4

Wir verbrachten die Nacht in Santa Ana, wo man oberhalb der Zellen der Nonnen eine Unterkunft für Gäste von hohem Rang eingerichtet hatte. Meine Mutter hatte ihr eigenes kleines Gemach, während Beatriz und ich uns eines nebenan teilten. Über meine Begegnung mit dem Erzbischof verlor ich kein Wort, und weder meine Mutter noch Beatriz stellten mir Fragen, obwohl mich die neugierigen Blicke meiner Freundin den ganzen Abend verfolgten.

Am Tag darauf kehrten wir schweigend nach Arévalo zurück. Meine Mutter ritt, den Kopf erhoben, vorneweg und redete mit Don Bobadilla. Kein einziges Mal schaute sie in meine Richtung. Kaum hatten wir die Burg erreicht, zog sie sich in ihre Gemächer zurück. Doña Elvira hastete sofort hinterher, beladen mit Ballen von Stoffen, die sie und Beatriz in Ávila gekauft hatten.

Als Beatriz und ich in den großen Saal traten, kam Alfonso die Treppe heruntergestürmt, Bogen und Köcher über der Schulter. Sein Haar war zerzaust, und seine Finger starrten von Tintenflecken. »Endlich!«, rief er. »Das Warten war elend langweilig! Kommt, lasst uns ins Freie gehen und vor dem Abendessen auf Scheiben schießen. Außer Lesen habe ich in den letzten Tagen nichts getan. Die Augen tun mir schon weh davon. Ich muss meine Muskeln strecken.«

Ich versuchte zu lächeln. »Alfonso, warte einen Moment. Ich muss dir etwas Wichtiges sagen.« Beatriz machte schon Anstalten, sich zu entfernen, doch ich hielt sie zurück. »Bleib bitte. Das betrifft auch dich.«

Ich führte die beiden zum Tisch. Gehorsam legte Alfonso den Bogen ab und setzte sich auf einen der harten Holzhocker. »Und?«, fragte er, die Stirn kritisch gerunzelt. »Was ist? Ist in Ávila etwas passiert?«

»Ja.« Ich zögerte. Erst musste ich einen Kloß im Hals hinunterschlucken, dann berichtete ich alles, wobei ich das Gesicht meines Bruders aufmerksam auf die Wirkung meiner Worte hin beobachtete. Beatriz, die neben mir saß, verriet keine Regung. Als ich geendet hatte, schwieg Alfonso zunächst eine Weile, bis er schließlich sagte: »Mir leuchtet nicht ein, was daran ein Grund zur Sorge sein soll. Wir erfüllen unsere Pflicht, nehmen an der Taufe teil, und dann schickt er uns zurück.«

»Ich glaube, du hast das nicht richtig verstanden«, erwiderte ich mit einem hastigen Seitenblick auf Beatriz. »Carrillo hat gesagt, dass er nicht weiß, wie lange wir fort sein werden. Es kann sein, dass wir … nie mehr zurückkehren.«

»Natürlich werden wir das!« Alfonso fuhr sich mit einer Hand durch das Haar. »Das ist unser Zuhause. Enrique hat sich nie um uns gekümmert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich jetzt auf einmal ändert.« Er stand auf. »Also, gehen wir raus zum Scheibenschießen?«

Ich öffnete schon den Mund, um zu protestieren, als Beatriz mir gegen das Schienbein trat. Stumm schüttelte sie den Kopf. Daraufhin sagte ich zu Alfonso: »Geh ruhig. Wir sind müde. Wir gehen nur noch zu Mama und sehen nach, ob sie noch etwas benötigt.«

»Von mir aus, wie du willst.« Damit hängte sich Alfonso wieder seinen Bogen um und schritt hinaus. Ich stieß einen gequälten Seufzer aus. »Er versteht nicht, was das bedeutet«, meinte ich, an Beatriz gewandt. »Wie kann ich für seine Sicherheit sorgen, wenn er nicht auf mich hört?«

»Er ist noch ein Junge«, beschwichtigte sie mich. »Was erwartet Ihr denn von ihm? Lasst ihn ruhig glauben, alles sei gut. Lasst ihn glauben, dass es nur ein Besuch ist, von dem er bald zurückkehrt. Man kann nicht wissen, was die Zukunft bereithält. Vielleicht hat er ja recht; vielleicht ist es nach einer kurzen Weile wirklich vorbei. Möglich ist das doch, oder? Schließlich wollte Enrique die ganze Zeit keinen von Euch beiden am Hof haben.«

»Ja, möglich ist es wohl«, erwiderte ich leise. »Es tut mir leid, wie ich dich in Santa Ana behandelt habe. Ich wollte nicht grob zu dir sein. Du bist meine einzige Freundin. Ich hatte nicht das Recht, dich einfach wegzuschicken.«

Sie umarmte mich. »Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen. Ihr seid meine Infantin. Um Euch zu dienen, würde ich bis ans Ende der Welt gehen.«

»Es kommt mir so vor, als würde es uns tatsächlich dorthin verschlagen«, erwiderte ich und löste mich von ihr. »Ich muss zu meiner Mutter.«

»Geht nur. Ich fange mit dem Packen an.« Ich hatte schon fast die Treppe erreicht, als Beatriz hinzufügte: »Ihr seid stärker, als Ihr denkt. Vergesst das nie, Isabella.«

Stark fühlte ich mich ganz und gar nicht, als ich die Treppe zu den Gemächern meiner Mutter erklomm. Durch die offene Tür drang ihre Stimme zu mir heraus. Sie plauderte mit Doña Elvira. Trotzdem machte ich mich auf das Schlimmste gefasst – eine Szene, die Arévalo in seinen Grundfesten erschüttern würde. Doch als sie mich auf der Schwelle erblickte, wies sie nur auf die über den ganzen Raum verstreuten Stoffe und rief: »Schau, Isabella! Dieser grüne Brokat wird sich hervorragend für deine neue Hofrobe eignen. Er wird deine schöne weiße Haut zur Geltung bringen.«

Ich warf Elvira einen Blick zu. Sie schlurfte betrübt zur Tür hinaus. Meine Mutter machte sich unterdessen an den Stoffballen zu schaffen und rollte eine Bahn schwarzen Damast auf. »Und dieser hier …« Sie hielt ihn der Länge nach an ihren Oberkörper und drehte sich zu einem Spiegel mit Kupferrahmen um. »Der ist für mich. Witwen sollten Schwarz tragen, aber niemand sagt, dass wir wie Krähen aussehen müssen, oder?«

Ich antwortete nicht. Sie ließ den Stoff auf das Bett fallen. »Warum so ernst? Magst du dieses Grün nicht? Na gut, hier haben wir noch ein wunderbares Blaugrau. Das könnte sich hübsch zu …«

»Mama«, unterbrach ich sie, »hört auf.«

Sie erstarrte, die Hände in dem Stapel vergraben. Ohne mich anzusehen, flüsterte sie: »Sag es nicht. Nicht ein Wort. Ich kann es nicht ertragen. Nicht jetzt.«

Ich trat auf sie zu. »Ihr wusstet, dass ich dorthin gebracht werde. Warum habt Ihr mich nicht gewarnt?«

Sie hob die Augen. »Was hätte ich denn tun sollen? Was hätte ich tun können? Ich wusste es in dem Moment, als dieser Brief eintraf. Und am selben Tag habe ich dir gesagt, dass sie kommen werden. Das ist der Preis, den ich bezahlen muss. Ich bin ihn schuldig. Aber zumindest werde ich ihn zu meinen Bedingungen zurückzahlen. Dafür hat Carrillo gesorgt.«

»Eure Bedingungen?« Ich musterte sie misstrauisch. »Mama, was bedeutet das?«

»Was glaubst du? Enrique, dieser erbärmliche Wurm, wird meinem Sohn nicht seinen Rang in der Erbfolge rauben. Er wird keinen Bastard über Alfonso erheben. Komme, was wolle: Derjenige, der königliches Blut besitzt, muss König sein.«

»Aber Enrique hat jetzt eine Tochter. Sie wird zu seiner Erbin erklärt werden. Ihr wisst, dass Kastilien das salische Gesetz nicht anerkennt. Bei uns kann auch eine Prinzessin den Thron erben und das Land aus eigenem Recht regieren. Prinzessin Joanna wird …«

Gewandt wie eine Katze wich meine Mutter hinter das Bett aus. »Woher wissen wir, dass sie von ihm ist, hm? Woher kann irgendjemand das wissen? Für seine Großtaten im Bett ist Enrique noch nie bekannt gewesen. All die Ehejahre und kein einziges Kind – eine wahrlich wundersame Empfängnis, munkeln die Granden; die Königin muss von einem Engel besucht worden sein!« Sie brach in höhnisches Lachen aus. »Das glaubt niemand am Hof. Alle wissen, dass Enrique ein Schwächling ist und unter der Fuchtel von Lustknaben steht – ein Lüstling, der sich eine Leibwache aus Ungläubigen hält und dessen Kreuzzug zur Eroberung Granadas kläglich gescheitert ist; ein Narr, der lieber Gedichte rezitiert und seine Knaben mit Turbanen verkleidet, statt sich um sein Reich zu kümmern; ein Hahnrei, der wegschaut, während diese Hure von Gemahlin mit jedem Lakaien, nach dem ihr gerade der Sinn steht, ins Bett steigt.«

Ich wich zurück, erschüttert von ihren Worten, von der Häme in ihrem Gesicht.

»Außerhalb dieser Mauern liegt Kastilien in seinem Elend«, ereiferte sie sich. »Unser Schatzamt ist bankrott, die Granden haben mehr Macht als die Krone. Enrique glaubt, sich mit diesem Kind ihr Wohlwollen erkaufen zu können, aber letztlich wird er nichts als Hader ernten. Die Granden werden sich nicht von ihm verspotten lassen. Wie die Wölfe werden sie ihn zerfetzen. Und wenn sie mit ihm fertig sind, werden wir all das fordern, was er uns geraubt hat. Er hat uns ignoriert, uns hierher abgeschoben, damit wir verrotten, aber an dem Tag, an dem Alfonso seine Krone aufsetzt, wird Enrique von Trastámara erfahren, dass er unsere Geringschätzung mit seinem Verderben bezahlen muss.«

In meinem Innern hörte ich wieder Carrillos Stimme. Die Storchenfrau ist eine gute Mutter. Sie weiß ihre Jungen zu verteidigen. Ich wollte mir die Ohren zuhalten. Die Augen meiner Mutter schienen ein Loch in mich hineinzubrennen und versengten mich schier mit ihrer aufgestauten Wut, dem in Jahren tiefster Eriedrigung angesammelten giftigen Hass. Ich konnte der Wahrheit nicht länger ausweichen. In ihrem gekränkten Stolz hatte meine Mutter eine Verschwörung angezettelt, um den Konnetabel Luna hinzurichten. Damit hatte sie meinen Vater in tödliche Trauer gestürzt. Ihr Ehrgeiz hatte sie alles gekostet – Mann, Rang, unsere Sicherheit –, doch jetzt glaubte sie, einen Weg gefunden zu haben, um das alles zurückzugewinnen. Sie wollte gemeinsame Sache mit Carrillo und den unzufriedenen Granden machen, um die Legitimität der neuen Prinzessin zu erschüttern und meinem Halbbruder einen verheerenden Schlag zuzufügen. Dabei verkannte sie jedoch, wie verkehrt es war, jemanden mit derart abfälligen Bemerkungen schlechtzumachen, derart böswillige Verleumdungen zu streuen, dem König und der Königin nur das Übelste zuzutrauen. In ihrem Eifer, Alfonsos Rechte zu schützen, war sie bereit zu intrigieren, zu kämpfen und sogar – Gott stehe ihr bei – zu töten.

»Wir müssen das tun«, erklärte sie. »Du musst es tun – für mich.«

Ich gab mir einen Ruck und nickte, auch wenn mir dabei zu meinem Entsetzen Tränen der Hilflosigkeit in den Augen brannten. Ich weigerte mich, sie zu vergießen. Entschlossen straffte ich die Schultern. Meine Mutter nahm meine Haltung wahr, und ich sah, wie sie zögerte und die Stirn in Falten legte, als begriffe sie erst jetzt, wie weit sie gegangen war.

»Ihr … solltet Euch schämen«, hörte ich mich flüstern.

Sie zuckte zurück. Dann hob sie den Kopf und sagte mit tonloser Stimme: »Ich mache dir ein Kleid aus dem grünen Samt, eines mit blaugrauer Bordüre. Alfonso bekommt ein neues Wams aus blauem Satin.« Sie wandte sich demonstrativ den Stoffen zu, als hätte ich aufgehört zu existieren.

Ich floh aus dem Gemach und blieb erst stehen, als ich mein eigenes erreichte. Atemlos riss ich die Tür auf. Beatriz, die gerade unsere Kleider für die Reise in eine mit Messing beschlagene Ledertruhe schichtete, fuhr erschrocken herum. »Was ist?«, fragte sie, während ich mich an den Türrahmen klammerte. »Was ist passiert?«

»Sie ist verrückt«, ächzte ich. »Sie glaubt, sie könne Alfonso gegen den König ausspielen, aber das werde ich nicht zulassen. Ich werde meinen Bruder bis zu meinem letzten Atemzug beschützen!«

Im Burghof luden livrierte Diener unser Gepäck auf Karren. Unsere Hunde, die spürten, dass eine unumkehrbare Veränderung bevorstand, sprangen kläffend hinter Alfonso her. Mein kleiner Bruder hatte sich immer um die Hunde gekümmert: Er nahm sie mit auf die Jagd oder zu Ausritten, fütterte sie und säuberte regelmäßig ihren Zwinger. Ich beobachtete ihn dabei, wie er innehielt und seinen Liebling, einen großen, zotteligen Jagdhund mit dem Namen Alarcon, streichelte. Mir fiel auf, wie erbärmlich klein unsere Dienerschar war, verglich man sie mit dem beeindruckenden Gefolge, das Enrique entsandt hatte, damit es uns nach Segovia eskortierte.

Erzbischof Carrillo war nicht gekommen. Als Vertreter hatte er seine Neffen mitgeschickt, den Marquis von Villena und dessen Bruder, Pedro de Girón. Während Villena dem Hochadel angehörte und als Günstling des Königs galt, war Girón der Kommandant von Calatrava, einem der vier kriegerischen Mönchsorden in Kastilien, die vor Jahrhunderten zur Bekämpfung der Mauren gegründet worden waren. Beide Männer besaßen ungeheure Macht und Reichtümer, und doch waren größere Unterschiede als zwischen den beiden kaum denkbar. Das Einzige, was die Brüder gemeinsam zu haben schienen, war ihre Arroganz.

Schmächtig von Statur, hatte Villena dunkles, über der Stirn gerade abgeschnittenes Haar. Auf eine eigenartige Weise war er gut aussehend mit einer auffallend langen Nase und befremdlichen Augen von einer gelbgrünen Tönung, die aufgrund ihrer Kälte umso bestürzender wirkten. Er war mit einem höhnischen Feixen in unseren Hof geritten und hatte alles abschätzig gemustert: die frei herumlaufenden Hühner und Hunde, die Schweine und Schafe in ihren Pferchen, die vor der Mauer aufgehäuften Heuballen und den Komposthaufen, auf den wir unsere Abfälle warfen, um sie gären zu lassen, bis sie uns als Dünger in den Gärten dienten.

An der Seite Villenas und gefolgt von seinen Männern in scharlachrot-goldener Uniform, ritt Girón auf einem schwarzen Schlachtross, das jedes Pferd, das ich bisher gesehen hatte, zwergenhaft erscheinen ließ. Dieser Mann war selbst ein Riese mit rot geäderten Wangen und einem wilden, dichten Bart. Seine Knopfaugen lagen so tief in dem fleischigen Gesicht vergraben, dass ihre Farbe sich nicht bestimmen ließ. Und was aus seinem Mund strömte, hielt jedem Vergleich mit dem Komposthaufen stand. Als er mit angesichts seiner Größe erstaunlicher Geschicklichkeit von seinem Tier sprang, stieß er grässliche Schimpfwörter aus: »Miserables hijos de puta! Los, bewegt euch, ihr erbärmlichen Hurensöhne!« Er scheuchte die Soldaten mit wütenden Schlägen seiner schaufelgroßen Hände herum. Die neben uns stehende Doña Clara erstarrte.

Als Villena vor uns abstieg, verwandelte er sich auf einmal. In einer übertriebenen Geste beugte er sich über die Hand meiner Mutter und versicherte ihr voller Pathos, dass selbst die Zeit es nie wagen würde, ihre Schönheit zu berühren. Lächelnd ließ meine Mutter die Wimpern flattern. Auf mich wirkte der Mann mit seiner näselnd vorgetragenen Galanterie lächerlich und seine Stimme unangenehm. Obendrein schlug mir von diesem in Samt gehüllten Kerl mit einem Mal ein derart penetranter Ambrageruch entgegen, dass ich davon einen Brechreiz bekam. Geschniegelt und kultiviert wie er sich gab, war jede Bewegung eine Studie in Eleganz, als hätte er stundenlang vor dem Spiegel die vollendete Beherrschung der Kunst der Falschheit geübt. Auf mich achtete er nicht weiter und nahm meine Gegenwart allenfalls mit der leisen Andeutung eines Nickens wahr, ehe er sich wie verzückt meinem Bruder zuwandte. Alfonso musterte er mit solcher Intensität, dass dieser sich in seinem steifen, neuen Wams förmlich wand.

Dann drehte sich Villena auf dem Absatz wieder zu meiner Mutter um und trällerte: »Die Schönheit des Infanten spricht für Euch, Hoheit. Niemand könnte ihn je für etwas anderes halten als für einen Prinzen von lupenreinem, königlichem Geblüt.«

Ich widerstand dem Impuls, die Augen zu verdrehen, als Alfonso mir einen verwirrten Blick zuwarf. Das Lächeln meiner Mutter wurde breiter. »Gracias, Excelencia«, hauchte sie. »Darf ich Euch und Eurem Bruder Wein anbieten? Eigens für Euch habe ich einen besonderen Jahrgang öffnen lassen.«

Girón war inzwischen zu uns herübergestapft. Sein Gestank erschlug uns förmlich; als Erstes glotzte er Beatriz lüstern an, dann entdeckten seine Schweinsäuglein mich. Mit einem Grinsen entblößte er schwarz verfärbte Zähne. Ich hielt die Luft an, als seine Pranke meine Hand umschloss und an seine Lippen führte.

»Infanta«, knurrte er. Derart fest war sein Griff um meine Hand, dass ich mich nicht daraus befreien konnte. Schon begann ich zu fürchten, er würde mir die Finger wie Hühnerknochen zerquetschen, als Doña Clara demonstrativ mit einer Karaffe und Kelchen zwischen uns trat. Und tatsächlich lenkte ihr schlaues Angebot Girón von mir ab. Mit einem freudigen Grunzen ließ er zugunsten des Weins von mir ab.

Während Girón unsere Karaffe zügig leerte, tänzelte Villena mit einer Miene durch den Saal, die nur zu deutlich seine kaum verhohlene Belustigung über unsere – wie er sich ausdrückte – »drollige« Einrichtung zu erkennen gab. Danach kehrten die beiden in den Burghof zurück, um ihren Bediensteten Anweisungen zu erteilen.

Kaum waren wir wieder unter uns, zog mich meine Mutter zur Seite. »Villena war am Anfang nichts als ein gewöhnlicher Page am Hof, aber er ist schnell aufgestiegen und zu einem der einflussreichsten Fürsten Kastiliens geworden. Enrique hört auf ihn, auch wenn er anscheinend als oberster Günstling durch einen anderen ersetzt worden ist. Und sein Bruder Girón gebietet als Kommandant von Calatrava über mehr Soldaten als die Krone selbst. Das sind Männer, die man sich zu Freunden machen muss, Isabella. Granden wie sie werden unsere Interessen vertreten und gegen die Enterbung deines Bruders kämpfen.«

Ich starrte sie an. Alfonso und ich standen davor, unser Zuhause zu verlassen! Wie konnte sie da von mir erwarten, dass ich mich in der Stunde des Abschieds mit Unterricht im Intrigieren befasste? Diesbezüglich hatte ich von ihr und Doña Clara Ratschläge in Hülle und Fülle erhalten. Mir schwirrte längst der Kopf von den wochenlangen Warnungen vor der Korruption am Hof, der Zügellosigkeit der Günstlinge meines Halbbruders und der verderbten Moral der Königin; von den Intrigen seiner Höflinge und dem gefährlichen Ehrgeiz der Adeligen. Die Namen der kastilischen Granden, ihre Stammbäume und sonstigen familiären Beziehungen waren mir so gnadenlos eingebleut worden wie der Katechismus, bis eines Abends nach dem Verlassen der mütterlichen Gemächer aus mir herausplatzte, dass ich nie so tief sinken würde, zu Schlüssellöchern hinabgebeugt oder hinter Vorhängen verborgen zu lauschen. Beatriz, der ich das anvertraute, hatte genickt und beiläufig geantwortet: »Natürlich nicht. Wer hat je von einer kastilischen Infantin gehört, die sich wie eine gewöhnliche Spionin benimmt? Überlasst das mir.«

Als ich ihr nun zusah, wie sie unsere Taschen einem Diener reichte, fühlte ich mich in meiner Überzeugung bestärkt, dass sie dieser Aufgabe tatsächlich gewachsen war. Seit sie von unserer Abreise erfahren hatte, war sie in ihrer Vorfreude wie ein Wirbelwind durch die Burg gefegt und hatte ihre Aufgaben so schwungvoll verrichtet, als bereitete sie eine Feier vor. Mehrmals täglich hatte sie sich im richtigen Benehmen geübt – ihre Knickse waren schauderhaft –, und am Ende hatte sie, sehr zu Doña Claras Entrüstung, verkündet, dass sie lieber den Umgang mit dem Schwert lernen würde. Das Einzige, was sie bisher bedauert hatte, war die Trennung von ihrem Vater; Don Bobadilla würde mit meiner Mutter zurückbleiben. Ich bewunderte ihren Mut, obwohl ich befürchtete, dass ihr eine unliebsame Überraschung bevorstand. Sich nach Abenteuern zu sehnen, war das eine, doch unversehens in eines gestürzt zu werden, das war etwas ganz anderes.

Wir standen gemeinsam am Burgtor und warteten auf Alfonso, der noch die Hunde ankettete, damit sie uns nicht nachlaufen konnten. Er zeigte sich unerschütterlich, doch ich sah, dass er bei Weitem nicht so zuversichtlich war, wie er vorgab. Allerdings hielt ich mich an Beatriz’ Rat und ersparte ihm jede Bemerkung über meine privaten Ängste. Die Begegnung mit Villena war Alfonsos erste Erfahrung mit einem Höfling gewesen. Ich vermutete, dass sie ihn verunsichert hatte. Offenbar dämmerte ihm langsam, was unser Aufbruch für unser Leben bedeuten würde.

Doch er wäre nicht Alfonso gewesen, hätte er nicht gute Miene zum bösen Spiel gemacht. »Der Marquis sagt, dass wir bald losreiten sollten, wenn wir Segovia vor Anbruch der Nacht erreichen wollen.«

Ich nickte. Noch einmal näherte ich mich meiner Mutter, die, ihren Schleier mit einer beringten Hand an die Kehle gepresst, auf einem Stuhl saß. Als sie sich erhob, zerrte der Wind an ihrem Schleier und entblößte silbrig weiße Strähnen an ihren Schläfen. Alfonso musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um sie auf die Wange zu küssen. Ihre Miene wurde weicher. Tränen glänzten in ihren Augen, als sie ihn fest an sich drückte und sagte: »Du bist ein Infant derer von Trastámara. Vergiss das nie.« Dann trat er beiseite, um mich vorzulassen.

Ich küsste sie auf beide Wangen. »Adiós, Mama. Gott behüte Euch. Ich schreibe, sobald ich kann.«

Sie antwortete mit einem knappen Nicken. »Gehab dich wohl, hija mia. Bleib gesund. Geh mit Gott.«

Ich wandte mich an meine aya. Noch nie war ein Tag vergangen, an dem Doña Clara nicht an meiner Seite gewesen wäre, um mich zu tadeln und zu leiten, auf mich aufzupassen und mich vor Schaden zu bewahren. Ich erwartete nicht, dass sie irgendwelche Gefühle zeigen oder dergleichen bei mir billigen würden. Doch als wir uns umarmten, spürte ich, wie ihre Gestalt erzitterte, und hörte sie mit tränenerstickter Stimme murmeln: »Denk an alles, was ich dich gelehrt habe. Denk daran, dass du nie der Leidenschaft nachgeben darfst. Ich habe dich beschützt und für deine Sicherheit gesorgt, solange ich konnte. Jetzt musst du der Welt beweisen, wer du bist.«

Als sie mich losließ, überwältigte mich mit einem Mal die Tragweite unserer Abreise. Ich wollte mich auf die Knie werfen, meine Mutter anflehen, mich bleiben zu lassen. Aber ihre Miene war unerbittlich, sodass ich stattdessen auf Alfonso zutrat. Ich sehnte mich danach, seine Hand zu ergreifen und nie wieder loszulassen.

Don Chacón, der uns zu meiner großen Erleichterung an den Hof begleitete, führte uns zu unseren bereitstehenden Pferden. Nachdem er mir auf Canela geholfen und seinen Platz im Begleittross eingenommen hatte, knurrte Girón von seinem Schlachtross herab: »Hübsches Spielzeug, dieses Pferd. Aber nach Segovia ist es ein langer Ritt; da haben wir keine Zeit für zarte Hufe. Möchtet Ihr nicht lieber hier oben bei mir mitreiten? Auf dem Sattel ist mehr als genug Platz.«

»Canela ist kräftiger, als er aussieht«, entgegnete ich und ergriff die Zügel. »Außerdem ist er ein Geschenk des Königs.«

Ein Schatten verfinsterte Giróns Gesicht. Er sprengte nach vorn und befahl den Soldaten loszureiten. Als wir zum Tor hinaustrotteten, hielt sich Alfonso dicht neben mir. Ich widerstand dem Drang zurückzuschauen und richtete die Augen geradeaus, als sich plötzlich einer von Alfonsos Hunden von seiner Kette losriss und uns mit einem entschlossenen Bellen hinterherjagte.

Schon hob Villena seine Peitsche. »Nein, tut ihm nichts!«, rief Alfonso. Wütend funkelte ihn der Marquis an und trieb sein Pferd weiter, was es Alfonso ermöglichte, dem Hund zu befehlen: »Nein, Alarcon! Lauf zurück!« Er wies herrisch auf die Burg. »Lauf zurück nach Hause!«

Wimmernd setzte sich der Hund. Alfonso blickte mich fragend an. Diesmal gelang es ihm nicht, die Verwirrung in seinen Augen zu verbergen. »Er versteht das nicht. Er glaubt, wir würden für immer weggehen. Aber das stimmt doch nicht, Isabella, oder? Wir kehren doch zurück, richtig?«

Ich schüttelte den Kopf. Die Zeit der Schonung war vorbei. »Ich weiß es nicht.«

Obwohl keiner von uns zurückblickte, wussten wir beide, dass Alarcon am Burgtor sitzen geblieben war, ein Häufchen Elend, während wir über die trostlose Ebene seinem Blick entschwanden.