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Jeder hat vor etwas Angst: Phobophobie ist
die Angst vor der Angst
Als vier Kinder in nassen,
schmutzigen, fleckigen und übel riechenden Kleidern zusammen mit
Mrs Wellingtons Hund ins Büro des Sheriffs stürmten, fragte er
sich, ob ihm etwa seine Frau einen Streich spielte.
»Was um alles in der Welt …?«
»Mrs Wellington ist gestorben und hat alles
Makkaroni hinterlassen, weil sie dachte, Schmidty wäre schon tot,
aber das ist er gar nicht, deshalb hat ihr Rechtsanwalt Munchhauser
Makkaroni gestohlen und wir mussten ihn verfolgen. Makkaroni haben
wir wiederbekommen, aber Munchhauser konnten wir nicht fangen«,
sprudelte Theo blitzartig heraus.
»Habt ihr gesagt, Mrs Wellington sei tot?«, fragte
der Sheriff und seine Augen füllten sich mit Tränen.
»Ich fürchte leider, ja«, sagte Madeleine
ruhig.
»Ich kenne sie schon, seit ich ein kleiner Junge
war. Sie war es, die mich von meiner Flugangst befreit hat«, sagte
der Sheriff und tupfte sich die Augen mit einem Taschentuch. »Ich
musste immer auf der Queen Mary reisen, um meine Großtante
Melba in Liverpool zu besuchen. Und ich wurde unterwegs seekrank.
Aber dann schritt Mrs Wellington ein und änderte mein Leben und
meine Einstellung.«
»Sheriff, ich würde später gerne darauf
zurückkommen und hören, wie sie Ihnen geholfen hat, aber jetzt
müssen wir unbedingt nach Summerstone zurückkehren. Ich mache mir
Sorgen um Schmidty«, sagte Garrison traurig.
»Keine Sorge, Junge. Ich hole den Van«, sagte der
Sheriff und setzte seinen Hut auf.
»Der Kran ist kaputt«, sagte Lulu. »Schmidty hat
gesagt, Munchhauser hätte ihn unbrauchbar gemacht.«
»Und das heißt, wir müssen den Tunnel nehmen«,
sagte Garrison niedergeschlagen. »Noch einmal.«
»Ich glaube nicht«, sagte der Sheriff
zuversichtlich, als er zur Tür ging.
Der Sheriff konnte Captain Huckleford, den Chef der
Feuerwehr von Farmington, dazu überreden, die ganze Gruppe an den
Fuß des Felsens zu bringen. Die Leiter des Fahrzeugs ließ sich auf
beinahe 75 Meter ausfahren, sodass die vier nicht mehr durch den
gefürchteten Tunnel mussten.
Während Captain Huckleford fuhr, starrten die
Schüler aus dem Fenster und überdachten alles, was geschehen war.
Sie hatten sich vor nicht einmal einer Woche von ihren Familien
verabschiedet, aber sie hatten das Gefühl, so viel erlebt zu haben,
wie sonst in mehreren Jahren. Und keines der Kinder hätte auch nur
im Traum damit gerechnet, ein Abenteuer wie das gerade hinter ihnen
liegende bestehen zu können.
Es kam ihnen vor wie eine Ewigkeit, bis der
Feuerwehrwagen am Fuß des Berges ankam. Captain Huckleford rief
alle nach draußen und begann die Leiter auszufahren.
»Der Sheriff klettert hinauf und sieht nach, ob mit
Schmidty alles in Ordnung ist«, erklärte Captain Huckleford den
Kindern.
»Wir klettern auch hinauf«, sagte Theo mit nassen
Handflächen.
»Es ist sehr hoch. Seid ihr sicher, dass ihr das
wollt?«, fragte Captain Huckleford.
»Wir sind sicher«, sagte Theo wagemutig für die
Gruppe.
Theo, Madeleine, Lulu, Garrison und der Sheriff
erklommen die Leiter mit überraschender Leichtigkeit und
Schnelligkeit. Aber als sie oben waren, schaute Theo nach unten,
und ihm wurde schwummrig.
»Ich denke, nach unten nehme ich den Tunnel, wenn
ihr nichts dagegen habt«, platzte er heraus.
»Los, kommt!«, rief der Sheriff und rannte auf
Summerstone zu.
Sobald die Kinder die Eingangshalle betraten,
begannen sie Schmidtys Namen zu rufen.
»Schmidty! Schmidty!«
»Wo sind Sie?«
»Hallo! Hallo, Schmidty!«
Ein leises Stimmchen war durch das Geschrei
hindurch zu hören.
»Ich bin im Speisezimmer.«
Schmidtys Stimme war schwächer als sonst, was
bestimmt kein gutes Zeichen war. Sie rannten an den vertrauten
Türen vorbei, angefangen bei der mit der Uhr bis zu der mit dem
Bronzeknauf, und blieben dann vor der Tür mit der Tafel stehen, die
zum Speisezimmer führte. Als der Sheriff die Tür öffnen wollte,
schob sich Garrison nach vorn und betrat den Raum als Erster. Lulu,
Madeleine, Theo und schließlich der Sheriff folgten ihm
rasch.
Am wunderschön gedeckten Tisch saßen Mrs
Wellington, Schmidty und Munchhauser. Während die vier Kinder
stocksteif vor Schreck dastanden, lachte der Sheriff und nahm am
Tisch Platz.
Theo näherte sich als Erster Mrs Wellington und hob
seine kleine Hand an ihr dick mit Make-up bedecktes Gesicht.
»Sind Sie wirklich lebendig?«, fragte Theo
ernsthaft.
»Ja, Theo«, antwortete Mrs Wellington mit weicher
Stimme.
Theo schlang die Arme um ihren Hals und drückte
ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich möchte Sie so vieles fragen,
aber zuallererst das: Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was wir
durchgemacht haben?«
»Sie sind nicht nur nicht tot, sondern Sie essen
auch noch mit dem Feind!«, schrie Lulu und zeigte auf
Munchhauser.
»Es wäre gut, jemand würde mal etwas erklären«,
meinte Garrison und bemühte sich, ruhig zu bleiben.
»Herzlichen Glückwunsch, ihr habt den Kurs gegen
Angst erfolgreich bestanden«, sagte Mrs Wellington in ihrem
gewohnten, steifen Ton. »Und mit Glanz und Gloria, darf ich
hinzufügen. Wir sind alle sehr stolz auf euch.«
»Ich bin ganz durcheinander und sehr aufgewühlt«,
sagte Madeleine. »Ich fühle mich ein wenig von meinen Emotionen
überwältigt.«
»Es war also alles nur eine Täuschung?«, beschwerte
sich Theo zornig. »Die ganze Geschichte war von vorne bis hinten
gestellt?«
»Nicht ganz. Munchhausers Auftauchen war nicht
geplant. Aber da Abernathy im Wald war, hielt ich es für das Beste,
zu improvisieren, damit er euch in die Stadt begleiten konnte. Es
war das erste Mal, dass Munchhauser an einem Abenteuer beteiligt
war, normalerweise versuchen wir, ihn aus offensichtlichen Gründen
von den Schülern fernzuhalten. Er hat nicht die besten Manieren und
wie ihr vielleicht gemerkt habt, hegt er eine Vorliebe für
Wetten.«
»Ich hätte nicht geglaubt, dass es auch nur einer
von euch schafft. Ich habe mit Schmidty um einen Dollar gewettet
und verloren«, brummte Munchhauser wenig höflich. »Kann mir jemand
einen Dollar leihen?«
»Ich wäre in diesem Tunnel fast gestorben, Mrs
Wellington«, sagte Lulu zornig, »ist Ihnen das klar?«
»Keine Sorge, Lulu. Wir haben das Ganze Schritt für
Schritt mit einer internen Videoanlage beobachtet. Jeder Zentimeter
der Tunnel und der Straße, selbst das Haus der Knapps, wird von
Kameras überwacht.«
»Garrison wäre in dem Schwimmbecken ertrunken, wenn
ich ihn nicht heldenhaft herausgezogen hätte«, sagte Theo stolz zu
Mrs Wellington.
»Die Knapps sind geprüfte Rettungsschwimmer, mein
schwimmendes Pummelchen. Er war nie ernsthaft in Gefahr.«
»Aber wenn wir in den Wald gegangen wären?«, fragte
Madeleine. »Dann hätten wir wirklich zu Schaden kommen
können.«
»Ach meine liebe, ehemalige Imkerin, hätte
tatsächlich einer von euch Anstalten gemacht, den Wald zu betreten,
hätte ich die Lautsprecheranlage benutzt, um euch davon
abzuhalten.«
»Und Abernathy?«, fragte Lulu misstrauisch. »Hat
der auch mitgemacht?«
»Ich fürchte«, sagte Mrs Wellington, »dass dieser
Teil der Geschichte wahr ist. Er ist mein einziger Fehlschlag und
noch dazu ein sehr schmerzhafter.«
Als Mrs Wellington sich bei der Erwähnung von
Abernathy so wand, näherte sich ihr Theo mit ernster Miene.
»Heißt das, dass wir endlich nach Hause dürfen?
Oder müssen wir trotzdem noch den restlichen Sommer über
hierbleiben?«
»Eure Familien erwarten euch morgen zu Hause. Ihr
werdet mutiger und unendlich viel stärker heimfahren. Sie werden
sehr stolz sein, dass ihr eure Ängste überwunden habt.«
»Ich möchte Sie ja nicht enttäuschen, aber ich habe
immer noch Angst vor dem Tod. So ein bisschen«, flüsterte Theo.
»Ein winziges bisschen.«
»Und ich bin immer noch nicht scharf auf Spinnen«,
fügte Madeleine hinzu.
»Es ist ein Prozess, liebe Teilnehmer, ein Prozess
der ständigen Herausforderung eurer selbst. Nachdem ihr jetzt hier
die ersten Schritte gemacht habt, werdet ihr jeden Sommer weitere
Fortschritte machen, und bald werdet ihr euch nicht einmal mehr
daran erinnern, dass ihr je solche Ängste hattet.«
»Verzeihung, Mrs Wellington, aber haben Sie gerade
gesagt ›jeden Sommer‹?«, fragte Madeleine.
»Selbstverständlich, Madeleine. Ich bin sicher, ihr
habt alle das Kleingedruckte in der Broschüre über das Programm
gelesen.«
Die verdatterten vier waren viel zu erschöpft, um
auf die Information zu reagieren, die sie gerade erhalten
hatten. Nach einem für Leib und Seele so anstrengenden Tag konnten
sie sich kaum vorstellen, noch einmal so eine Erfahrung
durchzumachen, die sie so durchrüttelte.
»Bitte alle setzen, das Essen wird doch kalt«, wies
Schmidty die Gruppe an.
»Fiona, Errol, Annabelle, Ratty«, rief Mrs
Wellington den Katzen zu, »die Teilnehmer müssen sich die Hände
waschen.«
Die vier Katzen trotteten ins Zimmer, in
schwarzgrau-schwarz-grau-Formation. Eine nach der anderen sprang
auf den Tisch und ließ eine dampfende heiße Serviette auf je ein
Gedeck für die Kinder fallen.
»Sie sind also doch dressiert?«, fragte Theo
ungläubig.
»Ja, selbstverständlich sind sie dressiert!«, sagte
Mrs Wellington selbstzufrieden. »Sagt bloß nicht, dass ihr mich
nach alledem immer noch unterschätzt.«
Die vier starrten fasziniert Mrs Wellington an und
versuchten, die vielen Facetten dieser seltsamen Frau zu
erfassen.
»Sie sind wirklich teuflisch clever«, sagte Lulu
mit offener Bewunderung.
»Danke«, sagte Mrs Wellington mit wissendem
Nicken.
»Und Ihre Entschlossenheit bringt nichts ins
Wanken«, ergänzte Madeleine mit aufkeimender Ehrfurcht.
»Es kommt mir irgendwie komisch vor, das zu sagen,
aber Sie wissen haargenau, was Sie tun«, sagte Garrison
überrascht.
»Danke, Sportsfreund.« Dann wandte sich Mrs
Wellington erwartungsvoll Theo zu.
»Ich finde, Sie sollten ernsthaft überdenken, ob
Sie Schmidty weiterhin Ihr Make-up auflegen lassen.«
»Theo!«, schrien Madeleine, Lulu und Garrison auf,
als Mrs Wellingtons Lippen so rot wie ein Feuerwehrauto wurden,
dann aber wehmütig lächelten.
»Vielleicht hast du recht, mein beleibter
Freund.«