Variante 8

 

 

 

Bonn, eine Villa zwischen dem Museum König und dem Auswärtigen Amt, geheimer Treffpunkt aller jener Männer und Frauen, die, durch ungewisse, aber systemübliche Mechanismen nach oben gespült, nun plötzlich aufgerufen waren, über das Wohl und Wehe Millionen anderer Menschen eine Entscheidung zu fällen oder aber, noch viel folgenschwerer, für die gewinnträchtigste Plazierung erbeuteter Bundesmillionen oder abgeschöpfter Lohnmehrwerte Sorge zu tragen; Anlaufstelle jener auch, die nicht wußten, aufweiche Art und Weise sie in Sport- und Showgeschäft die höheren Mächte gnädig stimmen konnten, was gut war und was nicht, karrieremäßig. Zur letzteren Klientel gehörte auch der Manitou, der Große Manitou, ein gerade eben kometenhaft nach oben gekommener Sänger des internationalen Rock und Pop, erhoffte sich von der Großfürstin der Chiromantie nichts weniger als präzise Angaben darüber, wen und was er in der Zukunft streng zu meiden habe, denn…

«…immer wieder höre ich Stimmen, die mir sagen, daß eines Tages ein Mann mit einem Messer auf mich zustürzen und mich erstechen wird. In Bramme war es zwar ein Schuß, aber ich weiß, daß es letztendlich ein Messer sein wird, das mir…»

Die Grand Old Lady zog seine rechte Hand zu sich hinüber und vertiefte sich minutenlang in Kopf-, Herz-, Merkur- und Sonnenlinie, während er in einer danebenliegenden Zeitung seine neueste LP (An der Biegung des Flusses) überaus positiv, fast enthusiastisch besprochen und bewertet fand (das in den völlig unabhängigen und nur ästhetischen Maßstäben verpflichteten Mann investierte Kapital hatte sich also gelohnt, auch daß der zwei seiner nächsten Singles texten durfte).

«… beginnt idyllisch-naiv mit dem Jagen der Mustangs über die Prärie, doch dann ist es plötzlich vorbei mit aller Romantik, und der Große Manitou vermittelt uns in seinen komplizierten, intellektuell verspielten Stücken alles vom heroischen Kämpfen und Sterben der Sioux und Apachen. Beatles-Harmonien explodieren plötzlich zu überspannten Psychedelic-Klängen, die ebenso abrupt in coolem Piano-Spiel enden. Die Sieger sitzen in den Western-Bars, alles geht in lockere Swinggrooves über. Großer Manitou, große Klasse!»

Manfred Tuschinski, vom Berliner Obdachlosenheim zur Weltkarriere gestartet, eine sagenhafte Band und viel PR, Wirbel um die Frage, woher denn nun das Manitou käme, von der Liebe zum Indianertum (a), von Manne Tuschinski (b) oder aber daher (c), daß sie zweimal Manfred in der Gruppe waren, einmal er, der Gitarrist und Sänger, und dann auch noch ein anderer, ihr Elektronikspezialist, sie also Manni One und Manni Two waren?

Bei aller Euphorie, allen rauschenden Erfolgen und tobenden Arenen: immer war da auch die Angst, die innere Stimme, daß es einen Menschen gab, einen ganz bestimmten, vom Schicksal längst dazu herausgepickten, der ihn ermorden würde. Wer war das aber, um Gottes willen, wer…!?

Die große Dame der Chiromantie sprach nun leise und mit geschlossenen Augen.

«… die Saturnlinie ist schwach und schlecht gezeichnet… Das läßt auf Schwierigkeiten und Sorgen schließen… Das Fremde bricht in deine Welt, es überwältigt dich…!»

«Wer wird es sein, wer!?» Wie ein Schrei kam diese Frage.

Die Fürstin sah sich noch einmal die sieben Handabdrücke an, die Manitou ihr eben mitgebracht hatte, Produkte eines Partyspiels, seinen Freunden beim letzten Treffen abgeluchst, ohne Zweckangabe selbstverständlich.

Lange überlegte sie, prüfte und verwarf, bis plötzlich jener Funke in ihr zündete, der es ihr erlaubte, den ehernen Vorhang der kausallogischen Gesetze, des rein Stofflichen zur Seite zu reißen und auf jene Bühne zu schauen, auf der die alles gestaltenden Mächte schon längst die Zukunft inszeniert hatten.

«… dieser linienlose, aber starke Mondberg hier, der zeigt, daß sich im Unbewußten eine überstarke Ballung angesammelt hat, die bald eine plötzliche Entladung suchen wird. Dieser Mann hier, der wird Sie umbringen wollen!» Sie zog einen der Handabdrücke hervor.

Es war Jens-Otto Jossa.

Von Stund an war es Manfred-Manitou klar, daß er Jossa irgendwie verschwinden lassen, seiner sicher zu erwartenden Tat zuvorkommen, in Notwehr handeln mußte. Mordpläne schmiedete er, über den Einsatz eines Profi-Killers aus den Staaten machte er sich ernsthaft-konkrete Gedanken, doch es war da eine deutliche Hemmung, den Freund und Genossen früher froher Tage so einfach abschlachten zu lassen.

Was dann?

Nächtelang grübelte er, versuchte vieles, zum Beispiel, ihm eine Stelle im fernen Indien zu verschaffen, als Pressemann beim sehr angesehenen Max Mueller-Bhagwan, oder einen Journalistenjob in Washington, doch Jossa wollte bleiben, biß nicht an.

Bis dann seine Band im Knast gastierte, in der JVA in Brammermoor, und er unter den Zuhörern einen Mann entdeckte, der Jossa zum Verwechseln ähnlich sah: Martin Mugalle.

Mittels einer Karte zum nächsten Open air-Concert und einer beim Anstaltsleiter persönlich vorgetragenen Bitte, Mugalle an diesem Abend – in Begleitung von ebenfalls freigehaltenen Beamten natürlich – Urlaub zu gewähren, war denn in Bälde alles eingefädelt gewesen.

Kurz darauf dann auch die Frage von Manfred-Manitou an Jossa, ob er denn nicht mal mit einem Knastbericht aufwarten wolle…

«Mugalle, hinten am Gemeinschaftsraum hat einer hingekotzt, hopp, hopp!»

«Ja, ich komme!»

Drei Monate waren vergangen, seit Jossa die letzte seiner Vermutungen zu Papier gebracht hatte, und er war mit Beginn des Herbstes Etagenkellner geworden, das heißt, ein Kalfaktor, zuständig für die Reinhaltung seiner B-Flügel-Etage. So wie ein junger Hund nach kurzer Zeit begreift, daß er auf ganz spezielle Laute seines Herrchens oder Frauchens, «Bello» etwa oder «Rex», ganz spontan zu reagieren, auf der Stelle hinzulaufen hatte, gleichviel, was immer war, so ging es Jossa jetzt, wenn er das meist mit einem dumpfen Kuhlaut begonnene «Mugalle» vernahm. Reflexartig ließ er alles stehen und liegen und hastete los. Sicherlich, noch reflektierte er, dies im Gegensatz zum Tier, noch ab und an sein Tun, doch fraglos immer seltener, wurde dösig, aber auch in einer schönen Weise wunschlos glücklich. Saß in einem Zug, der fuhr und fuhr, immer auf sicheren Schienen, und brauchte sich keine quälenden Gedanken mehr machen, wohin und wozu. Es war eben so, wie es war, und er konnte und wollte nichts ändern. Ja, er genoß diesen Zustand nicht nur, er dachte auch voller Angst an alle die, die nicht auf solchen festen Gleisen rollten, die allein in der Wildnis standen, sich rettungslos verirrt hatten, nur ihren Kompaß in der Hand. Oder, noch schrecklicher, an die Ärmsten, die irgendwie in den Hochhäusern hockten, in Büros, wie Hühner in den Legebatterien, und dauernd ihre Radarantennen kreisen lassen mußten, um nur alles mitzukriegen, was die andern, die Chefs vor allem von ihnen wollten, ohne es direkt zu sagen.

Gott, was konnte er, Jossa/Mugalle, da glücklich sein in seiner kleinen Welt hier in Bad Brammermoor im Knast!

Hatte es ihn anfangs beinahe in den Wahnsinn getrieben, dieses ewige Fragen «Wer hat mir dieses alles angetan und warum?», so sah er ein knappes halbes Jahr später alles nun gelassener, nahm er es mit Gleichmut hin, noch mehr als anderthalb Jahre in Bad Brammermoor sitzen zu müssen. Und öfter hörte man ihn einen alten Schlager trällern: «Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist…» Gut, sehr gut, daß alles so gekommen war. Wäre er nicht mit Mugalle verwechselt und hier eingesperrt worden, Gott, was hätte da nicht alles an Schrecklichem mit ihm passieren können!? Klar, totgefahren hätten sie ihn oder irgendwo ermordet, in der Nordsee wäre er ertrunken oder an vergifteten spanischen Muscheln gestorben.

Sein Glück war seine Zelle hier. In Schutzhaft hatte ihn das Schicksal genommen, rechtzeitig genug. Er lag nicht auf dem Friedhof, war nicht blind geworden, mußte nicht im Rollstuhl sitzen, hatte keinen Krebs bekommen; was wollte er mehr? Hatte zu essen, zu trinken und ein Dach überm Kopf. Nach seiner Entlassung hatte er, Mitte Dreißig, wie er war, noch vierzig Jahre seines Lebens vor sich, reichlich und allemal genug.

Als Jossa oder als Mugalle?

Er fragte sich oft, ob es sich denn nach seiner Entlassung überhaupt echt lohnen würde, den ganzen Kleinkrieg durchzustehen, mit x Bürokratien zu ringen, nur um wieder Jossa zu werden, jener kleine abgewrackte Journalist. War es denn nicht klüger, opportuner, einfach Mugalle zu bleiben und mit dessen Image, so angekratzt es war, eine vergleichsweise große Karriere zu starten?

Wenn er Mugalle bleiben wollte, dann setzte das voraus, daß er zumindest einiges an Wirtschaftswissen erwarb, Bescheid wußte über Kredite und Banken. Also beschaffte er sich alles, was im Knast dazu zu finden war, nutzte jede freie Mark, sich von draußen Fachzeitschriften zu bestellen, machte sich auch mit Computern vertraut, so weit das theoretisch möglich war.

In einer aus der DDR übernommenen Sendung hörte er eines abends einen Thälmannspruch, den er sich sofort zu eigen machte: «Der Mensch steht über seinem Schicksal, wenn er den Mut dazu hat, es zu wollen.»

Gut, dann bin ich eben Mugalle!

Stundenlang konnte er vor seinem kleinen halbblinden Spiegel stehen und mit monotoner Selbstsuggestion auf sich einreden:

«Ich bin Martin Mugalle. Auf Grund schizophrener Störungen habe ich gedacht, der Journalist Jens-Otto Jossa zu sein. Das ist jetzt vorbei, denn ich bin Martin Mugalle. Auf Grund schizophrener Störungen habe ich gedacht, der Journalist Jens-Otto Jossa zu sein. Das ist jetzt vorbei, denn ich bin Martin Mugalle. Auf Grund schizophrener Störungen habe ich gedacht, der Journalist Jens-Otto Jossa zu sein. Das ist jetzt vorbei, denn ich bin Martin Mugalle. Auf Grund schizophrener Störungen…»

Wie beim Rosenkranzbeten, immer und immer wieder, wie beim Drehen tibetanischer Gebetsmühlen.

Dann sein Schrei, der die Scheiben beben ließ:

«Mu-gal-le!»

Jossa war die Krankheit.

Die Krankheit wurde ausgetrieben.

Jedesmal, wenn er in Jossas Art dachte und redete, kasteite er sich anschließend, lehnte Mittag- oder Abendessen ab, und immer, wenn er den Gedanken in sich aufkommen fühlte, doch Jossa zu sein und wieder voll und ganz Jossa zu werden, durfte er bis zum Morgen des darauffolgenden Tages nicht ans Onanieren denken: die vielleicht schlimmste aller Strafen, denn das war das einzige hier im Knast, was noch Lustgewinn einbrachte, wenn auch mitunter nur einen recht mühsamen.

Er machte sich einen Werbespruch zurecht, den er fortwährend vor sich hinsummte: In jedem Falle bin ich Mugalle. In jedem Falle bin ich Mugalle. In jedem Falle…

«Ich bin Martin Mugalle!»

Es war trotzdem unglaublich schwer, den Jossa zu verdrängen, und des öfteren zog er Parallelen zwischen sich und einem Transvestiten: So sehr der sich vorgenommen hatte, eine Frau zu sein, so wenig war er schon am Ziel, wenn sie ihm Glied und Hoden abgenommen hatten. Als Mugalle registriert zu sein und Mugalle sein zu wollen, reichte da nicht; Bewußtsein und Gefühle waren umzupolen, und das dauerte, war nur in vielen winzig kleinen Schritten zu vollziehen. Und der alte Jossa in ihm, der wehrte sich noch immer nach Kräften.

Oft erschöpfte ihn dieser Kampf in einem Maße, daß er furchtbar müde wurde, heftige Depressionen durchlitt, keinen Ausweg aus seinem Dilemma mehr sah, aus dieser ganzen Scheiße, ihn die beiden Kräfte «Mugalle» und «Jossa» förmlich zerrissen, und da dachte er dann oft daran, diesen Qualen mit einem Suizid ein schnelles Ende zu setzen.

Wenn er morgens erwachte, befand er sich zumeist in einem schmerzhaften Schwebezustand, es gelang ihm nicht, richtig zu sich zu kommen, wie denn auch. Sein Ich pulsierte wie eine Wolke aus flutendem Gas hoch über ihm und wollte nicht in seinen Körper zurück. Und immer dieselbe Frage, wenn das Gehirn zu arbeiten anfing: Als was fühlte er sich heute, als Mugalle oder als Jossa? Mehr als Mugalle, mehr als Jossa? Als kranker Mugalle, der unter der Wahnvorstellung litt, Jossa zu sein, oder als auf mysteriöse Weise widerrechtlich eingesperrter Jossa, den sie zwangen, Mugalle zu sein?

Aber mit jedem Tag verschoben sich die Gewichte doch unmerklich ein Stückchen in die Richtung Mugalle, dies zumindest tendenziell, denn natürlich gab es Augenblicke, da sah er alles wieder völlig objektiv und klar und realisierte voll, wie er sich da selbst betrog, in Schizophrenes bewußt hineinmanipulierte, um sich selbst entfliehen zu können, aus sich, im wahrsten Sinne des Wortes, herauszutreten und ein zweites Leben zu beginnen.

In regelmäßigen Abständen wurde er auch von Dr. Seeling zum therapeutischen Geplauder gebeten.

«Na, mein lieber Mugalle, in welchem Maße fühlen Sie sich denn noch immer als Jossa?»

«Das wird ständig schwächer bei mir», antwortete er wahrheitsgemäß.

«Das freut mich. Erzählen Sie mal…»

Jossa berichtete ihm von den sich überlagernden Bildern, die ihn des öfteren «befielen», wie er das ausdrückte, und Dr. Seeling machte sich Notizen.

«Sie müssen also ständig über sich nachdenken, bei allem, was Sie tun…?»

«Ja.»

«Und schlafen schlecht dabei?»

«Ja…»

Der Anstaltspsychologe sah ihn aufmerksam an. «Geht es Ihnen öfter so, daß Sie etwas wollen und gleichzeitig auch nicht?»

«Ja, ich will essen und will es nicht, ich will Jossa sein und will es wiederum nicht.»

«Hm… Finden Sie es gut, was wir hier machen?»

«Ja und nein.»

«Stammt dieses Blatt hier aus Ihren Notizen…?»

«Ja…»

Jossa hatte es bei der Truper-Lesung beschrieben und dann irgendwie vergessen; eine Spielerei aus Langeweile, wie er mehrfach betonte:

Seeling – Seelen-Ing. Ink, die Tinte. Blaue Tinte, Titte, Tunte, Tante. Züchologie, ZüZüZürich! Seeling, Ingseel, Inge Seel. Seelink(s), Seerecht(s). Seeling sind die Bekloppten, denn sie brauchen keinen Hammer mehr. 8ung, 8ung, hiel splicht Ling See aus del Wanne. WannenSee. Pack die Badehoden ein! Truper, Truper, Troubadour. Ist denn hier ein Truperübungsplatz? Das soll Lyrik sein? Rick ist doch unser Zahnklempner. Ly Rick, ja? Aus Ricklingen, Hannover. In Ricksdorf is Musike. MuMuMugalle. Hör auf, sonst läuft mir die Mu-Galle über! Alles true, mein lieber Truper. Tru-Per. Per True! Nein, Rudolf Zeh Truper. Zäh. Truper! RSZäh Anderlecht gegen Bayern Lynchen. Tripper, Trapper, Truper, alles Kissenpuper. Ohne 2fel. Es lebe die 3einigkeit. Bitte ein Kla4 für mich, ich möchte 4händig spülen. Kassau, KaSSau, Kassauschwein. Zweeloo, Zweeloch, Schwielowsee, Zweelochseeling. Dr. Seeling. Doktor. Tor zum Dock: Docktor. Eins zu selbst, eins zu O. Selbsttor, Selbstdoktor. Tor, Torte, immer rein in die Fresse. JottVauA! JottVau-Anal! Dies für die Analen! Hoch leben die Analen! Ende. Danke, Truper! Ente gut, alles gut. Auf dem Gute meines Großvaters, da…

Dr. Seeling nahm den Zettel zu den Akten, und Jossa konnte wieder in seine Zelle zurück, schaffte es am übernächsten Tage dann mit Nobbys Hilfe, ungesehen an Dr. Seelings Karteikarten zu kommen, konnte unter anderem das folgende entziffern:

 

Mugalle, Martin

Paranoide und halluzinatorische Symptome. Kann nicht mehr klar denken, eigene und fremde Gedanken nicht mehr auseinanderhalten. Wird durch seine produktive schizophrene Symptomatik ständig gestört und lebt abwechselnd oder gleichzeitig in quasi zwei Welten.

Grübelzwang und Schlafstörungen.

Denken zum Teil unverständlich, dann aber wieder gesund und normal.

Schafft es nicht, sich als einheitliche Person zu empfinden!

Anzeichen schizophrener Ambivalenz mehrfach erkennbar.

Abnormitäten bei schriftlichen Äußerungen.

Aber von Gespräch zu Gespräch deutliche Besserung des Zustandes!

 

 

Einmal hörte er Dr. Seeling zu Kassau sagen, daß bei Mugalle garantiert etwas nicht stimme, er aber nicht dahinterkäme, was denn eigentlich. «Die Alarmglocken schrillen, aber ich habe mich zum Kern des Ganzen noch nicht vorarbeiten können. Doch meine Therapie hat immerhin den Erfolg gezeitigt, daß er nun bald wieder zu seiner alten Identität zurückgefunden haben wird, ganz und gar Mugalle ist.»

Jossa war sich schon bewußt, daß seine Psyche irgendwie ein großer Trümmerhaufen wurde, doch er versenkte diesen schlimmen Gedanken wie ein Bleigewicht in einen tiefen See. Interessierte ihn nicht, sollte sich die Wissenschaft damit befassen, flog einmal alles auf. Mach’n Gutachten und noch ein zweites, stimmen tun sie beide nicht.

«Ich habe mich entschlossen, Mugalle zu sein, und ich bin jetzt auch Martin Mugalle und kein anderer!»

In einer solchen Stimmung geschah es dann, daß er Anfang Dezember von Kassau geweckt und aus seiner Zelle rausgeholt wurde.

«Unten im Besucherraum wartet eine Dame auf Sie…!»

«Eine Dame?» fragte er ungläubig.

«Ja, eine Frau Schauß.»

Gott, Mugalles Schulkameradin! Auch das noch! Er hatte sich auf ihren Brief hin nie gemeldet, nicht mal im Traume an eine solche Reaktion gedacht, daß sie nun plötzlich hier auftauchen könnte.

Kassau führte ihn die Galerie entlang, und er hatte das Gefühl, auf einem Skateboard zu stehen und wie ein kleiner Junge an einer Strippe gezogen zu werden. ‹Hör auf! Laß mich hier stehn!› hätte er schreien wollen, doch er brachte nur ein würgendes Gurgeln hervor. Rollte unaufhaltsam dahin.

Aus war es mit seiner Umwandlung zu einem neuen Menschen, denn eines war doch sonnenklar: ein Blick nur von ihr, und schon war er entlarvt. ‹Das kann doch unmöglich Martin sein…!?›

Spätestens morgen mittag war er wieder frei, konnte nach Bramme zurück, hatte seine Riesenstory: Spiegel und stern, III nach 9, bei allen Sendern per Telefon im Morgenmagazin, Anruf auf Anruf: «Wenn wir die Filmrechte kriegen, können Sie sich selber Ihr Drehbuch schreiben!»

Das war der Durchbruch, endlich.

Sie trabten die stollengleichen Flure entlang, stiegen diverse Treppen hinab, hatten viele Gittertore zu passieren.

«Hautkontakt ja», sagte Kassau, «aber wenn sie dir einen runterholen will, dann fliegt sie raus. Capito?»

«Ja…» sagte Jossa.

Nein, er wollte nicht zurück ins Jossa-Land, so sehr es auch nach Kohle roch, nicht wieder dieselbe Scheiße von vorn. Mugalle war ein neuer Kontinent, da wollte er siedeln. Nichts war für ein Leben lohnender als diese Stimmung: aufzubrechen in eine Welt und Zeit, wo sich die Dinge neu gestalten ließen.

Und nun führten Zufall, Schicksal oder was auch immer diese Frau hierher, diese alte sentimentale Tucke heute nach Brammermoor, auf daß alles wieder den Bach runterging; Scheiße! Mugalle-Land, die lockende Küste, nur ein paar Felsen davor. Er fährt im Ruderboot dem weißen Strand entgegen. ‹Hallo, gelobtes Land! Letzte Hoffnung für mich; ich komme!› Da packt ihn eine Bö, zerschmettert sein Schiff, treibt ihn eine starke Strömung weit aufs Meer hinaus.

‹Wenn ich meinen ersten Mord begehe, dann bist du das!› stieß er hervor.

Kassau fuhr herum. «Meinste mich!?»

«Nein, nein, um Gottes willen! Die Frau da, die mich…»

«Dann werd ich mal schön aufpassen auf euch…!»

Ein paar Schritte noch.

Der Besucherraum war karger, trister als ein Wartesaal der allerletzten Klasse. Sperrmüllstühle und -tische, die Wände ockergelb und braun gehalten. An einem schmalen Tischchen hockte man sich gegenüber, hatte laut zu sprechen, damit die Wärter alles mithören konnten, mußte höllisch aufpassen, nicht in die Abteilung mit den Trennscheiben dazwischen zu kommen, es also vermeiden, sich etwas zuzustecken. Ringsum saßen andere Pärchen, Familien auch mit Kindern dabei.

Er verfluchte sie und war zugleich in hohem Maße gespannt darauf, sie kennenzulernen. Er hatte dies nie miterlebt, aber so stellte er sich immer den Weihnachtsabend vor: Die Kinder warten auf das Glöckchen, die Bescherung beginnt.

Es roch derart nach Bohnerwachs, daß er heftig husten mußte.

Eva…

Wo hatte sie gesessen? An der Fenster- oder an der Bankseite? Wer war ihr Klassenlehrer gewesen? Wie der Name des Primus? Wie der ihrer Schule?

Wußte er natürlich nicht, und darum konnte das Schauspiel kaum länger als Sekunden dauern.

Dann würde diese fette alte Henne, die auf freier Wildbahn keinen Mann mehr abbekam, zu Zweeloo rennen und zur Polizei, und alles würde seinen Fortgang nehmen, denn ein Rechtsstaat waren wir schließlich.

Nun denn!

Ihm war, als würden sie ihn eben zu seiner Hinrichtung führen.

Feuer frei. Und Ende.

Da waren sie am Besucherzentrum angekommen, Kassau zog die schwere Tür nach außen.

Jossa sah eine dicke bäuerisch-biedere Frau und wußte: Gott, das ist sie! Ging auf sie zu, der Posse schnell ein Ende zu machen.

«Nein!» schrie Kassau, ihn korrigierend. «Die am Tisch da in der Ecke!»

Da erstarrte er. Die Frau dort war so elegant gekleidet wie eine Fernsehsprecherin, damenhaft, aber keine Spur zickig oder aufgedonnert, groß, dunkelblond, und eher eine Spur zu mollig als zu schlank.

Das gab’s doch nicht!

Und da brach auch der Reporter wieder in ihm durch: ‹Ich werd wahnsinnig!› schrie Jens-Otto Jossa, als er die Haftentschädigung sah, die das Schicksal ihm da plötzlich zuerkannt hatte.

Sie trug ein Ensemble aus weichem Velourleder, pink- beziehungsweise himbeerfarben, genau hätte er das nicht zuordnen können, mit leicht tailliertem Blazer und einem engen Rock mit Gehschlitz hinten.

Eine Stewardeß, so seine erste Gedankenverbindung, dies Lächeln, doch viel weicher und viel wärmer, nur für ihn bestimmt.

Doch was ihn am meisten faszinierte und erstaunte, war das Gefühl, das sie in ihm ausgelöst hatte, dieses Gefühl einer unendlichen Vertrautheit. Wir kennen uns schon ewig, wir wissen voneinander alles.

Scheiße, Kitsch und Klischee, das gab’s doch nicht! Die Welt war keine Seifenoper!

Sie musterte ihn aufmerksam und überaus kritisch, war unglaublich angespannt und dennoch verhalten. Schläfrige Katze und zugleich Geschäftsfrau auch, kühl und unbestechlich.

Wie auf den Knall eines Schusses, so wartete Jossa auf ihr erstes Wort, ihren Ausruf, daß er nicht Mugalle sei.

Die Sekunden dehnten sich.

Der Ventilator im vergitterten Fenster summte wie eine festgeklebte Fliege.

Eine Neonröhre an der Decke pulsierte gleich einem Lyrae-Stern.

Kassau zog sich mit der Zunge, schmatzend machte es «Plopp!», ein Stück Mettwurst aus den Zähnen.

Draußen auf dem Hof piepste der Selektiv-Ruf eines Beamten.

Ein mitgebrachtes Kind schob seine Feuerwehr über den Linoleumboden und rief periodisch «Tatütata!».

Über dem Brammer Moor durchbrach ein Nato-Flieger zum wiederholten Male die Schallmauer.

Da kam Eva Schauß auf ihn zu, breitete die Arme aus, umfing ihn, Eurydike den Orpheus; sie hatte ihn gesucht.

«Martin! Immer noch derselbe, ganz wie früher!»

«Eva, Mädchen!»

«Gott, daß wir uns hier an dieser Stelle wiedersehen; aber wir sehen uns wieder!»

Er küßte sie.

Er war zu Hause.

Die Würfel waren gefallen.

«Komm, setzen wir uns…!»

Er war verliebt in sie, Primanerliebe, sah sich mit ihr im Klassenraum sitzen, und Kassau war der Lehrer.

Es fing alles erst an.

«Kannst du dich noch an Günther Hintze erinnern…?»

«Nein…»

«Mensch, unsern Klassensprecher!»

«Ach, ja, den kleinen Dicken…»

«Quatsch, den großen Dünnen!» Sie sah ihn prüfend an, dann schwieg sie einen Augenblick, lächelte nicht mehr.

Alles aus, dachte er. Klar, du träumst das ja auch nur. Nun gut! Mühsam und stotternd begann er.

«Ich muß dir…Ihnen was sagen… Ich…»

Sie nahm seine Hände, kuschelte sie in ihre. «Ich weiß, dein Unfall damals, daß du dein Gedächtnis…»

Er nickte hastig. «Woher…?»

«Aus der Zeitung, du Ärmster. Und daß damit alle deine Schwierigkeiten angefangen haben.»

«Na, ja…» Er atmete tief durch. Das mit dem Unfall war ja herrlich, jede Gedächtnislücke fand da ihre Erklärung. Da will einer Grand ouvert spielen und findet noch zwei Asse dazu.

«Ich hatte hier in Bramme bei Buth in der Fabrik zu tun, und da dachte ich… Ach, Martin, wer hätte sich das vor siebzehn Jahren vorstellen können, daß wir beide hier mal Hand in Hand… Was da inzwischen so alles passiert ist…»

«Kann man wohl sagen…»

Für sie war er vom ersten Augenblick an Martin Mugalle gewesen, also war er es auch. Sie hatte ja viel zu feine Antennen, sich da irren zu können.

Man kann alles im Leben haben, man muß nur dafür bezahlen, hatte Anja immer gesagt, und da hatte er per Vorauskasse einen hohen Preis bezahlt, die Zeit hier als Gefangener, und nun den Preis dafür bekommen: diese Frau ihm gegenüber.

«Kannst du dich noch an mein Referat über Petrarca erinnern?»

«Ja…»

«Lüg doch nicht!»

«Seit ich damals ein paar Tage lang bewußtlos dagelegen hab…» Das wußte er nicht, da hatte er in Mugalles Sachen nichts drüber gefunden, doch er hielt es für plausibel.

Sie strich ihm die Haare aus der Stirn. «Laß man, Martin…» Und es war eine so zärtliche Geste, daß er fast nicht atmen konnte.

Der Duft von frischgemähtem Heu, er fiel in eine Sommerwiese, sah sie im hochgeschürzten Dirndl auf dem Rücken liegen, fuhr ihr mit der Zunge die Schenkel hinauf…

«Wie die Minnesänger», sagte er. «Man muß warten können. Um so größer ist dann der Genuß. Ich, hier, ein schöner Minnesänger. Aber das war nicht Pe…Na, der, du weißt schon…?»

«Petrarca, nein. Das Referat damals… Dauernd hab ich mich versprochen, immer hab ich nur an dich gedacht…!»

«Oh…!»

«Aber du hast mich keines Blickes gewürdigt. Du hast immer nur der Bille Stein an den Knien rumgefummelt…»

«Nicht nur da…»

«Der Gedanke daran hat mich damals wahnsinnig gemacht! Ich stand oft am Bahndamm und… Es war nicht auszuhalten.»

«Wenn ich dich so sehe…» Er zögerte, hatte Mühe damit: «… Eva, dann… Ich versteh das nicht.»

«Doch, doch: Damals war ich doch nur das häßliche kleine Entlein und du der große Star. Eins oder Zwei in allen Fächern und eine glänzende Karriere vor Augen. Arzt solltest du werden, oder…?»

«Und hab dann Volkswirtschaft studiert, Finanzwissenschaft, die NordInvest gegründet… Na, das weitere, das weißt du ja…»

«Ja, siehe Petrarca, das einzige, was ich behalten hab: So flüchtig wie stürmisch ist das Schicksal, denn nicht nach menschlichem Verstande, sondern ganz nach eigenem Gutdünken wirbelt es dahin.»

Ihre Stimme war so weich, so flüsternd wie die einer Amme, einer Mutter, wie die einer Geliebten, heilte seine Wunden, seine kranke Seele, war Trost für eine Kindheit, die verloren, eine Jugend, die nur voller Leiden war, glich alles wieder aus.

«Das Schicksal wirbelt nicht nur», lachte er, «alle herum, es hobelt auch – uns alle gleich. Nun sitz ich hier, ein Knacki, in Lumpen gehüllt, und du kommst als Prinzessin her…»

Kassau schlug mit der flachen Hand gegen die Tür. «Besuchszeit ist zu Ende!»

Sie küßte ihn, als sie ging.

Für den Übergang des Bewußtseinszustandes Jossa in den Bewußtseinszustand Mugalle, der sich da ganz kontinuierlich im Körper und in der Zelle des Häftlings vollzog, war das Erscheinen der Eva Schauß sicher die entscheidende Akzeleration.

Es war die simple Einsicht noch stärker geworden, die ihm sagte, daß ein Leben als Mugalle allemal besser sei als die Fortsetzung seiner miesen Jossa-Existenz; es war da ein unheimlich prickelnder Reiz: Spieler wollte er sein, Hochstapler, ein Glücksritter eben. Aber nicht ohne festen Halt ziellos umherstreifen, sondern das Land von einer sicheren Festung aus systematisch erobern: Eva bot sie ihm, bot ihm das gemachte Nest. Sie selber köstlich, verlockend ihr Bett und ihr ererbter Heimwerkermarkt die große Chance, alsbald und schnell zu Geld zu kommen, nicht mehr bei den Zeitungsleuten um Jobs betteln zu müssen. Das Mugalle-Sein also als das berühmte große Los für ihn, besser hatte es nicht kommen können, brachte mit Eva Kopf und Bauch prächtig zusammen.

Ganz abgesehen aber davon: Sein Organismus wurde ja Tag für Tag automatisch und mechanisch darauf abgerichtet, Mugalle zu sein; und in tausend kleinen Akten vollzog sich sehr kunstgerecht seine absolute Konditionierung. Immer, wenn er sich als Mugalle gab, sich, wie es von Mugalle erwartet wurde, verhielt, auf den Reiz «Mugalle» so reagierte, wie die Beamten es wollten, wurde er belohnt, mit Vergünstigungen wie Urlaub und dergleichen bedacht, durfte schließlich gar als Kalfaktor unten in der Küche wirken, ein «Ersatzpapst» sein. Beharrte er hingegen darauf, Jens-Otto Jossa zu sein, wurde er ständig bestraft, in Dr. Seelings Sprache «mit negativen Stimuli bedacht», das heißt, er bekam seine Privilegien gestrichen, wurde in den Anstaltsbunker gesperrt oder mit der Drohung, in die Psychiatrie abgeschoben zu werden, über alle Maßen geschockt. Nun wissen wir, daß ein Lebewesen in aller Regel jene Verhaltensweisen wiederholt, für die es belohnt wird, und die unterläßt, für die man es bestraft. Kein Wunder, daß da im Laufe der Zeit aus dem Jossa langsam aber sicher der Mugalle wurde.

Sicher gab es zwischendurch immer wieder Phasen, wo er sich dagegen auflehnte, aber war es am ersten Tage wie ein Wirbelsturm gewesen, so schien es ihm nach einem halben Jahr Bad Brammermoor höchstens wie ein leichter Wind, was ihn da bewegte. Da war er einem Auswanderer gleich, der sich nach langen Jahren in New York durch und durch als Amerikaner fühlt und gibt, die neue Sprache voll beherrscht, die alte aber kaum mehr sprechen kann, ohne nach manchen Wörtern suchen zu müssen und den bekannten Tonfall und Akzent vermeiden zu können: Uir gäihen zu die Car hinunter. In den Papieren steht zwar geschrieben, daß er einmal Deutscher war, aber er muß es nachlesen, um es glauben zu können, hält es recht eigentlich für einen Traum, für faktisch ausgeschlossen, nicht immer hier gelebt zu haben.

Dazu kam, daß er Mugalle sehr bewunderte, als Vorbild für sich nahm, eins sein wollte mit diesem Abenteurer, diesem Luftikus und Musketier, diesem – trotz allem – Erfolgsmenschen mit seinen irgendwo versteckten Millionen. Das Leben dieses Mannes: ein Feuerwerk; sein eigenes: ein flackerndes Zündhölzchen nur.

Ich bin erst wer, wenn ich Mugalle bin!

Und immer wieder las er Mugalles FAZ-Fragebogen und simulierte dessen Leben.

Mugalle sitzt im Herrenzimmer seiner Villa, hört den «Bolero», und liest dabei ein Buch über den Aufstieg der Fugger und deren Macht über den Kaiser.

Mugalle steht am Kreppbach, am Cafe Ingeborg, unterhalb von Grainau, und angelt Forellen.

Mugalle geht durch das Victoria and Albert Museum in London und besieht sich John Constables Bilder, das Haus von W. Lott, unter anderen.

Mugalle sucht am Wegesrand nach violetten Blumen, pflückt einen Bund von Ruprechtskraut, Stinkendem Storchenschnabel.

Immer ist er dieser Mann, hört er diese Musik, verspürt er den Triumph beim Anbeißen eines Fisches, lebt er sich in die Welt des britischen Landadels hinein, riecht er am Ruprechtskraut.

Und immer, wenn es in der Anstalt geht, imitiert er Mugalle: Setzt es, ein Wahnsinn, durch, sich einen Wellensittich halten zu dürfen, bemalt sich eine Wand mit violetter Farbe, liest jedes Werk Karl Mays, das er bekommen kann.

«… Der Nahende war genau so gekleidet wie Old Shatterhand, nur daß er anstatt der hohen Stiefel Mokassins trug. Auch hatte er keine Kopfbedeckung. Sein langes dichtes, schwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten… Die Züge seines ernsten, männlich-schönen Gesichtes waren fast römisch zu nennen… Das war Winnetou, der Apatschenhäuptling, der herrlichste der Indianer…» Unter Geiern, der Beginn des 5. Kapitels.

Da war er schon ziemlich eins geworden mit Mugalle, doch der große qualitative, der alles entscheidende Sprung seiner Psyche fand dann statt, als er am Heiligabend fast vierzig Fieber hatte; Folge einer schweren Bronchitis mit anschließender Lungenentzündung.

Vollmond. Wolkenfetzen wirbeln um den Reiherberg. Auf dem Brammer Opfertisch steht in wehendem weißen Gewande Martin Mugalle. Wirft Geldscheinbündel in die Höhe, die er mit schnellen Handgriffen aus dem Nichts herbeigezaubert hat. Plötzlich glüht sein Körper auf. Erst dunkelrot, wird immer heißer, flimmert schließlich bläulich-weiß wie hinter ihm der Sirius am Winterhimmel.

Das alles träumt Jossa im Fieber.

Langsam verglüht dieser Mugalle, und aus dem Opfertisch, dem Felsen, wächst Jossa, mit Lederweste, Ringordner und Brille, das Brammer Tageblatt wie zum Verkauf schwenkend, schreit in die Nacht hinaus, ohne daß dabei ein Ton entsteht, den Spruch: Da weiß man, was man hat – in Bramme nur das Brammer Tageblatt! Und nun wird wie im elektronischen Trick aus diesem Jossa wieder ein Mugalle. Und der hebt ab vom Opfertisch und fliegt wie Superman zur Stadt hinunter, über sie hinweg, in die Bad Brammermoorer Zelle hinein.

«Ich glaube schon, daß wir ihn durchbringen werden. Spritzen Sie noch mal was, um den Kreislauf weiter zu stabilisieren.»

«Ja, Herr Doktor.»

«Wär doch gelacht, Mugalle, alter Gauner! Du kannst doch nicht den Löffel hier abgeben, ohne uns verraten zu haben, wo du deine Millionen eingebuddelt hast!»

Nach langer Vorbereitung, und von ihm ja auch als Spiel betrieben und vom Verstand befördert, war in diesem Fiebersturm aus Jossa endgültig Mugalle geworden.

Dies alles fand dann auch in der nächsten ausgedachten Szene folgerichtig seinen Niederschlag.