Variante 5

 

 

 

JVA Bad Brammermoor, an der Pforte. Ein grüner Telebus hatte gehalten, und Anjas Rollstuhl war mit Hilfe der eingebauten Hydraulik auf den Bürgersteig hinabgelassen worden. Die alles überwachenden Kameras hatten sie längst erfaßt, und da sie von Zweeloo selber avisiert worden war, glitt die Stahltür schon zurück, als sie ihren Elektromotor eben in Gang gesetzt hatte, ersparte ihr Halten und erneutes Anfahren.

Zweeloo war sofort zur Stelle, demonstrierte seine tiefe Menschlichkeit, ihr, aber auch den Seinen gegenüber, sagte ihr, wie froh er doch darüber sei, sie noch einmal hier an der Stelle ihres früheren und so erfolgreichen Wirkens wiederzusehen, hätte sie auch schon einige Male auf dem Bildschirm zu Hause sehen und bewundern dürfen. «Tapfer, sehr tapfer, wie Sie das alles…!»

«Ja…» Sie reichte ihren Personalausweis in den Glaskasten hinein und nahm dafür die abgegriffene Pappkarte mit der Nummer 28 in Empfang. «Sie wollten den Entwurf meiner Diss bis heute durchgelesen haben und mir sagen, was darin Ihrer Meinung nach nicht mit den Fakten übereinstimmt…»

«Alles erledigt, kommen Sie…!»

Er ließ sich von Kassau, der Anja an einigen Stellen über Tritte und Stufen hinwegheben mußte, zum Chefzimmer durchschließen und gab dort seiner Sekretärin die Weisung, in der nächsten halben Stunde kein Gespräch mehr zu ihm durchzustellen.

Bei Kaffee und Kuchen gingen sie dann die Rohfassung ihrer Dissertation kapitelweise durch («Funktionen und Formen deutscher Gefangenenzeitschriften»), und er freute sich, Anja manchen Hinweis geben zu können, daß zum Beispiel in seiner JVA 10,9 % aller Insassen vorzeitig entlassen würden, nicht aber lediglich 6,9 %, wie ihr das die Redakteure des hiesigen «Gitterstäbchens» weiszumachen versucht hätten, auch brauchte sie keine Angst zu haben, er würde den Druck ihrer Arbeit nur deswegen verhindern, weil sie Knackis wörtlich zitiere, die ihn einen «Psycho-Folterknecht» nannten.

«… ich bekenne mich stets zu meiner Ansicht, den Behandlungsvollzug für eine Utopie zu halten. Wo nicht richtig sozialisiert worden ist, da kann logischerweise auch nicht resozialisiert werden! Wir sind hier nicht die Schule der Nation, und wir können auch nicht die soziale Ungleichheit in diesem Lande beheben. Und wenn dem so ist, dann hat bei uns auch die Verwahrung Priorität vor allem anderen, Sicherheit für unsere Bürger draußen. Mißtrauen jedem Knacki gegenüber, das ist unsere erste und oberste Pflicht hier drinnen!»

Anja ging dieses Bekenntnis furchtbar gegen den ideologischen Strich, doch andererseits war sie auch wieder froh, ihre Arbeit nun mit der Imprimatur des Anstaltsleiters versehen zu können, so daß sie nichts mehr kommentierte.

«Dann wünsche ich Ihnen noch viel Glück im Rigorosum», sagte Zweeloo, schon im Aufstehen. «Aber werden Sie denn einen Job finden, jetzt so im…? Oder kleinere Rollen im Fernsehen…?»

Anja wußte kein Antwort.

Als sie durchs Vorzimmer rollte, zählte Zweeloos Sekretärin alle Anrufer auf, die den Leiter inzwischen hatten sprechen wollen, aber vertröstet worden waren, und ein Name war dabei, der Anja abrupt abstoppen ließ.

«… und dann noch ein gewisser Jossa, Jens-Otto Jossa, der was fürs Brammer Tageblatt machen soll…»

«Ja, ich weiß…» Zweeloo nickte. «Der will sich mal ‘ne Weile mit einem unserer Knackis in der Zelle einschließen lassen.»

«Richtig, ja, und nun möcht er ‘n Termin dafür haben…»

«Da können wir ja gleich mal Fräulein Naujocks fragen, wer denn wohl der bestgeeignete Kandidat dafür wäre…? Einer unserer bunten Vögel, die pressemäßig auch was bringen…»

Anja hatte Mühe, mit ihren Gefühlen zu Rande zu kommen, das zu schaffen, was sie in ihrem Fach Impulskontrolle nannten, denn Jossa und nur er war schuld an all ihrem Elend. Ein Jahrzehnt lang ganz für ihn gelebt und dann in zehn Minuten alles aus. Mann, Anja, du kotzt mich an mit deinem Psychogelaber, und nur, wenn du mal aus Versehen furzt, dann kann man bei dir auch mal ‘ne Regung registrieren, ‘n Ton, der echt ist! Tür zu und weg. Für immer. Sie in ihren Wagen runter, Gas gegeben, hundert, hundertdreißig, voll draufgehalten auf den nächsten Brückenpfeiler.

Die Kraft zum Durchkommen hatte sich dann auch einer einzigen Quelle gespeist: ihrem Haß, ihrem Wunsch nach Rache.

Nun war ihr Augenblick gekommen, denn aus ihrer Zeit als Praktikantin hier in Brammermoor da wußte sie, daß einer der Gefangenen Jojo Jossa zum Verwechseln ähnlich sah, als Zwillingsbruder gelten konnte, war einmal selbst darauf hereingefallen.

Sie holte Luft. «Mugalle könnt ich mir vorstellen…»

«Ist der nicht zu schwierig dazu?»

«Ich könnt ja vorher nochmal mit ihm reden…?»

«Das wär sehr lieb von Ihnen. Ich will bloß keinen Zoff mehr mit der Presse hier.»

So wurde Anja ein wenig später in Mugalles Zelle geschoben und kam innerhalb weniger Minuten zum Thema.

«Nächste Woche können Sie ein freier Mann sein, Herr Mugalle, und ein neuer Mensch dazu…! Ich hab da einen Plan…»

Die Wiese war grün und eben wie ein Billardtisch, und in der Mitte stand eine weißgekalkte Villa, auf die er mit immer schnelleren Schritten zuhielt. Doch je stärker er nun sprintete, desto geringer wurde sein Tempo; schien er hinten an einem Gummiband zu hängen. Zeit und Raum dehnten sich zu zäher Masse. Mit einer kleinen Explosion kam er endlich frei und schoß wie Super-Man nach vorn, boiiing-crash, durch das breite Terrassenfenster hindurch mitten in die Küche hinein. Riß den Kühlschrank auf und schlang in sich hinein, was dort gelagert war: Lachs und Schinken, Kaviar und Käse und…

… erwachte mit Schmerzen, die ihn aufschreien ließen, hatte das Gefühl, das Bild vor Augen, daß tief in seinem Magen jemand war und mit einer Drahtbürste über die Schleimhäute fuhr, ein zum Däumling eingeschrumpfter Mensch.

Jossa sprang auf und rannte in der Zelle auf und ab, hoffend, diesen Schmerz dadurch austricksen zu können.

In normaler Umgebung und ohne Belastung, das hatte er inzwischen Baldows Lexikon entnommen, konnte der Mensch bei regelmäßiger Flüssigkeitsaufnahme mehrere Wochen lang ohne Nahrung überleben. Schlimm sei nur der sogenannte Hungerschmerz; und was das war, wußte er nun. Eine Gastritis hoch drei, die Folter. Mit nur dem einen Wunsch, schlagartig ausgeknipst zu werden wie eine Lampe.

Doch auch diesmal packte er es wieder, schaffte es sogar, um 7 Uhr 30 zur Arbeit auszurücken und auf seinem Platz in der Schneiderei brav seine Knöpfe anzunähen, diesmal welche an die neue Uniform des Rathauspförtners.

7 Uhr 50 – Beginn der Freistunde.

Kassau kam, schwenkte mit anzüglichem Grinsen einen fliederfarbenen Brief.

«Für dich, Mugalle, mit einem Foto dabei… Mann, o Mann! Hol dir mal nich zu oft einen runter, schwach wie du bist!»

«Post für mich…!?» Jossa starrte ihn an, begriff es nicht. Wer sollte ihm denn schreiben, wo doch keiner wußte, daß er… Gott, ja…! Endlich machte es klick. Doch nein, unmöglich. «Sagen Sie bloß von Chantal…?»

«Erraten, mein Lieber!» Kassau warf ihm den Umschlag auf den Tisch, nicht ohne noch einmal mit verdrehten Augen daran geschnuppert zu haben.

Jossa riß den Brief heraus. Was schrieb sie ihm? Quatsch, nicht ihm, Mugalle.

… aus New York ganz schnell einige wenige Zeilen. In Liebe… Natürlich gehöre sie noch immer zu ihm… «Und wenn Du bis zum Jahre 2000 dort sitzen müßtest, ich warte auf Dich!» Er solle nur nicht glauben, was sie in der Presse über sie schrieben. Keine anderen Männer, nur er. Ende des Monats sei sie wieder in Deutschland. «Und dann, Martinus, kommt Dein kleines Täubchen wieder zu Dir geflogen!»

Uff! Jossa mußte mehrmals tief durchatmen, sich den Schweiß von Stirn und Nacken wischen, hatte Mühe, dies alles zu durchschauen. Was hieß das denn? Das hieß, daß Mugalle es nicht mehr geschafft hatte, sich mit Chantal kurzzuschließen, sie von seinem großen Coup zu unterrichten. Dann war sie also in die USA geflogen, ohne von seiner Selbstbefreiung etwas zu ahnen, konnte nicht dahinterstecken, wie von ihm in seiner «Variante 2» vermutet.

Chantal, die Rettung!

Wenn sie in die Anstalt kam, ihn unten im Besucherraum umarmte, dann…Das mußte sie doch spüren, fühlen, ihn wieder von sich stoßen und aufschreien: «Das ist doch nicht Martin…! Wer ist denn das…!?»

Aber, da war sofort der Dämpfer, aber: Mußte denn nicht Mugalle alles daran setzen, sie noch vorher abzufangen, diese Begegnung unmöglich zu machen?

Ja, sicher.

Nein, nicht, wenn es ihm schnurzpiepegal war, ob sie ihn, Jossa, nun wirklich als solchen zu identifizieren vermochte. Was juckte ihn das, wenn er längst mit seinen hinterzogenen Millionen und einem gut gefälschten Paß im Flugzeug nach Australien saß, um dort ein neues Leben zu beginnen.

Ein überaus logischer Schluß, denn Mugalle mußte ja davon ausgehen, für seine Manöver nicht unbegrenzt Zeit zu haben, hatte ja damit zu rechnen, daß es Jossa schließlich doch mal gelang, jemanden zu finden, der seinen Beteuerungen Glauben schenkte, nicht Mugalle zu sein, der alles auffliegen ließ.

Chantal hatte er also geopfert… Weil er eh genug von ihr hatte oder gezwungenermaßen, das konnte dahingestellt bleiben.

Beide hatten ihre Schuldigkeit getan, Chantal wie er, beide waren sie für ihn, Mugalle, bedeutungslos geworden.

Aber vielleicht hatte er bei Mugalle doch die berühmte «menschliche Regung» gegeben, hatte er es eingeplant gehabt, daß Chantal als große Retterin nach Bramme kam…?

Wie auch immer, knappe vierzehn Tage noch, dann war sie hier, dann war alles ausge- und überstanden.

Er riß vor Freude die Arme hoch, sprang an die Decke, war so von ekstatischem Jubel erfüllt wie damals bei den Jugendmeisterschaften: Erster über 1000 Meter – Jens-Otto Jossa (Hannover 96)!

Er drückte die «Ampel», die Notrufanlage, und konnte es gar nicht erwarten, Kassau zu sehen.

«Was ist denn nun schon wieder, Mann!?»

«Ich erkläre hiermit, daß ich meinen Hungerstreik beendet habe!» sagte Jossa mit einem Anflug von Feierlichkeit.

Kassau strahlte. «Na, prima! Dann komm man gleich mit ins Krankenrevier…»

Dort maß die Ärztin nochmals Puls und Blutdruck und gab ihm dann ein Päckchen Kinderbrei mit auf die Zelle, auf daß sich sein Körper langsam wieder ans Essen gewöhnte.

Das tat er dann auch, und das Knastleben ging weiter, so monoton wie Monde ihren Planeten umrunden.

Erst am Freitagabend gab es eine kleine Unterbrechung, als sich nämlich der Brammer PEN- und Dichter-Star Rudolf C. Truper (Moorgedichte, 1969, Begegnungen im Reich der Toten, Roman, 1972, Büssenschütt-Preis der Stadt Bramme) zu einer Lesung im Gemeinschaftsraum des B-Flügels einfand, von Zweeloo mit überschwenglicher Freude begrüßt. In Wahrheit haßte er den Oberliteraten, hätte ihn am liebsten nach Feuerland verbannt, mußte aber taktieren, den rot-grünen Leuten in Stadt- und Anstaltsbeirat auch mal eine kleine Freude machen, sie mit einer Dosis Truper ruhigstellen.

«Dann werde ich mich mal auf euerm JVA-intern erstellten Sitzmöbel niederlassen», sagte Truper und buchte damit schon die ersten Lacher, wußte, wie man hier zu sein hatte. «Meine Geschichte heißt Kein Hurra für Herostratos, und die vielen Pyromanen unter euch, die Zündler also, die wissen ja auch, was das für ‘n Knabe war: ein alter Grieche, der 356 vor Christus den Artemistempel in Ephesus in Brand gesteckt hat, um für alle Ewigkeiten ein berühmter Mann zu sein, unsterblich. Und ist er ja auch, siehe meine Story. Nun glaubt mal bitte nicht, daß ihr das auch schaffen könnt, wenn ihr hier das Brammer Rathaus anzündet… Würde ja auch schlecht brennen… unsere Bürokratie, dieser Wasserkopf…»

Zwanzig Knackis klatschten Beifall, und auch Dr. Seeling war, wie Jossa sah, sehr angetan von dieser Eröffnung, zumal der Anstaltsleiter Mühe hatte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Was Truper nun las, war die Geschichte eines Brammer Oberstudienrats, der vor Abiturienten über die «BRD» (so auch an die Tafel geschrieben) wortwörtlich geäußert hatte: ‹Ja, liebe Leute, wie ist das bei uns mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung? Ganz einfach: Alle Macht geht von den Banken und Konzernen aus – und das Volk will es so. › Ein rot sehender Vater, ein überreagierender Rektor, viel Beifall für den Pädagogen, leider aber von der falschen Seite, und schließlich eine Maßregelung dahingehend, die verbleibenden Dienstjahre bitte schön an einem Schulverwaltungsschreibtisch absitzen zu wollen. Der Mann nun, siehe Herostratus, will sich und seiner Sache für alle Zeiten ein Denkmal setzen und macht sich daran, sein Gymnasium in Brand zu stecken. Schon steht alles lichterloh in Flammen, da sieht er seinen Rektor bewußtlos-betrunken vor dem Lehrerzimmer liegen. Was soll er nun tun: den retten, der ihn abgeschossen hat, oder ihn verbrennen lassen und unerkannt entkommen?

Truper sah seine Zuhörer an, machte eine kleine Atempause und trug dann, ohne noch einmal nach unten auf sein Buch zu schauen, mit einigem Pathos die beiden letzten Sätze vor.

«Ich habe nur das Recht, eine bessere Welt zu fordern, dachte Dr. Vosteen, wenn ich selber besser bin als die, die mich jagen. Also nahm er seinen Rektor, so sehr er ihn haßte, schleifte ihn ins Freie und stellte sich der Polizei, die alsbald zur Stelle war…»

Stille, dann spontaner Beifall, aber auch erregte Proteste.

«Ich hätt das Schwein verbrennen lassen!» schrie einer.

«Wie du mir, so ich dir! Wenn mich einer ertrinken läßt, dann zieh ich ihn mit in die Tiefe!»

So ging es eine ganze Weile, doch Jossa schwieg, war hin- und hergerissen. Sollte er oder sollte er nicht? Die Diskussion nutzen und Truper zurufen, daß er Jossa sei und nicht Mugalle, daß sie ihn hier infamerweise festhielten.

Wie würde Truper reagieren, würde er das glauben und dann draußen diese Spur verfolgen?

Einen Versuch war das doch allemal wert, sagte sich Jossa.

Wenn nur dieser Arsch von Dr. Seeling nicht so unmittelbar neben ihm gehockt hätte! Für den wäre das doch ein weiterer Beweis seiner fortgeschrittenen Schizophrenie gewesen.

Was tun? Vom Herzen her war Truper sicherlich auf der Seite aller irgendwie Geschlagenen, ob er aber so schnell schalten konnte, wie das hier nötig war?

Jossa schwankte. Alles riskieren oder alles verderben?

Schließlich blieb er ruhig auf seinem Hocker sitzen, wollte sich nicht die beiden großen Trümpfe aus der Hand nehmen lassen, die er noch hatte: Erstens Chantal und zweitens den Brief, den Kassiber, den Nobby Lachmund zuspielen wollte. Wenn er jetzt wieder eine große wilde Szene machte, konnte es sein, daß er endgültig als «armer Irrer» abgestempelt wurde, so daß keine Intervention von außen mehr half.

Jossa hätte also von sich aus Truper gegenüber keinen Laut gegeben, doch die große Regie wollte es anders mit ihm.

Diskussion darüber, ob die Banken wirklich so mächtig waren, wie Truper das annahm.

«Kann doch jeder ‘ne Bank aufmachen, der will!» rief Kassau.

Baldow, der sanfte Balduin, lachte dröhnend. «Ich erinnere an das große Wort von Brecht: Wenn man zu Geld kommen will, dann sei es bekloppt, ‘ne Bank zu berauben, man sollte lieber selber eine aufmachen, dann könnte man’s den Leuten auf legale Art und Weise abnehmen!»

«Ich kenn auch ‘n Bankier, der selber ‘n armes Schwein ist!» schrie Nobby. «Unser Mugalle hier!»

Alle drehten sich zu Jossa um, und da konnte er nicht anders, als aufzuspringen und Truper zuzurufen: «Ich bin nicht Mugalle, mein Name ist Jossa, Jens-Otto Jossa!»

Sie kreischten und trampelten alle, daß der Boden bebte.

Und Truper?

Der schmunzelte auch. «Ja, schönen Gruß von diesem Jossa. Er hat mir heute mittag erst gesagt, daß hier bei euch in der JVA einer ist, der partout nicht mehr er sein will, sondern Jens-Otto Jossa. Ja, meine Herren, Journalist müßte man sein, damit sich die Menschen derart mit einem identifizieren…!»

Jossa stürzte zur Tür und lief in seine Zelle zurück.

Baldow kam nachher, wollte ihn trösten.

«Scheiße, du, der nächste Schub schon wieder. Paß bloß auf, daß der Mackendoktor dich nicht doch in die Klapsmühle abschieben läßt!»

«Das ist ja auch nicht gerade die Art von Zuspruch, auf die ich gewartet habe», sagte Jossa, mehr zu sich selber, hatte die Finger um die Gitterstäbe gekrallt und dem sanften Balduin den Rücken zugedreht. Sanft? Ganz schön aufgedreht hatte der bei Truper eben.

«Nun ja…» Baldow machte eine Geste der Verlegenheit, nestelte an Jossas Klovorhang herum.

Jossa wendete den Kopf nach hinten. «Glaubst du mir denn…?»

Ein gewisses Zögern. «Ehrlich gesagt…»

«Ist dir denn früher nie was aufgefallen an Mugalle, daß er anders war, bevor ich… Also, vor dem Interview mit dem Brammer Tageblatt…?»

«Nein, da war ich doch im andern Flügel drüben und hab dich nur mal aufm Hof gesehen, wenn Fußball war, oder sonntags in’er Kirche unten…»

Jossa stöhnte auf. «Nun hat man schon mal ‘n Freund hier gefunden und dann…»

«Die warnen mich ja alle vor dir…» sagte Baldow leise. Saß auf Jossas Pritsche und spielte weiterhin mit dem Vorhang herum, wagte nicht, den andern anzusehen.

«Warum denn das…?» Jossa hatte aufgehorcht.

«Weil… Also, da ist im C-Flügel ‘n Neuer, Helmut, einer aus der DDR…»

«Ja, und…?» Jossa drehte seinen Wasserhahn auf, um sich die Unterarme zu kühlen.

«… der behauptet, in Bautzen, da… Also, als dein Prozeß gewesen ist, da hätten sie alle gesagt: Pech für’n SSD…»

«Für’n Staatssicherheitsdienst drüben, wieso…?»

«Na, für den sollst du doch gearbeitet haben, als Perspektivagent oder wie das heißt.»

Jossa starrte ihn an. «Mugalle soll ‘n Agent gewesen sein!?»

«Ja, von’er anderen Seite einer, sag ich doch. Helmut sagt, sie hätten dich in die Bundesbank reinschleusen wollen, damit du denn da… Die Kredite und so und überhaupt…»