man das Gegenüber kaum mehr sieht. In Motels in Australien wird das Frühstück durch ein kleines, zweites Türchen ins Zimmer geschoben, damit man es da unbeobachtet von anderen verzehren kann. In Fastfood-Restaurants sitzt man immer häufiger (wenn man alleine ist/isst) mit dem Gesicht zur Wand. Der Mikrowellenherd hat die Synchronisation des Familienessens endgültig durchbrochen, sodass mehr und mehr als Partner beim Essen das Fernsehen oder eine Zeitung einspringt.
Vor mir sehe ich diese Vision: Eine Gruppe von Freunden sitzt am Abend zusammen. Einer entschuldigt sich plötzlich möglichst unauffällig; er muss nicht aufs WC, sondern er ist hungrig. Er verschwindet kurz in einer kleinen Esszelle, wo er seine drängenden (Ess-)Bedürfnisse befriedigt. Wenn er zurückkehrt, wird über seine Aktivität nicht gesprochen: Das wäre sehr ungehörig …
8.8 Mir geht es gut …
ich weiß, dass ich sterbe
Mein Freund Markus schaut seit Jahren schlecht aus: Er darf nicht mehr rauchen, er trinkt ganz vorsichtig, er isst nur Gemüse, Kaffee ist verboten … Er tut mir Leid, seit ihm die Ärzte gesagt haben, er müsse sehr Acht geben, und ihm vielfache Diäten verordnet haben. Vor wenigen Wochen traf ich ihn in einem Schlemmerlokal. Er schaute nicht gut aus, aber glücklich. Er war in Begleitung einer jungen, hübschen Frau, aß Schnecken, trank einen Aperitif und reichlich Wein, bestellte ein mehrgängiges Menü, seine Augen strahlten, er hatte prächtige Laune.
Erstaunt und neugierig setzte ich mich zu ihm, als er sich gerade eine Zigarre anzünden ließ. »Ich bin froh, dass es dir endlich wieder gut geht«, meinte ich bieder. Er lachte schallend. »Ich weiß, dass ich nur noch vier Monate zu leben habe, darum geht es mir gut«, antwortete er. Mein Gesicht war nur mehr ein großes Fragezeichen.
Mühsam erklärte er mir: Seit drei Jahren durfte er nichts mehr tun, was im Spaß machte, und jedes Mädchen, das er gerne haben wollte, wollte immer nur geheiratet werden. Seit er (wegen inoperablen Magenkrebses) weiß, dass er nur noch einige Monate zu leben hat, braucht er auf seine Lunge (rauchen), seine Leber (trinken), sein Herz (Cholesterin) usw. nicht mehr Rücksicht zu nehmen. Und selbst die Mädchen verzeihen ihm plötzlich – so sagte er mir –, dass er für JETZT lebt: hier, im Drei-Hauben-Lokal, oder zwei Wochen auf den Fidschi-Inseln oder auf Mauritius bei Freunden oder sonst wo. Niemand erwartet von ihm mehr Versprechen »für immer« (die ohnehin nichts wert sind), sondern jeder freut sich (»carpe diem«) über die Schönheit des Augenblicks.
Ob wir alle davon lernen könnten?
8.9 Feuer und Liebe
Ich war viele Jahre in Kanada und war dort manchmal in der Wildnis unterwegs. Zum angenehmen Überleben war es immer notwendig ein Feuer zu haben, das die ganze Nacht durchbrannte: der Wärme wegen, um Stechmücken und Bären fernzuhalten und auch um etwas zu kochen. Der heiße Tee am Morgen war einfach »notwendig«! Dabei habe ich gelernt, dass das Feuer, das Verbrennen von Holz, eigentümliche Eigenschaften hat. Solange noch genug Glut da ist, kann man durch Blasen und durch Umgruppieren schwelender Äste jederzeit wieder ein großes Feuer entfachen. ABER: Wenn einmal die Glut weg ist, dann hat es keinen Sinn mehr, die halb verkohlten Äste wieder zum Brennen bringen zu wollen. Man entfernt sie am besten und fängt mit neuem Holz von vorne an …
Oft habe ich mir überlegt, dass dies mit der Liebe ähnlich ist. Eine »große« Liebe kann kleiner werden, nur noch glühen und ist jederzeit wieder »entfachbar« (und das genügt zum angenehmen Leben). Aber irgendwann, wenn die Glut nicht mehr da ist, dann geht ein Anzünden auf einmal gar nicht mehr. Um ein neues Feuer (eine neue Liebe) zu erhalten, muss das alte Holz (die alte Liebe) vergessen werden und ist neues Holz (ein anderer Partner) notwendig.
Stimmt diese recht »zynische« Analogie?