2.

 

»Die Zelle ist der kleinste Bestandteil organischen Lebens. Auf den Erbträgern sind alle Merkmale, die später ein ausgewachsenes Individuum kennzeichnen, vorgezeichnet. Jede befruchtete Eizelle ist ein komplettes Wesen im Mikroformat. Die Forscher sind schon lange in der Lage, Vorgänge innerhalb der Zellen zu studieren und wissenschaftliche Erkenntnisse zu fassen – bei dem bekannten irdischen Leben.

Aber was geschieht, wenn sich Fachleute konfrontiert sehen mit Mikro-Organismen, die sich nicht in die bekannten Formen einordnen lassen – Organismen, die kleiner sind als die kontrollierenden Zellkerne und die auf die Zellen angewiesen sind, um leben zu können? Dinge, die aus einer fremden Welt zu kommen scheinen. Was kann geschehen? Heute wissen wir es ...«

 

Inmitten des Lichtkegels der Deckenlampe lag die schwarze Kugel. Clinton hatte die Lampe heruntergeschoben. Der Schatten des verstellbaren Armes zeichnete einen Balken an die Decke des Forschungsraums. Der süßliche Geschmack aus der Narkosepfeife des Floridonianers mischte sich mit dem Geruch der Baracke. Die Forscher saßen gespannt in ihren hochgeschobenen Drehsesseln. Garry Viper hatte eine Holokamera aufgebaut und stellte die Lichtstärke ein. Sein weißes Haar lag in der Dämmerung wie eine Kappe um seinen schmalen Schädel. In der Ecke lief ein Aufnahmegerät – Mikrophone und Linsen hingen über den Köpfen der Männer.

Andreatta sah gebannt auf das Ding. Diese Kugel stammte nicht von diesem Planeten. Immer wieder hämmerte etwas in seinem Hirn diese Worte. Jorge riss sich los und zog die Gummihandschuhe glatt.

Der weiße Bart Van Clintons schien sich zu bewegen, aber es waren nur der Reflex der silbernen Hände des Roboters, die sich unschlüssig vor der Kugel bewegten. Es konnte sein, dass etwas in dem Ding enthalten war, das sich mit einer donnernden Explosion entlud und die Hände des Öffnenden zerriss.

Der Robotfachmann und Technologe Doug Wayman hatte seinen besten Gruppenrobot herbeizitiert und bangte um seinen Schützling. Er war aus dem System Alpha Fomalhaut und besaß das Gefühl für Mikrotechnik, das bei den positronischen Hirnen der eisernen Sklaven als Voraussetzung mitgebracht werden musste.

Klick ... klick ... machte die Kamera. Das Aufnahmegerät summte. Die Männer zogen sich zurück. Hier war etwas, das sie weder greifen noch abschätzen konnten.

»Fangen wir an.«

Garry nickte scharf in die Richtung von Doug Wayman. Dieser zuckte nervös zusammen.

»D-acht! Du lässt die Kugel auf dem Tisch liegen und versuchst, den schwarzen Knopf zu drücken. Wenn sie sich nicht oder schwer öffnen lässt, nimmst du dieses Skalpell und drückst in die feine Rille. Achte darauf, dass wir nicht verletzt werden. Verstanden?«

»Völlig.«

Der Robot machte einen Schritt vorwärts und beugte sich nach vorn. Ein zweiter Scheinwerfer sprang an. Die Lichtkegel trafen sich über den silbernen Händen mit den Plastikhandflächen der Maschine. Der Knopf wurde gedrückt. Die Schalen der Kugel gingen unter den zart zugreifenden Fingern auseinander, bis sie zwei Halbkugeln bildeten.

Eingebettet in die Höhlung zeigte sich eine weitere Kugel. Sie wurde von winzigen Federn in der Schwebe gehalten und war durchsichtig. Ihr Inhalt opalisierte unter dem Licht.

Klick, machte die Kamera, klick.

Dann zerriss eine Detonation die kleine Kugel und überschüttete die Forscher mit einem sprühenden Regen. Andreatta riss die Hände hoch, um sein Gesicht zu schützen. Zu spät! Ebenso zu spät kam die Reaktion des Floridonianers. Er ließ sich seitwärts aus dem Sessel kippen. Seine Nägel rissen lange Kratzer in den Kunstlederbezug. Der Robot stellte die Kugel vorsichtig auf den Tisch und trat drei Schritte zurück.

Sie sahen, dass Dave M. Sarcec eine kleine Wunde hatte. Ein Stück des Materials, aus dem die kleinere Kugel bestand, war ihm gegen die Stirn geprallt.

»Ist meine Aufgabe beendet?«

Der Roboter sprach zögernd. Seine positronischen Denkkreise konnten mit diesem Geschehen nichts anfangen. Hierüber waren ihm bei seiner Herstellung keinerlei Informationen geliefert worden.

»Du kannst zurück in die Stadt schweben.«

Der Roboter verließ die Forscherbaracke. Die Kamera lief immer noch. Ihre Weitwinkellinse erfasste die verblüfften und ängstlichen Gesichter der Forscher. Garry schaltete den Apparat aus. Van Clinton hatte sich als erster gefangen und begann zu lachen. Er betrachtete die Gesichter seiner Freunde und lachte noch mehr. Dann stand er auf, schaltete das Band ab und schlug Andreatta auf die Schulter. Auf seinen Fingerdruck schoben sich die Blenden der Fenster auseinander. Licht drang in den Raum. Die Scheinwerfer erloschen. Clinton lachte noch immer.

»Was, bei aller Freundschaft, gibt es zu lachen?«

Sheroy fuhr Van aufgeregt an. Clinton zerfurchte seinen Bart.

»Das ist so ungemein lustig: Wir graben ein Jahr lang nach einer antiken Kultur, und wir finden eine Kugel, die nichts mit diesem Planeten zu schaffen hat. Sie stellt sich als ein Scherzartikel von kosmischer Bedeutungslosigkeit heraus, indem sie in einer Wolke wässrigen Nebels explodiert. Ist das nicht köstlich?«

»Das ist die eine Möglichkeit. Es gibt immer bei einer Theorie mehrere Arten, sie anzugehen. Ich habe mich mit einer anderen auseinandergesetzt. Sie ist weniger spaßig.«

»Ich weiß«, entgegnete Clinton dem Sagittaner, »aber ich nehme es zunächst, da doch nichts mehr zu ändern ist, von der komischen Seite. Wenn du Recht hast, sind wir soeben infiziert worden. Es kann sein, dass es sich als harmlos herausstellt, aber es kann auch eine Art planetare Pest sein, an der die Leute hier vor sechshundert Jahren gestorben sind. Ihre Kultur kannte keine Abwehrmittel gegen Virusinfektionen, das wissen wir.«

Auf jeden Fall – keinerlei Kontakt während der nächsten Zeit mit den Leuten im Schiff, Cutie eingeschlossen. Klar?«

Das war ein dienstlicher Befehl Garrys, und sie alle würden ihn befolgen.

»Das Essen werden wir uns bringen lassen müssen. Duschen können wir uns am Fluss.«

»Das wird einige Männer nachdenklich machen, besonders den Kapitän. Sie werden wissen wollen, was los ist«, meinte Andreatta.

»Sagen wir ruhig die Wahrheit – wir sind wahrscheinlich von einem Fund infiziert worden. Aber wir sollten ihnen eine harmlosere Version erzählen und Ausdrücke wie Pest vermeiden.«

»Gut«, sagte Andreatta, nahm den Hörer des Feldtelefons ab und meldete Cutie den Vorfall in allen Einzelheiten. Zunächst wollte Cutie nichts von Vorsichtsmaßnahmen wissen, aber auf die Gefahr einer weiteren Verseuchung nach der Heimfahrt aufmerksam gemacht, ließ er sich überzeugen. Er versprach, das Nötige zu veranlassen.

»Gehen wir die Punkte dieser Angelegenheit einmal durch. Jeder Spezialist gibt einen Überblick. Woher kann diese Kugel stammen, wenn nicht von hier?«

Garry wandte sich an Sarcec, den Mann, der am meisten von Fremdsprachen, Schriften anderer Kulturen und ihrer Deutung verstand.

»Nun, hier herrschte eine archaische Kultur. Unter diesem Begriff verstehen wir heute etwas anderes als vor dem Ende des Ersten Imperiums. Jede Kultur ohne Raumflug ist für uns archaisch. Sie konnten hier recht gut Eisen bearbeiten. Mit weicheren Metallen konnten sie besser umgehen als jemals die Künstler Tutanchamuns. Aber sie waren nie in der Lage, eine gehärtete Stahlkugel von solcher Präzision herzustellen oder Glas so zu präparieren, dass es mehrere Atmosphären Überdruck aushält – sechshundert Jahre lang. Auch dieser Verschluss ist etwas, wozu sie niemals fähig waren. Für mich ist das Fehlen jeglicher Zeichen ein Hinweis, dass dieser Körper von außerhalb dieses Planeten kommen muss.«

»Hat jemand zu dieser Annahme etwas hinzuzufügen?«, rief Garry.

Niemand zweifelte daran. Der wendige Achernarier setzte sich zurück.

»Das Buch?«

Garry fühlte sich angesprochen. Sheroy, der diesen Einwurf machte, wusste, dass jedes Wort und auch jede verborgene Bedeutung inzwischen von Garry entschlüsselt worden war. »Das Buch sagt nichts über diese Kugeln, auch ist in keiner Silbe enthalten, dass fremde Wesen hier gelandet wären. Es sei denn, sie taten es vor der Zeit der geschriebenen Geschichte – plus einem beliebigen Zeitfaktor –, in der die Erzählungen, Legenden und Märchen dem Chronisten zugänglich waren. Drei Generationen – etwa zweihundert Khorsabadjahre – einhundertneunzig terranische. Nichts!«

»Die anderen Völker, meist kleine Stämme, die unorganisiert in der Weite des Planeten lebten, kommen als die Erzeuger ebenfalls nicht in Frage. Sie waren zu jeder Zeit nur ein schwacher Abklatsch der Intelligenz Chi Sakkaras und hatten weder qualifizierte Leute noch die handwerklichen Fähigkeiten und Geräte. Sie scheiden bei dieser Betrachtung aus«, erklärte der Historiker Van Clinton. Der Gewölbespezialist stellte die erwartete nächste Frage:

»Können wir mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass diese Kugel – oder mehrere von dieser Sorte – aus dem Weltraum gekommen, ist?«

Kyler, der Imperiumsforscher, meldete sich zu Wort:

»Grundsätzlich ja. Wir wissen, dass die Leute, denen wir auf Cedar begegneten, genauer dem, was sie übrig gelassen hatten, den drohenden Untergang ihres Systems abwenden wollten und jahrelang Botschaften in Miniaturschiffen in den Raum hinausschossen. Sie hatten insofern Erfolg, als die Schiffe einer anderen Rasse sie evakuieren konnten. Ihre Raumschiffe waren klein, weil sie auf dem Planeten zu wenig Erz hatten, um große Schiffe zu bauen. Am Ende ihrer Aktion wurden in den Werken selbst Maschinen eingeschmolzen, um Blech für die Hüllen herzustellen. Die Möglichkeit, dass unser Fund aus einem anderen Teil der Milchstraße kommt, ist durchaus nicht abwegig.

Aber woher und zu welchem Zweck die Viren oder Bakterien herumgeschossen wurden, das kann ich nicht ... Halt! Natürlich. Sie können nur einen Zweck haben, nämlich den, andere Wesen zu infizieren. Sonst wäre diese Apparatur nicht gebaut worden.«

Doug Wayman holte aus einem der Schränke verschiedene Gerätschaften. Er schloss das Elektronenmikroskop an und nahm einige Schaltungen vor. Dann näherte er sich vorsichtig Dave Sarcec und strich etwas von dem geronnenen Blut aus der Wunde auf einen Objektträger, den er unter die Linse des Kombimikroskops brachte.

Nacheinander nahm er verschiedene Einstellungen vor und vergrößerte die Zellen bis zur Auflösungsgrenze. Die Forscher sahen ihm schweigend zu, dann blickte auch Andreatta, der Biologe, durch den Gummiwulst und drehte an den Hebeln.

»Nichts. Die Viren oder Bakterien müssen sich unglaublich schnell in unser Inneres verzogen haben. Sie sind außerhalb der Wunde nicht mehr feststellbar. Wir sind alle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit infiziert. Zu spät, um darüber zu diskutieren.«

Götterstandbilder und Fetische Mordoks und seiner Untergötter, golden, aus Elektrum, reich mit Steinen und Glasfluss verziert, grinsten die Forscher von den Regalfächern an. Sie standen an den Wänden hinter einem Geflecht aus durchsichtigen Nylonfäden, die ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleisteten.

»Wenn niemand dagegen ist, möchte ich mir von Jorge einmal anhören, was nun mit uns geschieht. Jedes Opfer hat das Recht, etwas über seine Todesart zu erfahren. Jemand dagegen?«

Niemand hatte Einwände. Jorge klopfte mit dem Stiel seiner Pfeife gedankenverloren gegen die Kante des weißen Tisches. Dann schob er die Pfeife in die ausgebeulte Brusttasche seiner Lederjacke und begann leise zu sprechen. Seine Freunde beugten sich vor.

»Ein Virus benötigt zum Leben nur eines – Leben. Es findet es in der Zelle des Säugetiers, die anderen Virusarten auch in pflanzlichen Zellen. Das Virus frisst die Bestandteile des Zellmaterials, das Protoplasma auf und wächst mit Hilfe dieser Nahrung. Der Prozess ist kompliziert – das Virus zwingt den Stoffwechsel der Wirtzelle in seinen Dienst und verdoppelt sich schließlich, wenn es satt genug ist. Dieser Prozess wächst in geometrischer Progression, und schließlich stirbt die Zelle infolge des Nahrungsmangels ab – das Leben stirbt.«

»Keine andere Möglichkeit, Jorge?«

Viper wollte nicht, dass das Gespräch mit dieser dumpfen Einsicht endete. Jorge begriff und sprach weiter, ohne seinen Freunden Gelegenheit zum Nachdenken zu geben.

»Es entspinnt sich vor dieser Entwicklung ein Kampf, der tödlich ist. Wenn man diese wütenden Aggressionen unter der Linse des Mikroskops beobachtet, vergisst man, was man eigentlich sieht. Die Zelle wehrt sich gegen den Eindringling und schafft Abwehrstoffe, die zunächst das Wachstum des Virus hemmen und es schließlich zu einem unbedeutenden Mitglied des Körpers machen können. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit für eine Virusentwicklung:

Die Eiweißmoleküle des Zellkerns und der Gene, auf denen die Erbmerkmale aufgezeichnet sind, und andererseits die Viren gleichen einander. Es ist möglich, dass dieser Kampf eine Verdoppelung des Zellkerns oder einiger seiner Teile bewirkt – meist aber wuchert die Zelle aus. Versuche in Mars Technica, der biologischen Universität, die mich ausgebildet hat, ergaben aber auch bloße Verdoppelungen des Zellkerns mit künstlich geschwächten Viren. Wir kamen aber nur bis zu diesem Punkt. Die verdoppelten Zellen innerhalb einer Kaninchenleber sind nicht weiter interessant. Aber Neurozellen oder Hirnzellen würden vermutlich anders aussehen. Noch etwas – bitte keine Panik! Wir sind mit Serum vollgepumpt worden, und keine bekannte Krankheit dieser Art innerhalb des Imperiums kann uns ernstlich gefährden. Auch ein neuartiges Virus wird mit zahlreichen Abwehrstoffen in unserem Blut zu kämpfen haben. Das ist alles.«

»In Ordnung, Jorge; es besteht wohl kein Grund zur Panik. Ich schlage vor, wir öffnen jetzt den Metallkasten, den die Robots bei unserem Skelett fanden.«

Zwei Männer holten die Kiste und stellten sie in die Mitte des Untersuchungstisches. Ein breites Spruchband zog sich, in der Mitte getrennt, um die Senkrechte des Behälters. Sarcec versuchte, die Anfangsrunen zu entziffern, hörte aber sofort auf. Er schaffte es nicht ohne Bestimmungsbuch und elektronische Hilfen, auch hätte es zu lange gedauert. Ein Skalpell blitzte in Garrys Hand auf und zog einen raschen Schnitt durch die Dichtung aus vertrocknetem Harz. Dann klappte der Archäologe vorsichtig den Deckel hoch. Die Männer an seiner Seite sahen hinein.

Das Pergament aus Tierhäuten roch nicht nur – es stank geradezu. Aber niemand störte sich daran, als Garry ein archaisches Schreibzeug hervorholte. Die Schreibflüssigkeit in einer getriebenen Metallschale mit Glasflussverzierungen in intensivem Blau war noch sichtbar in Form einer schwarzen Rußschicht. Die drei Stempel, mit deren Zeichen die vollständige Keilschrift der Sakkaraner auskam, lagen auf den säuberlich geschnittenen und mit goldenen Nägeln zusammengehefteten Bogen des Pergaments.

Garry hob beides vorsichtig heraus. Stempel, Schale und Nägel würden nicht zerfallen. Aber das Pergament war jetzt, der frischen Luft ausgesetzt, in stärkstem Maß bedroht. Die Männer holten Kunststofffolien und lösten vorsichtig die Nägel ab. Dann umhüllten sie die Blätter mit der Folie, pressten sie behutsam an und verschweißten sie an den Rändern, so dass die Blätter wieder luftdicht verpackt, aber die Zeichen durch den Kunststoff lesbar blieben.

Dann war die Kiste leer. Alle Dinge wurden hinter die Glaswand eines Schrankes gestellt. Die Männer riefen hinüber zum Schiff. Man brachte ihnen nach einer Viertelstunde das Essen, gut verpackt und in Einweggefäßen. Kyler übergoss sie später mit Konservierungslack, mit dem die Robots freigelegte Bilder und Friese bestäubten, und zündete sie an. Das Plastikmaterial verbrannte, und der Rauch wallte um die Flachdächer der fünf Baracken. Dann rüsteten sie die kleine Gewölbeexpedition aus, die am Nachmittag gestartet werden sollte.

Seit einigen Monaten war Clinton ungenießbar und erklärte jedem, der nach Gründen fragte, dass er es satt habe und darauf wartete, dass auf diesem Sandplaneten einmal etwas geschah, das man als Abwechslung bezeichnen könne. Sie hatten damals noch nichts von Mordok gewusst, und die Geheimnisse um das Ende der Kultur waren noch nicht in diesem Maße drückend geworden. Jetzt hatte er, was er gesucht hatte!

Abwechslung – es konnte sein, dass sie ausgesprochen tödlich war. Das kennzeichnete die Gedanken, mit denen er sich auf seine Art herumschlug.

 

Die verschiedenen Geräte lagen bereit. Es war Nachmittag, vier Uhr, als Garry zur Gruppe stieß und sich umsah. Mark Sheroy hatte eine gefütterte Jacke an, die ihn vor eventuell herunterstürzenden Trümmern schützen konnte, einen Helm aus unzerbrechlichem Plastik auf dem Kopf und ein Sauerstoffgerät auf der Brust. Dünne, griffige Nylonseile wanden sich um die Schultern – er trug eine Energiewaffe am Gürtel. Die Hände steckten in Lederhandschuhen, die bis zu den Ellenbogen reichten.

Aston Kyler, der Imperiumsforscher, sah ähnlich aus. Er hatte auf die Jacke verzichtet und trug stattdessen eine schwarzlederne Weste mit großen Taschen, in denen sich Mikrokamera, Blitzgerät und Funkanlage befanden. Das Zweitgerät stand unter einem Sonnensegel neben dem Tempel. Auf einem Feldstuhl hockte Wayman, der Robotmechaniker, und drehte an den Abstimmungsknöpfen. Aston zählte laut bis zehn und streifte sich seine Handschuhe über die Finger. Garry nickte ihm zu.

»Gehen wir?«

»Von mir aus, sofort. Bist du klar?«

»Völlig.«

Garry trug die gleiche Kleidung wie der Imperiumsforscher. Nacheinander griffen die Männer zu den Pickeln und ließen sich über den Rand der aufgeklappten Schachtanlage in die Tiefe. Eine schmale Treppe begann unter dem viereckigen Loch.

»Der Empfang ist ausgezeichnet – bitte erzählt uns sofort, wenn ihr etwas Besonderes erlebt.«

Garry, der als letzter einstieg, winkte mit dem Pickel zu Doug zurück. Dann waren sie verschwunden. Nur der Widerschein ihrer Gürtellampen geisterte durch den Schacht, über den sich Andreatta gebeugt hatte. Er klopfte sich Sand von den Hosen und ging zu Doug hinüber. Aus dem Lautsprecher erklang das Geräusch der vorsichtigen Tritte der drei Forscher. Sand knirschte in den hochempfindlichen Mikrophonen.

 

Dunkelheit und absolute Stille hatten sie überfallen wie eine Drohung, und sie schwiegen. Die Lichtkegel glitten über die schwarzen Stufen eines Basaltstreifens und wurden von den rauen Platten des Schiefers abgelöst. Die Treppe war aus massivem Fels gearbeitet. In die Gänge waren Bilder geschlagen worden – ein Semifries, das die Taten Mordoks schilderte. Aber die Forscher warfen nur flüchtige Blicke darauf. In Schlangenlinien wand sich die Treppe abwärts. Die Männer zählten die Stufen und waren bald bei zweihundert angelangt. Jede Stufe war etwa dreißig Zentimeter hoch. Immer noch war nichts zu sehen. Garry blieb stehen.

Kyler gab einen kurzen Bericht nach oben durch; dann gingen sie weiter. Rechts und links zogen sich die behauenen Wände zurück. Der Treppengang wurde zu einer Art Rampe, die in einen größeren Raum hineinführte. Die Lichter verloren sich in der Tiefe, als sich Sheroy vorbeugte und nach unten leuchtete. Eine natürliche Halle nahm die Forscher auf. Ihre Schritte wurden vorsichtiger. Garry konnte sehen, dass tief unter ihnen unförmige Dinge standen. Hoch und mächtig, aber noch unkenntlich.

Wieder blieben sie stehen und warteten, bis Kyler seinen neuen Bericht durchgegeben hatte. Dann wandten sie sich weiter nach unten und versuchten, sich durch die Ausmaße der Halle nicht von der Treppe ablenken zu lassen.

Sie befanden sich nach kurzer Zeit noch zwanzig Meter über der Sohle der Halle. Garry hatte die Spitze übernommen und tastete sich von Stufe zu Stufe abwärts, während Sheroy und Kyler rechts und links um eine Stufe zurückgeblieben waren. Kyler drehte sich um und sah die seltsame Apparatur am Rande hinter der Brüstung. Sie hing an eisernen Verstrebungen, die man in den Fels getrieben hatte, und war von unten durch eine metallene Leiter zugänglich. Sein Fuß schnellte vor und traf den Sagittaner in den Rücken. Garry strauchelte und fiel.

»Achtung, Garry, bleib dicht über den Stufen. Vorsicht!«

Gleichzeitig warf Kyler sich zurück und riss Sheroy mit sich. Sie fielen hart auf die Steine. Garry sprang zur Seite. Seine Hände stützten den fallenden Körper ab, und der Archäologe rollte geschickt von Stufe zu Stufe abwärts. Dann hörten die Männer ein seltsames Schleifen.

Ein Stakkato hallender Schläge folgte und erfüllte die Stille mit Nerven zerreißendem Lärm. Aus Löchern, nicht größer als eine halbe Handfläche, schossen blitzende Geschosse, die sich krachend genau dort in ein Polster aus dicken Holzbohlen bohrten, wo noch vor einer Sekunde Garry gestanden hatte. Es waren Speere mit geschliffenen Blättern, die den Archäologen getötet hätten.

Zwölf Speere zählte Viper, als er sich bleich und wortlos aufrichtete. Nach Art einer ballistischen Anlage waren offensichtlich gespannte Eisenblätter durch einen Hebel, der mit einer beweglichen Steinplatte als Tempelstufe gekoppelt war, gelöst worden. Sie schossen die Speere durch ein Führungsrohr quer über die Treppe. Jedes Wesen, das sich in ihrer Bahn befand, musste getroffen werden. Eine halbe Sekunde Zeit, seine schnelle Reaktion und Kylers zufälliger Blick hatten den drei Männern – gewiss aber mindestens Garry – das Leben gerettet. Schaudernd sagte Viper: »Danke, Aston.«

Aston nickte und sprach abgehackt durch das Mikrophon. Die Forscher in der Arena hörten mit steigender Verwunderung von der Anlage, die nach sechshundert Jahren immer noch in Betrieb war. Sie waren zusammengezuckt, als sie Kylers Schrei gehört hatten, und machten Anstalten, zur Rettung der Freunde in die Schwärze des Ganges nachzuspringen.

»Es ist alles vorbei. Seht euch diese archaisch raffinierte Falle an! Wer immer auf diese Stufe trat, war tot. Ob unser Fundskelett auch hier seine tödliche Verwundung erlitt?«

»Möglich. Wir werden es kaum erfahren.«

Sie leuchteten mit ihren Lampen hinüber. Kyler machte schnell einige Aufnahmen. Das Licht des Vakuumscheinwerfers blendete die Männer für einige Zeit, dann sahen sie die Falle. Befestigt an der Felswand, führten zwölf Rohre von dem Durchmesser eines Oberschenkels bis zu Öffnungen in der Brüstung neben der Treppe. Dahinter waren die Metallfedern, die jetzt in Ruhestellung lagen. Sie wurden durch eine stabförmige Sperre in ihrer gespannten Lage gehalten; zwei Zuführungen verbanden lose Platten mit dem Auslösemechanismus.

Zwei Stufen bildeten die Kontakte – von unten konnte niemand entfliehen, von oben keiner eindringen, ohne die Falle zu passieren. Sie blickten schaudernd die Speere in den verwitterten Holzbohlen an. Die Wucht des Aufschlags hatte die Geschosse zwei Handbreit tief hineingetrieben. Die Spannung wich von Garry und seinen Freunden. Er setzte sich auf die Stufen und brannte sich eine Narkorette an. Hastig zog er den Rauch in die Lungen und atmete langsam aus.

Gleich darauf standen die Männer am Boden der Halle. Sie maß, nach schneller Schätzung, etwa dreißig Meter im Durchmesser. Die Decke ging unmerklich in die Wände über. Der Innenraum war mehr oder weniger geglätteter Fels: Basalt, heller Tuffstein und Adern planetaren Kalkes. Von der Decke hingen armdicke Kabel und verloren sich an gläsernen Dingen, die an einer Kugel aus Bronze befestigt waren. Kyler erklärte heiser:

»Über uns ist der Tempel ...«

»... und einige Meter weiter ragt die Ziggurah auf. Wir befinden uns darunter. Was ist das?« Sheroy deutete auf die seltsame Anlage.

»Keine Ahnung.«

Die Stille verführte Sheroy und Kyler dazu, ihre Unterhaltung im Flüsterton zu führen, Aston drehte sich langsam. Der Kegel seiner Lampe bestrich die Felsenflächen und blieb schwankend an einer Mauer aus metallbeschlagenen Ziegeln stehen, die einen Durchbruch verschloss.

»Noch etwas, das wir nicht kennen. Später ...«

In der Mitte der Halle befand sich, gleich der Grundplatte eines Stromgenerators, ein segmentförmiger Sockel aus Stein. Darauf war ein verwirrendes Gestänge angebracht, und dieses hielt verschiedene Kugeln von unterschiedlicher Größe. Kleine Kugeln waren aus Eisen, größere, goldfarben und noch umfangreichere Elemente schienen aus Bronze zu sein. Grünspanbedeckte Kupferleitungen verbanden die Teile der Anlage und wanden sich in Schlangenlinien aneinander vorbei.

Die Männer erblickten eine Bank, die man mit viel Phantasie mit einer irdischen Schaltanlage vergleichen konnte. Es waren keine Uhren zu sehen, aber Behälter aus Glas, mit verschiedenfarbiger Flüssigkeit gefüllt. Hebel und Drähte von großem Querschnitt – mehr gebogene dünne Stangen – wuchsen aus dem Tisch und hingen frei in der Luft. »Hier werden wir nicht nur unseren Robotmechanikern und Technologen brauchen, sondern die Maschinenwarte aus dem Schiff. Was soll das darstellen?«

»Maschinen, die es eigentlich nicht geben dürfte. Sie sind keinesfalls in den Hirnen der Menschen von Sakkara entstanden«, sagte staunend der Sagittaner.

»Vielleicht zeigt uns das neu aufgefundene Buch etwas Genaueres. Wann können wir es enträtselt haben?«

Garry wandte sich an Kyler.

»Wenn es Dave schafft, nur mit Hilfe eines Dechiffriergeräts und seiner Bestimmungsbücher, dann brauchen wir dazu einen Monat. Unsere Expedition wird sich länger hinausziehen, als wir dachten. Aber das macht nichts – es wird immer interessanter. Dort, die Mauer birgt etwas, das uns dem Rätsel näher bringen wird.«

Kyler hob kurz den Arm und zeigte auf die Anlage.

»Ich bin ebenfalls der Meinung, dass wir noch lange zu tun haben werden. Aber wir gehen nicht hier weg, bis wir nicht Klarheit geschaffen haben. Ich stehe dafür mit meinem Wort ein.«

»Was tun wir dann noch hier unten?«, fragte Sheroy.

»Gehen wir die Wände ab und suchen nach Öffnungen. Dann wollen wir sehen, ob wir die Mauer aufmachen können. Wenn nicht, holen wir Robots und eine Leuchtplatte herunter.«

»Gut, Also los!«

Die Forscher gingen an den Wänden entlang. Ihre Stiefel hinterließen dicke Spuren im Staub, der sich über dem abgeschliffenen Stein angesammelt hatte. Schweigend suchten sie nach anderen Spuren. Sie umrundeten die Halle, kamen an der Linie der Treppenführung vorbei und warteten an der Mauer. Wie sie sogleich feststellen konnten, waren die Ziegel nicht mit Metall verkleidet, sondern aus massiver Bronze.

Bronzebarren mit einem Gewicht von je einem halben Zentner waren ineinander verzahnt und über die gesamte sichtbare Fläche mit kleinen Bildern verziert. Sie stellten offenbar ein Begräbnis dar:

Ein langer Zug bewegte sich über die Arena, von klagenden Sklaven und Mädchen begleitet. Sie verschwanden im Viereck der Platte, die gerade von den Forschern geöffnet worden war. Große schwarze Katzen begleiteten, mit seltsamen Lanzen bewaffnet, den Zug. Auf dem nächsten Bild lag der Platz verlassen da.

Die Treppe wurde gezeigt, auf der sich im Schein schwebender Feuerkugeln, die Fackeln symbolisieren sollten, die Menge herabbewegte. Männer trugen eine Bahre, prunkvoll verziert. Auf der sänftenähnlichen Bahre saß der tote Mordok! Hier – hinter diesen Tonnen von Metall lag der unwiderruflich letzte Herrscher dieser Welt begraben. Garry schrie seine Ansicht beinahe in das Mikrophon, das Kyler an der Brust trug.

Sie hatten die Begräbnisstätte Mordoks gefunden.

Die anderen Bilder wiesen noch deutlicher darauf hin – sie zeigten die Anordnung des Katafalks in der Gruft, die Fackeln in schweren Leuchtern und Sklaven, die sich mit tödlichen Wunden am Boden krümmten. Menschen waren geopfert worden, um dem Herrscher den Weg in eine andere Daseinsebene zu erleichtern.

»Sitten wie unter den letzten Herrschern des alten Ur auf Terra. Dort erschlugen sie auch das Gefolge. Ich möchte die Mauer umreißen und in die Gruft vordringen.«

Garry hatte etwas in der Stimme, das sein inneres Feuer ahnen ließ. Er leuchtete an den Quadern entlang und sah weiter. Er hörte nicht, wie Kyler den Archäologen berichtete, was sie gefunden hatten. Seine Worte waren alarmierend. Wenige Minuten später kam Sarcec mit einem aufgeblendeten Handscheinwerfer die Treppe heruntergeeilt. Hinter ihm bewegte sich ein anderes Licht und zeigte, wie schnell die übrigen Forscher die Stufen herunterrasten.

 

Sie hatten Leuchtplatten abgeschaltet und zwei Gruppen aus je sieben Robots abgestellt, die Geräte und Platten in die Halle heruntertransportierten. Nach Minuten schwebten die viereckigen Platten über dem Boden und übergossen die Forscher mit kalkigem Licht. Die Maschinen oder Geräte – niemand wusste, worum es sich handelte – leuchteten in unirdischer Farbe. Die Flüssigkeit in den Glasgefäßen schimmerte farbig, die Spalten des Felsens wurden aus jahrhundertealter Dunkelheit gerissen.

Die Robots hatten den Felsen abgetragen, um an die ersten Quader heranzukommen. Ein Gruppenrobot markierte die Vierecke, seine Arbeiter schleppten sie die Treppen hinauf. Sie stellten sie auf den Platten der Arena auf, so, wie sie unten angeordnet waren. Lange Stifte griffen in Löcher und verhinderten, dass die Quader aus ihrer Lage gebracht werden konnten. Sechshundert Jahre nach der Entstehung dieses Schutzwalls griffen Forscher des Imperiums nach dem letzten Geheimnis dieser Welt.

Drei Stunden dauerte es, bis der letzte Metallbarren an die Oberfläche der Stadt gebracht worden war. Clinton holte die schwere Expeditionskamera aus der Baracke. Sie bannte die holografischen Bilder in die Speicher. Noch einmal drehte er die gesamte Mauer herunter und hatte die Szenen stark vergrößert.

Dann wurde ein Kabel von einer Energieanlage durch die Luke geleitet und schlängelte sich die verwirrenden Linien der Treppenanlage herunter. Unten schloss es Garry an einen tragbaren Scheinwerfer an und schaltete ein. Der Scheinwerfer erhellte den Gang bis zu der Kurve mit einer gewaltigen Lichtflut. Die Mauern waren, soweit man sah, mit sechseckigen Basaltplatten verkleidet – steinerne Scheiben in der Form von Bienenwaben.

»Andreatta, du passt auf, ob sich hier Radioaktivität zeigt. Ich trage mit Clinton den Scheinwerfer. Die anderen können die Werkzeuge mitbringen. Wayman bleibt draußen, falls uns etwas zustößt.«

»Mach ich, Garry. Ich kann immer noch die Robots einsetzen, wenn etwas schief geht. Los!«

Die kleine Karawane bewegte sich vorsichtig in die Enge des schwarzen Ganges hinein. Nur der grelle Lichtschein schwankte vor ihnen her. Sie verschwanden hinter der Biegung. Wayman zog eine Flasche aus seiner Brusttasche. Sie enthielt starkprozentigen Alkohol. Wayman versuchte, die Kopfschmerzen zu betäuben, die ihn seit einer Stunde befallen hatten. Die üblichen Konzentrattabletten hatten ihm keine Hilfe bringen können – nur der Alkohol linderte die Schmerzen etwas. Jetzt konnte er es sich nicht erlauben, schlappzumachen. Seine Kameraden waren auf ihn angewiesen. Ein Gruppenrobot stapfte hinter ihm an den Wänden entlang. Seine fotoelektrischen Zellen durchforschten jede Rille des behauenen Gesteins nach Resten und Spuren, von denen er nicht wusste, ob sie überhaupt vorhanden waren. Aber der Befehl seines Herrn wurde ausgeführt. Die Strahlen drangen in den Stein, aber nach dem Rundgang musste D-acht berichten, dass seine Suche erfolglos geblieben war.

»Schon gut! Du kannst jetzt mit deiner Gruppe wieder an die Oberfläche gehen und weiterarbeiten.«

Der Roboter gab seiner Mannschaft einen unhörbaren Befehl. Sieben silberne Gestalten bewegten sich auf die Treppe zu und stiegen in die Höhe. Wieder nahm Wayman einen Schluck und schraubte den Verschluss der Flasche zu. Er steckte sie in die Tasche zurück, als er verschwommen einen Ruf hörte.

»Doug, du kannst nachkommen. Es ist alles in Ordnung.«

»Jawohl«, schrie er und drehte sich zu der zweiten Gruppe Roboter um, die wartend im Hintergrund standen. Er schickte sie mit wenigen Worten hinauf und rannte los.

Garrys schmaler Kopf war das erste, das er sehen konnte. Die Lichtfülle des Scheinwerfers blendete ihn, da sie von einer Platte aus fast weiß schimmerndem Elektrum reflektiert wurde. Er kniff seine Augen zusammen. Die Pupillen verkleinerten sich zu stecknadelgroßen Punkten. Die Platte trug in der Mitte schwarze Griffe, die in Form zweier Menschen gearbeitet waren, die sich von der Fläche wegkrümmten, als verbrenne sie der Glanz. Garry hatte einen Handschuh ausgezogen. Seine Fingerspitzen fuhren wie liebkosend über die Konturen.

»Eine herrliche Arbeit! Eine andere Epoche als die bisherigen Funde. Naturalistisch bis in den letzten Muskelzug hinein.«

»Mordoks Grabkammer! Wir stehen an der Schwelle.«

»Wer öffnet sie?«, fragte Sarcec leise und ergriffen.

»Garry hat, glaube ich, die meiste Erfahrung.«

Garry nickte, sagte aber kein Wort. Er holte aus der Tasche, die ihm Sarcec reichte, ein glitzerndes Werkzeug und drehte es einmal. Dann presste er es in die Rille und zog die Schneide durch die fast unsichtbare Dichtungsmasse der beiden Türflügel. Clinton und Andreatta griffen nach den Figuren und zogen die Türflügel auf.

Die Männer hinter ihnen wurden unruhig. Kyler hustete nervös. Die Flügel drehten sich gegen die Wände und gaben einen schweren Vorhang frei, der noch vollständig erhalten wirkte. Die trockene Luft, die nach seltenen Ölen und Duftstoffen schmeckte, hatte zur Erhaltung beigetragen. Garry zog den schweren Leinenvorhang zur Seite. Lautlos lösten sich Textilfasern auf und rieselten zu Boden. Hinter ihm wurde der Scheinwerfer eingestellt. Er warf sein Licht auf das, was sich in der Mitte der Gruft befand.

Ein goldener Mordok!

Der tote Herrscher war präpariert worden. Dann hatten ihn die Künstler mit Goldblech überzogen. Er bot das Bild einer massiven Statue. Mordok saß auf einem Schemel im Kampfwagen, von vier pferdeähnlichen Tieren gezogen. Sie waren ausgestopft gewesen. Jetzt zog sie die Last des schweren, goldenen Geschirrs und der Schmuck zu Boden. Das Holz, das einst die Knochen ersetzt hatte, war morsch geworden. Zwei Menschen saßen neben ihm. Ihre Züge trugen noch nach sechshundert Jahren den Hochmut, der ihnen als Rosselenker des göttlichen Mordoks eigen war. Um das Gefährt herum standen und lagen Gefäße, kostbare Feldzeichen und reich verzierte Gebrauchsgegenstände, die großen zeremoniellen Wert besaßen.

Niemand hätte aus diesen schweren Schalen essen oder die unförmig prunkvollen Pokale zum Trinken benutzen können. Aber der Glaube sagte den Menschen von Khorsabad, dass der tote Herrscher daraus in der Ewigkeit seine Nahrung zu sich nehmen würde.

Von den Forschern, die sich hinter den Schultern des Sagittaners zusammendrängten und mit leuchtenden Augen in die Pracht des Raumes blickten, kam kein einziges Wort. Garry organisierte die nötigen Vorbereitungen. Eine Gruppe Roboter sollte die Fundstücke an die Oberfläche bringen. Mordok – der letzte Gott! Er war offensichtlich eines natürlichen Todes gestorben, sonst hätte man Hinweise in den Zeichnungen finden müssen. Die Vorbereitungen zum Begräbnis hatten lange gedauert; sie waren gründlich und sorgfältig ausgeführt. Jetzt erst sahen die Forscher die wahre Gestalt des Mächtigen.

Er war eine Großkatze – nach irdischen Begriffen. Aber anscheinend waren die Katzen hier auf Khorsabad mutiert – die Hinterfüße waren niedriger geworden und die Klauen fingerähnlicher, auch der Kopf hatte sich entsprechend verschoben. Seit Generationen musste diese Entwicklung erfolgt sein.

»Digna merces labore«, zitierte Garry. »Arbeit wird würdig entlohnt!« Er hantierte mit der Kamera. Jeder Gegenstand wurde aus verschiedenen Winkeln aufgenommen und sein Standort für alle Zeiten festgehalten. Andreatta notierte die Funde und murmelte leise dazu. Roboter holten behutsam die registrierten Funde weg, stellten sie in der Arena zusammen und legten die kleineren Funde auf die schwarz bezogenen Tische.

Mitten in der Arbeit brach Kyler zusammen.

Er hatte zäh und unermüdlich mitgeholfen, aber der Zusammenbruch war nicht aufzuhalten gewesen. Sein Kopf, so sagte der Imperiumsforscher noch einige Minuten vorher zu Sheroy, würde vor Schmerzen fast zerspringen. Sie brachten den Freund weg, legten ihn in seinem Zimmer ins Bett; Jorge kümmerte sich um ihn. Er konnte nichts anderes tun als den Ohnmächtigen zu wecken, ihm Barbiturate zu spritzen und dafür zu sorgen, dass die Betäubungsmittel genügend dosiert wurden, um den Schmerz zu überdecken. Nur Schlaf konnte helfen.

Nach zwei Stunden – schon hatte sich wieder der Nachtwind erhoben – kehrte Jorge zu seinen Kameraden zurück. Auch er litt unter Kopfschmerzen, aber er war offenbar daran gewöhnt. Er hielt sich aufrecht. Noch war Mordok nicht aus seiner Gruft entfernt worden, außerdem wollte Garry ihn keineswegs der grellen Mittagshitze aussetzen. Er ließ von den Robotern eine Steinrampe bauen, auf der die Gleise der Feldbahn mitten durch das Portal des großen Tempels hochliefen. Eine Lore wurde abgekoppelt und mit einem Flaschenzug an die Kabelrolle der Lokomotive angeschlossen.

Inzwischen hatten sich die nächtlichen Schatten aufgelöst. Die Sterne des galaktischen Randes sahen zu, wie die winzigen Gestalten der Robots und der Forscher über die erhellte Fläche liefen. Roboter trugen den schweren Streitwagen, weitere acht schleppten an der Statue des Gottes. Sie wanden sich in einer Prozession die Treppe hinauf. Endlich waren sie oben und ließen den Wagen auf die Holzbohlen nieder, die man über die Lore gelegt hatte. Als zweiter Forscher musste Sheroy seine Arbeit unterbrechen und sich in die Obhut Andreattas begeben. Er schaffte es nicht mehr.

»Jorge, ich kann nicht weiter«, sagte er. »Ich habe den Eindruck, als wäre in meinem Hirn ein unbegreifliches Ding dabei, zu wachsen. Es scheint, als sprenge es mir die Hirnschale auseinander.«

»Schon gut, Mark. Ich werde mich um dich kümmern. Wenn ich es nicht schaffe, fliegt dich das Shuttle ins Schiff, zu ENIGMAs Medizinern.«

Mark legte seinen Arm um die Schultern Jorges; sie wankten zu den Quartieren hinüber. Dort zog der Biologe den Gewölbefachmann aus, legte ihn aufs Bett und untersuchte ihn. Während der Untersuchung schlief Sheroy ein – die Beruhigungsspritze hatte gewirkt. Jorge verzog das Gesicht. Er hatte die Dosis überzogen und war sich des Risikos bewusst, das er damit einging. In ihm keimte ein schrecklicher Verdacht.

Er holte das Gehirnwellenmessgerät aus seinem Zimmer. Mit dem Schiffsarzt, Doktor Vaugh, teilte sich Jorge die ärztliche Betreuung. »Nichts gibt es, das sich nicht irgendwie feststellen ließe.«

Jorge sprach zu sich selbst, als er die stumpfen Nadeln des Messrings an dem hochgebetteten Schädel des Mannes aus Crater anlegte und die Schrauben leicht anzog. Sheroy lag bewegungslos da und schnarchte leise, aber gleichmäßig. Das Kabel der Zuleitung wurde angeschlossen, die Skalen geschaltet. Fast unhörbar summend erwärmten sich Spulen und Aggregate. Andreatta stopfte sich eine Pfeife und setzte sie in Brand. Der Monitor baute seine Parameter auf. Zeiger schlugen aus, einige Datenlinien fingen an, auf und nieder zu tanzen – langsam, aber regelmäßig. Dann gab Jorge Strom.

Wellen geringer Stromstärke durchliefen das Hirn des Schlafenden und wurden registriert, mischten sich mit den natürlichen Ausstrahlungen und wurden ausgefüllt. Jorge wiederholte das Experiment. Wieder ergaben die Höhen und Tiefen des Ausschlags ein Resultat, das stellenweise über dem Dreifachen des normalen Wertes lag. Befriedigt lächelnd stellte Andreatta die Maschine ab. Er wusste Bescheid, aber gleichzeitig packte ihn die kalte Furcht vor dem, was nun kommen konnte.

 

Der Schmerz machte auch ihm zu schaffen, aber er beherrschte sich. Langsam ging er hinüber zu den arbeitenden Freunden. Garry saß auf einem Steinblock, den die Robots liegengelassen hatten. Jorge legte ihm die Hand auf die Schulter. Müde schaute der Archäologe hoch und erschrak vor dem Ausdruck der Verzweiflung, der ihm aus dem Gesicht seines Freundes entgegensah. Er stammelte:

»Jorge, was ist los?«

»Viel ist los. Es geschehen Dinge, die jenseits des Begreiflichen liegen. Kommst du in den Schatten?« Er sah kurz zu den anderen hinüber. »Ich muss mit dir reden. Wir brauchen keine Zeugen.«

»Natürlich, dort, beim Tempel.«

Sie gingen zwanzig Meter und setzten sie sich auf eine Stufe der Tempeltreppe. Jorge lehnte sich an den Stein, der noch von der Hitze des Tages glühte.

»Du weißt, dass man nahezu alle Veränderungen innerhalb des menschlichen Körpers messen kann. Manchmal kann man es auch nicht, und die Ärzte behelfen sich mit der Interpretation ihres persönlichen Eindrucks. Haben sie Glück, dann nennt man sie ausgezeichnete Diagnostiker. Aber Hirnwellen kann man messen. Ich habe dies getan, da wir alle gesund waren und nur die rätselhafte Infektion dazwischenkam.«

»Jorge, um ENIGMAs Willen, was willst du sagen?«

»Nichts. Nur Vermutungen.«

»Aber?« Garry sah Jorge direkt ins Gesicht. Der Biologe erkannte hinter den Augen die nackte Furcht, die Angst vor ungewissen Folgen, die man nicht bekämpfen konnte, weil man ihre Herkunft nicht ahnte.

»Mark Sheroy hat bisher eine normale Frequenz in seinen Hirnwellenmustern gehabt. Gehabt ...«

»Und jetzt?«

»Die Schwankungen liegen um ein Dreifaches nach jeder Seite höher.«

Jorge schwieg erschöpft. Die Arbeit, das fehlende Abendessen, die Sorge um das Wohl seiner Kameraden und nicht zuletzt der rasende Schmerz, der gegen seine Schläfen pochte und einen stechenden Druck am Hinterhaupt ausgelöst hatte, zeichneten harte Linien in sein Gesicht. Dann schüttelte er den Kopf, als wolle er den Druck loswerden.

»Das kann bedeuten«, fuhr er leise fort, »dass entweder im Kopf Mark Sheroys der erwähnte Kampf zwischen Viren und Zellkernen tobt, oder aber, dass die Zellkerne ihre Arbeit vermehren, zumindest dabei sind, es zu tun. Das hieße, dass in letzter Konsequenz entweder Mark verrückt wird und mit ihm wir alle, oder ...«

Garry spürte nicht, wie die Narkorette seine Finger versengte. Erst als ihm der Geruch in die Nase stieg, schleuderte er den Rest weg. Sofort setzte der Schmerz ein.

»... dass unsere geistigen Möglichkeiten steigen. Aber noch ist nichts erwiesen.«

Sie schwiegen und zermarterten sich die Köpfe, suchten nach einem Ausweg. Jorge fasste sich zuerst.

»Wir müssen Cutie Tomessen anrufen und ihn bitten, sich einer Unterhaltung zu stellen. Sollten wir wahnsinnig werden, so weiß keiner von uns, wie sich das äußert. Laufen wir Amok oder verweigern wir nur die Nahrung? Zwischen stillem Dahindämmern bis zum Ende und der unkontrollierten Explosion sind den Variationen keine Grenze gesetzt.«

Garry stand auf. Seine Hand fasste nach dem Metallkolben der Waffe.

»Ich weiß, was du meinst. Sollten wir Anzeichen von Wahnsinn zeigen, so muss Cutie starten und den Planeten sperren lassen. Gehen wir.«

 

Tomessen kam die Rampe herunter; ohne Raumanzug und Waffe, so sehr vertraute er den Männern, mit denen er seit Jahren zusammen war. Sie trafen sich, von der Mannschaft und den anderen Forschern unbemerkt, hinter dem Rumpf des Shuttles. Cutie fragte:

»Garry, was soll das bedeuten? Es ist alles so ... merkwürdig.«

Jorge stieß ein abgehacktes Lachen aus.

»Merkwürdig, das ist gut! Du sagst genau das, was mit uns vorgeht, Cutie, und weißt nicht, wie verdammt recht du hast.«

»Lass das«, sagte Garry ruhig. »Es ist so«, redete Andreatta weiter, dass in unseren Hirnen, wahrscheinlich hervorgerufen durch diese seltsame Infektion, ein Vorgang stattfindet, der sich unserer Kenntnis entzieht. Es kann sein, dass wir anfangen, uns in gewisser Weise zu verändern, aber es kann auch eine negative Veränderung sein. Vorsicht, tritt nicht näher. Wir können dich anstecken.«

»Macht nichts. Ich sterbe nicht gleich.«

Garry schaltete sich ein: »Darum geht es nicht, Cutie. Sollten wir von einer Art Seuche befallen sein, so kannst du oder einer der Mannschaft Zwischenträger werden und diese Seuche über das gesamte Imperium tragen. Die Folgen ... nun, ich brauche nicht weiter zu sprechen.«

»Schön, ich habe begriffen. Und was soll ich tun?«, erkundigte sich Cutie misstrauisch.

»Pass auf! Versprich mir, dass du genau das tust, was ich dir sage – dem Imperium zuliebe.«

»Was ist also zu tun?«

»Wie rottet man, beispielsweise, Maul- und Klauenseuche aus?«, war die Gegenfrage.

»Keine Ahnung. Bin ich Biologe?«

»Man tötet die Tiere, die diese Seuche verbreiten und selbst davon befallen sind. Etwas Ähnliches sollst du tun!«

»Verstanden. Ich darf also meine Freunde, mit denen ich über drei Jahre lang von Planet zu Planet geflogen bin, kaltblütig niederschießen? Ein beruhigender Ausblick, Für meinen guten Schlaf habt ihr jedenfalls gesorgt. Danke.«

Cutie wandte sich um und ließ die beiden Männer stehen. Seine breite Gestalt stapfte die Rampe hinauf und verschwand durch die Schleuse.

»Er hat es nicht gern gehört, nicht wahr?«

Garry sagte lange nichts, während sie zu dem hell erleuchteten Fleck inmitten der Stadt zurückkehrten. Endlich sprach er.

»Aber er würde es tun, ich kenne ihn. Er muss nur zuerst mit dem Gedanken fertig werden, das ist alles. Dann aber wird er nicht zögern, zuzupacken. Er ist Comaer. Sie haben ihre besondere Art.«

Van Clinton wäre auf seine Kosten gekommen, wenn er nicht selbst hätte so elend herumtaumeln müssen. Die Gestalten zweier Männer bewegten sich wie Puppen zwischen den farbensprühenden Wänden der Prozessionsstraße entlang, winzig und zerbrechlich im Vergleich zu den Kolonnaden des Tempels. Etwas, das älter war als sie und noch viel winziger, hatte sie in die Knie gezwungen.

Hatte Mordok die Bewohner Khorsabads mit der gleichen Waffe besiegt und war daran gestorben, oder ergaben sich noch andere Gesichtspunkte? Es schien, als ob das Team nicht mehr Zeit haben sollte, diesen Fragen nachzugehen, geschweige denn, sie zu lösen.

Hoffnungslos war der homo sapiens imperialis, der ausgezogen war, um die Grenzen der Milchstraße zu Grenzen seiner Welt zu gestalten, einem Virus unterlegen, das Millionen Mal kleiner war als er selbst. Nur das Licht der Sterne würde bleiben und noch strahlen, wenn längst Sonnen erkaltet waren und die Planeten zu starrenden Eiswüsten wurden – die Sterne und der Wind, der dann wieder Khorsabad mit Sand zuschütten würde. Bis eine neue Rasse sich aufmachte und die Lufthülle ihres Heimatplaneten hinter sich ließ.

Garry taumelte. Ein brennender Schmerz fuhr durch seinen Körper. Der Arm, der sich Jorge entgegenstreckte, fiel kraftlos herunter, dann brach der Mann zusammen. Er lag im Sand. Jorge beugte sich über ihn.

»Oh, verdammt«, sagte er leise.

 

CHRONIST: Oliver Sevenaer

GESCHICHTE DES II. IMPERIUMS.

 

Handschriftliches Originalmanuskript, Terra Central (Auszug):

 

»Jedes Leben stirbt in dem Augenblick, da seine Zellen nicht mehr arbeiten. Zellplasma, kontrollierender Zellkern und Nahrungsvakuolen erhalten das Leben – darum sind sie auch die geeignetsten Wohnorte eindringender Erreger. Das Virus verändert die Nahrung, die in der Zelle produziert wird, und gleicht sie demjenigen Stoff an, den es zum Wachsen und Teilen braucht.

Das kann den Tod der Zelle hervorrufen. Aber es ist immerhin möglich, dass dieser Zwang, Nahrung herzustellen für den Gast, die Zelle anregt. Wechselwirkungen zwischen Genen und Viren sind nicht ausgeschlossen. Sollte ein Virus den Zellkern verdoppeln können und damit auch seine Kapazität? Wächst die Zelle nur und entartet, oder wird sie nur in ihrer Arbeitsmöglichkeit erweitert? Fragen, nichts als Fragen.«