25

Die Mauren haben ein altes Sprichwort, das besagt: Bevor ein Mann stirbt, muss er Sevilla gesehen haben. Dem möchte ich hinzufügen, dass dasselbe auch für Frauen gilt. Im Sommer 1477 bot sich mir endlich die Gelegenheit dazu.

Im Jahr davor hatten die Nachwirkungen des Portugalkriegs Fernando und mir endlos viel Arbeit beschert. Wir zogen pausenlos über das Land, um verräterische Adelige, die Alfonso heimlich unterstützt hatten, mit der Schleifung ihrer Festungen zu bestrafen. In den gesetzlosen Jahren unter der Herrschaft meines Vaters und Enriques waren in Kastilien ohnehin zu viele Burgen aus dem Boden geschossen – und einige Granden bildeten sich immer noch ein, sie stünden über der Krone. Wie feudale Kriegsfürsten forderten sie von Dörfern in ihrer Umgebung Steuern und überzogen das Land mit Verteidigungsanlagen, die sie mit Söldnern besetzten. Und da während der portugiesischen Invasion ein Teil von ihnen sich sogar unserem Ruf zu den Waffen widersetzt hatte, hielten Fernando und ich es für angebracht, ihnen eine Lektion zu erteilen, die sie nicht so bald vergessen würden. So verkündeten wir, dass nur jene Burgen erhalten bleiben würden, die offiziell von uns genehmigt worden waren. Wenn die Fürsten es nicht über sich brachten, ihre illegalen Bauten selbst zu zerstören, würden wir das tun – und hohe Geldstrafen verhängen.

Darüber hinaus forderten wir die Cortes auf, unser Steuer- und Rechtssystem weiterzuentwickeln und die Santa Hermandad wiederzubeleben, eine von Privatpersonen geführte Bürgerwehr, die wie so vieles in Kastilien dem Chaos anheimgefallen war. Mithilfe der Hermandad wollten wir in unseren abgelegenen Provinzen Recht und Ordnung wiederherstellen, indem sie abtrünnige Söldner und sonstiges verbrecherisches Gesindel zur Strecke brachten. So zwangen wir Kastilien nach und nach, Stadt um Stadt, Marktflecken um Marktflecken, Weiler um Weiler und – wie es uns bisweilen vorkam – Stein um Stein unter unsere Herrschaft.

Von seinen portugiesischen Verbündeten im Stich gelassen, kehrte der junge Villena kleinlaut an den Hof zurück und bat uns auf Knien um Vergebung. Ihm drohte der Verlust seines ganzen Vermögens, und anders als sein Vater hatte er keinen wankelmütigen Enrique an der Seite, der ihm vielleicht noch aus der Patsche helfen würde. Auch wenn sich Fernando dafür aussprach, ihn zu köpfen, gab ich zu bedenken, dass wir die Unterstützung der übrigen Fürsten gewinnen würden, wenn wir Villena in seine alten Privilegien wiedereinsetzten, würden wir damit doch demonstrieren, dass wir sogar angesichts von Hochverrat zu Gnade fähig waren. Das war in der Tat ein Wagnis, doch es sollte sich bald auszahlen, als mehrere Fürsten, die sich uns offen widersetzt hatten, vor uns traten und – wenn auch widerstrebend – den Treueeid leisteten.

Was Erzbischof Carrillo betraf, zeigte dieser keine Einsicht. So zwang er mich, ihm den Verzicht auf alle weltlichen Güter und bei Androhung einer Gefängnisstrafe den dauerhaften Rückzug in das Kloster San Francisco in Alcalá zu befehlen. Ein nach seinem Scheitern gebrochener Mann, von allen verlassen, nachdem bei Nacht und Nebel auch noch seine Diener mit dem wenigen, ihm verbliebenen Hab und Gut geflohen waren, verweigerte er diesmal nicht den Gehorsam, sondern ließ sich tatsächlich in das Franziskanerkloster verbannen, um dort den Rest seiner Tage in Vergessenheit und Armut zu verbringen. Sosehr ich es bedauerte, dass ein so tapferer Kirchenfürst und Krieger aus eigenem Verschulden derart tief gesunken war, brachte ich kein Mitleid für ihn auf. Anders als bei Villena, dessen Jugend und Unbesonnenheit ihn in diese unverantwortliche Allianz mit Alfonso von Portugal gestürzt hatten, war Carrillos Verstrickung ein bewusster Akt der Rache an mir gewesen, weil ich Fernandos Rat dem seinen vorgezogen hatte. Diesmal konnte es kein Verzeihen geben.

Obwohl Carrillo jetzt für immer aus dem Weg geräumt war und unser Plan, das Königreich wiederaufzubauen, Gestalt annahm, hatte ich weiterhin ständig mit privaten Turbulenzen zu kämpfen. Seit der Fehlgeburt war ich nicht wieder guter Hoffnung geworden, und keiner der Ärzte, die ich zurate zog, konnte mir eine befriedigende Erklärung geben. Sie alle empfahlen mir, mehr zu ruhen und mich Tätigkeiten zu widmen, die dem zarten weiblichen Wesen eher entsprächen. Es schien die herrschende Auffassung zu sein, dass männliche Verhaltensweisen bei einer Frau die Empfängnis ausschlossen. Diese These hielt ich für absurd. Die Ausübung meiner Pflicht als regierende Königin verhinderte doch gewiss nicht, dass ich den von Gott für mich als Frau vorgesehenen Teil des Schöpfungsplans erfüllte.

Dennoch nagten Ängste an mir, vor allem dann, wenn Fernando und ich uns liebten. Mit Inés’ diskreter Hilfe besorgte ich mir übelriechende Eisenkrautgetränke, die meine Körpersäfte wieder ins Gleichgewicht bringen sollten. Ich verdoppelte die Zahl meiner täglichen Gebete. Einmal ritt ich sogar bei Wind und Wetter nordwärts nach Burgos zur abgelegenen Kapelle San Juan de Ortega mit ihrem primitiven Steinrelief, von dem es hieß, es stelle eine Frau beim Gebären dar. Stundenlang kniete ich auf der eisigen Steinplatte vor dem Heiligtum und flehte um Beistand. Ich spendete Geld für den Bau einer größeren Kirche im Namen des Heiligen. Doch in meinem Unterleib rührte sich nichts. Wie schon immer stellte sich die Menstruation in unregelmäßigen Abständen ein, aber jedes Mal gab es unweigerlich Blut. Oft war sie mit solchen Schmerzen verbunden, dass ich die ganze Zeit die Zähne aufeinanderpresste. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum Gott, der uns so viel geschenkt, der uns zum Sieg über Portugal geführt hatte, Fernando und mir ausgerechnet den Segen verweigerte, den wir uns am sehnlichsten wünschten – einen Prinzen, der nach unserem Tod unsere Kronen erben und Kastilien und Aragón für immer vereinen konnte.

Schließlich fiel Fernando meine Bedrücktheit auf. Als eines Abends die Audienzen vorüber waren und wir unseren juwelenbesetzten Ornat abgelegt hatten, versuchte er, mich aufzumuntern.

Ich lag stocksteif in seinen Armen, als er flüsterte: »Es wird passieren, wenn die Zeit dafür reif ist. Mein Liebes, wir werden einen Sohn bekommen, wenn Gott es so will.«

Ich wollte schreien, weinen, alles Mögliche zerschlagen, meiner Trauer und Frustration freien Lauf lassen. Da half es auch nicht unbedingt, als ich herausfand, dass aus Fernandos Liaison in Aragón noch ein Junge hervorgegangen war. Mochte er noch so treuherzig die Lippen schürzen und beteuern, das bedeute ihm nichts, die Tatsache, dass er den Boten mit einem Geschenk für den Jungen losgeschickt hatte, bestätigte doch nur seine Männlichkeit und mein Unvermögen, ihm das zu schenken, was er von der anderen Frau bekommen hatte.

Im Sommer 1477 konnte ich ihm – oder sonst jemandem – kaum noch in die Augen sehen. Es ging mir so elend, dass ich mich fast freute, als die Kunde vom Ausbruch einer neuerlichen Fehde zwischen Andalusiens mächtigsten Fürsten eintraf – dem Herzog von Medina Sidonia und dem Marquis von Cádiz.

Fernando konnte es kaum fassen, als ich ihm mitteilte, dass ich persönlich eine dauerhafte Versöhnung zwischen den zwei Streithähnen im Süden herbeiführen wollte. Da wir bereits beschlossen hatten, die letzten Reste des Widerstands der Adeligen in der Extremadura zu brechen, war es in diesen entscheidenden Tagen völlig ausgeschlossen, dass wir beide Andalusien verließen. Aber das änderte nichts an meiner Entschlossenheit, allein in den Süden zu reiten. Fernando versuchte, es mir auszureden, wies auf die Gefahren einer Reise in das gesetzlose, von Mauren heimgesuchte Andalusien hin, aber ich ließ mich nicht umstimmen. Ich gab ihm und der überraschten Isabél einen Abschiedskuss, packte meine Sachen, sattelte Canela und floh in den Süden.

Südwärts in die gleißende weiße Hitze – in den verschwenderischen Garten Andalusien, wo Granatäpfel, Feigen, Datteln und Zitronen an den Bäumen glänzten wie Edelsteine an der Kehle einer Sultanin; südwärts in eine Gegend, wo weiß getünchte Städte sich an aquamarinblaue Buchten schmiegten und ich mit meinem Kummer allein sein konnte.

Natürlich hatte ich von den Geschichten über Sevilla gehört. Wer hatte das nicht? Es war eine unserer ältesten und größten Städte, der frühere Regierungssitz der maurischen Eindringlinge, bevor König Fernando III. sie im dreizehnten Jahrhundert vertrieb. Erbaut an den Gestaden des smaragdgrünen Guadalquivir, mit einem Hafen, in dem täglich Handelsschiffe aus Afrika und der Levante, aus dem fernen England und den Niederlanden anlegten, war Sevilla ein weißes Zuckerwerk aus filigranen Türmen und vergitterten Balkonen über gewundenen Straßen; eine Stadt, überschattet von mächtigen Palmen und Bitterorangenbäumen, deren Früchte ungenießbar waren, aber einen betörenden Duft verströmten, wenn man sie destillierte. Hier schwelten unter der vergoldeten Oberfläche der Stadt Gewalt und Blutschuld, jene Kehrseiten Analusiens; hier, im Herzen der Welt, wo vor langer Zeit Mauren, Juden und Christen in Harmonie miteinander gelebt hatten, war alles möglich.

Ich hatte erwartet, vor den berühmten Wasserspiegelungen der Stadt in Ehrfurcht zu erstarren, den berauschenden Orangenduft in mich einzusaugen und in eine Zeit versetzt zu werden, als es keine klaren Grenzen zwischen Religionen und Hautfarben gab. Und ich wurde nicht enttäuscht. Freilich erzählte ich niemandem, dass die Schönheit Sevillas mich am tiefsten berührt hatte, als das Volk mich beim Verlassen meiner Barke an der Magdalenenbrücke mit Schauern aus Rosenblüten und Gitarrenklängen willkommen hieß. Während ich dort vor dem erhabenen geöffneten Stadttor stand, regte sich in mir etwas, wovon ich schon befürchtet hatte, ich hätte es für immer verloren – eine feurige Aufwallung, die mein Blut schneller fließen ließ.

Ich fühlte mich wieder lebendig.

Ich bezog den prachtvollen Alkazar in der Mitte der Stadt in der Nachbarschaft der unvollendeten Steinkathedrale, die sich über den Trümmern der niedergerissenen Moschee erhob. Im Palast durchdrang das überall gegenwärtige Wasser mit seinen Geräuschen sämtliche Sinne – es plätscherte in Mosaikbrunnen, schoss aus friedlichen Becken in den Gärten in anmutigen Bögen empor und ruhte in den von Lilien verhüllten Teichen. Wasser und Hitze, ein verführerisches Gemenge, das in mir den Wunsch weckte, meine beengenden Kleider abzuwerfen und nackt wie eine Wildkatze durch meine Gemächer zu schreiten, die in diesem Labyrinth aus Sandelholz, bemalten Fliesen und Marmor eines ins andere übergingen.

Meinen offiziellen Audienzraum richtete ich im großen sala ein. Hier empfing ich, unter dem mit unserem Wappen gezierten Baldachin inthronisiert und selbst in meinen leichtesten Gewändern schwitzend, den Herzog von Medina Sidonia, zu dessen Hoheitsgebiet Sevilla und der größte Teil der Bezirke außen herum gehörten.

Groß, hager, ja, fast ausgezehrt, mit silbern durchwirktem schwarzen Haar, das er von der flachen Stirn aus nach hinten gekämmt hatte, und einer hervortretenden Narbe an der Schläfe, verkörperte er den Stolz des südlichen Teils unseres Landes. Er betrachtete mich mit leichter Herablassung, die gar nicht zu seinen tadellosen Manieren passte. Sein Gebaren ließ ahnen, dass er es nicht gewohnt war, sich jemandem unterzuordnen, schon gar nicht einer Frau. Sich mit geübter Eleganz verbeugend, brachte er hervor: »Ich erweise Eurer Hoheit meine Ehre und übergebe Eurer königlichen Eminenz die Schlüssel zu dieser meiner Stadt, in welcher Ihr jetzt uneingeschränkt herrschen sollt.«

Seine Worte waren natürlich rein symbolischer Natur, denn er hatte keine Schlüssel. Vielmehr stand er mit leeren Händen vor mir, als genügte sein bloßes Wort als Beweis seiner Treue, obwohl er in Wahrheit die letzten zehn Jahre damit verbracht hatte, mit seinen Fehden gegen Cádiz den Süden in seine Privatschatulle zu verwandeln, Ländereien und Burgen, die Eigentum der Krone waren, einfach zu konfiszieren und die ganze Region dem Verfall in die Gesetzlosigkeit preiszugeben, während er selbst ungeheure Reichtümer anhäufte, ohne die fälligen Steuern zu zahlen.

Meine Belustigung über sein steifes Gebaren verbarg ich. Hätte er auch nur eine Unze Scham besessen, wäre er erbleicht. Aber das war nicht der Fall. Stattdessen verkündete er: »Majestad, niemand kann von mir erwarten, dass ich irgendetwas anderes abtrete, solange man Cádiz frei herumlaufen lässt. Er findet größtes Vergnügen daran, meine Ländereien zu überfallen und meine Ernte, meine Pferde, meine Rinder und Schafe, ja, meine Leibeigenen zu rauben.«

»Dann muss auch er für seine Schandtaten büßen und sich mir unterwerfen«, entgegnete ich trocken.

Doch mit einem unwirschen Lachen nahm mir der Herzog den Wind aus den Segeln. »Cádiz und büßen? Nie und nimmer! Er verachtet jede Amtsgewalt, selbst die seines Landesherrn. Er ist nicht besser als ein gewöhnlicher Verbrecher! Ihr solltet ihm wegen seiner Aufsässigkeit den Prozess machen und die Eingeweide herausreißen lassen.«

»Sollte ich das?« Medina Sidonias Ton gefiel mir nicht. Wie kam er dazu, mich vor meinem Hof zu belehren? Offenbar hatte er vollkommen vergessen, dass weder er noch Cádiz das geringste Recht auf die zahllosen Territorien hatten, die sie sich zusammen unter den Nagel gerissen hatten. In Wahrheit war der stolze Herzog ein durchtriebener Schurke, und ich hatte nicht übel Lust, ihn das auch wissen zu lassen. Doch ich bezähmte mich und sagte gelassen: »Ich versichere Euch, ich bin gekommen, um dafür zu sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan und dieser Streit zwischen dem Marquis und Euch beigelegt wird. Zu diesem Zweck wird auch der hohe Herr von Cádiz vor mich befohlen werden.«

»Wir werden ja sehen, wie lange es dauert, bis er Euch antwortet«, erwiderte Medina Sidonia. »Wenn er überhaupt antwortet.«

Ich ließ mich nicht abschrecken. Während ich auf Cádiz’ Bestätigung meiner Vorladung wartete, beschloss ich, dem Herzog eine Lektion zu erteilen. Ich ließ im Thronsaal ein Podest errichten, auf dem ich jeden Vormittag eine Audienz für das gemeine Volk abhalten wollte. Sobald sich die Nachricht verbreitete, dass ich bereit war, mir die Beschwerden der Bürger anzuhören, standen die Leute stundenlang Schlange, um ihre Klagen vorzubringen.

Zu seiner Warnung befahl ich Medina Sidonia ebenfalls zu diesen Sitzungen, denn wie ich vermutete, war mir bei Weitem nicht alles über die Zustände in der Stadt mitgeteilt worden. Unter der legendären Pracht Sevillas schlug ein dunkles, verdorbenes Herz. Jeder war auf seinen Vorteil aus, und in der Regel bedeutete das den Tod oder Ruin eines anderen. Ein Beispiel dafür war der Fall eines Mannes, der sich bei mir darüber beschwerte, dass ihm seine Ziegenherde von Dieben gestohlen worden war, die in der Umgebung ihr Unwesen trieben. Darüber hatte er vor dem örtlichen Magistrat Klage eingereicht, doch statt ihm Hilfe zu gewähren, hatte dieser ihm eine Geldstrafe auferlegt. Als er sich weigerte zu zahlen, drangen maskierte Männer bei ihm ins Haus ein und schlugen ihn nicht nur zusammen, sondern vergewaltigten auch seine Tochter vor seinen eigenen Augen.

»Niemand wollte mir glauben«, jammerte er und drehte seine Mütze zwischen seinen knotigen Händen, während sein Blick gehetzt zu Medina Sidonia hinüberschoss, der wie eine Granitsäule neben meinem Thron stand. »Sie sagen, wir würden alle lügen, jeder Einzelne von uns, aber später habe ich herausgefunden, dass meine ganze Herde auf dem Markt verkauft worden ist. Majestad, ich flehe um Gerechtigkeit. Meine Ziegen sind meine Lebensgrundlage. Ich brauche ihre Milch, um Käse zu machen und meine Familie zu ernähren. Und meine Tochter …« Seine Stimme brach. »Sie ist geschändet worden. Kein Mann von Ehre will sie jetzt noch haben.«

»Eine befleckte Jüdin mehr – was ist das schon?«, warf Medina Sidonia dazwischen, bevor ich zu Wort kommen konnte. Und auf meinen vernichtenden Blick hin fügte er hinzu: »Der Mann lästert doch Gott, er und seine ganze widerwärtige Rasse. Offenbar hatte er sich geweigert, das Gesetz zu befolgen und in seinem Ghetto zu bleiben. Wenn er darauf besteht, seinen Käse auf dem Markt zu verkaufen, wie können unsere Magistraten für das, was ihm dort zustößt, verantwortlich gemacht werden?«

Medina Sidonias Unverschämtheit traf mich nicht unvorbereitet. Jeden Tag erschien er in kostbarer Seide und Samt am Hof, begleitet von einer eines Machthabers würdigen Garde. Sein Schwert zeugte von höchster Handwerkskunst, seine Handschuhe und Ärmel waren mit Juwelen und Gold geschmückt; kurz, so zu leben wie er, das erforderte beträchtliche Einkünfte. Und wie es bei den meisten Granden seit Jahrhunderten der Brauch war, alimentierte er zweifellos auch die Magistraten, welche ihm ihrerseits einen Anteil von dem zurückzahlten, was die Raubzüge ihrer Diebesbanden einbrachten. Das war eine althergebrachte Methode, eine aufwendige Lebensweise zu bestreiten und zugleich große Teile des eigenen Territoriums in den Würgegriff zu nehmen. Doch ich war fest entschlossen, diese Art von abscheulicher Verderbtheit in meinem Reich auszurotten.

Ohne den Blick vom Herzog abzuwenden, fragte ich: »Ist es den Juden verboten, sich auf dem Marktplatz unter die christliche Bevölkerung zu mischen?« Dass dem nicht so war, wusste ich bereits. Anders als in Kastilien, wo die Toleranz gelinde gesagt schon immer einen schweren Stand gehabt hatte, war man in Andalusien ein friedlicheres Miteinander gewohnt. Obwohl in dieser Region viele Juden es vorzogen, in ihrem alten, ihnen zugewiesenen Bereich zu bleiben, war in diesem Landesteil seit Jahrhunderten keine Trennung von der christlichen Bevölkerung erforderlich gewesen.

Medina Sidonias Miene gefror. »Das vielleicht nicht, aber der gesunde Menschenverstand gebietet …«

»Der gesunde Menschenverstand? Edler Herr, selbst wenn den Juden das Betreten des Marktplatzes verboten wäre, was nicht der Fall ist, wurde dieser Mann genötigt und überfallen, sein Eigentum gestohlen und seine Tochter mit schlimmen Folgen entehrt. Welche Vernunft lässt sich da noch erkennen, wenn Bürger dieser Stadt um ihren Lebensunterhalt, ja, ihr Leben selbst fürchten müssen?« Ich wandte mich an den Mann, der sich duckte, als würde er am liebsten verschwinden. »Kennt Ihr die Männer, die in Euer Haus eingedrungen sind?«

Er nickte und flüsterte mit kaum hörbarer Stimme. »Sie waren auch die Diebe. Sie … sie haben das Gleiche auch anderen angetan, und der Magistrat wusste über alles Bescheid. Sie stehlen von uns, weil wir Juden sind und uns nicht mit Waffen gegen Christen verteidigen dürfen.«

Ich deutete auf Cárdenas, der mir bei diesen Gerichtssitzungen als Erster Sekretär diente und einem aus Rechtsgelehrten gebildeten Beirat vorstand. »Lasst meinen Sekretär wissen, wer diese Verbrecher sind und wo sie angetroffen werden können«, forderte ich den Mann auf. »Ich werde dafür sorgen, dass sie verhaftet und« – ich warf Medina Sidonia einen vielsagenden Blick zu – »verurteilt werden. Wenn sie für schuldig befunden werden, was meiner Überzeugung nach unvermeidlich ist, werden ihnen die Eingeweide herausgerissen und ihre Körperteile an den Stadttoren aufgehängt. Das soll anderen als Warnung dienen, dass Isabella von Kastilien ihren Schutz allen Untertanen gewährt, unabhängig von ihrem Glauben oder Stand.«

Mit gesenktem Kopf und über die Wangen strömenden Tränen murmelte der Mann: »Gott segne Euch, Majestad.« Gleich danach führte Cárdenas ihn zu seinem Tisch, um die Einzelheiten seiner Klage aufzunehmen.

»Eure Majestät sollten das Gesindel nicht verhätscheln«, hörte ich Medina Sidonia mit abgehackter Stimme nörgeln. »Das bestärkt es nur in seinem Trotz.«

»Mir scheint, dass Ihr es seid, hoher Herr, der das Gesindel bestärkt«, gab ich zurück, ihn mit eisigem Blick fixierend. Er verneigte sich tief und murmelte eine Entschuldigung.

Jetzt hatte ich Blut geleckt. Ich wandte mich wieder den wartenden Bittstellern zu. Medina Sidonia wusste, was ich von ihm erwartete, und ich fühlte mich vollkommen bestätigt, als mir wenige Tage später hinterbracht wurde, dass die Tore Sevillas mit den zerfetzten und blutverschmierten Körperteilen der Verurteilten geschmückt worden waren. Wenn die Insassen dieser Brutstätte der Gesetzlosigkeit glaubten, ich würde aus Nachgiebigkeit Gnade üben oder vor den brutaleren Aspekten meiner Pflicht zurückschrecken, weil ich eine Frau war, hatten sie sich getäuscht. Mochte kommen, was da wollte, ich würde nicht zaudern, solange ich nicht überall für Gehorsam gesorgt hatte. So setzte ich meine Rechtsprechung fort, ohne auf Rang oder Geschlecht zu achten, und gestattete niemandem, der ein Verbrechen begangen hatte, seiner Strafe zu entgehen. Um Furcht vor mir und den so schamlos gebrochenen Gesetzen zu verbreiten, erklärte ich eines Tages für alle im Thronsaal Versammelten deutlich hörbar, dass mir nichts ein größeres Vergnügen bereitete, als einen Dieb die Stufen zum Galgen erklimmen zu sehen. Das ließ viele, die darauf warteten, ihr Anliegen vorzubringen, zusammenzucken, während andere sich gleich aus der Schlange stahlen und flohen.

Schließlich fand sich der Bischof von Sevilla ein, um eine vertrauliche Audienz zu erbitten.

Ich verscheuchte Medina Sidonia mit einer Geste, und als ich das Anliegen des Geistlichen vernommen hatte, war ich froh darüber. Der Bischof galt als freundlicher und barmherziger Mann, der auch der Wissenschaft zugetan war, doch die Worte, die ich aus seinem Mund vernahm, hatte ich nicht erwartet.

»Eure Majestät haben sich als Inbegriff der Tugend erwiesen«, begann er, »doch die Bewohner von Sevilla … bekommen Angst. Viele haben die Stadt aus Furcht verlassen, dass mit Eurer Ankunft alle Türen für Hoffnung und Milde zugeschlagen worden sind.«

Ich blickte Cárdenas stirnrunzelnd an. »Ist das wahr?«

Mein Sekretär blätterte in einer Akte, bevor er ernst zu mir aufsah. »In der Tat, Majestad. Über hundert Fälle, die uns bisher vorgetragen wurden, sind unerledigt, weil entweder der Klageführer oder der Beschuldigte nicht zurückgekehrt ist, um das Urteil zu erfahren.«

Verunsichert wandte ich mich wieder dem Bischof zu. »Davon wusste ich nichts. Ich bedaure, meinen Untertanen Angst eingeflößt zu haben, denn das war nicht meine Absicht.«

»Das habe ich auch nie geglaubt«, beteuerte er hastig. »Es ist nur so, dass … Männer hier im Süden eher zu Bösem neigen, nachdem wir so lange unter untauglichen Fürsten und der ständigen Bedrohung durch die Mauren gelitten haben. Die Ankunft Eurer Majestät ist ein Segen, eine große Ehre, aber, wenn ich so offen sein darf, solche Missstände, wie diejenigen, die Sevilla heimsuchen, können nicht über Nacht behoben werden.«

Seine Worte rüttelten mich auf. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Mein glühender Eifer, die Ordnung in Sevilla wiederherzustellen, war ein vergeblicher Versuch gewesen, mich selbst vor Gott reinzuwaschen und zu beweisen, dass ich immer noch Seiner Gnade wert war. Wegen meines oberflächlichen Strebens nach Erlösung hatte ich alles stehen und liegen lassen: meine Tochter, meinen Gemahl und meine Aufgaben in Kastilien. Wieder einmal hatte meine Eitelkeit die Vernunft verdrängt, genauso wie an jenem fürchterlichen Tag in den Feldern vor Tordesillas, als ich Fernando vor unserer Armee ausgescholten hatte.

»Nein«, sagte ich leise, »wahrscheinlich nicht. Es war klug von Euch, mich darauf hinzuweisen, Eure Eminenz.« Ich erhob mich. Meine mit Juwelen besetzte Robe wallte mir um die Füße wie flüssiges Gold. Meine prachtvolle Krone grub sich mir tief in die Stirn. Wie gern hätte ich mich jetzt in meine Gemächer zurückgezogen und mich von diesen Insignien der Macht befreit, die mir auf einmal so bedeutungslos vorkamen.

»Bitte sagt den Leuten, dass ich keinerlei Absicht habe, irgendjemandem Gnade zu verwehren«, bat ich ihn. »All jenen, die verurteilt worden sind, wird Amnestie gewährt, vorausgesetzt, sie brechen das Gesetz nicht wieder – allen außer den Häretikern und Mördern natürlich«, ergänzte ich.

Der Bischof nickte. »Danke, Majestad.« Ich wandte mich schon zum Gehen, als er sich räusperte: »Was die Häretiker betrifft, da gibt es etwas, das ich Euch ans Herz legen möchte.«

Ich blickte über die Schulter. »Ja?«

»Die Juden«, sagte er, und bei diesem Wort schien sich der Saal um uns herum mit einem Schlag zu verdunkeln. »Hier in Sevilla ist der Hass gegen sie größer geworden. Im eigentlichen Sinne sind sie natürlich keine Häretiker, da sie ja nicht konvertiert sind; aber seit Eurer Ankunft hat es in ihrem Viertel mehrere Vorfälle gegeben, über die Ihr meiner Meinung nach Bescheid wissen solltet.«

Mit einem Nicken ermunterte ich ihn fortzufahren, auch wenn mir davor graute, was er mir gleich eröffnen würde. Mir fiel der arme Mann wieder ein, dem man die Ziegen gestohlen hatte. Ich wollte mir lieber nicht vorstellen, wie viele schreckliche Verbrechen von der gleichen Sorte begangen worden waren, von denen ich nichts erfahren hatte.

»Eine Familie aus dem Ghetto des Ziegenhirten, dessen Fall Euch vorgetragen wurde, ist kürzlich aus ihrem Haus verschleppt und zu Tode gesteinigt worden. Mehrere Synagogen sind verwüstet worden, und eine davon ist bis auf die Grundmauern abgebrannt. Vielen Juden wird das Recht verwehrt, auf dem Markt einzukaufen oder Handel zu treiben, anderen werden für dieses Privileg hohe Steuern abverlangt.« Der Bischof seufzte. »Leider ist nichts davon neu. Dieser Hass, er kommt und geht – wie eine Seuche. Aber jetzt benutzen einige der Wüstlinge die Gegenwart Eurer Majestät als Ausrede. Sie behaupten, die Königin von Kastilien dulde nicht die Nähe der Mörder Christi mitten in ihrem Land, und sie würden lediglich das Gesetz in die eigene Hand nehmen. Dabei habt Ihr persönlich dafür gesorgt, dass ein Jude Recht bekommen hat.«

Ich erstarrte. »Wer immer behauptet, er würde in meinem Namen das Recht vollziehen, riskiert eine schwere Strafe. Die Juden dieses Reichs sind ebenfalls meine Untertanen und stehen als solche unter meinem Schutz.«

»Sehr wohl. Leider haben vor nicht allzu langer Zeit Juden in Kastilien so Entsetzliches wie erzwungene Bekehrung oder Ermordung erlitten. Solches Elend möchte ich nicht noch einmal mit ansehen müssen. Es heißt, sie würden es selbst auf sich herabbeschwören, weil sie Reichtümer anhäuften, während Christen verhungerten, und weil sie sich mit den conversos verschwörten, um unsere Kirche zu zersetzen. Dafür habe ich allerdings nie Beweise gesehen.«

Er überraschte mich. Ich hatte nicht erwartet, dass ein Mann der Kirche über Gräueltaten aus der Vergangenheit sprechen würde, die von unseren geistlichen Führern gebilligt worden waren, noch, dass er sich für die notleidenden Juden einsetzen würde.

»Ich werde diese Angelegenheit überdenken«, versprach ich und warf Cárdenas erneut einen Blick zu. »Lasst sofort eine Verfügung verfassen, dass jede Belästigung von Juden oder Beschädigung jüdischen Eigentums umgehend streng geahndet wird. Lasst die Bekanntmachung auf jedem plaza der Stadt aufhängen.«

Als ich mich wieder dem Bischof zuwandte, entdeckte ich in seinem Gesicht unverhüllte Bewunderung. »Ich muss zugeben, am Anfang war ich mir bei Euch nicht sicher«, gestand er. »Vor Euch haben wir auch schon Herrscher gehabt, die Wandel versprachen, aber Ihr, meine Königin, übertrefft alle Erwartungen. Euer Erlass wird viel bewirken, was Hilfe bei der Entschädigung für Unrecht betrifft, das dem sephardischen Volk angetan wurde. Allerdings« – er hielt inne, als müsse er sich die nächste Formulierung noch zurechtlegen – »wird das Konsequenzen nach sich ziehen. Wenige teilen Euren Gerechtigkeitssinn.«

Ich lächelte. »Konsequenzen gehören nicht zu den Dingen, die ich fürchte. Lasst diejenigen, die mich missbilligen, zu mir kommen, dann werden sie beizeiten erfahren, wo die Königin von Kastilien steht.«

Er verließ mich mit einer Verbeugung. Nachdem ich die übrigen Bittsteller dieses Tages angehört und mich zum Nachmittagsmahl an den Tisch gesetzt hatte, machte ich mir keine Gedanken mehr über meine eigenen Sorgen.

Ich hatte Einblick in eine Zukunft erhalten, die ich um jeden Preis vermeiden wollte. Diese schwelende Zwietracht zwischen Juden und Christen konnte einen Feuersturm entfachen und weiter schüren, der sich auch auf das ganze übrige Kastilien ausbreiten würde. Nach dem Generationen währenden Aufruhr konnte ich es mir nicht leisten, unsere gerade erst gefundene, zerbrechliche Einheit Bedrohungen auszusetzen.

»Wir müssen weitere Schritte zur Verteidigung der Juden ergreifen«, verkündete ich am nächsten Morgen vor dem versammelten Kronrat. »Auch wenn ich ihren Glauben nicht teile, werde ich nicht dulden, dass sie misshandelt oder willkürlich der Aufwiegelung von conversos beschuldigt werden. Wir sind immerhin gläubige Christen.«

Ich hielt inne und bekam mit, wie mein Beichtvater, Fray Talavera, und Don Chacón einen wissenden Blick wechselten. Mein Haushofmeister war ergraut, bekam allmählich schütteres Haar, und sein großer, muskulöser Körper wurde mit dem Alter immer runder. Doch sein Verstand war scharf wie eh und je, und ich hatte gelernt, die wenigen Gelegenheiten zu schätzen, bei denen er seine Meinung äußerte.

»Vielleicht sollten Eure Majestät morgen mit uns einer Predigt lauschen«, schlug er vor.

»Einer Predigt?« Ich runzelte die Stirn. »Von wem? Worüber?«

Fray Talavera musterte mich mit ernsten, schwarzen Augen. »Es wäre das Beste, Ihr würdet einfach kommen«, meinte er. »Niemand braucht zu wissen, dass Ihr dort seid. Ich kann es so einrichten, dass Ihr hinter einem Wandschirm sitzt, direkt über der Kanzel.«

»Wozu, um alles auf der Welt, sollte ich mich verbergen?«

»Weil der Prediger vielleicht nicht mehr so offen ist, wenn er weiß, dass Ihr anwesend seid«, antwortete mein Beichtvater. »Vertraut mir, Majestad, was er zu sagen hat, wird Euch brennend interessieren.«

Tags darauf saß ich mit Inés an meiner Seite hinter einem Paravent. Eine donnernde Stimme unter mir, die einem dominikanischen Pfarrer gehörte, einem gewissen Pater de Hojeda, sandte mir kalte Schauer über den Rücken.

»Sie wahren mit voller Absicht ein falsches Gesicht, damit sie ihre üblen Riten ausüben können!«, wetterte Hojeda. »Sie verabscheuen unsere heiligen Sakramente, die Anbetung unserer Heiligen, und sie leugnen die Keuschheit unserer Heiligen Jungfrau! Tagsüber gehen sie zur Messe, diese Marranos mit den zwei Gesichtern, aber nachts schmähen sie die Riten, mit welchen sie in die Kirche, unsere Heilige Mutter, aufgenommen wurden. Dann feiern sie mit ihren widerwärtigen Brüdern, die sie zur Renitenz anstacheln. Sie müssen aufgespürt, bloßgestellt und ausgemerzt werden, bevor sie uns alle mit ihrer Fäulnis infizieren und zugrunde richten!«

Seine Worte bestürzten mich zutiefst. Sofort bei unserer Rückkehr in den Alkazar bestürmte ich Fray Talavera mit Fragen. Dieser erklärte mir, dass er ebenfalls Geschichten über Juden gehört hatte, die angeblich conversos dazu anstachelten, nach außen Zugehörigkeit zu unserem Glauben vorzutäuschen, während sie heimlich wieder ihre nur zum Schein aufgegebene Religion ausübten. Mehr noch, es würde vielerorts gemunkelt, diese Machenschaften seien seit Jahrhunderten in ganz Kastilien gang und gäbe, nur würden viele Priester ein Auge zudrücken, weil sie träge, unwissend oder käuflich seien.

»Natürlich könnte das maßlos übertrieben sein«, schränkte er ein, »aber ich glaube, Ihr solltet sämtliche Tatsachen kennen, bevor Ihr den Fall aufgreift.« Er atmete tief durch. »Man könnte leicht in ein Wespennest stechen«, fuhr er fort, und seine Andeutung erinnerte mich auf unheimliche Weise an die Warnung des Bischofs von Sevilla. »Nur wenige werden der Verteidigung derer zustimmen, denen die Schuld an der Kreuzigung unseres Erlösers nachgesagt wird. Auch wenn wir seit vielen Jahren eine Politik des friedlichen Zusammenlebens mit den Juden pflegen, bedeutet das noch lange nicht, dass alle damit einverstanden sind. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass nur wenige Christen sie in unserer Mitte dulden würden, wenn sie die Wahl hätten.«

Ich nickte. »Ich verstehe. Seid, wie immer, für Eure offenen Worte bedankt. Ich werde sogleich Kardinal Mendoza schreiben und ihn um seinen geschätzten Rat bitten.«

Nachdem ich den Brief am Abend einem Boten ausgehändigt hatte, schaute ich durch die geriffelten Fenster in die schwüle Dunkelheit hinaus. Zwar verurteilte ich jedes Leid, das man den Juden zufügte, die mir treu am Hof dienten und von denen auch viele meiner Adeligen abstammten, darunter meine geliebte Beatriz, doch ich konnte es mir nicht leisten, dass unsere ohnehin schon unglaubwürdig gewordene Kirche möglicherweise noch weiter zersetzt wurde. Die Regentschaften meiner Vorgänger waren alles andere als vorbildlich gewesen, was die Toleranz anderen Religionen gegenüber betraf. Jahre des Bürgerkriegs und der Auseinandersetzung mit den Adeligen hatten die Kirche in ihren Grundfesten erschüttert. Es war allgemein bekannt, dass sich viele unserer Geistlichen Konkubinen hielten und in den Klöstern Kastiliens Zügellosigkeit und eine sehr freizügige Auslegung der Heiligen Schrift unter Mönchen wie Nonnen überhandnahmen. Ich war indes fest entschlossen, unsere Kirche zu ihrer früheren Herrlichkeit zurückzuführen. Allerdings hatte ich in dem Durcheinander seit meiner Thronbesteigung noch nicht die Zeit gefunden, mich dieser gewaltigen Aufgabe zu widmen.

Con blandura hatte mein Motto bisher gelautet – mit Fingerspitzengefühl. Ich wollte die Vergangenheit nicht wiederholen. Nach allem, was Kastilien erduldet hatte, bestärkte mich der bloße Gedanke an Verfolgung, Blutvergießen und Leiden in meiner Entschlossenheit, obwohl mir durchaus klar war, dass ich die Bedrohung der Einheit meines Reichs, die ich damit riskierte, nicht auf Dauer ignorieren konnte. Um den anderen Ländern gewachsen zu sein, um Allianzen mit fremden Mächten zu schmieden, mit deren Hilfe wir Frankreich in Schach halten konnten, musste Spanien eine einheitliche Front darstellen. Und das hatte eine katholische Front zu sein, die keinen Ansatzpunkt für irgendwelche unsere Stärke untergrabende abweichende Meinungen bot.

Um die beunruhigenden Gerüchte über die conversos zu überprüfen, würde ich eine behördliche Untersuchung anordnen, und falls sie sich als wahr erwiesen, ein Rezept dagegen aus dem Ärmel schütteln müssen. Weniger war für mich als christliche Königin nicht möglich. Der spirituelle Aspekt des Wohlergehens meines Volkes war mir nicht minder wichtig als der physische; vielleicht bedeutete er sogar noch mehr, denn der Körper stellte schließlich nur eine dem Verfall geweihte, sterbliche Hülle dar, wohingegen unsere Seele ewig war.

Ich sehnte mich nach Fernando. Ich hatte Briefe von ihm bekommen, in denen er seine Heldentaten in der Extremadura schilderte, wo er mit Feuereifer die Widerstandsnester rebellischer Portugiesen und ihrer Helfer aufgespürt hatte. Wie gern hätte ich mich in unserem Bett an ihn geschmiegt und ihm mein Herz ausgeschüttet, um seinem klugen Urteil zu lauschen und die Gewissheit zu haben, dass ich nicht allein war, dass er immer an meiner Seite war, egal, was geschah.

Ich schloss die Augen. Fast konnte ich ihn herbeibeschwören, seine Hand an meiner Taille, seine am Abend vom Wein raue Stimme an meinem Ohr …

Ein Klopfen riss mich aus meiner Träumerei. Ich schreckte hoch und zog meine Robe fester um mich, während Inés, die ihr lohfarbenes Haar schon für die Nacht gelöst hatte, zur Tür hastete.

Chacón, im flackernden Licht der draußen an den Wänden angebrachten Fackeln nur ein Schemen, erschien im Türspalt. »Vergebt mir mein Eindringen, Majestad, aber der Marquis von Cádiz ist eingetroffen. Er ersucht um eine Audienz bei Euch.«

»Zu dieser Stunde?« Ich hatte schon eine Ablehnung auf der Zunge, verkniff sie mir dann aber. Wenn Cádiz tatsächlich hier war, sollte ich ihn empfangen. Angesichts ihres gegenseitigen Hasses konnte mir nicht daran gelegen sein, dass die beiden Streithähne aneinandergerieten, bevor ich eine Gelegenheit hatte, Cádiz’ Charakter persönlich auszuloten. »Nun gut«, sagte ich. »Führt ihn auf meine private Terrasse.«

Als ich durch die Schlafkammertür auf die alabasterfarbene Terrasse trat, wo die Luft nach Jasmin duftete, verschlug es mir angesichts des auf mich wartenden Mannes den Atem. Medina Sidonias Beschwerden über Cádiz hatten in mir ein Bild von einem ungebärdigen Räuber entstehen lassen. Doch der Adelige, der sich tief vor mir verneigte, wirkte unglaublich jung und war wohl kaum älter als ich mit meinen sechsundzwanzig Jahren. Er war mittelgroß und von schlanker Gestalt, hatte feuerrotes widerspenstiges Haar, eine mit Sommerprossen übersäte Haut und grüne, von langen fuchsroten Wimpern umrahmte Augen – wunderschöne Augen, die goldene Tupfer in ihren Tiefen zu bergen schienen, Augen, wie sie nur diese Region hervorbringen konnte.

Bekleidet war er mit einem silbern gesäumten violetten Samtwams. Als er seine elegante Verbeugung vollführte, raschelte das Seidenfutter seines Capes. Das Ganze war eine affektierte Geste, darauf angelegt, Eindruck zu schinden. Ich musste ein Lächeln unterdrücken. Wenn Medina Sidonia die Vornehmheit des andalusischen Adels verkörperte, dann stand Cádiz für seine dramatische Ader.

Doch ich zeigte mich in Haltung wie Ton steif. Kein Mann, egal, wie gut gekleidet, sollte glauben, er könne sich meinem Missvergnügen mit Schmeicheleien entziehen. »Ihr wurdet vor einem Monat hierherbefohlen, Marquis. Ich nehme an, Ihr habt eine Erklärung für Euren Verzug?«

»Majestad«, flötete er mit wohlklingender Stimme, bei der ein Troubadour vor Neid erblasst wäre, »ich habe keine Entschuldigung vorzubringen, außer dass es allein schon Tage dauerte, bis Euer Bote meine Burg in Jerez erreichte, da er wegen Medina Sidonias Hass gegen mich Gebiete, deren Bewohner uns feindselig gegenüberstehen, durchqueren musste und auch an meinen Grenzen von ihren Patrouillen aufgehalten wurde. Sodann musste ich mich in Verkleidung durch dieselben Ländereien stehlen, um Euch, an Leib und Seele unversehrt, zu erreichen.«

Ich tappte laut genug mit dem Fuß auf, damit er hören konnte, wie ungeduldig ich war. »Ich hoffe aufrichtig, dass Ihr nicht den ganzen Weg gekommen seid, um mir nur das zu sagen. Falls Ihr daran erinnert werden müsst: Ich bin Eure Königin. Ich bin denen, die sich über meine Autorität hinwegsetzen, nicht freundlich gesinnt. Ob Edler oder Gemeiner, wenn ich eine Vorladung sende, erwarte ich Gehorsam.«

Er sank auf ein Knie und hob seine wunderschönen Augen mit solch einnehmender Demut zu mir, dass Inés unwillkürlich aufkeuchte. Auch wenn ich nicht zu erkennen gab, dass ich von seiner Pose beeindruckt war, musste ich insgeheim zugeben, dass dieser Mann von atemberaubendem Äußeren war.

»Eure Majestät, ich bin Eurer Macht unterworfen!«, rief er, die Arme weit ausgebreitet. »Und ich habe gegen den Zorn, den mein Feind mit seinen Lügen in Euch geschürt hat, keinen Schutz außer der Beteuerung meiner Unschuld!« Sein Ton nahm vor leidenschaftlichem Pathos ein leichtes Zittern an. »Auch bin ich nicht bloß gekommen, um zu sprechen. Ich bin gekommen, um zu handeln! Nehmt, meine Königin, aus meiner Hand Eure Festungen Jerez und Alcalá entgegen, und sollte Euch mit noch mehr Teilen meines Erbes gedient sein, übergebe ich Euch auch diese – so wie ich mich Euch mit Leib und Seele in vollkommenem Gehorsam anheimstelle.«

Eine dröhnende Stille breitete sich nach dieser pompösen Rede aus. Ich warf Chacón einen Blick zu. Die Arme vor der Brust verschränkt, stand er da, die Augenbrauen skeptisch hochgezogen. Als Kastilier bis ins Knochenmark ließ er sich weder von gutem Aussehen noch von Großspurigkeit beeindrucken. Doch als ich den Blick wieder auf den immer noch knienden Marquis richtete, war ich plötzlich geneigt, sein Bekenntnis für bare Münze zu nehmen. Ach, Berechnung lag hier zweifellos vor. Natürlich wusste er, wann es galt, seinen Vorteil zu erkennen. Aber wenn er von meiner Absicht Wind bekommen hatte, nach Sevilla auch sein ganzes gesetzloses Gebiet wieder Recht und Ordnung zu unterwerfen, und darum zu dem Schluss gelangt war, es wäre klüger, sich zu fügen, als die verräterische Demonstration seiner Macht auf die Spitze zu treiben, dann war mir das gerade recht. Mit seiner Kapitulation würde die Hälfte von West-Andalusien – das größtenteils während der Regierungszeiten meines Vaters und meines verstorbenen Halbbruders illegal besetzt worden war – zusammen mit einer Reihe von Burgen, Städten und Vasallen unter meine Kontrolle zurückkehren.

»Edler Marquis«, sagte ich, »auch wenn es zutrifft, dass ich nichts allzu Erfreuliches über Euch gehört habe, zeigt Ihr mit diesem Angebot Euren guten Willen. Übergebt mir die genannten Festungen, und ich verspreche Euch, in Eurem Streit mit Medina Sidonia so zu vermitteln, dass Euer beider Ehre gewahrt bleibt.«

Mit einem enthusiastischen Lächeln entblößte er makellose weiße Zähne. »Eure Majestät, ich bin Euer untertänigster Knecht! Alles, was ich habe, steht Euch zur Verfügung.«

Ich gestattete mir meinerseits ein Lächeln. Der Mann mochte ein Schurke sein, aber er war unwiderstehlich.

»Mein Sekretär, Cárdenas, wird die Urkunden aufsetzen. Sobald die Schlüssel zu diesen Burgen in meinem Besitz sind, können wir die Einzelheiten dieser untertänigen Knechtschaft erörtern.«

Ich reichte ihm meine Hand. Er wagte es tatsächlich, die Lippen auf meine Finger zu pressen. Das war unverfrorenes Poussieren, fast eine Ungeheuerlichkeit, doch ich hätte nicht erfreuter sein können. Cádiz mochte zwar ein Sieg über Medina Sidonia gelungen sein, dem, sobald er von diesem mitternächtlichen Treffen erfuhr, nichts anderes übrig bleiben würde, als sich ebenfalls zu unterwerfen. Kurz und gut, die wahre Siegerin war letztlich ich.

Ohne einen Tropfen Blut zu vergießen, hatte ich die mächtigsten Fürsten Andalusiens gezähmt.

Wie erwartet, gab sich Medina Sidonia alle Mühe, Cádiz in den Schatten zu stellen, indem er mir sechs seiner fünfzehn Burgen übereignete. Daraufhin bot mir Cádiz zehn weitere von seinen Festungen an. Die Schlichtung zwischen den beiden stellte sich als denkbar einfach heraus, da ihre Stützpunkte nun merklich reduziert waren. Den Rest ihrer umstrittenen Güter teilte ich gerecht auf, wobei ich den größten Teil Kastilien zuschlug. Als Gegenleistung gelobte Cádiz, für mich einen heiligen Krieg gegen die Mauren zu führen – ein keckes Versprechen, das mir ein Schmunzeln entlockte –, und Medina Sidonia erbot sich, mir einen genuesischen Seefahrer vorzustellen, der in seinen Diensten stand und plante, den von Türken besetzten Landweg zu den sagenumwobenen Schätzen Kathays zu meiden und stattdessen über das Meer zu segeln. Letzteren Vorschlag lehnte ich höflich ab und vertröstete ihn auf einen günstigeren Zeitpunkt. Bei der vorgeblichen Großzügigkeit des Marquis musste ich mir allerdings ein Lachen verkneifen. Medina Sidonia mochte gezähmt worden sein, doch freiwillig hätte er sich bestimmt nicht von noch mehr Teilen seines Reichtums getrennt, noch wollte er ein persönliches Risiko eingehen. Da trennte er sich lieber von einem Schützling, von dem er sich keinen Nutzen mehr versprach, der die Kosten wert wäre.

Da nun also die südlichen Gebiete meines Reichs befriedet waren, begann ich mit den Vorbereitungen für die Wiedervereinigung mit Fernando. Dazu leitete ich eine gründliche Renovierung der veralteten Gemächer im Alkazar von Sevilla ein. Fernandos Triumphe in Kastilien waren nicht weniger bedeutend als meine; er hatte die letzten störrischen Granden in der Extremadura zur Räson gebracht, in der Gegend Frieden geschaffen und so unsere poröse Grenze zu Portugal gegen weitere Angriffe gesichert. Er verdiente wahrlich einen angemessenen Empfang, und den wollte ich ihm auch bereiten.

Ich war der Zwietracht müde und wollte nichts anderes, als wieder mit meiner Familie zusammen zu sein.

Im September erstickte Sevilla fast unter der brütenden Hitze. Mittags konnte man Eier auf der Straße braten, und jeder zog sich zurück, um in den Nachmittagsstunden hinter geschlossenen Fensterläden Siesta zu halten. Insofern war es misslich, dass Fernando ausgerechnet in dieser Zeit Einzug hielt, aber als er in seinem mit Samtwimpeln und Girlanden geschmückten Boot, unter einem Baldachin thronend, den Guadalquivir hinuntersegelte, die Krone auf dem Kopf und das breite Gesicht neuerdings von einem Vollbart umrahmt, machten die schrillen Trompetenstöße seiner Herolde den mangelnden Zulauf der Bürger mehr als wett.

Ich konnte mich kaum noch zurückhalten, als er Beatriz und Isabél half, von Bord zu gehen. Ungeduldig drängte ich nach vorn, obwohl ich immer großen Wert darauf legte, vor der Öffentlichkeit zu allen Zeiten die angemessene Etikette zu wahren – wie sonst konnten wir unseren ungebärdigen Untertanen einen gesunden Respekt vor unserer Macht einflößen? Damit zwang ich freilich mein ebenfalls viel zu aufwendig gekleidetes und unter der Hitze leidendes Gefolge, mit mir über die Brücke zu eilen.

Fernandos Augen schimmerten. »Mi Luna«, murmelte er und ergriff meine Hände. »Du siehst gut aus. Du hast sogar etwas Farbe auf den Wangen.« Damit zog er mich nur auf. Oft scherzte er, dass die Sonne von mir wie von einem Schild abgewehrt werde. Mir selbst war in der Aufregung der letzten Tage nichts aufgefallen, zumal Tändeleien vor dem Spiegel ohnehin zu meinen geringeren Lastern gehörten. Aber natürlich musste das viele Hin und Her meine normalerweise blasse Haut ein wenig gefärbt haben. Auch Fernando sah gut aus. Die Monate des Feldzugs hatten seine Muskeln gestählt, und sein gedrungener Körper verströmte die Energie eines unermüdlichen Jungstiers.

Mit größter Anstrengung riss ich mich von seinem schalkhaften Grinsen los und sah, wie meine Tochter zu einem Knicks niedersank. »Majestad«, hauchte sie in einem ernsten Ton, hinter dem angestrengtes Üben steckte. »Es ist eine Ehre für mich, hier bei Euch zu sein und Euch zu Eurem Sieg zu gratulieren.«

Ich spürte einen Kloß in der Kehle. »Danke, hija mía. Bitte erhebe dich und lass mich dich anschauen.«

Sie war so schön, dass ich es kaum fassen konnte, dass sie aus meinem Unterleib gekommen war. Mit ihren beinahe sieben Jahren war sie gertenschlank und in eine Höhe geschossen, die sie von meinen Ahnen geerbt hatte. Ihr goldbraunes Haar war dunkler als meines, ihre blaugrünen Augen wie ein Türkis, mit bernsteinfarbenen Tupfern gesprenkelt. Als ich diese Augen bestaunte, die noch so klar und unschuldig waren, befielen mich Schuldgefühle. Isabél glich dem Bild, das meine Mutter in ihrem Alter abgegeben haben musste, lange bevor Witwenschaft und Einsamkeit ihren Tribut gefordert hatten. Und ich hatte meine Mutter seit bald zwei Jahren nicht mehr in Arévalo besucht …

»Wie schön du bist!«, rief ich, und Isabél strahlte mich an, womit sie eine neu hinzugekommene Zahnlücke offenbarte. Als hätte sie das plötzlich selbst gemerkt, hob sie eine Hand zum Mund und errötete. Ich drückte sie an mich, während ich Beatriz anlächelte, die Isabél in der Zeit meiner und Fernandos Abwesenheit zu sich nach Segovia genommen hatte.

»Und dir geht es gut, meine Freundin?«, fragte ich sie leise, woraufhin sie nickte, stolz und schön wie immer in ihrer azurblauen Seidenrobe. Ihr olivfarbenes Gesicht war von der Hitze gerötet, über ihre üppige Brust perlten winzige Schweißtropfen, und ihre dunklen Augen funkelten. Plötzlich befiel mich der Drang, ihre Hand zu packen, die Treppe hinaufzujagen und alle meine Geheimnisse mit ihr zu teilen, wie wir es als Mädchen immer getan hatten.

An diesem Abend saß ich mit meinem Gemahl und meiner Tochter auf der Plattform im Hof des Alkazar. Wir speisten und lachten und tauschten Anekdoten mit Beatriz aus, während die Stadt sich selbst überbot in ihrem Eifer, den König und die Prinzessin in Sevilla willkommen zu heißen. Fernando trank mehr als gewöhnlich, und seine Hand glitt ein ums andere Mal unter die Tischdecke, um meine Oberschenkel zu liebkosen.

In derselben Nacht wurde ich wieder guter Hoffnung.

Ein paar Wochen später segelten wir den Guadalquivir zu einer schwer verdienten Erholungspause zu der an der Küste gelegenen Festung Medina Sidonia hinunter.

Dort sah ich zum ersten Mal in meinem Leben das Meer.

Von dem Moment an, da ich es erblickte, war ich völlig verzaubert von der Art und Weise, wie das Sonnenlicht Feuerspeere durch die Farben der Wasseroberfläche schleuderte, die sich in einem fort von Indigoblau zu Smaragdgrün oder dem Amethystviolett der Dämmerung veränderte. Und auch seine Geräusche fesselten mich, sein Donnern überall dort, wo es sich gegen Felsen warf, das sogleich zu einem bloßen Flüstern wurde, sobald es warm und verlockend zwischen meinen nackten Zehen über den Sand glitt. Wenn ich meine Röcke raffte und den von Salz erfüllten Wind, dessen Geschmack ich von nun an im Mund haben sollte, an meinem Schleier zerren ließ, verspürte ich den Drang, mich in diesen bewegten Glanz zu stürzen, obwohl ich nie gelernt hatte zu schwimmen.

Ich konnte den Ruf des Meeres in meinem tiefsten Inneren fühlen. Er fand sein Echo in einem heidnischen Trieb, einer Sehnsucht, so mächtig wie die Sünde.

In diesem Moment, da das weite Wasser vor mir zu dem verborgenen Wasser in mir sprach, wurde mir bewusst, dass ich guter Hoffnung war. Ich drehte mich beglückt um und rief Fernando zu mir. Er stand mit Medina Sidonia am Strand und überflog gerade ein Schreiben, das der Herzog ihm überreicht hatte. Bevor ich etwas sagen konnte, schritt er mit ernster, beunruhigter Miene auf mich zu.

»Was ist es?«, fragte ich. »Was ist passiert?«

Er reichte mir den Pergamentbogen. »Von Kardinal Mendoza. Er hat deine Bitte um eine kirchliche Untersuchung der Verhältnisse der conversos im Reich geprüft. Jetzt schreibt er, dass die Schilderungen, von denen du in Sevilla gehört hast, alles andere als eine Ausnahme sind. Laut seinen Ermittlern gibt es zahlreiche Vorfälle, in denen conversos die geächteten jüdischen Praktiken weiter ausüben, während sie nach außen hin so tun, als gehörten sie unserem Glauben an.«

Plötzlich bekam ich einen trockenen Mund, und jäh graute mir vor dem Brief in meiner Hand.

Doch Fernando war noch nicht fertig. »Mendoza bittet uns, ihn zu ermächtigen, von Rom ein Edikt anzufordern, das die Einrichtung des Heiligen Tribunals der Inquisition in Kastilien zulässt.« Er hielt einen Moment lang inne. »Isabella, diese Angelegenheit ist ernst! Er hat die Unterstützung Torquemadas, der offenbar von deiner Nachsicht den Juden in Sevilla gegenüber erfahren hat und nicht davon erbaut ist; er beschwert sich über mangelnde Sorgfalt in unserer Amtsführung. Alle beide glauben, die Wiederbelebung der Inquisition könne helfen, die falschen Christen auszumerzen und den Weg zur Erneuerung der Kirche zu ebnen, die du dir ja wünschst.«

Während ich mit Fernando auf dem schier endlosen Strand im Dämmerlicht getaucht dastand, das Lachen unseres Kindes mit dem Sprühnebel der Brandung zu uns herüberwehte und mein Wissen, dass ein weiteres Kind in mir heranwuchs, sich verdichtete, befiel mich jäh eisige Kälte.

Ich faltete das Pergament zusammen und stopfte es mitsamt dem Siegel in ein an meinem Gürtel befestigtes Seidenbeutelchen. »Ihr Ansinnen ist verfrüht«, fauchte ich. »Das Heilige Tribunal gibt es schon seit so vielen Jahren in Kastilien, und doch hat es nichts bewirkt. Es bedarf der Reform nicht minder dringend als die Kirche selbst. Und wir müssen schon jetzt vieles vorbereiten. Wir müssen die Cortes einberufen, damit sie das Gesetzbuch gründlich überarbeiten und die Privilegien des Adels beschneiden. Und ich will erst gar nicht erwähnen, dass von uns – wie von all unseren Vorgängern – die Wiederaufname der reconquista gegen die Mauren erwartet wird. Darum ist jetzt wohl kaum der richtige Zeitpunkt, um uns noch eine weitere Bürde aufzuladen, schon gar nicht eine von diesem Ausmaß.«

Fernando richtete den Blick auf die herankrachenden und verebbenden Wellen; dabei wirkte sein markantes Profil im Dämmerlicht weicher. Schließlich sagte er nachdenklich: »Kein Zweifel, du hast vollkommen recht. Aber es wäre trotzdem ein Fehler, die Bitte des Kardinals zu ignorieren. Seit wir unser Amt angetreten haben, beobachtet uns die ganze Welt mit Argusaugen und wartet nur darauf, dass wir scheitern wie alle anderen vor uns. Ich möchte nicht, dass unsere Kirchenmänner sich in Rom darüber beschweren, wir seien nicht fromm genug. Wenn nämlich tatsächlich von uns erwartet wird, dass wir die reconquista gegen die Mauren weiterführen, werden wir darauf angewiesen sein, dass Rom den Kreuzzug bewilligt. Seine Heiligkeit könnte uns aber Seinen Segen verweigern, falls wir keine Bereitschaft zeigen, die Häresie in Spanien auszumerzen. Außerdem: Wie beschwerlich kann es denn schon sein, ein paar gefallenen conversos den Prozess zu machen?«

Ich legte ihm die Hand auf den Arm. »Fernando, vielleicht sind das nicht nur ein paar. Verstehst du denn nicht? Wenn das, was Mendoza und Torquemada sagen, zutrifft, könnte das die Verfolgung Hunderter, wenn nicht Tausender von unseren Untertanen bedeuten. Unsere Behörden müssten sie ergreifen und verhören. In unserem Volk würde dann Angst um sich greifen, und das zu einer Zeit, in der wir um sein Vertrauen werben.«

»Aber das ist nun einmal der Gang der Dinge. Die Inquisition wurde vom heiligen Dominikus zu dem Zweck eingerichtet, die Unreinen von den Gläubigen zu trennen, um diejenigen zu läutern und zu erlösen, deren Seele sonst die ewige Verdammnis drohen würde. Ich kann einfach nicht glauben, dass das Tausende sein sollen. Aber selbst wenn es sich so verhielte, wäre es dann nicht besser, sich gleich mit ihnen zu befassen?«

Er sprach in einem Ton, als stünde ihre Schuld bereits fest, als hätte er nicht den geringsten Zeifel daran, dass die Wiederbelebung des Heiligen Tribunals die einzige vernünftige Lösung sei. Einen Moment lang fiel mir keine Antwort darauf ein. Ich wusste, dass er meine Frömmigkeit teilte; wir beide nahmen regelmäßig an der Messe und an privaten Andachten teil. Für uns konnte es nur eine Kirche, nur einen Glauben geben. Wie sollte ich mir also diese grundlose Angst erklären, die mich bei dem Gedanken daran, seinen Weg zu beschreiten, befallen hatte?

»Ist es wirklich das, was wir wollen?«, fragte ich vorsichtig. »Eine allein Rom verantwortliche Behörde zu absoluter Gerichtsgewalt über uns zu ermächtigen? Wenn wir Seine Heiligkeit um dieses Edikt bitten, müssen wir auch Seine Zuständigkeit für diesen Bereich akzeptieren. Ich bin nicht so begierig darauf, mir von Rom diktieren zu lassen, wie oder wann wir handeln sollen.«

Sein Stirnrunzeln erleichterte mich. Wie mir widerstrebte es ihm, Rom in unsere Angelegenheiten mit einzubeziehen. Auch wenn wir keinen Streit mit dem Heiligen Stuhl suchten, wollten wir doch nicht, dass die Früchte unserer Arbeit dem hinsichtlich seiner Ansprüche unersättlichen Vatikan in den Schoß fielen, zumal unsere eigenen Schatzkammern so gut wie leer waren. Damit unser Land gedeihen konnte, mussten wir in der Lage sein, unsere Innenpolitik selbst zu bestimmen, auch in so heiklen Angelegenheiten wie der religiösen Einheit.

»Was, wenn wir beantragen, die Inquisition unter unsere Kontrolle zu stellen?«, regte Fernando an. »Als Herrscher Kastiliens könnten wir ihre Aktivitäten überwachen, die Tribunale festlegen und die Aufseher selbst ernennen; wir könnten ein neues Heiliges Amt nach unseren Erfordernissen einrichten.«

»Nun … das könnten wir«, erwiderte ich, verblüfft über die schnelle Lösung. Bisweilen hatte Fernando eine geradezu unheimliche Art, ein Problem an der Wurzel zu packen. »Aber wird Seine Heiligkeit dem zustimmen? Meines Wissens hat noch nie ein Monarch solche Vollmachten erhalten.«

»Vielleicht hat auch noch nie ein Monarch darum gebeten.«

Ich wandte mich ab. Der Wind frischte auf und peitschte die schaumgekrönten Wellen vor sich her. Der Brief in meinem Beutelchen wog schwer wie ein Stein. War es das, was Gott mit uns vorhatte? Hatte er Fernando und mich zu seinen Feuergefäßen bestimmt, damit wir unseren Glauben reinigten? Ich hatte keine Antwort darauf; meine Überzeugung, die sonst immer so unerschütterlich war, hatte mich verlassen.

»Wenn ich das bewillige«, sagte ich schließlich, ohne den Blick von dem stürmischen Meer abzuwenden, »müssen wir vorsichtig und mit der gebotenen Sorgfalt zu Werke gehen. Kardinal Mendoza muss gewährleisten, dass man keine Mühen scheut, um diejenigen, die geirrt haben, mit friedlichen Mitteln in den Schoß der Kirche zurückzuführen. Härtere Maßnahmen werde ich nicht dulden, es sei denn, wir haben keine andere Wahl. Und ich will nicht, dass den Juden Leid zugefügt wird. Ermittelt werden darf nur gegen diejenigen, deren Zugehörigkeit zu unserem Glauben in Zweifel geraten ist.«

Ich wandte mich zu Fernando um. Er stellte sich meinem prüfenden Blick. Seine Miene war ernst. »Alles soll so geschehen, wie du es befiehlst«, versprach er. »Ich werde persönlich dafür Sorge tragen.«

»Dann tu es«, erwiderte ich sanft. »Schreib Mendoza, dass wir seinem Ersuchen zustimmen. Aber nur, um das Edikt zu erlangen. Ich behalte mir das Recht vor, es zu geeigneter Zeit selbst durchzusetzen.«

Er nickte und griff nach meiner Hand. »Dios mío, du bist ja eiskalt!« Er maß Inés, die bei meinen anderen Hofdamen saß, mit einem scharfen Blick. »Ihrer Majestät ist kalt! Sofort einen Umhang!«

Begleitet vom Geplapper meiner Hofdamen, kletterten wir binnen Minuten wieder zu dem Klippenweg hinauf, der zurück zu Medina Sidonias Burg führte. Die Wangen meiner Isabél färbten sich in der Sonne rot. Sie schien überglücklich zu sein. Ein Nachmittag, an dem man alle Schicklichkeit und Etikette vergessen und fröhlich sein konnte, war einfach etwas Herrliches.

»Ist es nicht schön, Mama?«, strahlte sie und schob ihre Hand in die meine, als wir oben ankamen und über das Meer schauten, das sich bis zum Horizont wie endlose Seide ausbreitete. »Aber so groß! Beatriz sagt, dass man ewig darübersegeln kann und trotzdem nie an sein Ende kommt. Es muss sich einsam fühlen.«

»Ja«, stimmte ich ihr wehmütig zu, »das muss es wohl.«