22

Nach nur wenigen Stunden Schlaf erwachte ich noch vor der Morgendämmerung. Ich legte mir meinen mit Marderfell gefütterten Umhang über die Schultern, mit dem ich auch das frisch gewaschene, zu einem Zopf geflochtene Haar bedeckte, und ging zum Fenster. Ich musste die vereisten Scheiben mit den Händen freireiben, um einen Blick auf die zarte Morgenröte über dem Hauptturm zu erhaschen. Ich war wie verzaubert. Das Licht wirkte so durchlässig und flirrte so intensiv, als leuchtete es aus dem Inneren einer perfekten Perle.

Ein herrlicher Tag kündigt sich an, dachte ich, als ich die Schlafkammertür aufgehen hörte. Ich drehte mich um und sah Beatriz und Inés. Mit den Bestandteilen meiner Robe und einer Truhe in den Händen, traten sie auf mich zu.

»Habt Ihr geschlafen?«, erkundigte sich Inés, während sie meine Sachen sorgfältig vor mir ausbreiteten: die mit meinem Lieblingspelz aus Hermelin besetzte azurblaue Samtrobe, den Unterrock aus Satin, den Überwurf mit den goldenen Streifen und das mit Perlen und Gold durchwirkte Kopftuch, das wir in den freien Stunden zwischen den Ritualen für Enriques Bestattung und den Maßnahmen zur Vorbereitung meiner Thronbesteigung genäht und bestickt hatten.

»Ich habe kein Auge zugemacht.« Ich näherte mich der Truhe, die Beatriz auf meinen Tisch gestellt hatte. Sie sperrte das Schloss auf und hob den geschnitzten Deckel an. Zum Vorschein kamen Perlenbänder, glitzernde Rubine, strahlende Diamanten und atemberaubende Saphire in allen nur vorstellbaren Farbtönen.

Ich betrachtete sie mit zugeschnürter Kehle – diese bewunderten Symbole des Ansehens der Krone, die von Berenguela de León bis hin zur berüchtigten Urraca so viele kastilische Königinnen geschmückt hatten.

»Alles ist wieder da«, sagte Beatriz. »Andrés hat dafür gesorgt, dass Juana nicht so leicht davonkommt. Er hat sogar Beamte in ihr Kloster geschickt, damit sie alles zurückholen, was sie bei ihrer ersten Flucht vom Hof gestohlen haben könnte. Sie hatte nicht viel.«

Ich griff nach einem Smaragdarmband mit raffinierten Goldgliedern im maurischen Stil, das ich einmal an ihrem Handgelenk gesehen hatte. Hatte Cabrera es konfisziert, während sie in ihrer Isolation hinter den heiligen Mauern, aus der sie nur noch der Tod befreien konnte, zeterte und tobte? »Ich könnte mir vorstellen, dass sie über diese Wendung der Ereignisse nicht glücklich ist«, sinnierte ich.

»Sie ist … still. Sie fleht um Gnade für ihre Tochter.« Beatriz beobachtete mich dabei, wie ich das Armband anlegte. Es war unerwartet schwer. Seine rechteckig geschnittenen, grünen Steine schimmerten auf meiner Haut. »Was werdet Ihr unternehmen? Fürs Erste bleibt die Beltraneja bei den Mendozas unter Verwahrung, aber ihre Mutter behauptet weiter steif und fest, sie sei von Enrique, und das Kind selbst glaubt das auch. Irgendwann werdet Ihr Euch mit ihr befassen müssen.«

»Ja«, murmelte ich zerstreut, verzaubert vom Glanz der Smaragde, »das werde ich auch. Aber nicht heute.«

»Natürlich nicht«, mischte sich Inés ein. »Heute ist Eure Krönung. Heute wird Eure Hoheit …«

»Majestad!«, fiel ihr Beatriz ins Wort. »Denk daran: Sie ist jetzt Königin.«

Inés errötete. »Oh, das hatte ich vergessen. Bitte vergebt mir, Eure Majestät.« Verlegen blickte sie mich an. Ich fixierte sie streng, bis das Lächeln, das ich mühsam verborgen hatte, schließlich doch meine Lippen erreichte. Hinter mir brach Beatriz in Lachen aus.

Inés stampfte empört auf. »Das war nicht nett! Ich habe schon geglaubt, ich hätte Euch beleidigt!«

Ich ergriff ihre Hand. »Vergib mir. Mir ist es egal, wie ihr mich in den Privatgemächern ansprecht.« Lächelnd streckte ich Beatriz die andere Hand entgegen. »Ich kann das alles immer noch nicht fassen. Wie kann ich Königin von Kastilien sein?«

»Ihr seid es aber«, erwiderte Beatriz. »Und wenn Ihr nicht gleich anfangt, Euch anzukleiden, werdet Ihr eine säumige Königin sein.«

Während sie sich an mir zu schaffen machten, mir mein Hauskleid auszogen und mit der Prozedur begannen, mir Schicht für Schicht meine neue Robe anzulegen, wurde mir bewusst, dass die letzten zwei Tage ein solch heftiger Wirbelwind aus widerstreitenden Emotionen gewesen waren, dass ein Teil meiner selbst sich von dem hektischen Treiben um mich herum gelöst und es von außen als unparteiische Zeugin beobachtet hatte. Zwiespältige Gefühle Enrique gegenüber waren mir nichts Neues. Nicht erst seit seinem Tod waren sie mir bewusst geworden, sondern schon lange davor. In weißer Trauerkleidung hatte ich an den Beisetzungsfeierlichkeiten teilgenommen und gefasst der erschütternden Schilderung des jüngst zum Kardinal beförderten Mendoza von Enriques letzten Stunden gelauscht. In einer eiskalten Kammer im alten Alkazar von Madrid hatte er sich in Todesqualen gewunden, ohne dass sich bis auf seine treuen Mauren jemand um ihn kümmerte. Seine Diener und Vertrauten, darunter auch der charakterlose Diego Villena, hatten ihn im Stich gelassen, sobald feststand, dass er nicht überleben würde. Sie hatten ihm nicht mehr Respekt gezeigt als einem sterbenden Hund, berichtete Mendoza, dem am Ende die Aufgabe zugefallen war, fremde Bestatter für die Präparierung der Leiche zu finden.

Einem alten Brauch entsprechend, nahm ich nicht an der Beisetzung meines Halbbruders teil. Stattdessen ließ ich in der Kathedrale von Segovia eine Messe singen, während sich der Trauerzug zum Kloster Santa María de Guadalupe wand, wo er zur ewigen Ruhe gelegt wurde. Mitten in den Gebeten für seine Seele hielt ich mir vor, dass von Enrique nicht die Erinnerung an den launenhaften König bleiben sollte, dem ich mit Argwohn und Furcht begegnet war, sondern vielmehr die an den schrulligen, schüchternen Mann, den ich schon so lange kannte und der mir seine Zuneigung gezeigt hatte. Ich konnte nicht aufrichtig sagen, dass er mir fehlen würde, nicht nach allem, was zwischen uns vorgefallen war, doch ich spürte seinen Verlust, und zwar weit mehr als nur am Rande. Das äußerte sich in meiner Einsamkeit, die ich empfand, seit mir bewusst war, dass von uns dreien, die wir das Blut unseres Vaters teilten, nur noch ich übrig war.

Doch selbst, wenn ich noch tiefer hätte trauern wollen, standen dringende Entscheidungen bevor. Die schwierigste war die Frage, ob ich meine Thronbesteigung sofort verkünden oder damit warten sollte, bis Fernando wieder an meiner Seite war. Carrillo pochte darauf, dass wir keine Zeit zu verlieren hatten. Wie Cabrera glaubte er, dass jede Verzögerung meinen Zugriff auf den Thron schwächen würde. Außerdem hatten wir angesichts der anhaltenden Kämpfe in Aragón keine Gewissheit, dass Fernando so bald kommen würde. Dennoch zögerte ich noch fast einen ganzen Tag, bis ich Gelegenheit hatte, mit Kardinal Mendoza bei dessen Rückkehr von Enriques Bestattung zu sprechen. Ich vertraute dem gemäßigten Geistlichen, der stets zu mir gestanden hatte, ohne dabei seine Treue Enrique gegenüber zu brechen. Schweigend hörte er sich an, was über meine Zweifel aus mir hervorbrach, über meine Angst, ich würde Fernando beleidigen und unserer Ehe schaden, wenn ich mich in seiner Abwesenheit zur Königin ausrief.

Leise sagte Mendoza: »Ich kann verstehen, wie schwer diese letzten Tage für Euch waren und mit welchen Belastungen Ihr jetzt zu kämpfen habt, aber die einzige Erbin dieses Reichs seid Ihr. Als Euer Gemahl wird Fernando von Aragón den Titel Prinzgemahl erhalten, doch darüber hinaus hat er kein Erbrecht in Kastilien, was er in Eurer Ehevereinbarung mit seiner Unterschrift auch persönlich bestätigt hat. Der Thron, mein Kind, steht allein Euch zu.«

Ich kniete den Abend in quälender Unentschlossenheit vor dem Altar in meinen Gemächern. Inständig flehte ich um Führung, um eine Antwort, die mir die Bürde der Selbstvorwürfe von den Schultern nahm. Zwar hatte Kastilien schon andere Königinnen gehabt, doch keine hatte lange erfolgreich regiert. Beging ich die Sünde des Stolzes, wenn ich glaubte, ich könnte das vollbringen, was noch nie einer Frau vor mir gelungen war? Das Königreich, das zu erben ich im Begriff stand, war ein brodelnder Kessel voller Laster und Doppelzüngigkeit; unser Schatzamt war dem Bankrott nahe, unser Volk versank in Elend. Viele, wenn nicht alle Granden – ganz zu schweigen vom Heiligen Vater in Rom und den fremden Großmächten – würden erklären, Kastilien benötige angesichts der Schwierigkeiteen, die uns drohten, die harte Hand eines Prinzen wie Fernando, dessen Mut und Kraft im Krieg geschmiedet worden seien.

Und ich wurde das unbehagliche Gefühl nicht los, dass auch Fernando das sagen würde.

Doch so sehr ich mich bemühte, mich von meiner angeborenen Untauglichkeit zu überzeugen, rebellierte ein Teil meiner selbst dagegen. Ich hatte doch nicht die ganze Zeit gekämpft, nur um mich nun vor meiner Pflicht zu drücken! Als Prinzessin von Trastámara stand es mir wirklich zu, die Krone zu tragen; in meinen Adern floss das Blut einer Dynastie, die seit mehr als einem Jahrhundert über Kastilien herrschte. Meine Untertanen erwarteten von mir, dass ich den Thron bestieg, und sie würden es nicht dulden, statt meiner von Aragón regiert zu werden. Zögern oder Kompromisse würden als Zeichen von Schwäche verstanden werden. Nie durfte über mich gesagt werden, dass es Isabella von Kastilien an Entschlossenheit fehlte.

Doch während Beatriz mir die runde Haube so aufsetzte, dass der weiße Seidenschleier gleichmäßig herabwallte, und Inés vor mir kniete, um mir die Lederschuhe über die Füße zu stülpen, geriet ich unwillkürlich erneut ins Grübeln. Was würde passieren, wenn Fernando meinen Brief bekam, den ich ihm zu guter Letzt gesandt hatte?

Mit dröhnendem Läuten riefen die Glocken der Kathedrale die Menschen zu der mit Barrikaden gesicherten Straße, durch die ich mit meinem Gefolge zur Plaza Mayor reiten würde.

»Schnell!«, drängte Beatriz und verhakte noch eilig meinen schwarzen Damastumhang, ehe sie und Inés gemeinsam meine Schärpe anhoben und mir zum Hauptturm folgten. Dort warteten unter einem Winterhimmel, der so klar war, dass die Augen schmerzten, die Geistlichen und die für die Teilnahme an der Krönungsfeier ausgewählte Schar von Adeligen. Sie rissen in der Kälte des Morgens ihre Kappen herunter und präsentierten mit einer tiefen Verneigung ihre kahl gewordenen Häupter mitsamt ausgedünntem oder mit viel Aufwand gepflegtem Haarkranz. Ich erkannte Carrillo in seiner markanten scharlachroten Robe, Kardinal Mendoza in seiner mit Juwelen besetzten Soutane und Beatriz’ geliebten Andrés, wie immer in tadelloser Haltung in seinem schwarzen Samtgewand.

Ich zögerte. Bis auf mich und meine Hofdamen waren keine Frauen zugegen. Obwohl ich wusste, dass die Mütter, Frauen, Töchter und auch Geliebten dieser Männer längs des Weges in ihrem besten Aufputz warteten, um einen Blick auf mich zu erhaschen, fühlte ich mich, als hätte ein Lichtstrahl den Himmel durchschnitten, um auf mich allein zu fallen und mich vor allen anderen auszuzeichnen.

Ich ging weiter zu Canela. Der schnaubte schon ungeduldig unter seiner prächtigen Damastdecke, auf der die Burg und der Löwe der kastilischen Flagge prangten, und wirkte, als hätte er nicht übel Lust, die albernen Quasten an seinem Zaumzeug anzuknabbern.

Die Zügel hielt Don Chacón. Er trug ein steifes grünes Wams und hatte seinen dichten, dunklen Bart gestutzt. Seine braunen Augen begegneten den meinen, und ich sah sie vor Stolz leuchten. Seit Alfonsos Tod war er standhaft an meiner Seite geblieben, ein treuer Gefährte und bewährter Diener, auf den ich mich stets verlassen konnte. Seine Nähe machte mir Mut. Heute genoss er zu Ehren seiner Dienste das Privileg, mich durch Segovias Straßen führen zu dürfen.

Der Prozessionszug setzte sich in Bewegung. Vor uns marschierte Cárdenas, der ein gezücktes Schwert trug. Die Leute verstummten, wenn er an ihnen vorbeischritt, und ich bemerkte die Verblüffung in den Mienen jener Adeligen, die sich die heiß begehrten Plätze längs unserer Wegstrecke gesichert hatten. Das angeschwärzte Schwert – auf mein Drängen war es unter dem Haufen verrosteter Rüstungen in der Schatzkammer ausgegraben worden – war eine geheiligte Reliquie der Trastámara-Könige, Symbol für Gerechtigkeit und Macht, und noch nie hatte es eine Königin bei der Zeremonie ihrer Thronbesteigung getragen. Ich hob das Kinn und konzentrierte mich auf den Platz vor mir, wo vor der Kirche San Miguel mein Thron auf einem mit purpurnen Flaggen behängten Podest wartete.

Chacón half mir behutsam von meinem Pferd herunter. Allein auf dem blutroten Teppich auf dem Podest stehend, mir gegenüber Tausende von Segovianern, hörte ich die königlichen Banner im Wind knattern und den Herold in die diamantklare Luft rufen: »Kastilien! Kastilien und León für Ihre Majestät, Doña Isabella, Herrin über diese Reiche, und für Seine Hoheit, Don Fernando, ihren Gemahl!«

Mit anschwellender Einstimmigkeit, die mir die Tränen in die Augen trieb, wiederholten die Menschen diese Worte.

Dann erklomm Mendoza das Podest, die Bibel vor sich her tragend. »Majestad«, dröhnte er, »nehmt Ihr diesen Aufruf an und schwört Ihr, die heiligen Pflichten, die Gott Euch übertragen hat, zu erfüllen?«

Ich legte die Hand auf die Heilige Schrift und öffnete schon den Mund, um meine sorgfältig eingeübte Ansprache zu halten. Doch etwas hinderte mich daran. Unter den Tausenden von Zuschauern stach mir eine geisterhafte Gestalt ins Auge, ein abseits stehender Mann mit lodernden blassen Augen, das Gesicht weiß wie die Wand …

Ich konnte nicht wegsehen.

»Majestät?«, murmelte Mendoza. »Euren Eid, bitte.«

Ich blinzelte. Als ich wieder hinschaute, war die Gestalt verschwunden. Mit einem Ruck wandte ich den Blick von der Stelle ab, schluckte und sagte die Formel mit leicht bebender Stimme: »Ich nehme die mir erwiesene große Ehre an und schwöre bei diesen heiligen evangelios, den Geboten unserer Kirche zu gehorchen, den Gesetzen dieses Reichs zu folgen und das Wohlergehen aller meiner Untertanen zu schützen, diese Reiche gemäß der Sitte meiner ruhmreichen Vorfahren zu mehren und unsere Gebräuche, Freiheiten und Vorrechte als Eure nach dem Gesetz gesalbte Königin zu wahren.«

Ein Rauschen wie von den Flügeln eines über unseren Köpfen schwebenden gewaltigen Falken surrte über den Platz, als alle auf die Knie sanken. Die Adeligen traten einer nach dem anderen vor, um ihren Treueeid zu leisten. Die Hofbeamten händigten Cabrera ihre Amtsstäbe aus, womit sie den Wechsel des Herrschers bestätigten, und knieten vor Mendoza nieder, während dieser über meinem Kopf das Kreuzzeichen beschrieb.

»Gott segne Königin Isabella!«

Und meine Untertanen, das kastilische Volk, brüllten ihre Zustimmung in den Himmel.

Es war nach Mitternacht, als ich endlich in meine Gemächer zurückkehrte. Meine Füße waren schon ganz wund. Vom ständigen Lächeln tat mir das Gesicht weh. Nach einem feierlichen Te Deum in der Kirche hatte ich mich zum Speisen in den Alkazar begeben und dann meinen Platz auf dem Podest eingenommen, um stundenlang eine endlose Schlange von Gratulanten zu empfangen, darunter auch die misstrauischen Granden, die sich bei der Verbeugung vor mir gefragt haben mussten, worin mein nächster Zug bestehen würde.

Ich hatte mich in ihren Pupillen widergespiegelt, als stünde ich vor einem Spiegel. Ich betrachtete die weiße Hand, die ich ihnen entgegenstreckte, jeder Finger mit Ringen geschmückt, das schimmernde goldene Gewebe des Ärmels, der den rundlichen Arm einer unerfahrenen Dreiundzwanzigjährigen bedeckte. Ich sah ihre Verachtung im Zucken ihrer Münder, die ihre honigsüßen Huldigungen in Hohn verwandelte.

In ihren Augen würde ich erst dann eine Königin sein, wenn ich mich als ihnen überlegen erwiesen hatte.

Der bloße Gedanke daran erschöpfte mich. Kaum hatten mich meine nicht minder müden Vertrauten entkleidet und waren mit trüben Augen hinausgewankt, um noch die Kerzen auszublasen, als ich mich im Bett auch schon zusammenrollte und die Augen schloss. Ich muss nach meinem Kind senden, dachte ich noch. Ich wollte meine Isabél bei mir haben.

Bevor mich der Schlaf umfing, flüsterte ich: »Fernando, ich warte. Komm heim.«

Vom Schnee bestäubt und steif im Wind wehend, hingen die bunten Flaggen und Teppiche zur Begrüßung meines Gemahls von den Balkonen herab. Kaum war die Nachricht eingetroffen, dass er unterwegs war, hatte ich Erzbischof Carrillo, Admiral Enríquez und mehrere hohe Granden gebeten, ihn auf halbem Weg zu empfangen und mit der seinem Rang gebührenden Würde und Ehre nach Segovia zu geleiten. Seine Ankunft verzögerte sich allerdings um einen Tag, den er genutzt hatte, um sich auszuruhen und die neuen Kleider anzuprobieren, die ich für ihn hatte anfertigen lassen – einen Rock aus burgundrotem Samt, eingefasst in Zobelfell, Halbstiefel aus reich verziertem Cordovanleder, parfümierte Handschuhe sowie eine goldene Halskette, die Enrique gehört hatte. Letztere hatte auf mein Geheiß ein Goldschmied in Toledo poliert und mit Fernandos und meinem Emblem versehen, den Pfeilen und dem Joch. Durch diese Geschenke hoffte ich, ihm meine Freude über seine Rückkehr zeigen zu können. Jetzt wartete ich voller Vorfreude im sala und malte mir aus, wie ihn die Winterwinde durchrüttelten, während schon die Rufe der Menschen gedämpft zu mir herüberdrangen, die ihm bei seinem Einzug in die Stadt zujubelten.

Ich trug violette Seide. Das Haar hatte ich zu einem Zopf geflochten und, wie ich hoffte, reizvoll rings um den Kopf gewunden. Unablässig zerrte ich an einem losen Faden im Ärmelsaum. Am liebsten wäre ich hinausgestürzt, ihm nach seiner langen Abwesenheit mit ausgebreiteten Armen entgegengerannt – aber eine Königin zeigte vor der Öffentlichkeit keine Emotionen. Außerdem war es an ihm, auf mich zuzugehen, denn ich war die Königin.

Der Schweiß sammelte sich zwischen meinen Schulterblättern und rann mir unter der Robe den Rücken hinunter, während ich angestrengt zur großen Flügeltür am anderen Ende des Saals spähte. Es war zum Ersticken heiß, da man zu viele Kohlenbecken und Öllampen angezündet hatte, um die Nachmittagskälte zu vertreiben. Wo steckte er nur? Warum dauerte es so lange?

Dann hörte ich Stimmen, das Poltern von Stiefelabsätzen. Fast wäre ich aufgesprungen, als mehrere Männer hereinplatzten. Alle Höflinge verbeugten sich gleichzeitig. Fernandos muskulöse Gestalt in dem neuen Wams erkannte ich sogar aus der Entfernung auf Anhieb. Zügig schritt er auf mich zu. Unwillkürlich trat ich an den Rand des Podests und konnte meine Freude nicht länger unterdrücken.

»Mein Herr und Gemahl«, flüsterte ich, den Tränen nahe, weil ich ihn endlich so stolz und stark vor mir sah. Er nahm seine Kappe ab. Sein Haar war gewachsen und fiel ihm wie ein tiefbrauner Seidenvorhang weit über die Schultern. Ein neuer, kurz geschnittener Bart umrahmte sein kantiges Kinn.

Er senkte das Haupt. »Majestad«, sagte er mit gestelzter Förmlichkeit. »Es ist mir eine große Ehre, nach so langer Zeit endlich wieder mit Euch zusammenzukommen.«

Ich schwankte. Die Hand, die ich ihm entgegenstreckte, verharrte unberührt in der Luft. »Mir nicht minder«, brachte ich schließlich hervor und stieg vom Podest herunter, um ihn zu umarmen. Der monatelange Krieg gegen Frankreich hatte seinen Körper schlank, hart und straff gemacht. Er erwiderte meine Umarmung nicht. Als ich mich von ihm löste, starrte er mich mit eisiger Eindringlichkeit an.

Er erweckte den Eindruck, als wäre ich die Letzte, die er sehen wollte.

»Wie konntest du das tun? Wie konntest du mir das antun?«

Wir standen in meinem privaten Gemach, in das wir uns zurückgezogen hatten, sobald das möglich war, ohne unhöflich zu wirken. Zuvor hatten wir ein schier endloses Bankett hinter uns bringen müssen, ich die ganze Zeit neben ihm, die Bangigkeit wie einen Kloß in der Kehle. Von den fünfzig Gängen, die ich hatte auftragen lassen, hatte er kaum einen Bissen gegessen und seinen Kelch so gut wie nie angerührt. Als ihm unser kleines Mädchen vorgestellt wurde, begrüßte er es mit einem flüchtigen Kuss und brütete dann finster vor sich hin, während der Hof unterhalb von uns speiste.

Und jetzt entlud er seinen ganzen Zorn auf mich.

»Ich bin gedemütigt worden!«, zischte er, die Stimme messerscharf. »Aus einem Brief von dir musste ich es erfahren – vor dem gesamten Hof meines Vaters in Saragossa. Als ich meilenweit entfernt war, musste ich die Nachricht hören, dass meine Frau sich zur Königin ausgerufen hat.« Er wirbelte zum Tisch herum, auf dem Inés ein Tablett mit getrockneten Früchten und eine Karaffe Wein für uns hinterlassen hatte. Mit zitternder Hand schenkte er sich großzügig ein.

Sein Zorn traf mich völlig unvorbereitet, und es verschlug mir die Sprache. Schließlich brachte ich hervor: »Ich dachte, du würdest verstehen; in meinem Brief habe ich dir doch alles erklärt. Wegen Enriques plötzlichem Tod war dringende Eile geboten. Ich musste schnell handeln, sonst wäre am Ende einer der Granden auf die Idee gekommen, im Namen der Beltraneja eine Rebellion anzuzetteln. Carrillo, Mendoza und sogar dein Großvater, der Admiral, haben mir dazu geraten.«

Er musterte mich über den Rand seines Bechers hinweg. »So, das ist also deine Erklärung? Du gibst deinen Ratgebern die Schuld daran, dass du mich nicht mit einbezogen hast?«

Sein Vorwurf verletzte mich. »Ich gebe niemandem die Schuld«, entgegnete ich. »Ich musste diese Entscheidung treffen. Das war eine noch nie da gewesene Situation. Ich habe im besten Interesse Kastiliens gehandelt.«

»Ich verstehe.« Er stellte seinen Becher ab. »Kastilien ist wichtiger als ich. Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, gemeinsam zu herrschen, als Gleiche, um die alte Rivalität zwischen unseren Ländern aufzuheben. Aber da habe ich mich anscheinend getäuscht.«

»Du … du bist wichtig«, stammelte ich. »Aber in Kastilien hat das Recht des Herrschers … den … den Vorrang. Ich konnte nicht anders als mich zuerst zur Königin ausrufen, ehe ich …« Angesichts des Zorns in seinen Augen erstarb meine Rechtfertigung, und ich schwieg betreten. Zu spät erkannte ich, dass meine Absicht zwar ehrenhaft gewesen sein mochte, ich aber dennoch einen schlimmen Fehler begangen hatte.

»Was bin ich für dich?«, fragte er leise.

Ich fuhr hoch. »Mein Gemahl natürlich.«

»Nein. Wer bin ich? Soll ich dein Mitregent sein, oder glaubst du – wie so viele andere –, dass ich, ein Prinz aus Aragón, hier keine Rechte haben soll? Glaubst du, dass ich mich damit begnügen soll, dein Prinzgemahl zu sein, und meine einzige Sorge darin zu bestehen hat, Kastilien mit Erben zu versorgen?«

Ich sprang auf. »Wie kommst du dazu, mich so etwas zu fragen?« Mir war klar, dass ich meinen Ton mäßigen sollte, denn er hatte die Stimme nicht erhoben. Und seine Fragen, so sehr sie mich auch schmerzen mochten, waren vernünftig. Doch meine Vernunft galoppierte in diesem Moment auf und davon. Das Einzige, was ich hörte, waren seine Zweifel an mir, seine Gleichgültigkeit meiner Zwangslage gegenüber, was mich schier zerrissen hatte. »Ich habe mir den Kopf darüber zermartert, was ich tun soll!«, rief ich. »Ich habe gebetet, endlose Stunden lang! Ich habe mich mit jedem beraten, der sich damit auskannte! Aber am Ende musste ich eben …«

Er fiel mir ins Wort. »Mit mir hast du dich nicht beraten. Du hast mir nicht einmal geschrieben, um mich zu fragen, was ich davon halte. Du hast dich einfach zur Königin ausgerufen und das Schwert der Gerechtigkeit vor dir hertragen lassen. Du hast den Eindruck erweckt, als gäbe es keinen anderen Monarchen außer dir!«

Ich starrte ihn aufgebracht an. All die Wochen der Aufregung und Ungewissheit hatte ich mich bis zur Erschöpfung in Konferenzen mit meinen Beratern abgearbeitet, immer mit dem Ziel, Kastilien zu sichern, während er gegen die Franzosen gekämpft hatte – da konnte er von mir doch kein Verständnis für seine Wünsche erwarten! Aber dann bemerkte ich etwas in seiner Miene, eine flüchtige Verletzlichkeit in den Augen. Mir wurde jäh bange, als ich begriff, was er wirklich empfand.

Furcht.

Fernando hatte Angst. Er dachte, ich wolle verhindern, dass er an meiner Machtfülle teilhatte, und würde ihn dem Hohn des Hofs preisgeben – der Aragonier, der zur Königin ins Bett stieg, aber bei ihren Regierungsgeschäften nicht mitreden durfte. Er war in seinem Mannesstolz gekränkt.

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Damit konnte ich umgehen.

»Ich habe getan, was meine Pflicht war«, sagte ich viel sanfter. »Es widerstrebte mir, dich zu bitten, Aragón in der Stunde der Not zu verlassen. Das hatte ich schon einmal von dir verlangt, als wir frisch verheiratet waren, und ich wusste, wie schwer es dir gefallen war. Mein einziges Ziel war es, unser Königreich so lange zu schützen, bis du zurückkehren und es gemeinsam mit mir regieren konntest.«

Ich sah ihm an, dass er meine Betonung auf unser Königreich nicht überhört hatte, auch wenn er nicht darauf einging. So leicht wollte er nicht nachgeben.

»Du hättest warten können«, brummte er und schlug die Augen nieder.

»Sicher, das hätte ich. Doch dann hätten wir Kastilien womöglich verloren.«

»Das behauptest du.« Er verstummte für eine Weile, ehe er in gekränktem Ton hinzufügte: »Aber wahrscheinlich war auch das meine Schuld.«

Ich stand wortlos da, wartete darauf, dass er weitersprach.

»Ich habe diese verdammte Ehevereinbarung unterschrieben«, knurrte er. »Ich wollte so dringend dein Mann sein, um dich vor Villena und Enrique retten zu können, dass ich meine eigenen Rechte preisgegeben habe. Erst vor wenigen Stunden hat Carrillo mir das wieder unter die Nase gerieben, als ich ihm auf dem Weg hierher vorwarf, dass er dich dem Gesetz entsprechend hätte aufklären müssen. Er meinte, er hätte das getan. Nach dem kastilischen Gesetz hast du das höhere Recht. Bei deinem Tod – möge er in weiter Zukunft liegen – erbt dein ältestes Kind Kastilien. Aus eigenem Recht werde ich hier nie König sein. Er hat mir nahegelegt, das nicht zu vergessen.«

Innerlich kochte ich. Carrillo war zu weit gegangen! Begriff er nicht, dass in diesem kritischen Moment ein Bruch zwischen Fernando und mir vor aller Öffentlichkeit das Letzte war, was wir uns leisten konnten? Wir waren immer noch schwach, unsere Macht in Kastilien alles andere als gesichert; die Granden würden jeden Streit zwischen uns für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Sie würden dafür sorgen, dass unsere Herrschaft zu einer einzigen Katastrophe wurde, bevor wir sie überhaupt angetreten hatten.

Ich musste einen Weg finden, diesen Riss zu schließen, und Carrillos Anmaßung einen Riegel vorschieben. Er, nicht Fernando, war derjenige, der hier keinerlei Rechte hatte. »Wir können das Gesetz ändern lassen«, sagte ich mit mehr Überzeugung, als ich empfand, denn in Wahrheit war ich mir nicht sicher, ob das wirklich möglich war.

Fernando sah auf. »Was hast du gesagt?«

»Dass wir das Gesetz ändern können.« Ich suchte fieberhaft nach einer Lösung. »Wir ordnen eine Sonderuntersuchung an, berufen Advokaten, die uns vertreten – wir beide vor einem Gerichtshof. Wir werden jeden Präzedenzfall, jedes Statut überprüfen, jede Klausel in unserer Ehevereinbarung werden wir durchgehen. Wo ein Ungleichgewicht behoben werden kann, werden wir das tun.« Ich hielt inne. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, ob meine Vorschläge durchführbar waren, wollte ich ihm zu verstehen geben, dass ich willens war, alles Erdenkliche zu tun, um dafür zu sorgen, dass wir als gleichberechtigt gesehen und behandelt wurden.

Er biss sich auf die Unterlippe. »Und das würdest du tun – für mich?«

»Das und noch viel mehr«, flüsterte ich. »In meinem Herzen kommst immer du an erster Stelle.«

Meine Knie gaben nach, als er mich blitzschnell an sich drückte und seine Lippen auf die meinen presste. Er hob mich hoch, trug mich zum Bett. Hastig riss er sein Wams herunter, zerrte an seinem Hemd, an seiner Strumpfhose. Ich ließ ihn nicht aus den Augen, während ich selbst versuchte, meine verhedderten Röcke, die zahllosen Bänder und Riemen zu entwirren. Ich hielt inne, als ich ihn endlich nackt vor mir sah – seinen vernarbten, gemeißelten Körper, nach dem ich mehr gehungert hatte, als mir bewusst gewesen war, den ich vermisst und nach dessen Geschmack ich mich mit der gleichen Gier gesehnt hatte wie der ausgetrocknete Wanderer in der Wüste nach Wasser.

»Hoffentlich bist du heute Nacht hungrig«, murmelte Fernando, »wie eine loba bei Vollmond.«

Ich starrte ihn verdutzt an, dann brach ich in Lachen aus. »Hast du mich gerade eine Wölfin genannt?«

»Ja. Weißt du, ich mag Wölfinnen.« Er grinste mich mit einer Mischung aus jungenhafter Frechheit und Lüsternheit an, woraufhin ich noch heftiger lachte. »Ich liebe es, mich an sie heranzupirschen, sie zu jagen, ihnen das Fell abzuziehen, vor allem dann, wenn sie sich selbst so ernst nehmen.«

Damit warf er sich auf mich und ließ mit einem wilden Knurren die Hände über mich wandern. Und ich spürte, wie ich vor Begehren und Erleichterung schwach wurde. Mit flinken Fingern entkleidete er mich, womit er meinen Puls zum Rasen brachte. Als er mir mein Hemd über den Kopf zog und dabei meine kunstvoll geflochtene Frisur zerstörte, sodass mein Haar lose herabfiel, stieß ich ein kleines Stöhnen aus – ein unabsichtliches, doch unvermeidbares Eingeständnis meiner Lust, das sein Glied hart anschwellen ließ.

»Du hast Hunger«, raunte er, und dann lag er auch schon auf und in mir, lockte mich, versank in mir, tauchte mit rhythmischen Bewegungen tiefer ein … Ich schloss die Schenkel um ihn, und die Welt mit all ihren Problemen, Ängsten, Schwächen und unvermeidlichen Enttäuschungen löste sich auf.

Zum ersten Mal seit Monaten hatte ich wahrhaftig Freude daran, dass ich nur eine Frau war.

Gleich in der nächsten Woche ordnete ich die Untersuchung unseres rechtlichen Status an. Dafür wählte ich ein Gremium aus hohen Granden aus, dem auch der Admiral angehörte. Meinen neuen Beichtvater, den stets ernsten und des Rechtswesens kundigen Hieronymiten-Mönch Fray Hernando de Talavera, ließ ich zu unserem Sekretär ernennen; als mein Rechtsbeistand trat Kardinal Mendoza auf, wohingegen ich aus einer verqueren Rachsucht heraus Carrillo zu Fernandos Vertreter bestimmte. Ich war wütend auf den Erzbischof, weil er den Zorn meines Mannes provoziert hatte, und jetzt machte ich ihm unmissverständlich klar, dass ich von ihm ein energisches und in sich schlüssiges Eintreten für Fernandos gleichberechtigte Beteiligung an unseren Vollmachten als Monarchen erwartete. Es sprach für Carrillo, dass er genau das tat, was ich ihm befahl: Er gewann die Unterstützung der widerstrebenden Granden für Fernandos höchst unsicheren Standpunkt. Die meisten waren sich darin einig, dass unsere Ehevereinbarung – das umstrittene Dokument, das Carrillo in monatelangen Verhandlungen durchgesetzt hatte und das er als eine seiner größten Leistungen betrachtete – auf keinem vorangegangenen juristischen Beispiel beruhte und mittlerweile unanfechtbar war, da wir mit der Eheschließung eine vollendete Tatsache geschaffen hatten.

Doch als die Frage unserer Nachfolge aufgeworfen wurde, war ich diejenige, die das Wort ergriff.

»Hoher Herr«, begann ich, den Blick auf Fernando gerichtet, der in seinem rotgoldenen Umhang für Staatsakte auf seinem Stuhl thronte, »wegen der zwischen uns bestehenden Union soll dieses Reich für alle Zeiten als Erbe an unsere Nachkommen fallen. Aber da es Gott bisher nur gefallen hat, uns mit einer Tochter zu segnen, muss die Thronfolge auf sie begründet sein. Das Gesetz von Aragón verbietet es ihr allerdings, auf Euren Thron nachzufolgen. Eines Tages wird sie einen Prinzen heiraten müssen, und dieser könnte irgendwann unser Erbe für sich selbst einfordern, womit er Kastilien und auch Aragón nach unserem Tod in Vasallenstaaten verwandeln würde. Wie Ihr mir sicher bestätigen werdet, würde das eine schreckliche Bürde für unser Gewissen und großes Unheil für unsere Untertanen bedeuten.«

Fernandos Miene verfinsterte sich. Ich hatte also mit meiner Vermutung recht gehabt, dass er insgeheim mit den unnachgiebigen Gesetzen seines eigenen Reichs haderte, die die Ernennung unserer Tochter zur Erbin verboten. Damit trieben sie gegen unseren Willen einen Keil zwischen uns. Ich war bereit, in vielen Punkten nachzugeben. So wollte ich ihm unter anderem das Vorrecht einräumen, auf offiziellen Dokumenten und bei höfischen Anlässen seinen Namen vor den meinen zu setzen, als oberster Kommandant unserer Armeen aufzutreten und in eigenem Namen Recht zu sprechen, doch was unsere Tochter betraf, blieb ich unerbittlich. Isabél musste aus eigenem Recht Thronfolgerin sein. Der in Aragón praktizierte altmodische Ausschluss von Frauen als Herrscherinnen durfte in Kastilien nie Gültigkeit erlangen.

Schließlich nickte er. »Ich stimme zu. Möge es in dieser Angelegenheit nie wieder Streit geben.« Mit einem müden Lächeln trat er auf mich zu und küsste mich auf die Wange. »Du hast gewonnen«, murmelte er. »Du hättest Advokatin werden sollen, mi Luna

Meine Hand in die Höhe haltend, rief er in den Saal: »So soll es geschehen! Zu Ehren unserer Einigung befehlen Ihre Majestät und ich, dass ein neues Wappen geschmiedet werden soll, eines mit den Burgen und Löwen von Kastilien und den goldenen und roten Streifen von Aragón!«

»Und darunter«, fügte ich hinzu, »sollen unsere Pfeile und das Joch als Symbol für die Beständigkeit unserer Verbindung durch den Gordischen Knoten miteinander verknüpft werden!«

Die Granden brachen in Beifall aus. Vor Stolz über ihre Anerkennung errötet und über das ganze Gesicht strahlend, schritt Fernando mit seinen Dienern hinaus, um sich für die Feierlichkeiten am Nachmittag anzukleiden.

Seufzend wandte ich mich, gefolgt von meinen Hofdamen, zur Tür gegenüber, wurde aber von Carrillo abgefangen. In unserem Rücken begannen die Sekretäre, die bei der Anhörung benötigten Dokumente einzusammeln.

»Ihr habt einen schweren Fehler begangen«, erklärte mir der Erzbischof. »Mit der Gewährung dieser Privilegien setzt Ihr die in der Ehevereinbarung festgelegten Grundsätze außer Kraft und gefährdet die Souveränität Kastiliens.«

Ich musterte ihn kalt. »Alles, was ich gewährt habe, ist, dass meinem Gemahl die Achtung entgegengebracht wird, die ihm gebührt. Ich behalte die Alleinvollmacht, Geistliche zu ernennen und zu befördern; das letzte Wort über Staatsausgaben und Steuereintreibung liegt bei mir; und Kriege kann nur ich erklären. Mit anderen Worten: Bis auf ein paar kleinere Zugeständnisse bleibt Kastiliens Souveränität unangetastet. Nach mir wird meine Tochter erben, und Fernando wird hier nie aus eigenem Recht herrschen können. Entspricht dieser Punkt nicht genau dem, was Ihr selbst mir geraten habt, dem Gremium zur rechtlichen Prüfung vorzulegen, Eure Eminenz?«

Er ignorierte meinen spitzen Ton. Abschätzig wedelte er mit seiner fleischigen Hand, an der immer noch der massive Ring prangte. »Ihr kennt die Aragonier nicht so gut wie ich; sie erkennen keine Grenzen an. Solltet Ihr vor Fernando sterben, ohne einen männlichen Nachfolger zu haben, wird er Eure Tochter nie als Königin akzeptieren. Er wird ihr ihre Rechte verweigern und dieses Reich zu Aragóns Vasall degradieren.«

»Ihr geht zu weit«, entgegnete ich. »Er ist der Vater meines Kindes, und ich bin seine Gemahlin. Auch wenn ich bedaure, dass in seiner Heimat nur ein männlicher Thronfolger anerkannt wird, tue ich, was ich tun muss, um in unserer Ehe den Frieden zu erhalten.«

»Nun, das wird mehr als ein paar Zugeständnisse erfordern, das kann ich Euch versichern«, schnaubte er.

Ich hob das Kinn. Sein herablassendes Gebaren hatte ich gründlich satt, doch ich widerstand dem Drang, ihn ein für alle Mal hinauszuwerfen. »Was meint Ihr damit? Drückt Euch deutlich aus, Eminenz.«

»Ich meine«, erwiderte er mit absichtlicher Boshaftigkeit, »dass Seine Majestät Euch seit Monaten betrügt. Er hat eine Geliebte in Aragón. Das ist der Grund, warum er seine Rückkehr hinausgezögert hat. Offensichtlich ist sie guter Hoffnung und hat ihn gebeten, bei ihr zu bleiben. Natürlich ist das nicht das erste Mal, dass er vom rechten Weg abgewichen ist, wie Euch wohlbekannt ist.«

Ich zeigte keine Reaktion. Nicht einen Muskel bewegte ich. In mir jedoch baute sich eine Welle aus Emotionen auf – flüssig wie Lava und erstickend heiß.

Carrillo ließ mich nicht aus den Augen. »Oder kann es sein, dass Ihr nicht im Bilde wart? Ich dachte, ich hätte Euch von seinem Bastard von einer anderen Frau vor Eurer Hochzeit erzählt? Es ist ja nicht so, als ob dieser Sohn ein Geheimnis wäre. Ganz Saragossa weiß darüber Bescheid, wie sehr er diesen Jungen vergöttert. Selbst König Juan hat ihn zu sich an den Hof geholt und mit Geschenken überhäuft. Mein Gott, sie versuchen sogar, ihm den Titel eines Erzbischofs zu verleihen.«

Mir schnürte sich die Kehle zu. Plötzlich hatte ich keine Luft mehr in der Lunge. »Natürlich war mir das bekannt«, stieß ich hervor. »Und jetzt sagt Ihr, dass er noch ein …«

»Ja, von der Tochter irgendeines kleinen Adeligen.« Carrillo zuckte mit den Schultern. »Ihre Moral ist erbärmlich. Kein Wunder, dass die Franzosen so begierig darauf sind, dort einzufallen! Aragón hat mehr mit dieser Nation aus Degenerierten gemein, als ihm lieb ist.«

Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Obwohl ich in diesem Moment gegen einen Schrei ankämpfte, der mein ganzes Inneres zu zerreißen drohte, gestattete ich mir, eine Regung zuzulassen, die sich in mir zusammenbraute, seit ich mich zurückerinnern konnte: die ambivalenten Gefühle, die meinen Umgang mit Carrillo seit dem Tag beherrscht hatten, an dem er in mein Leben getreten war. All das verdichtete sich jetzt und drängte mit Macht nach draußen.

Ich hatte ihn satt. Ich wollte diesen Mann aus meinem Leben verbannen.

»Ihr entfernt Euch auf der Stelle vom Hof«, sagte ich kalt. »Geht in Euren Palast in Acuña oder in Alcalá de Henares und bleibt dort. Ich dulde Euch nicht länger in meiner Nähe.«

Er blinzelte überrascht. »Das … das kann doch nicht Euer Ernst sein …«

»O doch!«, zischte ich. »Noch nie habe ich etwas so ernst gemeint. Niemand, Eminenz, verunglimpft in meiner Gegenwart meinen Gemahl, den König. Nicht einmal Ihr.«

»Aber ich bin Euer Berater! Ich habe Euch auf den Thron geholfen. Ohne mich könnt Ihr nicht herrschen.«

»Weder habe ich es nötig, dass andere für mich herrschen, noch brauche ich einen Berater, der sich weigert, meine Entscheidungen zu respektieren. Darum befehle ich Euch, den Hof zu verlassen. Jetzt

»Ihr … Ihr … befehlt?« Sein Gesicht wurde aschfahl, seine Augen quollen hervor. »Ihr wagt es, mich, das Oberhaupt der Diözese Toledo, zu entlassen, den Mann, der Euch den Weg zur Macht geebnet hat? Ihr entlasst mich wie irgendeinen Lakaien? Ohne mich würdet Ihr nicht dort stehen, wo Ihr jetzt steht, Doña Isabella! Ihr wärt schon vor Jahren verheiratet und ins Exil geschickt worden, um eine Meute von portugiesischen Bälgern zu werfen und Euer Leben in einer zugigen Burg am Meer mit Sticken zu vergeuden!«

Ich weigerte mich, seinen Köder zu schlucken. »Ihr messt Euch zu viel Bedeutung bei. Und mir zu wenig. Ich werde mich nicht wiederholen. Ich erwarte, dass Ihr binnen einer Stunde verschwunden seid, sonst lasse ich Euch von meiner Wache begleiten.«

Ich hielt ihm die Hand zu einem letzten Abschiedskuss entgegen. Er ergriff sie schweigend, nur um mir dann den schuldigen Respekt ostentativ zu verweigern, indem er sich im letzten Moment wegdrehte und zur Tür stapfte. Dort blieb er noch einmal stehen und blitzte mich über die Schulter an. »Das werdet Ihr noch bereuen«, fauchte er und rief nach seinem Pagen.

Auf einen Wink von mir huschten auch die Sekretäre bekümmert hinaus, sodass ich plötzlich allein vor dem Tisch stand. Sekunden später kam Fernando herein. »Isabella, mi amor, was ist passiert? Der ganze Palast hat soeben Carrillo wie einen Maultiertreiber schreien hören …«

Ich blickte ihn an. »Ist es wahr?«

Bevor er sich eine Antwort zurechtlegen konnte, sah ich die Wahrheit in seinem Gesicht – eine verräterische Blässe, gefolgt von einem Erröten ob der Demütigung. Damit war seine Schuld bewiesen. Seine nächsten Worte waren kaum vernehmbar. »Er hat es dir also gesagt. Ich hätte es mir denken können. Dieser alte Hurensohn kann unser Glück einfach nicht ertragen. Das konnte er noch nie. Von Anfang an wollte er nichts als …«

»Er ist nicht derjenige, der seinen Eid gebrochen hat.« Ich musste mich mit der Hand auf dem Tisch abstützen, weil jäh eine erschreckende Leere in mir aufklaffte. »Das hast du getan. Und dann hast du mich belogen.«

»Himmelherrgott, ich habe nicht gelogen! Das war doch vor unserer Hochzeit.« Er näherte sich mir. »Ich wollte es dir sagen, Isabella, das schwöre ich dir. Der Junge … ist ja erst zwei Jahre alt und …«

»Ich spreche nicht von dem ersten Kind, sondern von dem anderen, dass du jetzt erwartest.«

Er erstarrte. Ich hatte den Geschmack von Blut im Mund; ich hatte mir die Lippe aufgebissen. »Du leugnest es nicht«, stellte ich fest. »Ist sie … diese Frau, liebst du …?«

»Nein. Ich schwöre dir, nein!« Er blickte mich hilflos an. »Es war ein Moment der Schwäche, des Wahns. Ich war so weit entfernt von dir, von unserem Zuhause. Ich war des Kriegs so müde, dieser endlosen Nächte des Wartens darauf, dass die Franzosen mich überfielen. Es kam mir so vor, als beobachtete mich die gesamte Welt, als wartete sie nur darauf, dass ich scheiterte. Ich … ich brauchte Trost.«

»Und da hast du dir eine andere ins Bett geholt, während ich hier war und alle Hände voll mit meiner Mutter zu tun hatte, mit unserer Tochter, mit der Krise wegen Enriques Tod? Du hast unsere Ehe verraten, weil du müde warst und Trost brauchtest?«

»Ja.« Er verstummte, schüttelte den Kopf. »Ich sage ja nicht, dass ich recht getan habe. Gott weiß, dass ich das jetzt bedaure – aber ich bin eben nur ein Mann. Ich bin nicht perfekt, Isabella. Das habe ich auch nie vorgetäuscht.«

Mein Magen krampfte sich zusammen, als hätte Fernando mich geschlagen. »Bist du sicher, dass das Kind deines ist?«, fragte ich. Meine Stimme klang kalt, unpersönlich, völlig fremd.

Er zuckte zusammen; offenbar hatte er eine andere Möglichkeit noch gar nicht erwogen. »Ich glaube, ja«, antwortete er leise. »Ich habe keinen Grund, etwas anderes zu vermuten.«

»Na gut. Wenn das Kind geboren ist, musst du dich um seinen Unterhalt kümmern, wie es sich gehört. Du wirst es mit einer Stellung versorgen – in der Kirche, wenn es ein Junge ist, in Diensten einer Adeligen, wenn es ein Mädchen ist. Niemand soll uns nachsagen, dass der König von Kastilien seine Pflichten vernachlässigt.« Da ich meine Fassung zurückgewonnen hatte, erzwang ich eine letzte Frage, obwohl ich die Antwort darauf eigentlich gar nicht hören wollte.

»Das andere Kind, dein Junge. Wie heißt er?«

»Alfonso«, sagte er leise, »wie dein verstorbener Bruder.«

»Ich verstehe.« Ich betrachtete sein Gesicht, entdeckte darin seine Liebe, seine Schuldgefühle, Trauer und, ja, aufrichtige Reue – und fühlte etwas in mir zusammenbrechen. Mir war, als läge unsere gesamte Existenz in Scherben zu meinen Füßen. »Die ganze Zeit haben wir zusammengesessen«, murmelte ich, »haben nach Gleichheit gestrebt, unser Tanto monta gerühmt … gut, jetzt haben wir es: Wir sind Gleiche, auf dem Papier. Aber wir beide wissen, dass es nie wahre Gleichheit zwischen uns geben kann, nicht, solange einer von uns solche Geheimnisse hütet.«

»Isabella, bitte. Es war eine Unbedachtheit. Sie hat mir nichts bedeutet.«

»Vielleicht. Aber mir bedeutet sie alles.« Ich machte Anstalten, mich wegzudrehen. Er sollte nicht sehen, wie zerrissen, wie verloren ich mich fühlte. Ich wollte nicht noch mehr Empfindungen vor ihm preisgeben.

»Isabella«, hörte ich ihn fassungslos sagen, »das kann doch nicht dein Ernst sein. Würdest du mich wirklich verlassen, nachdem ich meinen Fehler zugegeben habe? Willst du mir nicht wenigstens eine Möglichkeit einräumen, die Dinge zwischen uns wieder ins Lot zu bringen?«

Der Raum vor mir verschwamm in einem Nebel. Ich ignorierte ihn und ging wortlos hinaus. Vage nahm ich wahr, dass Inés und Beatriz plötzlich an meiner Seite waren und mich, vorbei an den Höflingen, durch den Saal mit den dort wartenden Granden und die Wendeltreppe hinauf in mein Gemach führten. Kaum war die Tür verriegelt, drängte es mich, dem animalischen Wutschrei und der in mir pulsierenden Trauer freien Lauf zu lassen.

Stattdessen hörte ich mich nur flüstern: »Ich brauche ein Bad.«

»Ein Bad? Aber hier gibt es kein heißes Wasser!«, rief Beatriz und knetete vor Aufregung den Stoff ihrer Robe in den Händen. »Wir werden welches aus dem Küchentrakt holen müssen.«

»Das ist mir egal!« Ich begann, mir die Kleider vom Leib zu reißen, blieb mit den Fingernägeln an den Bändern hängen, zerfetzte den empfindlichen Stoff. »Befreit mich davon. Ich habe das Gefühl zu ersticken. Ich kann nicht atmen …«

Beatriz und Inés stürzten herbei und zerrten mir Schicht für Schicht die Königinnengewänder vom Leib, bis ich zitternd in meiner Seidenunterwäsche vor ihnen stand.

»Gießt das Wasser in der Karaffe über mich«, befahl ich.

Inés schnappte nach Luft. »Aber Hoheit! Das ist vom Aquädukt und reines Trinkwasser! Es ist zu kalt. Seht Euch doch nur an! Ihr zittert ja!«

»Tut es!«

Beatriz ergriff die Karaffe. Mit geschlossenen Augen und ausgebreiteten Armen ließ ich es über mich ergehen, als sie das kalte Wasser über meinen Kopf goss. Als das eisige Wasser, das von der Quelle stammte, die Segovias alte römische Wasserleitung speiste, auf meine Haut traf, stieß ich einen kleinen, spitzen Schrei aus.

Dieser kurze, unwillkürliche Laut war das einzige Geräusch, das ich von mir geben konnte. Obwohl mein Kummer mich niederdrückte, kamen keine Tränen. Dafür saß meine Enttäuschung zu tief. Während ich dastand, das kalte Wasser über meine Brüste und Schenkel rann und diejenige Stelle kühlte, wo die Erinnerung an meine Leidenschaft saß, war ich stumm wie ein Grab.

Willenlos ließ ich es zu, dass Beatriz meine nasse Unterwäsche abstreifte, mich in ein Samttuch hüllte und zum Stuhl vor dem Kaminfeuer führte, während Inés nervös die Glut anfachte. Kein Wort gab ich von mir. Ich saß nur da und starrte in die Flamme.

Ich war die Königin Kastiliens. Um mein Schicksal zu erfüllen, hatte ich jedes Hindernis überwunden.

Und noch nie hatte ich mich so einsam gefühlt wie jetzt.