9.

 

CHRONIST: Oliver Sevenaer

GESCHICHTE DES II. IMPERIUMS

 

Robot-Handschriftliches Original;

Auszüge aus den »Marginalien über Personen« –

Auszüge aus: Befestigung der Grenzplaneten

und Ausbau der Raumpolizei.

 

»Besonders ist in der Zeit der Imperiums-Konsolidierung jener Männer zu gedenken, die durch ihren hohen persönlichen Einsatz mithalfen, Verbrechen und Piraterie innerhalb der Grenzen des Imperiums niedrig zu halten und in einigen Teilen sogar auszurotten. Die ungeheuren Entfernungen, die Menge der Planeten und Großmonde – selbst unter Berücksichtigung der Hilfe des Hyperraumflugs – stellten die eigentlichen Schwierigkeiten dar. Männer, denen die Leitung der Einsätze oblag, verzweifelten oft aus diesen Gründen. Sie hätten rascher zuschlagen müssen, aber die Zeit lief gegen sie.

Nur dem Mut ausdauernder Männer ist es zu verdanken, dass das Zweite Imperium keinen höheren Prozentsatz an Verbrechen aufweist. Einen einzelnen Polizisten, der bei diesem gigantischen Unternehmen mithalf, beim Namen zu nennen, wäre eine Ungerechtigkeit gegenüber anderen. Es sind drei Millionen im Schiffsdienst und noch einmal zwei stationär. Schließlich besitzt das Imperium fast eine Million Sonnen.

Immer wieder werden die Besten des Imperiums aufstehen und sich bereit erklären, für Sauberkeit zu sorgen. Wir wissen, was wir an ihnen besitzen ...«

 

Singh Vetura schlief vor seinen Geräten ausgestreckt und voll guten Gewissens. Wenn der Erste Offizier nahe genug heranging, konnte er sehen, wie wenig jung Singh eigentlich war. Die harten Linien um Mund, Kinn und Augen sprachen von durchwachten Nächten und sorgenvollen Tagen. Niemand der Mannschaft des Schiffes, der sich nicht für Singh geopfert hätte! Sie liebten ihren Kommandanten abgöttisch. Die Männer warteten lieber ein halbes Jahr bei zu niedrigem Sold, ehe sie ein anderes Schiff betraten.

ENIGMA-GREYHOUND hieß das Schiff. Der Avatar entsprach einem irischen Dorfpolizisten, dessen Grundnahrungsmittel schwarzes Guinness und die Lektüre der gesammelten Epen Flann O’Briens darstellten. Die GREYHOUND driftete auf einer Bahn, die in einer Schleife zurückführte an die Grenzen des Zweiten Imperiums. Sie suchten noch immer.

Singh hasste jedes Verbrechen mit fast krankhafter Intensität. Er wusste, was sein Vater war. Deshalb suchte er ihn. Merkwürdigerweise suchte er ihn nicht, um ihn festzunehmen – das lief automatisch und am Rande –, sondern, um von ihm zu erfahren, warum Las Vetura, sein Vater, Kapitän eines Piratenschiffs wurde.

Singh wachte auf. Der Erste klingelte in die Kombüse hinunter.

»Ja?«, ertönte eine müde Stimme.

»Kaffee und Whiskey für den Chef«, ordnete der Erste an. Singh warf einen blitzschnellen Blick auf die Instrumente. Er wusste, dass die Gitterröhren jeden Quadratkilometer des Alls in einem Riesenkegel vor und neben dem Schiff abkämmten. Bei einer relativen Verteilung von einem Wasserstoffatom pro Kubikzentimeter Weltall, nach der These Newell van Allens, fielen Bezirke, die mehr Partikel führten, diesem Instrument sofort auf, von Nebelwolken und Gasansammlungen ganz zu schweigen. Der Schweif ionisierten Gases, das jedes fliegende Raumschiff hinter sich herzog, musste sich als Strich auf dem Zeilenschreiber abzeichnen. Der Sucher war auf diesen Strich geeicht – und wann immer dieses Zeichen auftauchte, ging ein Alarm erster Stufe durch sämtliche Räume der GREYHOUND.

»Nichts Neues, Wilcox?«, fragte Vetura. Der Erste schaltete den Buch-Bildschirm ab, in dem er gelesen hatte und stand langsam auf.

»Nichts, Singh. Wir scheinen nicht dauernd Jagdglück zu haben.«

»Unwichtig. Routinefrage. Wir alle brauchen Ruhe.«

Hinter ihnen öffnete sich das Schott, und der Koch kam herein. Er trug ein Tablett und stellte heißen Kaffee und einen Behälter voll GlenMcDuffy auf das Pult vor Vetura.

»Bitte, Chef. Heiß und würzig. Unsere Kaffeevorräte neigen sich bedenklich dem Ende zu«, sagte der Koch grinsend. »Vom Lebenswasser haben wir noch genug.«

»Tröstlich. In Ordnung, Duck. Wir legen demnächst an und tanken nach. Du auch, Wilcox?«, sagte Singh und begann die Koffeinzeremonie zu zelebrieren. Der Geruch des schottischen Heilwassers zog durch die Kabine und wurde gierig von der Umwälzanlage angesogen.

»Eine Tasse, bitte, mit Zucker; nicht mehr. Ich bin nicht süchtig!«

Singh lächelte. Er und Wilcoxon waren im gleichen Alter, der gleichen Überzeugung und meist der gleichen Laune. Sie mochten sich und brachten dies auch auf ihre karge Art zum Ausdruck. Sie ergänzten sich vortrefflich.

»Wir kommen bald an den Satelliten Vier. Dort können wir unsere Munition ergänzen, Kaffee und einige Bomben an Bord nehmen. Sie sind für Sagitta Everest bestimmt – sie wollen dort die beiden Pole etwas aufheizen und eine Klimaänderung herbeiführen. Baukommandos sind unterwegs und erwarten den Sprengstoff in einem Monat. Die Projektile dürften schon eingelagert sein.«

»Ist in Ordnung. Die Kugel wird sich melden, wenn wir in ihre Bahn geraten.«

Sie tranken den starken, gewürzten Kaffee und spielten später eine Partie Schach. Indessen raste die GREYHOUND in einer ausgedehnten Kurve durch den Raum, der einige Außenkolonien mit den Grenzwelten verband. Sie befand sich in Hyperdrive, die zwanzigköpfige Mannschaft ruhte teilweise, andere sahen Maschinen und Waffen des Geschützdecks nach. Die Raumfahrer waren mitten in ihrem Spiel; Wilcox raubte seinem Vorgesetzten gerade einen dreidimensional operierenden Springer, als der Waffenmeister eintrat. Cravcic hatte, wie alle seiner Gilde, auf diesem Schiff keinen Vorgesetzten – klug, wie er war, anerkannte er selbstverständlich die Autorität Singhs. Er trug seine langen, schwarzen Handschuhe, wie immer. Man sah ihn nie ohne diese Dinger.

»Ich hörte gerade in der Kombüse, dass wir am Nachschubladen anlegen. Ich brauche drei neue Rubinsätze und eine Gasentladungslampe. Drei Geschütze funktionieren nicht mehr hundertprozentig. Denkst du daran?«

»Auch daran denke ich, Crav.«

Singh machte eine entsprechende Notiz.

»Setz dich zu uns, trink Kaffee oder Camána oder einen Schluck Regenbogenwein«, sagte der Commander.

Die drei Männer saßen lange zusammen. Jeder hatte die gleiche harte Schule durchgemacht und war in die Polizei aufgenommen worden. Als sie sich verabschiedeten, um sich schlafen zu legen, bekamen sie Kontakt mit dem Satelliten. Mit einem Sprung war Wilcoxon im Funksessel, während Singh seinen Sessel herumschwang und mit den Füßen bremste. Crav blieb allein stehen und trat neugierig näher.

»Verdammt, was soll das?«

Wilcox betrachtete das verschlüsselte Signal auf dem Holomonitor. Er las: vvd – .xglliv __ vvd.vvd hkl ew; zui-h ... Selbstverständlich konnte Singh den Code, der über modulierte Wasserstoffwelle ankam, fließend lesen, und die zahlreiche Wiederholung der Zeichen »vvd« sagte ihm, dass etwas Unvorhergesehenes eingetreten war: vvd – die Station wird von Unbefugten geöffnet. Die Schleuse bleibt offen, also mussten die Eindringlinge Raumanzüge tragen, der Laderaum wird betreten, nachdem ein Schott geöffnet wurde. Die Sicherung ist ausgeklemmt worden und hat versagt; Materialien im Gewicht von elf Doppelzentnern werden entfernt, aus dem Lagerbezirk 523.

»Fünfdreiundzwanzig. Das sind die Bomben für Everest. Sie sind entfernt worden.«

Singh machte schnell ein astronomisches Besteck; der Kursrechner summte.

»Distanz? Wie weit?«, stieß Wilcox hervor.

»Wenn wir beschleunigen, noch dreißig Stunden. Aber unser Sprit reicht nicht für Höchstfahrt. Sollten auch noch die Treibstoffvorräte geraubt worden sein, müssen wir zur nächsten Grenzwelt in halber Fahrt bummeln.«

Wilcox zeigte, dass er umsichtig arbeitete. Er sah nach.

»Natürlich! Hier: Betriebsstoff wird abgelassen, aber nicht alles. Der Satellit wird wieder verlassen.«

»Also, wir haben genügend Reserven, wenn wir rechtzeitig hinkommen. Maschinenraum!«

Sofort bestätigte der Chefingenieur, dass er die Maschinen beschleunigte. Der Avatar erschien in der Steuerkabine, rülpste diskret und besprach mit Singh die anschließenden Manöver und Einzelheiten des Flugs. Wilcox tippte die neuen Daten für die Manöver in den Computer. Sie warteten ungeduldig und waren ratlos.

»Wer war das?«, fragte der Erste. »Wer hat den Satelliten beraubt?«

Singh bekam einen roten Kopf, biss sich auf die Lippen und wurde wieder bleich. Nur Wilcoxon wusste, welch ohnmächtiger Zorn in seinem Chef tobte.

»Wer kann das wohl sein, Wilcox? Du weißt es genauso wie ich! Das ist der Mann, den ich seit drei Jahren durch den Raum verfolge und immer noch nicht gefasst habe. Der Mann, der sich nicht scheut, einen Polizeisatelliten auszurauben und dort, ich wette meinen Monatssold – sein verdammtes V hinterlassen wird. Mein Vater!«

»Ich fürchte es fast«, murmelte Wilcox betreten.

Cravcic verließ die Kabine und begab sich drei Decks tiefer an seine Lasergeschütze. Er wusste, dass es nach etwa dreißig Stunden zu einer Auseinandersetzung kommen konnte und ging noch einmal die Leitungen nach. Dann fuhr er probeweise die Geschütze aus, verschloss die Schotte und setzte die Anlage wieder außer Betrieb. Er ging an den Kommunikator der GREYHOUND und meldete dem Kommandanten, dass er jetzt schlafen würde, jederzeit aber geweckt werden könnte.

»In drei Minuten ist die Anlage feuerbereit. Richte bitte die Zeit knapp ein. Ich möchte ausgeruht sein.«

»In Ordnung, Crav. Lege dich in die Koje.«

Das Schiff blieb in halber Feuerbereitschaft. Ungewisse Spannung hatte die Crew ergriffen. Jeder Raumpolizist wusste von »Tiger« Singhs Jagd nach dem Vater und wünschte dem Kommandanten alles Glück. Diesmal schien es ernst zu werden – bisher hatte stets der Vorsprung den Piraten gerettet. Aber da die GREYHOUND neue Lasersätze und bessere Anlagen eingebaut bekommen hatte, war sie schneller, wendiger und tödlicher geworden. Raumanzüge wurden aus den Schränken geholt, die Kunststoffpanzer nachgesehen und die Kampfanzüge der Offiziere zurechtgelegt. Der Maat brachte die schwarzen Schuppenpanzer in die Steuerkabine.

Etwa im gleichen Verhältnis, wie das Gebiet, das sie kontrollierten, von Völkern des Homo sapiens imperialis bewohnt wurde, von Eingeborenenstämmen und anderen menschenähnlichen Planetariern, dienten Angehörige jener Gruppen in der Polizei. Maat Assandoa, Ninivebewohner aus Babylon, trug im Ohr, unter seinem blauen Haar eine Castorperle, ein seltenes, großes Stück. Singh sah ihn lange an.

»Sagt dir die Situation etwas?«, fragte er mit einer unverständlichen Scheu. Assandoa nickte. Dann öffnete er die Augen, und während er die Anzüge über die Stuhllehnen breitete, sagte er:

»Diesmal ist es etwas anderes. Du wirst mit deinem Vater sprechen können, aber ihn nicht fangen. Ein anderer wird es für dich besorgen. Frage mich nicht, wer oder wie – ich weiß es nicht.«

»Danke, Assandoa. Unten alles in Ordnung?«

»Könnte nicht besser sein. Ich komme wieder, wenn ich mehr weiß.«

»Fein. Bringe uns bitte noch etwas Kaffee.«

»Ich werde es der Kombüse weitersagen«, versprach Assandoa.

Er verschwand lautlos. Singh blickte ihm nach. Seine Augen ruhten noch auf der weißen Stahlplatte des Schotts, als sie sich bereits wieder geschlossen hatte.

»Wenn ich nur wüsste, was er mir sagen wollte«, meinte Singh. Wilcox legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm und hob den Verschluss des Raumpanzers an. Darunter schimmerte das dichte Gewebe aus Fäden, die achttausend Grad Hitze aushielten. Die Schuppen darüber resorbierten die atomaren Strahlungen.

»Warte noch. Alles wird sich klären. Die Zeit arbeitet immer für uns. Es gibt außerdem noch eine große Beruhigung: Jede Rechnung wird eines Tages bezahlt werden, auf welche Art auch immer. Wehe dem, der zu viel Schulden hat.«

»Dieser Trost ist schwach, aber immerhin akzeptabel«, entgegnete der Kommandant. Sie warteten, während sich die stählerne Nadel des Polizeischiffs weiter durch den Raum bohrte bis an die Stelle, wo sie aus dem Hyperraum herausschwingen sollte. Es waren noch fünfundzwanzig Stunden.

»Können wir den Speicher der Station schon abrufen?«, fragte Wilcox.

»Nein, noch nicht. Wenn wir nicht vorher Kontakt durch einen direkten Leitstrahl aufgenommen haben – was wir nicht taten –, dann ist es bestenfalls achtzig Millionen Kilometer vor dem Ziel möglich. Nicht zu ändern.«

»Verdammt!«, fluchte Singh. Stunde um Stunde verrann.

 

Die GREYHOUND verließ den Hyperraum, die Sterne erschienen plötzlich kalt und funkelnd auf den großen Holoschirmen des Suchschiffs. Sofort begannen ihre mächtigen Motoren die Fahrt zu bremsen. Wilcox projizierte einen Leitstrahl. Nach dem Funkspruch, der den Öffnungskode enthielt, begann die Informationsübermittlung. Seit etwa einem Jahr waren die Meldungen und Beobachtungen gespeichert worden. Mehrere Meldungen wurden übersprungen. Kleinere Raumjachten meldeten sich aus der Hyperfahrt – die Daten waren längst überholt. Händlerschiffe hatten ihre Identifikationen hinterlassen; die Robotapparatur hatte vorzüglich funktioniert. Während die GREYHOUND sich geradlinig auf die stählerne Kugel zubewegte, liefen die ersten interessanten Meldungen ein. In allen Teilen des Kugelschiffs hörten die Crewmitglieder mit.

»Die Daten? Was geben sie her?«, sagte Wilcox stirnrunzelnd.

»Hier, die letzte Meldung aus dem Hyperspace: Ein Schiff namens SEARCHER unter einem Kapitän Aidon meldete sich, wiederholte die Meldung und schaltete ab. Das war Tag vierhundertsiebzig.«

»Also vor vier Tagen?«

»Genau«, sagte Singh betont.

»Dann kam der Einbruch der Piraten. Während sie das Schott aufbrachen, kam eine andere Meldung herein ... Das ist unfassbar!«

Singh hörte am aufgeregten Ton des Ersten, dass etwas Wichtiges vorgefallen sein musste. Er riss sich von seiner Kurstabelle los und kam näher.

»Was gibt es?«, sagte er stirnrunzelnd.

»Das ist wohl die interessanteste Sache, die seit Jahren durch den Funk ging. Dieser Aidon aus Ninive Sagitta hat das System Axarnea wiederentdeckt!«

Singh wurde bleich und starrte ungläubig auf die Schriftzeilen eines Nebenschirms.

»Garry Vipers Lieblingssystem?«

»Das ist es«, sagte der Erste. Wilcox las vor, was die Apparatur schrieb. Dazu kamen noch die Worte aus dem Lautsprecher:

»Die Piraten haben, hier die Notiz des Robots, diesen Teil der Informationen mitbekommen. Jetzt weißt du auch, wo sie zu suchen sind.«

Nachdem sich die erste Unruhe an Bord gelegt hatte, konnte Singh die folgende Meldung nicht mehr sonderlich überraschen. Die Crew hörte erstaunt:

»Hier spricht wieder Guy Aidon von Planet Dorian des Systems Axarnea. Nach unserem letzten Funkspruch sind zwei Tage vergangen. Wir haben die Anlage des Transmitters unter Kontrolle. Morgen werden wir beginnen, die anderen Maschinen zu benutzen und uns einen Überblick über die Lage auf den anderen sieben Planeten zu verschaffen. Das Schiff ist bereits voller Gegenstände aus den Wohnräumen der Priester – auch Bücher sind darunter und besprochene Bänder. Die Kultur ist eine seltsame Mischung aus Steinbauten mit maschinellem Inhalt einer hohen technischen Stufe. Flamsteed arbeitet an einer technischen Beschreibung der Transmittermaschinen – wir hoffen, dem Imperium neue Erkenntnisse zu vermitteln ...«

Andere, wichtigere Worte folgten, in der heiseren Stimme Aidons. Die Männer des Polizeischiffs saßen wie gebannt vor dem Gerät. Auch der Waffenmeister hörte zu. Dann begannen sie zu handeln.

»Das ist eine Parallele in der Geschichte. Ein Außenseiter leistet hier ganze Arbeit. Aber die Piraten?«, sagte Wilcoxon.

Singh biss die Zähne zusammen und murmelte hinter halb geschlossenen Lippen:

»Gib mir bitte den genauen Zeitplan und die Entfernungen. Aidon hat uns exakte Koordinaten hinterlassen.«

Sie verfolgten die beiden Schiffe auf den Karten, nachdem sie den Zeitplan fertig gestellt hatten. Singh sagte hart:

»Es ist ganz einfach. Aidon passierte bei Meldung A die Station und identifizierte sich. Dann vergingen zwei Tage bis zur Meldung – er ist gelandet und sucht im Hain. Drei Tage Schweigen – dann brechen die Piraten die Schotte auf und hören das Band ab. Es ist anzunehmen, dass sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen werden. Wir sind diesmal im Vorteil. Keiner weiß etwas von uns. Nur Aidon ahnt, dass wir hier vorbeifliegen können. Zwei Tage brauchen die Piraten zur Erreichung des Zieles. Dann werden sie sich auf die Forscher stürzen. Wir sind ihnen auf den Fersen. Aber wir brauchen noch Zeit.«

Die Finger des Ersten tanzten über dem Keyboard. Dann erschienen neue Koordinaten und Kurslinien.

»Wenn wir auf den Planeten ankommen, sind die Forscher fast acht Tage auf Dorian – die Piraten eineinhalb. Also, Männer, ihr habt alles mitgehört?«, sagte der Offizier.

Von den Stationen trafen die Meldungen ein. Die Polizisten waren auf ihren Posten. Wilcox wusste, dass sie handeln würden, sobald die Station erreicht war. Die Mannschaft des Tigers Singh war eine der besten, die es gab. Normale Männer, wie sie in jedem Schiff zu finden waren. Das Geheimnis dieser Schlagkraft war die Beliebtheit des Kommandanten. Sie spurten, weil es ihn freute.

In der Ferne wuchs ein Punkt, der jedoch nicht das Licht einer Sonne darstellte. Er wurde rasch größer. Die Periskope des Maschinenraums stellten sich darauf ein. Zehn Minuten später hielt die GREYHOUND an der aufgebrochenen Schleuse der stählernen Kugel. Drei Teams enterten den Satelliten. Sie fuhren eine luftdichte Röhre aus, die Kugel und Schiff miteinander verband. Die Männer enterten hinüber. Kommandos, mit denen sie sich verständigten, klangen über die Helmlautsprecher. Zunächst wurde der Proviant ergänzt. Noch während ein Trupp diese Arbeiten durchführte, schlossen andere Männer die Tanks an. Hochdruckpumpen jagten die Reaktionsmasse durch dicke Schläuche in das Schiff. Cravcic holte seine Laserteile und Reservehandschuhe – ohne die schien er nicht auszukommen.

In der zerstörten Schleuse war ein Zeichen in die Wand eingebrannt. Der Kommandant, ein Schatten zwischen seinen Leuten, erstarrte. Ein Blick durch die Helmscheibe zeigte den Vorbeieilenden, was Singh fühlen musste. Unter dem blonden Haar blickten seine Augen auf das Zeichen V. Seine Fäuste schlossen und öffneten sich. Er drehte sich um und rannte in die Steuerkabine. Wilcox rief die Stationen des Schiffes ab, als der Kommandant im Schuppenpanzer hereinstürmte. Mit einem Blick sah der Erste, was los war.

»Singh!«, rief er hart. Langsam wandte der Kommandant den Kopf. Der Blick, der Wilcox traf, war voll abgrundtiefer Ratlosigkeit. »Verdammt! Mach dich nicht krank! Vergiss dieses V, und sieh zu, dass wir wegkommen. Je schneller wir Fahrt aufnehmen, desto eher bist du an deinem Ziel. Dreh bitte nicht durch!«

»Du weißt nicht«, sagte Singh, während er den Verschluss des Helmes öffnete und sich die durchsichtige Kugel von den Schultern schraubte, »was es für mich bedeutet. Seit Jahren komme ich immer an irgendeine Stelle dieses Imperiums, an der kurz vorher mein Vater war. Mir bleibt nur übrig, sein Zeichen zu bewundern. V steht für Vetura, sagte er. Und dann soll ich nicht zornig sein.«

Wilcox schloss die Schleuse im Mittelschiff. Die letzte Fertig-Meldung kam an.

»Der Kommandant wird gebeten, die Anordnungen zu erteilen – bitte, Singh.«

Die ENIGMA-GREYHOUND legte von der blitzenden Kugel ab, und aus sämtlichen Düsen brach weiß glühendes Gas. Die Feuerkugel breitete sich aus, zerschmolz dann zu einer Spindel, und schließlich war es nur noch ein dünner Faden ionisierter Partikel, der sie mit dem dahinschießenden Schiff verband. Die Reaktoren liefen auf Hochtouren. Innerhalb von Sekunden war der Satellit aus der Sicht entschwunden. Das Zielgebiet war fünfundsechzig Stunden entfernt. Das Schiff nahm Kurs auf die Sonne Axarnea und deren insgesamt elf geheimnisvolle Planeten.

 

CHRONIST: Oliver Sevenaer XXXI.

GESCHICHTE DES II. IMPERIUMS

 

Robot-Handschriftliches Manuskript (Auszüge)

 

»Der schwarze Götze«, schrieb Tamione Gadira Fineletters ruhig, »des VERLORENEN SYSTEMS kann als Metapher dafür dienen, dass sich bestimmte Faktoren der Geschichte wiederholen. Drei Beispiele von vielen mögen die Überlegungen des Chronisten illustrieren: Die Tempel der Insel Malta, die ägyptischen Tempel und Totenmale und die Maya-Bauwerke im südamerikanischen Kontinent; alle auf Terra/Sol. Die erwähnten Beispiele zeigen ein Dilemma der historischen und archäologischen Forschung auf. Die Erbauer jener schier unvergänglichen steinernen Hinterlassenschaften hausten selbst in Hütten oder Bauten aus Lehmziegeln und dergl. die binnen kurzer Zeit, nach dem Verschwinden oder Aussterben der Mega-Baumeister, meist spurenlos vergingen. Kein Forscher, der sich mit terranischer Geschichte beschäftigt, war wirklich überrascht, dass diese Gesetzmäßigkeit auch für die meisten, ehemals besiedelten Planeten der Galaxis zutraf. (Ausnahmen bestätigten die Regel). Riesige Tempelbauten und Anlagen, die religiösen Zwecken dienten, teilweise von monströsen Ausmaßen und voller geheimnisvoller Alien-Technik, boten den Entdeckern mancherlei, mitunter gefährliche, ja tödliche Überraschungen. Aber Zeugen des täglichen Lebens waren und blieben sensationell selten; was für Terra gilt, fand sich auch in den Weiten der Galaxis und ...«