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1998
Gregory Markham hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Seine grauen Schläfen gaben ihm ein entrücktes, feierliches Aussehen. Das Summen des Labors erschien ihm als wärmender Klang. Die surrenden Geräte ähnelten häufig menschlichen Arbeitern, und sei es nur durch ihre unkalkulierbaren Mängel und speziellen Eigenarten. In der stillen Hülle des Cavendish, das über alle verbliebenen Ressourcen verfügte, war das Labor eine Insel der Laute und Klänge. Das Cav hatte den Weg ins moderne Zeitalter bereitet, indem es die Arbeit von Faraday und Maxwell genutzt hatte, das gezähmte Wunder der Elektrizität zu schaffen. Und jetzt, überlegte Markham, blieben nur einige wenige Menschen übrig und versuchten, in die Vergangenheit zu reichen, gegen den Strom zu schwimmen.
Renfrew bewegte sich zwischen den Instrumentenbänken hin und her, jagte von einer Problemstelle zur nächsten. Die Energie des Mannes machte Markham lächeln. Zum Teil entstand sie aus der stummen Präsenz von Ian Peterson, der sich in einem Stuhl zurücklehnte und das Oszilloskop beobachtete, auf dem das Hauptsignal gezeigt wurde. Renfrews Hektik entsprang dem Bewußtsein, daß Peterson unter seiner Maske der Gemächlichkeit nie seinen kritischen Blick verlor.
Renfrew kam zum zentralen Oszilloskop zurück und betrachtete den tanzenden Wirrwarr der Störbilder. »Verdammt!« fluchte er. »Der Mist hört nicht auf.«
Peterson besänftigte ihn: »Es ist nicht unbedingt notwendig, daß Sie die Informationssignale senden, wenn ich zuschaue. Ich bin nur vorbeigekommen, um mich auf dem laufenden zu halten.«
»Nein, nein.« Renfrew krümmte die Schultern in seiner braunen Jacke. Markham bemerkte, daß die Jackentaschen mit elektronischen Teilen vollgestopft waren; offenbar hatte er sie hineingesteckt und vergessen. »Ich hatte gestern einen guten Durchlauf. Es gibt keinen Grund, warum das heute anders sein sollte. Den astronomischen Teil habe ich drei Stunden lang ununterbrochen gesendet.«
»Ich muß zugeben, daß ich die Notwendigkeit dafür nicht einsehe«, sagte Peterson, »wenn man bedenkt, wie schwierig es ist, den wirklich wichtigen…«
»Es hilft dem Empfänger«, erklärte Markham und trat vor. Er gab seinem Gesicht einen entschlossenen neutralen Ausdruck, obwohl ihn die Art amüsierte, wie die beiden anderen Männer sofort auf einen Punkt zustießen, an dem sie Meinungsverschiedenheiten hatten. »John glaubt, es könnte Ihnen helfen zu wissen, wo unser Strahl am leichtesten aufzuspüren ist. Die astronomischen Koordinaten…«
»Das ist mir völlig klar«, unterbrach Peterson ihn. »Was ich nicht verstehe ist, warum Sie die ruhigeren Perioden nicht dem wesentlichen Material widmen.«
»Und das wäre?« fragte Markham schnell.
»Ihnen mitzuteilen, was wir tun, die Daten über die Ozeane zu wiederholen und…«
»Das haben wir bis zum Geht-nicht-mehr getan«, platzte Renfrew heraus. »Aber wenn sie es nicht empfangen können, was, zum Teufel…«
»Ruhig, ruhig«, beschwichtigte Markham, »wir haben für alles genug Zeit, richtig? Einverstanden? Wenn die Störungen aufhören, sollte die Sendung Ihrer Bank-Botschaft erste Priorität haben, und dann kann John…«
»Sie haben sie nicht sofort gesendet?« rief Peterson überrascht.
»Äh, nein«, erwiderte Renfrew, »ich war mit dem anderen Material noch nicht durch und…«
»Schon gut!« Die Antwort schien Peterson zu erregen. Er stand auf und ging mit schnellen Schritten vor den hohen grauen Schränken auf und ab. »Ich habe Ihnen gesagt, daß ich den Zettel gefunden habe – ziemlich erstaunlich, muß ich zugeben.«
»O ja«, stimmte Markham zu. Es hatte einige Aufregung gegeben, als Peterson am Morgen mit dem vergilbten Papier aufgetaucht war. Plötzlich hatte die ganze Sache den Anschein von Realität gewonnen.
»Ich habe darüber nachgedacht«, fuhr Peterson fort, »ob Sie nicht versuchen sollten, das Experiment zu erweitern.«
»Erweitern?« fragte Renfrew.
»Ja. Senden Sie die Botschaft nicht!«
»Ach herrje!« war Markhams einzige Reaktion.
»Aber… aber sehen Sie denn nicht…« Renfrew verstummte.
»Ich halte es für ein interessantes Experiment.«
»Sicher«, bestätigte Markham, »sehr interessant. Aber dadurch wird ein Paradox erzeugt.«
»Genau darauf wollte ich hinaus«, sagte Peterson flink.
»Aber ein Paradox wollen wir eben nicht haben«, protestierte Renfrew. »Es wird die ganze Konzeption ins Wanken bringen.«
»Ich habe es Ihnen erklärt«, meinte Markham, an Peterson gewandt. »Der Schalter, der zwischen an und aus steht, erinnern Sie sich?«
»Ja, ich verstehe das vollkommen, aber…«
»Dann lassen Sie Ihre blödsinnigen Vorschläge!« schrie Renfrew. »Wenn Sie die Vergangenheit erreichen und wissen wollen, daß Sie es geschafft haben, dann lassen Sie Ihre Finger da raus!«
Mit eisiger Ruhe erwiderte Peterson: »Der einzige Grund, warum Sie es wissen, ist der, daß ich zu der Bank in La Jolla gegangen bin. So wie ich es sehe, habe ich die Bestätigung Ihres Erfolgs beschafft.«
Seinen Worten folgte beklommenes Schweigen. »Ah… ja«, sagte Markham, um die Pause zu überbrücken. Er mußte zugeben, daß Peterson recht hatte. Diese einfache Überprüfung hätten er oder Renfrew durchführen sollen. Aber sie waren darin geschult, technische Experimente zu durchdenken, in denen eine Vielzahl von Instrumenten ohne menschliches Eingreifen arbeiteten. Der Gedanke, nach einem bestätigten Hinweis zu fragen, war ihnen einfach nicht gekommen. Und jetzt hatte Peterson, der ignorante Verwaltungsmensch, die Richtigkeit ihrer Konzeption bewiesen, und er hatte es ohne jede komplexe Denkarbeit getan.
Markham sog tief die Luft ein. Das Bewußtsein, etwas zu tun, das noch nie vorher gelungen war, etwas, das über das eigene Verständnis hinausging, aber unleugbar real war, dieses Bewußtsein war berauschend. Es war oft gesagt worden, daß die Wissenschaft dem Menschen manchmal einen besonderen Kontakt mit der Welt verschafft, der durch nichts anderes erzielt werden kann. Dieser Morgen und Petersons Zettel hatten das getan, aber auf völlig andere Weise. Der Triumph eines Experiments war es, eine neue Ebene der Erkenntnis zu erreichen. Die Tachyonen allerdings begriffen sie nicht wirklich. Da war nur die schlichte Nachricht auf einem vergilbten Papier.
»Ian, ich weiß, wie Sie fühlen. Es wäre außerordentlich interessant, Ihre Botschaft nicht abzusenden. Aber keiner weiß, was das bedeuten würde. Es könnte uns daran hindern, das zu tun, was Sie wollen – nämlich die Informationen über den Ozean zu übermitteln.«
Renfrew unterstrich diese Bemerkung mit einem »Verdammt wahr!« und wandte sich wieder den Geräten zu.
Petersons Lider senkten sich, als sei er tief in Gedanken versunken. »Ein gutes Argument. Wissen Sie, einen Moment dachte ich, auf diese Weise könnte man mehr herausfinden.«
»Könnten wir auch«, bestätigte Markham. »Aber solange wir nur tun, was wir verstehen…«
»Richtig«, unterbrach Peterson. »Wir schalten Paradoxe aus, einverstanden. Aber später…« Ein verschmitztes Lächeln huschte über seine Lippen.
»Später, sicher«, murmelte Markham. Es war seltsam, dachte er, wie die Mitspieler ihre Rollen vertauscht hatten. Peterson war eigentlich der praktische Manager, der vor allem Ergebnisse sehen wollte. Aber jetzt wollte Peterson die Variablen des Experiments verändern und neue physikalische Erkenntnisse gewinnen.
Und Renfrew und er lehnten das ab, weil sie die Folgen eines Paradoxes fürchteten. Verkehrte Welt.
Eine Stunde später hatten, wie so oft, die logischen Spitzfindigkeiten ihre Bedeutung angesichts der widrigen Details des Experiments verloren. Der flache Schirm des Oszilloskops war von Störbildern übersät. Trotz ernsthafter Arbeit der Techniker verringerten sich die Unsicherheiten des Experiments nicht. Solange das so blieb, wäre der Tachyonenstrahl diffus und schwach.
»Wissen Sie«, murmelte Markham und lehnte sich auf seinem Laborstuhl zurück, »ich glaube, Ihre Caltech-Geschichten könnten darauf Einfluß haben, Ian.«
Peterson blickte von der Akte mit dem roten »Vertraulich«-Stempel auf. Während der Unterbrechungen hatte er ständig Papiere aus seiner Aktenmappe durchgearbeitet. »Oh? Wieso?«
»Die kosmologischen Berechnungen – gute Arbeit. Brillant sogar. Ineinander geschaltete Universa. Jetzt stellen wir uns einmal vor, jemand in ihnen sendet Tachyonensignale aus. Die Tachyonen können sich aus den kleineren Universen lösen. Dazu müssen sie nur durch den Ereignishorizont der geschlossenen Mikrogeometrie dringen, und schon sind sie frei. Sie entweichen aus den Schwerkraftsingularitäten, und wir können sie aufnehmen.«
Peterson runzelte die Stirn. »Diese… Mikrouniversen… Könnten sie bewohnt sein?«
Markham grinste. »Sicher.« Er besaß die heitere Zuversicht eines Mannes, der sich durch die mathematische Problematik gearbeitet und die Lösungen gefunden hatte. Es war die gelöste Gewißheit, die sich aus dem ersten Begreifen der Einsteinschen Feldgleichungen ergab; arabeske griechische Buchstaben, die wie zarte Seidenfäden auf dem Papier klebten. Auf den ersten Blick schienen sie substanzlos zu sein, ein Faden, der aus Schnörkeln bestand. Aber es war eine erhabene Erfahrung, den freigewobenen Tensoren zu folgen, wenn die Exponenten sich mit den Indizes vereinten und mathematisch zu kompakten klassischen Realitäten zusammenfielen – Potential; Masse; Energien, die sich in eine gekrümmte Geometrie einfügten. Die eiserne Faust des Realen im Samthandschuh unwirklicher Mathematik. Markham sah in Petersons Gesicht die zaudernde Verwirrung, die Menschen überkam, wenn sie versuchten, sich Ideen vor Augen zu führen, die jenseits der Sicherheit gebenden drei Dimensionen und euklidischen Gewißheiten lagen, welche ihrer Welt Struktur gaben. Hinter den Gleichungen steckten Unermeßlichkeiten aus Raum und Staub, tote, aber energiegeladene Materie, die sich dem geometrischen Willen der Schwerkraft beugte, Sterne, die wie Zündholzköpfe in einer unergründlichen Nacht explodierten, orangerote Funken, die nur einen schmalen Ring junger Planeten erleuchteten. Die Mathematik schuf das alles; die Bilder, die die Menschen in ihren Köpfen trugen, waren natürlich, aber umständlich, Karikaturen einer Welt, die so glatt wie Seide und voller Vielfalt war. Nachdem man das gesehen, wirklich gesehen hatte, war die Tatsache, daß Welten innerhalb von Welten existieren konnten, daß Universen in uns erblühen konnten, ganz und gar nicht mehr rätselhaft. Die Mathematik setzte Wegzeichen.
Markham sagte: »Ich glaube, das könnte eine Erklärung für den anormalen Störungspegel sein. Wenn ich recht habe, wird er gar nicht thermal erzeugt. Die Störungen stammen von Tachyonen. Die Indium-Antimonid-Probe überträgt Tachyonen nicht einfach, sie empfängt sie. Es gibt Nebenstörungen von Tachyonen, die wir vernachlässigt haben.«
»Nebenstörungen?« fragte Renfrew. »Woher?«
»Mal sehen. Versuchen Sie es mit dem Korrektor!«
Renfrew führte einige Justierungen durch und trat von dem Oszilloskop zurück. »Das müßte reichen.«
»Reichen wofür?« wollte Peterson wissen.
»Das ist ein Kohärenz-Analysator«, erklärte Markham. »Er sondert die ursprünglichen Störungen der Indium-Probe -Schallwellenstörungen – aus und holt die Signale aus dem Nebenstörungsbereich hervor.«
Gespannt starrte Renfrew auf den Bildschirm. Eine komplexe Welle zuckte auf. »Es scheint eine Folge von Impulsen zu sein, die in regelmäßigen Abständen gegeben werden«, sagte er.
»Aber mit der Zeit läßt das Signal nach.« Er zeigte auf eine schwankende Linie, die im Störpegel unterging, sobald sie sich der rechten Seite des Bildschirms näherte.
»Ziemlich regelmäßig«, bestätigte Markham. »Hier eine Spitze, dann eine Pause, dann zwei Spitzen, dann wieder nichts, dann vier Spitzen fast übereinander, dann nichts. Merkwürdig.«
»Wofür halten Sie es?« fragte Peterson.
»Keine normalen Nebenstörungen, soviel ist klar«, antwortete Renfrew.
»Das Signal ist kohärent«, ergänzte Markham. »Es kann nicht natürlichen Ursprungs sein.«
Renfrew: »Nein. Eher wie…«
»Ein Kode«, beendete Markham den Satz. »Zeichnen wir es auf.« Er begann, auf einen Aktendeckel zu schreiben. »Ist es eine Realzeit-Wiedergabe?«
»Nein. Ich habe es so eingestellt, daß wir die Störungen in einem Intervall von hundert Mikrosekunden aufnehmen.« Renfrew griff nach den Knöpfen des Oszilloskops. »Möchten Sie ein anderes Intervall?«
»Warten Sie, bis ich das hier aufgeschrieben habe!«
»Warum fotografieren Sie es nicht einfach?« schaltete Peterson sich wieder ein.
Renfrew sah ihn bedeutungsvoll an. »Wir haben keinen Film. Es gibt eine Verknappung, und heutzutage haben die Laboratorien keine Priorität.«
»Ian, notieren Sie das!« unterbrach Markham.
Binnen einer Stunde war das Ergebnis klar. Die Störung war tatsächlich eine Summe vieler Signale, die einander überlagerten. Gelegentlich erschien eine abgehackte Gruppe von Impulsen, die bald wieder von einem Sturm schneller Zackensignale verschlungen wurde.
»Wieso gibt es so viele verschiedene Signale?« fragte Peterson.
Markham zuckte die Achseln. Beim unbewußten Versuch, seine Brille hochzuschieben, zog er die Nase kraus. Das gab ihm das ungewollte Aussehen eines plötzlich starken Widerwillens. »Ich halte es für möglich, daß sie aus der fernen Zukunft stammen. Aber auch das Westentaschenuniversum wäre eine Erklärung.«
»Auf eine neue astrophysikalische Theorie würde ich nicht viel Gewicht legen«, sagte Renfrew. »Diese Knaben spekulieren mit Ideen wie Börsenmakler.«
Markham nickte. »Zugegeben, sie nehmen oft ein Körnchen Wahrheit und blasen es zu einem intellektuellen Puffreis auf. Aber diesmal liegen sie richtig. Es gibt unerklärliche Quellen infraroter Emission weit draußen in den Galaxien. Mikrouniversen würden sich so bemerkbar machen.« Er legte die Hände mit gespreizten Daumen in Form eines Dreiecks vor sein Gesicht und lächelte hinein – seine Lieblingsgeste. In Zeiten wie diesen war es tröstlich, ein kleines Ritual zelebrieren zu können. »Ihr Oszilloskop zeigt hundertmal so viele Störungen, wie Sie erwartet haben, John. Ich neige zu der Meinung, daß wir nicht einzigartig sind, und die Nebenstörungen durch Tachyonensignale sind existent. Signale aus verschiedenen Zeiten, gewiß. Und auch aus diesen mikroskopischen Universen.«
»Aber sie kommen und gehen«, merkte Renfrew an. »Ich kann immer noch einen Bruchteil der Zeit senden.«
»Gut«, sagte Peterson. Er hatte eine Weile nicht gesprochen. »Dann machen Sie weiter!«
»Ich hoffe, die Jungs haben 1963 nicht die Detektor-Empfindlichkeit, um diese Störungen zu untersuchen. Wenn sie sich an unsere Signale halten – die sich bei richtiger Ausstrahlung von den Nebenstörungen abheben müßten –, kommen sie schon klar.«
»Greg«, meinte Peterson nachdenklich, »da ist noch ein Punkt.«
»Welcher?«
»Sie reden ständig von den kleinen Universen innerhalb des unsrigen und wie wir ihre Tachyonenbotschaften empfangen.«
»Richtig.«
»Ist das nicht ein bißchen egozentrisch gedacht? Woher wissen wir denn, daß wir kein Westentaschenuniversum in einem größeren sind?«
Am frühen Nachmittag verließ Gregory Markham das Cav. Peterson und Renfrew waren immer noch nicht fähig, darauf zu verzichten, sich gegenseitig Nadelstiche zu versetzen. Trotz seiner automatischen Gewohnheit, sich auf Distanz zu halten, wurde Peterson von dem Experiment ganz offenbar angezogen. Renfrew begrüßte Petersons Unterstützung, wollte aber noch mehr. Markham fand das gezierte Verhältnis zwischen den beiden komisch, besonders, weil es ihrem Unterbewußtsein entsprang. Mit ihren klassengeprägten Sprachmustern hatten die beiden Männer sich beim ersten abweichenden Vokal gegenseitig eingeordnet. Wäre Renfrew ein Arbeitersohn geblieben, wäre er harmonisch mit Peterson ausgekommen, da jeder seine zeitbestimmte Rolle gekannt hätte. Als ein Mann, der in exotischen akademischen Wassern schwamm, hatte Renfrew jedoch keine Bezugspunkte. Die Wissenschaft brachte solche Konflikte zutage. Man konnte aus dem Nichts kommen und sich eine Position erobern, ohne neue soziale Verhaltensweisen erlernt zu haben. Fred Hoyles Zeit in Cambridge war ein typischer Fall gewesen. Hoyle war ein Astronom der alten Schule, ein exzentrischer Wahrheitssucher gewesen: Umstrittene Theorien zogen ihn an, und die kühlen, sachlichen Verhaltensweisen wischte er zur Seite, wenn sie seiner Stimmung zuwiderliefen. Renfrew mochte eine ebenso auffällige Erscheinung wie Hoyle werden, ein proletarischer Lachs, der die ganze Zeit gegen den Strom schwamm, wenn dieses Experiment Erfolg hatte. Die meisten Aufsteiger unter den Wissenschaftlern achten heutzutage auf ein neutrales, nichtssagendes Äußeres; das war risikofreier. Anders Renfrew. Die großen modernen Forschungsteams erforderten, um Fortschritte zu erzielen, gutorganisierte, harmonische Operationen im großen Stil, deren Stabilität von einem Minimum an – wie es in der Fachsprache hieß – »interpersonellen Beziehungen« abhing.
Renfrew war ein Einzelmensch mit einer Sandpapier-Psyche. Das Seltsame war, daß Renfrew mit den meisten Menschen recht zivil umging; nur die willkürliche Zurschaustellung von Klassensymbolen von Leuten wie Peterson brachte ihn auf. Markham hatte bei seinen Besuchen seit Jahrzehnten eine Verschlimmerung der Klassendifferenzen in England beobachtet. Die Zeit schien die Klassenbande zu stärken, sehr zur Verwunderung der Populärmarxisten, die auf die schwerfälligen Regierungsprogramme setzten. Markham hatte eine einleuchtende Erklärung gefunden: In der schneller werdenden ökonomischen Talfahrt, die den reichen Jahren des Nordseeöls folgten, betonten die Menschen die Unterschiede, um ihr Selbstwertgefühl am Leben zu halten. Wir gegen sie brachte das Blut in Wallung. Besser dieses verwirrende, uralte Spiel als der Blick in eine graue Zukunft.
Nachdenklich nahm Markham den Fußweg auf die würdevollen Türme der Stadt zu. Er war Amerikaner und dadurch von den subtilen Klassenritualen ausgenommen – ein Besucher auf Zeit. Ein Jahr hier hatte ihn an die unterschiedliche Sprache und die feinen Verhaltensunterschiede gewöhnt. Jetzt erkannte er Petersons skeptisch hochgezogene Augenbraue, begleitet von einem »Hmmm?« als wohlgeschärfte soziale Waffe. Petersons gewandter Umgang mit der Sprache war sicherlich weit besser als der mechanische Quack-Quack amerikanischer Beamter, die jede Information »Input« nannten, immer »ein Problem ansprachen«, Vorschläge als »Paket« einbrachten und sich im »Dialog« mit Zuhörergruppen engagierten; wenn man sich solchem phrasenhaften Gesprächsstil widersetzte, taten sie das als »reine Semantik« ab.
Mit heftiger Bewegung versenkte Markham die Hände in den Taschen und ging weiter. Seit Tagen plagte er sich mit einer umfangreichen Besprechung in mathematischer Physik, und ein langer, einsamer Spaziergang sollte ihm helfen, sich zu entspannen. Er kam an einer Baustelle vorbei, wo Schimpansen in Overalls Steine schleppten. Bemerkenswert, was die Tüftelei mit DNS in den letzten Jahren bewirkt hatte.
Als er sich der Schlange an einer Bushaltestelle näherte, wurde seine Aufmerksamkeit erregt. Ein Schwarzer in Tennisschuhen stand am Ende der Schlange; seine Augen tanzten, und sein Kopf zuckte wie von Drähten gezogen. Markham trat nahe an ihn heran und flüsterte: »Ein Bobby kommt um die Ecke.« Als er weiterging, erstarrte der Mann. »Hä? Was?« Hektisch blickte er sich um – und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Markham lächelte. Es war die gewöhnliche Taktik zu warten, bis der Bus hielt und alle sich aufs Einsteigen konzentrierten. Dann riß man einigen Frauen die Handtaschen weg und rannte schnell davon. Bevor die Menge ihre Aufmerksamkeit auf die neue Situation lenken konnte, war der Übeltäter schon mehrere Straßen weiter. Das gleiche Manöver hatte Markham in Los Angeles gesehen. Mit leichten Gewissensbissen gestand er sich ein, daß er die Situation nicht erkannt hätte, wäre der Mann kein Schwarzer gewesen.
Er ging durch die High Street. Wie durch Magie erschienen Bettlerhände, sobald sein amerikanisches Jackett erkannt wurde, und verschwanden flink, wenn sein Blick sich verfinsterte. An der Ecke von St. Andrews war Barrett’s Friseurgeschäft, über dessen Eingang ein verblichenes Schild verkündete: »Barrett rasiert jeden und nur den, der sich nicht selbst rasieren will.« Markham lachte. Einer der Insider-Scherze in Cambridge, eine Referenz an die logischen Spielereien von Bertrand Russell und der Mathematiker des vorigen Jahrhunderts. Das brachte ihn zu dem Problem zurück, das ihn im Moment beschäftigte – die verwirrenden Begleitumstände von Renfrews Experimenten.
Die auf der Hand liegende Frage war: »Und was ist mit Barrett? Wer kann den armen Barrett rasieren?« Wenn Barrett sich selbst rasieren wollte und das Schild die Wahrheit verkündete, dann wollte er sich nicht rasieren. Und wenn Barrett sich nicht selbst rasieren wollte, dann war er, wenn man dem Schild folgte, willens, sich selbst zu rasieren. Russell hatte dieses Paradox erfunden und es zu lösen versucht, indem er einführte, was er als »Meta-Schild« bezeichnet hatte, und auf dem stand:
»Barrett soll aus der Klasse der Männer ausgeschlossen sein, auf die sich das erste Schild bezieht.« Für Barrett war das Problem damit leicht gelöst, aber in der wirklichen Welt waren die Dinge nicht so einfach. Petersons Vorschlag, die Bank-Botschaft nicht abzusenden, hatte Markham mehr irritiert, als er zeigen wollte. Das Problem der Tachyonentheorie war, daß die Vorstellung von der Kausalschleife mit der menschlichen Wahrnehmung einer Vorwärtsbewegung der Zeit nicht übereinstimmte. Was wäre, wenn sie die Botschaft tatsächlich nicht sendeten? Die hübsche kleine Schleife mit den Pfeilen, die von der Zukunft in die Vergangenheit und wieder zurück flogen, war nicht ohne Mängel. Sie enthielt keine Menschen. Das Ziel der modernen physikalischen Theorie war, die Realität als unabhängig vom Betrachter einzuschätzen – zumindest, solange die Quantenmechanik nicht einbezogen wurde. Aber wenn Peterson sich in der Kausalschleife befand, war er in der Lage, jederzeit seine Meinung zu ändern und die ganze Sache zu verändern. Oder tat er das schon? Markham blieb stehen und betrachtete durch das trübe Glas einen Jungen, dessen Bernsteinhaar geschnitten wurde. Wo war in diesem Verwirrspiel der freie menschliche Wille?
Die Gleichungen waren stumm. Wie würde ihre Umgebung sich verändern, wenn Renfrew Erfolg hatte? Plötzlich sah Markham vor seinem geistigen Auge eine Welt, in der es die Ozeanblüte einfach nicht gab. Er, Renfrew und Peterson würden aus dem Cav kommen und feststellen, daß niemand wußte, wovon sie redeten. Ozeanblüte? Das haben wir schon vor Jahren gelöst. Dann wären sie Verrückte, ein Trio von Sonderlingen, die derselben Täuschung unterlagen. Aber um folgerichtig zu sein, sagten die Gleichungen aus, daß die Ausstrahlung der Botschaft keinen allzu großen Effekt haben konnte. Sie konnte die Ursache für die Tachyonensendung nicht aus der Welt schaffen. Folglich mußte es ein in sich stimmiges Bild geben, in dem Renfrew den auslösenden Einfall hatte und sich an den Weltrat wandte – und doch…
Mit einem Schütteln löste Markham sich aus seiner Stimmung. Ein seltsames Frösteln lief durch seinen Körper. Das Problem lag noch tiefer, es fehlten entscheidende physikalische Voraussetzungen.
Mit schnellen Schritten ging er weiter. Auf der großen Grünfläche von Parker’s Piece nahm ein Cricketspiel seinen trägen Verlauf. Der Mathematiker G. H. Hardy hatte vor einem Jahrhundert hier den Spielen zugesehen, sinnierte Markham, und genau wie er selbst den Nachmittag vertrödelt. Markham begriff das Ziel des Spiels, aber nicht seine Feinheiten. Den Fachjargon dieser Sportart hatte er nie verstanden, und ein gutes Spiel konnte er immer noch nicht als solches erkennen. Er ging hinter den Reihen der Zuschauer in ihren stoffbezogenen Klappstühlen vorbei und fragte sich, was die Cricketzuschauer des vergangenen Jahrhunderts vom heutigen England halten würden. Er vermutete, wie die meisten Menschen heute würden sie annehmen, die Zukunft sei kaum anders als die Gegenwart.
Markham bog in die Regent Straße und nahm den Weg am Botanischen Garten der Universität vorbei. Dahinter lag eine Knabenschule Zur Weitergabe der Normen und Talente der Oberklassen, wie es im uralten Satz eines Königs hieß. Er schritt durch den Torbogen und blieb vor dem Schwarzen Brett der Schule stehen. Die folgenden Schüler haben ihre persönliche Habe verloren. Sie werden sich am Donnerstag, den 4. Juni, im Präfektenbüro einfinden.
Kein »bitte«. Keine unnötigen abmildernden Floskeln, nur eine direkte Feststellung. Markham konnte sich das kurze Gespräch ausmalen: »Es tut mir leid, sehen Sie…«
»Regenstrafe. Fünfzig Zeilen, gestochene Handschrift. Morgen in der Pause bekomme ich sie.« Und der Schüler würde sich an die Arbeit machen: Mein sorgloser Umgang mit meiner privaten Habe wird aufhören.
Die Tatsache, daß der Schüler möglicherweise einen der modernen Stimmschreiber für fast alle seine Schulaufgaben benutzte, spielte keine Rolle. Das Prinzip regierte.
Sonderbar, wie Formvorschriften aufrechterhalten wurden, wenn alles andere – Gebäude, Politik, Ruhm – zerfiel. Vielleicht bezog diese Institution daraus ihre Stärke. Hier herrschte eine Zeitlosigkeit, die in Kaliforniens trockener Luft keinen Bestand haben konnte. Jetzt, da der Sommer in voller Blüte stand, schienen die gekünstelten Verhaltensweisen der Schulen und Colleges noch älter, ein Stück aus einer fadenscheinigen Zeit. Das Ende des endlosen, harten Winters und des regnerischen Frühlings ließen seine Stimmung steigen.
Er fühlte, wie seine Gedanken sich von dem Tachyonenproblem lösten und Zuflucht zu der behaglichen Aura der Vergangenheit suchten. Er wußte, für ihn war das etwas anderes. Engländer waren Fische, die in diesem Meer der Vergangenheit schwammen. Für sie war sie eine greifbare Gegenwart, die wie ein Souffleur die Ereignisse kommentierte. Amerikaner sahen die Vergangenheit als Klammern in den fortlaufenden Sätzen -Nebenbemerkungen, die außerhalb des Satzflusses standen.
Auf dem Weg zurück zu den Colleges ließ er sich von diesem Gefühl des Drangs der Zeit überfluten. Er und Jan waren an einigen Colleges Gast an der erhöhten Speisetafel gewesen, dem elementarsten anglophilen Erlebnis. Die wie Quecksilber glänzende Gedenktafel, verzierte Pokale. Im Salon aus poliertem Holz hingen die Porträts der Collegegründer im Goldrahmen. Jan war überrascht, in der großen Speisehalle eine faktische Isolierung vorzufinden: Eton-Absolventen an einem Tisch, Harrowianer an einem andern, die Schüler der minder bedeutenden Public Schools an einem dritten und schließlich die Wissenschaftler von staatlichen Schulen zusammen mit allen anderen an einem buntgemischten letzten Tisch. Für einen Amerikaner schien diese Zitadelle nach den Jahrzehnten energischer Politik der Gleichheit um jeden Preis ein sonderbares Relikt. Das Vertrauen auf ererbte Vorteile hatte Bestand, ebenso die Anschauung, daß ein solches System ebenfalls eine ererbte Tugend war. Die Vergangenheit existierte weiter. Man konnte auf dem aktuellsten Stand der Dinge sein, man wußte alles über die lateinamerikanischen Riffs von Lady Delicious, und doch saß man still und behaglich in Chorstühlen der Kings’ College-Kapelle und lauschte den cherubimhaften Knaben in elisabethanischen Halskrausen bei ihrem Versuch, das bemalte Glas mit schrillen Lautattacken zerspringen zu lassen. Die Vergangenheit schien auf verwirrende Weise noch existent, alles war miteinander verknüpft, und selbst die Erkenntnis, daß die Zukunft eine greifbare Sache war, schien in dieser Gegenwart lebendig.
Einen Moment entspannte Markham sich und ließ die Gedanken aus seinem Unterbewußtsein nach oben dringen. Spaziergänge waren der sanfte Anstoß, den sein Denken brauchte; er hatte sich diese Wirkung schon früher zunutze gemacht. Etwas… etwas über die Realität, die vom Beobachter unabhängig sein mußte…
Er blickte auf. Eine Zusammenballung gelber Wolken, die in niedriger Höhe über die grauen Türme hinwegtrieben, warf düstere Schatten auf die Great St. Mary’s Church. Glocken läuteten eine Klangkaskade durch die für einen Moment abgekühlte Luft. Die Wolke schien dem Wind Wärme zu entziehen.
Er beobachtete die Nebelfinger, die sich über ihm im Gefolge der Wolke auflösten. Dann, plötzlich, hatte er es. Der Kernpunkt des Problems war der Beobachter, derjenige, der die Dinge objektiv sehen mußte. Wer war er? In der Quantentechnik sagten die Gleichungen nichts darüber aus, in welche Richtung die Zeit laufen sollte. Sobald man eine Messung vornahm, mußte ein Experiment als ein Vorgang angesehen werden, der Wahrscheinlichkeiten erzeugte. Die Gleichungen konnten nur aussagen, wie wahrscheinlich ein »späteres« Ereignis war. Das war das Wesentliche des Quants. Schrödingers Gleichung konnte die Dinge entweder vorwärts oder rückwärts in der Zeit entwickeln. Nur wenn der Beobachter seine Finger hineinsteckte und eine Messung vornahm, fixierte etwas die Richtung des Zeitflusses. Wenn der allmächtige Beobachter ein Teilchen maß und es in Position x vorfand, dann mußte durch den Akt der Beobachtung dem Teilchen von dem Beobachter ein kleiner Stoß versetzt werden. Das war Heisenbergs Unbestimmtheitsbeziehung. Man konnte nicht exakt angeben, wie kräftig der Stoß war, den der Beobachter dem hilflosen Teilchen gegeben hatte. Schrödingers Gleichung beschrieb die Anordnung von Wahrscheinlichkeiten zu der Frage, wo das Teilchen als nächstes auftauchte. Die Wahrscheinlichkeiten wurden durch das Bild einer Welle gefunden, die sich in der Zeit vorwärts bewegte und es dem Teilchen möglich machte, an vielen verschiedenen Stellen in der Zukunft aufzutauchen. Eine Wahrscheinlichkeitswelle. Das alte Billardkugelbild, in dem das Teilchen sich mit newtonischer Bestimmtheit zum nächsten Punkt bewegte, war schlichtweg falsch, irreführend. Die wahrscheinlichste Position des Teilchens war tatsächlich dieselbe wie die newtonsche – aber es gab auch andere Möglichkeiten. Weniger wahrscheinlich, aber möglich. Das Problem kam, wenn der Beobachter erneut die Finger hineinsteckte und eine zweite Messung vornahm. Er fand das Teilchen an einer Stelle, nicht über eine Auswahl von Punkten verstreut. Warum? Weil der Beobachter selbst immer als newtonisch betrachtet wurde – ein »klassisches Meßinstrument«, wie es im Fachjargon hieß.
Ein breites Grinsen machte sich auf Markhams Gesicht breit, als er in Kings’ Parade einbog. In der Argumentationskette war eine Falltür. Der klassische Beobachter existierte nicht. Alles in der Welt war quantenmechanisch. Alles bewegte sich entsprechend den Wahrscheinlichkeitswellen. So wurde der solide, sachliche Experimentator selbst einem Anstoß unterworfen. Er erhielt einen vage bekannten Stoß von dem vergewaltigten Teilchen, und das bedeutete, daß auch der Beobachter quantenmechanisch war. Er war Teil des Systems. Das Experiment war größer und komplexer als die schlichten Vorstellungen der Vergangenheit. Alles war Teil des Experiments, niemand konnte sich von ihm isolieren. Man konnte einen zweiten Beobachter ins Gespräch bringen, größer als der erste und von dem Experiment unbeeinflußt – aber das brachte das Problem nur eine Stufe weiter. Das letzte Hilfsmittel war, das ganze Universum als den »Beobachter« zu betrachten, so daß sich ein in sich geschlossenes System ergab. Aber das hieß, daß man das gesamte Problem der Bewegung des Universums auf einmal lösen mußte, ohne es in praktikable, getrennte Experimente zu zerlegen.
Die Kernfrage des Problems war: Was ließ das Teilchen an nur einer einzigen Stelle auftauchen? Warum wählte es eines der möglichen Stadien und kein anderes? Es war, als hätte das Universum viele verschiedene Möglichkeiten, und irgend etwas brachte es dazu, nur eine spezielle zu wählen.
Markham blieb stehen und blickte zur Great St. Mary’s hinauf. Ein Student blickte über den Rand, ein runder Kopf vor dem stählernen Blau.
Welches war die richtige Analogie?
Der Tachyonenstrahl schuf das gleiche Problem. Wenn seine Annahmen richtig waren, gab es eine Wahrscheinlichkeitswelle, die vorwärts und rückwärts in der Zeit verlief. Die Einbringung eines Paradoxes ließ die Welle zu einer Schleife werden; das System verfiel in einen perplexen Wahnsinn, war nicht mehr fähig zu entscheiden, in welchem Zustand es sich befinden sollte. Etwas mußte die Wahl treffen. Gab es hier eine Analogie? So etwas wie einen unbewegten Beobachter, der die Zeit vorwärts statt rückwärts fließen ließ?
Wenn es das gab, dann fand das Paradox eine Antwort. Irgendwie mußten die Gesetze der Physik eine Antwort geben. Aber die Gleichungen waren stumm, unergründlich. Wie immer war die Grundfrage, die von der Mathematik beantwortet wurde, die Frage nach dem Wie, nicht die nach dem Warum. Mußte der unbewegte Beweger sich einschalten? Wer war er – Gott? Möglich war es.
Frustriert schüttelte Markham den Kopf. Die Gedanken schwärmten wie Bienen, aber er konnte sie nicht festhalten. Plötzlich brummte er laut und ging durch eine Reihe radelnder Studenten zu Bowes & Bowes hinein.
Die Auswahl wurde spärlich. Die Buchverlage hatten Probleme, befanden sich auf dem Rückzug vor der Flutwelle des Fernsehens. Eine Frau, die die Kasse bediente, erregte seine Aufmerksamkeit – recht sexy. Aber zu jung für sein Alter, dachte er bekümmert. Er näherte sich dem Stadium, in dem seine Wünsche fast immer über seinen Bereich wahrscheinlichen Erfolgs hinausgingen.
Das Tachyonenproblem beschäftigte ihn noch immer, als er an Cav vorbei durch die Badezone nach Hause ging. Eine Grünfläche, von altersher als Lammas Land bekannt, lag unter einem feuchtwarmen Nachmittag. Es herrschte eine Stille, als stünde das Jahr reglos auf der Spitze eines hohen Berges, auf die es, dem Winter entfliehend, gestiegen war und von der es schon bald wieder absteigen mußte. Er wandte sich nach Süden, auf Grantchester zu, wo der Kernreaktor noch im Bau war. Mit all den Verzögerungen würden sie es anscheinend nie schaffen, den zerquetschten Tischtennisball über dem brodelnden Kern zu vollenden. Die umliegenden Wiesen waren eine Oase ländlichen Friedens. Kühe im tintigen Schatten der Bäume vertrieben mit zuckendem Schwanz die Fliegen. Einschläfernde Laute drangen an sein Ohr; das Gurren der Tauben, das Surren eines Flugzeugs, Summen und Knacken. In der Luft vermischten sich die Gerüche von Disteln, Schafgarbe, Kreuzkraut und Farn. Aus dem üppigen Grün sprangen Farben wie aus einem Hinterhalt heraus: gelbe Kamille, blaue Glockenblumen, scharlachroter Gauchheil.
Als er nach Hause kam, war Jan mit Lesen beschäftigt. Sie liebten sich mit trägen Bewegungen in dem oberen engen Schlafraum und tränkten die Laken mit ihrem Schweiß. Anschließend blitzte das Bild der Frau bei Bowes & Bowes kurz in seinen schläfrigen Gedanken auf. Moschusfülle hing in der Luft. Der lange Tag erstreckte sich bis zehn Uhr am Abend und hielt die Nacht fern. Als er im bleichen Abendlicht eine Berechnung prüfte, mußte Markham daran denken, daß irgendwo auf dem Planeten irgend jemand für diesen längsten Sommertag in der harten Münze eiserstarrter Winternächte bezahlen mußte. Die Schulden steigen, dachte er. Und als er am Abend über die sich ausbreitende Blüte las, schien es, daß eine große Schuldsumme bald fällig werden würde.